The last sealed Second von Platan (Diarium Fortunae) ================================================================================ Kapitel 7: Ein guter Kerl ------------------------- „Was bist du nur“, sagte Ferris beflügelt, „für eine wunderschöne, junge Lady. Das hörst du sicher öfter.“ Mara starrte ihn mit einem abweisenden Blick an und blinzelte kein einziges Mal, als hoffte sie, ihn alleine dadurch auf Distanz halten zu können. „Nein, aber du hast es mir in den letzten Stunden so oft gesagt, dass mir davon inzwischen die Ohren bluten.“ „Und dann auch noch“, fuhr Ferris fort, „diese herrlich klare, melodische Stimme!“ Maras Augenbrauen zogen sich zusammen und ihr Blick warnte ihn weiterhin davor, dass er sich besser keinen Schritt nähern sollte. „Ich sagte, mir bluten die Ohren, also hör endlich auf damit.“ „Ich kann gar nicht sagen“, sprach Ferris unbeirrt weiter, „wann ich zuletzt so eine vollkommene Schönheit wie dich bewundern durfte.“ Eine nachdenkliche Pause folgte, ehe er noch etwas hinzufügte. „Nein, ernsthaft. So eine vollkommene Schönheit wie dich hab ich schon ewig nicht mehr gesehen, wenn überhaupt. Du bist nicht mal geschminkt, kein bisschen, hast aber trotzdem so eine reine, weiche Haut und glänzendes, seidiges Haar. Ganz zu schweigen von deiner Figur! Wie kann man von Natur aus nur so schön sein?“ Maras Blick verfinsterte sich noch mehr und sie atmete schwer ein und aus. Dieses hohe Maß an Missmut konnte Ferris überhaupt nicht nachvollziehen, denn in der Regel freuten die Frauen sich immer, sobald er ihnen Komplimente machte und waren ganz angetan von ihm. Bei diesem Exemplar schien jedoch keine einzige Schmeichelei zu ziehen, obwohl er sie allesamt nicht nur so daher sagte. Sie sah wirklich ungewöhnlich makellos aus, zumindest in seinen Augen. Erst als sie zusammen auf die Ankunft von Vane gewartet hatten, war ihm aufgefallen, wie hübsch sie aussah. Zuvor hatte er nicht so sehr darauf geachtet, überwiegend aufgrund der Umstände, was er nun zutiefst bereute. Könnte er noch einmal in die Vergangenheit zurück, würde lieber er bei ihr bleiben und stattdessen Luan zum Notfalltelefon schicken. Nicht mal seine jetzigen Versuche, bei ihr zu landen, erzielten die gewünschte Wirkung, sondern sorgten dafür, dass sie sich mehr und mehr von ihm distanzierte, noch bevor sie die Chance hatten sich anständig kennenzulernen. Bis ans andere Ende des Zimmers hatte sie sich zurückgezogen, so weit weg von ihm wie möglich, von wo aus sie eine frostige Wand zwischen ihnen aufbaute und das einzig mit ihren Blicken. Inzwischen wagte Ferris es sich gar nicht mehr, den Abstand auch nur um einen Millimeter zu verringern, weil sie ihn sonst dermaßen mit ihren Augen zu erdolchen versuchte, dass es ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Noch nie war er von einer Frau derart abgewiesen worden, was eine völlig neue Erfahrung für ihn war. So leicht wollte er aber nicht aufgeben, also öffnete er gerade den Mund, um ihr wieder ein Kompliment zu machen, doch sie schnitt ihm vorher das Wort ab und klang ziemlich schockiert. „Warte, woher willst du eigentlich wissen, dass meine Haut weich und meine Haare seidig sind?!“ „Wow, ich habe dich nicht angefasst, keine Bange!“, beruhigte er sie und hob unschuldig die Hände. „Ich habe nur einen guten Blick für solche Dinge.“ „Aha“, nahm Mara diese Erklärung misstrauisch zur Kenntnis. „Einen guten Blick dafür, wann du jemandem auf die Nerven gehst, hast du aber nicht, was?“ „Autsch.“ Lächelnd legte Ferris eine Hand in den Nacken. „Du bist ganz schön schlagfertig. Das gefällt mir.“ „Du mir nicht“, schlug sie weiter erbarmungslos auf seinem Ego ein. Schutzsuchend hatte sie sich in den schneeweißen, langen Vorhang auf der Fensterseite des Zimmers gestellt, er dagegen stand noch vor der Tür, auf der anderen Seite des Raumes. Dieser war zwar nicht besonders groß, sah aber dafür sehr gemütlich aus, was zum Teil an den fliederfarbenen Wänden sowie der Kombination mit schwarzen und weißen Elementen lag, ein heller Holzboden rundete das Gesamtbild schließlich ab. Ungefähr mittig standen jeweils zwei Betten an einer Wandseite und auf den beiden Nachttischen hatte jemand Blumen samt Willkommenskarten aufgestellt, die mit viel Liebe gestaltet waren. Hier war auch dafür gesorgt worden, dass einwandfreie Sauberkeit und Ordnung herrschte. Im Vergleich zur Eingangshalle wirkte dieses Zimmer um einiges edler, offenbar legte die Besitzerin dieses Hotels ihre Prioritäten an den richtigen Stellen fest. Sein Gespür hatte sich also, wie immer, genau die richtige Bleibe für die Zeit ausgesucht, in der sie hier für eine Mission unterwegs waren. Nur wünschte er sich, seine Versuche mit Mara warm zu werden würden ebenfalls so ins Schwarze treffen. Wenigstens redete sie wieder mit ihm, bei der Fahrt im Krankenwagen hatte sie auf dem Beifahrersitz geschwiegen wie ein Grab und ihn meisterhaft ignoriert, als wäre sie selbst plötzlich gar nicht mehr existent gewesen. Ob es nur an ihrem Aussehen lag, dass er sich von ihr angezogen fühlte, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Gutes Aussehen allein spielte für ihn normalerweise keine allzu große Rolle, ob es bei ihr anders war? In jedem Fall war irgendetwas an ihr, wegen dem er sie näher kennenlernen wollte. Ihre Vollkommenheit war zu auffällig, als darüber hinwegsehen zu können und sie nicht erforschen zu wollen. Zwischendurch hatte sie die Zeit genutzt und sich etwas im Bad des Hotels zurechtgemacht, wodurch erst recht hervorstach, wie ungewöhnlich sie war. Selbst ihr Kleid, das man ihr auf Nachfrage von Ferris netterweise zur Verfügung gestellt hatte, war frei von jeglichen Falten, was nicht normal sein konnte und sicher auch nicht an den grandiosen Bügelfähigkeiten von irgendwem lag. Es besaß die Farbe von Lavendel mit Magenta als Abrundung. Das charmante Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht, als er auf ihre letzten Worte reagiere. „Och, warum denn nicht? Ich bin ein echt netter Kerl.“ „Das bezweifle ich.“ Etwas an ihrer Stimmlage veränderte sich und wurde ebenso eiskalt wie der Blick, mit dem sie ihn abwies. „Der Zug ist für dich abgefahren, seit du mich zum ersten Mal als perfekt hingestellt hast.“ Perfekt. Dieses Wort hörte sich aus ihrem Mund nicht gerade positiv an, versetzte ihm sogar vielmehr einen Stich ins Herz und für einen kurzen Moment blieb ihm die Luft weg. Ihre Augen. Da war etwas in ihren Augen, ein aggressiver, rötlicher Schimmer. Ein loderndes Feuer lag in ihrem Blick, trotz der Kälte, die in ihrem Ausdruck lag. Flammen drängten sich in seinen Geist, veränderten seine Wahrnehmung und bald schien der ganze Raum lichterloh zu brennen. Alles zerfiel zu Asche. Instinktiv wich Ferris zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Tür hinter sich stieß. Was war das für ein Gefühl, das in ihm hochkam? Sein Puls schoss in die Höhe und ein alter Teil seiner Erinnerung drohte einen längst vergessenen Film abzuspielen. Ihm ging das Wort nicht mehr aus dem Kopf. Perfekt. „Alles muss perfekt sein“, murmelte er angespannt und in geistiger Abwesenheit verloren. „Ich hasse es, perfekt zu sein.“ Aus der Ferne drang eine Frauenstimme zu ihm durch, doch er konnte nicht verstehen was sie zu ihm sagte. Erst als jemand die Tür öffnete und sie ihm kräftig in den Rücken stieß, brachte ihn das in die Realität zurück. Bloß ein Wimpernschlag genügte und der Raum war wieder so wie vorher, weit und breit kein Feuer in Sicht. Durch den Stoß stolperte er nach vorne, geradewegs auf Mara zu, die nur noch knapp zwei Meter von ihm entfernt stand. Wann war sie näher zu ihm gekommen? Keiner von beiden konnte den folgenden Zusammenprall verhindern. Vor lauter Schreck war Mara nur zu einem kurzen Schrei fähig, wogegen Ferris es noch gelang seine Arme rasch um ihre Hüfte zu klammern und sich im Sturz so zu drehen, dass sie sicher auf ihm landen konnte. Mit dem Rücken traf Ferris auf dem Boden auf, verspürte dabei aber bloß etwas Druck und jeglicher Schmerz blieb aus. Der erste Schreck war auf beiden Seiten relativ flott vorbei und Mara befreite sich nervös aus seinem Klammergriff, blieb jedoch vorerst in aufrechter Position auf ihm sitzen. „W-Was sollte das denn?“ „Das würde ich auch gern wissen“, warf eine andere Stimme ein, die nicht begeistert über den Anblick wirkte, der sich hier bot. „Nein, vergesst es. Ich will es lieber doch nicht wissen.“ Ferris lenkte seinen Blick an Mara vorbei, wo er Luan im Türrahmen stehen sah. Sofort strahlte er freudig, als wäre gerade eben überhaupt nichts Seltsames passiert. „He, Kumpel. Bist du etwa schon wieder fit?“ „Ja.“ Ein grimmiger Ausdruck legte sich über Luans Gesicht. „Und du hast mal wieder zu viel Spaß, wie ich sehe.“ „Das hier? Das war ausnahmsweise mal nicht mein Verdienst“, wies Ferris die Klage von sich. Verlegen stieg Mara hastig von ihm runter. „Du warst auf einmal so komisch! Was sollte das?!“ Komisch? Ja, das vorhin war wirklich komisch. Was das wohl war? Ein Streich, den seine Wahrnehmung ihm gespielt hatte? Jedenfalls schien Mara der Auslöser dafür gewesen zu sein, auch wenn er sich nicht erklären konnte warum. Am besten sollte er Luan davon erzählen, aber unter vier Augen. Oder sollte er es lassen? Gut möglich, dass er nur gestresst war und selbst keine Ahnung davon hatte. Ab jetzt war ihm ihre Anwesenheit nicht mehr geheuer, doch er sollte sich davon nichts anmerken lassen, bis sie besser über sie Bescheid wussten. Kein Wunder, jemand der so vollkommen aussah konnte ja nicht ganz koscher sein. Ganz zu schweigen davon, dass sie, zu allem Überfluss, auch noch viel zu viel wusste, als es einem Mensch gestattet war. Stimmt, er sollte Luan davon erzählen, dass sie von ihr als Traumbrecher enttarnt worden waren. Bevor Ferris aber dazu kam, aus eigenem Antrieb vom Boden aufzustehen, wurde er bereits grob von Luan am Kragen gepackt und gewaltsam hochgezogen. Überrascht von dieser Stärke, die er seinem Freund gar nicht zugetraut hatte, versuchte er erst mal sein Gleichgewicht wiederzufinden. Im nächsten Augenblick wurde er aber auch schon von Luan gegen den nahegelegenen Kleiderschrank gestoßen. „Alter!“, reagierte Ferris äußerst perplex und hielt sein Gegenüber auf Abstand, indem er ihn mit einer Hand von sich wegdrückte. „Was hast du denn für ein Problem?!“ „Das weißt du ganz genau!“, fuhr Luan ihn wütend an. „Wieso musstest du ausgerechnet Vane anrufen?! Ich habe dir oft genug gesagt, dass ich den Kerl hasse!“ „Oh, entschuldige, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe“, erwiderte Ferris, allerdings eher amüsiert als reumütig. Diese heitere Note fügte sich nicht harmonisch mit den Worten zusammen, die er daraufhin sagte. „Ist ja nicht so, als würde der Atemfluss unsere Körper frisch halten und vor dem Verfall bewahren – was es also recht kritisch werden lässt, wenn wir zu viel davon verlieren.“ Mit Atemfluss meinte Ferris die Energie, von der Traumbrecher umgeben waren und die nur bei aktivierter Traumzeit sichtbar wurde. Eben jene Energie, durch die auch Alpträume vernichtet wurden, indem sie als Munition für ihre Pistolen diente. Davon, dass Ferris den etwas fachlicheren Ausdruck verwendet hatte, wirkte Luan sichtlich irritiert, konnte sich aber sicher durchaus denken, worauf er damit hinauswollte: Es sollte ihn daran erinnern, in welcher Lage er sich befand. Einst wurden ihre Träume mithilfe der Energie ihrer eigenen Seele in konzentrierter Form zusammengefasst und waren in einer Taschenuhr gebändigt worden. So eine starke Ansammlung von Träumen auf sechs Stunden zu begrenzen, verursachte natürlich einen gewissen spirituellen Druck, der dank der eigenen Energie unter Kontrolle gehalten werden konnte. Verbrauchte ein Traumbrecher zu viel Energie, wurde neue stets automatisch im Inneren der Taschenuhr gebildet, sofern noch Zeit von den sechs Stunden übrig war, die aktiv genutzt werden konnte. Die Nähe zu aktiven Träumen hielt die Energie selbst lebendig und ließ sie sich vermehren, wie in einem natürlichen Kreislauf, einem Fluss, wodurch einem Traumbrecher also theoretisch niemals die Munition ausgehen konnte. Manchmal brauchte es nur seine Zeit, bis der Mangel ausgeglichen wurde, das war von Person zu Person unterschiedlich. In Luans Fall hatte er das gleiche Problem wie jeder Rentner in diesem Beruf, denn seine Uhr war nicht mehr dazu imstande, neue Energie zu erschaffen, aufgrund seiner eingefroren Sekunde, der er es zu verdanken hatte, dass seine Träume bereits tot waren. Von toten Träumen konnte die Energie sich nicht vermehren und verkümmerte, früher oder später. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als sich wieder und wieder künstliche Energie zuführen zu lassen. Wozu, wenn es doch sowieso keine aktive Traumzeit mehr gab, deren Druck kontrolliert werden müsste? Auf Jagd gingen solche Fälle wie er eigentlich gar nicht mehr, nein, es gab einen anderen Grund. Daran wurde Luan scheinbar nur höchst ungern erinnert und dachte wohl auch gar nicht erst daran, diese Tatsache näher ans Tageslicht zu holen. Stattdessen wanderte sein Blick kurz zu Mara, die ihren Worten viel zu aufmerksam lauschte, als wollte sie ja keine Kleinigkeit verpassen. Danach sah er wieder vorwurfsvoll zu Ferris. Ich kann es echt nicht leiden, wenn er mich so anschaut, dachte er für sich. Alleine wegen Mara sollten sie ihr Gespräch doch besser vertagen und nicht vor ihr über solche Dinge sprechen, genau das sagte ihm jedenfalls Luans Gesichtsausdruck. Dieser stummen Forderung kam Ferris aber nicht nach, nahm es sogar eher als Gelegenheit wahr, ihm endlich davon zu berichten, dass diese Frau über Wissen verfügte, mit dem sie gar nicht ausgestattet sein dürfte. Kaum hatte er Luan davon erzählt, wandte er sich komplett von ihm ab und schenkte Mara seine Aufmerksamkeit. „Ist das wahr? Du weißt, was Traumbrecher sind?“, fragte er ungläubig nach. Sie nickte. „Ja, aus einem Buch.“ „Was für ein Buch?“ „Diarium Fortunae.“ Der Titel sagte Luan allem Anschein nach einiges, denn er wurde ernst. Noch ernster als sonst und Ferris hätte nicht geglaubt, dass das möglich war. Generell zeigte er heute auf einmal viel mehr Emotionen. Entweder blieb sein Freund normalerweise bei Diskussionen einfach nur mürrisch oder verschloss sich komplett. Wie auch immer, dieses Buch kam Ferris im Gegensatz Luan nicht mal ein klitzekleines bisschen bekannt vor und er scheute auch nicht davor zurück es offen zuzugeben. „Muss man das kennen?“, warf Ferris in den Raum. „Davon habe ich noch nie gehört.“ Für diese Aussage erntete er von Luan nur wieder diesen genervten Blick, den er immer von ihm bekam, sobald er etwas tat oder sagte, was sein Kollege als absolut unangebracht empfand. „Das ist ein Buch aus der Schatzkammer von Atanas. Das sollte sich gar nicht hier in der Menschenwelt befinden und zwar nicht nur, weil da allerhand Informationen über Traumbrecher und Fortunae drinstehen.“ „Nicht nur?“, wiederholte Ferris und zuckte mit den Schultern. „Egal, dann holen wir es eben zurück. Atanas wird sicher dankbar sein.“ „Er wird nicht nur dankbar sein“, fügte Luan hinzu, dann sprach er wieder zu Mara. „Du sagtest doch, dass du hier in Limbten wohnst. Befindet sich das Buch auch hier?“ Zum zweiten Mal bestätigte sie mit einem Nicken. „Ja, in einem Buchladen. Ich arbeite und wohne auch da.“ Dieses Bild störte Ferris. Wieso war sie gegenüber Luan so gesprächig und antwortete ihm so gehorsam? Bestimmt musste zwischen ihnen etwas vorgefallen sein, als er nicht dabei war oder Luan war nur gut darin solche Frauen zu handhaben. Mara wirkte quasi wie ausgewechselt und suchte sogar den Kontakt zu ihrem Retter, dem das wiederum eher weniger gefiel. An seiner angespannten, teils abgewandten Körperhaltung konnte Ferris das genau erkennen. „Gut, wir fahren direkt dorthin“, zog Luans Stimme ihn aus diesen Gedanken. Begeistert stimmte Ferris in dieses Vorhaben mit ein. „Alles klar, dann mal los!“ „Mit wir, meine ich nur Mara und mich. Nicht dich.“ Luan sagte diese Worte ohne jedes Gefühl in der Stimme, wodurch diese Richtigstellung seinerseits erst recht schrecklich abweisend klang. Davon wollte Ferris sich aber garantiert nicht so ohne weiteres den Wind aus den Segeln nehmen lassen und reagierte darauf relativ locker. „Ach, jetzt sei mal nicht so.“ „Ich bin aber so. Genau jetzt“, wies Luan ihn weiter ab, machte sich sogar schon auf dem Weg zurück zur Tür. Mara folgte ihm, ohne jede Aufforderung. Langsam wurde es doch schwer, die gute Stimmung aufrecht zu erhalten, aber Ferris hielt durch und strahlte immer noch. „Komm schon, wir sind Partner. Theoretisch darfst du ohne mich gar nicht agieren, solange wir hier auf Mission sind.“ „Theoretisch solltest du vor anderen gar nicht so viel ausplaudern, auch wenn Mara über unseren Beruf Bescheid weiß“, beschwerte Luan sich über die Offenheit, mit der Ferris in Anwesenheit einer dritten Person sprach. Seine Hand griff nach der Türklinke, doch er blieb nochmal stehen und sah über die Schulter hinweg zu ihm. „Außerdem kann ich niemanden gebrauchen, der diese ganze Sache nicht ernst genug nimmt.“ Angestrengt biss Ferris die Zähne zusammen, um dem mit einem Lächeln zu begegnen. „Sehe ich für dich wirklich so aus, als würde ich die ganze Zeit nur Spaß haben?“ „Oh ja“, antwortete Luan abwertend und sah wieder nach vorne, weil er endlich gehen wollte. Instinktiv bekam Ferris den Drang loszurennen und ihn am Arm zu packen, damit er nicht ging. So wollte er die Sache nicht im Raum stehen lassen, doch wenig später folgte schon ein lauter Knall und sagte ihm, dass er sich offenbar nicht dazu hatte durchringen können, Luan aufzuhalten. Er hatte sich nicht vom Fleck rühren können, die Tür war ins Schloss gefallen und beide waren fort. Ohne ihn. „Du bist wirklich sauer auf mich, huh?“, stellte Ferris fest und senkte den Kopf. „Dabei hatte ich nur gehofft Vane findet etwas Neues heraus. Ich will meinen alten Freund zurückhaben.“ Nur schwer widerstand er dem Drang, seine Kraft an einem der Möbelstücke auszulassen. Stattdessen zwang er sich dazu, eines der Betten anzusteuern und ließ sich dort auf die Matratze fallen. Nach lächeln war ihm spätestens jetzt nicht mehr zumute. Seufzend vergrub er das Gesicht im Kopfkissen, irgendetwas sorgte aber dafür, dass er sich nochmal aufrichtete. Da lag etwas auf der Matratze, was ihn stutzig werden ließ. Ein kleiner, roter Samen. Eine Sekunde später fiel ihm dann ein, dass Mara zuletzt auf diesem Bett gelegen und ein wenig Schlaf nachgeholt hatte. *** Luan hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen, kaum dass die Zimmertür ins Schloss gefallen war. Dabei war er sogar noch viel ruhiger gewesen, als er sich in Wirklichkeit fühlte und Ferris konnte froh sein, dass sich etwas in ihm dagegen sträubte, seiner Wut vollkommen freien Lauf zu lassen. Er war wirklich ziemlich sauer auf Ferris. Alpträume zu jagen bedeutete ihm sehr viel und Vane war jemand, der ihm diese Aufgabe wegnehmen wollte. Natürlich wird Ferris es nur gut gemeint haben, dennoch änderte es rein gar nichts daran, dass er ihn mit den Anruf an Vane verraten hatte. So leicht könnte er ihm das nicht verzeihen. Trotzdem hatte er ein schlechtes Gewissen. Wieso? Immerhin hatte der Schuldige bis zum Schluss gelächelt und es nicht für nötig gehalten, sich bei ihm zu entschuldigen. Manchmal werde ich aus ihm nicht schlau, ging es ihm durch den Kopf. Mir ist es lieber, wenn er wie ein offenes Buch ist, aus dem man lesen kann. Das Thema Buch brachte ihn schließlich zurück auf den Grund, wegen dem er das Zimmer nun so schnell wieder verlassen hatte. Während sie auf dem Weg zum Ausgang waren, nutzte er die Zeit und stellte Mara schon mal weitere Fragen, von denen er die Antworten brauchen könnte. Sie folgte ihm schweigend und hielt sich zu dicht bei ihm an seiner Seite auf, wie er fand. „Du arbeitest also in dem Buchladen?“ „Richtig.“ „Dann weißt du auch, von wem der geführt wird?“ „Natürlich.“ „Und?“, hakte er ungeduldig nach. „Nichts und“, meinte sie und sah ihn bedeutungsvoll an. „Ich habe dich längst gefragt, ob du sie kennst und du hast mir darauf noch keine Antwort gegeben.“ Auf solche Spielereien konnte Luan gut verzichten. Am liebsten hätte er sie dazu gedrängt, einfach mit der Sprache rauszurücken, kramte aber doch zunächst in seinem Gedächtnis nach, wann sie ihm diese Frage angeblich gestellt haben könnte. Fündig wurde er letztendlich nicht und beschloss, es gut sein zu lassen. Spätestens bei ihrer Ankunft am Buchladen würde er so oder so erfahren, wer dieses Geschäft führte und ob diese Person auch dafür verantwortlich war, dass sich dieses wertvolle Buch dort befand. Also beendete er diese Unterhaltung nur mit einem knappen Laut, was Mara herzlich egal war, denn sie sprach etwas anderes an. „Dieser Ferris, ist der immer so?“ „Du meinst ein Playboy, der immer nur Spaß hat?“, rutschte es ihm raus, obwohl er mit ihr gar nicht darüber reden wollte. „Nein“, widersprach sie ruhig und klang fast etwas mitfühlend. „Ich meine, ob er sich immer so ... verstellt.“ „Wie bitte?“ „Nicht so wichtig.“ Aus diesem Mädchen wurde er ebenfalls nicht schlau, das war allerdings nichts neues, dabei kannte er sie noch nicht lange genug. Warum sollte jemand wie Ferris sich verstellen und wie kam sie überhaupt darauf? Oder wollte sein schlechtes Gewissen ihn nur dazu bringen zurückzugehen, um seinen Partner doch noch zu holen? Stur schüttelte er diesen Gedanken ab. Unsinn, ich wüsste nicht wieso, dachte er. Ich habe hier niemanden verraten. In der Eingangshalle angekommen grüßte er kurz die Frau an der Rezeption, die ihm freundlich zuwinkte und verließ mit Mara das Hotel. Draußen angekommen bemerkte er sofort, dass der Krankenwagen nicht mehr da war, was er nur begrüßte. Gut, dass der Doktor nie lange dem Hauptquartier fern bleiben konnte, weil es dort zu viel zu tun gab. Womöglich vermisste er es auch nur, an seinen Forschungen zu arbeiten. Plötzlich sprach Mara ein Problem an, an das er vorher nicht gedacht hatte. „Und womit fahren wir? Zu Fuß wäre es etwas weit.“ Leider konnte er den Wagen von Ferris nirgendwo entdecken und selbst wenn er schon hier gewesen wäre, könnte er nicht damit fahren, ohne Führerschein. Also blieb ihnen nur eins übrig: „Wir werden ein Taxi nehmen.“ „Na, dann viel Glück“, schmunzelte Mara erst und musste dann lachen. Zwei Dinge gab es, die Luan daran irritierten. Zum einen fragte er sich, wieso sie ihm ausgerechnet jetzt Glück wünschte und zum anderen hatte er sie zum ersten Mal lachen gehört, was ihr erstaunlich gut stand. Daher klang er reichlich erstaunt, als er nachfragte. „Was soll das denn heißen?“ „Soll heißen, dass es hier in der Stadt nicht viele davon gibt“, erklärte sie. „Ist schwer, hier ein Taxi zu bekommen.“ Großartig, noch dazu besaß Luan auch kein Handy, mit dem er einen Fahrdienst anrufen könnte. Normalerweise erledigte Ferris solche Angelegenheit immer, darum hatte er sich noch nie selbst kümmern müssen. Nur deswegen würde er aber nicht zu ihm gehen und darum bitten doch mitzukommen. Lieber wartete er am Straßenrand darauf, dass zufällig ein Taxi vorbeifuhr. Grummelnd marschierte er auch direkt vorwärts, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wie zuvor folgte Mara ihm. An der Straße angekommen vergrub Luan beide Hände in den Manteltaschen. Ruhe sollte er jedoch nicht haben, da Mara ihn erwartungsvoll von der Seite ansah und er sie deshalb in ein weiteres Gespräch verwickelte, in der Hoffnung, dass es sie davon abbringen würde, ihn so anzustarren. „Du wusstest also von Anfang an über Traumbrecher Bescheid?“, setzte er an und schielte zu ihr runter. „Was sollte dann dieses Theater mit meiner Taschenuhr?“ „Oh, ich wusste nicht von Anfang an, dass du ein Traumbrecher bist“, korrigierte sie und löste den Blick von ihm, wie er es sich erhofft hatte. „Ich habe das Buch erst vor kurzem angefangen zu lesen und weiß noch nicht viel über sie.“ „Hm, verstehe.“ „Sag“, begann sie unruhig. „Hat jeder von euch eine Taschenuhr?“ Die Antwort verweigerte er ihr. „Ich finde, du weißt schon mehr als genug.“ Bedrückt ließ sie den Kopf hängen. Irgendetwas bereitete ihr wohl Sorgen, sie wirkte auf einmal so abwesend. Bevor er auch nur den Drang dazu entwickeln konnte, zu fragen, was denn los sei, lenkte etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Direkt vor ihnen hielt völlig unerwartet ein Wagen an, den er auf Anhieb wiedererkannte: Es war das Auto von Ferris. Am Steuer saß jemand, den er sehr gut kannte, aus der Zeit, die er bei Vane im Labor verbracht hatte: Naola Palles, treue Assistentin des Doktors und eine von wenigen weiblichen Traumbrechern. Sie war Fünfundzwanzig, ein Jahr jünger als Ferris. Jemand musste sie damit beauftragt haben, sich um den Wagen zu kümmern und ihn herzubringen. Sie stieg aus und blickte über das Dach hinweg zu ihnen rüber. „Na? Hast du es überstanden?“ Damit meinte sie die Behandlung bei Vane. Ihre Stimme sorgte stets dafür, dass Luan sich geborgen fühlte, was daran liegen musste, dass sie sich oft um ihn gekümmert und ihm das Leben mit Vane um einiges angenehmer gestaltet hatte. Im Gegensatz zu diesem fanatischen Forscher besaß Naola ein sehr mitfühlendes Wesen, in dem auch viele Überraschungen steckten. „Halbwegs“, lautete seine Antwort und er ergriff gleich die Chance, die sich mit ihrem Eintreffen anbot. „Hast du Zeit? Ich bräuchte jemanden, der mich wohin fährt.“ Naola musste nicht erst darüber nachdenken. „Für dich immer. Wo soll es denn hingehen?“ „Zu einem Buchladen.“ Mit einem Kopfnicken deutete er zu Mara. „Sie wird dir den Weg zeigen.“ „Na schön, dann steigt mal ein.“ *** Mara war vorne eingestiegen, so konnte sie Naola besser sagen, wo sie langfahren musste. Das war Luan nur recht, auf die Art hatte er auf dem Rücksitz seine Ruhe. Schweigend beobachtete er, wie Mara hin und wieder in eine Richtung deutete und Naola mit einem Nicken bestätigte. Es gab etwas, was er ungemein faszinierend an Naola fand und das waren ihre violetten, langen Haare. Bei manchen Traumbrechern konnten sie eine unnatürliche Farbe annehmen, je nachdem worauf die Energie geprägt war. Bisher kannte er aber nur zwei andere Personen, bei denen sich die Haarfarbe dermaßen ungewöhnlich verändert hatte, Naola ausgeschlossen. Als sie etwas später dann dazu gezwungen waren, an einer roten Ampel zu halten, blickte die Fahrerin nach hinten zu Luan. Ein sanftes, hellblaues Augenpaar fixierte ihn. „Hast du Streit mit Ferris?“ „W-Was?!“, reagierte Luan überrumpelt und zog den Kopf ein. „Wie kommst du denn darauf?“ „Hättet ihr keinen Streit, würde Ferris dich doch jetzt fahren“, schlussfolgerte sie. „Was ist passiert?“ Schützend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Darüber will ich nicht reden.“ „Du willst nie über deine Gefühle reden, Luan“, meinte sie, in einer behutsamen Tonlage. „Was ist Ferris denn für dich?“ „W-Wie?!“ Jetzt schaute auch Mara ihn interessiert an, was dafür sorgte, dass er sich wie bei einem Verhör vorkam. Selbst als die Ampel wieder auf grün sprang, ließ Naola sich dadurch nicht stören und wartete auf eine Antwort von ihm. Angespannt drückte Luan den Kopf fest in die Lehne vom Rücksitz und grübelte darüber nach, was er sagen sollte. Ob er generell was dazu sagen wollte. Ein angenehmer Schauer durchfuhr ihn, als jemand eine Hand auf sein Bein legte und ihm dadurch Halt geben wollte. Überrascht musste er feststellen, dass es Maras Hand war und ihr Anblick rief ihm etwas ins Gedächtnis. Worte, die einst jemand anderes ständig zu ihm gesagt hatte. In diesem Augenblick lag die Antwort klar und deutlich vor ihm. „Ein guter Kerl.“ Zufrieden lächelte Naola. „Dann solltest du dich unbedingt mit ihm vertragen.“ „Ja“, stimmte Luan leise zu und wich ihrem Blick aus. „Ich muss aber erst was anderes erledigen.“ „Mit anderen Worten: Du traust dich nicht.“ Endlich richtete Naola den Blick zurück auf die Straße und das Hupkonzert hinter ihnen löste sich auf der Stelle auf, kaum dass sie losfuhr. „Soll ich für dich mit ihm sprechen?“ Statt etwas zu sagen, nickte er nur und wusste, dass sie es im Rückspiegel sehen konnte. Auch Maras Hand löste sich von seinem Bein, damit sie sich ebenfalls auf die Straße konzentrieren und angeben konnte, wo sie langfahren mussten. Das erlaubte Luan, sich wieder zu entspannen und erleichtert auszuatmen. Irgendwie fühlte er sich deutlich besser als vorher. Bis er die Sache mit dem Buch geregelt hatte, konnte Naola mit Ferris reden und danach wurde es höchste Zeit, dass sie zusammen anfingen an ihrer Mission zu arbeiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)