Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 132: CXXXII – Wertvolle Fähigkeiten ------------------------------------------- Donnerstag, 08.Oktober 2015 Konzentriert auf ihre Notizen blickend, stieg Mirâ an der Zentralen Station in Tsukimi-kū aus der U-Bahn; darauf bedacht niemanden ausversehen umzurennen. Da die nächsten Prüfungen bald anstanden hatte sie sich kleine Karteikarten erstellt. Diese waren mit einem Ring zusammengebunden und mit Fragen und Antworten zum aktuellen Schulstoff beschrieben, die höchstwahrscheinlich auch bei den Prüfungen drankommen würden. An sich hatte die Violetthaarige eigentlich keine Probleme mit dem Lernen, doch durch die Sache mit der Spiegelwelt wurde es immer schwerer, zumal ihre Gedanken oft abschweiften. Ihr war aufgefallen, dass es dadurch nicht mehr reichte, wenn sie einige Tage vorher nochmal den Stoff durchging. Deshalb hatte sie zu einer Methode gegriffen, die sie zuletzt in der Mittelstufe angewendet hatte: Diese kleinen Karteikarten, die in jede Tasche passten und mit denen sie auf dem Weg zur Schule nochmal alles wichtige durchgehen konnte. Sie hoffte, dass es ihr half. Zwar waren ihre Noten nicht schlecht, aber trotzdem musste sie dranbleiben. "Guten Morgen, Mirâ-senpai", ließ sie eine weibliche Stimme aufschrecken. Überrascht drehte sie sich um und erkannte dann Megumi, die lächelnd neben ihr stand. "Guten Morgen, Megumi-chan", grüßte die Ältere etwas irritiert, während sie die kleinen Karteikarten in ihrer Jackentasche verschwinden ließ. Sie wusste zwar, dass die Jüngere auch in Tsukimi-kū lebte, jedoch war sie ihr noch nie auf dem Weg zur Schule begegnet. Vor allem nicht an dieser Station. Der Brünetten schien die Irritation ihrer Senpai zu bemerken und verschränkte die Arme hinter dem Rücken: "Normalerweise fahre ich immer bis zum Hauptbahnhof durch und steige dort um, weil ich die Station verpasse. Meistens zeichne ich im Zug noch etwas und bin dann so vertieft, dass ich hier immer vorbeifahre." "A-ach so", nickte die Violetthaarige. Das ergab Sinn. Da es auch zwei Linien, der Han'ei Linie gab, die abwechselnd fuhren, um in unterschiedliche Bereiche des Stadtteiles zu kommen, hätten sich die beiden Mädchen aber auch so oder so immer verpasst. Megumi kam immerhin aus dem Norden, von wo aus die A-Linie fuhr. Mirâ wiederum kam aus dem Westen, wo die B-Linie fuhr. Wenn man also nicht zwingend umstieg, verpasste man sich. Megumi sah sich kurz um: "Ist Akane-senpai nicht dabei? Ihr fahrt doch häufig zusammen." "Ja schon, aber in letzter Zeit dreht sie vor der Schule mit Yasuo-senpai und seinem Hund noch eine Runde und kommt dann mit ihm zur Schule", erklärte die Ältere und beobachtete, wie die Bahn der Hahen Ringlinie einfuhr, welche sie direkt nach Jûgôya-kū bringen würde. Die beiden Mädchen warteten, bis der Zug am Bahnsteig zum Stehen kam und die Fahrgäste ausgestiegen waren. Dann betraten sie das Fahrzeug, dessen Türen sich kurz darauf schon wieder schlossen und das daraufhin losfuhr. "Es muss schön sein, einen Freund zu haben", seufzte Megumi etwas wehmütig. Vorsichtig stieß Mirâ ihre kleine Freundin an: "Aber du hast doch Obata-kun. Also warum so wehmütig?" "S-so weit si-sind wir nicht. Außerdem weiß ich gar nicht, wie er dazu steht...", murmelte die Brünette und zog plötzlich ihr Smartphone aus der Rocktasche, als dieses ein Geräusch von sich gab. Über die Schulter der Jüngeren hinweg, erkannte Mirâ, wie diese ihr Handy entsperrte und dann eine Nachricht öffnete, die von einer Yumiki war. "Yumiki?", sprach sie ungewollt ihre Gedanken aus, woraufhin Megumi sie etwas irritiert ansah, "Entschuldige. Ich wollte nicht neugierig sein..." "Schon gut. Ist ja nichts Geheimes oder so...", zuckte ihre Freundin mit den Schultern, "Yumiki ist meine Brieffreundin. Sie heißt eigentlich Miyuki und lebt in Iwatodai. Wir schreiben uns eigentlich regelmäßig Briefe, aber ab und an schreiben wir uns auch via LINE. Meistens, wenn wir die Meinung der anderen für eine unserer Skizzen haben möchten. Miyuki mag nämlich auch Mangas und zeichnet." Die Brünette öffnete das Bild, welches ihre Freundin beigelegt hatte, sodass auch Mirâ dieses erkennen konnte. Zu sehen war erst einmal ein weißes Blatt, erst nach längerem hinsehen erkannte die Ältere mehrere farbige Linien, welche zusammen eine Skizze ergaben. Doch es brauchte eine Weile, bis ihr Gehirn richtig registriert hatte, was sie dort sah und war danach ein klein wenig geschockt. Sie kannte die Charaktere, die dort dargestellt wurden. Es handelte sich dabei um zwei Charaktere eines recht alten Anime, der sich Drachenkugel S nannte. Darin ging es, soweit sie wusste, um muskelbepackte Kerle, die mit übernatürlichen Fähigkeiten gegen außerirdische Gegner kämpften, um die Erde vor der Zerstörung zu retten. Auf diesem Bild erkannte man jedoch den Protagonisten gemeinsam mit einem seiner Mitstreiter, der, soviel Mirâ wusste, auch sein größter Rivale war, in einer eher ungewöhnlichen Situation: Eng umschlungen und kurz davor zu einem Kuss anzusetzen. So richtig wusste die Violetthaarige ehrlich gesagt nicht, was sie davon halten sollte. Sie wusste, dass es Menschen, vor allem Mädchen, gab, die so etwas toll fanden. Trotzdem war es für sie echt ungewohnt und befremdlich, obwohl die Skizze an sich echt gut war, wie sie fand. Megumi schien Mirâs leichtes Unbehagen zu bemerken und drehte das Handy wieder so, dass nur sie draufschauen konnte: "Miyuki ist eine echte Fujoshi. Sie shippt gerne Kerle, die sie cool findet." "Ah ja", murmelte die Ältere, wusste aber nichts weiter darauf zu antworten. Viel mehr schockte sie es etwas, das ihre sonst so schüchtern wirkende Freundin diese Tatsache einfach so abtat, als sei es das normalste der Welt. Nicht das Mirâ etwas dagegen hätte, aber befremdlich war es schon Kerle zusammen zu sehen, die ja offiziell sogar verheiratet waren und Kinder hatten. Selbst wenn es sich dabei um fiktive Charaktere handelte. Aber wahrscheinlich war das in der Manga- und Animeszene einfach mittlerweile so normal, dass sich ein echter Otaku darüber keine Gedanken mehr machte. Die Ältere sah wieder zu Megumi und beobachtete, wie diese das Bild etwas größer machte und eingängig studierte. So verstrich die Zeit, in der Mirâ einfach nur schwieg und zusah, was die Jüngere da trieb. Erst als die Station durchgesagt wurde, an der sie aussteigen mussten, packte die Brünette das Handy seufzend weg, um kurz darauf mit ihrer Senpai den Zug zu verlassen und Richtung Schule zu gehen. "Darf ich fragen, was du da genau geschaut hast?", fragte Mirâ nach, während sie die Treppen aus der Station hinaufstiegen. "Ich habe mir die Proportionen angeschaut. Gerade bei Drachenkugel S mit den vielen Muskeln muss man aufpassen, dass da nichts verrutscht. Aber Miyuki hat darin mittlerweile echt Übung. Trotzdem fragt sie mich immer noch ab und zu, ob alles okay ist. Ich werde ihr nachher in der Pause antworten, was ich so verbessern würde", erklärte Megumi lächelnd, "Manchmal sieht eine neutrale Person Fehler schneller, als man selbst. Deshalb schicken wir uns gerne gegenseitig Skizzen..." "Echt cool, dass ihr euch da gegenseitig helft", lächelte nun auch die Violetthaarige. Ihre Freundin nickte: "Das finde ich auch. Ich bin froh in dieser Community zu sein." Fröhlich lief die Jüngere neben ihr her, während Mirâ froh war wieder etwas mehr über Megumi und deren Welt erfahren zu haben. Tief in ihrem Inneren spürte sie das angenehm warme Leuchten, dass ihr verriet der Jüngeren wieder etwas näher gekommen zu sein. Kaum hatten die beiden Mädchen das Schultor durchschritten wurde Megumi auch schon mehr oder weniger beiseitegezogen, als sich ihre beste Freundin Matsurika an ihren Arm klammerte. Fröhlich grüßte die Schwarzhaarige Mirâ, bevor sie Megumi mit sich zog. Winkend verabschiedeten sich diese von ihrer Senpai, welche den beiden Zweitklässlern nur lächelnd nachblickte. "Sie scheint es ja doch ganz gut wegzustecken", hörte sie plötzlich ein Murmeln neben sich, welches sie ihrem Kumpel Hiroshi zuordnete. Ein kurzer Seitenblick bestätigte ihre Vermutung, weshalb sie die Arme vor der Brust verschränkte: "Ich hab schon von eurem Gespräch gestern gehört." Es klang tadelnder, als es sein sollte, weshalb ihr Kumpel leicht zusammenzuckte. Allerdings sprach sie weiter, bevor er etwas erwidern konnte: "Ich hab sie gestern Morgen allerdings versucht davon abzuhalten gerade jetzt damit zu dir zu gehen. Immerhin bist du wegen der Sache letztens nicht sonderlich gut drauf." Überrascht darüber, wie rücksichtsvoll Mirâ versuchte mit der Situation umzugehen, sah der Blonde sie an: "Ähm ja... danke. Leider hat sie nicht auf dich gehört..." "Nein", seufzte die Violetthaarige, "Sie war sauer auf mich und hat mir vorgeworfen, dass ich ihr das nur sage, weil ich in dich verliebt wäre..." Es folgte kurzes Schweigen, welches durch Hiroshis Lachen unterbrochen wurde: "So ein Unsinn." "Sie hat mir gar nicht zugehört... jedenfalls bis sie den Korb von dir bekommen hat", murmelte Mirâ mit einem Seitenblick zu dem größeren jungen Mann. "Tut mir Leid für die Umstände", grinste dieser und klopfte ihr leicht auf die Schulter, bevor er an ihr vorbeischritt, "Lass uns besser reingehen, bevor wir zu spät kommen." "Ah", kurz beobachtete die Schülerin den Rücken des Blonden. Sein Lachen und auch sein Grinsen eben wirkten ehrlich, trotzdem hatte Mirâ ein ungutes Gefühl. Auch die Tatsache, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammengezogen hatte, als ihr Kumpel meinte, dass Matsurikas Vermutung Unsinn wäre, machte sie unruhig. Es war immerhin die Wahrheit gewesen. Warum also machte ihr dieses Gespräch gerade so mächtige Sorgen? Fragend drehte sich Hiroshi zu ihr um: "Alles in Ordnung?" Sofort schrak sie auf und nickte dann, während sie dem jungen Mann folgte und die düsteren Gedanken erst einmal beiseiteschob. Am späten Nachmittag, als die Sonne bereits wieder am Untergehen war, lief Mirâ den Fluss entlang zur nächstgelegenen U-Bahnstation, welche sich unterhalb des Shinzaro Tempels befand. Als sich Mirâ auf den Heimweg machen wollte, bekam sie eine Nachricht ihrer Mutter mit Dingen, die sie unbedingt noch besorgen musste, bevor sie nachhause kam. Dass es die gewünschten Utensilien allerdings aktuell nur in der zentralen Einkaufsstraße in ganz bestimmten Läden gab, hatte Haruka dabei vollkommen ignoriert. So war sie direkt von der Schule aus ins Stadtzentrum gefahren und war die Geschäfte abgegangen, um die gesuchten Dinge für ihre Mutter zu besorgen. Zum Schluss landete sie am Ende der langen Straße und von dort aus war die Station am Tempel die, die am nächsten war. Nach nur wenigen Minuten erreichte sie die Treppe, welche nach oben zum Heim von Masaru führte und kurz überlegte sie sogar, ob sie mal vorbeischauen sollte. Letzten Endes entschied sie sich aber dagegen und wollte weiter zur U-Bahn, als sie mit der Schulter gegen jemanden rempelte, welcher die Treppen hinunterkam. Überrascht blickte die Violetthaarige auf Satoshi, welcher, gekleidet in die pompöse Uniform der Diamond Academy, vor ihr stand und sie genauso erschrocken ansah. "Hallo Satoshi-kun, was machst du denn hier?", grüßte die Ältere, nicht darauf eingehend, dass ein Mittelschüler nach der Schule eigentlich gleich nachhause gehen sollte. "Ha-hallo Mirâ-senpai", grüßte der Jüngere sie zurück, "Ähm... ich habe ein paar Glücksbringer gekauft..." Lächelnd legte die Oberschülerin den Kopf schief, als ihr wieder bewusstwurde, dass Satoshi ein Problem mit seiner außergewöhnlichen Fähigkeit hatte. Obwohl sie selbst diese Fähigkeit sehr hilfreich fand, empfand der Jüngere sie als Last. Jedoch lag das ihrer Meinung nach an seiner introvertierten Art, die es ihm schwer machte auf fremde Menschen zuzugehen. Immerhin musste man diese Leute dann auch darauf ansprechen, um sie zu warnen. Andererseits konnte sie sich auch vorstellen, dass er Angst vor der Reaktion dieser Menschen hatte. Zum einen gab es wohl kaum jemanden, der einem Fremden einfach so glaubte, dass er in Gefahr sein könnte. Zum anderen würden ihn einige daraufhin wohl für verrückt erklären oder die Polizei rufen. Und passierte dann doch etwas, dann würde es wohl so enden, dass sie ihn dafür verantwortlich machten. Das immerhin schien ihm schon vorher häufig suggeriert worden zu sein. Kein Wunder also, dass er es als Fluch ansah. Aber wenn sie daran dachte wie vielen Leuten, inklusive ihr, er mit dieser Fähigkeit in den letzten Monaten das Leben gerettet hatte, dann konnte sie ja eigentlich nicht schlecht sein. „Senpai?“, holte Satoshis Stimme sie wieder in die Realität, „Alles in Ordnung?“ Die Ältere schüttelte den Kopf: „Alles gut. Ich war kurz in Gedanken. Ist wieder etwas passiert, dass du neue Glücksbringer brauchst?“ Der Brünette schaute auf die drei kleinen Päckchen in seiner Hand und schüttelte den Kopf: „Das nicht. Aber Chisato-chan hat es mir empfohlen.“ „Du kennst Chisato-chan?“, fragte Mirâ etwas irritiert, woraufhin ihr Gegenüber nickte und erklärte, dass er die genannte junge Frau häufiger um Rat fragte. Immerhin kannte sie sich mit Spiritismus gut aus und machte hier ihre Ausbildung zur Miko. Er hatte gehofft, dass sie ihn von dieser Fähigkeit, diesem Fluch, befreien konnte. Leise seufzte Mirâ und lächelte etwas betroffen, immerhin konnte sie sich nicht vorstellen, dass es so einfach war diese Gabe loszuwerden. Aber sie verstand sehr gut, wie er sich fühlen musste. Schnelle Schritte ließen die beiden Schüler aus ihrem Gespräch schrecken und die Treppe nach oben blicken. Dort erkannten sie ein kleines Mädchen mit dunkelbraunen, kinnlangen Haaren, mit Pagenschnitt, die die einzelnen Stufen regelrecht herunterstampfte und dabei vor sich hin fluchte. „Dummer Onii-chan“, erreichte dabei mehrfach Mirâs Ohr. Ab und an kickte die Brünette kleine Steine von der Treppe, welche dann herunterkullerten. Doch während sie so fluchte und dabei kickte rutschte sie plötzlich mit dem anderen Fuß weg und stolperte dabei die letzten vier Stufen herunter. Noch ehe Mirâ reagieren konnte hatte sich bereits Satoshi reflexartig nach vorne bewegt und damit die Kleine aufgefangen. Überrascht sah diese ihn mit großen blauen Augen an, während er kurz erstarrte und dann erschrocken zurückwich. Irritiert legte die Grundschülerin den Kopf schief, doch schien dann wieder an ihre guten Manieren zu denken und verbeugte sich. „Vielen Dank“, sagte sie und wandte sich dann zum Gehen ab, ohne weiter von dem Verhalten des Älteren Kenntnis zu nehmen. Fragend sah Mirâ ihr nach, während sie überlegte, wo sie das kleine Mädchen schon einmal gesehen hatte. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor. Auch Satoshi sah ihr nach, jedoch mit einem sehr besorgten Bick. Das was er da eben gesehen hatte, war überhaupt nicht gut und bereitete ihm mächtige Bauchschmerzen. Sollte er die Violetthaarige darüber informieren? Im Augenwinkel erkannte er eine Person, die sich an den beiden Schülern vorbeischlängelte und dabei mit ihrem schwarzen Pulli auf den ersten Blick ziemlich unauffällig wirkte. Satoshi jedoch war der Blick, den sie versuchte unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze zu verbergen, nicht unbemerkt geblieben. „Nanu? Shingetsu?“, hörte Mirâ eine ihr bekannte Stimme, die sie dazu veranlasste hinauf zum Tempel zu blicken. Dabei erkannte sie Dai, welcher die Treppe heruntergelaufen kam und dabei ziemlich gehetzt wirkte. Sofort wollte sie eine Begrüßung erwidern, doch stoppte, als etwas ihren Ärmel griff. Erschrocken drehte sie sich zu Satoshi, der sie mit käsebleichem Gesicht ansah. „Wir müssen ihr nach, Senpai! Sonst ist sie in Gefahr!“, sagte er mit ernster Miene, woraufhin die Violetthaarige sofort reagierte. Schnell rief sie dem älteren Schüler auf der Treppe zu, dass sie noch etwas erledigen musste, bevor sie sich in Bewegung setzte und dem kleinen braunhaarigen Mädchen folgte. Kurz darauf hörte sie auch schon einen lauten Schrei. Obwohl ihre Lunge brannte legte sie noch einen Zahn zu und schlitterte regelrecht um die nächste Ecke, wo sie sah, wie ein fremder Mann an dem Arm der Grundschülerin zerrte, während diese versuchte sich zu befreien. „Hey! Lassen Sie das Mädchen los!“, stürmte sie auf die beiden zu. Zwar zuckte der Mann erschrocken zurück, doch ließ die Brünette nicht los: „Was willst du? Das ist meine Tochter! Los komm jetzt. Wir müssen nach Hause.“ „Nein!“, schrie die Grundschülerin ängstlich, „Du bist nicht mein Papa! Lass mich!“ Ohne weiter darüber nachzudenken, griff die Oberschülerin das Handgelenk des Mannes und versuchte ihn so dazu zu zwingen das Kind loszulassen. Doch dieser ließ nicht nach. Stattdessen griff er mit der freien Hand den Kragen der Violetthaarigen. „Hör mir zu, du Göre. Misch dich hier nicht ein“, drohte er ihr, doch stoppte plötzlich, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Darf ich fragen, was Sie da mit meiner kleinen Schwester vorhatten?“, fragte eine verärgerte männliche Stimme. „Hu!?“, wandte sich der Übeltäter dem jungen Mann hinter sich zu. Dabei spürte Mirâ, wie sein Griff lockerer wurde, woraufhin sie ihre Chance ergriff und sich und die Grundschülerin daraus zu befreien. Schnell zog sie die Kleine von ihm weg, was ihn erschrocken wieder in ihre Richtung schauen ließ. In diesem Moment griff der Oberschüler hinter ihm seinen Kragen und schleuderte ihn zu Boden. „Dai, ich habe die Polizei gerufen!“, stürzte nun Masaru heran, sein Smartphone noch immer in der Hand haltend. „Danke dir“, bedankte sich Dai, der den Übeltäter am Boden festnagelte. „Senpai?“, überrascht sah Mirâ zu den beiden älteren Schülern, während sie versuchte das kleine Mädchen in ihren Armen zu trösten. „Onii-chan“, wollte diese nun zu Dai. „Bleib bei Mirâ!“, schimpfte dieser jedoch plötzlich und ließ das kleine Mädchen zusammenzucken, „Minami, du dumme Kuh! Du kannst doch nicht einfach abhauen! Siehst du, was dann passiert!?“ Erschrocken zuckte Minami nun zusammen, klammerte sich dann wieder an die violetthaarige Oberschülerin und begann bitterlich zu weinen: „Es tut mir leid… es tut mir so leid…“ Seufzend stemmte Masaru die Arme an die Hüfte, während er von der kleinen Schwester seines besten Kumpels zu genau diesem sah: „War das jetzt nötig, Dai?“ „Ach halt den Mund!“, schimpfte der Brünette mit gesenktem Blick, der sein Gewicht auf seinem Gefangenen noch einmal verlagern musste, damit dieser sich nicht befreien konnte, „Man! Wo bleibt denn die Polizei?“ Noch während sich der Oberschüler darüber beschwerte, wie lange die Beamten brauchten hörte die Gruppe bereits Sirenen, die auf sie zukamen. Kurz darauf erschien auch schon die Polizei und übernahm an Dais Stelle, welcher beiseite ging und kurz darauf bereits Minami an seinem Bein klammern hatte. Doch anstatt sie zu trösten sah er nur wütend auf den Mann, welcher nun von den Beamten abgeführt und ins Auto gesperrt wurde. Kurz darauf befragten die Polizisten die Anwesenden noch kurz was genau geschehen war, sowie nach ihren Personalien, um gegebenenfalls für Rückfragen erreichbar zu sein, bevor sie mit dem Straftäter davonfuhren. Erst dann verließ Dai die ganze Anspannung, weshalb er in die Hocke ging. Erschrocken klammerte sich seine kleine Schwester daraufhin an ihn, woraufhin er sie endlich in den Arm nahm. „Meine Güte. Du kannst einem echt Ärger machen, du Dummchen“, mahnte er sie an sich drückend, „Ein Glück ist dir nichts passiert.“ Weinend entschuldigte sich die Grundschülerin immer wieder bei ihm, während er ihr über den Rücken strich und versuchte sie so zu beruhigen. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen beobachtete Masaru seinen besten Kumpel und dessen kleine Schwester, bevor er sich an Mirâ wandte. „Mirâ, danke, dass du so geistesgegenwärtig reagiert hast“, bedankte er sich an Stelle seines Freundes. Die Violetthaarige jedoch schüttelte nur den Kopf: „Nicht mir war aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Sondern Satoshi-kun hier.“ Lächelnd packte sie den Jüngeren am Ellenbogen und zog ihn näher zu sich: „Ihm war der Mann aufgefallen, der Minami-chan gefolgt ist. Er hat mich nur gewarnt.“ Überrascht sah Dai zu dem Jüngeren, dem die Situation sichtbar unangenehm war: „Stimmt das?“ Erschrocken sah Angesprochener zu dem Brünetten, nickte dann verlegen und schrak zurück, als Dai sich im Hocken vor ihm verbeugte. „Vielen Dank! Du hast meiner kleinen Schwester das Leben gerettet. Ich weiß gar nicht, wie ich dir dafür danken kann“, bedankte sich der Oberschüler höflich. „Ähm nein… es ist schon… in Ordnung…“, murmelte Satoshi, der nicht genau wusste mit der Situation umzugehen. Eine halbe Stunde später saßen Mirâ und der Mittelschüler auf den Stufen, die hinauf zum Tempel führten. Masaru, sowie Dai und seine kleine Schwester hatten sich mittlerweile von ihnen verabschiedet. Der Brünette war der Meinung, dass Minami unbedingt nachhause musste, während Masaru die beiden begleiten wollte. Nun waren die Oberschülerin und Satoshi also wieder alleine und schwiegen sich an, während jeder seinen Gedanken nachhing. „Mirâ-Senpai…“, begann Satoshi plötzlich und ließ Mirâ zu ihm schauen, „Es war das erste Mal, dass eine fremde Person, außer dir, sich direkt bei mir dafür bedankt hat, dass ich geholfen habe. Dabei habe ich ja gar nichts gemacht. Eigentlich war es mir nur aufgefallen, weil ich es gesehen habe, als mich die Kleine berührt hat. Und da habe ich noch gezögert es dir zu sagen. Aber jetzt… bin ich froh, dass ich dir gesagt habe, was los ist.“ „Es ist dir zu verdanken, dass Minami-chan nichts ernstes passiert ist“, lächelte die Oberschülerin, „Ehrlich gesagt konnte ich mir schon denken, dass du etwas gesehen hast, als du mich so erschrocken angesehen hast.“ „Aber gegenüber deinen Mitschülern hast du das nicht erwähnt. Wieso?“, hakte der Mittelschüler nach. Das Lächeln der Älteren wurde breiter: „Na es ist doch einfacher zu sagen, dass du ein ungutes Gefühl hattest, als ihnen zu sagen, dass du es gesehen hast. Oder? Vielleicht wäre das auch eine Option für dich zu lernen mit deiner Fähigkeit umzugehen und auch auf andere zuzugehen, wenn du etwas bemerkt. Kann es sein, dass du früher die Menschen direkt auf ihr Unglück angesprochen hast?“ Überrascht sah Satoshi sie an und nickte dann, woraufhin Mirâ weitersprach: „Das habe ich mir gedacht. Und deshalb dachten alle um dich herum, dass du dafür verantwortlich bist. Hab ich Recht? Wenn du jedoch überlegst, wie du den Menschen helfen kannst, ohne, dass sie merken, dass du es gesehen hast, dann werden sie dir für deine Hilfe dankbar sein. Und dann ist deine Gabe kein Fluch mehr, sondern ein Segen.“ Mit großen goldgelben Augen sah ihr Gegenüber sie an, bevor er auf seine Schuhe blickte und sich ihre Worte offensichtlich durch den Kopf gehen ließ. So kehrte für einige Minuten Stille ein, in der Mirâ den Jüngeren erst etwas beobachtete und dann gen Himmel sah, um den vorbeiziehenden Wolken zuzusehen. Erst als sich Satoshi plötzlich erhob, sah sie wieder zu ihm. „Danke dir, Senpai. Ich kann zwar noch nicht mit Überzeugung sagen, dass ich mit dieser Fähigkeit klarkomme, doch ich denke, dass ich lernen kann damit umzugehen. Es wäre schön, wenn… du mir dabei helfen würdest“, sprach er ruhig, aber auch etwas verunsichert. Lächelnd erhob sich Mirâ und klopfte ihm leicht auf die Schulter: „Ich habe dir doch schon einmal gesagt, dass ich dir helfen würde. Oder? Also verlass dich ruhig auf mich.“ „Danke“, schenkte ihr der junge Mann ein ehrliches Lächeln, welches durch das warme Glühen in ihrer Brust verstärkt wurde. Am späten Abend eilte Mirâ die Straßen des Wohnviertels entlang, in dem sie wohnte. An diesem Tag war es mir ihrer Schicht ziemlich spät geworden, weshalb sie eigentlich längst zu Hause sein müsste. Ihre Mutter würde sicher wütend sein, dass sie so spät heimkam. Doch zu ihrer Verteidigung musste sie sagen, dass es verdammt voll gewesen war und sie bis zum Feierabend mächtig knuffen musste, um alles abzuarbeiten. Zwar hatte Shuichi ihr angeboten sie zu begleiten, um sich persönlich bei ihrer Mutter zu entschuldigen, jedoch hatte die Oberschülerin das abgelehnt. So nett die Geste gemeint war, irgendwie wäre es ihr dann doch unangenehm gewesen. Sie würde sich schon selbst verteidigen können. Etwas in ihrem Augenwinkel ließ sie plötzlich stoppen und quer über die Straße schauen, wo ein Streifenwagen mit eingeschaltetem roten Rundumlicht stand. Im immer wieder aufleuchtenden Rotlicht erkannte die junge Frau mehrere Personen, die sich zu Streiten schienen. Kurz darauf wurde ein junger Mann mit strubbeligem Haar von den zwei Beamten zum Wagen geführt. Doch bevor er einstieg sah er durch Zufall genau in Mirâs Richtung, weshalb sich ihre Blicke kurz trafen. Etwas erschrocken wich die junge Frau zurück, doch ehe sie das richtig registriert hatte, war der Strubbelkopf bereits eingestiegen. Überrascht und etwas ratlos sah Mirâ dem wegfahrenden Streifenwagen hinterher. „Hey! Was gibt es hier zu glotzen?“, rief eine erboste männliche Stimme, woraufhin die Oberschülerin zusammenzuckte, sich schnell vor den zwei übrigen gebliebenen Personen verbeugte und dann weiterrannte. „Uwah, hab ich mich erschreckt“, ging ihr durch den Kopf, während sie fluchtartig nachhause lief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)