Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 129: CXXIX – Unbehagen ------------------------------ Montag, 05.Oktober 2015 Zitternd zuckte Mirâ zusammen, als sie die U-Bahnstation in Jûgôya-kû verließ und ihr dabei ein eisiger Wind um die Beine wehte. Schnell steckte sie ihre Hände in die Jackentaschen ihrer Uniform, um diese vor der Kälte zu schützen. Dafür, dass es am Vortag recht angenehm war, merkte man den Temperaturen an diesem Morgen umso deutlicher an, dass sich allmählich der Herbst einstellte. Der Wetterbericht versprach zwar, dass es im Laufe des Tages wieder etwas milder werden würde, doch aktuell konnte sich Mirâ das nicht wirklich vorstellen. Sie richtete ihren Blick gen Himmel, welcher von grauen Wolken durchzogen war. Vorbei waren nun wohl die sonnigen Tage. Stattdessen würde es von nun an immer kälter werden. Der Gedanke ließ die Oberschülerin gleich noch einmal mehr frösteln, bevor sie sich mit einem Seufzen in Bewegung setzte, um endlich in das warme Schulgebäude zu gelangen. Sie ließ ihren Blick über die Masse von Schülern schweifen, welche alle den gleichen Weg hatten wie sie. Dabei fiel ihr ein Mädchen auf, dessen Uniform mit seinen Grautönen sich deutlich von der der Jûgôya High School abhob. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während sie ihre Schritte etwas beschleunigte, um so schnell wie möglich zu der Schülerin aufzuschließen. Bei dieser angekommen, legte sie ihr mit einer fröhlichen Begrüßung die Hand auf die Schulte, musste danach allerdings sofort wieder einen Schritt zurück machen, da sie sonst von einer Hand getroffen worden wäre. Überrascht sah sie daraufhin Shio an, welche sie mit einem ähnlichen Blick bedachte und dann schnell die Hand herunternahm. Mit so einer heftigen Reaktion hatte Mirâ gar nicht gerechnet, jedoch wollte sie ihrer Freundin auch nicht unterstellen, dass sie das mit Absicht gemacht hatte. „Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe“, entschuldigte sie sich deshalb bei der Schwarzhaarigen mit dem blonden Pony. Diese schüttelte rasch den Kopf und drückte ihre Hand an die Brust: „Nein, mir tut es leid. Ich war etwas in Gedanken. Sorry. I hope… ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan.“ Die Violetthaarige schüttelte den Kopf und lächelte: „Nein, alles in Ordnung. Obwohl mich deine Reaktion schon überrascht hat. Was ist denn los? Ist etwas passiert?“ „Hm… ich weiß es nicht genau“, antwortete Mioshirô und senkte den Blick, „Erinnerst du dich noch an den Tag, als ich den beiden Mädchen aus dem Tennisclub die Meinung gesagt habe?“ Ein Nicken als Antwort reichte, damit die junge Frau weitersprach: „Weil unser Trainer letzte Woche auf einer Schulung war, fiel der Club aus und heute ist wieder der erste Tag. Ehrlich gesagt mache ich mir Gedanken, ob diese Aktion Unruhe ins Team bringen könnte.“ Schweigend hörte Mirâ zu, während ihre Freundin erklärte, dass sie prinzipiell immer dafür ist, anderen die Meinung zu sagen, wenn einem etwas nicht passt. Jedoch wusste sie auch, wie wichtig der Zusammenhalt in einem Club oder Team war und das Streitereien da fehl am Platz waren. „In den USA wäre es wahrscheinlich nicht mal ein wirkliches Problem. Aber ich weiß, dass es vielen Japanern schwerfällt, mit der Meinung anderer umzugehen. Beziehungsweise mit der Situation von anderen die Meinung gesagt zu bekommen“, erzählte die Schwarzhaarige weiter, „Ich mache mir Gedanken, ob mein unbesonnenes Verhalten vielleicht zu Problemen führen könnte.“ Mit großen Augen sah die Violetthaarige ihre Freundin an und wunderte sich schon beinahe darüber, dass sie sich darüber Gedanken machte. Immerhin wirkte sie immer so, als würde sie so etwas nicht stören. Dass sie diese Sache doch so belastete, überraschte Mirâ dann doch ganz schön. Andererseits verstand sie auch, was Shio damit meinte und welche Ängste sie begleiteten. Ihr würde es dabei nicht anders gehen. „Hm, schwierige Situation“, meinte sie deshalb nur und setzte sich wieder in Bewegung, was ihr die Schwarzhaarige nachtat, „Aber ich glaube, dass du dir darüber keine Gedanken machen musst. Wie du bereits sagtest müssen wir Japaner lernen mit solchen Situationen umzugehen. Und je früher wir damit anfangen, umso besser. Ich bin mir sicher, dass die beiden Weiber das nicht auf sich beruhen lassen, allerdings hast du ihnen nur die Wahrheit gesagt. Entweder sie nehmen es so hin oder ändern etwas. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich bin mir sicher, dass euer Trainer das genauso sieht. Also mach dir darüber nicht zu viele Gedanken. Es wird schon alles gut gehen.“ „Meinst du?“, hakte Shio noch einmal nach, woraufhin sie erneute in Nicken als Antwort bekam. Noch einmal ließ sie sich die Worte ihrer Freundin durch den Kopf gehen und lächelte dann: „Ja, ich denke du hast recht. Thanks, Mirâ. Jetzt geht es mir besser.“ Mehr als ein Lächeln brachte die Violetthaarige nicht über die Lippen, während sie spürte, wie sich eine angenehme Wärme in ihr breit machte. Mit einer Verbeugung verließ Mirâ in der Mittagspause das Lehrerzimmer. Sie hatte sich eigentlich auf eine gemütliche Runde mit ihren Freundinnen gefreut, was ihr von ihrem Geschichtslehrer aber mächtig vermiest wurde. Durch Zufall hatte er herausgefunden, dass sie in dieser Woche Klassendienst hatte und sie sogleich dazu verdonnert die extra ausgeteilten Bücher wieder einzusammeln und zurück zum Lehrerzimmer zu bringen. Nun war bereits die Hälfte ihrer Pause rum und sie hatte noch nichts gegessen. Lautstark meldete sich just in diesem Moment ihr Magen und wies sie damit auf ihren Hunger hin, der bereits seit Beginn der Geschichtsstunde eingesetzt hatte. Jetzt musste sie sich also beeilen und noch schnell etwas aus ihrem Bento essen, um nicht mit ganz leerem Magen dazustehen. Seufzend betrat sie die Treppe des hinteren Treppenhauses der Schule, während ein erneutes Grummeln ertönte und sie sich deshalb den Bauch reiben musste. Sie hatte eigentlich selten so einen Hunger, da sie immer ausgiebig frühstückte. Aber ausgerechnet heute hatte sie nur zwei Toastscheiben mit Marmelade gegessen. Ihre Mutter hatte sehr früh das Haus verlassen und um etwas ordentliches zuzubereiten fehlte der Oberschülerin die Zeit. Deshalb hatte sie sich und ihrer kleinen Schwester nur Toast aufgetischt. Das hatte sie nun davon. Wieder knurrte ihr Magen, während sie die Treppe weiter hinaufstieg und dabei peinlich berührt zu Boden sah. Hoffentlich hörte es niemand. Plötzlich tauchten ein paar schuleigene Hausschuhe vor ihr auf, die teilweise von einer schwarzen Hose bedeckt waren und auch nicht beiseite gingen, als sie sich ihnen näherte. Überrascht hob Mirâ daraufhin wieder den Blick und erkannte dann einen jungen Mann mit dunkelbraunen Haaren, der ein Stückchen größer war als sie. Bei ihm waren zwei weitere Jungs, die etwas versetzt zu dem Braunhaarigen auf der Treppe standen. Mirâ kannte die drei. Sie gehörten zu den Leuten, die Ryu ständig schikanierten. Und sie waren es auch, die Ryu während der Vorbereitungen zum Schulfest angegriffen hatten und wegen denen die Violetthaarige mit Mrs. Masa das Gespräch suchte. Und nun standen sie mit verschränkten Armen vor ihr. „Würdet ihr bitte beiseite gehen?“, fragte die Ältere ruhig, ahnte jedoch, dass es nicht so einfach werden würde, an diesen dreien vorbei zu kommen. „Wieso sollten wir?“, kam die erwartete Gegenfrage von dem Brünetten. „Ihr steht mir im Weg“, meinte Mirâ nur und machte dann einen Schritt zurück, um dann um die Jungs herumzugehen. Als sie diesen Versuch jedoch startete, wurde sie plötzlich am Handgelenk gepackt und kurz darauf gegen die Wand gedrückt, an welcher die Treppe entlangführte. Erschrocken riss die junge Frau die Augen auf und schaute ihr Gegenüber geschockt an. Sie versuchte sich loszureißen, doch schaffte es nicht sich zu befreien. Auch wenn der Brünette ein Jahr jünger war als sie, so hatte er als Junge weit mehr Kraft, als sie. Trotzdem gab sie nicht auf und zog an ihren Armen, welche jedoch immer wieder gegen die Wand gedrückt wurden. „Lass mich los!“, schimpfte sie, „Was soll das hier eigentlich?“ Plötzlich kam ihr das Gesicht des Jungen ziemlich nahe: „Pass mal auf, du Miststück. Nur weil du Älter bist, heißt das nicht, dass wir uns von dir alles gefallen lassen müssen. Wag es nicht, dich ständig in die Sache mit Arabai einzumischen. Von einer wie dir lassen wir uns unser Opfer nicht einfach wegnehmen. Und wenn du nochmal zu einem Lehrer rennst und petzt kannst du was erleben. Verstanden?“ „Wollt ihr mir etwa drohen?“, bekam Mirâ nur mit einem hämischen Lachen heraus und wurde daraufhin noch etwas fester gegen die Wand gedrückt, „Au!“ „Wenn du willst können wir auch ernst machen“, drohte der Jüngere mit einem Blick, der die Violetthaarige nun doch ängstlich zusammenzucken ließ. Dieser Gesichtsausdruck machte ihr Angst. Für einen Oberschüler wirkte er plötzlich viel zu bedrohlich. Was waren das nur für Menschen mit denen Ryu dort verkehrte? Und wieso konnten sie ihn und seine Freunde nicht einfach in Ruhe lassen? Irgendwas stimmte doch nicht mit denen. Doch eigentlich war das in diesem Moment vollkommen egal. Sie wollte nur noch weg. Also zerrte sie noch einmal an ihren Armen, doch egal was sie versuchte, es klappte nicht. Ängstlich kniff sie die Augen zusammen und hoffte, dass es bald vorbei war, als sie plötzlich spürte, wie der Druck an ihren Handgelenken nachließ. Überrascht sah sie wieder auf und erkannte dann einen breiten Rücken vor sich, auf dessen Schultern dunkelblonde Haare ruhten. Sie blinzelte kurz, um dann den kleinen Zopf am Hinterkopf des jungen Mannes vor sich zu bemerken. „Hiroshi-kun“, kam sie nur überrascht heraus. „Mirâ-senpai!“, ließ sie die Stimme von Ryu aufschrecken und zur Seite schauten, wo genannter Junge gerade die Treppe herunterkam. Vollkommen perplex sah die junge Frau zuerst zu dem Jüngeren und dann wieder nach vorne auf Hiroshi, der schützend vor ihr stand. „Ihr habt echt nerven. Habt ihr noch nicht genug abbekommen?“, fragte er und ließ dabei seine Fingerknochen knacken, „Fasst sie noch einmal an und ich verspreche euch, dass ihr nicht nur mit ein paar blauen Flecken davonkommen werdet.“ Etwas eingeschüchtert machten die drei Jungs einige Schritte zurück. Selbst Mirâ zuckte leicht zusammen. So wütend hatte sie den Blonden noch nie erlebt. Sicher, auch in Ryus Dungeon war er sauer geworden, doch das hier war gar kein Vergleich dazu. In diesem Moment würde sie ihm sogar abnehmen, dass er seine Drohung in die Tat umsetzte. „Ich hab mit euch langsam ernsthaft die Schnauze voll. Anscheinend muss ich doch mal andere Seiten aufziehen“, drohte er weiter. „Ha… was willst du schon machen? Auch zu den Lehrern gehen, wie sie? Die machen eh nichts, solange ihr keine handfesten Beweise habt. Und wir haben gute Freunde, die für uns Aussagen. Kein Lehrer wird euch glauben“, kam es nur Lachend zurück, „Oder willst du uns verprügeln? Dann zeige ich dich wegen Körperverletzung an!“ „Das kannst gerne machen. Wenn du dann noch in der Lage dazu bist“, knackten erneut Hiroshis Fingerknochen. Erneut zuckten die drei zusammen, schluckten dann einmal und entschieden sich dann doch erst einmal für den Rückzug: „Kche… belassen wir es erst einmal dabei. Aber haltet euch gefälligst aus unseren Angelegenheiten raus.“ Sie wandten sich ab und gingen die Treppe wieder hinauf, allerdings nicht, ohne Ryu noch einmal hart mit der Schulter anzuecken, sodass er mit einem Poltern auf den Stufen landete. Mirâ und Hiroshi unterdessen sahen den drei Erstklässlern nach, während der Blonde sich murmelnd über sie echauffierte. Die Violetthaarige jedoch spürte langsam, wie die Anspannung sie verließ. Plötzlich gaben ihre Beine nach und sie sackte zu Boden. „Mirâ/-senpai“, waren Ryu und Hiroshi sofort zur Stelle. „Schon gut. Mir war nur etwas schwindelig, weil die Anspannung nachgelassen hat“, versuchte sie ihre beiden Kumpels zu beruhigen. Dabei zitterte allerdings ihre Stimme, weshalb sie sich sicher war, dass es nichts gebracht hat. „Du solltest besser ins Krankenzimmer. Ich trag dich hin“, meinte Hiroshi darauf jedoch nur und wollte sich erheben, um sich umzudrehen. Jedoch kam er nicht weit, denn kaum hatte er dazu angesetzt aufzustehen, griff Mirâ plötzlich nach seinem Hemd und zwang ihn so wieder auf die Knie zu gehen. Erschrocken und zugleich überrascht merkte er daraufhin, wie die junge Frau ihr Gesicht an seiner Brust versteckte. Mit zitternden Händen krallte sie sich an seinen Sachen fest und hielt ihn so davon ab aufzustehen. „Entschuldige… kannst du… kurz so bleiben?“, fragte die junge Frau mit leiser zitternder Stimme, „D-Danke für deine Hilfe… Hiroshi-kun.“ „S-Sicher. Und kein Problem. Nimm… nimm dir Zeit“, verlegen und mit knallrotem Kopf blickte der Blonde aus dem Fenster, um so seine Verunsicherung irgendwie zu überspielen. Ein leises Schluchzen ließ ihn jedoch wieder zu seiner Teamkameradin sehen, deren Schulter plötzlich bebten. Etwas überfordert mit der Situation war das Einzige, was Hiroshi in diesem Moment tun konnte, ihr sanft die Hand auf den Kopf zu legen und ihr die Zeit zu geben, die sie brauchte, um sich wieder zu beruhigen. Ryu beobachtete die beiden älteren Schüler, während sich Schuldgefühle in ihm breit machten. Hätte er nicht zufällig mitbekommen, wie seine Klassenkameraden sich über Mirâ unterhalten haben und wäre er deshalb nicht zu Hiroshi gegangen, um diesem Bescheid zu geben, wer weiß was mit Mirâ geschehen wäre. Er traute den Jungs zu, dass sie auch bei einem Mädchen nicht vor Gewalt zurückschrecken würden, nur um ihren Willen durchzusetzen. Diese Vorstellung war unheimlich, aber leider grausame Realität. Beschämt senkte er den Blick und formte seine Hände zu Fäusten. Er ärgerte sich über sich selber. Er trug die Schuld dafür, dass Mirâ in diese Sache mit hineingezogen wurde. Hätte er damals nur abgelehnt mit ihr ins Lehrerzimmer zu gehen, dann würden die Typen sie nun in Ruhe lassen. Doch am meisten ärgerte ihn seine eigene Unfähigkeit. Wäre er doch in der echten Welt nur genauso stark wie in der Spiegelwelt. Dann könnte er es ihnen allen heimzahlen. Von seinen eigenen Gedanken erschrocken schüttelte er jedoch schnell den Kopf. Nein. Genau diese Schwäche hatte sein Shadow ausnutzen wollen, um ihn zu töten. Er durfte nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückkehren, sondern musste selber etwas ändern… Noch einmal sah er wieder zu Hiroshi und Mirâ, die immer noch auf dem Boden hockten. Ja, er musste was ändern und zwar dringend. Am späten Nachmittag, als es bereits begann zu dämmern, betrat Mirâ die Eingangshalle, um ihre Schuhe zu wechseln. Ihr Kopf schmerzte. Nach der Aktion zur Mittagszeit hatte sie den Großteil der Zeit im Krankenzimmer verbracht, in welches Hiroshi sie getragen hatte. Die Schulärztin wirkte etwas verwirrt, als die beiden das Zimmer betreten hatten, weshalb sie ihr erklärt hatten, dass Mirâ einen leichten Schwächeanfall hatte und sich deshalb ausruhen musste. Zwar wirkte die ältere Frau etwas skeptisch, jedoch ließ sie die Schülerin gewähren und teilte ihr ein Bett zu. Danach verließen Mirâ ihre Erinnerungen. Wahrscheinlich war sie daraufhin sofort eingeschlafen. Sie erinnerte sich noch ab und an mal wach gewesen zu sein, jedoch nur sehr kurz. Erst als die Schulärztin sie zu Unterrichtsende geweckt hatte und sie bat endlich zu gehen, war sie mehr oder weniger richtig aufgewacht. Nun wollte sie nur noch nach Hause. Dort musste sie dann wahrscheinlich auch erstmal die ganzen Nachrichten beantwortet, mit denen Akane sie bombardiert hatte. Sie öffnete ihr Fach und nahm ihre Straßenschuhe heraus, während sie ihre Hausschuhe zurückstellte. Müde schlüpfte sie in ihre schwarzen Slipper und wandte sich dem Ausgang zu, als sie neben sich eine Bewegung merkte. Schnell drehte sie sich um und erkannte daraufhin Shirota, welcher sich augenscheinlich an ihr vorbeischleichen wollte. Erschrocken blieb er plötzlich stocksteif stehen, während die Violetthaarige nur leicht irritiert wirkte. „Was soll das werden?“, fragte sie deshalb nur. „Naja…“, versuchte der Jüngere eine Ausrede zu finden. Doch die Ältere seufzte nur: „Schon gut. Lass mich raten, du wolltest mir aus dem Weg gehen. Oder?“ Das Zusammenzucken des Schwarzhaarigen war Antwort genug, weshalb die junge Frau nur erneut seufzte: „War ja klar… aber wo du schon einmal da bist: Wir müssen kurz reden. Über Kuraiko.“ Wieder zuckte ihr Gegenüber zusammen, doch schien sich dieses Mal geschlagen zu geben, als er die Schultern sinken ließ und den Blick auf seine Schuhe richtete. Einige Minuten später saßen beide Oberschüler auf einer Bank, während langsam die Straßenbeleuchtung um sie herum eingeschaltet wurde und die Umgebung in sanftes Licht tauchte. „Also… Wie du weißt, hat Kuraiko mir erzählt, was zwischen euch vorgefallen ist. Und ganz ehrlich? Ich versteh es nicht wirklich. Wieso hast du plötzlich so rabiat den Kontakt zu ihr abgebrochen?“, fiel die Ältere direkt mit der Tür ins Haus, woraufhin sie bemerkte, wie sich Shirota neben ihr regelrecht anspannte, „Ich kann sie da auch vollkommen verstehen, dass sie so wütend auf dich ist. Also?“ Schweigen breitete sich aus, während Mirâ den jungen Mann beobachtete, der offensichtlich überlegte was er erzählen sollte. Anscheinend war auch für ihn dieses Thema ein rotes Tuch. Doch das war Mirâ in diesem Moment egal. Auch die Tatsache, dass Kuraiko deshalb wohl mächtig sauer auf sie werden würde, nahm sie in Kauf, nur um die Wahrheit zu erfahren. Noch eine ganze Weile hüllte sich Shirota in Schweigen, bevor er plötzlich aufgab und sehr langezogen seufzte. Er lehnte sich nach vorn, stützte seine Arme auf den Knien ab und faltete die Hände ineinander, während er seine Schuhe beobachtete. „Es ist nicht so, dass ich den Kontakt von mir aus abgebrochen habe. Viel mehr…“, begann er und machte eine kurze Pause, „Zu der Zeit hatte mich mein Vater zu sich genommen. Jahrelang war ich ihm egal gewesen, jedenfalls dachte ich das immer. Meine Mutter starb bei meiner Geburt, danach bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen. Meinen Vater habe ich nur einige Tage im Jahr gesehen. Wahrscheinlich auch nur, damit ich überhaupt wusste, dass er existiert. In der Mittelschule hat er dann gemeint mich doch zu sich zu nehmen und irgendwie hat mich das auch glücklich gemacht. Ich dachte nämlich endlich, dass ich ihm etwas wert bin. Doch dann schrieb er mir vor, dass ich den Kontakt zu Kuraiko, meiner besten Freundin, abbrechen sollte. Es war ein Schock für mich und eigentlich wollte ich ihm widersprechen, aber aus Erfahrung wusste ich, dass es nichts brachte sich ihm zu widersetzen. Außerdem hatte mein Vater mich zum ersten Mal beachtet. Ich hatte Angst, dass er mich wieder zurückschickt. So sehr wie ich meine Großeltern liebe, sie können meine richtigen Eltern nicht ersetzen. So dachte ich damals jedenfalls. Also habe ich ihm gehorcht und damit Kuraiko tief verletzt. Mittlerweile weiß ich, dass es ein großer Fehler war. Ich wollte die Chance nutzen und mich bei ihr entschuldigen, als ich auf die Jûgôya gewechselt bin. Aber kaum habe ich sie gesehen verließ mich der Mut. Dann hast du mir ins Gewissen geredet und ich habe wieder Mut gefasst. Aber wie du selber weißt mit mäßigem Erfolg.“ Schweigend hörte Mirâ zu und konnte nicht so wirklich fassen, was sie gerade vernommen hatte. Wie konnte Shirotas Vater nur so gemein sein? Erst kümmerte er sich nicht um seinen Sohn und dann befahl er ihm auch noch solche schrecklichen Dinge. Andererseits konnte sie Shirota nun etwas besser verstehen und spürte dabei wieder dieses warme Leuchten in ihrer Brust. Der Schwarzhaarige erhob sich: „Jetzt weißt du wieso ich das getan habe. Das, was ich gemacht habe, ist unverzeihlich und deshalb verstehe ich, dass Kuraiko mich nun hasst. Ich danke dir zwar dafür, dass du dich für mich einsetzt, aber ich möchte nicht, dass du wegen mir deine Freundschaft zu ihr aufs Spiel setzt. Wenn du so weiter machst wird sie wahrscheinlich richtig wütend. Also dann…“ Er wandte sich ab und wollte gehen, als die Violetthaarige ihn noch einmal zurückhielt und ihm ans Herz legte, dass er trotzdem nicht aufgeben solle. Immerhin glaubte sie fest daran, dass sich Kuraiko freuen würde, wenn sie sich wenigstens einmal mit ihm aussprechen konnte. Shirota hatte dafür jedoch nur ein betrübtes Lächeln übrig, bevor er endgültig ging und die Ältere alleine zurückließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)