Liebe, nennen wir es Liebe von Kemet (Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 1: Liebe, nennen wir es Liebe ------------------------------------- Langsam wende ich meinen Kopf zur Seite, blicke auf dem Fenster hinaus und auf den verlassenen Schulhof. Meine Arme dienen mir als Kissen, doch entgegen dem, was die Lehrer denken, schlafe ich nicht, wenngleich ich dennoch träume. Langsam richte ich mich auf, stemme den Ellenbogen auf die glatte Fläche des Tisches und blicke zu der Tafel an welcher mein Mathelehrer gerade etwas erklärt. Ich sehe mich um, doch sind die meisten Schüler in ihre Arbeit vertieft, oder versuchen das Gesagte umzusetzen. Ich starte nicht einmal den Versuch es ihnen gleich zu tun. Ich würde scheitern. Mein Blick flackert weiter und bleibt auf einer der vorderen Reihen hängen. Dort, wo ich einige gebeugte, konzentriert arbeitende Rücken sehe, aber auch einen Platz, welcher leer ist - Welcher es schon seit Tagen ist. Ein unhörbares Seufzen verlässt meine Lippen, ehe ich mich wieder in die Ursprungshaltung zurück begebe und meinen Blick wieder nach draußen wende. Genau das ist der springende Punkt. Dieser leere Platz ist daran schuld, dass mich der Lehrstoff noch weniger, als sonst schon, interessiert. Die Zerstreuung, welche ich sonst habe, ist nicht da. Niemand, der meine Pausen mit einem dummen Spruch oder einer hohlen Beleidigung füllt. Niemand, der mir mit seiner reinen Präsenz den Atem nimmt. Der Platz ist leer und so ist es auch mein Kopf. Dabei ist er es schon seit Längerem. Abermals seufze ich, ehe ich mich wieder aufrichte und nach vorn blicke, wo der Lehrer soeben mit seinen krakeligen Aufzeichnungen fertig geworden ist. Für mich ist es Nichts. Es sind Striche, welche mit einigen Zahlen versetzt sind und die ein Kindergartenkind mit mehr Hingabe gemalt hätte. Auch wenn es erst die fünfte Stunde ist, sehe ich keinen Sinn mehr in meiner Anwesenheit. Es würde nur in einen ähnlich langweiligen Tag enden, wie es das in der letzten Zeit öfters tut. Ich handele also, erhebe mich und nehme meine Tasche auf, aus welcher ich nicht einmal das Schreibzeug ausgepackt hatte. Es wäre sinnfrei gewesen. Ohne ein weiteres Wort, wende ich mich vom Tisch ab, murmele eine Entschuldigung und gehe aus den Raum hinaus. Niemand folgt mir, schon gar nicht der Lehrer, welcher aufgrund dieser Handlung wohl noch immer stieren Blickes die Tür betrachten dürfte. Oder dessen Spalt, denn ich hatte sie bei meiner 'Flucht' offen stehen lassen. Eigentlich eine Handlung, die niederen Respekt ausdrückte, aber mein von wirbelnden Gedanken angegriffenes Nervenkostüm ließ nichts Anderes in diesem Augenblick zu. Langsam führen mich meine Schritte durch die leeren Gänge, vorbei an anderen, geschlossenen Türen, bis hin zu der Vorhalle, in welcher sich unsere Spinde befinden. Ich brauche meinen nicht zu suchen. Dieser liegt ironischer Weise genau neben seinem. Ich bräuchte nur... Meine Hand streckt sich ohne mein Zutun aus. Auch wenn es eigentlich idiotisch ist und das kühle Metall, aus welchem die Türen der Spinde sind, unpersönlich ist, so hoffe ich doch etwas von ihm dadurch zu erhaschen. Vielleicht seiner Gestalt näher zu sein, ihn nicht nur in meinen Gedanken zu hören, vielleicht ihn zu spüren. Ich schließe meine Augen und meine Hand zuckt nach hinten. Es ist dumm zu denken, dass sich dadurch wieder etwas zum Alten wenden würde. Die gesamten Tage habe ich nachgedacht, mich gesehnt und meinen Gedanken nachgehangen. Ja, ich vermisse seine Stimme. Ich vermisse, dass er mich nieder macht, mich einen Köter nennt und beleidigt. Ich vermisse das feurige, warme Gefühl in mir, wann immer er auf mich losgeht. Ich will es wieder haben! Ich will IHN wieder haben, doch er ist einfach nicht da. Langsam stoße ich die Luft aus meinen Lungen, erhebe meine andere Hand und schiebe den Schlüssel in den dafür vorgesehenen Schlitz an meinen eigenen Spind. Ich entnehme meine Schuhe, tausche jene aus, die ich trage und verschließe den Schrank wieder. Nach all diesen Hin und Her in meinem Kopf, bin ich letztlich nur zu einen Ergebnis gekommen. Dass sich etwas ändern muss. Dass ICH etwas ändern muss. Wie, das weiß ich noch nicht und was genau, das steht auch noch in den Sternen. Ich bin Joey Wheeler, siebzehn Jahre jung und Schüler an der Dominohigh in der namensgleichen Stadt, in welcher ich auch wohne. Ich mag vielleicht kein heller Kopf sein, aber denke ich auch, dass ich noch genügend Zeit habe meinen Weg zu finden und zu beschreiten. Egal was die Lehrer sagen; Egal, was Andere von mir denken mögen, ich bin es, der darüber entscheiden will. Niemand sonst. Ich wende mich von der Reihe an leblosen Spinden ab, gehe langsam den leeren Gang entlang zu der Außentür des Schulgebäudes und stoße sie auf. Abermals frage ich mich nach dem Warum. Warum ist sein Platz die ganzen, letzten Tage leer geblieben? Niemand weiß es, oder hat etwas gehört. Auch weiß ich nicht, wo ich mich noch erkundigen soll, denn im Sekretariat war ich schon. Mit welchem Vorwand? Das kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen, nur dass ich letztlich für diesen Tag suspendiert worden bin, weil ich wohl ausfallend geworden sein soll. Ein Kuriosum. Wäre es nicht auch das, was Kaiba selbst dazu sagen würde? Ein Köter, der sich einen Verweis für den Tag einfängt, nur weil er einem Schüler aufgrund eben jenem Kaibas an das Leder gegangen ist? Noch beim Verlassen des Schulgebäudes schüttele ich angesichts dieses Gedankens den Kopf. Meine Freunde haben mich ausgelacht. Meinetwegen. Duke hat nur umso breiter gegrinst, während ich ihn nur angestarrte. Auch gut. Doch Tristan hat einen Spruch gebracht, welcher in seiner Art vielleicht nicht einmal ernst gemeint war und den ich dennoch so aufgefasst habe. "Na, vermisst Du Dein Herrchen, Joey?" Mein Herrchen... Wenn er wüsste, dass ich in diesem Moment ihn innerlich die Pest an den Hintern gewünscht habe. Aber er wusste es nicht und tut es auch bis jetzt nicht. Zwar bekomme ich ab und zu noch einen weit harmloseren Spruch gedrückt, beziehen diese sich aber mehr auf mein momentanes Verhalten. Fern ab von jeglicher Realität, immer auf meinem Pult liegend und die Augen verträumt auf den eigentlich trostlosen Außenbereich der Schule gelenkt. Dass sich das letztlich alles nun so entwickelt hat, will ich gar nicht. Irgendwann hat es ein angefangen ein eigenes Leben zu führen, ohne dass ich noch etwas hätte einwenden können. 'Einspruch, Euer Ehren!' funktioniert hier leider nicht. Keiner kann gegen diese Entwicklung noch Einspruch erheben. Nicht einmal ich. Ich merke gar nicht, wie ich mich immer weiter von dem Schulgelände entferne, welches ich vor wenigen Minuten erst verlassen habe. Ich habe kein großartiges Ziel vor Augen. Nach Hause treibt es mich nicht, auch nicht zu den Orten, an welchen ich sonst bin. Auch zur Arbeit muss ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Es ist es einer der Tage, an welchen ich keinerlei Pflichten mehr habe. Mit der Freizeit kommt die Langeweile. Ich könnte mich nach der Schule mit meinen Freunden treffen, doch würden diese mich mit Fragen nur so bestürmen. Warum ich gegangen bin, warum ich ihnen nicht sage, was genau mit mir los ist. Sie würden es nicht verstehen. Ich, Joey Wheeler, der Seto Kaiba, seinen ärgsten Feind vermisst. Welch ein Fauxpas. Nach einiger Zeit, nachdem ich wahllos durch die Straßen geschlendert bin, bleibe ich stehen und blicke mich um. Es kommt mir fast vor, als wäre die Zeit, die ich mit bloßem Laufen verbracht habe, gar nicht vergangen, so surreal kommt mir die Szenerie nun vor. Ich hatte kein Ziel vor Augen, als ich losging und nun stehe ich hier, blicke vor mir auf die glänzende Fassade eines der höchsten Häuser Dominos und ignoriere das geschäftige Treiben um mich herum. Geschäftsmänner und -Frauen, in teuren Anzügen, ein Handy am Ohr haltend, eilen an mir vorbei, doch für mich ist es irrelevant. Ich stehe nicht weit weg von dem Haupteingang der Kaiba Corporation, dem Gebäude, in welchen ich den Jenigen vermute, dem ich meine endlosen Gedankenspiralen zu verdanken habe. Meine Augen suchen die Stockwerke ab, aber außer einer glänzenden, die Sonne reflektierenden Fassade, erkenne ich nichts. Wie auch... Mir hätte klar sein müssen, dass ein Seto Kaiba, mit seinem Cyberpunkähnlichen Mantel und seiner korrekten Geschäftsmannart niemals zuließe, dass das Fußvolk in seine heiligen Hallen gucken könnte. Ich schalle mich bei diesen Gedanken einen Idioten. Dieses Gebäude, so haben wir selbst einmal in Wirtschaft gelernt, wurde zu einer Zeit gebaut, in der Kaiba noch nicht so war, wie er es nun vorgab zu sein. So denke ich zumindest. Ich traue keinem vierzehnjährigen zu, dass er selbst auf den Gedanken kommen könnte, sich ein Mahnmal zu errichten, welches vor fremden Blicken schützt. Ich gehe fast davon aus, dass es das reine Aussehen war, welches Kaiba damals antrieb und... Ich reiße mich selbst aus den Gedanken, indem ich mir auf die Unterlippe beiße und eine Hand erhebe, um die Sonne von meinen Augen fern zu halten. Meine Füße haben mich nicht ohne Grund hier von allein hergetragen. Diesen Grund sollte ich nun nachgehen, auch wenn ich fest davon ausgehe, dass ich in spätestens zehn Minuten meinen Stolz verfluchend, wieder auf der Straße sitzen werde. Langsam setze ich mich in Bewegung, überwinde die letzten Meter zu dem hochragenden Eingang und zwänge mich, noch in meiner einfachen Schuluniform bekleidet, durch die Massen von flanierenden Geschäftsleuten, welche mir entgegen strömen. Sie achten nicht auf mich, wenngleich ich mich wie ein bunter Papagei in einer Zuchttaubenfarm fühle. Vollkommen fehl am Platz. Ich blicke mich um, erhebe komplett überfordert eine Hand und streiche mir damit das Haar zurück, auch wenn dieser Versuch zwecklos ist ein Bisschen vermeintliche Ordnung in den Strohhaufen zu bekommen. Veranlagung, nennt man das. Ich strecke mich und fixiere wilden Blickes einen Tresen mit den Augen, während ich meinen Arm wieder sinken lasse und mich langsam in die Richtung drehe. Es ist wirklich erstaunlich. Alle Mitarbeiter von Kaiba, welche wohl im öffentlichen Dienst tätig sind, scheinen einer Kleidungsverordnung zu unterliegen. Denselben kurzen Haarschnitt, blasse Haut und ein nichts sagendes Gesicht. Passt zu ihm. Ich verziehe unmerklich das Gesicht, setze mich langsam wieder in Bewegung und trabe auf den polierten Tresen zu, hinter welcher einer von diesen - nennen wir sie Androidenpüppchen - sitzt und stumm etwas auf einer Tastatur eingibt. Sobald meine Fingerspitzen das blanke Glas berühren, blickt sie auf und ein monotones, nichts sagendes Lächeln verzerrt ihre Lippen zu einem Sinnbild der Leblosigkeit. "Wie kann ich Ihnen helfen? Haben Sie einen Termin?" Ich lege den Kopf schief, straffe mich aber innerlich, weil ich mir denken kann, was nun kommen wird. Dennoch, wenn ich schon hier bin... "Ich... Äh..." Gelungener Anfang, Joey!, schallte ich mich selbst und versuche nun mein Gesicht mit einer arroganten Geschäftsmaske zu belegen, was vollends nach hinten los geht. Hätte ich nun einen Spiegel, wäre ich wahrscheinlich in einen Lachanfall ausgebrochen oder hätte mich, angesichts dieser Peinlichkeit, lieber gleich erhängt. "Nun?", fragt die distanzierte Stimme des Androidenpüppchens und lächelt mir ein weiteres Mal entgegen. Ich stoße die Luft aus meinen Lunge und setzte nun meinerseits ein gewinnendes Wheelerlächeln auf, welches nicht den geringsten Eindruck zu machen scheint. "Ich habe ... keinen Termin, aber ich kenne Seto Kaiba und ich würde ihn gern sprechen, wenn das möglich ist und..." Ich breche ab, als ich sehe, wie eine feingeschwungene, vollkommen akkurate Augenbraue nach oben gezogen wird. Ist das hier ein Einstellkriterium möglichst arrogant und weltfremd zu erscheinen? "Dann kann ich Ihnen nicht weiter helfen. Seto Kaiba ist ein sehr gefragter Geschäftsmann und nicht einfach so zu sprechen." Ihre Stimme gleicht einer leblosen Tiefkühltruhe, während sich nunmehr ihr Blick verändert hat und mit noch einem Quäntchen mehr Arroganz auf meiner Wenigkeit liegt. "Wissen Sie, ich bin ein Schulkamerad und die Lehrer schicken mich, weil er in den letzten Tagen nicht in eben dieser anwesend war und..." Sie unterbricht mich, indem sie sich wieder ihrer Tastatur zuwendet und etwas auf dieser eingibt. "Wie ist Ihr Name?", fragt sie mich wenig später und ich richte mich aus einer lümmelnden Position wieder auf, welche angenommen hatte, solange mir ihr Schweigen zu Teil wurde. "Joey Wheeler.", stotterte ich hervor und merke, wie sich langsam ein heißer Knoten in meinen leeren Magen formt. "Ein gewisser Joey Wheeler ist hier nicht in meiner Schülerdatenbank verzeichnet." Ich straffe mich erneut, während ich mich fast über den gläsernen Tresen lehne. "Und Joseph Wheeler?", frage ich nach. "Negativ." Ich seufze leise und lege den Kopf grübelnd schief, während sie mich abwartend anblickt. Es hätte mir klar sein sollen, dass jemand wie Kaiba nicht meinen richtigen Namen nutzt, sondern eine Beleidigung. Eine, die seine Abneigung ausdrücken soll. "Versuchen Sie es mit 'Drittklassiger Duellant' oder 'Köter', 'Flohschleuder' oder 'Töle'.", weise ich sie an, die zumeist genutzten Bezeichnungen von Kaiba nutzend. Sie tippt einige Momente, ehe sie ihren leeren Blick wieder auf mich richtet. Das Lächeln war nunmehr verschwunden. "Negativ.", bringt sie mir wenig schonend bei und ich halte inne. Ich beuge mich immer weiter über den Tresen und greife nach vorn, um den Monitor von ihr zu mir zu ziehen. "Das kann doch gar nicht sein, dass..." Sie zeigt sich unbeeindruckt, zieht die feinen Augenbrauen zusammen und greift nach vorn, um meine Finger von ihrem Monitor zu lösen. Mit einem Ruck, den ich ihr kräftetechnisch gar nicht zugetraut hätte, dreht sie das Gerät wieder zu sich und wirft mir einen kalten Blick aus starren Augen zu. "Sie sollten nun gehen. Ansonsten sehe ich mich gezwungen den Sicherheitsdienst zu alarmieren und Sie entfernen zu lassen." Ich spüre wie sich langsam eine Wut in mir breit macht. Nicht nur, dass Kaiba mich immer von oben herab behandelt, nun scheint er auch noch seine Angestellten in eben diesen Verhalten zu trainieren. "Ich will mit Seto Kaiba sprechen und ich werde nicht eher gehen, bis ich -" Meine Rede wird harsch unterbrochen, als ich eine schwere Hand auf der Schulter spüre, die mich wenig liebevoll nach hinten zieht, sodass ich mit Schwung einige Schritte zurück stolpere und meine eigenen Beine sich verheddern. "Was zum..." Die Pranke weicht nicht von mir. Entgegen meiner Hoffnung, greift sie sogar noch fester zu, was den Effekt hat, dass ich mitten im Fall aufgehalten werde. "Mr. Wheeler.", dröhnt eine mir bekannte Stimme an mein Ohr, ehe ich wieder in die Aufrechte gebracht werde und mich nun freiwillig zu dem Sprecher umdrehe. "Kann ich Ihnen helfen?" Ich stutze. Das Gesicht kommt mir seltsam bekannt vor, doch in meiner Hektik, erkenne ich es nicht sofort, bis es mir dann siedend heiß einfällt. Meine Augen weiten sich, während ich auf den Hünen vor mir starre und gleich daraufhin ein leises, junges Kichern hinter diesem vernehme. Mein Blick sinkt nach unten, starrt auf die wuscheligen schwarzen Haare, welche das kindliche Gesicht von jemanden einrahmen, der mich breit grinsend betrachtet. "Mokuba!", presse ich hervor und der Junge schiebt sich langsam hinter der imposanten Gestalt von Roland hervor, welcher meinen Fall soeben noch gestoppt hatte. "Hey, Joey", grinst er und blickt dann mit einem Lächeln zu der Dame am Empfang. "Das ist schon in Ordnung so. Mein Bruder hat wahrscheinlich vergessen ihn einzutragen." Das Androidenpüppchen zieht eine Augenbraue hoch, nickt dann aber. Sofort, als wäre ich niemals da gewesen, wendet sie sich wieder ihren Computer zu und beachtet mich nicht mehr. Wieder fällt mein Blick auf Mokuba, in dessen Gesicht sich noch immer ein breites, undefinierbares Grinsen befindet. "Danke, Mann, ich..." "Also, was willst Du hier?" Ich zuckte bei der kindlichen und dennoch irgendwie geschäftsmäßigen Stimme zusammen und erhebe einen Arm, als mich ein eiskalter Schauer erfasst und meinen Rücken herab rinnt. Ich lege die Hand in meinen eigenen Nacken und lache unsicher. Es ist mein eigener Versuch mit dieser Situation klar zu kommen und zu verstehen, was hier geschieht. "Ich - Dein Bruder war die letzten Tage nicht in der Schule und ich -" Ich stottere dermaßen, dass ich das Gefühl habe, mich vollends zum Affen zu machen. "Du wolltest sehen, was er so treibt und ihn mitteilen, was ihr für Hausaufgaben habt?", vervollständigt Mokuba meinen Satz. Mein Lachen verebbt sofort, als ich die Worte des kleinen Jungen vernehme, welcher mich noch immer durchdringend mustert. Nein. Ich sehe, dass er weiß, dass dies mit Sicherheit nicht der wahre Grund ist, warum ich hier bin. Seine Augen warnen mich aber davor nun das Falsche zu sagen, da wir noch immer so nahe an dem Tresen mit der Computerfrau stehen und sie uns mit Sicherheit hören kann. Also schlucke ich trocken und dann nicke ich unsicher. "Ja, so ist es.", presse ich hervor und um Mokubas Lippen spielt sich ein breites Lächeln. Der seltsam erwachsene Ausdruck weicht sofort aus dessen Augen und nach wenigen Augenblicken habe ich wieder einen kleinen, kaum dreizehnjährigen Jungen vor mir stehen, der mich mit seinem Grinsen wie einen alten Freund begrüßt. "Warum sagst Du das denn nicht gleich!", gluckst er und blickt dann zu Roland auf, welcher die Szenerie mit Argwohn betrachtet. Ich zucke unsicher mit den Schultern, während ich dem Geschehen weiter folge. "Wir bringen Joey doch in Setos Büro, nicht wahr? Sodass er dort warten kann, bis er vom Meeting wieder da, oder, Roland?" Täusche ich mich, oder kann dieser kleinen Bengel auch seinen Blick ändern, wie es ihm gerade beliebt? Erst ein kleines Abbild von Kaiba selbst, dann wieder den Jungen, den ich kenne und dann wieder zu einen Ebenbild des großen Bruders? Ich stoße die Luft aus meinen Lungen und sehe dabei zu, wie Roland, welcher wie ein zu groß geratener Fels wirkt, langsam nickt. "Ja, sicher.", presst er hervor und ich spüre, wie sich meine Lippen zu einem fast typischen Wheelergrinsen verziehen. Wieder ist da dieser feurige, warme Knoten in meinen Magen, nur dass er beginnt sich langsam zu drehen. Ich kann das Gefühl nicht zuordnen, doch es ist im ungefähren dasselbe, was ich habe, wenn ich gerade dabei bin mich mit Seto Kaiba zu streiten. Dasselbe Rauschen in meinen Ohren. Dieselbe Anspannung, die meinen Körper erfasst und die gleiche, rasende Vorfreude. Ja, es ist wirklich Freude, die mich durchflutet und meine Laune schlagartig hebt. Ich kann nicht sagen, ob es daran liegt, dass ich durchgelassen werde, oder einfach nur, weil ich hoffe Kaiba zu Gesicht zu bekommen. Vielleicht ist es Beides. Ein leises Räuspern reißt mich aus meiner gedankenschweren Erstarrung und fast zucke ich zusammen, während Roland mich durchdringend betrachtet. "Wenn Sie uns bitte folgen würden, Mr. Wheeler.", erklärt er mir unterkühlt und vollkommen aus der Bahn geworfen bin ich nur noch fähig zu nicken. Wie automatisiert setze ich mich in Bewegung, folge Mokuba und diesen seltsamen Mann durch die Massen von flanierenden Menschen hindurch, weiter zu einem Fahrstuhl, in welchen wir uns reinquetschen und der uns in eine der oberen Etagen bringt. Ich versuche durchzuatmen, doch es funktioniert so nicht. Ich hoffe einfach nur, dass es bald zu Ende sein wird. Ich kann nicht sagen, wie lange wir in diesem Affenkäfig stehen, doch nach schier unendlichen Momenten, leert sich fast schlagartig der Fahrstuhl und endlich bin ich in der Lage mich in dem gläsernen Ungetüm zu drehen. Noch immer werde ich von Roland und Mokuba flankiert, von welchen Zweiterer mich eindringlich betrachtet. Ich zucke beinahe zusammen, während ich trocken schlucke und mich nicht nochmals von dem Grinsen täuschen lasse, welches auf seinen Lippen liegt. Durchtriebener, kleiner Kerl. "Warum bist Du wirklich hier, Joey?" Ich schlucke abermals und will schon eine Hand erheben, als ein durchdringendes -Pling- mich zusammenschrecken lässt. "Ich..." Mokuba aber setzt sich in Bewegung und verlässt das Höllengefährt und lotst mich auf einen Gang hinaus, der wahrlich einer Wüste gleicht. Weicher Teppich auf den Boden und keine Leute, die ihn niedertrampelten. Ich ziehe tief die gefilterte Luft in meine Lungen und schließe mich dem Jungen an, welcher zielgerichtet auf eine der breiten Türen zuhält. "Ist ja auch letztlich egal.", erklärt er im plappernden Ton und ich nicke nur, obwohl er das nicht sehen kann. Dann bleibt er stehen und zeigt auf eine zweiflüglige Tür am Ende des leeren Ganges und schiebt diese kurzerhand auf. "Das ist Setos Büro. Da drinnen kannst Du warten. Wenn Du was zu trinken haben willst, dann gebe der Rezeption unten Bescheid. Durchwahlnummer Null." Ich nicke nur, unfähig etwas darauf zu erwidern. Wieder verschwindet kurzweilig der typische Kaibaausdruck aus Mokubas Gesicht und macht dem kindlichen Platz, welcher einem Jungen in seinem Alter wahrlich besser steht, als dieser... ich - kann - ihn - nicht - beschreiben - Ausdruck. Ich kann nur nicken, trete in den Raum ein und höre, wie sich wenig später die Türen hinter mich schließen. Dann herrscht Stille. Langsam wende ich mich um. Meine Gedanken rasen und schnüren mir die Luft ab. Ich betrachte nur mit halben Auge die teure Einrichtung, den imposanten Schreibtisch und die Ablagen an den Seiten. Auch die Regalwand, aus welcher bergeweise Akten ragen, nehme ich nur am Rande wahr. Vielmehr bin ich mit dem Gefühl beschäftigt, dass ich wahrhaftig hier bin. Dass ich es geschafft habe an der Androidenpuppe und an den Schergen von Kaibas Wachleuten vorbei zu kommen. Dass Mokuba mir geholfen hat. Dass ich wirklich hier bin. Das Büro, wenn man es denn so nennen kann, wird an der Stirnseite von einem riesigen Panoramafenster beherrscht. Ich schlucke und trete langsam näher. Ich kann kaum glauben, als meine Augen sehen, dass aus einem sonnenbeschienenen, helllichten Tag eine Dämmerung geworden ist, die mit diesen Ausblick seinesgleichen sucht. Trotz dem Umstand, dass ich Höhenangst habe, trete ich langsam auf die riesige Scheibe zu und bleibe nur wenige Schritte vor dieser stehen. Meine Augen weiten sich bei dem grandiosen Anblick und ich zucke zusammen, als ich einen Blick nach unten werfe. Die Menschen sehen aus wie Ameisen und die Autos, der gesamte Verkehr scheint eher in eine Puppenstadt, als wirklich hier her zu gehören. Wenn ich mein Gefühl früher am Tage schon als surreal beschrieben habe, dann ist das hier schlichtweg überwältigend. Ich lasse meine Tasche sinken, die ich noch immer bei mir trage. Fast lautlos kommt sie auf dem weichen, hochflorigen Teppich zu meinen Füßen auf. Ich trete noch etwas näher an das Fenster heran und beiße die Zähne fest aufeinander. So schön dieser Anblick auch ist... Soviel Freiheit in diesem auch steckt... Die Höhenangst bleibt. Ich schlucke trocken und will mich abwenden, doch kann ich mich nicht regen. Stattdessen erfasst ein durchdringendes Zittern meinen Körper und meine Beine drohen unter mir nach zu geben. Ich zwinge mich dazu den Blick von dem Fenster weg zu eisen, stolpere nach gefühlten Stunden endlich zurück und komme nicht umhin den Atem aus meinen Lungen zu stoßen. Entkommen! An mehr kann ich in meiner Lage nicht denken. Ich wage noch einen, dieses Mal bedachten Schritt nach hinten, ehe ich von etwas hart aufgehalten werde. Ich schreie leise auf, wirbele herum und starre auf das Objekt, welches mich so erschrocken hat. Vor mir baut sich eine wahrlich imposante, lederbezogene Rückenlehne eines riesigen Bürostuhles auf. Keine wirkliche Gefahr, aber ausreichend, um mein Denken wieder in Gang zu setzen. Ich beginne wieder zu atmen, wenngleich die Frequenz noch eher der eines Extremsportlers gleicht, doch merke ich auch, dass ich langsam aus der Gefahrenzone bewegen kann. Ohne noch groß darüber nach zu denken, packe ich die weiche Lehne, drehe den Stuhl zu mir herum und lasse mich auf diesen fallen. Ich schließe die Augen für einen Moment, um die schöne, wenngleich auch schreckliche Aussicht aus meinem Inneren zu verbannen und presse die Lippen aneinander. Es ist seltsam, doch während ich hier sitze, langsam spüre, wie die Ruhe wieder in mich zurückkehrt und den Geruch von Kaiba wahrnehme, fühle ich mich fast sicher. Trotz, dass ich mich viele Meter über dem Bürgersteig befinde. Es ist die Ruhe, die mich langsam schläfrig werden lässt. Dazu die Gedankenspiralen, welche wieder einsetzen wollen, die ich aber erfolgreich niederringe. Mein Atem wird ruhig und auch, wenn ich den Vorsatz hatte nur kurz das Bild der umherhuschenden Ameisenmenschen aus meinem Inneren zu verdrängen, bleiben meine Augen geschlossen. Vielleicht ist es die Erleichterung, vielleicht auch die Umgebung, in der ich mich befinde, doch ehe ich noch einen klaren Gedanken fassen kann, entfliehe ich in die erholsame Schwärze tiefen Schlafes. Ich weiß nicht wie lange ich dort verbracht habe, doch ist es das Geräusch einer zuschlagenden Tür, welches mich aus der Verbannung heraus reißt und aufschrecken lässt. Sofort ziehe ich die Luft ein und spüre, wie sich meine klammen Finger um die breiten Seitenlehnen des Bürosessels verkrampfen. Mein Blick ist wieder auf das Fenster gerichtet, doch ist nunmehr das dämmrige Bild einem Dunklen gewichen. Nur noch punktuelle Lichter erhellen das ansonsten schwarze Stadtbild. Ich zucke zusammen, als ich Schritte vernehme, welche langsam auf meinen Aufenthaltsort zuhalten. Am liebsten hätte ich mich weiter in dem Stuhl vergraben, doch traue ich mich nicht. Stattdessen halte ich inne, fast unfähig mich zu bewegen. Ich vernehme ein leises Knurren, als eine Hand nach der Lehne des Stuhles greift und diesen ruckartig herumdrehen will. Erstaunt, wohl über das unbekannte Gewicht von diesem, hält die Bewegung plötzlich inne und unklar kann ich eine Gestalt ausmachen, welche neben mich getreten ist. Ich versinke noch weiter in dem weichen Polster, während meine Augen auf die graue Silhouette starren, welche sich vor mir aufgebaut hat. „Was….“ Ich höre das tiefe Knurren und erschaudere. Ich brauche nicht zu fragen, wer das ist. Ich weiß es sofort. Kaiba steht, mir zugewandt, vor seinen eigenen Bürostuhl und starrt auf mich herab. Er wird nicht handgreiflich und ich vernehme auch noch keine trampelnden Schritte irgendwelcher Sicherheitsleute, aber das macht die Szenerie nicht weniger erschreckend. „Was willst Du hier, Wheeler!“, zischt er. Ich zucke angesichts meines Namens zusammen, doch blicke ich auch auf und versuche in der Düsternis seine Augen auszumachen. „Ich…“ Wahrlich, wirklich intelligent, Joey!, schallte ich mich selbst und schlucke. „Was. Willst. Du. Hier!“, wiederholt er seine Frage und ich schließe kurz die Augen. Noch ist alles gut. Noch hat er mich nicht angegriffen und mich nicht rausgeschmissen. Weswegen war ich doch gleich noch mal hier? Ich schlucke abermals und hebe meine Lider wieder. Er ist mehr sehr nahe, was wohl daran liegt, dass ich seinen Bürostuhl besetze. Ich kann ihn riechen. Ein frischer Duft, auch wenn er von irgendetwas Schwererem überlagert wird, was nach teuren Aftershave riecht. “Ich… Mokuba hat…“, setze ich an, halte aber inne, als ich spüre, wie Kaiba sich mir nährt. Der Bürosessel kann mir keinen Schutz mehr geben. Stattdessen spüre ich langsam, wie ich das Polster an seine Belastungsgrenzen gebracht habe. „Was hat Mokuba!“, zischt mir Kaiba entgegen. Noch immer macht er keine Anstallten mich auch nur ansatzweise zu berühren. Ich straffe mich etwas. Mein Herz klopft lautstark in meiner Brust und mein Atem rasselt in meinen Lungen. Dennoch bin ich Joey Wheeler! Und ein Joey Wheeler gibt niemals auf!... Oder? Manchmal weiß ich nicht, ob dieser Vorsatz wirklich so der Wahrheit entspricht. Entgegen meinen Vorstellungen, bringt er mich öfters in Gefahr, als ich mir wünsche. “Mokuba hat Dich reingelassen?“ Ich merke, wie sich etwas von der Lehne losmacht und stattdessen höre ich Schritte, welche dumpf auf dem weichen Teppich klingen. Ich nicke, wenngleich ich weiß, dass es Kaiba nicht sehen kann. „Du warst nicht in der Schule und da dachte ich, dass…“ Ich versuche die Übelkeit in mir zu unterdrücken. Von dem flammenden Knoten, welcher sonst in meinen Bauch herrscht, fühle ich in diesem Moment nicht. Eher ist es ein kalter Stein, welcher sich dort festgesetzt hat und nun auf meine Eingeweide drückt. „Was dachtest Du?! Dass Du hier einfach auftauchen kannst, nur weil ich mich in diesem Idiotenverein eine Woche nicht blicken lasse?“ Es ist nunmehr ein Zischen, welches mir von Kaiba entgegen schlägt. Ich schlucke trocken und richte mich etwas in dem Sessel auf. Ich spüre die Wut in mir aufkochen. „Oh, ja! Der große Mr. Kaiba kann sich natürlich auch rausnehmen den wichtigen Prüfungsstoff zu verpassen!“, erwidere ich. Meine Stimme klingt kraftvoller, als ich mich fühle. „Als würdest Du auch nur ansatzweise etwas von dem verstehen, was diese inkompetenten Vollidioten Euch da versuchen beizubringen!“, erklingt sofort das Zischen, welches sich tiefer in den Raum hineinverlagert hat. „Kaiba, Du arrogantes-“ Ich halte inne, als sich die Schritte wieder nähren. Ohne, dass ich etwas dagegen tun kann, greift eine Hand nach meinem Shirt und zieht mich aus der Tiefe des Stuhles. Sofort fühle ich mich meiner sicheren Umgebung beraubt. „Wheeler, das ist MEIN Büro! Und es ist MEIN Sessel, den Du gerade mit Deinen Flöhen kontaminierst. Entweder Du rückst mit der Sprache raus, anstatt mich mit hohlen Phrasen zu bombardieren, oder ich schmeiße Dich eigenhändig aus dem Gebäude!“ Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, während er mir die Worte in das Gesicht schmettert. Ich erhebe die Hand, doch anstatt damit auszuholen und mich schlagfreudig von ihm zu befreien, lege ich sie auf seine. Ich spüre, wie die sehnigen Muskeln sich sofort noch mehr verspannen, belasse sie dort aber. “Kaiba, weder habe ich Flöhe, noch bin ich dumm. Also spare Dir die Luft.“, presse ich hervor. Sofort öffnen sich die Finger unter den meinen und ich plumpse zurück auf das weiche Polster des Bürostuhles, welcher unter meinem Gewicht behände nachbebt. „Wenn Du keinen triftigen Grund hast, dann verschwinde!“, höre ich Kaiba knurren. Ich kämpfe mich auf den Polster frei und spüre, wie die Wut in mir weiter aufsteigt. Ich bin nicht soweit gekommen um nunmehr umzudrehen. Ich bin Joey Wheeler und ich- Meine Gedanken brechen ab, als ich seine Präsenz abermals nahe bei mir fühle. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, da beugt er sich über mich und blickt mich durchdringend durch die Finsternis an. „Du bist ja immer noch da.“, höre ich seine Stimme leise zischen. So nahe bei mir… Ich ziehe die Luft ein, welche gleichzeitig mit seinem Duft geschwängert ist. Der Eisklumpen in meinem Bauch verflüssigt sich und ich komme nicht umhin mein Gesicht ihm zuzuwenden. „Kaiba, ich werde nicht gehen.“, presse ich hervor und spüre, wie sich die Gestalt mir weiter nährt, wie der Geruch immer näher kommt. Flüchten kann ich nicht und langsam verschwimmen die Gedanken vor meinen Geist. Ich handele nur noch, als ich nach vorn greife und die kurze Distanz überwinde. Meine kalten Finger verhaken sich in dem Lederband seiner Kette und ich ziehe ihn die letzten Zentimeter zu mir. Unsere Gesichter trennt kaum mehr etwas, als sich meine Lippen zu einem Grinsen verformen und ich den Kopf leicht schief lege. „Du bist hier. Das ist Grund genug“, flüstere ich leise und ehe ich etwas dagegen tun kann, habe ich auch die letzten Millimeter hinter mich gebracht und lege meine Lippen auf Seine. Mein Denken hat sich komplett verabschiedet. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich das wirklich tue. Seine Lippen sind warm und es entlockt mir ein überraschtes Keuchen, als ich spüre, wie sie sich gegen meine bewegen. Ich weiß, dass ich weit gegangen bin. Vielleicht zu weit. Aber ich bereue es nicht. Endlich sehe ich meine Gedanken wieder klar. Mein Handeln hat auf einmal wieder einen Grund. Ich spüre, wie der feurige Knoten in meinem Bauch explodiert. Danach fühle ich nur noch. Ihn, seine Lippen, aber auch die Antworten auf meine unbeantworteten Fragen und das Feuerwerk, welches er in meinem Inneren entfacht. Liebe, nennen wir es Liebe. Kapitel 2: Gedanken, nennen wir es Gedanken ------------------------------------------- Frust kennt keinen Namen. Es ist einfach ein Gefühl, welches sich dem Körper bemächtigt und nicht nach einem simplen 'Warum' fragt. Wut, ja Wut... Vielleicht, als Zweig dessen, würde eine schlichte Weiterführung sein, doch ist es genau das, was ich spüre. Tiefe Wut, welche sich in Frust gewandelt hat und das ist es, was länger vorhält. Nur kurz schaue ich auf, sehe die vielen geneigten Häupter, welche über ihren Aufgaben hängen und somit einer vorgegeben Norm folgen. So, wie ich es vor vielen Jahren auch einmal tat und heute auf das Tiefste verabscheue. So, wie ich mich dafür heute hasse es zugelassen zu haben. Nur einer tut es nicht, tat es niemals und wird wohl auch niemals das Pflichtbewusstsein haben es auch nur zu versuchen. Blondes Haar, welches sich fächerförmig auf dem blauen Stoff der Schuluniform ausbreitet, während blasse Haut auf Armen liegt. Von meinem Standort aus kann ich sehen, dass er den Mund leicht geöffnet hat, die geschlossenen Augen, aber auch den schlanken Rücken. Sonnenstrahlen brechen sich auf seinem Haar, doch lenkt dieser Umstand nicht davon ab, wie seltsam dieses Bild in diesem Moment auf mich wirkt. Ich bin versucht zu schnauben, doch widerstehe ich den Drang es auch wirklich zu tun. So wie ich vieles verdränge. Unter anderem auch, dass ich diesen Hund dafür beneide ein Freigeist zu sein. Es nicht verlernt zu haben partout nicht in eine Form passen zu wollen, sondern eben diesen, entgegen aller Widrigkeiten, durchsetzen zu wollen. Und dafür hasse ich ihn. Nicht nur dafür, sondern auch für seine lakonische Unfähigkeit Dinge ernst zu nehmen, nach Plan zu handeln und nur darauf zu hoffen, dass alles sich schon irgendwie zum Guten wenden wird. Ich hasse, aber vor allem beneide ich ihn darum. Schon als ich ihn das erste Mal sah, wusste ich, dass wir in zwei vollkommen unterschiedlichen Welten leben. Er, der Freigeist mit dem Hang zum Surrealismus und ich der Theoretiker, der nur nach Plan handeln und denken kann. Wir sind so unterschiedlich und doch so gleich, gefangen in unserem Trott, ohne dass wir die Möglichkeit haben auch nur ansatzweise auszubrechen. Abermals muss ich mir ein Schnaufen verkneifen, als ich das tiefe Einatmen vor mir vernehme. Noch immer tut er so, als würde er den Schulstoff nicht brauchen, obwohl er es besser wissen sollte und es wahrscheinlich auch tut. Irgendwo in seinem Spatzenhirn sollte sogar ihm das klar sein. Ich hingegen brauche ihn wirklich nicht, beinhaltet der Unterricht doch alles Dinge, die ich schon vor vielen Jahren in mich reinprügeln lassen musste - Auf dass es für immer in meinem Gedächtnis wüten würde. Dass es mir letztlich sogar geholfen hat und nur die Art und Weise falsch war, verdränge ich noch heute aus meinem Bewusstsein. Es ist jener Teil meiner Vergangenheit, der mich noch heute formt und mir den Plan vorgibt, nach welchem ich zu leben habe. Ein aufploppendes Fenster auf dem Laptopbildschirm vor mir, lasst mich meinen brennenden Blick von ihm nehmen. Sofort ziehen sich meine Brauen zusammen und das einzige, was ich noch spüre ist der Kopfschmerz, welcher sofort Einzug hält. Ein Druck, welcher erst in der Schläfe beginnt und sich dann weiter ausbreitet. Auch ein Relikt meiner wirklich gelungenen Erziehung. Ärzte, bei denen ich mich mal blicken ließ, bezeichneten es als Migräne. Andere meinten wiederum, dass es nur Flüssigkeitsmangel sei. Niemand aber wusste, dass dem nicht so ist. Kopfschmerzen, meist einseitig, können auf alles mögliche hindeuten, doch haben sie bei mir einen anderen Grund. Nur einer hatte mit seiner Diagnose richtig gelegen und das war Roland gewesen. Ich erhebe eine Hand und führe sie zu meiner Nasenwurzel, um diese kurz zu massieren, obgleich ich weiß, dass es nicht helfen wird. 'Mr. Kaiba, Sie tun sich zu viel an. Denken Sie nicht zuviel. Dann wird das wieder.' Obgleich seine Worte schon vor einigen Jahren ertönten, höre ich sie noch immer in meinem Kopf widerhallen. Sie sprechen eine Wahrheit, der ich allein aber nicht zu begegnen vermag. Sie klingen wie eine hohle Phrase, sind es aber nicht. Doch kann ich nicht aus meiner Haut. Abermals spüre ich die Schmerzen stärker werden, vom Nacken beginnend, was mich dazu bringt kurz die Augen zu schließen. Unzufrieden dränge ich meine Gedanken beiseite und widme mich endlich dem Fenster, welches mir auf dem Bildschirm hektisch entgegen springt. Nur kurz danach bin ich versucht mich zu erheben und dieses traurige Schauspiel zu verlassen, welches sich Schule nennt. Weg von den Aufgaben, die für mich keine sind, weg von den Lehrern, welche mir Zucker in den Hintern blasen und auch weg von Wheeler, welcher noch immer mit leicht geöffneten Lippen auf seinen Armen schläft. Einen winzigen Augenblick denke ich daran, was passieren würde, wäre ich nicht ich, sondern wie er. Frei, ohne Verpflichtungen, von denen ganze Menschenleben abhingen und auch frei von der Bürde der Verantwortung, die mein Leben bestimmt. Einfach für einen Moment tun, was ich für richtig halte, fern ab der Etikette, die sich mein Leben schimpft. Mir entfährt ein fast unhörbares Schnaufen, doch gereicht es, um den Haufen Mensch eine Reihe vor mir aufschrecken zu lassen. Sein Kopf fährt hoch, hektisch und mit einer raschen Atmung, sieht er sich um, ehe er die Luft ausstößt und seine rot unterlaufenen Augen kurz an meinen Blick hängen bleiben. Nur ein winzigen Augenblick, und doch ist er intensiver, als ich jemals zuvor erfahren habe. Dieser bricht ab, als der Lehrer vorn sich geräuschvoll räuspert und ihn rasch, aber durchdringend ansieht. "Mr. Wheeler. Wenn Sie schon im Matheunterricht nicht aufpassen können, so hoffte ich doch, dass sie zumindest in Wirtschaftslehre besser seien. Und das obwohl Sie nun schon an einer wirklich inspirierenden Quelle sitzen." Kurzzeitig überlege ich mir mich innerlich zu übergeben, als der Lehrer nun auch zu mir blickt und mich anlächelt. Diese elenden Speichellecker... Sofort verdränge ich den Gedanken und widme meine Aufmerksamkeit wieder meinem Laptop, welchen ich energisch schließe, ihn in meinen Aktenkoffer packe und mich letztlich erhebe. "Ein dringender Termin.", murmle ich so scharf ich kann, ehe ich den Henkel greife und mich somit von den Bild befreie, welches mich fortan wohl noch einige Stunden verfolgen wird. Wheeler schnauft leise, als ich seinen Tisch passiere. Ganz im Gegenteil zum Lehrer, welcher mir stoisch zunickt und versucht nicht in seinem breiten, klebrigen Lächeln unter zu gehen. "Aber sicher, Mr. Kaiba. Melden Sie sich bitte doch im Sekretariat ab und dann können Sie-" Ich unterbreche ihn nicht verbal, doch verstummt seine Stimme, als ich die Tür öffne, hindurch schlüpfe und dann geräuschvoll zufallen lasse. Kurz atme ich die abgestandene Luft des Ganges ein, welcher die vielen Stimmen in den Räumen zu einen unbestimmten Murmeln werden lässt. Ich spüre wie der Kopfschmerz stärker wird, doch straffe ich mich nur, ehe ich endlich auf den Ausgang zustrebe, das Quietschen meiner eigenen Sohlen noch als einziges Geräusch zulassend. Es ist eine Woche vergangen, doch hat die mir gereicht. Eine Woche, in welcher ich mehr Präsentationen gehalten habe, als mir lieb ist. Sieben Tage, in welchen ich versucht habe mein Schlafpensum von drei auf dreieinhalb Stunden zu drücken und kläglich daran gescheitert bin. Entsprechend ist auch meine Laune, als ich am Morgen des Tages wieder die Tür zu einem Meeting öffne. Dieses Mal eines der wichtigeren Spezies. "Mr. Kaiba. Der Vorstand erwartet Sie bereits. Wollen Sie einen Kaff-" Ich unterbreche den Mann, wohl der Protokollführer, und blicke ihn durchdringend aus brennenden Augen an. "Schwarz, eine Kanne.", würge ich hervor, ehe ich mich an ihm vorbei schiebe, einen Stapel Unterlagen unter meinem Arm. "Sicherlich, Mr. Kaiba. Ach so! Ihr Bruder hat sich für heute angekündigt und-" Abermals schneide ich ihn scharf das Wort ab, jedoch ohne ihn anzusehen. "Eine Kopfschmerztablette dazu. Danke." Diese Worte spreche ich ruhiger, wende mich aber ab und gehe rasch auf meinen Tisch zu, welcher an der Stirnseite der Anderen steht. Wie in der Schule, nur bin ich hier von Menschen umgeben, die wissen was sie wollen. Und das ist mich abzusägen. Ein jedes Meeting mit diesen Haien gleicht einen verdammten Spießrutenlauf, der einfach kein Ende nehmen will. Noch immer, auch nach Jahren meiner Führung, sehen sie mich als Kind, mit ebensolchen kindlichen Ideen, vergessend, dass diese es sind, welche ihnen die Taschen füllen. Doch ist es leichter für einfache Menschen einen gemeinsamen Feind zu haben, anstatt sich mal über sich selbst Gedanken zu machen. Solange ich aber nicht volljährig bin, habe ich die Auflage mich mit ihnen herumklagen zu müssen. Ich seufze kurz, aber unhörbar, als bei diesem Gedanken meine Kopfschmerzen noch weiter zunehmen. Nicht nur, dass mir der mangelnde Schlaf meine Konzentration raubt, drückt es auch auf meine Laune das ständige Gepoche ignorieren zu müssen. "Mr. Kaiba. Wir sind hier, weil wir mit Ihnen über die neue Marketingstrategie sprechen wollen." Missmutig schließe ich meine Lider, lausche einen stillen Moment lang dem Rauschen in meinen Ohren, ehe ich meine Augen wieder öffne und auf die schlanke, ältere Frau blicke, welche ihre anfänglich ergrauten Haare in einen zotteligen Dutt gezwängt hat. "Dafür ist die Marketingabteilung zuständig. Das ist kein Grund eine Vollversammlung einzuberufen, die mir wertvolle Zeit stiehlt." Sofort versteift sich das adrette Fräulein, während ich mich, inzwischen weit langsamer, auf meinen Stuhl zubewege. Fast schon etwas zu kraftvoll, ob meiner Laune, lege ich den Stapel Papiere und Poster vor mir ab. "Sie sind derjenige, der das Design angeordnet hat. Die Marketingabteilung ist nur das ausführende Organ!", ereifert sie sich, während ich kurz in ihre Richtung sehe und sie versuche nonverbal niederzumähen. "Und all ihre Abteilungen haben ihr 'OK' gegeben, als ich es Ihnen vorgelegt habe." "Das war-" Ich falle ihr ins Wort, indem ich sie mit einer heftigen Bewegung auffordere sich zu setzen und um Gottes Willen endlich den Mund zu halten. Ihre Stimme zerrt einmal mehr an meinen Nerven, ein Umstand, welchen ich so nicht gebrauchen kann. Auch ich lasse mich nieder und beginne mit klammen Fingern die Papiere auseinander zu klauben. Anbei sind Skizzen von mir, oder der Grafikabteilung, welche neue Produkte verständlich erklären und realisieren sollen. Ein Affront in den Augen der schmallippigen Geschäftsleute, mit welchen ich hier zusammen sitze. Der Protokollführer kehrt zurück, räuspert sich kurz, ehe er eine Edelstahlkanne abstellt und eine Tablettenbogen daneben legt. Mit einem Nicken bedanke ich mich und sehe dabei zu, wie er eilends zu seinem Platz verschwindet und sich schreibbereit macht. Ich lasse mir Zeit, während ich dem Rascheln der letzten Abteilungsleiter lausche und warte bis deren Gemurmel endlich verstummt ist. Langsam schütte ich mir etwas Kaffee in eine Tasse, drücke zwei Tabletten aus der Blisterpackung und schlucke sie rasch herunter. Normalerweise bin ich niemand, der offen Schwächen zugibt, aber hier erlaubt es einfach die Zeit nicht den Anstand zu wahren. Dann erhebe ich mich endlich. "Die Sitzung ist eröffnet. Fangen Sie an, Haibara." Ich blicke zu der Frau, welche mich schon zuvor mit ihrer grellen Stimme um den Verstand bringen wollte und gebe ihr somit die Erlaubnis zu Sprechen. Sogleich erhebt sie sich, streicht umständlich den knittrigen Rock über ihren dürren Beinen glatt, ehe sie sich mir zuwendet. "Mr. Kaiba. Bei allem Respekt, können wir uns es nicht leisten die Firma auf diese Art zu präsentieren. Die Matrizen und Entwürfe, die ich gesehen habe, spotten jeglicher Autorität und zeigen auf, dass die KC vieles von ihrem einstmaligen Glanz eingebüßt hat!" Schweigend lasse ich die Tirade über mich ergehen, ehe ich langsam nicke und sie auffordere sich wieder zu setzen. "Sie finden also die Entwürfe sind zu kitschig für eine Firma, die Spielzeug herstellt. Welches Klientel, meinen Sie, sprechen wir denn damit an?" Meine Worte sind deutlich, wenngleich sie auch in meinen Kopf verschwimmen. "Mr. Kaiba! Sie sind doch noch fast selbst ein Kind! Warum sonst sollten Sie sich von bunten Monstern und quietschigen Farben angezogen fühlen?" Mir entkommt ein kurzes, trockenes Lachen, ehe ich abermals zu meiner Kaffeetasse greife. Nach außen hin ruhig, ist es das Getränk, welches meine Nerven etwas beruhigt und mir hilft die nächsten Worte zu finden. "Ich wüsste nicht, dass es ein Kind ist, welches Ihnen Ihr Gehalt zahlt. Zudem..." Ich erhebe mich, stelle die Tasse ab und beuge mich stattdessen vor, wobei ich sie mit meinen Blick fest halte. "...Zudem stellen wir keine Waffen mehr her, sondern Spielzeug! Spielzeug, Spiele und Fantasiegestalten! Das wissen Sie und dafür arbeiten Sie auch. Glauben Sie Kinder damit zu beeindrucken Panzer auf ein Plakat zu zaubern, unter welchem dann in martialischer Schrift steht: Nur für schießwütige Kinder geeignet?" Ich weiß, dass meine Worte ausschweifend sind, doch kann ich mich bei solch einer offen zur Schau getragenen Ignoranz nicht zurück halten. Die Frau lacht leise, aber trocken auf, ehe auch sie sich wieder erhebt. "Sie reden wie ein kindischer Narr! Laut der Marktanalyse sind Spielzeuge im Kommen, die realistischer sind, als irgendwelche bunten Farbkleckse, die Sie als Produktwerbung verkaufen wollen!" Ich schnaube kurz, ehe ich die Luft tief in meine Lungen ziehe, hoffend, dass das Medikament bald wirkt. Anstatt einer Antwort drehe ich mich zu einer weißen Tafel um, an welcher Notizen über den Verlauf hängen. Diese nehme ich ab, lege sie auf den Tisch und suche stattdessen rasch aus meinen Unterlagen ein großformatiges Poster heraus. Eines, das ich habe drucken lassen, welches so aber niemals als Werbung veröffentlicht werden würde. "Farbkleckse sagen Sie.", spreche ich leise dem Papier entgegen, während ich es entfalte und mit den vorhandenen Klammern an dem Brett befestige. Raschelnd öffnet sich eine riesenhafte Zeichnung, welche komplett ohne Farbe auskommt. Es ist eine aus Bleistift, doch macht sie allein durch ihre Ausdrucksstärke Eindruck. Rasch trete ich einen Schritt zur Seite, ehe ich wieder die Frau ins Visier nehme. "Das ist eine der Konzeptzeichnungen eines unbekannten Künstlers, welche sich an unsere Produktpalette anlehnt. Was sehen Sie darauf?" Kurz ist nichts zu hören, ehe sich die Abteilungsleiterin leise räuspert und sich fahrig eine graue Strähne hinter das Ohr streicht. "Menschen... Sp-spielende Menschen. Jugendliche, junge Erwachsene... die spielen." Ich nicke langsam und nehme abermals das Wort auf, ohne sie aus den Augen zu lassen. "Freunde. Es sind Freunde. Es sind Freunde, die unsere Spiele spielen. Es sind Karten mit bunten Motiven, die sich an Kinder richten und ebenso von Erwachsenen gespielt werden. Es sind Menschen, die sich einen Dreck darum scheren, ob sie farbintensive, fröhliche Bilder anlachen oder nicht. Es sind Väter; Es sind Mütter, die von ihren Kindern, die unsere Werbung sehen, dazu animiert werden uns das Geld in die Taschen zu spülen! Es sind Menschen, die Fröhlichkeit und Glück mit bunten, hellen Farben assoziieren und nicht mit Panzern, die über eine ausgestorbene Landschaft rollen! Es sind unsere Kunden und die Werbung ist das Kommunikationsmittel dazu!" Ich schlucke trocken, ehe ich mich nun vollends mit dem Rücken zu ihr drehe und meinerseits das Bild betrachte. Es ist eine einfache Bleistiftzeichnung mit Personen, die zusammen sitzen, lachen, spielen und reden, aufgeteilt in viele kleine Szenen, die wie Traumbilder voneinander getrennt sind. Sie sind Freunde, das weiß ich. Mal sitzen sie im Garten von einem älteren Herren, mal in einem Zimmer. Mal laufen sie einfach nebeneinander her. Was bleibt sind ihre lachenden Mienen und die ausdrucksstarke Freude in ihren Gesichtern. Ich weiß auch woher die Zeichnung stammt. Die vielen Striche, welche ein großes Ganzes ergeben. Auch die Menschen darauf kenne ich. Nur einer vermag nicht richtig in diese Collage und Aufzählung zu passen und doch scheint es dem Künstler wichtig gewesen zu sein, dass dieser dabei ist. In der oberen rechten Ecke des Posters sehe ich ihn. Einen jungen Mann, welcher stumm an einem Tisch sitzt und auf einen Laptop starrt. Es ist die einzige Änderung, die ich gemacht habe, bevor ich das Bild auf das Format drucken ließ. Ich habe das Gesicht unkenntlich gemacht. Mein Gesicht. So als wolle ich nicht mit ihnen zusammen lachen. So als wolle ich nicht zu ihren Freunden gehören. So als wolle ich nicht Mensch sein. Nur meine Frisur und mein eigenes Wissen lassen die Gestalt darauf noch erkennen. Und Mokuba, wie er mit eben diesen Menschen lacht, spielt und spricht. Ich erinnere mich noch genau daran, wie es indirekt in meinen Besitz gelangt ist. Vor nicht einmal einen Jahr als Geschenk an meinen Bruder zum Geburtstag von einem blonden Jungen, der sich nichts anderes leisten konnte als ein Blatt Papier, einen Bleistift, ein riesiges Herz und ebenso viel Talent. Ich habe Mokuba gebeten es mir auszuleihen, genau für diesen Zweck, weil ich immer damit gerechnet habe, dass der Tag kommen würde, an welchem ich es verwenden kann. Ganz klein, ganz weit unten am rechten Rand prangt der fast unsichtbare Beweis; Die Signatur des Künstlers. Ein krakeliges Zeichen, kaum mehr als ein Strich, aber unverkennbar. Ich reiße mich aus meinen Gedanken heraus und kann nur hoffen, dass meine kleine Pause mich nicht hat unsicher wirken lassen. Es wäre das Letzte, was ich nun gebrauchen kann. Ein Beweis, dass ich unsicher bin und damit unfähig ein solches Unternehmen zum Gewinn zu führen. Sofort kann ich spüren, wie sich der Druck in meinen Inneren wieder aufbaut und sich sämtliche Muskeln verhärten. Auch der Schmerz, der meine Gedanken, sowie meine Konzentration durchschneidet, wird wieder heftiger. So heftig, dass ich eine erneute, kurze Pause einlege, ehe ich mich straffe und zu den wartenden Personen umwende, welche noch immer das Bild mit all seinen Feinheiten versuchen zu betrachten. Ich bin froh, dass niemand diesen kleinen Ausreißer - meine Schwäche - bemerkt hat. Dass niemand sie als Vorwand nehmen kann mich erneut zu hinterfragen, zu offen sprechen ihre Mienen zu mir. "Das, meine Damen und Herren, ist unsere Zielgruppe. Diese Menschen, die Freude an unseren Produkten haben, die empfehlen, bewerten und sie benutzen. Nicht wir, sondern sie." Der Rest des Tages verschwimmt vor meinen inneren Auge. Sie haben sich beeinflussen lassen, doch weiß ich nicht bis zu welchem Grad. Habe ich sie von mir überzeugt oder hat die Zeichnung in Plakatgröße es getan? Der Ton, der nach dem Schweigen angeschlagen wurde, war anders. Er war respektvoller, mehr ein Team als nur das blanke Herunterrasseln von Statistiken und Zahlen. Mehr, als nur die Verdammung bunter Farben und doch konnte all dies nicht überspielen, dass sie weiterhin ein Kind in mir sehen. Ein Kind, welches zu eben dieser Klientel gehört, die ich so vehement verteidigt habe. Ein Junge, welchen es weiter zu beobachten gilt. Meine klammen Finger räumen automatisch die vielen Papiere zusammen, die sich im Laufe der stundenlangen Sitzung auf meinen Schreibtisch verteilt haben. Sie fühlen sich taub an, sodass ich am Ende innehalte und sie kurz knete, während ich rasch dem müde wirkenden Protokollführer zunicke, welcher mit seinem Laptop unter den Arm, aus dem Raum schleicht. Ich kann es ihm nachsehen. Auch ich bin müde, aber vor allem ist der Kopfschmerz geblieben. Ein ständiger Begleiter, hervorgerufen von Gedanken und Druck, jenen ich versuche krampfhaft Stand zu halten. Ich bin nicht das Kind, welches sie alle sehen wollen. Ich bin zwar jung, aber meine Erziehung und mein Wissen reichen weit über ihre Erfahrungen hinaus. Sie mögen länger dabei sein, doch heißt das nicht, dass sie besser sind. Nicht sie. Nicht sie, die Speichellecker meines Adoptivvaters. Abermals versuche ich die rotierenden Gedanken zu verdrängen und raffe rasch die letzten Seiten zusammen, ehe ich sie mir als unordentlichen Stapel erneut unter den Arm klemme. Raschen Schrittes verlasse ich den stickigen Raum und wende mich dem Gang zu, welcher mich zum Fahrstuhl bringen soll, als ich vor diesem schon eine hochgewachsene Gestalt bemerke, die sich schnell in Gang setzt, als sie mich sieht. Kurz bevor wir aufeinander treffen, bleibe ich stehen. "Roland, stimmt etwas mit Mokuba nicht?", presse ich hervor und blicke zu dem Hünen auf, welcher mich eingehend durch seine Brille betrachtet. "Mit Mokuba ist alles in Ordnung. Der junge Herr ist bei Ihnen Zuhause und wird sich wohl inzwischen die Zeit mit Spielen vertreiben. Wollen Sie noch hier bleiben, oder soll ich Sie Heim fahren, nachdem Sie ihn verpasst haben?" Ich kann den unterschwelligen Tadel hören. Ich sollte Schluss machen, doch durch die Länge dieser sinnlosen Sitzung kann ich es noch nicht. Zuvor muss ich noch etwas erledigen, was keinen Aufschub duldet. "Noch nicht. Sagen Sie Mokuba bitte von mir eine Entschuldigung und dass ich komme, sobald ich kann." Ich nehme den kurzen Anflug von Missmut in seiner Mimik wahr, ehe dieser Eindruck ebenso rasch verschwindet, wie er gekommen ist und er ergeben nickt. "Achten Sie auf sich, Mr. Kaiba, und rufen Sie mich an, wenn Sie abgeholt werden wollen. Zumindest fahren sollten Sie heute nicht mehr selbst." Meine Laune sinkt ob des nunmehr offen ausgesprochenen Tadels, doch ich bin ihm nicht böse. Ich weiß seine Sorge um Mokuba und mich zu schätzen, auch wenn sie in manchen Teilen erdrückend wirkt. So wie jetzt. "Danke." Mit diesem kurzen, gemurmelten Wort drücke ich ihm den Haufen Papier in die Hand, ehe ich mich abwende und endgültig an ihm vorbei drücke. Er wird wissen, dass er den Stapel mit ins Auto nehmen soll. Meine Laune sinkt spürbar. Als der Aufzug kommt und ich rasch hinein eile, ignoriere ich die letzten Worte Rolands, welche mir durch die Luft entgegen wabern. "Mr. Kaiba, Whe-" Dann schließen sich die Türen und der Fahrstuhl setzt sich automatisch in Bewegung. Es ist der Moment, in welchem ich kurz die Augen schließen und mich treiben lassen kann. Ein kurzer Augenblick, der mir dennoch genügend Kraft gibt den Schmerz in meinem Schädel etwas zu verdrängen. Ein leises 'Ding' teilt mir mit angekommen zu sein. Automatisch öffnen sich die Türen und ich trete hinaus, spüre sogleich den weichen, hochflorigen Teppich unter meinen Schuhen und wie ich darin versinke. Wie auf Wolken schwebe ich auf mein Büro zu, geräuschlos und vor allem ohne Hast. Auch innerlich beruhige ich mich langsam und spüre, wie mein Geist sich etwas entspannt. Der Schmerz wird weniger je näher ich meinem Büro komme und wird zu einem hintergründigem Pochen, als ich endlich, nach so vielen Stunden, die Tür vor mir aufstoßen kann. Ich atme tief die Luft ein, als ich, noch im Dunkeln, auf meinen Schreibtisch zuhalte. Ein mir bekannter Weg, welchen ich so schon hunderte Male zurückgelegt habe. Die immer selben Lichter, die immer selbe Aussicht. Ich brauche keine Lampe um mich zu orientieren. Nicht hier, nicht in meinem Refugium. Als Fixpunkt dient mir die Lehne meines Sessels, welcher wie immer vor der riesigen Panoramascheibe steht. Fast einladend sieht er mir entgegen. Denke ich... Das ist auch der Moment, als ich innehalte. In mir verkrampft sich alles. Die Schmerzen treten wieder in den Vordergrund, doch kämpfe ich sie nieder. So habe ich mein Büro nicht verlassen und obwohl alles noch an Ort und Stelle ist, kommt mir doch etwas anders vor. Ich erkenne die Silhouette meines Bürostuhles, doch erscheint sie mir verdreht. Nicht vertraut, so wie die vielen Male zuvor. Raschen Schrittes überbrücke ich die wenigen Meter, strecke meine Hand aus und vergrabe meine Finger in dem schwarzen, weichen Leder des Kopfteils. Mit Schwung drehe ich den Sessel zu mir herum, sodass ich auf die Sitzfläche blicken kann und erstarre innerlich. Blondes Haar, welches in der Finsternis fast schwarz wirkt. Weit aufgerissene Augen, welche sich darunter befinden und von welchen ich das Weiß nur erahnen kann. Ein verspannter, schlanker Leib, der sich weiter in die Polster hinein presst. "Was..." Meine Stimme ist mehr ein Knurren, als ich ihn auf diese Weise anspreche. "Was willst Du hier, Wheeler!", zische ich, während ich versuche seinen starrenden Blick festzuhalten. Ausgerechnet er, der durch meine Gedanken tanzt wie ein immerwährender Albtraum! Ausgerechnet er muss hier sein und mich in dieser Verfassung antreffen! Er, der mir mit seinem Bild den Atem raubte! Der, der mich in der Schule nervt und mit seinen unqualifizierten Kommentaren auf die Palme bringt! Der mein Dasein mit ein bisschen Leben füllt und meine starre Planung ins Wanken zu bringen vermag. Ich spüre Wut in mir aufwallen. Meine Augen verengen sich, während ich das Häufchen Elend verschwommen unter mir anstiere. "Ich...", setzt er an, doch ich unterbreche ihn wirsch. "Was. Willst. Du. Hier!", wiederhole ich mich, was ihn nur noch weiter in die Polster zurück treibt. Er kommt mir vor wie ein gejagtes Tier, welches Schutz in einer Höhle sucht und dennoch weiß, dass es nicht entkommen kann. "Ich… Mokuba hat...", beginnt er erneut zu einer Erklärung anzusetzen. Der Name aus seinem Mund klingt in diesen Moment wie Hohn für mich. Als würde das etwas erklären. "Was hat Mokuba!" Meine Stimme ist nunmehr nur ein leises, gefährliches Zischen. Ich spüre, wie ich ihm immer näher komme. Ich weiß nur nicht warum. Ich nehme schon jetzt seine Körperwärme wahr, der leichte Duft nach Mandel und Honig, in welchen sich der Geruch frischer Luft mischt. Vielleicht ist es das, was mich anzieht. Ich weiß es nicht. Ich presse Luft in meine Lungen, als ich mir die Frage selbst beantworte. "Mokuba hat Dich rein gelassen?" Innerlich schalle ich mich einen Idioten. Ich rücke etwas von ihm ab, von dem Duft, welcher mir, auf unerklärliche Weise, das Gefühl gibt hier richtig zu sein. Nach Hause zu kommen, wenngleich dies mein Büro ist. Dennoch nehme ich diese Änderung wahr. Der Umstand sorgt dafür, dass ich mich etwas entspanne. Die Schmerzen werden weniger und so bin ich endlich in der Lage wieder zu atmen. Richtig zu atmen. Ich richte mich auf. Meine Augen haben sich an die Finsternis gewöhnt. Dennoch suche ich erneut einen Punkt, an welchem ich mich orientieren kann. Es ist seine Stimme, welche zu diesem wird, nicht die Lehne, die sich noch immer schemenhaft von dem dunklen Hintergrund abhebt. "Du warst nicht in der Schule und da dachte ich, dass-", vernehme ich seine gepresste Stimme, als er mir endlich antwortet. Sofort sind die Schmerzen wieder da, schlagen mit voller Wucht zu, so dass meine Worte zischend die sonstige Stille im Raum durchschneiden. "Was dachtest Du?! Dass Du hier einfach auftauchen kannst, nur weil ich mich in diesem Idiotenverein eine Woche nicht blicken lasse?" Er macht mich wütend. Meine Kopfschmerzen poltern durch meinen Schädel und drohen mir die Sicht zu nehmen, doch halte ich mich aufrecht. Der Druck, der Druck... Der Druck... Nunmehr ist es sein aufkochender Zorn, der mich innerlich zusammenfahren lässt. Ich nehme am Rande wahr, wie die Lehne etwas nach hinten wippt, als er sich aufrichtet und so Platz macht für seine Worte, aus denen ich nicht mehr nur die Angst entdeckt worden zu sein, sondern auch den Kampfeswille höre, welcher ihn ausmacht. "Oh, ja! Der große Mr. Kaiba kann sich natürlich rausnehmen den wichtigen Prüfungsstoff zu verpassen!" Ein Zittern durchfährt meinen Leib, während sich meine Augen versuchen sich wieder auf ihn zu konzentrieren. Ich verenge sie, doch erkenne nichts, sodass ich meine Antwort ins vermeintlich Leere spreche, während ich einen Schritt zurück mache. Weg von diesem Fegefeuer. Weg von diesem Duft, der so vieles verheißt. "Als würdest Du auch nur ansatzweise etwas von dem verstehen, was diese inkompetenten Vollidioten Euch da versuchen beizubringen!" Sofort fährt er auf. Ein ewiges Katz- und Mausspiel, obgleich ich es in diesem Moment nicht so wahr nehme. Nur langsam verdrängt dieses Geplänkel den Nebel, welcher sich um meine Sinne gelegt hat. Meine Finger ballen sich zu festen Fäusten, als nunmehr die Wut langsam die Oberhand gewinnt. Wut auf ihn. Frust darüber, dass er einfach hergekommen ist. Zorn darauf, dass er sich die Freiheit nehmen konnte. Und Enttäuschung darüber, dass ich es nicht kann. "Kaiba, Du arrogantes-" Ich vernehme seine Stimme, jedoch nicht die Worte. Stattdessen setze ich vor und greife zu. Ich kann den Stoff seines Shirts unter meinen Fingern spüren, wie er etwas nachgibt und dann seinen Zweck erfüllt - Ihn zu mir zu bringen. Mit diesem Duft. Mit dem Gefühl nach Hause zu kommen - Frei zu sein. Dennoch ist es meine innerliche Aufruhr, die sich noch immer Bahn brechen will. Ich möchte, dass er einfach geht. Dass es ein Albtraum ist und dieser endlich aufhört. Dass der Geruch verschwindet, der mir meine Sinne zu rauben droht und ich endlich abschalten kann. Dass ER verschwindet... Weg von mir, weg aus meinen Gedanken und meinem Herzen, welches ich beschleunigt in meinen Ohren rauschen höre. Der Sturkopf und ewige Störenfried mit einer großen Klappe, der macht was er will und wenn er dabei als Zwerg gegen einen Riesen kämpft. Der Freigeist, der nicht nachdenkt und stattdessen mit einem einzigen Bild, welches von Herzen kommt, all meine Sehnsüchte miteinander vereint und zu Papier gebracht hat. Er - Joey Wheeler. Dieser Junge macht mich wütend. Er beherrscht nicht mehr nur meine Gedanken, sondern auch einen gewissen Teil meines Daseins und das ist etwas, mit dem ich nicht klar komme. Kontrollverlust. "Wheeler, das ist MEIN Büro! Und es ist MEIN Sessel, den Du gerade mit Deinen Flöhen kontaminierst. Entweder Du rückst mit der Sprache raus, anstatt mich mit hohlen Phrasen zu bombardieren, oder ich schmeiße Dich eigenhändig aus dem Gebäude!" Meine Brust hebt und senkt sich im schnellen Takt meines Herzschlages, sodass ich Angst haben muss, dass er es hören könnte. Es ist Unsinn, das weiß ich, aber meine Wut, mein Zorn mir selbst gegenüber, versperrt mir die Sicht. Mein gesamter Körper ist verspannt und langsam beginnen bunte Farben vor meinem inneren Auge zu explodieren. Doch dann spüre ich sie. Seine Hand, wie sie sich sacht, fast sehnsüchtig auf meine legt. Sogleich fühle ich die Wärme, die meine Haut durchdringt und die Wirbel an Farben verscheucht. Wie sein Geruch, welcher mir so nahe ist. Ich schlucke trocken und will fliehen, doch ich kann es nicht. Ich kann ihm nicht entkommen. Abermals vernehme ich seine Stimme. Sie ist es, die mich aus dem Gedankenstrudel reißt und die mich endlich wieder handeln lässt. Sie klingt gepresst, doch frisst sie sich durch die Ruhe, welche in ihr hintergründig mit schwingt und durch meine Mauer aus Wut und Selbsthass. "Kaiba, weder habe ich Flöhe, noch bin ich dumm. Also spare Dir die Luft." Ich lasse los. Seine Hand rutscht von meiner Haut und ich spüre, wie sich meine verkrampften Finger öffnen. Den dumpfen Aufschlag, als er wieder auf die Sitzfläche plumpst, vernehme ich kaum. Er soll endlich verschwinden. Er soll endlich gehen und mich in Ruhe lassen. "Wenn du keinen triftigen Grund hast, dann verschwinde!" Ich knurre. Zu mehr bin ich nicht mehr in der Lage, denn noch immer zittere ich und noch immer betäubt sein Geruch meine Sinne und den Schmerz. Ich bemerke kaum, wie ich mich ihm wieder annähere. Wie sich der Duft abermals verstärkt und mir die Luft raubt. Er ist kaum mehr als ein Schatten und dennoch einer, der seine Finger fest um meine Gestalt verwoben hat. "Du bist ja immer noch da.", zische ich. Mein Atem prallt an seinem Gesicht ab. Wann sind wir uns so nahe gekommen? Seit wann lasse ich eine solche Nähe zu? Weil er es ist? Nein, weil Wheeler es ist? Es ist einerlei, denn ein weiteres Mal vernehme ich seine Stimme, welche noch immer gepresst klingt, aber nichts von der hintergründigen Ruhe eingebüßt hat. "Kaiba, ich werde nicht gehen." Wenige Worte, doch gereichen diese, dass sich mein Denken vollkommen abschaltet. Ein einfacher Satz, den ich mir schon so viele Male erträumt hatte. Nicht von ihm. Nicht nur, aber von Anderen. Von Menschen, die sich Freunde nennen. Von meinen Eltern. Von meinem Bruder. Von ihm.... Nur am Rande nehme ich wahr, wie sich seine Finger in meiner Kette verfangen und mich näher ziehen. Noch näher, als ich ihm ohnehin schon bin. Atem, der aufeinander trifft, Düfte, die sich vermischen und Herzen, welche beginnen im Gleichklang zu schlagen. Und endlich bekomme ich meine Antwort auf das Warum. "Du bist hier. Das ist Grund genug.", spricht er gegen meine Lippen. So leise, so hauchfein und doch verstehe ich ein jedes Wort so, als hätte er es mir entgegen gebrüllt. Danach sind es seine Lippen, welche sich mit meinen verfangen. Eine zarte Berührung, kaum mehr als ein Hauch. Wärme schießt durch mich hindurch, erhitzt nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Herz und endlich, das allerste Mal habe ich das Gefühl frei zu sein. Frei, eigene Entscheidungen zu treffen. Nicht mehr in eine Schublade passen zu müssen und ihm in diesem Punkt ebenbürtig zu sein. Der Druck löst sich und damit auch der Knoten um mein Herz. Ich erwidere den Kuss. Ich kann nicht anders. Er zieht scharf die Luft ein. Es klingt fast wie ein Keuchen, doch ist es nicht allein die Überraschung, die ihn treibt. Nein, das ist nicht alles. Mein Geist verdrängt den Gedanken, als ich meine Hand erhebe und in sein überraschend weiches Haar fahre, während ich mit der Anderen Halt auf dem wenigen Resten der weichen Sitzfläche suche, welche er nicht besetzt. Ich spüre die Wärme seiner Haut durch seine Kleidung hindurch, während ich den Kuss vertiefe und mir nehme, wonach sich mein Herz unterbewusst gesehnt hat. Den Geschmack von etwas Fruchtigem, etwas Samtigen, etwas Verheißungsvollen schwebt seinem Kuss nach. Der Geschmack nach mehr. Das ist auch der Grund, warum ich mich wenig später löse und mich etwas aufrichte. In der Finsternis vernehme ich seinen rascheren Atem, der meinem in Nichts nachsteht. Meine Augen suchen seine, doch finden ihn nicht. Stattdessen strecke ich meine Finger aus, berühre erst meine Lippen, ehe ich sie ihm entgegen reiche und mit rauer Stimme etwas hervor presse. Etwas, was den Moment entspringt und nicht einem Plan. Etwas, was mir die Freiheit erlaubt, welche er mir gibt. Nur er. "Komm, lass uns gehen." Manchmal sind es die Gedanken, die erst Kreise spinnen müssen, damit man versteht. Meine haben es getan und zum allerersten Mal in den letzten Jahren fühle ich, dass sie abebben und mich einfach tun lassen, was immer ich will. So wie er, der Freigeist Joey Wheeler. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)