April April! von District_13_rising ================================================================================ Kapitel 4: Suspicion -------------------- Suspicion 1. April im Jahr der 72. Hungerspiele, Distrikt 4 Annie Cresta Annie lag auf dem Bett. Sie versuchte zu lesen. Regelmäßig hob sie den Kopf und lauschte, ob sich etwas im Haus regte, aber Finnick war kein Frühaufsteher. Er schlief sicher noch. Annie war bei Sonnenaufgang aufgewacht. In kürzester Zeit war sie hellwach gewesen und hatte nicht mehr einschlafen können. Sie hatte das Bett gemacht und sich mit dem Buch wieder auf das Bett gelegt. Finnick hatte das Buch aus dem Kapitol mitgebracht. Dem Einband zufolge war es spannend. Trotzdem hatte sie seit Stunden nicht eine Seite gelesen. Finnick ging ihr nicht aus dem Kopf. Eigentlich war das nämlich sein Bett. Es hatte sich irgendwie ergeben. Annie war äußerst selten in ihrem eigenen Haus. Sie mochte Finnicks Haus lieber. Ihr eigenes war wie ein Museum. Finnick hatte sie auch nie weg geschickt. Die erste Nacht in Distrikt 4 nach ihren Hungerspielen hatte Annie nicht alleine in ihrem Haus verbringen wollen. Finnick hatte sie mit zu sich genommen. Nur ein Mal … Sie war da geblieben. Finnick hatte sie in seinem Bett schlafen lassen. Dort schlief sie immer noch. Nur er nicht mehr. Zuerst war er auf ein unbequemes Klappbett, das er am Fußende aufgestellt hatte, und dann ins Zimmer nebenan umgezogen. Seit ein paar Tagen schlief sie ganz allein in Finnicks Schlafzimmer. Sie traute sich nicht danach zu fragen, aber es ging ihr ständig durch den Kopf. Warum schlief Finnick lieber im Nebenzimmer als in seinem Bett? Wenn er sie nicht bei sich haben wollte, dann könnte er sie gleich nach nebenan in ihr eigenes Haus schicken. Annie drehte sich auf den Rücken. Sie winkelte die Beine an und stützte das Buch auf ihrer Brust ab. Worum ging es in dem Buch überhaupt? Sie seufzte auf. Der weiße Stoff des Betthimmels kräuselte ein bisschen sich im lauen Wind. Sie hatte die Fenster offen gelassen, damit sie das Rauschen der Brandung hören konnte. Entgegen Mags Vermutung, dass der Frühling nach dem langen Winter in diesem Jahr auf sich warten lassen würde, war es nach Annies Geburtstag plötzlich warm geworden. Das Wasser war noch zu kalt zum Schwimmen, aber die Sonnenstrahlen waren schön warm. Finnick hatte sein Boot wieder flott gemacht. Früher, vor den Dunklen Tagen, hatte es Werften gegeben, in denen die Boote überholt und instand gesetzt worden waren. Das hatten ihre Eltern ihr erzählt, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Heute musste das jeder selbst tun, wenn er nicht wollte, dass sein Boot eines Tages auseinander fiel. Finnick liebte sein Boot und war sehr sorgfältig damit. Sie hatte ihm helfen wollen, aber nachdem sie sich versehentlich mit einem Hammer auf den Daumen geschlagen hatte, hatte er sie nichts mehr anfassen lassen. Finnick hatte Annie versprochen heute mit dem Boot raus zu fahren und zu angeln. Sie freute sich darauf. Es wäre das erste Mal nach dem langen Winter das sie raus auf's Meer fuhren. Hoffentlich überlegte Finnick es sich nicht anders. In zehn Tagen hatte Finnick Geburtstag. Wenn Annie daran dachte, drehte sich ihr Magen um. Sie hatte ihm eine neue Muschelkette gemacht, die sie bei sich zu Hause versteckte. Es war eine ähnliche Kette wie die, die seine Mom seinem Dad geschenkt hatte. Sie wusste nur nicht, ob sie ihm die Kette schenken konnte. In der Tradition war es üblich, dass Frauen den Männern, die sie liebten, solche Ketten machten. Die Ketten sollten sie beschützen, aber nachher verstand Finnick das Geschenk falsch. Oder schlimmer, er verstand es nicht falsch und bemerkte, dass sie sich in ihn verliebt hatte? Ein Teil von ihr wollte, dass er sie bemerkte. Der größere Teil hatte Angst davor zurück gewiesen zu werden. Finnick behandelte sie in den letzten Wochen immer seltsamer. Er war abweisender als früher. Das war etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen. Das letzte Mal als sie schreiend aus einem Albtraum aufgewacht war, hatte er sie danach im Arm gehalten bis sie sich wieder beruhigt hatte. Je länger sie Zeit hatte darüber nachzugrübeln, umso peinlicher war ihr das. „Annie!“ Finnicks vorwurfsvolle Stimme schreckte Annie auf. Ihr Herz hämmerte wild. Musste er sie erschrecken? „Was machst du da?“ „Lesen“, sie schielte über den Rand ihres Buches, zwischen ihren Knien hindurch. Finnick stand ihr gegenüber an der Schlafzimmertür und starrte sie an als würde nicht sie in seinem Bett liegen, sondern die nackte Mags. „Das … äh … sehe ich auch, aber ist dir nicht kalt?“, fragte er. Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum und schloss die Fenster. Hatte er mal auf das Thermometer gesehen? Es war neun Uhr morgens und sie hatten bereits 20°C draußen. Annie beobachtete ihn perplex. Er wirkte ganz nervös. Hatte sie etwas getan? Sie war sich keiner Schuld bewusst. Finnick blieb an einem der Fenster stehen und warf einen Blick über die Schulter. „Du kannst nicht so schlafen gehen. Warum hast du keinen der Schlafanzüge angezogen, die ich dir mitgebracht habe? Die sind viel … wärmer. Nachher wirst du krank.“ Annie schaute an sich herunter. Sie war in Top und Schlafanzughose ins Bett gegangen. Die Schlafanzüge, die Finnick aus dem Kapitol mitgebracht hatten, waren ihr alle etwas zu groß und zu weit. Vor allem waren sie viel zu warm für die Jahreszeit. In der letzten Nacht hatte sie die Schlafanzughose ausgezogen. Sonst hätte sie nicht schlafen können. „Du schläfst auch in Unterwäsche und T-Shirt“, erwiderte Annie, die nicht verstand, wo das Problem lag. Sie würde nicht in Top und Slip auf die Straße gehen. Im Bett unter der Decke hatte das niemand gesehen. „Das ist etwas anderes“, fand Finnick, ohne sich dieses Mal zu ihr umzudrehen. Annie fand überhaupt nicht, dass es etwas anderes war. „Warum? Mir war nicht kalt und mich hat doch niemand in meiner Unterwäsche gesehen.“ Wieder schaute Finnick sie nur kurz über die Schulter an. Was um Himmels Willen war heute morgen los mit ihm? Hatte sie einen Grund sich Sorgen zu machen? „Geht's dir gut, Finnick?“ Annie war im Begriff aufzustehen und zu ihm herüber zu gehen. Etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm. Sie kannte ihn gut genug um das einschätzen zu können. „Hast du was?“ „Du solltest ins Bad gehen und …“, Finnick schielte sie zu ihr herüber und musterte sie von oben bis unten. „Du solltest dir etwas Warmes anziehen. Ich meine es ernst. Du unterschätzt das Wetter. Auf dem Wasser kann es kalt werden.“ „Willst du nicht zuerst ins Bad? Ich könnte in der Zwischenzeit Frühstück machen“, schlug Annie vor. Vielleicht beruhigten selbstgemachte Pfannkuchen seine Nerven und er beruhigte sich wieder? „Und denk dran dir etwas Warmes anzuziehen!“, rief Finnick ihr hinterher. Kopfschüttelnd ging Annie über den Flur zum Badezimmer. Er hatte es in den letzten Wochen damit, dass sie sich warm anziehen sollte. Die Badezimmertür stand einen Spalt weit auf. Annie wollte sie hinter sich schließen und griff in etwas Weiches, Schleimiges. Sie schrie erschrocken auf und zog die Hand zurück. Was war das denn Ekeliges gewesen? Ihr Herz raste. Sie traute sich kaum nachzusehen. Zögerlich tat sie es doch und es stellte sich heraus, dass es nur Zahnpasta gewesen war. Es war nur Zahnpasta? Zahnpasta an der Türklinke? „Annie! Ist dir etwas passiert?“, rief Finnick. Fast sofort stand er wieder vor ihr um ihr beizustehen. Plötzlich fiel ihr etwas auf. Deshalb hatte Finnick darauf bestanden, dass sie als Erste ins Bad ging! Natürlich! Es war der 1. April und Finnick hatte ihr einen Streich gespielt. Annie kicherte leise. Finnick sah viel zu süß aus mit seinen strubbeligen, zerzausten Haaren. Das weckte bei ihr jeden Morgen das dringende Bedürfnis ihm durch die Haare zu streicheln. Annie lächelte Finnick an und schlagartig fiel ihr wieder ein, dass sie eigentlich ins Bad wollte. „April, April“, meinte Annie. Sie war auf seinen Streich herein gefallen, aber ihr war nichts passiert. „Alles gut“, beruhigte sie ihn. Er war immer direkt zur Stelle, wenn sie ihn brauchte oder er dachte, sie würde Hilfe brauchen. Manchmal war er viel zu süß um wahr zu sein. Annie versicherte ihm, dass alles Gut war und versprach sich zu beeilen, bevor sie die Tür mit dem Fuß schloss, weil sie nicht wieder in die Zahnpasta fassen wollte. Sie trat ans Waschbecken um sich die mit Zahnpasta verschmierten Hände zu waschen. Hatte Finnick eigentlich eine Ahnung wie gut er mit strubbeligen Haaren aussah? Oder mit ein bisschen drei-Tage-Bart? Warum musste er den immer sofort wieder abrasieren? Sie drehte den Wasserhahn auf und plötzlich spritzte Wasser wie verrückt durch die Gegend. Annie hüpfte einen Schritt zurück und stellte schnell den Wasserhahn wieder ab. Sie wischte sich die nassen Haare aus der Stirn und schmierte sich dabei die Zahnpasta ins Gesicht. Annie schaute genauer hin. Da hing Klebeband am Wasserhahn. Finnick musste den Wasserhahn präpariert haben. Jetzt war sie von oben bis unten nass und sie wusste nicht, ob sie das komisch fand, bis ihr Blick auf ihr Spiegelbild fiel. Sie sah schon lustig aus. Klatschnass mit Zahnpasta im Gesicht. Annie musste über sich selbst lachen und eigentlich war es auch nichts Schlimmes. Ihr war nichts passiert. Bei dem zweiten Waschbecken untersuchte Annie den Wasserhahn trotzdem vorher. Annie stellte den Mixer ab. Sie lauschte auf die Geräusche aus dem Obergeschoss und warf dann einen Blick auf die Uhr. Finnick war seit über einer Stunde im Badezimmer. Sie hatte überlegt hoch zu gehen und an die Tür zu klopfen, aber aus Angst zu übertreiben, hatte sie es bisher unterlassen und Pfannkuchenteig gemacht. Makrele schnurrte bettelnd um ihre Beine, als sie eine Pfanne auf den Herd stellte. Annie versuchte nicht über ihre Katze zu stolpern. „Du hast doch etwas zu fressen“, erklärte sie dem kleinen Vierbeiner. Makrele maunzte sichtlich unbeeindruckt. „Ich weiß, du willst das haben, aber das ist nicht gut für dich.“ Oder? Katzen sollten keine Pfannkuchen fressen. Annie fiel ein, dass sie vergessen hatte den Teig zu probieren. Sie nahm einen Löffel aus der Schublade um das nachzuholen. Kaum das sie den Geschmack auf der Zunge hatte, musste sie würgen. Der Teig war komplett versalzen. Angewidert und ratlos betrachtete Annie das Desaster. Den Teig konnte sie vergessen, aber sie hatte gar kein Salz rein gemacht. Argwöhnisch nahm sie die Zuckerdose in die Hand und probierte mit dem Finger. Salz! Finnick hatte das Salz und den Zucker vertauscht! Sie seufzte auf. Annie war genervt und entsorgte den versalzenen Teig, bevor sie einen neuen machte. Es war schade um die Lebensmittel. Auf weitere Aprilscherze seinerseits würde sie nicht herein fallen. „Nein!“ Annie zog Finnick den Teller mit den Schokoladenmuffins unter den Fingerspitzen weg. Sie stellte ihn an einer anderen Stelle auf die Anrichte, wo sie die Muffins in Ruhe verpacken und im Proviantkorb verstauen konnte. Die Muffins hatten in der Küche gestanden. Ein netter Gruß von Mags, der sie heute Nachmittag den frisch gefangenen Fisch bringen sollten. Finnick murrte etwas Unverständliches und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Annie fiel auf, dass er schlecht gelaunt war. Sie warf ihm einen verunsicherten Blick zu. Hatte sie ihn verärgert? „Da sind Pfannkuchen“, sagte sie vorsichtig. Nachdem sie den versalzenen Teig entsorgt hatte, hatte sie neuen gemacht und dieses Mal vorher überprüft, ob sie auch tatsächlich den Zucker erwischt hatte. „Ich dachte wir nehmen die Muffins lieber mit.“ „Hhm“, machte Finnick. Da er keine Anstalten machte sie zu bewegen, machte sie einen Pfannkuchen auf einen Teller. Sie legte etwas Obst dazu, obwohl sie wusste, dass Finnick sich nur ungern nötigen ließ Obst oder Gemüse zu essen. Sie streute ein wenig Puderzucker darüber und stellte ihm den Teller hin. „Danke“, sagte er und schien überrascht. Das erste Stück Pfannkuchen war nicht ganz in seinem Mund angekommen, als er fast seine Gabel fallen ließ und sie musterte als wäre sie ein Gespenst. „Willst du das anlassen?“, hakte Finnick nach und sein Blick verfinsterte sich. „Deswegen hab ich es angezogen“, antwortete Annie. Sie trug ein türkisfarbenes Top und eine kurze Jeans. Die Jeans war neu. Ihr gefiel das und eigentlich hatte sie gehofft, Finnick würde es auch gefallen. Den Mädchen am Strand schaute er jedes Mal hinterher, wenn sie solche Hosen trugen. „Diese … Hose hab ich noch nie gesehen“, stellte Finnick fest. „Die hab ich auch neu.“ Annie war stolz auf ihre neue Jeans, aber plötzlich fühlte sie sich wie vor einem Inquisitionskommando. Konnte Finnick wenigstens aufhören sie anklagend anzuschauen? „Das ist viel zu kurz, Annie!“ Aber … Annie hatte gehofft, er würde die Hose mögen. Unsicher zupfte sie an ihrem Top herum. Warum schaute er anderen Mädchen hinterher, wenn sie solche Hosen trugen und sie durfte nicht? „Ich hab gesagt, du sollst dir etwas Warmes anziehen. Es könnte kalt werden. Geh dich umziehen.“ Tränen sammelten sich in Annies Augen, während sie ihr Fach im Kleiderschrank anschaute. Sie hatte ein paar Sachen bei Finnick. Wütend wühlte sie dazwischen herum und störte sich nicht daran, dass sie alles durcheinander brachte. Sie war kein kleines Mädchen mehr! Sie war eine erwachsene Frau! Sogar ganz offiziell. Vor fast vier Wochen war sie 18 Jahre alt geworden. Schön, die blöden Sommersprossen hatte sie nach wie vor und die würde sie vermutlich auch nie los werden, aber ihre Figur war viel weiblicher geworden. Sie hatte Rundungen an Stellen entwickelt, wo welche hingehörten. Die fast jungenhafte Statur war längst Geschichte und diese Jeans standen ihr gut! Konnte Finnick das nicht einsehen? Vielleicht hatte er es auch bemerkt und wollte sie deshalb 'warm' anziehen? Damit keinem anderen auffiel, dass sie hübsch war. Wenn es nach ihm ging, würde sie nur Säcke tragen, die alles versteckten. Sie fühlte sich bevormundet. Sie war kein Kind mehr und es ärgerte Annie, dass Finnick in ihr nur das kleine Ding zu sehen schien, das er beschützen musste. Vielleicht war er doch lästig als großer Bruder und Aufpasser. Wie sollte sich jemals ein Mann für sie interessieren, wenn Finnick so weiter machte? Annie seufzte traurig. Eigentlich sollte sich auch nicht irgendein Mann für sie interessieren. Sie wollte Finnick, aber der nahm sie überhaupt nicht als Frau wahr. Annie entdeckte den Zipfel der Häkeltunika, die Mags ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, und nahm das Kleidungsstück aus dem Kleiderschrank. Sie zog es über. An der Hüfte machte sie einen Knoten. Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. Sie hatte sich wärmer angezogen. Ein klein wenig … Sie wollte gehen, als sie noch einmal zum Spiegel zurück ging und ihren Zopf löste. Ihre langen Locken fielen ihr auf den Rücken. Sie gefiel sich. War ihr doch egal, was Finnick sagen würde! Annie hoffte trotzdem, dass es ihm gefallen würde. Sie verbuchte seine großen Augen, als sie wieder in die Küche kam auch fast als Erfolg bis Finnick den Mund aufmachte. „Was ist das?“, fragte Finnick entsetzt und fing an zu husten, weil er sich an seinem Pfannkuchen verschluckt hatte. „Wolltest du nicht was Warmes anziehen? Du kannst so nicht draußen herum laufen.“ „Das ist aus Wolle. Das ist etwas Warmes“, widersprach Annie verletzt. „Das ist durchsichtig!“, empörte sich Finnick. „Stimmt nicht!“ Annie schüttelte den Kopf. Gut, man konnte die Farbe des Tops erkennen, das sie trug, aber durchsichtig war etwas anderes. Finnick faselte etwas vor sich hin. Annie starrte auf den Fußboden. Sie weigerte sich stur sich noch mal umzuziehen und schließlich machten sie sich schlecht gelaunt auf den Weg zum Boot. Annie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute hinüber zum Festland. Sie waren bestimmt zwei, drei Kilometer vom Festland entfernt. Ein zu weiter Weg um ihn zurück zu schwimmen. Erst Recht im April! Sie steckten fest. Etwas war kaputt gegangen und sie kamen nicht weiter. Sie hatten den Anker herunter gelassen, damit sie nicht abtrieben. An fast allen anderen Tagen hätte Annie sich darüber gefreut Finnick ganz für sich alleine zu haben, aber heute hatte er denkbar schlechte Laune. Er schaute sie nicht einmal an. Sie fühlte sich unwohl. Und sie hatte nachgeschaut. Finnick hielt sein Boot instand, machte Ordnung und er putzte hier deutlich öfter als zu Hause, aber richtig gemütlich fand sie es nicht. Übernachten wollte sie hier eigentlich nicht. Sie sollte ihm mal anbieten, die Decken und Gardinen zu waschen. Die einzige Decke an Bord roch etwas muffig. Ein paar neue Kissen in schönen, hellen Farben könnten auch nicht schaden und eine Tischdecke für den Tisch. Ein wenig Deko … Sie war sich aber nicht sicher, ob sie ihm damit eine Freude machte. Im Moment traute sie sich auch kaum etwas zu sagen. Sie malte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Finnick war schlecht gelaunt und ungeduldig. Sie ging ihm lieber aus dem Weg. „Hier bist du“, sagte Finnick. Er betrat die Kajüte um Werkzeug zu holen und hielt inne, als er den Korb mit den Muffins entdeckte. „Willst du auch einen?“ Annie schüttelte den Kopf. Sie war nicht hungrig. Finnick hatte zwar fast alle Pfannkuchen vom Frühstück gegessen, aber er konnte ständig essen. Wenn sie nicht aufpasste, wären die Muffins auch ganz schnell leer. Es war immer das Gleiche. Wenn Mags Kuchen brachte oder Muffins oder anderes Gebäck. Bei Finnick war es schneller weg als sie gucken konnte, aber er ließ ihr immer genau einen übrig. Ohne Vorwarnung stürmte Finnick plötzlich an ihr vorbei nach draußen. Annie schaute ihm überrascht hinterher. Was war denn jetzt wieder? „Annie!“, wütend drehte er sich wieder zu ihr um. Erschrocken schaute sie ihm hinterher. Was war denn los? Finnick hielt den Muffin hoch. Der Muffin war mit etwas gefüllt, das aussah wie … „Ist das Senf?!“, fragte Annie überrascht. Hatte Mags ihnen etwa? Mags hatte ihnen einen Aprilscherz gespielt? Finnick warf den Muffin über Bord und eilte wieder zurück in die Kajüte, an Annie vorbei, um sich etwas zu trinken zu holen. „Tu nicht überrascht!“ „Ich hab die Muffins nicht gebacken!“, verteidigte Annie sich. Wenn Finnick nachdenken würde, wäre ihm das vielleicht auch klar. Sie hatten gestern den ganzen Tag zusammen verbracht. Sie hatte nicht die Gelegenheit gehabt. Es sei denn sie wäre nachts aufgestanden. „Wer denn sonst?“ Finnick setzte die Flasche Wasser ab und schüttelte wütend den Kopf. „Das war nicht lustig, Annie.“ „Ich glaube es war Mags“, vermutete sie, während sie versuchte gegen ihre Tränen anzukämpfen. Sie war immer nah am Wasser gebaut. Es war peinlich, wie oft sie in Tränen ausbrach, aber sie konnte damit nicht umgehen, wenn Finnick wütend auf sie war. „Und jetzt alles auf Mags schieben! Dann gib es wenigstens zu. Deine Aprilscherze sind nicht mehr lustig.“ Annie war fassungslos. Ihre Aprilscherze? Sie hatte nichts gemacht! „Quarkbällchenmanipuliererin!“, fügte Finnick hinzu. Annie ließ den Kopf hängen. Dieses Mal war sie es nicht gewesen! Das hatte sie nicht gemacht. Sie schniefte. Tränen lösten sich aus ihren Augenwinkeln. Das war ein gemeiner Streich von Mags und deswegen war Finnick nun wütend und sie saß mit ihm auf dem blöden Boot fest. Finnick stöhnte auf. Weitere Tränen kullerten über ihre Wangen. Jetzt war er auch noch genervt, weil sie weinte. Finnick kam zu ihr hinüber. Er stellte sich neben die Eckbank, auf der sie saß. Annie starrte stur auf die Tischplatte. Sie verfluchte ihre Tränen. „Annie“, sagte er eine Spur sanfter und zog sie unerwartet in eine Umarmung. „Hör auf zu weinen“, forderte er und streichelte über ihren Rücken. Unwillkürlich bekam sie eine Gänsehaut am ganzen Körper. Die Stellen an ihrem Rücken, an denen seine Hände liegen blieben, kribbelten. Vor Schreck vergaß Annie das Weinen. Sie hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich und sie blieb an seinen Augen hängen. Sie liebte seine Augen, auch wenn sie Annie komplett verwirrten. Finnick sollte sie lieber wieder los lassen. Sie war überfordert. Wenn er sie nicht wieder los ließ, dann würde sie etwas Dummes tun. Da war wieder dieses dringende Verlangen ihn zu berühren und ihn zu küssen. „Ich hab das wirklich nicht gemacht“, flüsterte Annie, aber an Finnicks Blick erkannte sie, dass er ihr das nicht glaubte. „Ach Annie, was hältst du davon, wenn wir die Angeln auslegen und du in der Zwischenzeit auf die Angeln aufpasst? Ich beeile mich mit der Reparatur.“ Annie saß im Schneidersitz da und lehnte sich an die Außenwand der Kajüte. Sie versuchte auf das Meer hinaus zu sehen, aber die See war ruhig und langweilig. Nicht mal Delfine sprangen in der Ferne aus dem Wasser. Sie hatte sich wieder beruhigt, obwohl Finnick ihr nicht glauben wollte, dass sie gar nichts gemacht hatte. Vorsichtig schielte sie zur Seite, wo Finnick noch damit beschäftigt war dieses Ding zu reparieren. Er stand mit dem Rücken zu ihr. Eigentlich dürfte er es nicht bemerken, wenn sie ihn beobachtete, aber das hatte sie damals im Trainingscenter auch gedacht. Sie versuchte auch gar nicht hinzusehen, aber sie konnte nicht weg sehen. Finnick zog sein Shirt aus. Kurz bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn heimlich anstarrte. „Hat schon was angebissen?“, fragte Finnick und drehte sich zu ihr um. Annie blinzelte. Sie wusste nicht wo sie hin sehen sollte. Es war unfair, dass sie ihn nur ansehen und nie anfassen durfte. Sie hatte ihn ständig vor Augen und sie wollte nur einmal wissen, wie sich sein Körper unter ihren Händen anfühlte. Sie wollte ihn berühren. Die Konturen seiner Muskeln mit den Lippen nach fahren. Ihn spüren. „Träumst du? Du sollst auf die Angeln aufpassen.“ „Ich …“ Annie wurde heiß und kalt gleichzeitig. Ihr Mund klappte auf, aber sie schloss ihn gleich wieder. Sie fühlte sich ertappt und spürte wie ihr Blut in die Wangen schoss. Zum Glück konnte Finnick keine Gedanken lesen. Das, was ihr bei seinem Anblick durch den Kopf ging, durfte er nicht wissen. Niemals. Konzentriert schaute sie wieder auf das Wasser, aber ihre Konzentration ließ schnell wieder nach. Vorsichtig schielte sie wieder zu Finnick hinüber, der ohne sein Shirt weiter arbeitete. Unbewusst spielte sie mit einer Haarsträhne. Wenn sie mutiger wäre, würde sie vielleicht hinüber gehen und ihn küssen. Sie könnte es einfach tun und herausfinden was dann passierte. Annie versuchte sich das vorzustellen. Wie sie aufstand, die wenigen Schritte zu ihm ging, ihm die Arme um den Nacken legte und … Annie seufzte schwer. Sie würde sich das nie trauen! Sie wollte unbedingt, aber sie würde sich das nicht trauen. Ein Rucken an der Angel direkt vor ihr lenkte Annies Aufmerksamkeit von Finnick ab. Sie griff nach der Angel. Der nächste Ruck riss sie nach vorne. Sie stieß sich die Rippen an Reling und atmete scharf ein. „Finnick!“, rief Annie. Mit aller Kraft versuchte sie die Angel zu halten. Da hatte sie etwas Großes an der Angel. Einer dieser fast 40kg Fische, wie die Goldmakrele, die sie mal gefangen hatte. Warum kam Finnick denn nicht um ihr zu helfen? „Finnick!“, rief sie wieder. Verzweifelt schaute sie sich um. Der nächste Ruck ließ sie beinahe über Bord gehen. Finnick stand mit dem Rücken zu ihr. Er drehte sich nicht einmal zu ihr um. „Noch mal falle ich auf keinen Aprilscherz herein“, verkündete er gut gelaunt und machte Annie sprachlos. Bitte was? Das war kein Scherz! Das war ihr voller Ernst! „Finnick!“ Sie schrie auf, als sie durch den nächsten heftigen Ruck an der Angel, Übergewicht nach vorne bekam und ins Wasser fiel. Das Wasser war eiskalt. Es war jedenfalls viel zu kalt zum Schwimmen. Wie aus Reflex hielt Annie sich an der Angel fest. Der Fisch zog sie ein Stück mit sich, bevor er von der Angel los kam und Annie auftauchen konnte. Ihr Kopf durchbrach die Wasseroberfläche. Sie atmete tief ein. Ihr Körper zitterte vor Kälte, ohne das sie viel dagegen tun konnte. Ihre Zähne klapperten aufeinander. Sie verstand sehr gut, warum im April niemand verrückt genug war, schwimmen zu gehen. Das warme Wetter war trügerisch. Das Wasser war viel zu kalt. Bis zum Boot zurück waren es nur ein paar Meter. Der Fisch war weg, aber die Angel hatte sie noch und schlagartig hatte sie ein ganz anderes Problem. Sie schrie auf, als sie den Schmerz und das Brennen an den Beinen spürte. Verdammte Feuerquallen! Finnick hatte nun endlich auch bemerkt, dass sie ihm abhanden gekommen war. Er tauchte an der Reling auf und machte Anstalten ins Wasser zu springen. Annie schüttelte entsetzt den Kopf. „Nein! Finnick …“, rief sie ihm zu, aber es war bereits zu spät. Finnick sprang mit einem Hechtsprung ins Wasser. „Da sind Feuerquallen“, fügte Annie leiser hinzu. Sie hörte ihn fluchen, kaum, dass er aufgetaucht und ein paar Züge geschwommen war. „Ist dir etwas passiert?“, fragte Finnick besorgt, als er bei ihr ankam. Er ließ ihr keine Zeit zum Antworten, dann hätte sie ihm nämlich gesagt, dass es ihr gut ging. Finnick legte ihr einen Arm um die Taille und schwamm mit ihr schnell zum Boot zurück. Sie erreichten die Leiter und ehe sie sich versah, hatte Finnick sie sich gepackt und sie saß wieder an Deck. Finnick tauchte fast sofort neben ihr auf. „Ist dir etwas passiert?“ Hektisch strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. Er musterte sie prüfend und zog sie an sich heran. Seine Arme waren wie ein Schraubstock, die Annie an seinen nackten Oberkörper pressten. Perplex ließ Annie sich die Umarmung gefallen. Sie musste unbedingt öfter über Bord gehen. „Hast du dir etwas getan? Ich dachte, du machst wieder einen Aprilscherz.“ „Mir ...“, setzte Annie zu einer Antwort an, aber Finnick hinderte sie daran auszusprechen. Ohne Vorwarnung zog er ihr das Top mitsamt Häkeltunika über den Kopf. Erschrocken verschränkte Annie die Arme vor ihren Brüsten. Sie trug einen rosa Schleifchen-BH! Wenn sie darüber nachgedacht hatte, wie es wäre, wenn Finnick sie auszog, dann war das etwas anders gewesen. Sie hatte schönere Unterwäsche getragen. Sexy Wäsche. Weniger Rosa und Schleifchen. In ihren Tagträumen hatte Finnick ihr allerdings auch nicht panisch die Klamotten herunter gerissen um nachzusehen, ob sie verletzt war. Ungeachtet ihrer Reaktion untersuchte Finnick ihre Seite. Sie zitterte und hatte Gänsehaut. Und das nicht nur, weil sie mittlerweile doch fror. „Das gibt einen blauen Fleck“, stellte er fest. Seine Hand lag auf der Stelle, an der sie sich an der Reling gestoßen hatte. „Das ist nicht schlimm“, meinte Annie hilflos. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. In ihr nahm der sehnsüchtige Wunsch Gestalt an, dass er seine Hand nur ein Stück höher schob. Sie wusste nicht wie sie weiter atmen sollte. Wenn er sie jetzt ansah … Annie wich seinem Blick aus und entdeckte die Angel, die sie an Bord gerettet hatte. „Ich hab die Angel gerettet“, sagte sie und hielt die Angel hoch. Finnick wandte überrascht den Kopf und fing an zu lachen. „Das ist die Hauptsache, Annie.“ Finnick streichelte ihr über die Wange. „Es tut mir leid, dass ich nicht reagiert hab. Ich dachte du machst einen Aprilscherz. Dann warst du das mit den Muffins auch nicht?“ Endlich glaubte Finnick ihr. Annie lächelte ihn erleichtert an. Ihr unfreiwilliger Sturz ins Wasser hatte damit einen positiven Nebeneffekt. „Nein“, bestätigte sie ihm. „Ich hab die Muffins nicht gebacken.“ „Was ist mit dem Brühwürfel und der Farbe im Shampoo?“ Annie schüttelte den Kopf. Finnick erzählte ihr davon, wie er beim Duschen plötzlich Brühe abbekommen hatte. Er hatte sich mehrmals duschen müssen bis er den Geruch los geworden war. In seinem Shampoo war rote Farbe gewesen, die er nach einer Stunde waschen erst wieder raus bekommen hatte. „Die Zahnpasta unter der Türklinke?“, fragte Annie nach. „Das Klebeband am Wasserhahn? Und das Salz in der Zuckerdose?“ „Du dachtest, ich hätte die Aprilscherze gemacht?“, beantwortete Finnick ihre Frage mit einer Gegenfrage. „Dann war es tatsächlich Mags!“ Finnicks Gesichtsausdruck wurde empört. „Die Nesseln müssen ab“, sagte Finnick, nachdem er sich halbwegs wieder ein bekommen hatte. Er war restlos empört darüber, dass Mags in diesem Jahr Aprilscherze machte. Das hatte sie nie getan und er wiederholte wieder und wieder, dass er das unmöglich und gemein fand. Annie betrachtete die Spuren der Feuerqualle an ihren Armen und Beinen. Sie sah furchtbar aus. Zum Glück hatte Annie sich bei Mags abgeschaut, alles an Kräutern in ihrem Garten anzupflanzen, was sie irgendwie bekommen konnte. Sie versuchte sich auch regelmäßig an Gemüse und Obst, aber manche Sorten vertrugen das Klima in Distrikt 4 nicht gut. Von Mags hatte sie auch ein Rezept für eine Kräuterpaste. Damit würde sie später Umschläge machen. In einer Woche wären die Spuren ihrer Begegnung mit der Feuerqualle verschwunden. Die Umschläge halfen sehr gut gegen den Juckreiz und das Brennen. Annie musste sich regelrecht zwingen ihre Arme und Beine nicht anzufassen und zu kratzen. Finnick hatte etwas holen wollen, das half. Sie fragte sich bereits wo er blieb, als er endlich zurück kam. „Wir müssen die Nesseln mit Salzwasser abwaschen“, sagte Finnick und stellte zwei Eimer mit Wasser neben ihr ab. „Salzwasser ist für die Nesseln die gewohnte Umgebung. Dann platzen sie nicht auf und dann wird es nicht schlimmer“, erklärte er. Annie nickte. Sein Blick glitt zu ihren Beinen. Dort wo die Feuerquallen sie erwischt hatten, hatte sie rote Striemen. „Das Wasser ist etwas kalt“, warnte er und ging vor ihr in die Knie. Ganz vorsichtig, als hätte Finnick Angst sie zu berühren, wusch er die Nesseln mit dem Salzwasser und einem Tuch ab. Annie biss die Zähne aufeinander. Es brannte und juckte wie verrückt. „Geht's?“, fragte Finnick besorgt. Er sah zu ihr hoch. Annie nickte. Sie atmete schwer aus. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. „Ich kann mir nur Schöneres vorstellen, als im April ins Wasser zu fallen und Feuerquallen zu begegnen.“ Finnick wusch ihr die restlichen Nesseln von den Beinen, aber als sie ihm helfen wollte seinen Oberkörper zu waschen, lehnte er ab. „Ich bekomme das hin“, erklärte Finnick entschieden. „Geh lieber in die Kajüte und wickel dich in die Decke ein.“ Annie schüttelte den Kopf. Er hatte die Striemen und Nesseln überall am Oberkörper, während bei ihr Arme und Beine betroffen waren. An seinem Rücken kam er nicht an die Nesseln dran. Er brauchte ihre Hilfe, ob er wollte oder nicht. Annie nahm einen neues Tuch und tauchte es in das Salzwasser. „Jetzt hör auf den Helden zu spielen“, antwortete Annie energisch. Sie hoffte, dass er jetzt auf sie hörte. Bei Mags klappte es ganz gut, wenn sie energisch mit Finnick sprach und Annie wollte ihm nur helfen. „Setz dich oder knie dich hin. Ich komm nicht richtig dran, wenn du stehst.“ Finnick machte ein überraschtes Gesicht und Annie stemmte die Hände in die Hüften. Er stöhnte genervt auf, aber schließlich gab er nach und kniete sich hin. „Du bist streng“, beklagte Finnick sich. Er fluchte, als er bemerkte wie kalt das Meerwasser war. „Ist nur zu deinem Besten. Entspann dich“, wies Annie ihn an. Seine Muskeln waren zum Zerreißen angespannt, aber wenn überhaupt, verkrampfte er sich noch mehr. „Du hast heute eine Jungfrau in Nöten gerettet, Finnick. Ich verrate es auch keinem, wenn der Held sich jetzt von mir helfen lässt.“ „Gut“, antwortete Finnick betont lässig. „Sonst machst du mir mein Image kaputt.“ Annie kicherte. Sie wusste wie unangenehm das war. Da konnte Finnick lange so tun als wäre das nichts. Es musste auch bei ihm unangenehm sein. Wind kam auf und sie zitterte, während sie Finnicks Rücken von den lästigen Nesseln befreite. Sie wollte nach Hause. Ob es übertrieben war, wenn sie zu Hause den Kamin im April noch mal anmachten? Annie wusch behutsam die Nesseln von Finnicks Schultern. Sein Rücken war bereits fertig. Sie tauchte den Lappen wieder in den Eimer, als Finnick ihr Handgelenk fest hielt. „Deine Lippen sind ganz blau, Annie“, bemerkte er besorgt. „Den Rest schaff ich alleine. Du gehst rein und holst dir die Decke, bevor du krank wirst.“ „Frierst du nicht?“, fragte Annie. Er war auch im Wasser gewesen. Ihm musste doch auch kalt sein. „Mir ist nicht kalt“, behauptete Finnick als könnte er ihre Gedanken lesen. „Ich bin der Mann und du bist die Frau. Männer machen sowas. Sie überlassen der Frau die einzige Decke.“ „Das ist doch …“ Annie wollte widersprechen, aber Finnick schüttelte den Kopf. „Im Gegensatz zu dir habe ich ein trockenes Shirt, Annie“, sagte Finnick und stupste ihr mit dem Finger auf die Nasenspitze. „Weißt du, wie du mir helfen kannst? Kannst du dieses Kräuterzeug machen, das Mags immer macht?“ Annie nickte lächelnd. „Wenn du zu Hause Feuer im Kamin machst“, entgegnete sie. Finnick lachte und zerstrubbelte ihre Haare. Empört versuchte sie ihn abzuwehren. Das hatte er ewig nicht getan. Finnick lachte weiter und nahm ihr den Lappen aus der Hand, bevor er sie in die Kajüte scheuchte. „Das hat nie jemand besser gemacht“, erklärte Finnick von sich selbst überzeugt, kaum das er ihren ersten Arm fertig einbandagiert hatte. Annie murmelte abwesend Zustimmung. Die Kräuterpaste kühlte und linderte den Juckreiz. Das tat gut. Die Kräuterpaste hatte sie gleich als Erstes gemacht, nachdem sie bei Finnick zu Hause gewesen waren. Sie hatte es mit Finnick nur wesentlich schwerer als er mit ihr. Er wollte die ganze Zeit seinen Kakao trinken, dabei sollte er die Arme links und rechts ab strecken, damit sie Umschläge um seinen Oberkörper machen konnte. „Du siehst lustig aus“, fand Finnick, nachdem Annie mit ihm endlich fertig geworden war. „Wie eine Klopapiermumie.“ Annie warf ihm einen bösen Blick zu. Sie wusste, sie hätte ihm dieses Kinderfoto von sich nicht zeigen dürfen. Ihr Bruder hatte sie einmal in Klopapier eingewickelt. Da war Annie drei Jahre alt gewesen. Mit drei Jahren hatte sie das für eine witzige Idee gehalten. „Eine niedliche Klopapiermumie.“ Finnick fing an zu lachen. „Weißt du, wie du aussiehst?“, erwiderte Annie und streckte ihm die Zunge raus. Sie wollte weg, als Finnick sie packte und an den Seiten kitzelte. Lachend schlug Annie um sich. Sie fiel fast vom Sofa, dabei rutschte ihr Top hoch. Augenblicklich stellte Finnick sie wieder auf die Füße. Er angelte nach ihrem Bademantel und hielt ihn ihr hin. „Zieh den Bademantel an. Es ist kalt.“ Zusätzlich zum Bademantel drehte Finnick ihr gleich noch eine Decke an. Annie hatte die leise Ahnung, dass es zwecklos war abzulehnen. Sie trank ihren Kakao in kleinen Schlucken, während ihr langsam wieder warm wurde. Annie schaute ihm von der Seite zu. Er war in Gedanken und spielte an dem Gürtel von seinem Bademantel. „Es ist gemein“, beklagte Finnick sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mehr denn je aus wie ein schmollender Junge. Annie war versucht ihm tröstend über den Kopf zu streicheln. „Was denn?“ „Wenn du die Aprilscherze gemacht hättest, würde ich mich an dir rächen“, überlegte Finnick laut. Sie schaute ihn empört an. „Gut, bei dir nicht. Du bist ein Mädchen und bei Mädchen macht man sowas nicht, aber bei Johanna würde ich das machen. Ich würde ihr ganz gemeine Streiche spielen. Ich würde Badeschaum in ihr Klo machen. Ich hab mal gehört, dass dann ganz viel Schaum beim Abspülen aus dem Klo kommt.“ Annie stellte sich bildlich vor was mit dem Klo und dem Badeschaum passierte. „Das ist ekelig. Man spült ab, wenn man auf dem Klo war. Dann kommt das doch auch mit raus“, sagte sie und verzog angewidert das Gesicht. „Willst du Mags etwa Badeschaum ins Klo machen?“ „Eben nicht!“, fluchte Finnick ärgerlich. „Ich würde gerne, aber ich kann nicht. Mags ist eine alte Frau. Da macht man das nicht.“ Finnick machte eine Pause und seufzte schwer. „Das ist gemein, dass ich sie nicht zurück ärgern kann. Ich will ihr auch Senf in Muffins machen.“ Er musste gar keinen Senf in Muffins machen damit sein Gebäck ungenießbar war. Finnick konnte nicht backen, aber das sagte Annie lieber nicht. „Wenn sie heute Essen kocht, dann esse ich nichts“, entschied Finnick. „Wir können ihr nicht trauen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)