Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 30: Dunkel war´s… (Enter Gott) -------------------------------------- Maisy und ich schreien, Louis packt mich und reißt mich hinter der Wand zu Boden. Ich presse meine Hände auf meine Ohren und kneife die Augen zu, der Lärm ist ohrenbetäubend. Ich kann Louis Atem gleich neben meinem Ohr spüren. Er zittert. Als ich keine fallenden Steinbrocken mehr höre, öffne ich vorsichtig die Augen und huste, als mir eine Staubwolke entgegen kommt. Eine Weile bleiben wir in Schockstarre auf dem Boden liegen. Mein Herz pocht so stark, dass es mir jeden Moment aus der Brust springen müsste, aber als Louis sich erhebt, folge ich seinem Beispiel. Allmählich lichtet sich der Staub und offenbart nichts als vollkommene Dunkelheit. Ich taste mich die Wand entlang bis zum Ausgang, vergeblich. Statt der schmalen Öffnung blockiert ein Haufen Schutt unseren Ausweg. „Das kann nicht sein“, flüstere ich und taste den Haufen ab. Dann laufe ich die gesamte Wand ab. Keine Chance. Wir sind eingesperrt. Lebendig begraben. Ich drehe mich zu den Anderen um, die ich nur an ihrer Atmung und dem Scharren ihrer Füße ausmachen kann. „Der Durchgang ist blockiert.“ Louis stöhnt und jemand lässt sich zu Boden sinken. Ich blinzele mehrmals, aber wie ich es auch versuche, meine Augen sehen absolut gar nichts. „Was jetzt?“, fragt Maisy leise, während ich mich vorsichtig zu den Beiden vortaste. „Niemand erwartet uns zurück. Prof. Stein steckt mit den beiden Rockets unter einer Decke, unsere Pokémon sind bei ihm und wir sind eingesperrt.“ Bei dem Gedanken an Sku, die jetzt in ihrem Pokéball im Tresor auf mich wartet, wird mir augenblicklich übel. „Es muss einen Weg hier heraus geben“, sage ich entschieden. „Ich bin Team Rocket schon Mal entkommen, dieses Mal schaffen wir es auch.“ „Abby hat Recht“, sagt Louis leise. „Wir müssen positiv denken. Die Ruinen scheinen alle irgendwie miteinander verbunden zu sein. Wenn wir weitergehen, finden wir vielleicht einen anderen Weg.“ Maisy sagt nichts. Ich kann ihren Zweifel verstehen. Ab hier ist nichts mehr ausgeschildert und nicht nur das. Wir haben keine Lichtquelle. Außer… „Wir können unsere Handys benutzen“, schlage ich vor. „Die haben eine Taschenlampenfunktion.“ „Wenn wir die benutzen, brauchen wir aber unseren Akku sehr schnell auf", erwidert Louis. „Wäre es nicht klüger, einen Ort zu finden, der Empfang hat und dann Hilfe zu holen?“ „Wir sind mehrere Meter unter der Erde.“ Maisys Stimme hat ihren üblichen gut gelaunten Ton verloren. „Ich bezweifle, dass wir hier unten Empfang haben.“ „Mal wieder…“, fluche ich und hole mein Handy aus meiner Tasche. Maisy hat Recht. Keiner der Balken ist voll. Und mein Akku ist auch schon gefährlich niedrig. Ich habe mein Handy zuletzt am Dienstag aufgeladen, als wir in Azalea City waren und seitdem zwei Anrufe geführt. Er wird noch maximal ein oder zwei Stunden durchhalten. „Was machen eure Akkus?“, frage ich trotzdem und zwei Gesichter tauchen gespenstisch leuchtend in der Dunkelheit auf. „Ein paar Stunden.“ erwidert Louis geknickt und Maisy nickt. „Ich auch.“ „Verdammt.“ Das Handylicht verschwindet und wir finden uns wieder in vollkommener Finsternis. „Es hilft nichts, wenn wir hier raus wollen, müssen wir vorwärts“, sage ich schließlich. „Abby, wir haben zwei oder drei Stunden Akku übrig. Mit Taschenlampenfunktion vielleicht eine Stunde. Also haben wir drei Stunden, um einen Weg durch dieses Labyrinth zu finden? Das schaffen wir nie im Leben!“ „Vielleicht nicht, aber wir haben keine Wahl, oder?“, kontert Louis, seine Füße scharren über den Boden und plötzlich spüre ich seinen Arm, der meine Schulter streift. „Wir können Markierungen an Gängen machen, die wir schon abgelaufen sind und uns aufteilen, vielleicht schaffen wir es dann.“ „Aufteilen ist keine gute Idee“, sage ich. „Dann muss jeder sein Handy benutzen und im schlimmsten Fall verlieren wir uns.“ „Was immer wir machen, wir sollten damit so schnell wie möglich anfangen. Wir haben nur Wasser dabei, kein Essen und nachts wird es hier unten sicherlich nicht kuschlig warm.“ „Fuck…“, murmelt Maisy, dann höre ich, wie sie aufsteht und zu uns kommt. „Also gut, suchen wir einen Ausgang.“   Die Zeit vergeht schleichend. Mit nur einem Lichtstrahl ist es mühsam, die Räume nach Ausgängen und Leitern abzusuchen und mehr als einmal laufen wir gegen eine der Statuen oder stolpern über eine zerbrochene Bodenplatte. Louis´ Handy gibt seinen Geist nach etwas weniger als einer Stunde auf. Wir haben nicht einmal drei Räume abgearbeitet. Je tiefer wir in die Ruinen vordringen, desto stickiger und staubiger wird die Luft und ich zwinge mich, nur kleine Schlucke aus meiner Wasserflasche zu nehmen. Wir wissen schließlich nicht, wie lange wir hier unten noch festsitzen. Mein Handy ist als nächstes dran. Ich gehe vor und leuchte mit dem kleinen Lichtstrahl den Boden vor uns und die Wände des Raumes ab. Dann tasten wir uns langsam vor. „Ist da ein Durchgang?“, fragt Louis und ich schwenke über die Wand, bis auch ich den schmalen Spalt erkenne. „Könnte sein“, meine ich. „Dicht hinter mir bleiben.“ Wir weichen mehreren Löchern im Boden und einer umgefallenen Statue aus und erreichen schließlich die Stelle. Louis hatte Recht. Der Durchgang ist sehr schmal, aber mit etwas Bauch einziehen könne wir uns alle hindurch zwängen. „Abby?“, unterbricht Maisy die angespannte Stille nach einer Weile und ich sehe kurz in ihre Richtung, bevor ich weitergehe. Wir dürfen keine Minute des Lichts verschwenden. „Was gibt´s?“ „Was ist meinem PokéCom? Vielleicht können wir damit irgendetwas anstellen.“ „Wir können es probieren, aber ich bezweifle, dass uns das was hilft“, murmele ich, dann gebe ich Louis mein Handy und krame den PokéCom aus meiner Gürteltasche. Als ich die Kopfhörer einstecke und das Radio einschalte, höre ich nur ein kratziges Rauschen. „Nichts“, sage ich und schalte versuchsweise durch alle Frequenzen. „Nein, warte. Auf 13,5 sind komische Geräusche.“ Ich lausche angestrengt. „Eine Melodie oder so, aber sie ist ziemlich gruselig.“ „Wenn wir hier unten keinen Empfang haben, dann können wir den PokéCom als Richtungsweiser benutzen“, schlägt Maisy vor und ich nicke. „Also immer in die Richtung, in der die Störung nicht ganz so schlimm ist“, sagt Louis. „Das ist doch schon mal ein Plan.“ „Die Frage ist, wie weit wir gehen müssen“, füge ich hinzu. „In jedem Fall müssen wir nach Leitern Ausschau halten, die nach oben führen“, sagt er und ich nicke, bis mir einfällt, dass man mich kaum sehen kann. „Also weiter.“   Unsere Idee hilft uns, so schön sie klingt, nicht weiter, denn egal wie weit wir in die Ruinen vordringen, das Radio empfängt weiterhin nichts als undefinierbares Rauschen und die Gruselmusik auf Kanal 13,5. Schließlich ist auch mein Akku leer und wir kämpfen uns eine Weile ohne Licht vorwärts, bevor wir aufgeben und Maisys Handy aktivieren. Wir haben noch eine Stunde – und wir haben gerademal eine Leiter gefunden, die nach oben führt. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, aber ich spüre, dass die anderen genauso wenig Hoffnung haben wie ich. Zuerst dachte ich, dass Mel und Teal ein großes Risiko damit eingehen, uns nicht sofort umzubringen, aber jetzt verstehe ich, warum sie so vorgegangen sind. Es würde mich nicht wundern, wenn man unsere Leichen erst Jahre später findet. Wir sind erschöpft, wir sind durstig und als Maisys Handy schließlich von einem Moment auf den anderen ausgeht und uns in absoluter Schwärze zurücklässt, lasse ich mich resigniert zu Boden sinken, die Arme um meine Knie geschlungen. „Wir werden sterben“, flüstert Louis und setzt sich neben mir auf den kalten Stein. „Ohne Licht finden wir hier nie im Leben raus.“ „Wir finden schon einen Weg“, sage ich, aber es klingt alles andere als überzeugend und Maisy schnaubt leise. „Yeah, right.“   Es muss einen Weg geben. Es muss! Ich laufe die Wände ab, taste mich Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Ich bin Team Rocket einmal entkommen, ich werde es wieder schaffen. Schließlich spüre ich eine Kante in einer der Wände. Ein Durchgang? Ich befühle die Stelle. Tatsächlich. „Leute!“, rufe ich. „Ich habe den nächsten Raum gefunden!“ Keine Antwort. „Bitte nicht das noch…“, flüstere ich und lausche in die Stille hinein. Nichts. Ich kann Louis und Maisy nicht mehr hören. Wir hatten uns doch nicht zu weit voneinander entfernen wollen, verdammt! Ich traue mich nicht, die Wand loszulassen, zum einen, weil sie meine einzige Orientierung ist, zum anderen, weil ich nicht sicher bin, wie schnell ich den angrenzenden Raum wieder finden kann. „Louis! Maisy!“ Ich horche in die Dunkelheit hinein. Statt einer Antwort höre ich ein Scharren. Ein Scharren, das eindeutig aus dem nächsten Raum kommt. Ich sollte die anderen suchen, aber das Geräusch lässt mir keine Ruhe. Ich taste mich durch den Durchgang und mache vorsichtig einen Schritt in den Raum hinein. Das Scharren wiederholt sich, näher dieses Mal. Es kommt von weiter hinten. Ich schaue zurück. Noch bin ich nicht weit von den anderen entfernt. Soll ich umkehren? Ein Licht flackert auf und ich kneife reflexartig meine Augen zu, das grelle Licht nicht mehr gewöhnt. Als sich meine Augen an das Flackern gewöhnt haben, entdecke ich einen gigantischen Schatten an der gegenüberliegenden Wand und dem Boden davor. „Oh mein Gott…“, flüstere ich und gehe auf das Licht zu. Nach über vier Stunden des Umherirrens kommt mir die Lichtquelle wie ein Wunder vor. Dann bewegt sich der Schatten und wandert über die Wand und den Boden, bis sein echter Körper hinter einer der Pokémonstatuen auftaucht. Es ist ein Pokémon. Es ist klein. Und es ist eines, das ich nie im Leben in den Alph-Ruinen erwartet hätte. Das Feurigel schnuppert mit der spitzen Nase in der Luft, dann dreht es den Kopf in meine Richtung. Das Feuer auf seinem Rücken erlischt. Ich starre in die Richtung, in der das Feurigel auf dem Boden kauert und lausche auf das Scharren seiner kleinen Füße. Als ich nichts höre, taste ich mich Stück für Stück vor, bis ich nur noch wenige Meter von dem Feuerpokémon entfernt bin. Dann gehe auf die Knie und krabbele zu dem Feurigel hinüber. Meine Finger greifen in meine Gürteltasche und suchen einen Pokéball, aber dann halte ich inne. Was hatte die Frau in der Lotterie noch gleich gesagt? „Der Finsterball. Bei Nacht, in Höhlen oder bei anderweitig verursachter absoluter Dunkelheit vervierfacht sich seine Wirkung. Damit ist er doppelt so effektiv wie zum Beispiel ein Hyperball.“ Ein breites Grinsen stiehlt sich auf mein Gesicht und taste nach den charakteristischen Erhebungen auf dem Finsterball. Es ist Schicksal. Es muss Schicksal sein. Ich ziehe den Finsterball aus meiner Tasche und mache meine Augen so weit auf, wie ich nur kann. Vergebens. Ich weiß ungefähr, wo das Feurigel ist, aber ich möchte den Ball ungerne blind werfen. „BUH!“, schreie ich und sein Feuer erwacht für einen kurzen Moment zischend zum Leben, aber das genügt, um mir zu zeigen, wo Feurigel sich schützend eingerollt hat. Ich werfe den Finsterball auf das erschrockene Pokémon, beobachte, wie das rote Licht den ganzen Raum erfüllt und dann erlischt. Der Finsterball klackert, als er auf dem Steinboden hin und her rollt. Ich kann kaum atmen, so aufgeregt bin ich. Ein Feurigel! Vielleicht schaffen wir es doch noch, die Ruinen lebend zu verlassen. Das Klackern wiederholt sich einige Male, dann hört es auf. Der Ball rollt in meine Richtung und prallt gegen mein Knie. Ich nehme ihn an mich und wiege ihn zufrieden in meinen Händen. Dann rufe ich das Feurigel. Der rote Lichtblitz erleuchtet ein zweites Mal die dunkle Ruinenkammer und im nächsten Moment steht das Feurigel vor mir, seine Augen zusammengekniffen, das Feuer auf seinem Rücken schwach glühend. Am liebsten hätte ich vor Freude geweint. „Hallo Kleiner“, flüstere ich und halte dem Pokémon meine Hand hin. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dich hier getroffen zu haben.“ Das Feurigel fiept und schnuppert an meiner Hand, dann setzt es sich auf die Hinterbeine und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. „Hast du einen Namen?“, frage ich und es fiept erneut. Ich schaue den kleinen Kerl lange an. „Gott“, sage ich schließlich. „Von heute an bist du Gott. Willkommen im Team.“ Ich grinse. „Naja, der Rest des Teams ist gerade nicht hier, aber darum kümmern wir uns später. Kannst du dein Feuer etwas aufdrehen?“ Gott schaut mich weiterhin mit schiefem Kopf an, dann lässt es sich wieder auf alle Viere fallen und das Feuer auf seinem Rücken wächst zu einer handhohen lodernden Flamme heran. Mit einem Mal ist die ganze Ruine in rotorangenes Licht gehüllt. „Das ist so viel besser als unsere Handys…“, murmele ich und stehe ich auf. „Also gut, Gott, wir müssen zwei meiner Freunde finden. Sie sind irgendwo da hinten.“ Gott fiept, dann läuft er los. „Louis! Maisy!“, rufe ich so laut ich kann und halte Ausschau nach einem Zeichen der beiden. Sind sie immer noch in dem anderen Raum? Gott läuft dicht neben mir, sein Feuer wirft tanzende Schatten an die Wände und erweckt die Statuen zum Leben. „Louis!“ Keine Antwort. „Maisy!“ Wir durchqueren den Raum und erreichen den nächsten Gang. Gott fiept laut und ich rufe erneut. „-by? Abby!“ Es ist Maisys Stimme und ich folge dem Geräusch, bis ich sie in einem angrenzenden Raum entdecke. Die beiden sind wohl in eine andere Richtung gegangen als ich und haben gedacht, ich wäre bei ihnen. „Fuck, wir dachten, wir hätten dich verloren!“, ruft sie und ich gehe durch den kleinen Durchgang in den anderen Raum. „Ich habe Verstärkung mitgebracht“, sage ich grinsend, als Feurigel und ich ins Sichtfeld der Beiden kommen. Sie schauen den Kleinen mit offenen Mündern an. „Wo hast du den denn aufgetrieben?“, fragt Louis perplex und kommt auf mich zu. Als er Feurigel streicheln will, züngelt sein Feuer in die Höhe und er zischt misstrauisch. „Alles okay, Gott, das sind Freunde von mir.“ Er schaut mich skeptisch an, lässt sein Feuer aber wieder auf normale Größe schrumpfen. „Gott? Merkwürdiger Name“, meint Maisy, aber ihr Lächeln ist wieder zurück. Diesen Hoffnungsschimmer haben wir wirklich gebraucht. „Ich finde, er passt“, entgegnet Louis breit grinsend und bedenkt Gott mit einem wohlwollenden Lächeln. „Ohne ihn wären wir ziemlich am Arsch.“ „Aber was macht ein Feurigel hier?“, fragt Maisy. „Professor Lind hält die Starterpokémon in seinem Labor in Neuborkia.“ „Vielleicht ist eins abgehauen?“, mutmaße ich und schaue Gott fragend an, aber der schaut weiterhin feindselig in Louis´ Richtung. Oh Mann. „Mich wundert eher, dass das Feurigel es bis hier unten geschafft hat“, sagt Maisy schließlich. „Er sieht nicht so aus, als könne er Leitern hoch und runter klettern.“ Wir sehen Gott gleichzeitig an, der unter unseren Blicken nervös sein Feuer emporzüngeln lässt. „Du hast Recht.“ Warum ist mir das nicht schon früher eingefallen? „Wisst ihr, was das bedeutet?“ Louis schaut mich fragend an, aber Maisy nickt. Ihre Augen leuchten orange im Schein des Feuers. „Es bedeutet, dass Feurigel einen anderen Weg als wir genommen hat, der weniger Leitern beinhaltet, obwohl es denselben Eingang wie wir verwendet hat.“ „Also gibt es eine andere Route?“, fragt Louis, während sein Grinsen immer breiter wird. „Prof. Stein hat vermutlich nur eine der Routen ausgeschildert, die für Touristen gut begehbar ist. Wenn wir Gotts Weg folgen, komm wir hier bestimmt raus!“ „Dann sollten wir uns beeilen“, schlägt Maisy vor. „Bevor unser Wasser ausgeht. Ich weiß nicht, wie lange ich diese staubtrockene Luft noch ertrage.“ Ich gehe in die Hocke und nehme Augenkontakt zu Gott auf. „Kannst du dich an den Weg erinnern, auf dem du hier runter gekommen bist?“, frage ich und er schaut mich fragend an. „Kannst du uns aus den Ruinen führen?“ Gott fiept, dann dreht er sich um und läuft los, die Nase dicht über dem Boden. „Oh yeah!“, ruft Maisy und läuft hinterher, dicht gefolgt von Louis und mir.   Räume, für die wir zuvor 20 Minuten oder mehr gebraucht haben, durchqueren wir jetzt in wenigen Minuten und dank Gotts Feuer müssen wir keine Angst mehr vor plötzlich auftauchenden Löchern oder Statuen haben. Manchmal bleibt Gott stehen und läuft einige Minuten im Kreis, bis er seine Spur wiederfindet, aber diese kleinen Herzinfarkte verkrafte ich. Ohne ihn würden wir schließlich ziemlich alt aussehen. "Was wollt ihr eigentlich in Viola City machen?", frage ich nach einer langen Zeit der Stille, in der nur Gotts Schnüffeln und das Scharren unserer Füße über spröden Stein zu hören sind. Maisy grinst breit. "Ich will Falk herausfordern." "Echt?", frage ich überrascht. "Ich wusste nicht, dass du Orden sammelst. Wie viele hast du schon?" "Bisher nur den von Kai, aber ich möchte wenigstens die Arenaleiter in den angrenzenden Städten besiegen. Vielleicht habe ich sogar Zeit für Bianka und Jens, wenn ich stärker bin." "Das wäre cool", gebe ich zu. "Aber warum willst du die Orden, du wolltest doch Kurts Werkstatt übernehmen." "Werde ich auch." Sie verschränkt die Hände hinter ihrem Kopf. "Aber das hält mich nicht davon ab, meine Fähigkeiten gegen starke Trainer zu testen. Orden sind ein Zeichen deiner Stärke. Ich hätte einfach gerne ein paar." "Kann ich verstehen", sagt Louis und grinst breit. "Orden zu besitzen gibt dir ein richtig gutes Gefühl. Als könnte niemand es mit dir aufnehmen." "Hm." Ich denke wieder an die drei Trainer, von denen man mir erzählt hat. Starke Trainer. Trainer ohne Orden. "Und du, Louis?" "Ich habe Falks Orden schon, aber ich denke, ich bleibe trotzdem eine Weile dort. Ethan kann Training in dem angrenzenden See gut gebrauchen, wenn ich gegen Bianka gewinnen will." "Vielleicht kann ich Gott ein wenig trainieren", stimme ich zu. "Wenn er wirklich von Prof. Lind weggelaufen ist, kann er kaum über Level 5 sein." "Wie spät ist es eigentlich?", fragt Maisy dann und ich schaue auf mein Handy, bis mir einfällt, dass ja alle unsere Akkus leer sind. "Keine Ahnung", sage ich niedergeschlagen. Aber wir waren mindestens zwei Stunden hier unten plus vier Stunden umherirren..." "Also früher Nachmittag", folgert Maisy und ich nicke. Louis stöhnt. "Kein Wunder, dass ich so Hunger habe. Ich könnte ein Rihorn verdrücken!" "Daran beißt du dir nur die Zähne aus", sage ich gutmütig und er lacht. "Ja, wahrscheinlich." "Guys." Ich schaue auf und entdecke eine Steinwand, die vor uns in die Höhe ragt. Ein schmaler, treppenartiger Pfad führt daran in die Höhe, aber die Stufen sind mehr oder weniger senkrecht. Ich schlucke. Gott bleibt vor der Wand stehen und setzt sich auf seine Hinterbeine. "Da hoch?", frage ich vorsichtshalber nach, aber er fiept nur zustimmend. "Na toll." "Komm schon, du wirst dich doch jetzt nicht von einer kleinen Kletterpartie einschüchtern lassen." Louis klopft mir auf die Schulter. "Wir helfen dir, da hoch zu kommen, keine Sorge." "Ich zuerst, ich kann sie von oben hochziehen." Maisy nimmt Anlauf, dann sprintet sie auf die Wand zu, macht einige Schritte den Stein hinauf und reckt sich nach einer der Stufen. Sie zischt, als der scharfkantige Stein in ihre Finger schneidet, packt aber mit der anderen Hand die nächste Stufe und zieht ihre Füße nach. Innerhalb von zwei Sekunden hat sie über die Hälfte der Wand hinter sich gebracht. Sie klettert mit geübten Bewegungen weiter nach oben und erreicht nach nicht mal einer Minute die oberste Kante. Als sie sich hoch gezogen hat, steht sie leicht schnaubend auf und reibt sich die Finger. "Ich kann schon die Fackeln an den Wänden sehen!"l ruft sie zu uns hinunter. "Wir haben es fast geschafft!" "Los Abby, du bist dran", sagt Louis grinsend. "Ich bin kein Pokémon", murre ich, aber er lacht nur und schiebt mich zu der Steinwand. Dann stellt er sich in Räuberleiterposition davor. "Hoch mit dir." Ich seufze, dann setze ich einen Fuß auf seine gefalteten Hände, nehme Schwung und lasse mir von ihm einen Extraschub geben. Ich packe eine der Stufen und kralle meine Finger in den Stein. Es tut mehr weh, als ich dachte. "Gut, jetzt schön langsam", ruft Maisy zu mir hinunter und geht auf die Knie, eine Hand nach mir ausgestreckt. Was erwartet sie? Ich bin kaum zwei Meter gekommen. "Rechter Fuß nach rechts oben. Ja, genau da." Ich höre Louis Stimme unter mir und versuche, seinen Anweisungen so gut es geht zu folgen, ohne an mir hinunter zu gucken. Ich hasse klettern! "Jetzt der Linke, etwas höher, ja, genau da." "Zieh mit der Hand nach." "Halt dich enger an der Wand." "Rechter Fuß, genau." "Weiter nach links, nach links!" "Streck dich." "Pass auf, ich hab dich gleich." Ich hebe den Kopf. Meine Arme brennen, meine Finger sind taub und mir stehen die Tränen in den Augen. Unter mir geht es mehrere Meter in die Tiefe und ich kann mich kaum noch halten. Maisy liegt inzwischen auf dem Bauch, ihr Arm so weit es geht zu mir nach unten gestreckt. "Ein kleines Stück noch", beruhigt sie mich und ich beiße die Zähne zusammen. "Ich bin gleich hinter dir, Abby." Louis Stimme erklingt von unter mir. Er scheint mir nachgeklettert zu sein. "Ist okay, ich hab´s fast gesch-AAAHHH!" Ein Stück Stein splittert unter meinem neuen Griff von der Wand und ich rutsche ab, meine Füße schlittern den Stein nach unten. Nur meine rechte Hand hält mich noch fest. Und Louis Hand auf meinem Po. "Ganz.. ruhig... jetzt", keucht er und ich reiße mich zusammen, greife nach einer neuen Stufe und ziehe mich hoch. Dann strecke ich meine Hand aus und Maisy packt mein Handgelenk. Ich klettere mit meine Füßen weiter nach oben, während sie mich ätzend nach oben zieht. Ich bin kaum über die Kante, da lasse ich mich stöhnend auf den Boden sinken und starre meine zitterten Hände an. Die Innenseiten meiner Finger sind blutig. Wenige Sekunden später taucht Louis auf, der sich ebenfalls hinfallen lässt und schwer atmet. "Ich dachte, du reißt uns beide runter", keucht er nach einer Weile und ich kichere hysterisch. "Das war´s", verkündet Maisy und deutet auf den Gang, der sich vor uns eröffnet und am anderen Ende erleuchtet ist. "Ab da sollten wir ohne Probleme zurück kommen." Ich nicke, stehe auf und gehe zurück zu der Steinwand. Dann rufe ich Gott zurück, der immer noch unten sitzt und mich verängstigt anstarrt. Da dachte wohl jemand, ich würde ihn zurück lassen. Dummes Kerlchen. Der Rest des Weges ist ein Kinderspiel. Wir folgen den ausgeschilderten Gängen, dieses Mal mit weit weniger Enthusiasmus für die Statuen und Steintafeln an den Wänden. Wir sind an einem Punkt nahe des Eingangs ausgekommen und so dauert es nur knapp zwanzig Minuten, bis ich Sonnenlicht erkennen kann. Ohne ein Wort rennen wir los und bleiben erst stehen, als wir knirschenden Sand und kleine Steinchen unter unseren Füßen spüren. "Von mir aus kann die verdammte Ruine jetzt einstürzen. Hörst du, Ruine!", schreit Louis und ich tätschele seinen Arm, wo das Bibor ihn gestochen hat. "Nicht schreien, das führt nur zu mehr Katastrophen." erinnere ich ihn und er grinst mich verschämt an. "Maaaan, hab ich die Sonne vermisst...", flüstert Maisy, schließt die Augen und lässt sich wo sie steht auf den Boden nieder und bleibt auf dem Rücken liegen. "Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich will meine Tasche und meine Pokémon wieder haben." sage ich und Louis nickt. "Wenn Ethan und Winry irgendetwas passiert ist, kann dieser Steintyp sich warm anziehen." "Du solltest auf Team Rocket sauer sein, nicht auf ihn", sage ich leise. Er sieht mich fragend an. "Warum das?" "Weil er erpresst wurde", antwortet Maisy für mich und ich nicke. "Er hat eine kleine Tochter, schon vergessen? Wir hätten kaum anders gehandelt. Ich glaube, eigentlich ist er ein netter Mensch." "Trotzdem Abby. Wir hätten sterben können." "Denkst du, das weiß ich nicht?", frage ich zurück. "Aber letztendlich waren es Mel und Teal. Und als nächstes haben sie es auf Ruth abgesehen." "Hast du ihre Handynummer?", fragt Maisy  und ich schüttele den Kopf. "Wir waren nicht wirklich beste Freundinnen." "Vielleicht kann Holly sie kontaktieren", schlägt Louis vor. "Sie hat doch all unsere Kontaktdaten bei den Verhören abgefragt." "Stimmt, das wäre eine Möglichkeit." Ich verziehe das Gesicht. "Auch wenn ich keine Lust habe, sie schon wieder anzurufen. Das wird mir langsam peinlich." "Ich kann das machen, wenn du willst." "Das wäre lieb." "Alright!" Maisy steht schwungvoll auf und klopft sich die Erde von ihrer Hose. "Dann holen wir mal unsere Pokémon zurück." Als wir uns Prof. Steins Hütte nähern, kann ich ihn durch eins der Fenster sehen. Er arbeitet an einem seiner Labortische und scheint mit einer großen Steinplatte zu hantieren. Maisy erreicht die Tür als erstes und klopft. Die Stille zieht sich, bis die Tür schließlich vorsichtig geöffnet wird. "Ha-hallo!", begrüßt Prof. Stein uns und tritt zur Seite. "Ihr seid schon zurück?" "Schon?" Louis zieht die Augenbrauen hoch. "Wir waren fast sieben Stunden weg." "Ja, nun..." "Wir wollen unser Gepäck abholen", sage ich. "Und unsere Pokémon." Ich schaue ihm in die Augen. "Ja. Ja! Natürlich, euer Gepäck. Und die Pokémon!" Er öffnet die Tür weit und lässt uns hinein. "Hier steht alles, bitteschön. Der Tresor ist gleich hier." Ich hatte schon damit gerechnet, dass Mel und Teal unsere Sachen mitnehmen würden, aber alles ist so, wie wir es zurück gelassen haben. Die beiden dachten wohl nicht, irgendeinen Profit aus schmutziger Unterwäsche und herkömmlichen Pokémon schlagen zu können. Ich nehme meinen Rucksack mit drangehängten Inlinern und schnalle ihn mir auf den Rücken, dann hole ich Skus und Hunters Pokébälle aus dem kleinen Tresor. Ich will sie schon in meine Tasche zurück tun, da erwacht das Misstrauen wieder in mir. Ich gehe vor die Tür und rufe beide Pokémon. Hunter schießt aus dem roten Lichtstrahl in die Luft und flattert krächzend mit seinen gewaltigen Flügeln, während Sku sofort in meine Richtung rennt. Ich gehe in die Hocke, um ihre Umarmung zu erwidern, aber sie läuft geradewegs an mir vorbei und in den Schatten des Hauses. "Und um sowas habe ich mir Sorgen gemacht...", murmele ich und stehe auf. Hunter kreischt fröhlich und landet auf meinen Schultern. "Du bist schwer, verdammt", murre ich, aber als er seinen Kopf an meine Wange reibt, lächle ich. Ich bin wirklich froh, die Beiden wieder zu haben. "Sagen sie mal, Prof. Stein", rufe ich in das kleine Häuschen und sein blasses Gesicht taucht im Türrahmen auf. "Wissen sie, ob Prof. Lind vor kurzem ein Feurigel entlaufen ist?" "Oh, ja!" Er nickt. "Vor ungefähr einer Woche. Er geht davon aus, dass es inzwischen einen Trainer gefunden hat und hat deshalb die Suche abgebrochen." "Gut zu wissen", sage ich grinsend. "So, wir gehen dann jetzt." "Ja, natürlich." Er schaut uns verwundert nach, als wir das Haus verlassen und uns zurück in Richtung Route 32 bewegen. "Und übrigens!", ruft Louis ihm aus der Ferne zu. "Die Beleuchtung in den nicht ausgeschilderten Teilen der Ruine ist ziemlich schlecht, die sollten sie nochmal überarbeiten!" "Ach was!", schreie ich ebenfalls. "Die halbe Decke ist doch eingekracht, da kommt eh keiner mehr hin!" "WAS?!" Prof. Steins Stimme ist mit einem Mal schrill. "WAS MEINT IHR DAMIT?" "Einen schönen Abend noch!", ruft Maisy und wir gehen lachend weiter. Ein bisschen Leid tut er mir schon. Aber nur ein bisschen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)