Am Tag ist es leicht von Niekas ================================================================================ Kapitel 14: Meute ----------------- „Wir müssen uns aufteilen“, sagt Shikaku ernst und sieht sich um. Er ist mit Abstand der Älteste der Gruppe, der einzige Jounin. „Ich brauche Aoba bei mir. Hayate kommt auch mit uns. Ihr werdet allein gehen. Ibiki, Tokara und Mizuki.“ Er überlegt kurz. „Ibiki ist euer Anführer. Solange ich nichts anderes sage, hört ihr auf ihn.“ „Verstanden“, erwidern sie einstimmig, und Ibiki kann nur daran denken, dass Mizuki fünf Monate älter ist als er und fünf Monate verdammt viel ausmachen, wenn man erst dreizehn ist und ungeduldig auf die Pubertät wartet. Trotzdem macht Shikaku ihn zum Anführer. Unwillkürlich muss er lächeln. „Der Abtrünnige muss sich irgendwo hier herum treiben, er kann den Wald noch nicht verlassen haben. Ihr drei werdet ausschwärmen und Alarm schlagen, sobald ihr ihn seht. Benutzt Täuschungsmanöver und Doppelgänger, begebt euch nicht in Gefahr. Versucht nicht, ihn selbst zu stellen. Er ist vermutlich allein, aber wir müssen ihn kriegen, bevor er Kontakt zum Feind aufnimmt.“ „Alles klar.“ „Zwanzig Minuten südlich von hier gibt es eine Schlucht, die der einzige Weg ist, diesen Wald zu verlassen. Aoba, Hayate und ich werden ihm dort eine Falle stellen.“ „Wir sind die Jäger“, erläutert Aoba. „Ihr seid die Hundemeute, die den Fuchs aus seinem Bau treibt.“ „Besten Dank auch“, sagt Tokara. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren“, knurrt Shikaku und wirft den beiden einen tadelnden Blick zu. „Gehen wir. Wir jagen ihn so lange, bis wir ihn haben.“ „Verstanden.“ Er dreht sich um, und Aoba und Hayate folgen ihm durch die Bäume. Ibiki sieht Mizuki und Tokara an und nickt. „Also los. Wer irgendeine Spur von ihm sieht, sagt sofort Bescheid.“ „Alles klar.“ Sie wenden sich in die andere Richtung und machen sich auf den Weg, immer in den Baumwipfeln, von Ast zu Ast. Eigentlich wäre es praktisch gewesen, Hayate dabei zu haben, überlegt Ibiki. Der Junge hätte einen guten Lockvogel abgegeben. Er ist zwar erst neun, aber unglaublich schnell und talentierter mit dem Katana, als man ihm ansieht. Aber auch mit Mizuki und Tokara wird es schon irgendwie klappen. „Seid vorsichtig“, zischt er den beiden zu. „Wir müssen unauffällig sein.“ „Ich denke, wir sind die Hundemeute“, sagt Mizuki. „Bringt doch nichts, wenn er uns gar nicht bemerkt.“ „Aber er sollte nicht sofort darauf kommen, dass wir ihn nur aus seinem Versteck treiben wollen.“ „Wie gefährlich ist er eigentlich?“, fragt Tokara und versucht, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Er ist nur Chuunin“, sagt Mizuki mit einem beruhigenden Lächeln in seine Richtung. „Er war verdorben genug, um zum Verräter zu werden, und falsch genug, dass niemand es gemerkt hat, bis es zu spät war“, entgegnet Ibiki düster. „Wir dürfen ihn nicht unterschätzen.“ Er betrachtet die Sonne und den vereinzelten Mooswuchs an den Baumstämmen. Sie bewegen sich nach Nordwesten fort. „Hast du irgendeinen Plan, Ibiki?“, fragt Tokara. „Oder suchen wir einfach wild drauflos?“ „Shikaku hat gesagt, diese Schlucht liegt im Süden. Wir gehen also zum anderen Ende des Waldes und suchen es ab. Danach bilden wir eine Art Menschenkette, wie bei einer Treibjagd.“ „Menschenkette mit drei Leuten.“ „Spar dir deine Sprüche, Mizuki.“ „War doch nur eine Feststellung.“ „Und deine Unschuldsmiene zieht bei mir auch nicht, also lass es.“ „Also, bilden wir jetzt eine Menschenkette mit drei Leuten?“, fragt Tokara, mittlerweile vollauf verwirrt. „Ja doch. Mit genug Doppelgängern werden wir das schon ...“ Ibiki bricht ab und hält auf dem nächsten dicken Ast an. Die anderen beiden landen neben ihm. „Was ist denn?“ „Wir haben ihn“, flüstert Ibiki und deutet nach rechts. „Da.“ Durch die dichten Blätter ist der Waldboden kaum zu erkennen, aber man kann einen blonden Haarschopf erahnen, dann den Rest des Körpers. Die blau-grüne Uniform der Chuunin tarnt den Abtrünnigen erstaunlich gut. Offenbar legt er gerade eine Pause ein. „Ibiki. Was machen wir jetzt?“, zischt Mizuki. „Du hältst dich zurück und gibst uns Rückendeckung, für alle Fälle. Tokara, du kommst mit mir.“ „Was machen wir?“ Ibiki grinst ihn an. „Das, was Shikaku gesagt hat: Alarm schlagen.“ Ohne weitere Worte macht er einen Satz auf den nächsten Ast und hebt die Stimme. „Er ist hier! Wir haben ihn!“ „Wir haben ihn!“, stimmt Tokara ein und folgt Ibiki. Der Abtrünnige wirft erschrocken den Kopf herum, auf die Entfernung ist sein Fluch nicht zu verstehen. Er reckt den Hals und sucht die Bäume nach weiteren Verfolgern ab. Als er nur die halbwüchsigen Jungen bemerkt, entscheidet er sich dafür, sie vor seiner Flucht zum Schweigen zu bringen. Er schleudert einen Schwarm Kunais in Ibikis Richtung, schließt blitzschnell einige Siegel und zielt mit einem Wasserjutsu auf Tokara, der bereits auf dem Waldboden gelandet ist und hastig hinter einem Baumstamm Deckung sucht. „Bringt ihn nicht um!“, brüllt Ibiki, weicht ohne Schwierigkeiten den schlecht gezielten Kunais aus und wirft einen Blick zurück zu Mizuki, der mit fliegenden Fingern seine Shuriken hervorgezogen hat. „Ziel auf seine Beine, Mizuki! Bringt ihn nicht um!“ Er springt von seinem Ast, landet einige Meter weiter unten auf dem Waldboden, rollt sich ab und rennt weiter. Tokara war geistesgegenwärtig genug, sich einige Doppelgänger zu schaffen, die in verschiedene Richtungen flüchten. Der Abtrünnige greift sie erneut mit einem gezielten Wasserstrahl an. Zwei lösen sich in Staub auf, nur der echte Tokara stolpert und fährt herum, Todesangst auf dem Gesicht. Er hat Kunais in beiden Händen. „Bringt ihn nicht um!“ Im Rennen versucht Ibiki fieberhaft, die nötige Konzentration für ein Genjutsu aufzubringen. Ein paar von Mizukis Shuriken zischen haarscharf an ihm vorbei, und der Abtrünnige dreht sich um. Er blockt eines mit einem Kunai ab und weicht den restlichen aus. Durch seine Beine hindurch sieht Ibiki, wie Tokara sich rückwärts kriechend in Sicherheit bringt. Er ist zu langsam. Plötzlich zuckt der Mann zusammen und hebt den Kopf zum Himmel. Die Verstärkung ist da, zumindest ist es das, was Ibikis Genjutsu ihn glauben lässt. Er ist offensichtlich überfordert von dem Anblick der Jounin, die plötzlich überall in den Bäumen aufgetaucht sind. Ibiki ist noch mehrere Schritte von ihm entfernt und damit beschäftigt, die Illusion aufrecht zu halten. Er weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis der Abtrünnige alles durchschaut. Vielleicht zehn Sekunden, vielleicht zwei. „Erledigt ihn! Schnell!“ Tokara rappelt sich auf, und Mizuki wirft mehrere Shuriken. Die meisten ritzen nur die Kleider des Mannes, aber einer trifft ihn hinten am Fußknöchel. Es gibt einen vernehmlichen Knall, als wäre die Achillessehne durch. Das Bein des Mannes gibt unter ihm nach, mit einem Aufschrei sackt er zu Boden. Tokara ist im nächsten Moment über ihm und drückt ihm ein Kunai an die Kehle. „Beweg dich nicht“, faucht er, schwer atmend, Haare und Kleider triefend vor Wasser. Der Mann erstarrt, aber Ibiki tritt von hinten an ihm heran und gibt ihm einen Schlag in den Nacken, nur zur Sicherheit. Der Kopf des Abtrünnigen sinkt herab. Tokara sieht Ibiki an und grinst nervös. „War es das?“ „Haben wir ihn?“, erklingt Mizukis Stimme hinter Ibiki. „Oh ja. Gute Arbeit, Männer.“ Er greift in seine Tasche, findet nach einigem Suchen ein Seil und beginnt, den Mann zu fesseln. Tokara lässt sich gegen einen Baum sinken und versucht, wieder zu Atem zu kommen. Ibiki mustert ihn prüfend und sieht sich dann zu Mizuki um, der näher gekommen ist und Shuriken aus dem Gras aufsammelt. „Mizuki? Sieh zu, dass du Shikaku und die anderen auftreibst. Wir bleiben hier und bewachen den Mann. Transportieren können wir ihn ja schlecht.“ „Wird gemacht“, sagt Mizuki, dreht sich um und verschwindet durch die Bäume. Ibiki hat den Abtrünnigen mittlerweile zu seiner Zufriedenheit verschnürt und richtet sich wieder auf. Tokara sitzt auf einer Baumwurzel und wringt seinen Pullover aus, ohne Ibiki aus den Augen zu lassen. Sein Blick ist noch immer verstört. „Warum durften wir ihn nicht umbringen? Er wollte uns alle töten, und deine einzige Sorge war, dass er am Leben bleibt!“ „Ein Toter kann nicht mehr reden, Tokara“, erwidert Ibiki schlicht. „Informationen können unzählige Leben gefährden oder retten. Er hier ist ein Verräter. Sie werden in Konoha ein Interesse daran haben, ihn ordentlich auszuquetschen, bevor er den Löffel abgibt.“ Er stößt den gefesselten Mann mit dem Fuß an. Tokaras Blick wandert langsam zwischen ihm und Ibiki hin und her. Er wirkt verängstigt, beinahe widerwillig respektvoll. Falls es ihm vorher noch ein Rätsel war, hat er jetzt begriffen, wieso Shikaku Ibiki zum Anführer gemacht hat. Der Mann gibt ein leises Stöhnen von sich, und Tokara fährt zusammen. „Keine Sorge“, sagt Ibiki gelassen. „Ich habe ihn gefesselt, und mit dem verletzten Bein kommt er sowieso nicht weit.“ Er beugt sich hinunter zu besagter Verletzung, löst die Bandagen am Knöchel des Mannes und benutzt sie, um einen provisorischen Druckverband anzulegen. Es wird schon reichen, damit er nicht verblutet, bevor Shikaku und die anderen kommen. Danach steigt er über den Mann hinweg, der nur langsam wieder zu sich kommt, und setzt sich neben Tokara auf die Wurzel. Tokara betrachtet den Abtrünnigen mit großen Augen. „Ich frage mich, wieso er das gemacht hat.“ Der Mann gibt ein heiseres Lachen von sich. „Was meinst du, Junge?“ Tokara zuckt erneut zusammen und wirft Ibiki einen nervösen Blick zu, wie ein Kind, das sich bei Mama die Erlaubnis holen muss, um mit Fremden zu reden. Ibiki hebt eine Augenbraue und sagt nichts. „Ich ... ich meine ... Verräter sind der unterste Bodensatz. Eine größere Schande gibt es gar nicht!“ „Schlimmer als Vatermörder und Kinderschänder“, ergänzt Ibiki trocken. Tokara nickt und starrt den Mann an, der seinen Blick unter halb geschlossenen Lidern erwidert und schwer atmet. „Willst du es wirklich wissen, Junge?“ „Ja“, antwortet Tokara, ein Zittern in der Stimme, das vielleicht Angst ist, vielleicht auch Entrüstung. „Ich hatte drei kleine Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Sie waren hoch talentiert. Meine älteste Tochter ist bei einem Trainingsunfall gestorben, die anderen beiden im Krieg. Keines meiner Kinder ist älter geworden als elf. An dem Tag, an dem meine jüngste Tochter beerdigt wurde, hat meine Frau sich mit Gift das Leben genommen.“ Tokara sieht ihn mit großen Augen an. „Was ist dabei, Konoha den Rücken zu kehren?“, flüstert der Mann. „Konoha reißt Eltern ihre Kinder weg, macht sie zu Soldaten und schert sich nicht darum, ob sie ihr Leben lassen. Es ist unmenschlich. Widernatürlich.“ „Erzählen Sie mir etwas, was ich noch nicht weiß“, erwidert Ibiki unbeeindruckt. Tokara blinzelt verstört. „Und deswegen wollen Sie überlaufen? Nach Iwa? Nach Suna? Glauben Sie denn, dort behandeln sie ihre Shinobi besser?“ Wut blitzt in den Augen des Abtrünnigen auf. „Du kannst das nicht verstehen. Du bist ein Kind.“ „Oh, jetzt kommen Sie mir nicht auf die Tour! Sie wissen so gut wie ich, dass in Konoha höchstens ein Fünfjähriger noch ein Kind ist. Ich bin dreizehn. Ich bin kein Kind.“ Dem Mann fehlen die Worte. „Sie sind erbärmlich“, sagt Ibiki, spuckt auf den Boden und wendet sich ab. „Das Leben eines Shinobi ist immer grausam, völlig egal, in welchem Dorf. Wir sind in Konoha geboren, also können wir genauso gut dort bleiben. Warum braucht Mizuki denn so lange?“ Stille tritt ein. Der Mann ist offensichtlich nicht bereit, mehr zu sagen. Tokara weicht seinem Blick aus, strubbelt sich durch die nassen Haare und niest einige Male. Ibiki langweilt sich. Wenn er sich langweilt, setzt er normalerweise irgendjemanden unter ein Genjutsu. Diesmal sind da nur Tokara, der für heute wirklich genug durchgemacht hat, und der Gefangene. Wie seine Kinder wohl aussahen? Ob eines der Mädchen Lachgrübchen hatte wie Aya? Ibiki hat keine Ahnung, aber genügt es nicht völlig, wenn der Mann selbst weiß, wie sie aussahen? Die Iwa-Nins kannten Ibikis Mutter schließlich auch nicht, und trotzdem haben sie ein Genjutsu angewandt, in dem sie vorkam. Ein Versuch kostet nichts, denkt Ibiki und schließt ein Siegel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)