Am Tag ist es leicht von Niekas ================================================================================ Kapitel 13: Verachtung ---------------------- Für einen Mann, der als Jounin und ANBU den Respekt seiner Kollegen und des Hokage genießt, und der abends nach Hause geht und seinen Sohn verprügelt, hat Ibiki nur Verachtung übrig. Dass Vater dieser Mann ist und er der Sohn, ändert überhaupt nichts. Manchmal fragt er sich, ob er Angst vor ihm hat, aber er ist sich nicht sicher. Verachtung, stellt er fest. Und er schleicht sich in Vaters Schlafzimmer und bereitet eine Überraschung vor. Vater kommt am Abend von einer Dienstbesprechung nach Hause, umarmt und küsst Ima, streicht Ibiki über den Kopf. Er geht in sein Zimmer, um seine Sachen wegzubringen. Während Ima durch die Küche hüpft, Vaters Lieblingstasse heraussucht und den Tee vorbereitet, wartet Ibiki auf die Explosion, sobald Vater die Schrift an der Wand bemerkt. Verachtung steht dort, riesengroß, über die gesamte Breite der Wand. Ob er es wagen würde, Ibiki vor Imas Augen auszuschimpfen, vielleicht Schlimmeres? Ima ist die kleine Prinzessin, aber Vater muss schon verdammt wütend sein. „Der Tee ist bald fertig!“, ruft Ima, sobald sie die Schritte auf dem Flur hören. Vater kommt herein, bleibt an der Tür stehen und sieht Ibiki an. Ihre Blicke treffen sich kurz, und noch immer wartet Ibiki auf die Explosion. Dann wendet Vater den Blick hastig wieder ab und setzt ein Lächeln auf, als Ima ihn anstrahlt. „Setz dich hin, Vater! Ich bring dir deinen Tee!" „Meine Prinzessin“, seufzt Vater, und Ibiki weiß, dass es daran liegt. Wenn Vater und er sich überhaupt in irgendetwas einig sind, dann darin, dass Ima nichts von ihren Konflikten erfahren darf. Ima ist in letzter Zeit oft so aufgekratzt, dass sie abends nicht ins Bett will. Sie redet und kichert und hat die tollsten Einfälle, aber vom einen auf den anderen Moment schläft sie ein, oft auf Vaters Schoß, wie heute. Behutsam schlingt er die Arme um sie und hebt sie hoch. „Ich bringe sie ins Bett. Bleib noch kurz sitzen, Ibiki. Ich habe mit dir zu reden.“ Ibiki nickt, und Vater verlässt den Raum. Er könnte weglaufen. Er könnte aus dem Küchenfenster aufs Dach klettern, an der Regenrinne herunter und auf die Straße, das hat er schon unzählige Male getan. Aber er bleibt sitzen, legt die Hände in den Schoß und wartet. Vater kommt wieder herein und lehnt die Tür hinter sich an. Er sieht müde aus, wie Ibiki auffällt. Er trägt einen schlichten, schwarzen Pullover, die Dreiviertelärmel lassen ein gutes Stück seiner kräftigen Arme frei. Blasse Narben zeichnen sich auf der Haut ab, nicht entstellend, nicht einmal besonders auffällig, aber vorhanden. Vaters Gesicht ist blass, seine Haare wirr, auf seiner Oberlippe liegt der Schatten eines Bartes. Er sieht wirklich müde aus. „Ich habe gesehen, was du an meine Wand geschrieben hast.“ Ibiki antwortet nicht. Vater kommt zum Tisch, setzt sich Ibiki gegenüber und sieht ihn an. „Warum hast du das getan?“ Ibiki zuckt die Achseln und sieht in eine andere Richtung. „Du musst doch wissen, warum.“ „Weil es die Wahrheit ist.“ Vater schließt die Augen und seufzt tief. „Ich werde morgen Farbe besorgen, und wir werden die Wand neu streichen. Zusammen. Wie findest du das?“ Ibiki verzieht die Lippen. „Das ist keine gute Idee, Vater.“ „Warum nicht?“ „Lass uns zusammen hingehen.“ Vater runzelt die Stirn. „Was führst du im Schilde, Ibiki?“ Wortlos steht Ibiki auf und geht hinaus, über den Flur in Vaters Schlafzimmer. Die Schrift ist trotz der Dämmerung gut zu erkennen, pechschwarze, in Tropfen heruntergelaufene Farbe auf der hellen Tapete. Verachtung. „Das wird da nicht stehen bleiben“, sagt Vater streng, der hinter ihn getreten ist. „Es ist die Wahrheit“, erwidert Ibiki trocken. „Ich mag die Wahrheit.“ „Es wird trotzdem nicht da stehen bleiben.“ „Natürlich wird es das nicht, Vater.“ Vater sieht ihn stirnrunzelnd an. „Du hast gesagt, du willst es nicht überstreichen.“ „Das wird auch nicht nötig sein.“ Einige Sekunden lang sehen sie stumm die Schrift an. Dann stöhnt Vater plötzlich auf, als sei ihm ein Gedanke gekommen. Er hebt eine Hand, Zeigefinger und Mittelfinger ausgestreckt. „Kai.“ Das Genjutsu löst sich auf, und die Schrift an der Wand verschwindet spurlos. Ibiki versucht, sein Grinsen zu unterdrücken und unbeeindruckt auszusehen. „Nur ein verdammtes Genjutsu.“ „Ja, Vater.“ „Ich hatte dir gesagt, du sollst mit diesen kindischen Spielereien aufhören“, sagt Vater, und Ibiki hört an seiner Stimme, dass er seine Wut nur mühsam beherrscht. „Du hattest mir auch gesagt, wenn ich dich mit einem Genjutsu täuschen wollte, brauchte ich mindestens fünf Jahre Übung – aber so lange würde ich nicht leben. Das ist jetzt viereinhalb Jahre her, und ich fühle mich durchaus lebendig.“ Er kann dem Schlag nicht mehr ausweichen. Die Faust trifft ihn mitten ins Gesicht, und Ibiki taumelt rückwärts gegen die Wand. Er schafft es gerade noch, sich abzustützen, um nicht zu fallen. Wenn er einmal am Boden liegt, wird er nicht mehr hochkommen. „Was bildest du dir eigentlich ein?“, brüllt Vater ihn an. „Fühlst du dich jetzt toll, weil du mir einen so kindischen Streich gespielt hast? Du glaubst doch nicht, dass dir das im Kampf helfen wird!“ „Ich habe es geschafft, einen von Konohas besten Jounin mit einem Genjutsu zu täuschen“, antwortet Ibiki und presst die Hand auf seine Nase. „Ja, allerdings. Ich fühle mich ziemlich toll deswegen.“ Das Blut beginnt träge von seiner Hand zu tropfen. Vater starrt ihn an, die Fäuste geballt, seine Kiefer malen aufeinander. „Und was hast du mit diesem Geniestreich bezweckt, oh großer Morino Ibiki?“, spuckt er aus. Vielleicht könnte Ibiki die Situation mit den richtigen Worten entschärfen, aber das war nie Sinn der Sache. Er hat die Schnauze voll. „Es war eine Botschaft. Dass du sie offenbar nicht deuten kannst, zeigt schon, warum ich sie dir schicken musste. Ich verachte dich, Vater. Nach außen spielst du allen den perfekten Shinobi vor, und dann gehst du nach Hause und verprügelst deinen Sohn. Okay, das ist seit Jahren so. Bisher hast du mich meistens geschlagen, wenn ich dich provoziert habe und du nicht wie ein Erwachsener mit der Situation umgehen konntest. Das allein ist schon erbärmlich genug. Aber in letzter Zeit schaffst du es, noch erbärmlicher zu sein, indem du selbst es provozierst. Mittlerweile scheint es dir sogar egal zu sein, was die Leute denken. Ich versuche ja wirklich, die Fassade aufrecht zu erhalten, aber wie bitte soll ich eine blutige Nase noch verstecken? Ich hasse dich wegen alledem nicht. Ich verachte dich nur.“ Er sieht Vater an und wartet darauf, dass er wieder auf ihn los geht, aber nichts passiert. Vaters Fäuste zittern immer heftiger. Sehr langsam steigen ihm Tränen in die Augen. „Es tut mir leid, Ibiki.“ Ibiki runzelt irritiert die Stirn. Das Blut trieft zwischen seinen Fingern hindurch. „Es ist doch nur, weil ...“, beginnt Vater verzweifelt. „... weil ich nicht abschalten kann. Versteh doch, Ibiki. Ich muss Geld verdienen, um euch beide durchzubringen ... uns drei, meine ich. Und dazu töte ich Menschen. Ich kämpfe, ich befolge Befehle und teile welche aus, manchmal tagelang. Und dann komme ich nach Hause und ... und ... Wenn du darauf programmiert bist, alle Auseinandersetzungen mit Gewalt zu lösen, kannst du das nicht so plötzlich abschalten. Verstehst du das nicht?“ Fassungslos sieht Ibiki diesen Mann an, diesen dummen, lächerlichen Mann, der sein Vater ist. „Ich will das nicht, Ibiki. Mir ist die Hand ausgerutscht. Ich weiß nicht, wieso ich ... wieso ich in letzter Zeit ein paar Mal auf dich losgegangen bin. Ich wollte das nicht. Ich will nur, dass ... dass ... Vielleicht ist es sogar die Schuld, weißt du? Ich habe Kinder getötet. Jungen und Mädchen, die jünger waren als du. Vielleicht ist es Buße. Vielleicht muss ich einfach ... jemanden verletzen, den ich liebe. Verstehst du?“ „Jemanden, den du liebst?“, wiederholt Ibiki. „Was habe ich dann damit zu tun?“ „Ich liebe dich, Ibiki. Du bist mein Sohn. Wenn ich dich je verletzt habe, habe ich es aus Sorge um dich getan. Das musst du verstehen. Du bist doch so ein kluger Junge.“ Langsam wischt Ibiki sich das Blut vom Kinn. „Du verstehst mich“, flüstert Vater, noch immer mit Tränen in den Augen. „Oder?“ „Nein, Vater“, antwortet Ibiki knapp. „Du redest gequirlte Scheiße.“ Er geht an ihm vorbei und verlässt das Zimmer, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Vater ruft ihm nicht nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)