Am Tag ist es leicht von Niekas ================================================================================ Kapitel 10: Held ---------------- „Bei der Mission sind nur zwei unserer Shinobi gefallen ...“ Der Hyuuga, der sich auf dem Rückweg als Hideaki vorgestellt hat, zählt Natsuki und Aya nicht mit. Er erwähnt auch den Chuunin nicht, der bei dem Angriff so schwer an der Wirbelsäule verletzt wurde, dass er vermutlich nie wieder wird laufen können. „... wir haben dreiundzwanzig Iwa-Nins getötet, darunter mindestens vier Jounin, einen ihrer Stützpunkte gesprengt und einen zweiten niedergebrannt.“ „Das war hervorragende Arbeit“, sagt der Hokage und wirft einen fragenden Blick auf Ibiki. Hideaki bemerkt es und legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Und das haben wir hauptsächlich Ibiki hier zu verdanken.“ „Wie das?“, fragt der Hokage und ermuntert ihn mit einem Lächeln, zu sprechen. Ibiki macht sich so gerade wie möglich, obwohl ihm schwindelig ist. Das Schwindelgefühl hat er seit seiner Befreiung, es geht einfach nicht weg. „Mein Team und ich wurden als Späher vorausgeschickt, sind aber in einen Hinterhalt geraten. Tokara konnte entkommen, Natsuki-sensei und Aya haben sie getötet. Die Iwa-Nins haben mich gefangen genommen und verhört. Aber wie es aussieht, habe ich die Pläne Konohas, von denen ich wusste, so durcheinander gebracht, dass die Informationen ihnen eher geschadet als genutzt haben.“ Der Hokage zieht die Augenbrauen hoch. „Das heißt ihm Klartext, dass Ibiki nicht nur mehrere Tage Folter ausgehalten hat, sondern seine Gefangenensituation sogar zu unserem Vorteil machen konnte, indem er den Feind mit Fehlinformationen versorgt hat.“ Hideaki klopft Ibiki noch einmal auf die Schulter. „Ich kenne Chuunin, die in seiner Situation keinen so kühlen Kopf bewahrt hätten!“ „Ich habe nur versucht, am Leben zu bleiben, Hokage-sama“, sagt Ibiki und wünscht, der Schnitt in seiner Wange würde beim Sprechen nicht so brennen. „Und das mit den Fehlinformationen war keine Absicht. Kein Plan dahinter. Ich war einfach ... ziemlich verwirrt.“ „Ob du einen Plan hattest oder nicht, gehandelt hast du genau richtig.“ Der Hokage lächelt, und Ibiki schließt kurz die Augen. Alles schwankt um ihn herum, ihm wird übel. „Darf ich ganz offen sprechen, Hokage-sama?“ „Natürlich.“ „Ich bin kein Kriegsheld, und ich will nicht, dass Sie oder irgendwer sonst mich zu einem machen. Ich wünschte, dieser ganze Albtraum wäre nie passiert. Mein Sensei ist tot. Meine Teamkameradin wurde vor meinen Augen geköpft, bevor ich sie nach einem verdammten Date fragen konnte. Ich war nicht rechtzeitig zu Hause, um die bestandene Geninprüfung meiner kleinen Schwester zu feiern. Ich bin todmüde, und im Moment will ich einfach nur ins Bett.“ Das Lächeln des Hokage bekommt einen traurigen Zug. Er steht auf, kommt um seinen Schreibtisch herum und greift nach Ibikis Schultern. „Konoha braucht Kriegshelden, Ibiki. Anders ist die Moral in diesen schwierigen Zeiten nicht aufrecht zu erhalten.“ „Wollen Sie mir erzählen, dass Sie die Menschen belügen, weil sie belogen werden wollen?“, fragt Ibiki schroff. „Ich will nicht belogen werden. Und ich glaube nicht an Helden.“ „Woran du glaubst, ist deine Sache“, erwidert der Hokage sanft. „Du hast eine sehr schwere Zeit hinter dir, Ibiki. Du solltest jetzt nach Hause gehen und dich ausruhen. Konoha wird dir keine Missionen mehr auftragen, bis du dich vollständig erholt hast.“ Einen Moment lang will Ibiki diesen freundlichen, alten Mann wegstoßen und ihn anschreien, ob er ernsthaft glaubt, dass man sich davon erholt, das Wasser von den Wänden geleckt zu haben und von Ratten gefressen worden zu sein und gesehen zu haben, wie sie Aya den Kopf abgeschlagen haben, Aya mit den dunklen Augen und den Lachgrübchen. Stattdessen beißt er sich auf die Lippe, tritt einen Schritt zurück und verbeugt sich tief. „Ich danke Ihnen, Hokage-sama.“ Draußen ist es schon dunkel, kurz nach zehn, Konoha liegt fast menschenleer da. Die kalte Luft tut Ibiki gut, vertreibt sein Schwindelgefühl aber nicht. Die Dunkelheit bedrückt ihn, bei Tag ist es leichter, nicht zu weinen. Als er die Wohnungstür öffnet, kommt Vater ihm entgegen und bleibt einen Schritt vor ihm unschlüssig stehen. „Ich habe von Raidou gehört, was dir passiert ist. Was machst du nur immer für Sachen?“ „Ich bin müde, Vater“, sagt Ibiki und glaubt, wenn dieser Mann nur noch ein Wort sagt, muss er ihn schlagen. Irgendetwas glänzt in Vaters Augen. „Du hättest tot sein können.“ „Der Gedanke ist mir auch gekommen“, antwortet Ibiki, ohne ihn anzusehen. Vater kommt noch einen Schritt näher, hebt die Arme, zögert. Er wird Ibiki nicht in den Arm nehmen, das hat er seit Ewigkeiten nicht mehr getan. „Gut, dass du lebst.“ Er drückt kurz Ibikis Schulter, dreht sich um und geht in Richtung seines Schlafzimmers davon. Langsam schließt Ibiki die Wohnungstür hinter sich, lässt sich auf der Stufe im Eingangsbereich nieder und zieht sich die Schuhe aus. Die Müdigkeit steckt in jedem seiner Knochen. Der Schnitt an seiner Wange, den sie auf dem Heimweg notdürftig versorgt haben, schmerzt mittlerweile nicht mehr, kribbelt aber unangenehm. Es wird eine Narbe geben, eine ziemlich hässliche vermutlich, und es ist ihm egal. Er ist so furchtbar müde. „Ibiki?“ Schritte von nackten Füßen erklingen hinter ihm, und im nächsten Moment schlingen sich zwei dünne, warme Arme um ihn. „Da bist du ja wieder! Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ „Ima“, sagt Ibiki. „Vater hat gesagt, dir wäre etwas Schlimmes passiert. Sie hätten dich gefangen genommen oder so.“ „Ich lebe ja noch.“ Er befreit sich aus ihrem Griff und dreht sich zu ihr um. Ima kniet hinter ihm, im Schlafanzug, das Konoha-Stirnband um den Hals. Einen Moment lang blitzt Ayas Gesicht vor Ibiki auf, der erschrocken geöffnete Mund, die leeren Augen, das Blut. Er ringt nach Luft, aber einen Wimpernschlag später ist das Trugbild verschwunden, und zurück bleibt Ima. „Ich habe gehofft, du würdest früher kommen“, sagt sie, will offenbar vorwurfsvoll klingen, kann aber nicht, weil ihre Lippen so zittern. „Vater und ich haben gefeiert, dass ich Genin bin. Du warst nicht da.“ Erneut wirft sie die Arme um ihn, und er erwidert die Umarmung. „Ich bin wieder zu Hause, kleine Schwester“, sagt er leise und streicht über ihren Rücken. „Und ich bleibe auch eine Weile.“ Sie beginnt, zu weinen. Er spürt die warmen Tränen an seinem Hals und bemerkt erleichtert, dass sein Schwindelgefühl verschwunden ist. Am nächsten Morgen beim Frühstück ist alles wie immer. Ima sitzt in ihrem Schlafanzug mit den kleinen Schafen am Tisch und schlürft ihren Tee. Vater liest die Zeitung und sagt kein Wort. Das Fenster steht offen, draußen scheint die Sonne, die Vögel singen. Die friedliche Normalität macht Ibiki wahnsinnig. „Ich muss weg“, sagt er, kaum dass er seine Müslischüssel geleert hat. „Wohin?“, fragt Ima sofort. „Raus.“ Langsam hebt Vater den Blick von der Zeitung. „Du bleibst hier.“ „Nur ein bisschen frische Luft schnappen“, sagt Ibiki und weiß, wenn er hier herausgeht, kommt er vor Einbruch der Dunkelheit nicht zurück. „Du musst dich wieder einleben. Bleib hier und hilf Ima dabei, ihre Papiere für die Genin-Beförderung auszufüllen. Ich muss zu einer Besprechung, aber zum Essen bin ich wieder da.“ Ibiki will ihm sagen, dass er sich nicht einleben wird, indem Vater ihn in diesem Leben einsperrt, das vorher so normal war und das sich nicht verändert hat, obwohl Ibiki jetzt ein völlig anderer ist. Er muss hier raus, sonst wird er ersticken, erdrückt werden, den Verstand verlieren. Er will aufspringen und schreien, aber ihm gegenüber sitzt Ima, noch im Schlafanzug. „Wie du meinst, Vater“, sagt Ibiki. Gegen halb eins sitzen Ima und er auf dem Sofa und betrachten die Uhr an der Wand. Der Tisch ist von Papier bedeckt, sie haben alle Formalitäten für die Genin-Beförderung erledigt. Vater muss nur noch diesen einen Wisch unterschreiben, auf dem steht, dass er Konoha von jeder Verantwortung entbindet, sollte Ima sterben oder irreparabel verletzt werden. Ima hat schon unterschrieben, aber sie ist erst zehn, und bei Minderjährigen braucht es auch die Unterschrift der Eltern. „Ibiki?“, fragt sie leise. „Hmm“, macht er und betrachtet einen Baum draußen vor dem Fenster. „Was ist dir passiert?“ Langsam wendet er sich ihr zu. Tränen stehen in ihren Augen. „Hat Vater es dir nicht erzählt?“ „Er hat gesagt, du wurdest von den Bösen gefangen gehalten. Wenn unsere Leute dich nicht gerettet hätten, wärst du tot gewesen.“ Ibiki schweigt. „War es schlimm?“, fragt Ima halb erstickt. „Schon. Aber ich wollte am Leben bleiben.“ „Hattest du Heimweh?“ Er muss kurz nachdenken. „Nein. Ich habe nicht an zu Hause gedacht, oder an euch. Ich wollte nur leben.“ „Du hast nicht an uns gedacht?“ Imas Stimme ist schrill, und Ibiki legt ihr den Arm um die Schultern. „Ich war verwirrt, Ima. Du weißt ja nicht, wie es ist ...“ Er bricht ab. „Wie was ist?“ „Das brauchst du nicht zu wissen. Es wird dir nicht passieren, kleine Schwester.“ „Warum nicht? Dir ist es auch passiert!“ Ibiki schweigt. „Und du bist anders geworden“, sagt Ima und zieht die Nase hoch. „Das in deinem Gesicht ... das wird eine Narbe, oder?“ „Wahrscheinlich.“ „Ausgerechnet im Gesicht!“ „Aber ich bin immer noch derselbe, Ima“, sagt Ibiki fest und behauptet genau das Gegenteil von dem, was er denkt. „Ich habe mich nicht verändert, innen drin. Du bist immer noch meine Schwester und ich dein Bruder. Du bist ein liebes, fröhliches Mädchen, ein Sonnenschein, und ich ... bin Ibiki. Egal, was passiert, und egal, was sie uns antun – wir bleiben, wie wir sind.“ „Für immer?“, fragt Ima zaghaft und wischt sich mit dem Ärmel über die Nase. „Für immer“, bestätigt Ibiki. „Und egal, wie lange du weg bist, ich werde zu Hause sein und auf dich warten.“ Sie lacht zittrig, und Ibiki kann sie nicht länger ansehen. Er lügt ihr ins Gesicht, seiner lieben, kleinen Schwester. Er hat sich verändert, vermutlich wird er nie wieder der Alte sein. Aber dass sie sich nicht verändern wird, stimmt doch. Sie wird der Sonnenschein bleiben. Sonnenschein macht es einfach, nicht zu weinen. Im Flur geht die Tür auf, und Vaters Stimme erklingt. „Da bin ich wieder! Was haltet ihr davon, wenn wir essen gehen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)