Am Tag ist es leicht von Niekas ================================================================================ Kapitel 4: Irrglaube -------------------- „Hey. Hey, Asuma.“ Asuma sieht nicht von seinem Blatt auf. Verstohlen blickt Ibiki sich im Klassenraum um, aber Sensei schaut gerade in eine andere Richtung. „Asuma!“ „Was?“ „Was kommt bei der dritten Aufgaben hin?“ „Hast du wieder nicht gelernt oder was?“, raunt Asuma. „Ich hatte zu tun.“ „Dein Problem.“ Ibiki verdreht die Augen. Er hatte wirklich besseres zu tun, als für einen dummen Mathetest zu lernen. Die anderen haben ja keine Ahnung. Suchend sieht er sich nach weiteren potenziellen Abschreibkandidaten um. „Gai?“ „Nicht so laut“, zischt er. „Sensei hört uns.“ „Gib mir mal eben dein Blatt.“ „Bist du verrückt?“ „Nur mal gucken.“ „Geht nicht, Sensei sieht das.“ „Gleich, wenn er wegguckt.“ „Zu riskant.“ „Ein Shinobi muss bereit sein, Risiken einzugehen, Gai.“ „Jetzt sei schon still“, zischt Asuma. „Es reicht, wenn du durchfällst. Zieh uns nicht da rein.“ „Eigentlich sollten sie das belohnen“, sagt Ibiki. „Belohnen, dass du wieder nicht gelernt hast? Hättest du wohl gerne.“ „Meine kreative Umgehensweise damit, meine ich.“ „Schüler schreiben seit Menschengedenken ab. Was ist daran kreativ?“ Leise reißt Ibiki ein Stück von seinem Blatt ab und knüllt es zusammen. „Es geht nur darum, wie man es anstellt, Asuma.“ Er wirft das Papierknäuel, und es trifft Mizukis Hinterkopf, der zusammenzuckt und sich umdreht. „Was ist?“ „Gib mir mal dein Blatt“, flüstert Ibiki. „Vergiss es.“ „Nur ganz kurz.“ „Nei-hein.“ „Du kriegst mein Frühstück.“ „Trotzdem nicht.“ „Zählt Bestechung auch zu den Tugenden eines Shinobi?“, fragt Asuma grinsend. „Weiß nicht. Aber die Fähigkeit, unauffällig an Informationen zu kommen, ganz sicher.“ „An dem unauffälligen Teil musst du noch arbeiten, Ibiki“, erklingt die tadelnde Stimme seines Senseis hinter ihm. „Wenn du nichts kannst, gib ab.“ „Aber die Idee ist gut, oder, Sensei?“, fragt Ibiki und drückt ihm sein leeres Blatt in die Hand. „Warum machen wir nicht mal einen Test, bei dem es nur darum geht, unauffällig zu schummeln?“ „So einen Test hat es nie gegeben und wird es auch nie geben. Und selbst wenn ...“ Sensei wirft einen Blick auf das Blatt und verzieht spöttisch den Mund. „Selbst wenn, würdest du mit einem leeren Blatt garantiert durchfallen.“ „Du hast was?“, fragt Inoichi lachend. „Eine neue Art von Tests vorgeschlagen“, wiederholt Ibiki. „Mit schummeln. Das wäre auch viel besser, um uns auf den Alltag als Shinobi vorzubereiten, oder?“ „Du bist ein verrückter kleiner Junge.“ „Ich bin nicht klein!“ Inoichi strubbelt ihm durch die Haare und liest noch einmal den tadelnden Eintrag in Ibikis Hausaufgabenheft. „Deine wievielte Ermahnung in diesem Monat ist das jetzt?“ „Die erste.“ „Oh nein. Da war dieses eine Mal, als du überall in der Klasse Frösche hast auftauchen lassen ...“ „Das war im letzten Monat“, widerspricht Ibiki. „Und es war eine gute Möglichkeit, um meinen Mitschülern zu zeigen, wie man ein Genjutsu auflöst. So etwas lernt man in der Praxis am besten!“ „Dein Sensei weiß deine Verbesserungsvorschläge zu seinem Unterricht offenbar nicht zu schätzen“, sagt Inoichi schmunzelnd. „Und du?“ „Was meinst du damit?“ Ibiki sieht ihn nicht an. „Ach, gar nichts. Ich meinte gar nichts.“ Inoichi legt ihm die Hand auf die Schulter. „Deine Genjutsus sind gut, Ibiki. Im Moment reichen sie nur aus, um Akademieschüler zu täuschen, und sie befassen sich vielleicht mit etwas banalen Dingen – aber Übung macht den Meister.“ „Jemand hat gesagt ...“ Ibiki bricht ab und fängt noch einmal an. „Manche sagen, mit Genjutsus kann man sowieso nichts anfangen.“ „Das habe ich auch schon oft gehört“, sagt Inoichi stirnrunzelnd. „Ein unfassbarer Irrglaube. Gute Shinobi werden zu schnell überheblich und vergessen, wie sehr sie auf ihre Wahrnehmung angewiesen sind. Kontrolliere die fünf Sinne eines Menschen, und du kontrollierst seine Gedanken. Kontrolliere seine Gedanken, und du kontrollierst alles, was er ist. In unserem Clan weiß das jeder.“ „Danke“, sagt Ibiki und schlingt spontan die Arme um ihn. „Wofür war das denn?“, fragt Inoichi verblüfft. „Einfach so“, erwidert Ibiki, schnappt sich sein Hausaufgabenheft und läuft hinaus. Er hat so viel Freude in seinem Bauch, dass er singen möchte. „Der Baum hat ein Gesicht gekriegt!“ „Warte“, sagt Ibiki und klemmt die Zunge zwischen die Zähne. „Es muss irgendwie anders gehen ...“ „Es ist dein Gesicht!“, fährt Ima begeistert fort. Sie ist ein gutes Testobjekt für Ibikis Genjutsus, aber sie wäre ein noch besseres, wenn sie etwas geduldiger wäre. Nebeneinander hocken sie auf der Treppe vor Yamanakas Blumenladen und starren einen Baum auf der anderen Straßenseite an. Einige Passanten werfen ihnen fragende oder belustigte Blicke zu. „Warte. Warte. Was siehst du jetzt?“ „Es kommt raus!“, ruft Ima. „Es kommt auf mich zu! Ist das ein Doppelgänger, Ibiki?“ „So ähnlich. Aber als Genjutsu.“ „Der Doppelgänger-Ibiki hat aber keine Arme“, stellt Ima kritisch fest. „Und er ist ein bisschen blau im Gesicht.“ „Das kriege ich noch hin. Es ist ein Prototyp.“ „Ein was?“ „Ein Prototyp“, erklärt Ibiki. „Das heißt, dass ...“ „Vater!“, ruft Ima und springt auf. Verwirrt dreht Ibiki den Kopf und flucht im nächsten Moment. Er sollte an seiner Konzentration arbeiten. Kaum wird er abgelenkt, löst sich das mühsam gesponnene Genjutsu in Wohlgefallen auf. Seufzend betrachtet er Ima, die die Straße hinunter rennt und sich Vater in die Arme wirft. Diesmal trägt er eine normale Jounin-Uniform, sein linkes Hosenbein sieht unten wie angesengt aus. „Ich habe gedacht, du wärst länger weg! Inoichi hat gesagt, es wäre eine schwierige Mission diesmal. Toll, dass es nicht so lange gedauert hat!“ Wenn es nach Ibiki gegangen wäre, hätten sie noch länger bei Yamanakas bleiben können, aber das sagt er nicht. Vater hat Ima hochgehoben, und Ibiki geht langsam zu den beiden hinüber. „Hallo, Vater. Schön, dass du wieder da bist.“ „Ibiki.“ Vater streicht ihm über den Kopf und lächelt flüchtig. „Wie geht es dir? Was macht die Schule?“ „Alles in Ordnung.“ „Ibiki hat mir Genjutsus gezeigt, Vater!“, sagt Ima strahlend. „Die sind echt lustig! Er kann so, dass ein Ibiki aus dem Baum rauskommt. Jedenfalls fast. Das ist lustig!“ Vater wirft Ibiki einen langen Blick zu und wendet ohne ein Wort den Kopf ab. „Und wie geht es dir sonst so, Prinzessin?“, fragt er Ima und streicht ihr über die Wange. „Du bist anders geworden, Vater“, sagt Ibiki. Ima liegt schon im Bett, Vater sitzt noch im Wohnzimmer und schreibt an dem Bericht über seine letzte Mission. „Was meinst du?“, fragt er, ohne aufzusehen. „Bevor Mutter gestorben ist, warst du anders zu mir.“ „Findest du?“ Ibiki atmet schwer. „Ich werde mein Bestes geben, Vater. Aber es wird nie genug sein.“ „Genug wofür?“ „Um dich davon zu überzeugen, dass ich keine Enttäuschung bin.“ Langsam hebt Vater den Kopf und sieht ihn an. „Aber du gibst nicht dein Bestes, Ibiki. Ich habe dir klar gesagt, was du tun musst, um zu überleben. Ich habe dir gesagt, du sollst aufhören, dich auf deine kindischen Genjutsus zu konzentrieren, die ohnehin jeder durchschaut. Und stattdessen bist du mit nichts anderem beschäftigt.“ „Wenn ich viel übe, durchschaust selbst du sie irgendwann nicht mehr.“ Vater errötet vor Wut. Er steht auf, kommt einen Schritt auf Ibiki zu, der zum Schutz die Arme hebt, und greift nach seinem Ohr. „Hör mir genau zu, Ibiki. Um so gut zu werden, müsstest du mindestens fünf Jahre Arbeit in dein Genjutsu stecken. Leider wirst du dafür nicht lange genug am Leben bleiben, wenn du keine nützlicheren Techniken lernst. Schwächlinge und Träumer wie dich sortieren sie in den ersten Monaten als Genin aus. Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren Shinobi, ich weiß, wovon ich rede. Ich habe unzählige Jungen wie dich gesehen, und keiner hat seine ersten fünf Missionen überlebt.“ Ibiki starrt an ihm vorbei. „Wenn ich sterbe, willst du sagen können, ich habe es ja gewusst. Alles andere ist dir egal, oder?“ Ein Ruck reißt ihn zur Seite, er landet auf dem Boden. „Hast du eine Ahnung, was du da redest? Du bist mein Sohn! Ich will dich davon abhalten, dich auf lange Sicht umzubringen! Zu deinem eigenen Besten!“ Sensei hat gesagt, er ist etwas Besonderes, geht es Ibiki unaufhörlich durch den Kopf. Inoichi hat gesagt, es ist ein Irrglaube, dass Genjutsus nutzlos wären. Er will sich aufrichten, aber bevor er es tun kann, greift Vater nach seinem Kragen und zieht ihn hoch. „Du wirst dich in den praktischen Fächern an der Akademie verbessern und ein bisschen an Körpergewicht zulegen. Wenn ich das nächste Mal sehe, wie du mit deinen Genjutsus herumspielst, breche ich dir die Finger. Haben wir uns verstanden?“ Ibiki sieht ihm in die Augen und hört die Uhr ticken. „Hast du das verstanden, Ibiki?“ „Du bist verrückt, Vater“, flüstert Ibiki, und es macht ihm Angst, wie hoch und verängstigt seine Stimme klingt. „Ich bin nicht irgendein böser Shinobi oder so. Ich bin's, Ibiki. Ich bin erst acht. Hörst du dir selber beim Reden zu?“ „Es ist zu deinem Besten“, wiederholt Vater schroff, lässt ihn los und geht. Am nächsten Morgen ist alles wieder in schönster Ordnung. Zu dritt sitzen sie um den Frühstückstisch, und Ima lacht und redet wie üblich viel zu viel für diese frühe Stunde. „Wir fangen heute mit Zielwerfen an, hat Sensei gesagt. Ich habe meine Kunais doch eingepackt, oder, Vater?“ „Natürlich, Prinzessin“, antwortet er ruhig. „Ich hoffe wirklich, dass ...“ Sie hält inne und lacht. „Ibiki!“ „Was denn?“, fragt er scheinheilig. „Der Zuckertopf hat einen Rüssel!“ Stirnrunzelnd sieht Vater hin. Der Zuckertopf hat tatsächlich einen kleinen, blauen Elefantenrüssel bekommen, der Krümel von der Tischdecke aufsammelt und in Imas Richtung winkt. Sie muss so sehr lachen, dass sie sich an ihrem Tee verschluckt. „Kai“, sagt Vater trocken und berührt Imas Arm, um das Genjutsu aufzulösen. Ima hört trotzdem nicht auf, zu lachen. „Ibiki macht immer so lustige Sachen! Er muss dir das mit dem Baum mal zeigen, Vater!“ „Schön, wenn es dich amüsiert.“ Vater lächelt dünn und greift nach der Teekanne. „Möchtest du noch etwas, Ibiki?“ Ibiki sieht ihn wachsam an, späht in seine erst halb geleerte Teetasse und ringt mit sich. Er spürt Vaters Wut, sie ist auch kaum zu übersehen an seinen bebenden Lippen, außer vielleicht für Ima. Langsam greift er nach seiner Tasse. „Sehr gerne, Vater.“ Er hält sie ihm hin, und Vater gießt ihm den heißen Tee über die Hand. Ibiki lässt die Tasse fallen, zuerst nur vor Schreck. Der Schmerz kommt erst danach, es brennt, es ist heiß und es brennt. Er heult auf, stößt seinen Stuhl um und rennt zum Waschbecken. „Ibiki? Was ist denn passiert?“ Fahrig dreht er den Wasserhahn auf und hält die Hand darunter. Der Schmerz lässt ein wenig nach, aber es brennt immer noch. Seine Haut ist gerötet, an einigen Stellen zeigen sich Blasen. „Was ist passiert?“ „Es tut mir leid, Ibiki“, erklingt Vaters kühle Stimme hinter ihm. „Hast du dir etwas getan?“ Ibiki beißt sich auf die Unterlippe, bis es mehr wehtut als die Hand. Er will Vater so viele Dinge sagen, aber er wird es nicht tun. Nicht, wenn Ima da ist. „Ibiki? Tut es sehr weh?“ Besorgt tritt sie neben ihn und beäugt seine Finger. „Tut mir leid, Ibiki“, sagt Vater noch einmal. „Geht schon“, murmelt Ibiki. „War ja keine Absicht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)