Temporary Bliss von Rubinkarfunkel95 ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Jeder Mensch hat ein Geheimnis, welches er wie einen Schatz zu behüten versucht. Manche sind so dunkel und bösartig, dass sie die gutherzigen Seelen vergiften und beschmutzen. Andere sind einfach nur kleine Ereignisse aus der Kindheit, an die man heute mit einem Lächeln auf den Lippen zurück denkt. In dem einen Fall, die dunklen Geheimnisse, können es Ereignisse wie ein Mord oder ein erlebter, vielleicht auch selbst ausgeführter, Raubzug sein, während in dem anderen Fall, den schönen Kindheitsereignissen, es die Schokolade sein kann, die man immer geschickt vor den Eltern versteckt und noch spät in der Nacht genascht hatte. Es sind alles Dinge, die man Niemanden erzählen will, da es einem entweder schaden würde, oder weil man es einfach für sich behalten will um wundervolle Momente in den Erinnerungen noch einmal ganz alleine genießen zu können, ohne, dass manche Personen einen dabei stören. Doch das Geheimnis, welches ich seit meiner Geburt mit mir herum trage, passt in keines der eben genannten Kategorien. Mein Geheimnis würde ich am liebsten raus in die weite Welt schreien, es jedem auf dieser Welt erzählen der mir sein Gehör schenken würde. Aber ich darf es nicht. Mir wurde der Mund verboten, sodass ich keine andere Wahl habe als zu schweigen. Nicht einmal den beiden Personen, denen ich am meisten im Leben vertraute, für die ich mein eigenes Leben immer und zu jeder Zeit geben würde, durfte ich es erzählen. Als Kind hatte mich das weniger gestört, doch jeder entwickelt sich zu einem eigenständigen Menschen mit eigener Identität, oder nicht? Doch was, wenn einem genau das genommen und verboten wird? Was, wenn man eine Lüge leben muss? Das hier ist meine Geschichte. Ich dürfte sie nicht erzählen und dennoch tue ich es, denn ich muss es endlich los werden – mein Geheimnis. Und bevor ich es vergesse, mein Name ist Jesse Anderson; Jesse Maria Magdalena Anderson. Kapitel 1: Bruder und Schwester ------------------------------- Das erste, was ich wahrnahm, war der nervige Klingelton meines Weckers. Blind tastete ich danach, versuchte ihn irgendwie stumm zu schalten. Kein leichter Akt, da ich mit dem Rücken zu meinem kleinen Nachtschrank lag. So musste ich mich erst irgendwie auf den Bauch drehen und konnte dann mit der linken Hand den Bereich rund um meinen Wecker erkunden. Mein Gesicht hatte ich in meinem Kopfkissen versteckt. Immer noch schrillte dieses blöde Ding. Wenn ich es nicht endlich ruhig stellen würde, würde es auch noch eine ganze Weile weiter diesen nervigen Ton von sich geben. Denn diese Wecker besaß keine eigene Schlummerfunktion; oder wie sich das auch immer nannte. Er würde noch die nächsten Stunden vor sich hin schrillen, bis man ihn endlich zu verstehen gab, das er ruhig sein sollte. Und selbst dafür musste man den richtigen Knopf erst einmal erwischen. Ein Knopf war dafür da ihn den Mund sozusagen zuzubinden, und einer diente dazu um ihn eben manuell in diesen kurzen Schlafmodus zu versetzen. Wenn ich also nun ausversehen eben genau letztere genannte Funktion erwischte, würde er in den nächsten fünf Minuten wieder anfangen mein armes Zwerchfell zu belasten und mein Gehör zu schädigen. Etwas, was ich verhindern musste. Immer weiter tastete ich mich vor und erwischte dann einen der beiden Knöpfe. Endlich – Ruhe! Erleichtert ließ ich meinen Arm nun neben meinen Bett baumeln. Ich war zu müde um ihn wieder unter die warme Decke zu ziehen oder mich nun auf die linke Seite zu legen. Alles, was ich in diesem Moment wollte war einfach liegen bleiben und nicht aufstehen zu müssen. Jeden Tag aufs neue verfluchte ich mein Leben. An jedem neuen Morgen verfluchte ich den lieben Gott dafür, dass er die Menschheit geschaffen hatte. Denn dann würde es im Grunde meine Eltern nicht geben. Und ohne meine Eltern mich nicht. Gut, vielleicht würde ich mich irgendwo mögen, wenn ich eben ich wäre und nicht die Person, die man seit meiner Geburt versuchte aus mir zu machen. Als wäre ich eine Puppe oder gar eine Marionette und meine Eltern diejenigen, welche an den Fäden zogen. Düne Fäden, die aber stabil genug waren um sie nicht von selbst zu zerreißen. Wie gerne ich das nur tun würde, aber mir waren die Hände gebunden. Ich hatte keine Wahl als mich zu ergeben und das Leben zu leben, welches sie mir vorgaben. Murrend drehte ich mich nun doch auf die linke Seite, da mein Arm, auf dem ich ja mehr oder weniger lag, langsam einschlief. Und dieses Gefühl war alles andere als wirklich angenehm, sodass ich mich nun doch dazu aufraffte und die neue Position einnahm. Mein Blick huschte durch mein Zimmer, da ich es so nicht mehr im Kissen verstecken konnte. Keine Sekunde später bereute ich es, die Augen nicht einfach wieder geschlossen zu haben. Nichts zu sehen wäre auf jeden Fall besser gewesen als das zu sehen, was ich nun eben zu sehen bekam. Meinem Bett gegenüber stand mein Kleiderschrank. Er war aus hellen Holz angefertigt worden und passte somit zu der in leichten roten Touch gehaltenen Tapete, die mein ganzes Zimmer kleidete. Doch der Schrank an sich war nicht das, was mich störte. Auch nicht der Spiegel, der auf der gesamten äußeren Seite der sich über beide Doppeltüren zog, wenn ich diesen auch ein wenig übertrieben fand. Was mich störte war mein eigenes Spiegelbild, welches mich aus immer noch verschlafenen smaragdgrünen Augen ansah. Die fein gezupften Augenbrauen hatte es misstrauisch zusammengekniffen und die Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Meine weiße Bettecke mit den wirklich kitschig wirkenden Herzchenmuster rutschte herunter, als sowohl ich, als eben auch mein Spiegelbild, uns erhoben und aufeinander zugingen. Immer noch warfen wir uns beide misstrauische Blicke zu, während wir beide das lange dunkelblaue Nachthemd trugen, welches uns beiden bis zu den Knien reichte. Ich stemmte die Hände in die Hüften, ließ es aber kurz darauf wieder sein. Ein leises Seufzen entwich mir, ehe ich die Augen schloss und somit mein Spiegelbild ausblendete. Das Bildnis, welches mir jeden Morgen immer wieder zeigte, welche Person meine Eltern aus mir gemacht hatten, aber eben nicht die Person, die ich wirklich sein wollte. Da ich normalerweise als erstes aus unserer Familie wach wurde, nutzte ich die mir noch bleibende Zeit, bis die anderen Wecker alle klingen würden, um unter die Dusche zu steigen. Schnell hatte ich mir neue Unterwäsche und passende Kleidung aus dem Schrank geholt und eilte damit ins Badezimmer am Ende des kleinen Flures um mich frisch zu machen. Das einigermaßen kühle Wasser hatte mir geholfen richtig wach zu werden. Die letzten Funken der Müdigkeit wurden einfach fortgespült und verschwanden zusammen mit dem von Duschgeld und Haarshampoo verschmutzten Wasser im Abfluss. Ich hasste langes duschen, doch unter zehn Minuten kam ich leider nicht weg. Und das lag wirklich nicht daran, dass ich mich doch einmal davon mitreißen ließ ein wenig die Augen zu schließen um die kleinen Tropfen auf der Haut genießen zu können; dafür sorge schon die leichte Kälte, die nun einmal eine kühle Dusche mit sich brachte. Generell bevorzugte ich eine kältere Dusche, um eben der Verlockung widerstehen zu können. Doch diese Maßnahme half mir leider nicht, meine langen Haare, die mir bereits bis zur Rückenmitte reichten, schneller auswaschen zu können. Das Einschäumen an sich brauchte schon so seine Zeit und dann auch noch das ganze Zeug da wieder heraus bekommen. Nein, es war einfach nur nervig und kostete viele Minuten und Nerven. Zum Glück bin ich jetzt fertig damit... Da es ein warmer Sommertag werden würde – davon ging ich zumindest aus, immerhin hatten wir es Mitte Juni, zudem waren die Temperaturen jetzt schon nicht mehr allzu kalt und das am noch frühen Morgen – föhnte ich meine Haare nicht, sondern band sie mit einem passenden Zopfgummi in meiner Naturhaarfarbe, nämlich türkis, zusammen nachdem ich sie etwas geflochten hatte. Sie würden schon an der Luft trocken und nicht mehr feucht sein, wenn ich nachher zur Schule fuhr. Etwas, was ich aus Erfahrung wusste. Stolz darauf, das Flechten zu beherrschen, war ich nicht wirklich. Aber in all den Jahren hatte ich eben keine Wahl gehabt, denn nur geflochten waren meine Haare als Zopf von der Länge her erträglich genug. Alles andere machte mich fast schon wahnsinnig, aber abschneiden durfte ich sie nicht; laut meinen Eltern. Ich selber hätte sie schon längst bis zu meinen Schulterblättern abgeschnitten – mindestens. Seufzend zog ich mein hellblaues Kleid an, welches einen kleinen Grünstich beinhaltete und somit meine Augen unterstrich, wie meine Mutter so gerne sagte. Es reichte mir ebenso wie mein Nachthemd bis zu den Knien und war nur in meinem Nacken festgebunden. Ich hatte an sich nicht viel für Kleider übrig, doch diesem schenkte ich nicht allzu viel Abneigung wie den anderen Exemplaren in meinem Schrank. Schnell cremte ich meine Beine an und war froh, dass sie noch nicht soweit waren, dass ich sie mir wieder rasieren musste. Frauenprobleme... Rasieren... Periode... Schnell schüttelte ich den Kopf um alle Gedanken daran zu verdrängen. Das Klopfen an der Tür half mir dabei nur mehr als gut. „Jesse? Bist du da noch drin?“ Zum ersten Mal an diesem Morgen musste ich lächeln, als ich die Stimme meines Zwillingsbruders hörte. Jehu war nicht gerade das, was man einen Frühaufsteher nannte. Und normalerweise war er auch immer als letztes Besucher im Bad. Umso erstaunlicher, dass er nun schon vor der Tür stand und anscheinend rein wollte. „Einen Moment...“, rief ich ihm zu. Die letzten Spuren Creme waren nun beseitigt. Noch kurz ein wenig Deo aufgetragen um nicht allzu schnell nach Schweiß zu riechen – eine nervige Nebenwirkung warmer Sommertage; vor allem eben an diesen Tagen -, ehe ich nun zu der Tür ging und sie meinem Zwillingsbruder öffnete. Jehu stand vor, von einen Bein auf das andere tretend. Ein Grinsen umspielte meine Lippen als ich ihn dabei beobachtete. „Musst du etwa einmal für kleine Jungs?“ Ein genervtes Schnauben war die Antwort. „Ja, und wenn mein Schwesterherz nicht gleich mir den Weg frei macht, wird der Flur zur neuen Toilette erklärt...“ Immer noch grinste ich, während sich es aber nun, zumindest für mich, falsch anfühlte. Damit seine Worte nicht wahr wurden, trat ich zur Seite und ließ ihn eintreten. Sofort wurde die Tür zugeworfen. Das war typisch Jehu, nahm keine Rücksicht auf die Menschen, die vielleicht noch schliefen. Oder eben auf mich, da ich ja nun genau neben der Tür gestanden hatte. Doch es störte mich nicht, liebte ich meinen Bruder doch für seine Art. Das leise Seufzen, was nun über meine Lippen kam, galt nicht der lauten Aktion Jehus, sondern seinen Worten zuvor. Oder eher einem bestimmten Wort. 'Schwesterherz' Mein Magen zog sich zusammen, während sich meine Hände zu Fäusten ballten. Dieses eine Wort schnitt mir wie ein Messer ins Herz. Und dabei lag es nicht einmal an der Art, wie Jehu es ausgesprochen hatte. Er liebte mich, seinen zwei Minuten jüngeren Zwilling. Natürlich gab es auch Momente, wo wir dem Anderen am liebsten den Hals umdrehen würden, aber im Großen und Ganzen war er immer für mich da, wenn ich ihn brauchte – und ich für ihn. Er war sozusagen mein zweiter bester Freund, neben Jaden Yuki. Ein Junge, den ich nun schon gute zwölf Jahre kannte. Damals, als wir aus Schweden nach Japan gezogen waren, weil unsere Eltern hier einen besseres Jobangebot erhalten hatten. Er und sein Zwillingsbruder Haou haben uns damals im Kindergarten gleich als Freunde akzeptiert – und diese Freundschaft hielt bis heute. Und eben weil Jehu und ich uns wie beste Freunde nahe standen, sprach er das Wort 'Schwesterherz' nie mit Verachtung aus; egal wie genervt oder gestresst er war. Dann sagte er vielleicht höchstens einmal 'Kleine' zu mir, dich mit demselben liebevollen Unterton, der mir zeigen sollte, wie wichtig ich ihm war. Doch genau diese Worte – Schwesterherz und Kleine – waren es, die mir mehr wehtaten als wenn er jemals seine Stimme wütend gegen mich erheben würde. Sie waren schlimmer, als jedes Schimpfwort, das er mir jemals an den Kopf werfen könnte. Und doch wusste er nichts davon. Wusste nicht, wie weh er mir damit tat, denn jedes Mal schenkte ich ihm ein Lächeln oder ein Lachen. Nur, um die Wahrheit vor ihm zu verstecken... Erneut seufzte ich, ehe ich langsam meinen Weg in die Küche begann, um mich dort um das Frühstück für die gesamte Familie zu kümmern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)