Jemand von Ur ("1 neue Mitteilung erhalten") ================================================================================ Kapitel 15: Countdown --------------------- »Vielleicht musst du jetzt öfter für mich kochen.« »Da hätte ich nichts gegen. Kochen macht Spaß.« Das Essen, das Lelo für mich und meine Familie gekocht hat, war ein voller Erfolg. Alle waren begeistert, wir haben uns sehr nett und lange unterhalten und niemand hat mich dazu veranlasst, mich vor lauter Peinlichkeit aus dem Fenster stürzen zu wollen. Anschließend haben wir Lelo noch Rommé beigebracht und jetzt hocken wir beide in meinem Zimmer und atmen die kühle Herbstluft ein, die ins Zimmer dringt. Lelos Haar riecht nach Curry. Alles in allem muss ich doch sagen, dass wir sämtliche Turbulenzen ziemlich gut gemeistert haben – insbesondere im Angesicht der Tatsache, dass wir erst so kurz zusammen sind. Die Leute in der Schule haben sich mit wenigen Ausnahmen erstaunlich schnell an uns beide als Paar gewöhnt und mittlerweile werde ich geradezu beunruhigend selten schräg angeschaut. Selbst wenn ich ein Kleid anhabe. Zugegeben, auf die ganzen »Also, bist du jetzt ein Mädchen?«-Unterhaltungen könnte ich verzichten, aber wie Kiki schon gesagt hat, lässt es sich wohl nicht vermeiden. Herr Sickt hat einen saftigen Anruf von meinen Eltern bekommen, die darauf bestanden haben, beide abwechselnd in den Hörer zu motzen, während Herr Sickt am anderen Ende der Leitung nicht wusste, was ihn trifft. Seitdem ignoriert er mich im Unterricht vollkommen und ich weiß, dass er vom Direktor eine ordentliche Abreibung bekommen hat, weil meine Eltern sich offiziell über Mobbing im Unterricht beschwert haben. Ein großartiger Triumph. Jan nimmt jetzt wieder Reißaus vor mir, da er weiß, dass Lelo und somit gute neunzig Prozent des Jahrgangs hinter mir stehen. Ein seltsamer Gedanke, wenn ich ehrlich bin. Natürlich weiß ich, dass es dabei nicht wirklich um mich geht, sondern eher darum, dass Lelo auch weiterhin den Status des Sonnengottes alias des Jahrgangsprinzen inne hat, aber es ist trotzdem gut zu wissen, dass Jan mich nicht an einem grauen Novembertag mitten in der Pausenhalle anfallen könnte, ohne dass zwanzig Mitschüler und Mitschülerinnen sich empört auf ihn stürzen und ihn zur Schnecke machen. Lelos Eltern haben sich mittlerweile mit Sophias Kopftuch abgefunden, sind aber immer noch etwas ungeschickt und unsicher mit der ganzen Unser-Sohn-ist-mit-jemandem-zusammen-der-einen-Penis-hat-Situation, was sich vor allem darin äußert, dass sie ihn häufig fragen, ob er irgendwelche wahllosen Mädchen auf der Straße oder im Fernsehen hübsch findet und ihn manchmal traurig ansehen oder besonders angeregt darüber sprechen, wie gerne sie später Enkel hätten. Lelo ist so ein herzensguter und geduldiger Mensch, dass er es ihnen nicht übel nimmt und weiterhin dankbar dafür ist, dass sie nicht offen negativ oder ablehnend reagiert haben. Auch die Entschlossenheit von Herrn und Frau Suleri, mich kennen lernen zu wollen, ist nicht verflogen. Wenn ich daran denke, fange ich an zu schwitzen und möchte mich gerne in unserem Hinterhof verbuddeln. Das könnte sogar noch nervenaufreibender sein, als mich vor der ganzen Schule zu outen. Uff. »Und wo wir grad von Essen reden«, meint Lelo und reißt mich so aus meinem Gedankenschloss heraus in die wirkliche Welt, in der es langsam ziemlich frisch wird und ich ein wenig fröstele. Daraufhin steht Lelo, der elende Prinz auf weißem Ross, natürlich sofort auf und macht das Fenster zu, weil er mein Frösteln sofort bemerkt hat. Meine Fresse, er ist so hinreißend, ich möchte ihm einen Schrein bauen und Gänseblümchen opfern. »Hm?«, nuschele ich und vergrabe meine Hände in seinen Haaren, nachdem er sich wieder neben mich aufs Bett hat sinken lassen. Mit großer Sorgfältigkeit und Hingabe ziehe ich die Windungen seiner Ohrmuschel mit dem Zeigefinger nach, was Lelo dazu veranlasst, ein schauderndes Schnauben auszustoßen und sein Gesicht an meiner Halsbeuge zu vergraben. Ich grinse. Dann erinnere ich mich daran, dass Lelo etwas sagen wollte und dass es unhöflich ist, seinen Freund mit Herumgefriemel zu unterbrechen. »Was wolltest du sagen?« Lelo hebt den Kopf und sieht mich mit seinen arg zerwuschelten Locken aus großen braunen Augen an. »Ähm… In anderthalb Wochen fängt Ramadan an«, erklärt er mir. In meinem Kopf rattert es kurz. »Fastenmonat«, entgegne ich und komme mir vor wie ein fleißiger und strebsamer Schüler, der ein Quiz bestanden hat. Lelo nickt und seine Mundwinkel zucken. Meine Gedanken schweifen kurz zu einem Szenario ab, in dem Lelo einen Rohrstock in der Hand hält und ich eine Schulmädchenuniform trage. »Wir fasten Essen und Trinken von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang«, sagt Lelo und ich nicke, während es in meiner Hose interessiert zuckt angesichts der Rohrstockvorstellung. Reiß dich zusammen, Kim! »Und… naja. Es ist üblich auch andere Sachen zu fasten. Also, man soll zum Beispiel nicht fluchen. Oder lügen. Also, nicht, dass diese Sachen sonst gern gesehen wären, aber ich meine… es geht ein bisschen darum, der beste Muslim zu sein, der man sein kann. Oder so«, sagt Lelo und wedelt mit seinen Händen in der Luft herum. Ich nicke langsam und speichere all diese Informationen sorgfältig ab. Ich werde Lelo also für einen Monat definitiv nicht zum Pizzaessen einladen. Zumindest nicht, solange es hell ist. »Und… ähm…« Ich lege den Kopf schief und beobachte, wie Lelos Ohren rot werden und dann seine Wangen folgen. »Also, normalerweise sind romantische und sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe sowieso nicht erlaubt«, platzt es aus Lelo heraus und ich blinzele ein wenig erstaunt angesichts seiner Aufregung, »aber viele Leute machen es trotzdem und ich ja offensichtlich auch, aber im Ramadan fastet man auch alles an sexuellem Kram und ich hoffe, dass das für dich ok ist. Wenn wir… machst du Schluss, wenn wir einen Monat lang nicht rumknutschen können? Und so?« Ich starre Lelo an. »Was? Sei nicht absurd! Wieso sollte ich Schluss machen wollen? Was für ein Arschloch wäre ich, wenn ich deswegen mit dir Schluss mache?«, frage ich zusammenhangslos und fange vor lauter Empörung an, mir einen Zopf zu flechten. Lelo zieht die Schultern hoch, wie er das immer macht, wenn er nicht weiß, wohin er mit sich soll. »Naja…«, sagt er ziemlich kleinlaut und schweigt dann wieder. »Nicht, dass ich nicht einen Monat lang ausgehungert und mich verzehrend durch die Weltgeschichte wanken werde«, fahre ich fort und binde den Zopf mit einem Haargummi fest, das ich um mein Handgelenk getragen habe. Lelo schnaubt amüsiert. »Aber ich hab dich doch nicht Jahrhunderte lang angeschmachtet, um jetzt das Handtuch zu werfen, nur weil wir uns dreißig Tage nicht küssen können«, fahre ich fort und sehe, wie sich Erleichterung und Freude auf Lelos Gesicht breit macht. »Ich fasse es immer noch nicht, dass du mich schon so lange toll findest«, sagt er mit einem ziemlich verträumten Gesichtsausdruck, der mein Herz doppelt so schnell weiterschlagen lässt. Ich grübele kurz über diese ganze Fasten-Sache nach. »Ich darf deine Hand halten und dich umarmen?«, erkundige ich mich. Lelo nickt. »Na«, sage ich, »Dann wird es schon nicht so schlimm werden!« * Es ist die Hölle. Ich bin natürlich sehr bemüht, das vor Lelo nicht raushängen zu lassen wie der letzte Arsch, aber ich habe definitiv noch nie in meinem Leben so oft masturbiert wie in den letzten Tagen. In der ersten Woche war es noch ganz ok. Ich habe zwei Mal beinahe vergessen, dass Lelo nicht knutschen oder sonst irgendwie sexuell sein darf, aber er hat mir großzügig verziehen und mittlerweile habe ich mich ganz gut unter Kontrolle. Es sind allerdings auch erst zwölf Tage vom Ramadan um und ich schleiche durch mein Leben wie ein Seehund in der Wüste. Manu lacht mich jeden Tag mindestens vier Mal deswegen aus. »Ich bin super dankbar dafür, dass meine Libido quasi bei null liegt«, sagt sie breit grinsend als ich ihr beichte, dass ich mir gestern sogar zwei Mal einen runtergeholt habe. Einmal morgens unter der Dusche und dann noch mal abends, nachdem Lelo sich nach einer ausgiebigen Skyrim-Session verabschiedet hat, um mit seinen Eltern abends das Fasten zu brechen. »Ja ja, ein Hoch auf deine Asexualität und deine winzige Libido«, brumme ich unbarmherzig und Manu grinst nur zufrieden vor sich hin. »Er hat gesagt, dass es nach Einbruch der Dunkelheit ja eigentlich ok wäre, wenn wir rummachen, aber er meint auch, dass er dann wahrscheinlich den ganzen Tag über lüstern in der Gegend rumeiern würde. Ich meine… Es macht mich ja schon ziemlich zufrieden, dass er sich alle zehn Finger nach mir ableckt…« Manu schüttelt amüsiert den Kopf und tätschelt mir gespielt mitleidig die Haare. Ich beschließe schnell das Thema zu wechseln, damit Manu sich auch mal ein bisschen windet und rucke mit dem Kopf in Richtung Pia. Wir sitzen auf unserem angestammten Platz in der Pausenhalle und haben gerade zufrieden dabei zugesehen, wie Jan sich am Kaffeeautomaten heißen Kaffee über die Finger geschüttet hat, weil irgendein Neuntklässler – gepriesen sei er – ihn aus Versehen von hinten angerempelt hat. »Wie sieht es denn eigentlich bei dir und Pia aus?«, will ich wissen und sehe, wie Manus schadenfrohes Schmunzeln sofort in sich zusammen fällt. Sie schaut kurz zu Pia hinüber die heute – wie eigentlich an jedem Tag – entzückend aussieht mit ihren kinnlangen, gewellten Haaren und dem lila Wollkleid und den flauschigen Armstulpen. Als sie bemerkt, dass wir zu ihr herüber sehen, winke ich ihr strahlend zu und Manu haut mir den Ellbogen in die Seite, was mich und Pia gleichermaßen zum Lachen bringt. Pias Lachen ist genauso hübsch wie ihr gesamter Rest. »Sie hat mich zu einer Veranstaltung eingeladen. Eine Musical-Veranstaltung«, erklärt Manu und sie betont das Wort Musical, als würde es sich um das Äquivalent zu einer besonders schleimigen Nacktschnecke handeln. »Wie kam sie denn auf die Idee? Weiß sie nicht, dass du zu hardcore bist, um Musicals zu mögen und dass du dir lieber zu Metal die Stimme heiser schreist?«, stichele ich und Manu streckt mir die Zunge heraus. »Sie hat mich eingeladen, weil sie selber singt«, erwidert Manu und ich pfeife beeindruckt. »Wow. Ich wusste nicht, dass sie singen kann«, sage ich interessiert. Manu schüttelt den Kopf. »Ich auch nicht. Sie ist aber wohl Mitglied in so einer Musical-Gruppe und sie haben ein paar Auftritte im Kleinen Haus vom Theater…« »Dann müssen sie ziemlich gut sein«, meine ich und schaue noch mal zu Pia hinüber. Es ist vermutlich eine recht intime Sache, jemanden zu so etwas einzuladen, wenn man selber auf der Bühne steht und eigentlich weiß, dass der andere die Musikrichtung eher schrecklich findet. Meine Güte, Pia muss wirklich Hals über Kopf in Manu verschossen sein. Ich hoffe sehr, dass Manu bald ihren Schädel aus ihrem Hintern zieht und einen Schritt auf Pia zumacht. »Ich hasse Musicals«, stöhnt Manu und rauft sich die frisch gefärbten lila Haare – die übrigens ganz hervorragend zu Pias Kleid passen. »Aber wenn ich nicht hingehe, wird sie mich mit ihren großen braunen Augen traurig anschauen und ich werde mich wie der schlechteste Mensch auf der Welt fühlen.« Ich mustere Manu. Es ist wirklich nicht so, als würde sie sich sonst darum scheren, was andere Leute von ihr denken – es sei denn, sie kann besagte Leute wirklich gut leiden. »Dann solltest du hingehen und dich für anderthalb Stunden nicht so anstellen«, rate ich ihr weise nickend und ernte noch einen Ellbogen in die Seite. Manu stöhnt und legt ihren Kopf auf ihre Knie. »Na schön«, brummt sie. Ich bin so begeistert von diesem kleinen Sieg, dass ich für ganze zehn Minuten vergessen habe, wie notgeil ich eigentlich bin. Hurrah! * Ich träume vier Nächte in Folge von verschiedenen Sexabenteuern zwischen mir und Lelo. Zwei davon hatte ich mir im wachen Zustand noch nicht ausgemalt, was eindeutig eine Meisterleistung meines Unterbewusstseins darstellt. »Manu geht ins Theater, um bei Pias Aufführung zuzuschauen«, erzähle ich Lelo, als wir am fünfzehnten Tag zusammen im Park spazieren gehen. Es ist mittlerweile so kalt, dass ich Handschuhe angezogen habe, um ungehindert mit Lelo Händchen halten zu können. Es ist immer noch einmal etwas anderes, in der Öffentlichkeit – und damit meine ich eine Öffentlichkeit außerhalb der Schule – als Paar aufzutreten. Aber bislang hatten wir damit noch keinerlei Probleme. Ein Hoch darauf, dass wir in einer größeren Stadt leben! »Ah, wie schön. Pia hat ungefähr alle drei Minuten erwähnt, wie aufdringlich sie sich vorkam, weil sie Manu eingeladen hat«, erklärt Lelo und ich habe das Gefühl, ich sollte mal ein eindringliches Gespräch mit Pia darüber haben, wie ihr Umgang mit Manu vollkommen in Ordnung ist. Vielleicht könnte ich ihr eine kleine Bedienungsanleitung für meine beste Freundin schreiben. »Manu steht wahrscheinlich nicht so auf Musicals, oder?«, erkundigt Lelo sich schmunzelnd. Ich lache. »Sie hasst Musicals wie die Pest.« »Dann muss es was Ernstes sein mit den beiden«, meint Lelo breit grinsend und ich stimme ihm nickend zu. »Meinst du, die beiden könnten uns den Rang vom niedlichsten Pärchen im Abibuch streitig machen?«, frage ich gespielt dramatisch und Lelo gluckst leise. »Ich freue mich zu hören, dass wir beim Abi in deinem Kopf immer noch ein Paar sind«, gibt er zurück und ich werde ein wenig rot und spüre ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend. »Naja! So lange ist es bis zum Abi ja nun auch nicht mehr hin!«, erwidere ich zu meiner Verteidigung. Lelo zwinkert mir zu und mein Gehirn veranstaltet einen komplizierten Tanz, bei dem sich alle Windungen verknoten und dann unweigerlich – weil ich ein Teenager mit haushoher Libido bin – bei Sex stehen bleiben. Lelo mustert mich amüsiert. »Denkst du schon wieder an Sex?« Ich wimmere selbstmitleidig. »Wir müssen aufhören, uns so oft zu sehen. Du kennst mich zu gut und ich muss so mysteriös wie möglich bleiben!« Lelo bleibt stehen und zieht mich in seine Arme. Wir stehen mitten im Park unter einem kahlen Kastanienbaum und eine einsame Joggerin mit Hund wirft uns einen interessierten Blick zu, als sie vorbei läuft. Ihr Hund kläfft freudig. Lelos Atem an meinem Ohr ermutigt mich nicht gerade dazu, mit den versauten Gedanken aufzuhören. »Nichts da«, sagt Lelo leise und drückt mich fest an sich. Ich schmelze dahin als wäre es eigentlich Hochsommer anstatt Spätherbst. Wer außer mir kennt die Antwort auf die Frage: Was wird Kim nachher machen, wenn er allein zu Hause ist? Wer an dieser Stelle an Selbstbefriedigung gedacht hat, darf sich jetzt auf die Schulter klopfen und einen Keks essen, sofern einer in unmittelbarer Nähe vorhanden ist. Meine Fresse, vielleicht sollte ich mit Meditation anfangen. Es ist ja nun auch nicht so, als hätten Lelo und ich vorher ununterbrochen gevögelt. Wahrscheinlich ist es der Reiz des Verbotenen, der an meiner Zurückhaltung nagt und mich in ein unerträgliches Sexmonster verwandelt. Wir bleiben eine ganze Weile lang so stehen, dann hebt Lelo den Kopf und schaut mich an. Seine Wangen sind auch ein wenig gerötet und ich halte den Atem an. »Noch fünfzehn Tage«, sagt er leise und der Rotton auf seinen Wangen verdunkelt sich noch ein wenig. Fuck. Wenn das so weiter geht, brauche ich bald einen persönlichen Rettungssanitäter. * Manu sieht absolut fantastisch aus. Ich sehe sie in diesem Moment womöglich zum ersten Mal in einem weißen statt in einem schwarzen Hemd und mit den Hosenträgern und der recht weiten, schwarzen Hose und den nach oben gestylten Haaren macht sie mich fast ein bisschen schwach in den Knien. Als ich ihr das mitteile, boxt sie mich gegen den Oberarm. Ich liebe meine beste Freundin sehr. »Auf die Boots werde ich aber nicht verzichten! Das weiße Hemd ist das höchste der Gefühle!«, sagt sie anklagend, als hätte ich sie zu diesem Outfit gezwungen. Tatsächlich sah sie schon genauso aus als ich ankam und ich habe ihr lediglich dabei geholfen einen Lidstrich zu ziehen. Ich gluckse heiter. »Hast du dein Ticket? Geld für einen Beruhigungsschnaps? Dein Handy, damit du mir schmachtende Nachrichten und Fotos schicken kannst?« Manu verengt die Augen zu Schlitzen und ich springe rasch außer Reichweite, damit sie mich nicht noch mal boxen kann. Sie mustert sich noch einmal im Spiegel und murmelt »Musicals«, als könnte sie es immer noch nicht fassen, in was für eine Vorstellung sie sich gleich begeben wird. »Ich wünsche dir viel Spaß!«, flöte ich bestens gelaunt und lache, als Manu sich auf mich stürzt, um mir die Haare zu zerwuscheln. Noch zehn Tage. * »Ist es schlimm, wenn ich dir sage, dass ich vielleicht durchdrehe, bevor die letzte Woche rum ist?« »Nein ;-) Falls es dir hilft: So schwer war definitiv noch kein Ramadan vorher. Nicht mal im Hochsommer.« * Zwei Tage vor Ende des Fastenmonats berichtet Lelo mir, dass seine Eltern bereits eifrig damit beschäftigt sind, allerlei Lebensmittel für ʿĪd al-Fitr zu besorgen und ich lasse mich darüber belehren, dass das Fastenbrechen am Ende von Ramadan eine große Sache ist. Mit Beten und allerlei Essen und Besuchen bei Verwandten und Bekannten. »Ich habe erst überlegt meinen Eltern vorzuschlagen, dich zum Fastenbrechen einzuladen, aber dann dachte ich mir, dass dich das vielleicht zu sehr überfordert und hab es gelassen. Aber wir finden schon noch einen geeigneten Termin!« Ich versuche unterdessen, mich mit einem neu entdeckten, alten Computerspiel auf andere Gedanken zu bringen. Vielleicht kann ich Lelo beizeiten auch dazu überreden, Dragon Age mit mir zu spielen. Es wird ihn sicher freuen, dass man eine anständige Liebesbeziehung mit verschiedenen Charakteren eingehen kann. Lelo und ich haben uns in den letzten Tagen nicht privat gesehen, weil er so in den Vorbereitungen für die Festlichkeiten eingebunden ist. Es ist unnötig zu sagen, dass ich vor Sehnsucht vergehe und ein Bündel aus Selbstmitleid und Notgeilheit bin. Man sollte mich eigentlich gar nicht vor die Tür lassen. »Wie fand Manu eigentlich Pias Auftritt?« »Ihr einziger Kommentar war, dass sie sehr gut singt. Dann hat sie gebrummt und wollte nicht weiter darüber reden. Ich glaube, sie ist rettungslos verschossen.« »Kein Wunder, dass Pia sich so unsicher ist, wenn Manu immer nur brummt :-D« »Das kannst du laut sagen. Ich brauchte auch Jahre, um das ein oder andere Brummen als Liebeserklärung zu erkennen.« »Ich vermisse dich.« Shit. Ich glaube, ich fluche während des Ramadan besonders viel. »Ich dich auch.« * Ein Hoch auf meine Eltern und ihr aktives Sozialleben! An dem Wochenende nach ʿĪd al-Fitr fahren sie meinen Onkel in Frankfurt besuchen und ich verweise Laura der Wohnung. Sie lacht, bewirft mich mit Kondomen und ruft bei ihrer bester Freundin an, um sich dort für zwei Tage einzunisten. Meine Schwester ist ein Segen. »Ich habe sturmfrei!«, schreibe ich Lelo bestens gelaunt. Wir haben uns für fünf Uhr verabredet und ich habe ihm bereits von Dragon Age berichtet. Zu meiner grenzenlosen Zufriedenheit hat er sofort zugestimmt, einen Charakter zu erstellen und es mit mir zusammen auszuprobieren. Ich möchte natürlich keine allzu hohen Erwartungen haben. Vielleicht knutschen wir ja nur ein bisschen rum, wenn Lelo hier ist, und verbringen dann den Rest des Abends vorm PC und mit Unterhaltungen über Gott und die Welt und mit vegetarischer Tiefkühllasagne, die ich extra aufgehoben habe. Ich bin ein elender Romantiker, ich weiß. Aber vielleicht haben wir ja auch Sex. So ein kleines bisschen. Ein schüchterner Handjob hier und da. Kim, reiß dich zusammen! Ich ziehe vorsichtshalber trotzdem mein schönstes Spitzenhöschen und ein geblümtes Kleid an, flechte mir sorgfältig die Haare und putze mir ungefähr fünf Minuten lang die Zähne, kurz bevor es schließlich klingelt. Zehn Minuten zu früh. Ich husche breit und ziemlich dümmlich grinsend zur Tür. »Ich habe vegetarische Tiefkühllasagne für uns aufgehoben«, begrüße ich ihn bestens gelaunt, noch bevor er ganz die Treppen herauf gestiegen ist. Lelo lacht und umarmt mich sehr fest zur Begrüßung, dann schält er sich aus seiner Jacke und seinen Schuhen und folgt mir in mein Zimmer. »Klingt hervorragend«, meint er amüsiert, während ich die Tür schließe und mich zu ihm umdrehe. Einen Augenblick lang sehen wir uns lächelnd an, dann kommt Bewegung in Lelo und ehe ich es mich versehe, hat er mich an die einzig freie Wand in meinem Zimmer gepresst und küsst mich so verlangend, wie er mich bislang noch nicht geküsst hat. Seine Hände sind überall auf meinem Körper, stehlen sich unter mein Kleid und schieben es nachdrücklich nach oben. Meine Knie fühlen sich schwach an und ich kralle mich haltlos an Lelos Pullover fest, während meiner Kehle ausgesprochen enthusiastische Geräusche entwischen. Eine von Lelos Händen vergräbt sich in meinen Haaren und zieht fest daran. Das Ziehen und Kribbeln auf der Kopfhaut schießt sofort hinunter in meine Körpermitte und ich stöhne hingerissen gegen Lelos volle Lippen, die mich weiterhin nachdrücklich um den Verstand knutschen. Ok, vielleicht doch kein Abend nur vorm PC. Dem Himmel sei Dank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)