Blood-red Diamond von MarySae (- Blutrote Seele -) ================================================================================ Epilog: Epilog -------------- Der Sommer war vorbei und der Herbst hatte Einzug gehalten, das war deutlich zu spüren. Trotz meines dicken Pullovers und der Decke, die die letzten Tage immer griffbreit auf meinem Sofa lag, fror ich. Immer wieder wanderte mein Blick zum Thermostat der Heizung, doch ich redete mir ein, dass das Ende September bei 20 Grad draußen unsinnig war. Also verkroch ich mich tiefer unter die Decke und starrte wieder auf den flackernden Fernsehbildschirm.   Ein tiefer Seufzer entfuhr mir, als ich mich in die Kissen drückte und versuchte, mich auf die Worte der Serienschauspielerin zu konzentrieren, die dort gerade einen ihrer Kollegen anmeckerte. Doch ich kannte weder die Serie, noch interessierte es mich, was dort geschah. Ich wusste nicht einmal, was genau ich mir dort ansah. Die Ereignisse, die mein Leben komplett verändert hatten, waren erst wenige Wochen her. Und immer noch kreisten meine Gedanken in jeder Sekunde nur um diese paar Tage.   Ich erinnerte mich noch genau, wie es war, als meine Eltern und ich die ersten Minuten alleine miteinander verbringen konnten. Ich hatte kein Detail der Geschehnisse ausgelassen. Ich war der Meinung gewesen, dass sie es, nach allem, was sie meinetwegen durchmachen mussten, verdient hatten, alles zu wissen (Die Polizei hatte zwar tatsächlich ihre Segenssteine wiedergefunden, aber das war nur ein ganz kleiner Trost gewesen). Es hatte mir das Herz gebrochen, meine Mutter so weinen zu sehen und ich glaubte bis heute, dass ich ihr ihre unsinnigen Schuldgefühle nicht ausreden konnte. Selbst mein Vater hatte meine Geschichte sichtlich mitgenommen. Normalerweise kannte ich ihn ruhig und gelassen, doch diesmal war er derjenige gewesen, der beschlossen hatte, dass ich zu ihnen zurückziehen sollte. Ich musste beinahe einen Streit vom Zaun brechen, um sie davon zu überzeugen, dass ich in meiner Wohnung bleiben werde. Ich wusste, dass sie bloß Angst um mich hatten, aber ich wusste genauso, dass ich mich nicht ewig verkriechen konnte. Außerdem hatte ich ein Argument, dem sie nichts entgegenzusetzen hatten …   Wie auf das Stichwort hörte ich plötzlich, wie ein Schlüssel in das Schloss der Haustür gesteckt wurde und sich einen Moment später die Tür öffnete. Licht wurde eingeschaltet und eine Gestalt bewegte sich vor der teilverglasten Tür. Ein wohlig warmes Gefühl durchflutete mich und die Kälte in meinen Körper verschwand allmählich. Es war einfach unglaublich gewesen. Mary-Sae und Talamarleen hatte ich an diesem Abend noch eine SMS geschickt und ihnen gesagt, dass es mir gut ging. Natürlich klingelte sofort mein Telefon heiß und ich hatte zwei schluchzende Mädchen in der Leitung, die sich vor Erleichterung ihre Augen ausgeweint hatten. Trotz meiner Versicherung, dass alles gut sei, hatten sie es sich - samt Partnern - nicht nehmen lassen, mich noch an diesem Abend zu besuchen (Im Krankenhaus bleiben musste ich nicht, weil die Sanitäter zufrieden mit der Versorgung meiner Wunden waren. So schlimm wäre es auch nicht, meinten sie. War mir nur recht.). Und da hatte ich erneut die Geschichte erzählen müssen. Ich hatte mitbekommen, dass Damian wirklich nichts gesagt hatte (und in dem Moment, als ich den Teil erwähnte, musste ich die anderen davon abhalten ihm an die Kehle zu springen!) und ihnen allen zum Glück nichts passiert war. Aber ich sah, wie schwer es ihnen fiel, mir zuzuhören. Die Mädchen weinten hemmungslos und die Jungs waren ungewöhnlich still. Damian war wahrscheinlich der einzige, der mich wirklich verstehen konnte.   Doch es würde noch lange dauern, bis sie mir verzeihen würden, dass ich alles still und heimlich im Alleingang gemacht hatte. Auch wenn allen Beteiligten tief im Inneren klar war, dass keiner von ihnen mir hätte helfen können. Trotzdem musste ich mir tagtäglich (mehrfach!) anhören, wie leichtsinnig ich doch gewesen wäre! Und dabei konnte ich doch überhaupt nichts dafür! Und eine andere Wahl hatte ich auch nicht gehabt! Das war irgendwie gemein …   „Gibt es einen Grund dafür, warum du die Luft mit deinem grimmigen Blick durchlöcherst? Ein Flugzeug würde schon in echt gefährliche Turbolenzen geraten, Prinzesschen.“ Ich war gerade ein wenig schlecht gelaunt, darum verkniff ich mir das Lächeln, auch, wenn es mich wirklich große Mühen kostete. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er das Wohnzimmer betreten hatte. Seine kupferroten Haare wurden von der bereits untergehenden Sonne angestrahlt und jedes einzelne wirkte wie ein Tänzer in einem feurigen Ballett. Seine mir inzwischen so vertrauten, blauen Augen hatten ein gewisses Funkeln in sich, das zu dem schiefen, wundervollen Lächeln in seinem Gesicht passte. Die Freude, die ich empfand, wenn ich ihn sah, brachte jedes Mal meinen Magen zum Kribbeln. „Hey Jaden“, begrüßte ich ihn und im selben Moment beugte er sich zu mir hinunter und gab mir einen Kuss auf die Lippen. Obwohl das bei weitem nicht der erste Kuss zwischen uns war, war ich doch immer wieder so aufgeregt, wie beim ersten Mal. „Sag schon, was ist los?“ Ich sah genau, dass es ihm keine Ruhe lassen würde. Und genau aus diesem Grund würde ich ebenfalls keine bekommen. Das Sofa bebte, als er sich neben mich setze. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Seite, als er seinen Arm um meine Schultern legte und mich an sich zog. Die Wärme seines Körpers, die ich durch sein schwarzes T-Shirt hindurch spürte, ließ meine verspannten Glieder endgültig auftauen. „Es ist eigentlich nichts. Ich denke nur hin und wieder an … das alles zurück. Ich habe meine Eltern in Gefahr gebracht und meine besten Freunde belogen. Es fühlt sich immer noch so unwirklich an.“ Ich seufzte. Das Thema hatten wir in der letzten Zeit wirklich schon oft genug durchgekaut. Wieso konnte ich nicht einfach loslassen und vergessen? Selbst den verpassten Unterrichtsstoff hatte ich bereits nachgeholt, um mich von all dem Geschehenen abzulenken! In wenigen Wochen stand die Abschlussprüfung an, doch bisher hatte mich nichts so wirklich die Gedanken daran vergessen lassen können. „Aber es ist schon okay. Es geht mir gut“, meinte ich schnell, um das leidige Thema gar nicht zu groß werden zu lassen. „Wenn es dich immer noch so mitnimmt, kann es nicht okay sein, Lina.“ Sein Griff um meine Schulter verstärkte sich. „Du weißt, du kannst immer mit mir reden. Egal, was es ist, und wie oft wir schon darüber gesprochen haben. Ich bin immer in deiner Nähe.“   Augenblicklich schlich sich ein breites Lächeln auf mein Gesicht. „Klar bist du immer da. Du hast dich ja auch einfach in meiner Wohnung einquartiert!“ Er sprang sofort auf meinen Stimmungsumschwung an. Eine sehr gute Eigenschaft von ihm! „Als gute Freundin gibt man seinem obdachlosen Freund eben ein Dach über den Kopf! Vor allem, wenn das Prinzesschen eine eigene Wohnung von Mami und Papi gesponsert bekommt!“ Ich kicherte. „Du hättest auch zurückgehen können. Da hättest du unglaublich viel Platz für dich alleine gehabt! Und das Sondereinsatzkommando hätte sich bestimmt über einen so guten und erfahrenen Bergwerksführer gefreut.“ Er schnaubte amüsiert. „Das hätten sie wohl wirklich. Aber auch, wenn du es sicherlich kaum glauben kannst: Ich habe wirklich nichts dagegen aus dem dunklen Loch raus zu sein und wieder in einem Raum mit Fenstern zu leben! Und du hast es hier wirklich schön eingerichtet! Für ein Mädchen, jedenfalls.“ „Danke“, lächelte ich und beobachtete nebenbei, wie eine Gruppe von Soap-Charakteren zusammen in einer Bar saß und alle miteinander lachten. Das erinnerte mich ein wenig an die Zeit, die ich mit Mary, Tala und den Jungs verbracht hatte und noch verbringen werde. Und endlich würde ich dabei nicht mehr das fünfte Rad am Wagen sein …   „Und weißt du, was das Beste ist?“ Seine Worte rissen mich aus meinen Gedanken. „Hm?“ Ich spürte, wie er mir sanft einen Kuss auf mein Haar drückte. „Dass ich hier bei dir sein und dich beschützen kann.“ Die rote Farbe auf meinen Wangen schien sich dort bereits eingebrannt zu haben. Das dachte ich zumindest, denn Jaden schaffte es immer wieder, mich in Verlegenheit zu bringen. Ich war diese ganze Freund/Freundin-Sache wohl einfach noch nicht gewohnt. „Ich kann auch selbst auf mich aufpassen, Herr Polizist“, meinte ich scherzhaft und spielte auf seinen neuen Beruf an, um die Situation etwas aufzulockern. Sonst würde ich wohl kein Wort mehr herausbekommen. Jaden hingegen nahm das Ganze ziemlich locker. „Daran zweifle ich absolut nicht, Prinzesschen. Das hast du mir wirklich schon oft genug bewiesen. Aber ich … Sagen wir einfach, mir ist wohler bei dem Gedanken, dass ich im Notfall in deiner Nähe bin. Nur so aus reiner Gewohnheit. Wahrscheinlich traue ich dem Frieden doch noch nicht so ganz.“ Nun war es an mir, besorgt zu sein. Ich löste mich von ihm, sodass ich ihm ins Gesicht sehen konnte. Ein merkwürdiger Ausdruck lag in seinen Zügen, der mich etwas nervös machte. „Du glaubst also … Es ist noch nicht vorbei?“ Ich sah, wie er angestrengt über meine Frage nachdachte, doch ich wusste die Antwort bereits. Ich sah sie in seinen Augen. Und das verursachte eine leichte Übelkeit in meinem Magen. „Was auch immer passiert, Prinzessin. Ich werde immer in deiner Nähe sein, das verspreche ich dir.“   Die Worte der Nachrichtensprecherin, die gerade eine Eilmeldung verkündete, gingen völlig in unserem Kuss unter. Doch es gab Dinge auf dieser Welt, die man einfach nicht leugnen konnte. Die man nicht überhören oder übersehen konnte. Dinge, die einen überall einholten, egal, wie weit man lief.   „Soeben erreichte uns die Meldung, dass heute Vormittag Martin Rays, Geschäftsführer der weltweit agierenden HyperSun Bank, tot in seinem Appartement in Summer Hills aufgefunden worden ist. Sein Assistent hat am frühen Morgen den leblosen Körper in seiner Wohnung im fünften Stock eines Wohnkomplexes aufgefunden, nachdem Rays seit dem späten Nachmittag nichtmehr auf Anrufe und Benachrichtigungen reagiert hatte. „Das war absolut untypisch für ihn. Er war sehr gewissenhaft und in keinster Weise nachlässig“, teilte uns sein Arbeitskollege und guter Freund Matthew O’Flanuli telefonisch mit. Martin Rays war erst vor sechs Monaten nach Summer Hills gezogen und lebte in einer sehr gut bewachten Wohnanlage. Zur Stunde sei die Todesursache noch unklar, berichtet die Polizei. Gewaltsames Eingreifen sei jedoch nicht ausgeschlossen. Ersten unbestätigten Gerüchten zufolge soll der Segensstein - ein seltener hellblauer Diamant - nicht bei der Leiche gefunden worden sein, obwohl Rays diesen, laut einer eigenen früheren Aussage, nie ablegte. Von dem wertvollen Schmuckstück fehlt bis zur Stunde jede Spur. Dieser Fall weckt natürlich Erinnerungen an die erst wenige Wochen zurückliegende Diebstahlserie, bei der hinter mehr als 43 Fällen eine organisierte Verbrecherbande vermutet wird. Die Ermittlungen sind bisher noch nicht abgeschlossen.“   Denn das Blut wird immer an deinen Händen haften bleiben.   Es gibt kein Entkommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)