Vater Seines Sohnes von abgemeldet (BenxYasopp) ================================================================================ Kapitel 2: Nie mehr wieder wie zuvor ------------------------------------ Am nächsten Morgen wusste ich nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Hätte jeder andere in meiner Position gesagt, doch ich nahm es gelassen. Ich weckte übermüdet aber lächelnd Yasopp, der die ganze Nacht meinen Schoß als Kissen benutzt hatte, dann verließ ich ihn, damit er noch einige Minuten für sich alleine hatte und sich sammeln konnte. Bevor ich ging, klopfte ich ihm jedoch noch einmal aufmunternd auf die Schulter. Ich wusste, dass er all seine Kraft heute dafür aufbringen würde, sich vor den anderen seine eigentliche Stimmung nicht anmerken zu lassen. Weshalb mein einziger an ihn gerichteter Satz »In ca. einer Stunde legen wir ab« war. Dann machte ich mich durch das Dickicht hindurch zum gestrigen Ort des Festgelages auf. Fast die gesamte Mannschaft war noch am Pennen, als ich ankam. Einige wenige klagten über Kopfschmerzen und ein oder zwei schienen doch tatsächlich gar kein Auge zugetan zu haben. Dass es sich bei diesen selbstverständlich nicht um die aufgestellten Wachen handelte, war mir allerdings klar gewesen. Wenn ich nicht da war, ging hier alles drunter und drüber. Es dauerte weit über eine Stunde, bis ich zunächst Lucky Lou und dann mit dessen Hilfe alle anderen geweckt hatte, um unser Schiff startklar zu machen. Mit Shanks verfuhr ich wie nach jeder anderen durchzechten Nacht auch: Ich packte ihn einfach und trug ihn in seine Kajüte, damit er dort seinen Rausch ausschlafen konnte. Später am Nachmittag würde er schon wieder an Deck auftauchen. Mit einem Mordskater zwar, aber gewillt, seinen Kapitänspflichten nachzukommen – mehr oder weniger. Ich überwachte das Verladen einiger Fässer und neuer Zutaten und deren Verteilung im Frachtraum, musste zwischendurch einen kleineren Streit schlichten und war im Großen und Ganzen eigentlich damit beschäftigt, Kommandos quer über das Schiff zu brüllen. Sollte ich einmal irgendwann genug vom Seefahrerdasein haben, so überlegte ich, würde man mich aufgrund meiner Lebenserfahrung und der Fähigkeiten, die ich mir angeeignet hatte, sicherlich als Lehrer zulassen. Eine Horde Kinder zu bändigen, stellte ich mir zumindest nicht schwieriger vor, als einer Meute von dummen, verkaterten Piraten Anweisungen zum Ablegen zu geben. Nach wem ich in all dem Durcheinander selbstverständlich am meisten Ausschau hielt, das war Yasopp. Er schlich sich unbemerkt an Deck, gerade als ein aufgeplatzter Sack Walnüsse für besonders großes Aufsehen sorgte. Den Kopf gesenkt, so dass sein Gesicht im Schatten verborgen blieb, drückte er sich an dem Tumult vorbei. Wobei er es – ganz typisch Yasopp eben – kurz vor dem Eingang zu den Schlafräumen schaffte, auf einer der umherkullernden Nüsse auszurutschen und beinahe hinzufallen. Er fing sich gerade noch, indem er im letzten Moment die Hand nach dem Türrahmen ausstreckte. Dem darauffolgenden Fluchen nach zu schließen hatte es ihm dieser mit einem Splitter im Finger gedankt. Yasopp verschwand noch finsterer dreinblickend als zuvor die Treppe hinunter und ich wandte mich mit einem verhaltenen Lächeln ab. Eigentlich war es im Anbetracht der Umstände gerade ein wenig taktlos, sich über seine Tollpatschigkeit zu amüsieren, aber ich konnte wie so oft nicht anders. Dieser Charakterzug an ihm trug in meinen Augen nur zu seinem etwas außergewöhnlichen Charme bei. Ja, ich gab es ganz offen und ehrlich zu – ich fand ihn niedlich deswegen. Natürlich mochte ich auch seine kühne, kaltblütige Seite, die er im Kampf zur Schau stellte; den Meisterschützen, den niemand, noch nicht einmal ich toppen konnte. Aber es war eben dieser Kontrast, der ihn menschlich und liebenswert erscheinen ließ. Ebenso wie seine mehr als nötig ausgeschmückten Geschichten über diverse Abenteuer, die er in seiner Kindheit wohl im Alleingang bestritten hatte. Ein Ellenbogen, der mich anrempelte, riss mich aus meinen Tagträumen. Rasch wandte ich mich nach dem Übeltäter um und rief ihm zur Strafe die Anweisung hinterher, den anderen mit den überall am Deck verstreuten Walnüssen zu helfen. Ich war schließlich immer noch Vizekapitän auf einem Piratenschiff und keiner holte mich ohne Konsequenzen zurück in die Realität, wenn ich eigentlich gerade wichtigen Gedanken nachhing. Der restliche Tag verlief so routinemäßig, wie das auf der Grand Line eben möglich war. Wir legten mit etwas Zeitverzögerung ab, da Lucky Lou noch im letzten Moment einfiel, er habe seine Schuhe am Strand vergessen, schließlich waren wir wieder voller Tatendrang unterwegs, die langen Reihen von Inselketten zu erforschen, die wie verstreute Brotkrumen lockten. Oder sie unsicher zu machen – ganz genau wusste man das bei Shanks nie. Wobei der genaugenommen das meiste an Aufregung verschlief. Er schnarchte selig in seinem Bett, als ich das Schiff mit äußerster Vorsicht durch ein Riff navigierte, und ließ sich auch von dem Sturm nicht aufwecken, der uns das Mittagessen aus den Tellern ins Gesicht blies. Erst in den späten Nachmittagsstunden tauchte er wieder auf, um das Kommando zu übernehmen. Ganz genau so, wie ich es vorausgesagt hatte. Er war bisweilen eben leicht zu durchschauen. Womit er einen starken Gegensatz zu dem Yasopp bildete, den wir heute zu Gesicht bekamen (oder vielmehr nicht zu Gesicht bekamen). Der hatte sich allem Anschein nach nämlich in den Kopf gesetzt, den ganzen Tag nicht an Deck aufzutauchen. Untypisch für ihn. Für gewöhnlich machte er gute Miene zum bösen Spiel, um sich durch die Gesellschaft der anderen aufheitern zu lassen. Er war nicht der Typ, der lange Trübsal blies oder nachtragend reagierte. Wenn man die gegenwärtigen Umstände betrachtete, war sein momentanes Verhalten zwar vollends verständlich, aber dass ihn auch sonst niemand gesehen hatte, beunruhigte dann doch etwas. Je später es wurde, desto mehr. Sogar Shanks erkundigte sich beim allabendlichen Bier nach seinem Verbleib. Fehlanzeige: Niemand hatte eine Ahnung, wo Yasopp steckte. Ein Anlass mehr für mich, innerlich aufzuseufzen. Nach der letzten schlaflosen Nacht konnte ich eine zweite eigentlich nicht gebrauchen, jedoch würde ich für Yasopp wohl so ziemlich alles tun. Selbst wenn das wieder bedeutete, Kopfkissen und Seelsorger in einem zu sein. Aber wie so oft führte ich mein Vorhaben nicht sofort aus. Es wäre aufgefallen, gleich nach Shanks' Frage die Versammlung um ihn her zu verlassen. Lieber wartete ich geduldig den Zeitpunkt ab, an dem alle in ihre Schlafräume gegangen oder gleich an Deck eingepennt waren. Zu Letzteren gehörte auch unser Kapitän. Ich erhob mich mit einem Kopfschütteln, dann deckte ich ihn wenigstens noch ordentlich mit seinem Mantel zu, bevor ich von dannen schlich. Ja, bisweilen konnte es sein, dass ich mich zu viel um andere kümmerte; mich regelrecht für sie aufopferte. Doch war ich der festen Überzeugung, damit das Richtige zu tun. Es war ruhig und ein blasser Mond erhellte die Dunkelheit, als ich über das Deck dahinschritt. Sanfte Wellen brachten unser Schiff zum Schaukeln und wenn mich nicht alles täuschte, dann war sogar unser Wachposten im Krähennest eingeschlafen. Die einzige noch wache Person an Bord war ich. (Auch wenn es »übermüdet« um einiges besser traf.) Ich und eventuell Yasopp, der sich bis auf weiteres versteckt hielt. Der Tod seiner Frau hatte ihn arg mitgenommen, wie ich gestern schon festgestellt hatte. Doch zugeben würde er es nach wie vor nicht. Nicht vor solchen Leuten wie Shanks oder Lucky Lou, die ihn vielleicht mit einer Menge gut gemeinter Worte bemitleiden konnten, aber nicht in der Lage waren, ihm den Trost und die Kraft zu spenden, die er gerade brauchte, um seine Trauer zu überwinden. Nein, als jemand, der selber gerne den Mund aufmachte, suchte er in seinem Zustand wohl eher nach einem Zuhörer und nach Beistand. Beides wollte ich ihm sein. Nicht nur, weil tief in mir unerwiderte Gefühle für ihn schlummerten. Sondern auch, weil es als sein bester Freund meine Pflicht war. Gerade, als ich so in Gedanken versunken das Heck des Schiffes erreichte und um die Ecke bog, wäre ich beinahe mit Yasopp zusammengestoßen. Er wirkte hektisch und hielt in den Händen ein langes Seil, das straff gespannt über die Reling hinaushing. Schockiert starrte er mich an, während mir die Situation gerade mehr als nur ein Rätsel aufgab. Warum machte er mitten in der Nacht irgendein Seil los? Wieso war er ausgerechnet jetzt aus seinem Versteck aufgetaucht? Und was sollte dieser Gesichtsausdruck, der mir ganz klar verriet, dass er sich ertappt fühlte? »Yasopp, was... tust du da...?«, begann ich zögerlich, erkannte aber im selben Moment, dass er dabei war, eines der Rettungsboote zu entwenden. »Gar nichts!«, kam die sowohl schnelle als auch scheinheilige Antwort, »Ich... wollte nur die Rettungsboote überprüfen. Ich dachte vorhin, ich hätte einen Schwarm Sägefische gehört. Nicht, dass die da noch Löcher rein...sä...gen....« Er verstummte unter meinem Blick. Seine eindeutige Lüge hatte ich sofort durchschaut und sie war auch gar nicht das Schlimme. Was mich meinem sonst so gelassenen Selbst zum Trotz vor unfassbarer Wut zum Brodeln brachte, war Yasopps Vorhaben, das sich immer deutlicher vor mir abzeichnete. Er wollte weg. Er hatte den ganzen Tag damit verbracht, darüber nachzudenken, was er nun am besten tun solle, und war zu dem Schluss gekommen, dass er nach Hause musste. Ganz gleich, mit welchen Konsequenzen und Gefahren das verbunden war. All meine Fragen lösten sich auf diese Erkenntnis hin in ein unkontrollierbares Zittern auf. »Yasopp!«, zischte ich so ruhig es mir möglich war, »Du haust ab?!« Meine Wut, obwohl nur unterschwellig zum Ausdruck gebracht, sprang sofort auf Yasopp über. »Abhauen?!«, konterte er um einiges lauter, »So nennst du das also?!« »Das ist das, was ich hier vor mir sehe. Wenn du willst, dass ich anders darüber denke, dann erklär mir bitte, warum du mitten in der Nacht ein Rettungsboot losmachst. Wir haben noch nicht einmal annähernd starken Seegang, verdammt!« Zum Schluss hin hatte ich die Kontrolle über meine Stimmlage dann doch verloren. Schuld daran war die unsägliche Angst, die mich mit einem mal überkam. Was würde geschehen, wenn ich die Situation nicht retten konnte? »Mein Sohn hat keine Mutter mehr!«, rückte Yasopp endlich mit dem heraus, was ich bereits als Grund für sein Handeln in Verdacht gehabt hatte, »Er ist allein! Auf sich gestellt! Ich muss zu ihm! Verstehst du das?!« Mit wütenden Tränen in den Augen ließ er das Seil durch seine Finger gleiten, bis von unten ein Platschen zu hören war, mit dem das Rettungsboot auf dem Wasser aufsetzte. Yasopp schenkte mir noch einen funkelnden, zu allem entschlossenen Blick, dann machte er Anstalten, auf die Reling zu klettern. Das brachte das Fass für mich zum Überlaufen. »Bist du eigentlich übergeschnappt?!«, fauchte ich und hielt ihn noch im rechten Moment am Arm fest. »Lass mich!« Er riss sich los, wandte sich aber giftig dreinblickend zu mir um. »Wir sind auf der Grand Line!«, versuchte ich ihm Vernunft einzureden, »Das ist ein verdammtes Rettungsboot! Glaubst du wirklich, du hättest auch nur den Bruchteil einer Chance, heil zu Hause anzukommen, wenn überhaupt?!« Keine Antwort. Nur ein uneinsichtiges Starren. »Was du vorhast, ist Selbstmord«, fuhr ich fort, nun wieder etwas ruhiger, »Meinst du, deinem Sohn wäre damit geholfen, wenn du dich umbringst?« »Ich...!« Er wollte ein trotziges Widerwort geben, doch ich ließ es erst gar nicht dazu kommen. »Im Gegenteil. Und das weißt du auch.« »Aber...!« »Yasopp, bitte tu es nicht«, ich streckte erneut meine Hand nach seinem Arm aus, hielt ihn fester als nötig, »Dein Sohn mag vielleicht keine Mutter mehr haben, aber wenn du jetzt gehst, dann kann ich dir zu hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass er auch sehr bald keinen Vater mehr haben wird. Und wir keinen Scharfschützen.« Ich sah ihn fest an bei meinen Worten und hoffte ihm damit in irgendeiner Weise mitzuteilen, was ich ihm nicht direkt sagen konnte. Ich brauche dich hier. Geh nicht. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn du auf einmal nicht mehr wärst. Ich liebe dich. Einen kleinen Augenblick lang sah es fast so aus, als käme die Vernunft zu ihm zurück. Was er dann aber brachte, trieb meine Geduld hart an ihre Grenzen. Er ließ den Kopf sinken und murmelte resignierend: »Ich soll Lysop also seinem Schicksal überlassen? Ist es das, was du von mir willst? Damit ich hier bei euch bleibe, die ihr alle sowieso nur auf mir herumhackt?« Mir klappte unwillkürlich der Mund auf, so sehr schockierten mich seine Worte. »Was redest du da eigentlich?«, flüsterte ich und schüttelte ihn, damit er mich wieder ansah, »Lysop seinem Schicksal überlassen? Kommst du von einer Insel, auf der außer deiner Familie nur Menschenfresser wohnen, oder was? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich niemand um ihn kümmern wird. Und was uns angeht: Wir sind deine Freunde, wir wollen nur das Beste für dich und hacken ganz bestimmt nicht auf dir...« »Pah!«, er ballte seine Hände zu Fäusten, »Was bedeute ich euch schon?! Ihr braucht mich als euren Scharfschützen, wie du netterweise schon angedeutet hast! Alles, was ihr sonst tut, ist mich nach Strich und Faden zu verarschen! Ist doch so, oder?!« Die Tränen waren zornig in seine Augen zurückgekehrt, als er mir das alles so vorwarf. Was wohl in ihn gefahren war? Hatte er eingesehen, dass er beinahe eine Dummheit begangen hätte, und war nun so wütend auf sich selbst, dass er diese Wut an mir auslassen musste? »Yasopp... sag sowas nicht. Du weißt, dass es nicht stimmt.« Meine Stimme zitterte, als ich ihm widersprach, und ich fühlte auch in mir Tränen aufsteigen. Es musste eine Kurzschlussreaktion von ihm sein, es musste einfach. Denn ich wollte nicht glauben, mich so in ihm getäuscht zu haben. Das konnte nicht die Meinung sein, die er gewöhnlich von uns und besonders mir hatte. »Wo ist der Beweis dafür, dass es nicht stimmt?«, erwiderte er, »Bring mir auch nur einen Beweis dafür, dann bleibe ich.« Er durchbohrte mich mit übertrieben hartem Blick. Das erste mal seit langem, dass ich spürte, wie mir die Kontrolle über die Situation immer mehr und mehr entglitt. War das wirklich der Yasopp, den ich kennen und lieben gelernt hatte? Warum benahm er sich gerade so... daneben? Hatte er eigentlich auch nur den leisesten Hauch einer Ahnung, was er mir da unterstellte? All diese Dinge, die ganz einfach nicht stimmten?! »Du brauchst einen Beweis?«, brachte ich mit bebender Stimme erstaunlich ruhig hervor, »Du brauchst wirklich einen Beweis dafür, dass wir dich alle hier bei uns haben wollen?« Mir dessen bewusst, dass ich gleich etwas unglaublich Dummes tun würde, zwang ich mich, weiter in Yasopps eiskalte Augen zu blicken. Eine Träne lief mir dabei die Wange hinab, doch ich ignorierte sie. »Was die anderen anbelangt, kann ich natürlich nichts dazu sagen«, flüsterte ich, mich meinen Gefühlen vollends ergebend, »Aber meinetwegen sollst du deinen Beweis haben.« Ich machte eine Pause, in der ich spürte, dass die Stimmung zum Zerreißen gespannt war. Sowohl von meiner als auch seiner Seite. Denn was nun in seinem Blick lag, war nicht mehr nur Sturheit und der kindische Drang, mir bei allem widersprechen zu wollen, was ich sagte. Da war auch ein Funke der Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass er zu weit gegangen war und nun etwas kam, das sein Verhältnis zu mir für immer verändern würde. »Ich liebe dich«, sagte ich leise und darum bemüht, jedem einzelnen Wort genügend an Ausdruck zu verleihen, »Ist das Beweis genug?« Eine weitere Träne löste sich von meinen Wimpern, als ich ihn endlich wieder losließ. Letzten Endes hatte ich es doch getan; ihm offenbart, was unsere Freundschaft unwiderruflich zerstören würde. Nie mehr würde Yasopp mich so sehen wie er es bisher getan hatte. Von nun an würde er meiner Nähe, jeder kleinen Berührung – und sei sie auch noch so zufällig – ein Übermaß an Aufmerksamkeit schenken und ihr ausweichen. Wenn er denn überhaupt noch mit mir zu tun haben wollte, nachdem ich meine wahren Gefühle so lange verborgen gehalten und ihm somit einen essentiellen Aspekt meiner Selbst verschwiegen hatte. Im Nachhinein ziemlich unüberlegt von mir: Ihm erst die Gewissheit zu geben, dass er mir vollends vertrauen konnte, und ihm nun in einer Situation wie dieser zu offenbaren, dass es einen Teil an mir gab, den er bisher nie kennen gelernt hatte. Er starrte mich an. Fast seit einer halben Minute schon und sagte gar nichts. Es war leicht zu erkennen, dass er alles erwartet hatte, nur nicht das. Ich wich kaum merklich zurück und blickte in eine andere Richtung. Nach meinem Geständnis war es gar nicht mehr so einfach, ihm in die Augen zu sehen. »Du tust was?«, kam schließlich die fassungslose Frage. »Ich liebe dich«, wiederholte ich. Allerdings um einiges unsicherer als zuvor noch, bekräftigt von einer wehmütigen Kopfbewegung. »Wie meinst du das?« Er klang argwöhnisch. Natürlich hoffte er darauf, dass sich mein Satz auf unsere freundschaftliche Ebene bezog und ich mich nur missverständlich ausgedrückt hatte. Dem war aber nun einmal nicht so. »Das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe«, erwiderte ich und sah ihn wieder an, diesmal mit trauriger Miene, »Ich liebe dich und das nicht erst seit gestern. Schon sehr lange, um genau zu sein...« Meine Stimme versagte. Yasopps Gesichtsausdruck war schwer zu deuten und ich wusste nicht, ob ich ihm mit meinen Worten zu nahe trat. Geschockt hatte ich ihn damit jedoch sichtlich. Erneut vergingen einige Sekunden stillen Schweigens, bis Yasopp die Frage stellte, die ich nur mit ja beantworten konnte und vor der ich die ganze Zeit schon Angst gehabt hatte. »Ben, soll das heißen...«, er machte eine verlegene Pause, »...du bist... schwul?« Wie genau denn noch, du Holzkopf? Ich seufzte, wandte mit einem betrübten Nicken den Kopf ab und antwortete: »Es tut mir leid, dass ich dir das erst jetzt zu einem solchen Zeitpunkt gesagt habe, aber ich dachte, es wäre sowieso nicht von Bedeutung. Immerhin hast du eine Familie und...« »Du Arsch!« Sein Zischen ließ mich irritiert aufblicken. War das nach so langer Freundschaft wirklich seine Reaktion? Machte er die Beziehung, die wir zueinander hatten, tatsächlich von so etwas Nichtigem abhängig? »Ich hätte dir den Brief nie zeigen sollen!«, fuhr er mich an und ich spürte, von welch gewaltigem Ausmaß sein Zorn diesmal war, »Jetzt, da du weißt, dass... dass ich... dass Banchina gestorben ist und keine Konkurrenz mehr für dich darstellt, hast du geglaubt, dich mal eben an mich ranschmeißen zu können! Ist doch so, oder?!« Er funkelte mich mit vorgeschobenem Unterkiefer an. Im selben Moment, so schien es, riss es mir jeglichen Halt unter Füßen und Händen weg. Die Situation war entgleist; ich hatte die Kontrolle endgültig verloren. »Yasopp!«, rief ich entsetzt, »Sag sowas nicht! Das würde ich niemals tun und das weißt du auch! Wenn ich sage, ich liebe dich, dann meine ich damit doch nicht, dass ich dich um jeden Preis für mich haben will! Es geht mir einzig um dein Wohlbefinden! Um nichts anderes! Du kannst mich doch nicht ernsthaft für so unreif und egoistisch halten!« »Für was soll ich dich denn sonst halten?! Dein wahres Ich hast du mir zumindest bisher nicht gezeigt!« Weitere vernichtende Blicke folgten und ich wusste, dass ich verloren hatte. Alle Umstände sprachen gegen mich. Ich hatte keine handfesten Beweise für meine Behauptungen. Keinen einzigen außer der Liebe, die ich weiterhin für diesen Mann empfand. Die Liebe, die er mir nicht abkaufte und die er nicht wollte. War es das, was man als Ironie des Schicksals bezeichnete? »Ich weiß«, meinte ich mit einem traurigen Lächeln, »Aber doch nur, weil ich unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte. Dafür war und ist sie mir zu wichtig.« Mit einem letzten eindringlichen Blick fasste ich ihn noch einmal an der Schulter. »Bitte bleib hier. Es gibt mehr als nur einen Menschen, der dich aus tiefstem Herzen vermissen würde.« Es tat weh, ihn loszulassen, obwohl ich ihn niemals würde loslassen können. Und noch viel mehr tat es weh, mich daraufhin umzudrehen und von dannen zu gehen. Ohne einen einzigen Blick zurück. Wenn ich Glück hatte, blieb Yasopp. Wenn ich mehr als nur Glück hatte, würde er über meine Worte nachdenken. Aber erwarten durfte ich keines von beidem. Beschäftigt mit diesen weniger erfreulichen Gedanken betrat ich meine Kajüte, dann ließ ich mich auf mein Bett sinken. In kürzester Zeit hatte ich es geschafft, etwas zunichte zu machen, dessen Entstehen Jahre in Anspruch genommen hatte. Nicht nur, dass ich bei meinem Vorhaben, Yasopp zu trösten und ihn vor Dummheiten bewahren zu wollen, glorreich gescheitert war; nein, nun hasste er mich auch noch für etwas, das ich nie getan oder beabsichtigt hatte. Und wenn ich ehrlich war, konnte ich ihm das auch nicht übel nehmen. Mein Geständnis zu solch unpassender Zeit schrie nun einmal regelrecht nach falschen Annahmen und Missverständnissen. Schuldgefühle, die an sich sinnlos waren, stiegen in mir auf, während ich niedergeschlagen meine Hände im Schoß betrachtete. Es war, als könne es kein Morgen mehr geben. Ich hatte mir einen einzigen Moment der Unachtsamkeit erlaubt, hatte im Affekt reagiert, und nun... war unwiederbringlich verloren, was ich vor einer Stunde noch für unerschütterlich geglaubt hatte. Yasopp sah in mir nicht mehr den besten Freund, der ich ihm so gerne weiterhin geblieben wäre, und würde wohl von nun an einen Bogen um mich machen. Wenn das nicht, dann zumindest eine gewisse Reserviertheit an den Tag legen, wenn er mit mir sprach. Das hieß – sollte er sich dazu entschließen, weiter an Bord dieses Schiffes zu verweilen. So oder so, egal was passiert, spukte es in meinem Kopf herum, als ich mich seufzend an der Wand anlehnte und den Blick nach oben gen Decke richtete, Es wird nie mehr wieder so sein wie zuvor. Eine Gewissheit, die mein übermüdetes Ich nur in einen sehr leichten, unruhigen Schlaf hinübergleiten ließ und ihm wirre Träume von fleischfressenden Monsterbrieftauben, Kapitänen mit Verlobungswünschen und vor allem Yasopp in jeder nur erdenklichen Form verschaffte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)