Der Orden von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Der grobe, grau Stoff kratzte auf Lucas Haut, und der Junge war ständig versucht, sich diese weite Kutte ein wenig vom leib zu lockern. Leider war das lange Oberteil aber im oberen bereich sehr nah an seiner Haut. Eigentlich sollte das Lehrlingsgewand eng anliegen, aber er war zu schmal dafür, so war ihm wenigstens dieses bisschen Freiraum gewährt. Die Ärmel reichten ihm bis zur Hälfte seiner Finger und auf den Saum trat er beim Laufen. Sicher, er war groß für seine neun Jahre, aber auch Jünger als alle anderen. Er musste sich auch seine langen Haare zusammenbinden und schlussendlich flechten. Cyprian saß auf seinem Bett und sah Luca lächelnd dabei zu, wie der Junge seine alten Kleider ablegte und die grauen Stoffhosen und das Hemd anzog. "Sag mal, Luca, meinst du, du kannst diese andere Art von Magie anwenden?" Der Junge sah ihn fragend an. "Was meint ihr Meister?" "Das, was mir deine Schwester sagte und einige andere auch, zauberst du bereits eine ganze Weile frei. Die Art der Magie, die du hier lernen wirst, sind Formeln, mit denen du die Magie manipulierst. Du zauberst, weil du selbst Magie in dir hast. Genaugenommen bist du ein magisches Geschöpf. Wir hier haben das nicht. Wir können nur mit Hilfe unserer Zauberformeln auf die Magie zugreifen." Luca nickte. Ihm fiel wieder Meshs Kommentar ein. In dir brennt das Feuer, dass der Orden nicht zerstören darf... Hatte er darauf angespielt? Er erwähnte nichts von dem Treffen mit Mesh. "Irgendwann, wenn du ein richtiger Magier bist, wirst du vielleicht vergessen haben, wie du jetzt zauberst." Cyprian senkte den kopf. "Das ist eigentlich ein Sakrileg bei jemand wie dir. Ich will dein natürliches Talent nicht zerstören. Du bist selbst für einen Hexer sehr jung und mächtig." Cyprian lächelte wieder ein wenig schief. "Vielleicht, wenn ich behutsam genug bin, gelingt es mir, die natürliche Magie nicht zu zerstören." Luca sah ihn regungslos an. Er hatte für sich beschlossen, seine Fähigkeit so gut als möglich zu bewahren. Irgendwie sah Cyprian ziemlich übernächtigt und müde aus. Luca wusste warum. Vermutlich hatte der Halbelf nicht besonders lang, wenn überhaupt, geschlafen. Gähnend richtete sich der Halbelf auf und erhob sich. "Lass uns gehen. Das ist der erste Tag eines neuen Lebens für dich." Klar, der erste Tag vom Ende, dachte Luca, wäre passender. Der Weg über die Terrassenhöfe war schon ein Spießrutenlauf für ihn. Viele Augen folgten ihm und in den meisten stand Ärger, Missgunst und Neid. Der Junge beschloss, sich nicht allzu genau umzusehen. Die Blicke waren ihm unangenehm und unheimlich. Außerdem waren zu viele um ihn herum. Was ihn viel mehr noch erschreckte waren die getuschelten Worte der anderen. Viel verstand er nicht, aber das was er hörte, machte ihm ein wenig Angst. Einer der Jungen, ein vielleicht fünfzehnjähriger, flüsterte Luca etwas zu... "Du wirst noch wünschen, nicht hergekommen zu sein." "Der Kleine ist hübsch, fast wie ein kleines Mädchen..." lachte ein anderer. "Wir sollten den Kleinen mal ausprobieren." "Was will so ein kleiner Junge hier? Der macht noch Jaque Konkurrenz!" "Das wird Jaque nicht gefallen! Immerhin ist er der Jüngste bisher..." Luca senkte den Blick weiter. "Hey, du bekommst auch noch deine Feuertaufe, Kleiner!" "Ja, schneiden wir ihm den Zopf ab..." "Nein, lieber die Hoden, dann ist er ja schon fast ein Mädchen, und kann hier nicht mehr aufgenommen werden!" Lucas Gesicht war eine reglose Maske. Was wirklich hinter seiner Stirn vor sich ging wollte er nicht zeigen. Schwäche... Niemals! Nach einer Weile blieb er stehen, so überraschend, das Cyprian es erst nach zwei drei weiteren Schritten bemerkte. Luca hob den Kopf, ruhig, stolz, und drehte sich nach den anderen Jungen und jungen Männern um. "Wenn einer von euch der Meinung ist, er könne mich so beleidigen oder ängstigen, der irrt sich." Er wusste, dass es ein Fehler war, und er wusste auch, dass er nicht wie ein Neunjähriger klang, allenfalls überspannt... Aber er war sich auch bewusst darüber, dass jeder von ihnen das, was er gesagt hatte, hinnehmen musste. Die Worte standen nun zwischen ihnen. Luca sah sie alle der Reihe nach an. "Ich bin jünger als ihr, und sicher wesentlich schwächer, aber ihr werdet mich nicht zerbrechen. Keiner von euch." Keiner der Jungen sagte auch nur ein Wort. Einige wichen seinen Blicken aus, andere starrten ihn wütend an. Luca entdeckte, dass der Junge, der ihm direkt etwas zugeflüstert hatte, der jüngste von ihnen war. Die meisten waren bereits über zwanzig. Nach einer Weile senkte er den Kopf und drehte sich wieder zu Cyprian um, um ihm zu folgen. Erst als sie den Schutz des Gebäudes, dass Cyprian ansteuerte, erreicht hatten, atmete Luca auf und entspannte sich ein wenig. "Das war sicher nicht die beste Idee, die du je hattest." Luca schloss zu Cyprian auf und sah ihn prüfend an. "Ja," sagte er nach einer Weile. "Aber ich kann einfach nicht immer ruhig halten." "Dein Stolz wird dich noch mal töten, wenn du nicht aufpasst. Und nun komm. Da warten noch andere Schüler auf ihre Lektionen." Cyprian hatte eine kleine Gruppe von sechs jungen Männern um sich geschart. Melroy war der Sohn eines Händlers aus dem Kaiserreich, ein etwa achtzehnjähriger, etwas übergewichtiger Junge, der nicht viel größer war als Luca. Er trug Augengläser, schien schüchtern und scheu zu sein, aber auch sehr nett. Dann war da Damon, ein dunkelhaariger, kühler junger Mann mit wunderschönen Gesichtszügen. Er musste Mitte zwanzig sein. Elim hatte dunkle Haut und schwarze Haare. Er war zierlich und klein und auch etwa zwischen achtzehn und zwanzig. Lucien war ein Elf, ein zerbrechlicher Mann, groß, zauberhaft schön. Seine Augen waren violett und sein Haar silbrig weiß. Sein Alter zu schätzen ließ Luca lieber sein. Und zuletzt waren da diese Zwillinge. Phillipe und Valerian. Sie waren die ältesten Menschen, Ende zwanzig, blond und kühl. Die beiden Männer hatten etwas unheimliches. Sie sprachen kaum, ähnelten einander wie Spiegelbilder, handelten manchmal synchron und schienen immer sehr darauf zu bauen, dass das, was der eine nicht wusste, vom anderen erledigt wurde. Luca war der siebente in der Gruppe, und er fühlte sich nicht sonderlich wohl. Nur Elim und Melroy mochte er auf anhieb gerne. Sie halfen ihm, die Schriftzeichen der Sprache zu verstehen, in der die meisten Schriften der Zauberkundigen verfasst waren. Innerhalb eines Tages holte Luca nach, was die beiden Jungen in den letzten drei Wochen gelernt hatten. Mit ihrer Hilfe. Elim war der schnellere, aber auch der, der weniger nachdachte, während Melroy der gemächlichere, ruhigere war. Bei ihm kamen nicht immer alle Antworten sofort. Manchmal dachte er einige Augenblicke über Lucas Fragen nach und ließ sich Zeit, aber alle Antworten trafen zu. Und Dracon, die Sprache der Drachen, war schwer. Weniger sie zu sprechen. Luca konnte sie sprechen, aber weder lesen noch schreiben. Cyprian brachte seine Schützlinge im Laufe des Nachmittags in eine große Bibliothek und gab ihnen Fragen auf, die sie aus bestimmten, in Dracon geschriebenen Büchern beantworten mussten. Scheinbar hatte er nichts dagegen, dass Melroy, Elim und Luca zusammenarbeiteten. Lucien stand allein an seinem Lesepult und laß sich durch diverse Bücher. Es schien ihm nicht schwer zu fallen. Die Zwillinge arbeiteten nicht wirklich zusammen. Phillipe arbeitete, während sein Bruder durch die Regalreihen strich und eher die schönen Buchrücken begutachtete. Damon saß verbissen über seiner Lektüre. Nach viel zu kurzer Zeit waren Elim, Melroy und Luca durch den Stoff durch. Verwirrt stellte Luca fest, dass die beiden Jungen irgendwie fröhlich waren und leise anfingen mit ihm zu tuscheln, und es betraf nicht den Text, oder irgendetwas, was Magie und Unterricht auch nur streifte. Zuerst enthielt sich Luca allen Kommentaren. Er... wollte nichts und niemanden an sich heranlassen. Aber schließlich konnte er einfach nicht mehr an sich halten. Die beiden Jungen waren so offen und freundlich zu ihm und plapperten einfach nur, wie sie dachten und fühlten, dass Luca es nicht mehr gelang sich völlig auszugrenzen. Irgendwann war er derjenige, der als einziger redete und Elim und Melroy hörten einfach nur noch gespannt zu. "Könntest Du mal die Klappe halten, Kleiner?!" raunte Damon. "Du bist vielleicht so ein verdammtes Wunderkind, der Rest muss aber hart arbeiten, um zu lernen." Luca sah ihn schuldbewusst an und senkte den Blick. Nach ein paar Sekunden sah er hoch. "Kann..." er stockte, schluckte. "Klingt vielleicht vermessen, aber vielleicht können wir dir helfen?" Mit jedem Wort wurde seine Stimme ein wenig leiser. Damon hob den Kopf und starrte Luca an, als habe er ihn gefragt, ob sie heiraten wollten. "Vermessen? Ja, so klingt das für mich, Kleiner." Damon senkte den Blick und starrte auf seine Unterlagen, irgendwie schien er verdammt wütend zu sein... Langsam stand auf und versuchte einen Blick auf das Blatt Damons zu erhaschen. Es war nicht gerade dicht beschrieben. Leise trat er neben den jungen Mann und legte behutsam seine Hand auf eine Textpassage. "Hier, lies das nach," sagte er leise. "Da geht es um..." "Sag mal," Damons Stimme klang wütend, aggressiv. Dann beruhigte er sich ein wenig. "Sag mal, kannst du das wirklich lesen?" "Ja. Aber ich habe die Sprache vorher schon gekonnt, und sie zu lesen, ist auch nicht sehr schwer, wenn du dir einfach die Wortsymbolein Bildern vorstellst und sie einfach mit ihrem Sinn zu verbinden versuchst." Damons wütendes funkeln in den Augen verschwand. "Du hast viel Fantasie, hm?" Luca spürte erschrocken, wie seine Wangen heiß wurden. "Ich...? Nein, ich bin nur faul, weißt du? Es ist einfacher, sich alles in Bildern vorzustellen, als es sich einfach nur so in den kopf zu prügeln." Damon hob die Brauen und nickte. "Vielleicht hast du recht. Wenn du unbedingt willst, zeig mir, wie du es zu verstehen gelernt hast." An diesem Abend viel es Luca nicht sehr schwer in seinen kleinen, feuchten Raum zurückzuehren. Er war müde und er war nicht wirklich wütend auf sein Schicksal. An diesem Tag hatte er andere kennen gelernt, die ihn akzeptierten, die ihn in ihrer Nähe wollten und ihn vielleicht sogar brauchten. Er bekam nicht mehr mit, dass Cyprian an seine Türe klopfte und kurz hineinschaute. Er fühlte weder Hunger noch Durst. Dennoch erwachte er am nächsten Morgen wieder vor Sonnenaufgang. Und wieder wusste er, dass er geträumt hatte. Böse, wie immer. Aber diesmal war es eher eine ungute Vorahnung. Er hatte in dieser Nacht wieder geweint. Aber nicht, weil er von Justin getrennt war. Irgendwas in dieser Nacht war passiert. Er setzte sich auf. Im gleichen Moment begannen diese entsetzlich starken Kopfschmerzen. Ihm wurde schwindelig und schlecht. Er hatte einen furchtbaren Geschmack im Mund und seine Glieder schmerzten höllisch. Als er an sich herabsah, viel ihm auf, dass er nackt war und seine Haut gerötet. Er konnte sich an nichts erinnern, nicht mal an den Inhalt seines Traumes. Schlimmer war aber die Ahnung, dass es wichtig war, was in seinem Traum passierte, denn das war ihm sicher in der Wirklichkeit passiert. Luca kauerte sich auf seinem Lager zusammen und zog die Decke eng um die Schultern. Er schloss die Augen. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren. Er hörte sein Herz schlagen, laut, schmerzhaft. Er wollte sich verkriechen, allein sein, sich in die schwarze Stille hinter seinen Augenlidern verkriechen und einfach nur schlafen... Schlafen... Luca fuhr hoch, als Cyprian an seine Türe klopfte. War alles nur ein Albtraum? Der Junge wusste im gleichen Moment, als er sich aufsetzte, dass er nicht geträumt hatte. Sein Körper fühlte sich furchtbar und zerschunden an, außerdem pochten Schmerzen hinter seiner Stirn, mit denen es ihm nicht gelang, sich zu konzentrieren. "Luca?" Cyprians stimme klang irgendwie seltsam, und sein Klopfen an der Türe schien aufgeregt zu sein, außerdem platzte Luca gerade der Schädel... Schnell griff er nach seinem langen, grauen Hemd, das am Fußende des Bettes lag und streifte es sich über. Er wusste nicht, ob sein Gesicht auch so zerschunden und zerschlagen war, aber würde es ja an der Reaktion Cyprians erkennen. Behutsam schwang er die Beine vom Bett und stand auf. Ihm wurde es so schwindelig, dass er sich festhalten musste, um nicht umzukippen. Seine Knie zitterten vor Schwäche. Dennoch gelang es ihm, die Türe zu öffnen. Cyprian erstarrte mitten in der Bewegung und verharrte reglos. Aber er schien auch erleichtert. Wenigstens fand Luca dieses Gefühl in den sonst so kalten Augen des Halbelfen. "Aufstehen?" fragte Luca. Seine Stimme zitterte deutlich. Aber scheinbar ging Cyprian davon aus, dass er Luca einfach nur aus tiefem Schlaf geweckt hatte. "Ja," nickte der Halbelf, der sich bereits wieder ganz unter Kontrolle hatte. "Du hast gestern und vorgestern nichts gegessen. Vielleicht solltest du heute mal Frühstücken, anstatt mit Mesh den Sonnenaufgang zu genießen. Du bist schon ganz blass und dünn." Luca lächelte müde. "Ich bin nie anders gewesen," sagte er leise. Cyprian trat an Luca vorbei. Er nahm die langen Hosen vom Bett auf und einen Kamm und ein Lederband was Luca immer für sein langes Haar benutzte. "Und baden kannst du auch mal wieder." An sich war Luca dankbar darum sich den Schmutz abwaschen zu können, und vielleicht auch ein Teil der Scham, die er zur Zeit fühlte, auch wenn er nicht wusste, wovor. "Komm mit, Luca." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)