Interdependenz Buch 1 von abgemeldet (Die schweigende Lilie) ================================================================================ Kapitel 30: Minnesang --------------------- Zuerst war Ayco etwas unsicher Luca hinaus zu folgen, aber Luca ließ nicht locker, und Ayco fiel es immer schwerer dem Charme des jungen Mannes zu wiederstehen, mit dem er den Elfen zu überzeugen wusste. Luca hatte Ayco einige seiner Kleider gegeben, eine weiche, schwarze Lederhose, ein dunkelrotes Seidenhemd und ein schwarzes Wams. Fast eine Stunde kämmte er an dem Silberhaar und flocht es , band schwarze und rote Seidenbänder hinein und schmückte ihn so gut er konnte. Ayco kam sich dabei ziemlich vor. Nie hatte sich jemand die Mühe gemacht, ihn so zu schmücken wie man ein Mädchen zur Hochzeit bereit machte. Dennoch gefiel ihm einfach die Zuwendung und Aufmerksamkeit, die ihm Luca gab. Das hatte ihm gefehlt, all die Jahre hindurch. Er war so glücklich wie schon seit seiner Kindheit nicht mehr. Luca kniete lächelnd vor Ayco, in wesentlich einfacheren Sachen, als denen, die er dem Elfen anzog. "Du bist so strahlend schön wie der Himmel selbst. Ein Traum...Eben ein wahrer Engel." Ayco errötete und senkte den Blick. "Willst Du Dich mal anschauen, mein Schöner?" Nun starrte ihn der junge Elf aus riesigen, entsetzten Augen an. "Nein... nein, bitte nicht!" stieß er hervor. Luca nahm die Hände des Jungen in seine und lächelte lieb. "Schon gut, mach Dir keine Gedanken. Ich zwinge Dich nicht dazu. Auch wenn Du zauberhafter als jedes Mädchen bist..." "Warum sagst Du so was? Ich bin nicht schön. Im Gegenteil!" Luca legte den Kopf schräg und beobachtete die riesigen, grünen Augen, die so voller Abscheu und Panik waren. "Darf ich Dich fragen, warum Du vor Deinem Spiegelbild solch eine Angst hast?" flüsterte er. Ayco senkte den Kopf und schwieg. In seinem Kopf jagten die Gedanken. Sollte er Luca davon erzählen? Aber es war etwas ganz persönliches, ein Geheimnis, was niemand anderen außer ihn, Lea und seine Mutter etwas anging... Er spürte Lucas Finger, die sanfte sein Haar aus der Stirn strichen. "Entschuldige, ich frage nicht weiter." Ayco sah ihn dankbar an und Luca antwortete mit einem lieben Lächeln. Zuerst hatte der Junge Angst, dass Luca verärgert sein könnte, aber allein dieses Lächeln sagte ihm, dass er es nicht war. Der Magier stand auf und streckte Ayco seine Hände entgegen. "Komm, Ayco, komm mit mir." Draußen erwartete Ayco ein verwilderter, dunkler mysteriöser Garten, ein Park der Verwesung, des Alters und der Erinnerungen an andere, prachtvolle Zeiten. Säulen, die einst ein Portal flankierten, einen Balkon trugen, lagen nun im Moos, zerstört, gebrochen von der Zeit, verrottend, Monumente der Vergangenheit... Der Kopf eines Atlanten ruhte im Schmutz. Die Wurzeln eines Baumes, der auch schon seit Jahrhunderten tot war, hatte sich diesen Schädel auserkoren und ihn mit schwarzen, dünnen Fäden umwoben. Nachtschattengewächse wuchsen hier, spärlich und dünn... Die Stufen der Freitreppen lagen voll mit Unrat und Geröll... und der Brunnen vor der Villa, die Elfenstatue in dessen Zentrum, waren umwoben von Dornenranken, die vor einer Ewigkeit versteinert waren... Ayco sah sich zum ersten mal hier um, staunend, wach und offen. Luca erzählte in Bildern von seinen Erinnerungen, als er ein Kind war, von seinen Träumen und Ängsten... offenbar verband Luca mit jedem Winkel des Gartens eine Geschichte... Ayco lauschte ihm gebannt. Es gefiel ihm, wie Luca dabei auflebte, wie sehr seine riesigen Augen zu denen eines kleinen Jungen wurden... Aber er merkte auch, dass Luca ein ruhiges, in sich gekehrtes Kind war... Es schien ihm, als wisse er das schon lange. Luca konnte niemand sein, der Scherze machte, herumalberte, nicht als Kind. Dazu war er z erwachsen und zu abgeklärt... Dafür hatte man ihm die Kindheit zu früh genommen... Woher wusste Ayco das alles nur? Er konnte sich diese Gewissheit nicht erklären. "... der Garten meines Vaters war sicherlich prächtiger und blühend, aber hier konnte ich endlich auch in diesem Garten spielen... Und das habe ich auch sehr oft getan." Er lächelte. "Hier hat mir Justin gezeigt, wie man richtig zeichnet." Er deutete auf den Schädel unter dem Baum. Ihn habe ich oft gezeichnet... Er ist schön, wenn man sich die Spuren der Verwesung wegdenkt..." Luca lächelte, als Ayco näher heran ging und sich den verwitterten, bärtigen Kopf betrachtete... "Ich habe ihm vermutlich 100 Geschissausdrücke gegeben, mir vorgestellt, wie er Lebt und wer er war, was er war... Er wurde zum stillen Freund, der sich meine Sorgen und Ängste anhörte, zum Vertrauten und meiner Familie... Ich habe oft über ihn geschrieben, über seine toten Augen gedichtet und ihnen versucht Leben zu geben... und er hat uns zugehört, wenn Justin mich singen ließ für sich und mir zeigte, wie ich die Panflöte zu spielen habe..." Ayco kam zu ihm zurück... "Und die Elfe im Brunnen beobachtete meinen Tanz." Luca setzte sich auf den Säulenstumpf und rutschte zur Seite, damit er Ayco nicht ungebührlich nahe kam. Aber der Elf blieb stehen und schaute sich um... Das passte zu Luca. Steinfiguren als Freunde zu bezeichnen... Aber dass er so viel künstlerisches Talent besaß... Singen konnte er, wie kein zweiter. Seine Stimme schwang immer noch in Aycos Herz nach, die Melodie des Liedes, was er für Ayco sang... dieses wunderschöne Wiegenlied. Aber musizieren, zeichnen, tanzen...? Luca zog eine Panflöte unter seinem Hemd hervor... Ayco hatte gar nicht bemerkt, dass der Magier sie bei sich trug... Aus großen Augen sah Luca zu Ayco, lächelte immer noch. "Setz Dich zu mir, dann spiele ich für Dich." Der Elf zögerte kurz. Etwas kribbelte in seinem Nacken. Sie wurden beobachtet... Ayco ahnte, von wem. Justin. Aber als er hochsah, schloss sich gerade nur noch ein Fenster... Justins Fenster. Nun erst setzte er sich vor Luca in das Moos und schaute zu Luca hinauf. Der Magier begann eine unheimlich schöne, traurig schwermütige Weise zu spielen, eine Ballade, voller süßer Trauer... Die Töne schwebten dicht, wie die Farben eines Bildes in der Luft, Farben, die nur darauf warteten, von Ayco vermalt zu werden, zu etwas wunderschönem... Träumerisch ließ sich Ayco zurücksinken und sah in die Luft, in den Himmel aus verfilzten Ästen, die kein Licht hindurchließen... Der modrig süße Duft verwandelte sich in den Duft von Lilien und die feucht warme Luft füllte sich an mit Musik und Gesang. In seinem Herzen entstand ein Bild, das Bild eines Paares, zweier Seraphin, die sich liebten. Sie standen da, in inniger Umarmung und voller Zärtlichkeit küssten sie sich. Ihre Leiber waren halb verborgen unter ihren Schwingen und die Luft duftete nach ihren heißen Körpern. Jung, wie sie waren, noch Kinder fast, hielten sie sich aneinander fest. Sie flüsterten miteinander, lachten leise und schmiegten sich jeder an den Körper des anderen. Winzige, sanft Küsse verteilte der jüngere der Beiden auf Wangen und Lippen seines älteren Freundes, die dieser immer wieder sanft und ruhiger erwiderte... Er nahm schließlich den kleinen, schwarzhaarigen Jungen fest in den Arm und küsste ihn unendlich sanft und leidenschaftlich. Er weinte dabei... Seraphin können nie glücklich miteinander werden... das ist ihr Fluch, wisperte eine leise, boshafte Stimme in Aycos Schädel... Warum wurden wir getrennt...? Warum...?! Warum!!!!! "Warum...!" schrie er plötzlich... und wusste nicht mehr genau, weshalb er eben diese Frage gestellt hatte. Luca ließ die Panflöte fallen und sprang von seinem Sitzplatz zu Ayco herab. "Was ist passiert?" Er nahm Ayco in seine Arme und sah ihn sorgenvoll an. Der Elf erstarrte in seinen Armen, gefror, aber dann schaute Luca in die Augen... und für einen Moment gerannen die schmalen Gesichtszüge des Magiers zu den Kindlichen, etwas runderen des Jungen, den er kurz gesehen hatte, der von dem älteren Seraph betrauert wurde und so zärtlich geküsst zugleich. Ayco begann wortlos zu weinen und wusste nicht mal wirklich warum. Luca setzte sich nun neben ihn, schlang beide Arme um ihn und wiegte ihn sanft. "Ich bin da, immer. Halte Dich an mir fest, klammere Dich an meine Seele. Ich habe Kraft für uns beide." Ayco erwiderte die Umarmung nicht, wenigstens nicht sofort, aber nach einer Zeit wurde es dem jungen Mann zuviel. Er wollte Lucas Nähe, denn er brauchte einen Freund, auch wenn er immer noch Angst hatte, dem Magier zu trauen. Er drückte ihn dennoch kurz von sich und sah ihn aus roten, verweinten Augen an. Luca wirkte selbst so niedergeschlagen und traurig, dass Ayco erschrak. Offenbar wusste der junge Mann, was in der Seele Aycos vor sich ging. "Warum?" flüsterte Ayco tonlos. "Warum tust Du das?" "Was?" fragte Luca leise. "Dich zu trösten...?" Er setzte sich nun richtig hin und lehnte sich gegen den Säulenstumpf. "Weil ich Deine Ängste und Deine Furcht lindern will, und weil ich Dich beschützen möchte." Er lächelte sanft. "Du darfst nicht allein sein mit deiner Angst. Du brauchst einen anderen, der immer an Deiner Seite ist und Dich auffängt, sonst verbitterst Du und schließt Dich noch weiter ab..." Ayco sah ihn schon wieder so trotzig und ärgerlich an. "Ich weiß, dass Du mir nicht traust. Aber der einzige Beweis meiner Treue zu Dir wird die Zeit selbst sein. Mehr kann ich Dir nicht als Garantie sagen. Ich werde immer da sein, wenn Du mich brauchst, immer..." Er hatte sich aufgerichtet und dem Elfen eine Hand hingestreckt. "Nimmst du mein Angebot an?" Ayco zögerte lang. Schließlich nickte er. Was, wenn er mich verrät? Wenn ich all meine Gefühle an ihn hänge und er stirbt?... Dann bin ich so einsam wie zuvor... Warum habe ich nur eingewilligt? Unsicher sah Ayco zu Luca, der ihm zulächelte. An sich ging der Elf sogar davon aus, dass Luca ihn nie verraten würde, aber allein der Gedanke, dass der Magier weggehen könnte, zeriss Aycos Seele schon, ganz zu schweigen von der Option, dass Luca sterben könnte. Ayco rutschte dennoch wieder zu Luca hinüber. Er wagte es allerdings nicht mehr, Luca noch anzusehen. "Verzeih mir, ich wollte Dich mit meinem Spiel nicht traurig machen." Ayco schüttelte nur den Kopf. "Sing bitte, oder spiel..." Seine Stimme war nur ein Wispern, ein Windhauch. Er bat Luca um so etwas? Verwirrt blickte er nun doch zu dem schwarzhaarigen Magier auf. Er verfiel wieder vollständig dem Zauber dieser leuchtenden Smaragdaugen und diesem sanften Lächeln. "Was soll ich für Dich tun? Singen, tanzen, spielen, dichten?" Seine Stimme klang wie Samt... Verführerisch, weich, unheimlich schön. Aycos Augen hingen an Luca. "Sing..." bat er leise, verschämt. Ihm stieg das Blut in die Wangen, das fühlte er, und sein Herz begann zu rasen. Luca lächelte sanft, nickte dann und begann leise zu singen... Es war nicht das Wiegenlied, was der Elf zuerst von Luca gehört hatte, vor einigen Tagen, im Lazarett. Es war ein Liebeslied in ihrer beider Heimatsprache, und ungleich schöner und trauriger. Ayco aber fand sich in allen Beschreibungen Lucas wieder, spürte, dass er dieses Lied ihm anpasste. So sanft... Lucas Stimme wurde nach und nach voller, lauter, tragend, sodass man ihn weithin hören konnte. Ayco schauderte unter dieser Stimme, aber der Schauer war sanft und schön, wohlig... Und, so sehr er sich dagegen wehrte, er empfand tiefe Freude, von Luca so besungen zu werden. Er spürte, dass er im Mittelpunkt stand, vielleicht nur für einen einzigen Mann, aber allein seine Aufmerksamkeit bedeutete ihm etwas... Ganz am Rande seines Bewusstseins nahm er Lea wahr, die auf dem Brunnenrand hockte und ebenfalls lauschte, glücklich, fast versonnen, verträumt... Neben ihr hockten die beiden Drachen, flankierten das zierliche, zauberhafte Mädchen. Einige der Tiere des Labyrinthes kamen herbei, und mit ihnen die Männer, Frauen und Kinder. Die Fenster öffneten sich und unzählige Augenpaare beobachteten sie, lauschten ihm... Sie schwiegen, aber Ayco spürte ihre Gedanken, ihre Gefühle, und die ergriffene Zuneigung zu dem, der ihnen am nächsten stand. Luca trieb sie in ihren Träumen zu ihrer Liebe, verzauberte sie mit Melodien die von Gefühlen sprachen, sie umschrieben und ihnen folgten... Allein das, dieser so endlos friedvolle Moment, brannte sich in Ayco ein und ließ ihn von diesem Moment auch später hin immer wieder zehren. Er spürte im Moment, wie sehr er Luca mochte, und wie sehr er ihn verehrte, vergötterte, und er wusste ganz sicher, dass es kein Leben mehr ohne seine Nähe geben würde. Ayco war wenigstens in diesem verzauberten Moment bereit, sich selbst dies einzugestehen, dieses Gefühl zu akzeptieren... Die sanften Klänge einer Laute mischten sich unter Lucas Gesang. Ayco folgte den Tönen und gewahrte Justin, der auf der Freitreppe saß und spielte, selbst verzaubert und getragen von der Musik... Luca lächelte ihm dankbar zu... Der Elf erwiderte das Lächeln sanft und fiel dann mit in den Gesang ein... Nur sang er alles auf Elfisch... Die zwei Stimmen begannen sich zu vermischen, tanzten umeinander, ein voller, starker Tenor, Justin, der Barde war, und Lucas ruhigere, sanftere Stimme, die tiefer war, aber ebenso stark und tragend und ausdauernd... Luca umschrieb und verehrte ihn mit seinen Worten, sang nur von ihm, seiner Seele, seinem Herzen und seinem Bewusstsein... Der Magier legte all seine Gefühle hinein, so sehr, dass Ayco spürte, was diese Ballade war. Eine Liebeserklärung an ihn. Justin sang den eigentlichen Text... aber auch in seiner Stimme fand sich alle Liebe und Zärtlichkeit wieder. Ayco hatte das Gefühl sich zu verwandeln, zu einem Engel zu werden, seine Schwingen auszubreiten und zu fliegen, allein getragen von all dem, was die beiden Männer... was Luca in ihm auslöste. Er war es, der Ayco seine Liebe gestand... Nur er... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)