Interdependenz Buch 1 von abgemeldet (Die schweigende Lilie) ================================================================================ Kapitel 8: Märchen und Träume ----------------------------- Als er wieder in den Lazarettssaal kam, hatte er sich erholt, sein Gesicht war wieder frisch und seine Erscheinung aufgeräumt und sauber, wie gewohnt. Nur seine roten Augen verrieten seine Tränen... aber niemand war mehr wach. So ging Luca nochmals besorgt durch die Reihen, um sich zu vergewissern, dass es jedem der Situation entsprechend gut ging. Schließlich löschte er die Lampen und Kerzen bis auf eine einzige, die er mit sich nahm, zu seinem Schlafplatz. Nun setzte er sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden und schlug eine dünne Holzmappe auf, die bei seinen Sachen lag. Er suchte einige Sekunden lang nach seiner Zeichenkohle und fand die Brösel dessen in seiner Tasche. Seufzend nahm er sich das längste Stück Kohle, was kaum mehr so lang war wie sein kleiner Finger und begann das aufzureißen, was er vor sich sah... "Ich weiß, dass Du wach bist, Aycolén," sagte er leise. Eigentlich war das nur eine vage Annahme. Aber das leise Rascheln der Decken bestätigte seine Vermutung. "Was hast Du gegen mich?" fragte Luca leise. "Ich habe Dich vorhin wahnsinnig erschreckt. Das tut mir furchtbar leid." Luca ließ Ayco Zeit zu antworten... Aber es sollte keine Antwort kommen. Schweigen und das regelmäßige Atmen der anderen, leises Schnarchen war zu hören. "Du redest nicht..." sagte Luca leise, mit der bösen Vorahnung, dass Ayco gar nichts sagen würde... und das daraus resultierte, was er erlebt hatte. "Dann werde ich reden," sagte Luca lese. Er wollte auch nicht, dass ein anderer wegen ihm erwachte, aber Ayco sollte ihn verstehen. "Es ist vielleicht Dumm, aber ich fürchte, ich brauche jemand, der mir einfach nur zuhört." Luca senkte den Kopf noch weiter. Er würde sicher viel Unsinn reden, so verstört und unsicher, wie er war... aber er musste reden. Er musste sagen, was ihn belastete. "Es ist mir eigentlich sehr peinlich, Dir all das zu erzählen, aber es ist innerhalb der letzten Tage so viel passiert, seit ich wieder bei Justin im Labyrinth bin..." Luca hörte, wie sich Ayco hinter ihm auf der Pritsche umdrehte und ihm den Rücken zuwendete. "Verzeih," flüsterte er. "Ich will Dich nicht mit meinen Sorgen belästigen." Er legte den Skizzenblock hin und starrte vor sich hin, an einen imaginären Punkt im nichts. Plötzlich lächelte er leicht. "Lass mich Dir ein Märchen erzählen, Aycolén, eintrauriges Märchen, aber vielleicht gefällt es Dir ja." Was bin ich?! Dachte Ayco verärgert. Ein Kind, dass Märchen brauchte?! Er beschloss, einfach nicht zuzuhören! Dennoch gelang es ihm nicht, sich der Stimme des Magiers zu entziehen. Als Luca begann , weigerte sich Ayco noch, dann aber ergab er sich in die zugegeben faszinierende Erzählweise und die melancholisch tragische Liebesgeschichte, die Luca erzählte. Eigentlich war Ayco müde, wahnsinnig müde sogar und erschöpft... dennoch konnte er einfach nicht aufhören, Luca zuzuhören, denn er erzählte in Bildern, so farbig, dass Aycos Phantasie sich verselbstständigte. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte nur einfach. Ihm kam einmal kurz die Frage in den Sinn, weshalb Luca sich so um ihn kümmerte, verschwand aber bald wieder, denn die Erzählung fesselte ihn einfach. Was, fragte er sich anschließend, war daran so faszinierend? Es war die Erzählung um einen jungen Priester, der in einer Sturmnacht in ein Herrenhaus kam, um sich zu schützen... Er erlebte die Geburtstagsfeier eines alten Adeligen, einen rauschenden Ball, der in einem traurigen Mord endete, in einem Mord, der Sinnlos erschien, denn jeder schien den Alten zu lieben... Und dennoch brachte ihn jemand auf äußerst perfide Weise um... der Priester versuchte den Mord zu klären und stieß dabei auf eine traurige Liebesgeschichte zwischen zwei der Kinder des Alten und ein ungeborenes Kind, was der Beweis der Liebe unter den Geschwistern war... und schließlich endete alles in einem Doppelselbstmord und einem Fluch, der den jungen Priester zu einem Untoten machte...Die junge Frau des alten Mannes verfluchte den Priester... Nicht dafür dass ihre Stiefkinder sich umbrachten und mit ihnen das ungeborene Leben im Leib eines Mädchens starb, sondern weil ihr Mann, den sie geliebt hatte, nicht von dem Priester gerettet werden konnte... Dieser Fluch... der Wortlaut blieb Ayco im Gedächtnis... Wörtlich... - Alles Leben, was Du zu geben vermagst, wird sich in Tod wandeln, alles, was Deine Hände zu Heilen vermochten, wird erkranken und vergehen. Du wirst gefangen sein, nicht lebend, nicht tot, fern von allem, an dass sich Dein Glaube klammert, fern von allem, dem Du dienst. Dein Reich wird die ewige Lichtlosigkeit sein, zu jeder Stunde, jedem Sonnenlauf, dort wo die Vergessenen und Verdammten leben. Du wirst unter ihnen gebunden sein, unfähig länger fort zu sein, als nur einen Tag. Erst wenn Du vollkommen und selbstlos, wahrhaftig zu lieben im Stande bist, ungeachtet dessen, wie viel Leid und Schmerz diese Liebe mit sich bringt, erst wenn sich diese Liebe erfüllt, wird sich dein Schicksal wenden. - Er wusste nicht, wer ihm am meisten leid tat in dieser Erzählung. Der Alte Mann, das unglückselige Paar, dass ihren Vater ermordete, um frei zu sein, das ungeborene Kind, oder der junge Priester, der an nichts die Schuld trug und dennoch verantwortlich war. Über seinen Grübeleien schlief er wieder ein und träumte zum ersten mal die Geschichte nach... Der Priester... er sah zu Anfang aus wie Luca... doch dann wurde er zu dem rothaarigen Elfen in seinen Träumen... "Luca, glaubst Du es war klug ihm Justins Geschichte wie ein Märchen zu erzählen?" Luca streichelte Tambrens Kopf und sah ihn lange schweigend an. "Was geht denn nur in deinem Kopf vor sich?" fragte der kleine blaue Drache nachdenklich. "Ich musst über Justin reden, mein Kleiner," sagte Luca leise und lächelte. "Er soll verstehen, warum mir Justin so viel bedeutet, was wir füreinander sind, und dass Justin mehr ist, als nur ein einfacher Freund... Dass er etwas besonderes ist, ein Geschöpf, das zu Gefühlen im Stande ist, die sehr viel mehr sind als meine..." "Das ist Unsinn," unterbrach ihn Tambren barsch. "Seit ich dich kenne, Luca, weiß ich, wie sehr du von deinen Gefühlen abhängig bist, und wie stark und tief deine Gefühle sind. Du empfindest anders als die meisten anderen, gerade weil du einsam bist und weil du sensibler und empfindsamer bist als jeder andere Mann, den ich kenne." Luca sagte gar nichts dazu. Er fühlte nichts bei den Worten. "Tam hat recht," meinte Goldy. "Ich habe selten jemand erlebt, dem alles so nah geht. Jeder andere ist ignoranter..." Luca seufzte und sah sich um, zu seinem Elfischen Freund. "Er schläft," sagte Luca mit einem sonderbar entspannten Lächeln auf den Lippen. Behutsam streichelte er Ayco über die Haare und malte mit seinem Zeigefinger das perfekte Profil des Elfen nach. Eigentlich hatte er angenommen, dass Ayco hochschrecken würde, oder sich unbewusst Lucas Fingern entzog, aber das Gegenteil war der Fall. Ayco schien sich danach zu sehnen. Er schmiegte sich richtiggehend in Lucas Hand und reckte seinen Kopf nach Lucas Fingern... "Mein Armer Engel," flüsterte Luca. "Im Schlaf vertraust Du mir, im Wachen fürchtest Du mich..." Luca setzte sich ganz zu Ayco und legte dessen Kopf in seinen Schoß. Hätte er das bei Justin gemacht... Der Elf hätte sofort die Situation genutzt, Luca entkleidet, sein Glied gestreichelt und zwischen seinen Lippen genommen, um ihn zu lieben... Aber Ayco lag einfach nur ruhig in seinem Schoß und schlief. Die Ruhe und das Wissen, dass Ayco wegen ihm so entspannt war, machten Luca glücklich. "Es kommt mir so vor, als wäre er schon immer Teil meines Lebens gewesen, ihr zwei. Es ist, als würde ich ihn schon ewig lieben, ihn besser kennen als mich selbst. Ich träume manchmal davon..." "Wovon?" fragte Goldy, die zu Luca auf das Bett gehüpft war und nun neben ihm saß, beobachtete, wie der Magier den Kopf des schlafenden Jungen streichelte... "Davon, dass wir uns schon kannten, als wir jünger waren... Dass wir ein Paar waren... bevor ich Justins Geliebter wurde... Ich träume davon, dass wir eine allerletzte, gemeinsame Nacht hatten, unvorstellbar schön..." Er schüttelte den Kopf. "In diesen Träumen bin ich fast noch ein Kind... 12, 13 Jahre alt, nun nahezu 14... Aber das ist unmöglich. Damals war ich im Orden, und die wenigen Male, die ich ausgebrochen bin, war ich hier. Das letzte Mal, das war die Nacht, in der Justin mich zum ersten Mal liebte. Danach kam ich nicht mehr aus dem Orden und Justin konnte nur noch zu mir, in den Nächten..." "Er..." Goldy verstummte. Sie beobachtete Ayco lange Zeit schweigend. "Scheinbar träumt er gerade, was Du erzähltest... Du hast einen großen Einfluss auf ihn, aber nur in seinem Unterbewusstsein. Ist er wach, wird er dich von sich stoßen. Erträgst Du das?" "Solang ich seine Schmerzen lindern und seine Wunden Heilen kann, ja. Ich will ihn eines Tages glücklich machen, sehen wie er unbeschwert lacht... Auch wenn ich nicht der bin, der seine Liebe ist..." "Luca, er könnte Dein Untergang und Tot sein..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)