Interdependenz Buch 1 von abgemeldet (Die schweigende Lilie) ================================================================================ Kapitel 7: Unsicher ------------------- Ayco lag in seinem Bett, die Augen geschlossen, aber er schlief nicht. Das sah Luca schon an der unnatürlich verkrampften Haltung des Elfen. Sein gesamter Körper war angespannt. Wortlos füllte Luca jedem der Patienten einen Becher mit Wasser auf, unterhielt sich mit einigen von ihnen und legte jedem der Kranken einen frischen Apfel hin. Äpfel... Frisches Obst überhaupt war eine Seltenheit im Labyrinth, aber mehr noch als das verbot Justin normal die Vergeudung des wichtigen, raren Obstes... Aber diese Leute hatten eine Aufmunterung dringend notwendig, eine kleine Zuwendung, Ein Lächeln, eine Geschichte, Aufmerksamkeit und Träume, Hoffnungen und manchmal eine kleine, süße Aufmerksamkeit. Luca setzte sich schließlich zu Ayco und legte ihm ebenfalls einen Apfel auf das Bett, neben seine Hand. "Hier, mein Freund," sagte er leise. Er verharrte kurz mit der Hand, nah an der des Elfen. "Iss ruhig, es wird dir gut tun." Der Elf zuckte zurück, rollte sich unter seinen Decken noch fester ein und petzte die Augen zusammen. Gerade noch hatte Luca seine Hände nach Aycos Kopf ausgestreckt, um ihm über die Silberhaare zu streicheln, ließ es nun aber und zog seine Finger zurück. "Ich werde dir nichts tun," flüsterte er und setzte sich auf den Fußboden. "Ich bin hier, direkt neben dir. Wenn Du etwas brauchst, meine Hilfe willst, wecke mich." Aycolén würde nichts dergleichen tun, das wusste Luca auch so. Der Elf misstraute ihm zutiefst... Luca sah ihn noch eine Weile still an, rollte sich dann neben Ayco auf dem Fußboden zusammen und zog sich seine dünne Decke über den Körper... Er schlief beinah sofort ein. Er bekam nicht einmal mehr mit, wie Goldy und Tambren aus dem Dachgebälk herbesanken und sich zu ihm kuschelten. Ruhe kehrte ein, die letzten paar Gespräche verstummten nach und nach. Ayco hörte die Gespräche der anderen und zugleich waren ihre Worte ohne Bedeutung für ihn. Die einzigen Worte, die er definiert und klar wahrnahm, waren die des schwarzhaarigen Mannes... Der, der nun vor seinem Bett auf dem Boden lag und schlief, dessen ruhigen Atemzügen er lauschte... Der, der es gewagt hatte ihn davon abzuhalten, endlich Frieden zu finden, endlich in den ruhigen, finsteren Armen des Todes einzuschlafen und bei seiner Familie, seiner Mutter und Schwester zu erwachen... Sein Herz war voller Zorn auf den Fremden, aber auch voller Angst. Wie konnte er es wagen, für Ayco zu entscheiden? Wieso erhob sich der Magier über Leben und Tot? Er wollte nicht gerettet werden!!! Und dann dieses intensive Nähe, die Vertrautheit... Sie ängstigte Ayco. Alle Nähe verwirrte ihn, machte ihm Angst. Er wollte niemandem vertrauen, konnte es nicht... Er wollte sich nicht einmal zu dem Magier umsehen... Dennoch tat er es. Langsam, ganz langsam löste er sich, seine verkrampfte Haltung, und wendete sich um. Der Mann lag auf dem blanken Boden, nur mit einer Decke ausgestattet, die ihn nicht wärmen konnte. Er hatte sich in seinem pechschwarzen Haar verstrickt. Einige der Strähnen hingen ihm im Gesicht, in die Augen... Seine Haut war fast wächsern weiß und transparent... Zugleich entdeckte Ayco die leichten roten Spuren auf Lucas Wangen. Tränen, erkannte der junge Mann. Aber warum? An sich konnte es ihm auch egal sein... Und dennoch. Dieser mädchenhafte, zerbrechliche Mann... Ayco hasste es, das zugeben zu müssen, aber der Magier hatte etwas besonderes an sich, etwas dass ihn neugierig machte, viel offener als es Ayco lieb war... etwas trauriges, hilfloses. In Lucas Armen lagen zwei winzige, geschuppte Drachen und schliefen... Er hielt sie wie Kinder... Langsam erinnerte sich Ayco daran, Luca, ja, Luca war sein Name, schon gesehen zu haben. Hier, und auch damals weinte der Magier. Eine bizarre Vorstellung... und doch, dieser Mann hatte nichts kaltes und hartes, nichts berechnendes und böses an sich... Im Gegenteil. Er schien eher sehr gefühlvoll und empfindsam zu sein, sehr sanft, angreifbar und sensibel... vielleicht seine Stärke, vielleicht aber auch seine größte Schwäche. Luca seufzte tief in seinen Träumen und schüttelte hilflos den Kopf, flüsterte immer wieder: "Bitte Justin, nicht, hör auf..." Tränen rannen wieder über seine Wangen... "Justin.... Nein... nicht!" Soviel Qual in der Stimme, in seinem Gesicht... Er litt... "Ayco..." Erschrocken sah der Elf ihn an. Wovon träumte der Magier nur? Der Mann mit den schwarzen Haaren war ihm unheimlich... Aber zugleich konnte Ayco ihn nicht völlig aus seinem Bewusstsein streichen, ihn wegignorieren... Er zog sich die Decke bis zum Hals, krümmte sich zusammen und schloss ärgerlich die Augen. Sicher war Luca auch nur ein Verräter! Er konnte niemandem trauen! Niemals! Er wollte auch nie wieder jemanden an sich heranlassen. Ihm hatte man zu sehr weh getan. Freunde... Alle Freunde warn Verräter! Freundschaft? Dieses Wort hatte einen eigenartigen Klag für Ayco. Genaugenommen war es wie ein Fremdwort, dass keinen Sinn in sich barg. Mehr noch ein Wort, dass einst einen hatte, heute aber nur hohl und leer klang, weil Ayco auch einfach vergessen hatte, was es bedeutete... Nur ein milder Nachhall war da, ein Hauch aus einer längst vergessenen Vergangenheit. Aycos Haut tat weh, seine Fingernägel, die Nagelbetten, alles... Das allein erinnerte ihn an Freundschaft. Wenn er sich versuchte zu erinnern, spürte er nichts als den Schmerz der Folter, die er ertragen hatte, bis sich seine Erinnerungen in nebliger, rotschwarzer, klebriger Finsternis verloren, die durch nichts außer absoluter Pein bestimmt wurden. Ayco rollte sich noch enger zusammen, wie eine kleine Kugel und umfasste seine langen Beine mit den Armen... Er würde dem Magier niemals vertrauen! NIE!!! Leise Stimmen weckten Luca aus seinem ohnehin leichten Schlaf... Er schrak auf und sah sich gähnend um. Ihm tat der Rücken weh, die Hüftknochen und die Haut... Der Boden war ungleich härter als sein weiches Bett, der Krankensaal lauter, stickiger und trotz seiner gewaltigen Größe beengter als das kleine Zimmer, was er hier bei Justin sein eigen nannte. Obwohl er vor Stunden jeden einzelnen Mann und jede Frau gewaschen hatte, roch es unangenehm... Luca rieb sich die Augen und spürte, dass sie entzündet waren. Vermutlich vom Weinen. Das Licht der Petroleumlampen und Kerzen tat weh in den Augen und machte die Luft zu etwas greifbar dickem. Er stand auf und sah sich um. Galan und Mervile unterhielten sich leise, sahen aber zu Luca als dieser aufstand. "Waren wir zu laut?" fragte Galan, ein Junge, der für die Schreinerin Mara arbeitete und sich vor zwei Nächten sein Stemmeisen in den Unterschenkel getrieben hatte. Luca schüttelte lächelnd den Kopf und trat zu den beiden Labyrinthbewohnern. Mervile, ein etwa 70 jähriger Menschenmann setzte sich ganz auf. Er war Teil des Lazaretts. Wie Luca sorgte er hier für die Kranken. Seine geschickten Finger hatten schon seit 30 Jahren keine Schlösser mehr geöffnet. Justin holte ihn damals direkt aus dem Gefängnis in sein Haus. Mervile berührte an diesem Tag zum ersten Mal eine Mann, sein ihn seiner Brust schlagendes Herz... Das faszinierte den Dieb damals so sehr, dass er nicht wieder auf die Straße zurück wollte, sondern bei Justin blieb, im Lazarett. Nicht nur das faszinierte ihn... auch Justin. Der rothaarige Elfenvampir war etwas besonderes, etwas, dass es nie zuvor gegeben haben konnte. Ein Geschöpf, dass töten sollte, aber Heilung und Linderung brachte. Für ihn war Justin ein Heiliger und Luca, den er nun auch schon lang kannte, Justins Gefährte, sein Geliebter... Er nahm an, dass die Männer glücklich miteinander waren. Für ihn gehörten diese Beiden einfach zusammen. So war es seit nahezu 20 Jahren und daran würde sich für ihn nie etwas ändern. "Luca, mein Junge, setz' Dich zu uns." Der Magier lächelte dankbar. "Ich will die Fenster öffnen. Die Luft ist unerträglich. Davon wird niemand gesund, sondern nur noch kranker. Und die Alpträume werden für einige schlimmer." Er deutete mit dem Kopf zu Aycolén hinüber. "Was war denn vorhin mit dir und Justin?" fragte Galan leise. Luca sah ihn lange Zeit still an und lächelte schließlich. "Nichts schlimmes. Er ist verärgert, weil ich ihn zurückgewiesen habe." "Das ist aber auch nicht nett von Dir, Luca, Du bist undankbar, wenn Du Dir überlegst, was Justin schon alles für Dich getan hat." Luca schluckte hart. Einerseits hatte Mervile recht, andererseits aber wusste er auch, dass es falsch war aus missverstandener Dankbarkeit Justin zu jeder zeit zu Diensten zu sein, denn es war nicht ehrlich, keine wahre Liebe, sondern nur eine Pflicht. Wortlos ging er an den beiden Männern vorüber und zu den hohen, schmalen Spitzbogenfenstern. Er öffnete eines nach dem anderen. Öffnete die Läden weit und lehnte sich bei dem letzten hinaus. Gierig sog er die kühlere süßliche Luft ein und stellte traurig fest, dass man nirgends, im gesamten Labyrinth frische Luft atmen konnte... traurig schüttelte er den Kopf und umfing seine Schultern mit seinen langen, schmalen Armen. Sein schwarzes Haar fiel ihm in die Augen um seine schmale, hochgewachsene Gestalt... Tränen rannen ihm wieder über die Wangen. Er hasste es, wenn er weinte. Es war seine Schwäche. Schwach... das war er. Einsam und schwach, undankbar und abweisend, kalt und... widerlich! "Luca?" Justins Stimme klang so weich und sanft in seinem Ohr... Sein warmer Atem streifte seine Haut, bewegte sein haar... Ein Vampir, der Atmete, ein Verfluchter, dessen Fluch fast nicht mehr existierte... Luca kannte den Wortlaut des Fluches und den Grund, weshalb Justin fast mehr Lebte, als untot war... - Alles Leben, was Du zu geben vermagst, wird sich in Tod wandeln, alles, was Deine Hände zu Heilen vermochten, wird erkranken und vergehen. Du wirst gefangen sein, nicht lebend, nicht tot, fern von allem, an dass sich Dein Glaube klammert, fern von allem, dem Du dienst. Dein Reich wird die ewige Lichtlosigkeit sein, zu jeder Stunde, jedem Sonnenlauf, dort wo die Vergessenen und Verdammten leben. Du wirst unter ihnen gebunden sein, unfähig länger fort zu sein, als nur einen Tag. Erst wenn Du vollkommen und selbstlos, wahrhaftig zu lieben im Stande bist, ungeachtet dessen, wie viel Leid und Schmerz diese Liebe mit sich bringt, erst wenn sich diese Liebe erfüllt, wird sich dein Schicksal wenden. - Justin, der Barde, der Priester, der in seinem Dasein als Heiler aufging, nur für andere lebte, war verflucht und gebunden an das Labyrinth, die Finsternis, das Blut... und dann trat Luca in Justins Leben, als kleiner Junge von acht, neun Jahren, und Justin verliebte sich in ihn, war halb wahnsinnig vor Sehnsucht nach dem Knaben und eroberte seinen Körper womit sich der Fluch wendete... Ja, Luca war grausam zu Justin, und er hasste sich dafür, empfand er doch so viel für Justin... Aber eben keine Liebe. Wortlos drehte er sich zu Justin um und umarmte ihn fest. Der Vampir wiegte ihn in seinen Armen. "Es tut mir so leid, Luca, alles was ich sagte war... eine Lüge. Du weißt, dass Du mir alles bedeutest und dass ich Dich liebe, und dass ich mir nur wünsche, dass Du immer bei mir bleibst. Ich will Dich nie mehr loslassen..." Luca legte ihm die Fingerspitzen über die Lippen "Scht," sagte er leise. "Ich weiß doch. Ich weiß." Er schmiegte sich an seinen etwas kleineren Freund, kuschelte sich an ihn... Vor noch nicht langer Zeit hätte er sich einfach nur still treiben lassen, seine Augen geschlossen und sich Justins Händen und Lippen hingegeben. Während er den Vampir umarmte, sah er über dessen Schulter den still daliegenden Elfen, Ayco, den Mann, den er liebte. Sein Herz brannte, schmerzte, ob dieser Situation. Ein Mann, den er verehrte, den er als engsten Freund und Vertrauten sah und der ihn über alles auf dieser verfluchten Welt liebte und ein Mann, den er liebte, über den er nichts wusste, und der dennoch sein Schicksal sein sollte, denn Luca war kein Mensch, sondern ein Seraph. Ein solches Geschöpf, dass nur einmal in seinem ganzen Leben zu lieben in der Lage war. "Oh Justin, mein lieber Justin, warum bist nicht du der Mann, den ich liebe," flüsterte Luca. "Dann wären wir beide erlöst und glücklich. So füge ich Dir nur Leid zu. Und das will ich nicht. Du bedeutest mir doch soviel." Justin sagte gar nichts, hielt Luca einfach nur fest. Aber Luca spürte, dass Justin weinte. Still nahm er Justin auf die Arme und trug ihn in sein Zimmer. Dort bettete er Justin in seidene Decken, und öffnete die Fenster für ihn weit, zündete eine Schale mit duftenden Kräutern an und setzte sich zu Justin. "Luca..." Der Magier lächelte ihn liebevoll an, neigte sich über seinen Freund und küsste ihn unendlich zärtlich. "Ich bleibe bei Dir, bis Du eingeschlafen bist," sagte er leise und streichelte Justin durch die dichten Kupferlocken. "Und ich werde der erste sein, den Du morgen früh siehst." Justin schloss die Augen und schmiegte seine Wange in Lucas Hand. Sofort schlief der Elf ein. Luca vergrub sein Gesicht in den Händen und begann verzweifelt zu weinen. Selbst der Krieg war einfacher für ihn zu ertragen gewesen. Er kam sich schmutziger und verlorener vor als je zuvor. Er saß hier, neben Justin, heuchelte ihm eine Liebe vor, die er nicht empfand und dachte bei jeder einzelnen Berührung an Aycolén, der ihm nun noch unerreichbarer erschien als vorher. Er konnte s nicht weitermachen. Er musste sich entscheiden... Und so, wie Justin dalag, wie ein träumender Knabe, dessen wundervolle, nachtblaue Augen bis in sein Herz zu schauen vermochten, hätte sich Luca am liebsten sofort für ihn entschieden, um wenigstens ihn glücklich zu machen, aber wie glücklich wäre Justin darüber, wenn er erfahren würde, dass Luca immer nur an Aycolén dachte? Wenn sie miteinander schliefen, plötzlich Luca nicht Justins Name über die Lippen kam, sondern Aycos? Es würde Justin mehr verletzen, als eine Trennung es jetzt täte. Justin war stolz und Luca würde ihm das nicht antun wollen. Nie. Dazu war ihm Justin zu wichtig. Luca strich Justin ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und küsste seine Wange. "Träume süß, mein schöner Prinz," flüsterte er und stand auf. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und verließ den Raum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)