Interdependenz Buch 1 von abgemeldet (Die schweigende Lilie) ================================================================================ Kapitel 6: Zorn --------------- Tambrens Flügel knisterten leise unter dem Stützgebälk der Decke, als er sich streckte und nach unten blickte. 35 Männer und Frauen lagen dort unten in dem Saal, unter ihnen, unter einer unsicheren Decke, die nur von dicken Balken getragen wurde... Er sah Justin nach... Die gelben Drachenaugen verengten sich. Ihm war klar, was kommen musste. Traurig schloss er die Augen. "Armer Luca..." Goldy sah ihren Bruder an und nickte. "Weißt du nun, warum ich es nicht mehr ertragen habe, seine Vertraute zu sein? Ich teile immerhin meine Gedanken und mein Wissen mit ihm..." "Verdammt!" zischte der kleine, blaue Drache. "Glaubst Du etwa, dass weiß ich nicht?!" Sie zuckte zusammen ob des Gefühlsausbruches ihres Bruders. "Was..." "Bitte, Goldy, sei einfach still! Du weißt genau, dass ich es kaum ertragen kann und dennoch bin ich nicht so feige wie Du und bleibe bei ihm..." Sie nickte beschämt. "Ich weiß... Du liebst Luca. Und er liebt Dich. Deshalb seid ihr unzertrennlich." Tambren sah sie einige Sekunden lang an... Dann zuckte er zusammen. Gleichzeitig polterte draußen der Kupfereimer die Stufen hinab. Goldy erschrak ebenfalls. "Sieh mal!" Tambren hob ein Lid und sah sie an. "Was?!" "Der Elf." Sie deutete nach unten. Aycolén lag da, wach, blass, apathisch... Zugleich richtete sich sein Blick zu der Wand, der Türe, aus der Luca verschwand. Starrte er ins Leere...? "Scheinbar realisiert er, dass Luca in den letzten Tagen bei ihm gewesen war... und jetzt Hilfe bräuchte..." Tambren verzog sein kleines Drachgesicht zu einer absoluten Fratze. "Goldy, halt einfach die Klappe!!!" Er schloss zornig die Augen und drehte sich ab. "Wenn er wüsste, was Luca für ihn empfindet... Er realisiert noch gar nichts, Goldy, ich glaube, dass ihm nicht bewusst ist was Luca ist und dass er ihm nichts tun möchte, sondern ihn beschützen will... Also wird es ihm auch völlig gleichgültig sein, was Justin gerade mit Luca macht, ob er ihn nun da draußen auf dem Flur Vergewaltig oder nicht..." Goldy schluckte hart, antwortete aber nicht mehr, sondern schloss nun auch die Augen und rollte sich zusammen. Lucas Finger klammerten sich um das steinerne Treppengeländer. Sein Körper fühlte sich an, als habe er einen Krieg allein durchgestanden. Aus mehreren kleinen, feinen Bisswunden rannen feine Blutfäden über seinen Hals und seine Brust, seine Handgelenke und über das Geländer... auf der Innenseite seines Oberschenkels das Bein herab... Justin hatte seinen Durst an ihm gestillt, seine Gier, seine Lust. Der Vampir war nicht bereit seine Beute wieder aus seinen Klauen zu lassen, als er Luca auf den Stufen eingeholt hatte. Im Gegenteil. Er zwang den Magier in die Enge, drängte ihn in die defensive und nahm ihn mit Gewalt... Lucas Tränen konnten Justin nicht davon abhalten. Es erregte Justin sogar noch mehr, Luca so hilflos und verzweifelt zu sehen... Luca starrte in die Tiefe unter sich, neigte sich weiter nach vorne... Für einen Moment spürte er den Wunsch loszulassen, einfach aufzugeben. Aycoléns Reaktion hatte etwas in ihm zerstört, seinem Hoffen und seinen Wünschen sehr nachhaltig einen Schlag versetzt... Dann Justins Worte, Ayco könne ihn hassen, verabscheuen... Was Justin gerade getan hatte zählte für Luca nur bedingt. Er war es gewohnt, dem Vampir Blut zu geben, ebenso mit ihm zu schlafen, oder, wenn Luca es nicht wollte, vergewaltigt zu werden... aber die Erkenntnis, dass er Justin nicht mehr bedeutete als eine Hure, tat weh. Er hing sehr an Justin, liebte seinen alten Freund auf seine Art und Weise, und irgendwie wusste er, dass unter all der triebhaften Lust Justins viel Zuneigung, eigentlich eine wahre Liebe verborgen lag. Aber das zu sagen, Es Luca zu zeigen, dazu war Justin nicht in der Lage... Der Wunsch zu sterben blieb tief in Lucas Herzen, aber zugleich erwuchs auch die Hoffnung, Ayco doch noch aus seiner verschlossenen, panischen Finsternis zu retten, ihn langsam aus dem Nichts und der ewigen einsamen Nacht, die nur Qual für ihn war, ins Licht zurückzuführen. "Du brauchst mich," murmelte Luca leise. "Und ich brauche Dich, Ayco. Denn Du bist mein Licht." Luca zog sich still an und wischte sich das Blut an seinen schwarzen Hosen ab. Mit beiden Händen strich er sich die Haare glatt und neigte sich etwas nach vorne, damit sein Gesicht und sein Hals halb unter dem schwarzen Wasserfall verborgen lagen. Es war ihm unangenehm, dass ihn jemand in diesem Zustand sehen konnte. Er war Verzweifelt und die Tränenspuren auf seinen Wangen würden ihn mit ziemlicher Sicherheit verraten. Dennoch ging Luca die Treppen hinab und sammelte den Kupfereimer auf. Er sah über die Schulter zurück, hinauf, dort hin, wo er eben noch gestanden hatte... Der Vorsprung.... das Geländer war schon lange Jahre nicht mehr zuverlässig, der Stein gesprungen, da er schon lang unter zuviel Spannung stand und zuviel Belastung abzutragen hatte... Stützen trugen an dieser Stelle ein gläsernes Dach, eisernes, verrostetes Tragwerk, was den Stein noch stärker angriff... Selbst ungewollt hätte er dort den Tod finden können. Justin hatte ihn immer gewarnt, das Geländer zu belasten. Eine Etage weiter unten ging das Geländer von Stein in Holz über... auch das war marode, aber neuer und stabiler... Von oben fiel ein Schatten herab. Luca wusste sofort, wer es war. Justin... Er nahm den Eimer auf und drehte sich ganz zu seinem Freund um, sah hinauf, ruhig, erwartungsvoll. "Komm Justin," flüsterte er. Gib dir einen Ruck, komm zu mir, vergib mir... Bitte..." Justin stützte sich auf das kaputte Geländer, sah zu Luca hinab, beobachtete ihn... Das wenige Mondlicht, was durch die verfilzten Äste über der Glaskuppel hereinfiel, gab dem Elfen etwas etherisches...er lächelte. Über seinen Schultern lag ein grüner Samtmantel. Rote Locken fluteten über die schmalen Schultern... "Oh bitte, mein schöner Freund, bitte," wisperte Luca. Steinstaub rieselte aus der 5. Etage zu Luca herab... Er musste seine Hände mit unglaublicher Gewalt um das Geländer krampfen. Dann stieß er sich ab und trat zurück in die Schatten, aus denen er kam. Lange noch starrte Luca an diesen nun leeren Ort, schließlich senkte er den Blick und drehte sich um, ging langsam, schwerfällig in die Küche... So einsam wie er es nun war, hatte er sich selbst während seiner Lehrzeit im Orden nicht gefühlt... Alles um ihn herum verstieß ihn willentlich. Die einzigen die sich nach ihm sehnten waren seine beiden Kinder, aber diese waren die einzigen Beiden, die er nicht zu erreichen vermochte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)