Das rote Tuch 2 von Crevan ================================================================================ Kapitel 2: Spiegelbild ---------------------- Die kommenden Tage wirkten so surreal. Wie ein verdammt schlechter Traum, aus dem man nicht aufwachen konnte, obwohl man alles dafür getan hätte. Es half nicht sich fest in den Arm zu zwicken, laut zu schreien, sich zu schlagen oder den wirren Kopf unter kaltes Wasser zu halten. Und das Wasser war eiskalt. Malik biss die Zähne fest aufeinander, als ihm das kalte Nass über den schmerzenden, brünetten Kopf lief. Seine matten Augen blickten dem Metallbecken, über das er sich beugte, entgegen. Es war hier alles aus Eisen und Stahl: Bettrahmen, Regale, Stühle. Und der Mann mochte es nicht; er war dieses kühle Inventar genauso wenig gewohnt wie... wie, nunja, alles andere hier. Seit knapp zehn Tagen war er nun schon an diesem Ort und nichts war ihm vertraut. Garnichts. Alles war so ungewohnt. Als Malik seinen Oberkörper wieder aufrichtete, atmete er langgezogen aus und erschauderte, als kalte Wassertropfen kleine Rinnsale an seinem Nacken hinab zogen. Seine Stimme klang so fremd, als er dann seufzte. Und der, der ihm in der nächsten Sekunde aus dem Spiegel entgegensah war es erst recht: Helle Haut und viel zu helles Haar hatte er. Der Assassine war gefangen im Körper eines Anderen. Im Leib eines schlecht sehenden Blonden und dem Freund dreier anderer Menschen aus einer so skurrilen Welt. Malik befände sich 'in der Zukunft', hatten die Besagten erklärt. Er wäre zwar nach wie vor Assassine, doch hier kämpfe der Orden nicht mehr mit Muskelkraft sondern über... über seltsame Gerätschaften, die der irritierte Malik nach wie vor nicht verstand. Nicht einmal ansatzweise. Er selbst, oder eher sein Körper, trüge den Namen 'Shaun Hastings'. Einen Namen, den Malik nicht einmal schreiben konnte, obwohl er das lateinische Alphabet doch eigentlich beherrschte. Einen Namen, auf den er nicht hörte und niemals hören würde. Ach, es war alles so bizarr. So anders. Die Leute hier aßen so seltsame Dinge, sie kleideten sich komisch, besaßen eigenartige Gerätschaften erfüllt von Hexerei. Sie sprachen alle Englisch, verwendeten manchmal Worte, die sie 'Slang' nannten. Was auch immer das heißen sollte... vermutlich ging es dabei um eine Art Dialekt. Das einzige, das dem verlorenen Malik hier ein klein wenig Halt gab war der, der aussah wie Altair: Desmond. Es war der einzig vertraute Anblick 'seinen Liebsten' zu sehen... doch gleichzeitig schmerzte es mehr als alles andere ihm so fern zu sein. Denn - Malik musste sich dies nahezu jeden Tag gewaltsam zurück in das Gewissen rufen - der Mann, den er tagein tagaus beobachtete war nicht Altair. Er sah bloß so aus. Er war angeblich irgendein Nachfahre des Großmeisters der syrischen Assassinen, nicht der echte. Er war ein perfektes Duplikat, das Malik an guten Tagen behandelte wie einen Freund; wie einen besseren Bekannten, dem man hier und da vielleicht einmal auf den Rücken klopfte. Es tat weh. Es machte Malik absolut fertig wie distanziert sich Altair-, nein, Desmond verhielt. Und gleichzeitig ärgerte sich der Kurzhaarige darüber, dass er so dachte. Denn er hatte nicht das Recht dazu. Der, der einen Wimpernschlag später an die Türe klopfte, war jemand, den er vor einer guten Woche erst kennengelernt hatte. Nicht der, an dessen Seite er beinah seinen Lebtag hatte verbringen dürfen. "Er ist es nicht..." wisperte Malik in sich hinein, als er sich am schmalen Waschbeckenrand vor sich abstützte. Er hörte nicht auf die englischen Worte, die vor der Badezimmertür gesprochen wurden und dumpf an seine Ohren heran drangen. Ihm war kalt. "He, Shaun. Oder Malik. Alles klar da drin?" Malik senkte seinen Blick von seinem müden Spiegelbild fort. Er ging daraufhin nur langsam in die Hocke, dann in die weichen Knie. Der weiße Fliesenboden war hart und kühl, doch das machte ihm nichts aus. Noch immer presste er seine protestierenden Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte und zog die Nase leicht hoch. Sie sollten ihn in Ruhe lassen. Altair sollte weggehen. "Mann, ist dir noch immer schlecht oder kommst du endlich essen?" Essen? Ha... Als ob Malik der Appetit nicht schon lange vergangen wäre! Dieser Desmond sollte seine dumme Klappe halten. "Becca hat Pizza geholt und ich krieg Ärger, wenn du nicht bald mal kommst." maulte die vertraute Stimme vor der Tür weiter. Ja, sie war so vertraut, doch sie gehörte einem Fremden "Sie will, dass du endlich was isst und mal wieder mit uns quatscht. Also komm raus. Ich hab nicht ewig die Nerven für den Scheiß.". Malik ballte die zittrigen Hände zu Fäusten und schluckte bittere Tränen hinunter. Letzteres fiel ihm diesmal nicht gar so schwer, denn Ärger keimte in seiner flauen Magengegend auf. Wut über diesen Kerl da draußen, der absolut kein Verständnis und keine Rücksicht zeigte. Der ihn so kühl behandelte, als wären sie nur 'Kollegen'. Ja, 'Kollegen', so hatte dieser Desmond das genannt. "Geh weg." stieß der aufgebrachte Malik also schließlich aus und klang dabei wohl weinerlicher, als er es hätte wollen. Eigentlich wollte er sich ja überhaupt nicht verletzt oder verzweifelt zeigen, er wollte stark sein. Er war schließlich der Erste Dai seines Ordens in Masyaf. Doch manchmal... ging es eben nicht anders. Und dann schloss er sich ein und hoffte darauf, dass man ihn einfach nur in Frieden ließ. Doch dem sturen Typen vor der Türe war das einerlei. Dieser hatte gerade eine Weile geschwiegen, doch nun, da brummte er schon wieder entnervt. "Ich sagte doch: Ich hab keinen Bock auf Ärger mit Rebecca, also komm schon, Alter." "Nein." "Du kannst dich nicht ewig einsperren." Mh. Da hatte Desmond recht. Und dennoch... was sollte Malik machen? Völlig deplatziert bei den Anderen sitzen und sich einmal mehr dumm begaffen lassen? Dabei dieses 'Pizza' skeptisch anstarren? Schweigen, obwohl man anderes von ihm erwartete? Sie redeten über ihn. Was genau sie besprachen, das wusste der Assassine nicht, doch wenn er sich in der Nähe von Lucy, Rebecca und Desmond aufhielt, dann tauschten diese immer solch seltsame Blicke aus. Vielsagende Blicke. Jedes Mal. Glaubten sie etwa, er bemerke dies nicht? Und dachten sie, er fühle sich hier wohl? Er hoffte nicht. Keine Anstrengung der Welt würde dazu führen, dass er diesen schrecklichen Ort liebte. Es war zwar ganz schön wieder zwei Arme zu besitzen, doch eher würde er sie beide hergeben um wieder zurück nach Masyaf reisen zu können. Zurück nach Hause. "Ich komm dann mal rein." Was? Ehe Malik aus seinen düsteren Gedanken zurück in diese verquere Realität gerissen wurde, öffnete sich die Badezimmertüre auch schon. Bevor er sich versehen konnte, trat der aufsässige andere in das spartanisch eingerichtete Zimmer und verschränkte die Arme mit hochgezogener Augenbraue unter einer weißen Kapuze. Malik hasste es, wenn Desmond diese aufgezogen hatte. Denn er sah damit aus wie... er. Die Brauen des labilen Mannes am Boden zogen sich zusammen und er hielt für wenige Momente lange die Luft an. Er schluckte schwer und seine trockenen Lippen öffneten sich einen Spalt weit, als er daraufhin wieder zu Atem kommen wollte. Er sah aus wie er. "Ein kleiner Tipp: Diese Knubbel unter der Türschnalle sind dazu da um abzusperren. Das solltest du mal versuchen." Malik's braune Augen wanderten für ein, zwei Herzschläge lange fort von dem Mann, der sich vor ihm aufgebaut hatte - hin zu diesem kleinen Riegel unter der Klinke. Skeptisch musterte er dieses metallene Ding und einer seiner Mundwinkel zuckte pikiert zur Seite. "Und jetzt komm endlich oder muss ich dich zwingen?" Die Argusaugen wanderten zurück auf den Stehenden. Konnte der seine Kapuze denn nicht endlich abnehmen? Malik schwieg und bemühte sich krampfhaft darum eine versteinerte Miene zu wahren. "Shaun- Malik. Oder wie auch immer. Hör zu, für uns ist das Ganze auch nicht so leicht, okay? Mach's uns doch nicht noch schwerer." Bitte, wie? Malik sollte es ihnen nicht noch schwerer machen?? Ein leises Schnauben, das sich nicht so ganz zwischen verächtlich und verbittert entscheiden konnte, entkam dem Sitzenden. Mittlerweile fühlte sich eines seiner Beine taub an. 'Sie hätten es schwer', meinte der Doppelgänger Altairs also. Sie hatten ja keine Ahnung! Malik schaffte es erst nach einigen, tiefen Atemzügen seinen Blick wieder von Desmond loszureißen. Ohne ein wirkliches Ziel zu fixieren sah er fort, als er sich schwerfällig erhob. Sein zuvor gefühllos gewordenes Bein fing an unangenehm zu kribbeln. Es war schon... komisch. Tragikomisch: Auf der einen Seite machte ihn sein Gegenüber wütend, auf der anderen fühlte er sich einfach nur hundeelend und hätte am liebsten betreten geschwiegen. Denn er wusste nicht was sagen, mochte nichts tun und fühlte sich abgelehnt. Das einzige, das er wollte war, dass Desmond ging, denn dieser Kerl ärgerte ihn. Dessen Anwesenheit... verwirrte den ehemaligen Syrer. Sie wühlte seinen schwachen Geist auf, machte ihn noch wahnsinnig. Vielleicht war dies auch der Grund dafür, dass er sich die letzten Tage über vollkommen zurückgezogen hatte und vor allem und jedem zurückschreckte wie ein wildes Tier in einem Käfig. Vielleicht hätte er sich ja sogar an das hier gewöhnen können, wäre der echte Altair bei ihm gewesen. Sein Altair. Doch Malik war vollkommen allein. "Ihr habt keine Ahnung, Desmond." kroch es schließlich mit einem schrecklichen Akzent über die rauen Lippen Maliks. Sie hatten allesamt gar keinen Schimmer. Woher sollten sie schon wissen, wie es einem erging, wenn man sich aberplötzlich im Leib eines anderen befand? Wie es sich anfühlte aus einer vertrauten Umgebung und aus den Armen seines Geliebten gerissen zu werden, um sich hier und so wieder zu finden? Malik schüttelte den Kopf kraftlos und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Resignierte er gerade ein wenig? "Ey, ich hab grade echt keine Lust drauf zu streiten. Komm einfach essen." eine Aufforderung, die der Hellhaarige gleich überging: "Ihr habt keine Ahnung davon wie es ist plötzlich jemand anders zu sein und dieser... dieser verdammten Situation nicht mehr auszukommen." und diese Worte schmeckten bitter auf der Zunge des Ersten Dais. "Na, wenn du meinst. Du solltest aber damit aufhören dir so nen Kopf zu machen, der Mist lässt irgendwann schon wieder nach. Du warst zu lang im Animus, drum dauerts wohl. Das is der Sickereffekt." Malik verstand kein Wort. Aber musste er das überhaupt? Nein. Denn es spielte keine Rolle. "Irgendwann bist du schon wieder der Alte und diese Hirngespinste von damals hören auf. Hoff ich." Hirngespinste? Wie sollte man diese Aussage nun interpretieren? „Dann bist du wieder du selber. Alles klar?“ Ach, natürlich. Hier ging es um Shaun. Malik selbst war diesem Typen hier einerlei, richtig? Der Blonde biss sich auf die Innenseite der Wange, um seelische Pein mit körperlicher zu überspielen. Ah. Körperlicher Schmerz war um so vieles einfacher als geistiger. Der verzweifelte Mann biss fester und schmeckte Blut, als er Desmond aus verengten Augen entgegen sah. Oh, wie ignorant konnte man bloß sein?? Malik wusste nicht so recht was er als nächstes tat. Doch irgendetwas in seinem verklärten Hirn erachtete es wohl als nötig: Er ging auf sein Gegenüber los. Ungeachtet der scharfen, versteckten Klinge, die Desmond an einem seiner Unterarme trug. Sie war ihm egal. Ja, es war ihm alles egal; sollte ihn der Andere nur niederstechen! Hauptsache er konnte ihm für sein unglaubliches Verhalten einmal eine ordentliche Rechte verpassen. Für diese Respektlosigkeit, die er dem eigentlich hoch gestellten Malik entgegenbrachte. Für diese ganzen spöttelnden Worte und bescheuerten 'Späßchen', die er die letzten Tage über von sich gegeben hatte. Genug war genug! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)