Das erste Mal von dumm ([KaiSoo]) ================================================================================ Kapitel 2: Do Kyungsoo ---------------------- Jongin gehörte zu dem aufgerundeten einen Prozent der koreanischen Schüler, die nicht auf die High School gewechselt hatten. Es hatte viele Gründe dafür gegeben, der größte war wohl, dass es für ihn schon sehr früh festgestanden hatte, dass er in dem Tanzstudio seiner Mutter arbeiten wollte. Und hätte seine Leidenschaft nicht so viel Talent mit sich gebracht, hätte seine Mutter das wohl nicht zugelassen, so hatte sie seine Entscheidung akzeptiert und unterstützt. Seinem Vater hatte es nie gefallen; er hatte immer gesagt, dass er später studieren sollte und dass ihm ein Platz an der besten Universität im Lande sicher wäre, wenn er sich anstrengen würde. Das war Humbug, weil die Konkurrenz einfach viel zu groß war und Jongin hatte dem Druck damals schon kaum standgehalten. Letztendlich hatte sein Vater sich ihm und seiner Mutter jedoch nicht in den Weg gestellt und Jongin respektierte ihn dafür unendlich. Es war selten, wenn das Wort und die Meinung des Vaters, des Hausherren, nicht Gesetz war – aber in seiner Familie führte seine Mutter eindeutig die Leitung. Aber seine ganze Familie war wohl alles andere als koreanischer Standard. Von vielen seiner Freunde wurde er dafür beneidet, viele Leute, die davon hörten, schüttelten immer nur den Kopf darüber. Jongin war es egal, was andere dachten, denn er war zufrieden, wie es war. Manchmal wünschte er sich einen besseren Draht zu seinem Vater, aber das wollte selten klappen. Letztendlich war es akzeptabel, so wie es war. Er kam damit klar, sein Vater auch. Zumindest ging Jongin davon aus. Es hatte Jahre gegeben, in denen es nicht einfach gewesen war, dass er nicht auf eine High School gegangen war. So etwas sprach sich in der Nachbarschaft schnell herum und auch Bekannte oder Verwandte fanden, dass das ein interessantes Thema war, über das man sich den Mund zerreißen konnte. Jongin war damit klar gekommen, weil es nichts Neues gewesen war. Er war oft ein großes Gesprächsthema gewesen, ohne dass er es gewollt hatte. Irgendwann kam man damit klar, irgendwann hörte man auf sich darüber Gedanken zu machen, ob man im Blickwinkel der Gesellschaft ganz weit unten stand, oder nicht. Und wenn er auf der Bühne stand, wenn er sich bewegte und tanzte, dann bewunderten die Leute ihn, dann tuschelten sie positiv und sagten, dass er so viel Talent hatte. Dann sprach keiner darüber, dass er keine perfekte und vorbildliche Schulbildung genossen hatte. Denn dann zählte nur die Tatsache, was er tat und präsentierte. Und die Stimmen, die schlecht über ihn tuschelten, wurden leiser, und Jongin war sich sicher, dass es in ein paar Jahren nicht mehr relevant war. Das wäre sicher erleichternd, selbst wenn er damit klar kam. Oder es sich zumindest einredete. »Oh, und Reis brauchen wir auch noch. Du isst davon die letzte Zeit viel zu viel. Vielleicht sollten wir mal etwas mehr als üblich kaufen.« Jongin sah zu seiner Mutter, die mit ihm sprach und den Einkaufszettel studierte, während er den Einkaufswagen schob. »Ramen kann ich langsam nicht mehr sehen«, antwortete er leise und rechtfertigte somit einen großen Verbrauch des Basmatireises. »Du solltest dich nicht so eintönig ernähren, das ist nicht gesund. Vielleicht sollte ich doch eine Köchin anstellen.« »Das wäre eine unnötige Ausgabe, Mom. Ich esse schon gesund genug.« Es war ja auch nicht so, dass er nur noch von dem Reis leben würde. Außerdem lebte hier doch sowieso jeder von Reis. Wenn auch nur als Beilage zu allem. Für ihn war es Beilage und Hauptmahlzeit. Zumindest im Moment. Das hatte er manchmal. Phasenweise Hunger auf nur ein Gericht, oder ein Lebensmittel. War schon immer so gewesen und würde ihn wohl noch sehr lange begleiten. Solange es seinem Körper nicht an gewissen Nährstoffen mangelte, war es für ihn auch kein großes Problem. Jongin lief neben seiner Mutter her, sah sich im Geschäft um und sprach, wenn Leute in der Nähe waren, mit einer gedämpften Stimme. Er wollte nicht, dass sie ihr Gespräch hörten. Seine Mutter kannte diese Macke. Seine Mutter kannte alle seine Macken. Bis auf diese eine, neue Macke. Die Macke öfters aus dem Fenster zu sehen, als es bei der Aussicht angebracht und nötig war. Diese Macke zu hoffen, dass er ihn wieder sehen konnte, weil er ihm gern beim Leben zusah. Er sah dabei zu, wie sie vor einem Regal stehen blieb und laut überlegte, was für eine Reissorte sie außer dem Basmatireis noch kaufen sollte. Jongin zuckte mit den Schultern; ihm war das egal. »Oh, ich hab die Karotten vergessen. Würdest du die gerade noch holen?«, fragte seine Mutter. Jongin nickte nur, lehnte sich und verfrachtete sich, zusammen mit dem leicht gefüllten Einkaufswagen, in die Richtung, in der das Gemüse und das überteuerte Obst der Saison stand. Kurz fragte er sich, was sie getan hatten, dass sie nicht an die Karotten gedacht haben, aber er kam nicht dazu großartig nachzudenken, denn nachdem er ein Bündel Karotten in den Wagen gelegt hatte, hörte er plötzlich eilige Schritte und die Stimme eines Mädchens, das seinen Namen rief. »Jongin! Jongiiiin!« Das zweite Mal hatte sie seinen Namen langgezogen, und, total aus der Fassung gebracht, sah Jongin auf und im nächsten Moment wurde er von einem Mädchen mit dunklen Haaren umarmt. Er erkannte den Haarreif mit der pinken Schleife wieder. Jongin hatte seine rechte Hand am Griff des Einkaufswagen, seine linke war leicht gehoben und er wusste nicht wohin damit. Erst recht nicht, als das Mädchen sich leicht von ihm löste und zu ihm hochsah und ihn breit angrinste. Würde Jongin heiraten und ein Kind bekommen, wollte er so eins wie Kyunghee. Ihr Lächeln war bezaubernd, auch wenn Jongin nicht so recht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Leichte Panik flüsterte ihm ins Ohr. Er hatte seinen Mund leicht geöffnet, versuchte etwas zu sagen, aber dazu kam es nicht, weil Kyunghee sich umgedreht hatte und weiter sprach. »Kyungsoo, los, komm! Das ist er, von ihm hab ich dir erzählt!« Jongin hob den Blick von dem Mädchen und glaubte, dass er urplötzlich die gesamte Kontrolle über seinen Körper verloren hatte. Weil er nur nach vorn starren konnte. Geradewegs in das Gesicht der Person, die absolut keine Ahnung hatte, dass Jongin sie schon seit Monaten wie ein totaler Freak beobachtete. „Der Hübsche“. Kyungsoo. Sein Name war Kyungsoo. Und allein ihr Generationsname verriet, dass er wohl der ältere Bruder von Kyunghee sein musste. Es war, als würde plötzlich ein Vorhang fallen, denn ihm wurde schlagartig bewusst, woher sie ihm bekannt vorgekommen war. Er hatte sie beide am Spielplatz gesehen. Jongin hatte sich sogar noch Gedanken darüber gemacht, dass sie ihn wirklich lieben musste, so wie sie in seiner Gegenwart lächelte. Jongin hatte seine vollen Lippen, die sich plötzlich vollkommen trocken anfühlten, wieder geschlossen und geschluckt. Sag hallo, du Idiot. Begrüße ihn!, redete er sich selbst zu. Aber er konnte nicht. Sein Mund öffnete sich nicht, weil er im Moment nur eins tun konnte: Seinen Nachbarn, Kyungsoo, anzusehen und zu bemerken, wie unglaublich schön er seine Augen fand. »Du sollst doch niemand so überfallen«, sagte Kyungsoo und seine Stimme war ruhig und klang, als hätte er die vollkommende Kontrolle über sie. Als wäre er ein Sänger, und wusste, wie er seine Stimmlangen und Oktaven beherrschen musste, um andere um den Verstand zu bringen. Warm und lieblich und dennoch verschwand die leicht tadelnde Aussage nicht. Kyunghee schien ihrem Bruder nicht zugehört zu haben, denn sie grinste über ihre hübschen Bäckchen. »Er tanzt so gut! Du musst ihn mal sehen, wie er sich bewegt. Und irgendwann werde ich auch so gut tanzen wie er und dann tanzen wir bestimmt zusammen, oder?« Das letzte war eine Frage, die an ihn gerichtet war. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach war den Blick von ihm abzuwenden. Etwas verwirrt, als hätte er die Aussage nur am Rande registriert, blickte er zu Kyunghee, ehe er ihre Worte im Nachhinein erst verstand. Antworte ihr. Lächele ihr zu und sag, dass ihr das tun werdet, ermutigte er sich in Gedanken. Und gerade, als er den Mund öffnete - »Oh, hallo Kyunghee.« Jongin kam es vor als wäre ihm eine schwere Last von den Schultern gefallen, als seine Mutter aufgetaucht war. Er hatte den Blick zu ihr gewandt und sah zu, wie sie neben ihn trat und etwas in den Einkaufswagen legte. Etwas, wovon er sich später, wenn es auf dem Laufband liegen würde, nicht mehr erinnern können würde, wann es im Wagen gelandet war. »Frau Kim«, platzte es fröhlich aus Kyunghee heraus und sie schenkte seiner Mutter ein unschuldiges, liebliches Kinderlächeln. »Wie geht es Ihnen?« »Sehr gut, dir hoffentlich auch?« Kyunghee nickte fleißig. »Ist das dein Bruder?«, fragte seine Mutter sie, vermutlich nur rhetorisch. »Ja! Kyungsoo ist der beeeeste Bruder der Welt.« Um ihre Aussage zu unterstreichen, riss sie ihre Hände in die Luft, blickte danach zu Kyungsoo und kicherte. Jongin blickte auch zu Kyungsoo. Mit einem merkwürdigen, beunruhigenden Gefühl in seinem Magen. Er kannte das Gefühl. Er kannte Schmetterlinge im Bauch. Absurd. Man konnte doch keine Schmetterlinge im Bauch haben, wenn man eine Person, für die man sich nur ein bisschen interessierte und die man gern ansah, weil sie das neue Schönheitsideal einfach komplett vom Thron stieß, zum zweiten Mal persönlich sah und ihr zum ersten Mal wirklich gegenüber stand. Ausgeschlossen und absolut unlogisch. Jongin würde sich dafür schämen, könnte er einen klaren Gedanken fassen. »So? Das glaub ich gern«, schmunzelte seine Mutter. »Bring ihn doch mal mit, damit er sehen kann was für schnelle Fortschritte du machst.« »Oh, ja! Hast du gehört? Du musst unbedingt mal zusehen!«, sagte sie zu ihrem Bruder, der ein schmales Lächeln auf diesen unglaublich vollen Lippen hatte. Jongin konnte nicht aufhören sein Erscheinungsbild als schön zu beschreiben und das war eigentlich genau so nervig wie die Gedanken von Bella über Edward. Jongin fand Twilight zu allem Überfluss wirklich grauenhaft. Und jetzt verhielt er sich selbst nicht besser. Peinlich. Wenigstens war er so still, dass er in den Hintergrund gerutscht war und sie vermutlich schon vergessen hatten, dass er da war. Segen und Fluch zugleich. Er hätte gern, dass er ihn bemerkte. »Na, dann bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig«, sagte er gespielt trocken und erntete dafür einen leichten Tritt von seiner Schwester, die den gespielten Teil wohl nicht verstanden hatte, gegen seinen rechten Schuh. »Nein, tut es nicht!«, beharrte sie und griff danach zu seiner Hand, drehte sich zu ihnen um. »Dann kannst du Jongin auch in Aktion sehen!« »Kann ich das?«, fragte er sie und blickte dann zu ihm und Jongin glaubte zu wissen, wie sich ein Reh auf der Autobahn fühlen musste. Sie hielten Blickkontakt und Jongin vergaß zu antworten. »Die Chancen stehen gut«, antwortete seine Mutter für ihn und Kyungsoo blickte zu ihr. »Willkommen bist du auf jeden Fall.« Kyungsoo schenkte seiner Mutter ein freundliches Lächeln, das Jongin ihm absolut abkaufen würde. »Dann muss ich dich wohl mal abholen und zufällig etwas zu früh sein«, sprach er zu seiner Schwester, die von seiner Hand abließ, nur um ihn zu umarmen. »Ja, das musst du!« »Und jetzt sollten wir weiter und die beiden nicht länger aufhalten.« Kyungsoos Stimme war noch immer ruhig und er klang höflich. Er wollte sie nicht länger in ein Gespräch verwickeln, nicht weil er keine Lust darauf hatte, sondern weil es unhöflich war. Sie verabschiedeten sich und Jongin fiel es schwer, ihm und seiner Schwester nicht hinterher zu sehen. »Es ist so süß, wie begeistert sie von dir ist«, sagte seine Mutter, die ihm den Wagen abgenommen hatte und ihn vor sich herschob. »Ihr Bruder scheint nett zu sein. Ich hätte schwören können, dass ich ihn schon mal gesehen habe.« »Er wohnt nebenan«, sagte Jongin, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. Jedoch sprach er noch leiser, als zuvor. »Wirklich?«, fragte seine Mutter verwundert. Jongin nickte nur schweigend und blickte kurz über seine Schulter, sah ihn aber nicht mehr. Er bemerkte erst jetzt, dass sein Puls sich wieder beruhigt hatte. Die Schmetterlinge im Bauch aber nicht. Kyungsoo. Sein Name war Kyungsoo. --- Er kam sich fast schon wie ein Kleinkrimineller vor. Das war doch abartig, was er hier tat. Er blätterte durch die Anmeldeformulare, nur um den Nachnamen von Kyunghee herausfinden. Nein, um den Nachnamen von Kyungsoo herauszufinden. Es war reine Strafe, dass er sich an einem der Zettel in den rechten Mittelfinger schnitt. Passiert war ihm das nur durch die Nervosität oder den Gedanken, das man ihn erwischen könnte. Nicht, dass er das hier nicht tun durfte. Natürlich durfte er das. Immerhin unterrichte er hier. Aber es war eigentlich schon Verletzung von vertraulichen Daten, nur weil er herausfinden wollte, ob sein Nachbar auf Facebook zu finden war. Er hatte den verletzten Finger kurz in den Mund gesteckt, mit der Zunge über das warme Blut, mit einem leicht metallenen Geschmack, geleckt, ehe er die richtige Seite gefunden hatte. Do Kyunghee. Das bedeutete, dass ihr Bruder mit großer Wahrscheinlichkeit Do Kyungsoo hieß. Sein Herz fing plötzlich an wie bescheuert zu schlagen, einfach nur bei dem Gedanken, seinen Namen auszusprechen. Er drückte seine Lippen aufeinander, klappte den Ordner wieder zu und bemerkte, wie dämlich er sich verhielt. Wieso reagierte er so? Er kannte diese Person doch nicht einmal, er wusste nichts. Er wusste nur, dass er gut aussah. War Jongin wirklich so oberflächlich, dass er sich in eine Person verliebte, die er nur flüchtig vom Sehen kannte? Offensichtlich. --- Do Kyungsoo hatte Facebook. Und Do Kyungsoo hatte seine Freundschaftsanfrage angenommen, die Jongin erst nach fünf Minuten des eigenen, guten Zuredens hatte absenden können. Dabei hatte es sich nur um einen lächerlichen linken Mausklick gehandelt. Und Jongin war plötzlich so hibbelig geworden und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Erst einmal hatte er natürlich nachschauen müssen, ob er in einer Beziehung war (Beziehungsstatus: single) und danach hatte er nachsehen müssen, wo er arbeitete (Omori Zzigae Jamsil). Jongin bemerkte, dass Kyungsoo zwei Tage vor ihm Geburtstag hatte, dafür aber ein Jahr älter war. Und eigentlich waren das alles fürchterlich viele neue und gute Nachrichten, als er jedoch las, dass Kyungsoo an Frauen interessiert war, verschwand sein dämliches Grinsen und Jongin starrte auf den Bildschirm seines Laptops und glaubte, dass man ihm gerade ein Schlag ins Gesicht verpasst hatte. Ein Biss auf die Unterlippe half leider auch nicht dabei, diese Angabe zu wandeln und aus diesem Grund klappte er den Laptop wieder zu und seine Euphorie, die er eben noch gehabt hatte, war mit einem Schlag verschwunden. Er hätte nicht gedacht, dass er eine Chance haben würde. Nein, die Sache war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Aber er hätte gern ein bisschen geträumt und sich in einem ‚Was wäre wenn‘ verlaufen. Aber das hatte ihm gerade einen großen Holzklotz vor die Beine geworfen, über den er blind gestolpert war und sich dabei grazil auf die Schnauze gelegt hatte. Karma war eine bösartige, hinterhältige Schlampe. --- Vielleicht war die Angabe ja gar nicht richtig. Jongins ganzes Facebookprofil bestand auch nur aus Lügen. Er hatte nie eine Universität in Italien besucht, noch konnte er die galicische Sprache sprechen. Außerdem stand er ja auch nicht nur auf Frauen und er war auch nicht in einer komplizierten Beziehung. Und am ersten Januar hatte er auch nicht seinen Geburtstag und Yixing war auch nicht sein Vater. Zumindest nicht sein biologischer. Das einzige, das keine Lüge war, waren die Fotos, die man finden konnte. Aber wirklich viele gab es dort nicht. Ein paar mit Yixing, ein paar mit Monggu (oder nur welche von seinem braunen Pudel) und ein paar von irgendwelchen Tanzauftritten, die zum größten Teil recht unscharf waren. Und vielleicht das, was er dort schrieb; das war auch nicht unbedingt eine Lüge. Nicht, dass er dort viel schreiben würde. Möglicherweise hatte Kyungsoo also doch auch Interesse an Männern. Oder noch nie darüber nachgedacht. Vielleicht hatte er ja auch nicht zwei Tage vor ihm Geburtstag (das wäre schade, denn so konnte er sich sein Geburtsdatum sehr gut merken) und vielleicht arbeitete er auch nicht in dem angegebenen Restaurant, das gar nicht so weit weg war. Obwohl man eigentlich durchaus davon ausgehen konnte, dass die Angaben richtig waren. Kyungsoo wirkte nicht wie eine Person, die so einen Schwachsinn tat, wie Jongin. Er sollte ihn anschreiben. Einfach so. Fragen, wie es ihm und seiner Schwester ging. Mit ihm zu chatten war doch gar kein Problem. Er sollte es einfach mal versuchen. Aber irgendwie traute er sich nicht. Das war so fürchterlich dämlich, aber seitdem er gelesen hatte, dass Kyungsoo an Frauen interessiert war, hatte ihn sein letzter Mut verlassen. Und eigentlich war Jongin in vielen Situationen wirklich selbstbewusst, aber im Moment fühlte er sich wie ein dämliches Schulmädchen, das in Justin Bieber verknallt war, mit dem Wissen, dass er ihn nie sehen würde. Nicht, dass Jongin sich in jemand wie Justin Bieber verlieben würde – dafür fand er ihn viel zu respektlos und verwöhnt. Außerdem sah er nicht so gut aus. Wieso rechtfertigte er sich für seinen eigenen, dummen Vergleich? »Alles klar?« Zum Glück hatte er einen besten Freund, der ihn aus den Gedanken holte. Jongin blickte von seinem Handy auf, schloss die Facebookseite und nickte. »Ja«, log er überzeugend. Eigentlich war ja auch alles klar. Er war lediglich in jemand verliebt, bei dem er keine Chance hatte. Das war alles. Aber er heulte deswegen nicht rum. Er nahm es hin wie ein Mann. Gut, das war gelogen. Zumindest das letzte. Denn heulen tat er tatsächlich nicht. Vielleicht steigerte er sich nur noch tiefer in diese Sache oder hoffte, dass es einfach irgendwann aufhören würde, so interessant zu sein, Kyungsoo anzusehen und ihn stillheimlich zu beobachten. »Hey, heeey«, kam plötzlich von einem schwarzhaarigen Jungen, der den Tanzraum betreten hatte, in dem Yixing und Jongin waren. Jongin saß an der verspiegelten Wand, hielt sein Handy noch immer in der Hand und Yixing, der mitten im Raum stand, drehte sich zu dem Neuankömmling um. »Hey, Tao. Wo hast du die anderen gelassen?«, wollte Yixing wissen. Tao, eigentlich Zitao, war Mitglied seiner ganz persönlichen Tanzgruppe. Hier war er kein Lehrer, hier war er nur jemand, der sich mit ein paar Jungs, die er alle gute leiden konnte, ein wunderschönes Hobby teilte. Sie studierten eigene Choreographien ein, oder tanzten Tänze von bekannten Boybands nach. Und hin und wieder hatten sie sogar die Möglichkeit auf irgendeinem Fest aufzutreten. Jongin würde die Jungs wohl als seine Freunde bezeichnen. »Die sind noch in der Umkleide«, sagte er gutgelaunt. »Minseok und Han zumindest.« Minseok, Han, Zitao, Yixing und er. Dann fehlte nur noch Sehun, aber der kam nie zu spät. Und ein Blick auf die Uhr an seinem Handy verriet ihm, dass sie noch genug Zeit hatten. Sie fingen meist früher an, als sie offiziell geplant hatten und hier war keiner böse, wenn einer mal nicht konnte, weil er Schul- oder Arbeitsstress hatte oder einfach nur ein paar Minuten später kam. Aber immerhin ertrugen sie sich schon über einem Jahr und waren wohl irgendwie eine kleine Familie geworden. Eine absolut grandiose, tanzende Familie. Jongin bezeichnete sie immer als ‚Seine Jungs‘. Es dauerte nicht lange, bis Minseok und Han – der oft auch einfach nur Luhan genannt wurde – den Tanzraum betreten hatten und Sehun kam keine zwei Minuten später ebenfalls. Das Training war wie immer. Die Atmosphäre war locker, die Herausforderung hoch. Sie waren gut. Sie waren alle verdammt gut und man merkte es bei jedem, dass das Tanzen nicht nur ein Hobby, sondern vielmehr eine Leidenschaft war. Das wurde besonders dann auffällig, wenn sie eine eigene Choreographie zusammenstellten. Jongin steuerte zu den eigenen Tanzschritten immer verdammt viel bei, aber vermutlich befasste er sich auch viel mehr mit dem Tanz, als die anderen, die zur Schule oder zur Universität gingen. Jongin arbeitete hier, das Tanzen war seine Arbeit und sein Wissen war durchaus gefächert. Er hatte einfach einen Heimvorteil und er ging auch immer darin auf, wenn es darum ging, etwas Eigenes zur rhythmischen Musik zu planen. Meistens würde er am liebsten die ganze Choreographie übernehmen, aber er wusste, dass die anderen Jungs auch immer nur gute Ideen hatten. Zwischen ihnen herrschte eine gerechte Demokratie und letztendlich waren sie alle immer zufrieden. Aus den zwei Stunden waren fast drei geworden und der Abend war dabei in die Nacht überzugehen, während sie in einer Formatierung auf dem Boden saßen, die man nur als Kreis bezeichnen konnte, wenn man beide Augen zudrückte. Jongin saß wie immer neben Yixing und Sehun hatte seine Beine über Luhans Schoß gelegt und saß mit dem Rücken an Zitaos rechtem Arm gelehnt. Minseok saß im Schneidersitz neben Han und ihm und Yixing dementsprechend noch neben dem schwarzhaarigen Chinesen, der immer so aussah, als würde er nicht wissen, was Schlaf bedeutete. »Wir sollten mal wieder weggehen«, warf Tao dann ein. »Das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht.« »Ja, weil es in einem Chaos geendet hatte«, erklärte Minseok grinsend. »Aber ich stimme dennoch zu.« Jongin verzog die Lippen etwas, sagte jedoch nichts. Er ging nicht gern weg. Egal mit wem oder warum. »Ich glaub Jongin will nicht«, stellte Han mit seiner ruhigen Stimme fest, während er seine Hände an Sehuns Beine gelegt hatte und sie geistesabwesend massierte, was zugegeben sehr suspekt aussah. »Ach, der hat gar keine andere Wahl«, warf sein bester Freund ein und Jongin warf ihm einen bösartigen Blick zu, der zur Hälfte nur gespielt war. »Komm schon, Jongin. Ich weiß auch die perfekte Bar. Da kommt Sehun sogar legal rein.« Sehun war der Jüngste und als einziger noch nicht volljährig. Und das war manchmal ein Problem. Es war genauso ein Problem, wie die Tatsache, dass Tao eine perfekte Bar kannte. Denn alles was Tao als perfekt beschrieb, würde Jongin eher als fragwürdig bezeichnen. »Also ich bin dabei«, sagte Sehun, an dessen leichtes Lispeln sich Jongin schon lange gewöhnt hatte. Zuerst war es ihm durchaus aufgefallen und er würde lügen, hätte er darüber nicht ein wenig gelächelt, aber inzwischen gehörte es zu Sehun. Ein Sehun, der nicht lispeln würde, war wie ein Fisch, der in den Bergen wohnte. »Ich auch«, kam voller Vorfreude von Luhan. Und dann lagen die Blicke auf ihm und er hasste das. Weil er nicht der Spielverderber sein wollte. Er war wirklich gern bei seinen Jungs, aber er ging eben nicht gern weg. Aber solange Yixing auch dabei war, wäre es ja eigentlich in Ordnung. Dennoch würde er lieber absagen. Aber in dieser Situation konnte er gar nicht absagen, denn nicht einmal Jongin konnte Hans großen, rehbraunen Augen widerstehen, die ihn förmlich anbettelten zuzustimmen. Er gab ein geschlagenes Seufzen von sich. »Und wann?«, wollte er fast schon undeutlich wissen, nachdem er sich an Yixings Schulter gelehnt hatte. »Samstag?«, fragte Minseok in die Runde. »Ich hab am Samstag noch Schule«, bemerkte Sehun. »Aber wenn wir abends gehen, geht das schon.« »Dann Samstag!« Tao klatschte in die Hände und damit war die Sache wohl auch beschlossen und Jongin konnte keinen Rückzieher machen. »Und wo befindet sich die perfekte Bar?«, wollte Jongins bester Freund von Zitao wissen. --- Die perfekte Bar befand sich im Gangnam-Bezirk und war besser besucht, als Jongin es sich gewünscht hatte. Wenigstens war die Musik gut und die Getränke konnte man sich auch leisten. Und Jongin war froh, auch alkoholfreies auf der Liste zu finden, denn auch wenn er sich eigentlich fühlte, als könnte er mal wieder wahllos betrinken, wollte er verhindern, dass er irgendetwas Dummes anstellte. Die Bar hatte sogar eine kleine Tanzfläche, auf der ein paar Mädchen waren (wobei er es nicht als tanzen, sondern eher als wahlloses Bewegen zur Musik beschreiben würde), war ansonsten aber recht gemütlich eingerichtet. Und wäre die Luft nicht so erdrückend und stickig, wäre es hier vielleicht doch ganz nett. Anfreunden tat er sich jedoch nur mit dem weichen Sessel, auf dem er saß, während die anderen auf dem Sofa, direkt daneben, platzgenommen hatten. »Besonders perfekt würde ich das aber nicht nennen«, gab Sehun von sich. Sehun war immer sehr direkt und war dabei meist ziemlich gelassen, was ihn oft gehässig wirken ließ. Dabei war Sehun meistens ein lieber Junge. Er konnte zwar ein richtiges Ekel sein, aber genauso oft war er auch das, was sich eine Schwiegermutter für ihre Tochter wünschte. Er war verwöhnt und verhielt sich oft wie eine Prinzessin, wobei er den Titel eher Luhan verpassen würde. Der ihn dafür wiederum den Kopf abreißen würde, weil er es gar nicht mochte, wenn man seine Männlichkeit in Frage stellte. Tao hingegen würde das vermutlich nicht so sehr stören, aber in Jongins Augen war Tao eher der Hofnarr, als die Prinzessin. Nicht, dass er Zitao nicht mochte, nein, er konnte ihn sogar gut leiden, aber er war eben ehrlich. Ihre Charaktere unterschieden sich eh extrem und es war ein Fakt, wenn er behauptete, dass er mit Yixing (logisch) und Minseok am besten klarkam. »Och, komm schon. Die Musik ist gut, man kann sich trotzdem gut unterhalten, ohne Schreien zu müssen, und der Bartender ist heiß.« Zitao erntete von Jongin einen fragenden Blick, ehe er zu der Bar sah, an der sie eben noch ihre Getränke bestellt hatten, und bemerkte, dass einer der Bartender besonders hervorstach. Lag vermutlich an den blondierten, kurzen und dennoch wilden Haaren. Sah aus, als hätte Tao da jemand, auf den er stand. Dass Zitao auf Kerle stand, war kein Geheimnis. Das wusste vermutlich jeder von ihnen. Aber der Chinese machte daraus wohl auch kein Geheimnis. Zumindest nicht unter Leuten, die er mochte und denen er vertraute. Denn allgemein war es ja eher nicht sehr gern gesehen, wenn man sich als Homosexueller outete. Die koreanische Gesellschaft war da doch kritischer, als sie es sollte. Vielleicht war auch das einer der Gründe, wieso Jongin sicher immer versuchte auszureden, dass auch er etwas an einer Person des gleichen Geschlechtes fand. »So, so«, stellte Sehun grinsend fest und kniff Zitao in die Seite. »Und wieso sitzt du dann hier und nicht bei ihm? Du hättest uns auch einfach sagen können, dass du nur einen Grund willst, um hier her zu kommen.« »Das ist ja nicht nur der Hauptgrund«, verteidigte sich Zitao. »Komm mit«, sagte Han dann plötzlich, der aufgestanden war. »Wohin?«, wollte Tao wissen, während er fragend zu Luhans Hand sah, die er ihm entgegen gestreckt hatte. Jongin wusste ganz genau, was Han da vorhatte. Vermutlich war es einfach eines von Hans Hobbys, Leute miteinander zu verkuppeln. Er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, in dem Yixing der Unglückliche gewesen war, der mit mehr Mädchen hatte sprechen müssen, als ihm lieb gewesen war. Aber Jongin wusste, dass er ein bisschen für eine Studentin in einem seiner Kurse schwärmte, seitdem seine ‚Ich möchte unbedingt eine Freundin‘-Phase vorbei war. Vielleicht war sie auch einfach vorbei gegangen, weil Han es übertrieben hatte. Es wäre also besser, wenn Zitao nicht Luhans Hand nehmen würde. Aber auf Jongin hörte sowieso niemand. Nicht, dass er etwas gesagt hätte. Deswegen sah er schweigend dabei zu, wie Zitao sich aufhelfen ließ und Luhan ihm schließlich etwas ins Ohr flüsterte. »Das ist doch dämlich«, verteidigte sich Tao hörbar. »Quatsch! Smalltalk ist das A und O. Und jetzt los, die Bar ist gerade nicht stark besucht. Da hat er sicher Zeit zu reden. Hop, hop!« Bei den letzten Worten verscheuchte er Zitao in die Richtung der Bar, der sich tatsächlich geschlagen gab, jedoch sofort ein selbstsichereres Grinsen auf die Lippen setze. Jongin wusste nicht so genau, ob er zusehen wollte, aber vielleicht konnte er ja noch was lernen, dachte er sich. Den absurden Gedanken verwarf er jedoch recht schnell wieder, weil man das hier nicht mit seiner Situation vergleichen konnte. Er und Tao waren absolut unterschiedliche Menschen. Sie zu vergleichen war eine herausragend dumme Idee. Tao schob sich mit Leichtigkeit auf einen der Barhocker und Jongin konnte sein Grinsen aus der Position nur minimal erkennen. »Hey«, begrüßte er den blonden Asiaten, der sich zu ihm gedreht hatte und Jongin fand es schwer, durch die Geräuschkulisse irgendetwas zu hören. »Was darf’s sein?«, fragte der große Asiate hinter der Bar, der gerade dabei war ein Glas abzutrocknen oder zu polieren. Zitao öffnete den Mund einen Moment und schien wohl absolut nicht damit gerechnet zu haben, dass der Berkeeper ihn nach einem Drink fragen würde. War ja auch absurd. »Ehm… ein Bier.« Gute Wahl. Männlicher ging es ja wohl kaum. »Bist du auch alt genug…?« Die Skepsis konnte man durchaus erkennen, aber vermutlich meinte er die Frage nicht so ernst. Das ließ zumindest das schmale Grinsen auf seinen Lippen vermuten. »Klar«, grinste Zitao, der sich ein wenig entspannt hatte, aber vermutlich immer noch recht gekünstelt wirkte. Der blonde Bartender senkte seinen Kopf und aus Jongins Position konnte er ihm natürlich nicht auf die Hände gucken, aber so wie es aussah, bekam Zitao wohl sein Bier. Die Vorstellung, dass Zitao Bier trank war höchst grotesk. Tao hatte einen kurzen Blick zur Seite geworfen und Han entdeckt, der ihm breit grinsend den Daumen entgegen gestreckt hatte. Thumbs up. Jongin wollte sich gern verstecken, denn irgendwie wurde die Aktion peinlicher als es tragbar war. Vielleicht hätte er doch absagen sollen, aber dann würde er nur wieder vor seinem Fenster rumgammeln und sein Fenster fragen, wieso Kyungsoo an Frauen interessiert war. Hier machte er sich wenigstens nicht zum freilaufenden Affen. »Ich bin Tao, und du?«, stellte Tao dann die Frage und hatte dummerweise wohl nicht gesehen, dass der attraktive Bartender Han und seine Geste durchaus registriert hatte. »Ich bin hetero.« Zitao öffnete etwas perplex und überfordert den Mund. Er hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit so einer direkten, knallharten Antwort. »Outch«, kommentierte Minseok und konnte sich ein Glucksen nicht verkneifen, während Sehun tatsächlich hörbar lachte. Sie waren fürchterliche Freunde. Jongin biss sich auf die Lippen um nicht zu grinsen, denn eigentlich war diese Situation ziemlich bitter. Besonders, weil Zitao absolut nicht wusste, was er nun bitteschön sagen sollte. »Ich… das… ist schön?«, versuchte der Chinese sich verunsichert aus der Situation zu retten. »Gott, helft dem armen Jungen doch«, sagte Yixing leicht amüsiert, aber niemand von ihnen schien sich die Mühe machen zu wollen, Zitao aus dem Desaster zu holen. Besonders nicht Han. Den amüsierte das im Stillen vermutlich am meisten. Nette Miene zu bösartigem Spiel. Mit Luhan würde es sich Jongin als letztes verscherzen wollen. »Kris«, sagte die Person dann, was Jongin jedoch nicht deutlich hören konnte. Tao war etwas verwirrt und blickte dann zu der dem Bierglas, das ihm auf einem Bierdeckel entgegen geschoben wurde. Er zögerte einen perplexen Moment, ehe er seinen Geldbeutel aus der Tasche zog und ihm das Geld reichte. »Kris ist ein ungewöhnlicher asiatischer Name«, stellte Zitao fest. Eigentlich hätte Jongin gedacht, dass er besser flirten konnte. »Es ist gar kein asiatischer Name, um genau zu sein. Hier«, sagte Kris, der ihm das Wechselgeld in die Hand gab. »Danke«, sagte Zitao und warf einen hilfesuchenden Blick zu Han, der jedoch nur schadenfreudig grinste. Und dann lehnte der große Asiate sich etwas über den Tresen und sagte Zitao etwas, was keiner von ihnen hören konnte. »Entweder droht er ihm gerade mit dem Tod oder er hat sich, aus völlig unverständlichen Gründen, weichklopfen lassen«, stellte Sehun grinsend fest. »Du bist ein miserabler bester Freund, Sehun«, sagte Minseok und ließ zu, dass Han sich wieder zwischen sie setzten. »Vielleicht flüstert er ihm seine Nummer zu«, stellte Yixing eine abwegige Theorie auf. »Vielleicht sagte er ihm auch, dass er ihn nicht noch einmal ansehen soll«, kam von Minseok. »Oder, dass er ihm etwas ins Bier gekippt hat«, schlug Sehun vor. Seine Freunde hatten blühende Fantasien. Jongin griff zu seinem kühlen Wasserglas, nahm einen großen Schluck und sah dann zu, wie Zitao, mitsamt seinem Bier auf sie zukam und sich neben Sehun auf den freien Platz setze. »Möchte jemand ein Bier?«, fragte er und Yixing lachte kurz. »Du bist echt ein Trottel. Was hat er gesagt?« »Er hat gesagt, dass er hetero ist und dass er Kris heißt«, antwortete Han für ihn, der aus seiner stehenden Position wohl etwas mehr gehört hatte, als sie, während er Tao das Bier aus den Händen nahm. »Wow, das war also echt peinlich«, fasste Yixing zusammen. Tao räusperte sich nur und wedelte kurz darauf mit dem Bierdeckel. »Ich hab seine Nummer«, sagte er dann. Tatsächlich. Jongin konnte Zahlen auf dem Stück dickem Papier erkennen. »Ob das auch seine ist?«, fragte Sehun, Zitao zuckte mit den Schultern. »Er hat zumindest gesagt, dass er mich umbringt, wenn ich nur eine Wette verloren hab.« »Ha, ich hatte Recht«, jubelte Sehun und legte ein Arm um die Schulter seines besten Freundes, der dämlich grinste. »Siehst du, es ist gar nicht schwer Leute einfach anzusprechen«, nickte Han und wirkte so, als würde er sich dafür verantwortlich fühlen, dass es so gelaufen war. Jongin beobachtete den Rand seines Glases und bemerkte, dass seine Laune etwas gesunken war. In seiner Situation war das nicht so einfach. Und Zitao hatte wohl einfach mehr Glück als Verstand gehabt. Bei ihm ging das sicherlich nicht so einfach. Er wünschte sich das erste Mal, dass er sich nicht in Kyungsoo verliebt hätte. --- Jongin hatte einen harten Tag hinter sich und lag in seinem Bett, hatte den Laptop geöffnet und chattete mit seinem besten Freund, der ihm erzählte, dass Zitao sich wohl tatsächlich mit diesem Kris in Verbindung gesetzt hatte. Aber eigentlich wollte er darüber gar nichts hören. Weil es ihn frustrierte. Weil Zitao mal eben in eine Bar ging, in dem er wohl schon beim letzten Mal ein Auge auf einen dämliche Bartender geworfen hatte, sich blamierte und trotzdem seine Nummer bekam. Wo blieb denn da die Fairness? Wieso konnte es bei ihm nicht so leicht sein? Das war ein bisschen deprimierend, aber Jongin hatte versucht sich einzureden, dass er einfach aufhören würde, Kyungsoo zu beobachten. Irgendwann würden seine absolut bescheuerten Gefühle, die eh niemand nachvollziehen konnte, aufhören. Heute hatte es zumindest sehr gut geklappt, weil er dem Drang, aus dem Fenster zu sehen, sehr gut widerstanden hatte. Die Frage war nur, wie lange das anhalten würde. Das bekannte Geräusch einer eintreffenden Nachricht auf Facebook war zu hören und als er das Tab wechselte und sah, wer ihn angeschrieben hatte, glaubte Jongin, dass ihm sein Herz gerade in die Hose gerutscht war. Do Kyungsoo hatte ihn angeschrieben. Do Kyungsoo hatte ihn angeschrieben. Und hätte die Nachricht, die er ihm geschickt hatte, nicht so verwirrt, hätte er vermutlich einen halben Anfall bekommen. Do Kyungsoo Ola! Ben, como é o meu próximo? Das waren lateinische Buchstaben. Aber das war kein Englisch. Was zu Hölle? Verarschte er ihn? Was war das? War sein Profil gehackt worden? Was passierte hier? Völlig perplex und noch immer etwas außer Fassung (Do Kyungsoo hatte ihn angeschrieben!) tippte er schließlich eine Antwort. Kim Jongin was? Er hatte natürlich auf seiner Muttersprache geantwortet. Und wäre die Situation nicht so verwirrend, hätte er vermutlich zehn Minuten gebraucht, um zu antworten. Wie gebannt blickte er auf den grellen Bildschirm und sah, dass Kyungsoo dabei war eine Antwort zu tippen. Do Kyungsoo Oh, du kannst gar kein Galizisch? Kim Jongin was? nein!? was heißt das? Do Kyungsoo Laut dem Googleübersetzer heißt es „Hallo! Na, wie geht es meinem Nachbar?“. Jetzt war es Zeit zum ausflippen. Er hatte ihn nicht nur begrüßt, sondern wusste wohl auch, dass er sein Nachbar war. Die panischen Gedanken, dass er ihn vielleicht bemerkt hatte, während er ihn beobachtet hatte, traten auf und hinterließen Bauchschmerzen. Aber vielleicht wusste er das ja auch aus anderen Gründen. Außerdem wollte Kyungsoo wissen, wie es ihm ging, und deswegen sollte er wohl lieber schnell antworten. Jongin bemerkte nur am Rande, dass Yixing ihm ebenfalls wieder in Skype geschrieben hatte, aber sein bester Freund hatte gerade all seine Prioritäten verloren. Do Kyungsoo hatte ihn angeschrieben. Die Person, für die er dämlicherweise schwärmte, hatte ihn angeschrieben und nach seinem Wohlbefinden gefragt. Er war plötzlich fürchterlich nervös und aufgeregt zugleich. Kyungsoo hatte ja keine Ahnung, was er mit ihm anstellte. Kim Jongin oh achso. mir geht es gut und dir? Er hätte am liebsten noch gefragt, was er machte und wie sein Tag war. Aber er wollte ihn nicht überfordern. Er musste einfach ganz normal wirken. Wie ein ganz normaler, junger Mann und nicht wie ein verliebter Vollidiot. Do Kyungsoo Das freut mich. Mir auch. ^_^ Oh Gott, er hatte doch nicht gerade…? Doch, er hatte. Jongin legte seine Hände über die Augen und drückte die Lippen fest aufeinander und versuchte ruhig zu bleiben. Weil er ihm ein Smiley geschickt hatte. Und weil er mit ihm sprach. Und weil es ihn freute, dass es ihm gut ging. Do Kyungsoo Ich glaub meine Schwester ist dein größter Fan. Kim Jongin glaubst du? wieso Do Kyungsoo Sie schwärmt auffällig oft von dir. Sieht aus, als wärst du ihr neues Vorbild geworden. Besonders als sie gesehen hat, dass du einen Hund hast. Wieso hatte sie gesehen, dass er einen Hund hatte? Woher? Möglicherweise hatten sie sich seine Facebookfotos angesehen. Jongin verfluchte all die Fotos, die auf dieser Seite gelandet waren und glaubte danach, dass sein Herz sich Hoffnungen machte, dass sich Kyungsoo wirklich so für ihn interessierte, dass er sein Profil angesehen hatte. Bei dem Gedankengang machte die Sache mit dem Galizisch auch plötzlichen Sinn. Er hatte das also wirklich getan. Und wäre Kyungsoo nicht die Person, für die er nervende Schmetterlinge im Bauch empfand, hätte er wohl gesagt, dass jeder von ihm schwärmte und dass jeder, der einen klaren Verstand hatte, ihn zum Vorbild nehmen sollte. Seine Freunde würden ihn vermutlich nicht erkennen, würden sie lesen, dass er nur seltsame Fragen stellte. Kim Jongin oh mag sie hunde? Wow. Nein, natürlich mochte sie keine Hunde. Sonst hätte er das ja nicht geschrieben. Jongin, du bist ein Trottel. Bestimmt dachte Kyungsoo sich das auch gerade. Do Kyungsoo Sie liebt Hunde. Aber vermutlich liebt jedes kleine Mädchen Hunde. Kim Jongin wahrscheinlich was machst du? Er saß vor dem Laptop und schrieb mit ihm. Was für eine dämliche Frage, Jongin. Do Kyungsoo Eigentlich nicht wirklich viel. Bin eben von der Arbeit gekommen und genieße meinen Feierabend und dachte mir, ich kann dich ja mal anschreiben, wenn du schon online bist und mich so kommentarlos als Freund hinzugefügt hast. Okay, ganz cool bleiben, Jongin. Du kannst das regeln. Sei einfach so wie immer, gib ein bisschen an und sei einfach ganz locker. Dummerweise glaubte Jongin, dass er bei Kyungsoo sofort verkacken würde, würde er seinen durchaus vorhandenen arroganten Charakter, der meist nur scherzhaft gemeint war, raushängen lassen. Am besten sollte er einfach auf seine Arbeit eingehen. Kim Jongin arbeitest du als kellner? und ich dachte nur ich… könnte dich ja mal adden einfach so vermutlich hätte ich nicht gewusst was ich hätte schreiben sollen weil wir uns ja eigentlich gar nicht kennen Hoffentlich würde er nicht fragen, wieso er ihn dann überhaupt als Freund hinzugefügt hatte. Jongin hatte Glück. Do Kyungsoo Nein, in der Küche. Ah, ja, das stimmt wohl. Ich stör dich doch nicht? Kim Jongin oh cool und absolut nicht Die Antwort war wohl etwas zu schnell gekommen. Und Jongin war so sehr fasziniert davon gewesen, dass Kyungsoo mit ihm schrieb, dass er auch erst den gefühlten zehnten Laut des Skypenachrichtentones hörte. Noch immer völlig aus dem Häuschen öffnete er schließlich das Fenster mit großen, weißen S auf blauem Grund. [20:42:10] Lay: Und was meinst du? [20:43:58] Lay: Jongin? [20:45:06] Lay: Bist du noch da? [20:45:49] Lay: Jongin! jongin. Erde an jongin! [20:46:14] Lay: Kai [20:46:18] Lay: Kai [20:46:22] Lay: Kai, kai, kai, kai [20:47:20] Lay: alter, was machst du? [20:48:36] Kai: fisdkljsadkajsdklm [20:48:49] Lay: Hi monggu. [20:48:58] Lay: und willkommen zurück, Kai. [20:48:20] Kai: er hat mich angeschrieben oh gott [20:49:22] Lay: Wer ist er…? Jongin erinnerte sich daran, dass er Yixing noch nie ein Wort über Kyungsoo gesagt hatte. Noch wirklich überhaupt gar nichts. Sein bester Freund hatte nichts von seinen Schwärmereien für seinen Nachbarn gewusst. Und jetzt hatte er sich in seinen Enthusiasmus verplappert. [20:51:40] Kai: niemand [20:52:01] Lay: raus mit der Sprache, du bist ein schlechter lüger! [20:52:40] Kai: ich erzähl es dir morgen ok? [20:53:10] Lay: Okay. Ich bin gespannt. [20:53:17] Lay: hehe Yixing war ein Idiot. Jongin minimierte das Skypefenster und hatte schon lange aufgehört, sich zu fragen, wieso das Anzeigebild seines besten Freundes das Letzte Weiße Einhorn war. Stattdessen klickte er wieder auf Facebook und sah, dass Kyungsoo gerade dabei war, etwas zu schreiben. Do Kyungsoo Du, ich hau mich ins Bett. Muss morgen wieder früh raus. Man sieht sich, denke ich. Kim Jongin oh okay dann schlaf gut!! Do Kyungsoo Du auch! ^_^ Ah! Ich hol meine Schwester diesen Freitag wohl von ihrer Tanzstunde ab. Kim Jongin dann sehen wir uns wohl da! Do Kyungsoo Nehme ich an. (^_^)/ Schlaf schön, Jongin. Kim Jongin danke du auch Dass sie sich zweimal gute Nacht gewünscht hatten, registrierte Jongin nicht so wirklich. Er registrierte nur, dass er unglaublich aufgeregt war. Weil er Do Kyungsoo am Freitag wieder gegenüberstehen würde. Im Tanzstudio. Hektisch stand er vom Bett auf, stolperte dabei fast über Monggu, der in seinem blauen Körbchen lag und eilte zum geschlossenen Fenster, blickte heraus und konnte sehen, wie das Licht von Kyungsoos Zimmer ausging. Das erste Mal, dass Kyungsoo ihn angeschrieben hatte, würde Jongin nicht so schnell vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)