Dämonenblut von Mangamoon (Verirre dich nicht in der Nacht) ================================================================================ Kapitel 1: Aussgesperrt ----------------------- Es war einer dieser nasskalten, verregneten Morgen, die Serafina nicht ausstehen konnte. Der Regen schlug hart gegen die Fensterscheiben und das düstere Licht des wolkenbedeckten Himmels tauchte ihre kleine Wohnung in eine unwirkliche Stimmung. Müde schlurfte Sera durch ihre Wohnung. Sie hasste es, vor acht Uhr aufstehen zu müssen, aber das Leben fragte ja nun mal nicht nach irgendwelchen Verbesserungsvorschlägen des Tagesablaufes. Sera jedenfalls hätte da einige Vorschläge. Gähnend machte sich die achtzehnjährige junge Frau einen Kaffee, um dann müde und zerschlagen daran herumzuschlürfen. Sie hasste ihren Job, ihren Chef und überhaupt alles. Vor allem fehlte in ihrem Leben irgendwie die action. Dass sie davon bald mehr als genug bekommen sollte, wusste Sera zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als sie sich kurz darauf in einem schweren schwarzen Mantel in die klamme Kühle des Morgens aufmachte, ahnte sie noch nicht im Geringsten was auf sie zukam: denn die dunklen Gestalten der Unterwelt streckten bereits ihre Klauen nach ihr aus. Langsam lief Sera die Straße entlang. Eigentlich müsste sie ja mit ihrem Leben zufrieden sein. Sie hatte alles was sie brauchte: ein Haus, einen Job, genug zu Essen und man wurde rundum von diversen Geräten und Luxus-Computern versorgt. Dennoch störte sie etwas, und das war nicht nur der nervtötende, langweilige Tagesablauf. Sie konnte nicht sagen was es war, aber irgendetwas musste ihr Unterbewusstsein wahrgenommen haben. Missmutig bog Sera in die Straße ein in der sie arbeitete: in einer großen Digitalithek. Hier wurden sämtliche digitale Nachweise vergangener und gegenwärtiger Zivilisationen aufbewahrt. An sich war es ja kein schlechter Job Kunden zu beraten die etwas Bestimmtes suchten (natürlich wurden nur Kopien verliehen), mal kurz über die elektronischen Regale zu fegen und den hauseigenen Supercomputer neu zu justieren. Wäre da nur nicht ihr nerviger Vorgesetzter. Gerade mal 23 Jahre alt und schon das Gehabe eines erfolgreichen, arroganten Firmenchefs. Dabei führte er “gerade mal“ eine große Digitalithek. Okay, es war die größte und bestsortierteste in Namada, aber deshalb brauchte man sich nicht so herablassend zu benehmen! Sera stapfte die großen Treppen zu ihrer Arbeitsstelle hinauf. Oben, an der ebenfalls großen Tür angekommen, registrierte sie sich und die großen Türflügel öffneten sich geräuschlos. Ihr Chef – Chace Almond heißt er übrigens – saß bereits am Computer und sortierte Daten. Er sah verdammt gut aus – dichte, leicht lockige schwarze Haare, eisblau leuchtende Augen und eine schlanke, trainierte Figur. Doch leider war Chace Almond die Sorte Mann die das sehr genau wusste und mit einer entsprechenden Menge an Arroganz, Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein auftrat. Sera hasste ihn dafür. „ Ah – die Sonne geht auf!“, raspelte Chace als er Sera erblickte. Sie murmelte eine unhörbare Ant-wort die ich hier jetzt nicht wiedergeben werde und knallte ihre Tasche in die Garderobe. Wenig später herrschte in der großen Digitalithek Hochbetrieb. Verschiedene Leute kamen und gingen, jeder suchte etwas anderes und Sera hatte beim Stöbern durch das vielfältige Material der Vergangenheit die Möglichkeit verschlafene Geschichtsstunden aufzufrischen. Sie erfuhr zum Beispiel, dass Menschen nicht immer nur in Wolkenkratzern lebten, sondern früher überwiegend andere Behausungen hatten, die sie “Wohnhäuser“ nannten und die oft nur zwei, drei Stockwerke besaßen und spitze Dächer hatten. Und dass Tiere früher in ziemlich hoher Zahl frei herumliefen und nicht nur im Zoo zu besichtigen waren. Es war einfach unglaublich, welche Mengen an Wissen die riesige Digitalithek beherbergte. Den gesamten Arbeitstag strömte vielfältiges Wissen unsortiert auf Sera ein. Dementsprechend zerschlagen fühlte sie sich als der Arbeitstag vorüber war und sie zusammen mit Chace die Spuren der wissbegierigen Kunden vertilgte. „Wohin soll ich die Unterlagen über die Renaissance räumen?“, fragte Sera und hob einen Digi-Träger oder auch kurz DT genannt hoch. „In das Regal 143“, gab der Gefragte Auskunft. So vergingen die nächsten Stunden. „Okay, ich geh dann mal, Herr Almond“, meinte Sera als alles sicher verstaut war. „Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass das “Chace“ heißt?“, säuselte ihr Chef. Sera war kurz davor in die Luft zu gehen. Den ganzen Arbeitstag lang hatte sie schon Schmeicheleien und Süßholzgeraspel über sich ergehen lassen müssen. Offenbar nagte es sehr Chace´ Selbstbewusstsein, dass es eine Frau gab die seinem Charme wiederstand. „Wie, du willst jetzt noch gehen?“, fragte Chace und blickte auf seine Uhr. „Es ist bereits 21: 55 Uhr! In fünf Minuten ist Ausgangssperre, wenn man dich da erwischen würde! Zudem gibt es da Gerüchte, dass…“ „Ach, scheiß auf die blöde Ausgangssperre, ich wohne nur ein paar Straßen von hier entfernt, das schaff ich noch“, knurrte Sera, schnappte ihre Tasche und rannte auf die Tür zu. „Nein!“ Chace versuchte sie am Arm zu packen, doch Sera riss ihn mit, öffnete die Türflügel und stolperte in die Nacht hinaus. So kam es, dass sie beide, Sera und Chace unsanft auf der anderen Seite der Türe aufschlugen. Sera hatte das Pech das Chace auf ihr landete. Sie biss die Zähne zusammen, doch endlich rappelte sich ein schweres Gewicht auf und gab ihre Beine frei. „Ich hätte nie gedacht, dass du so viel wiegst“, keuchte Sera und rieb ihre Beine. „Alles Muskeln“, gab Chace an und – erstarrte. Ein volltönender Gong hallte über die Hochhäuser der Stadt, und vor ihren Augen fiel die Tür der Digitalithek wie von Geisterhand ins Schloss. „Verdammt…“, fluchte Chace. „…die Ausgangssperre“, vollendete Sera tonlos. Durch die automatische “Aussgangsperrenfunktion“ an jeder Tür ließ sich auch die der Digitalithek nun weder von innen noch von außen öffnen. „Warum hast du so etwas Hirnloses gemacht?!“, schimpfte Chace und der übliche Möchtegern-Gentleman war wie weggepustet. „Ich konnte eben den Gedanken nicht ertragen die Nacht mit dir allein in einem Gebäude verbringen zu müssen. Da ziehe ich es sogar vor das Gesetz zu brechen.“, konterte Sera schnippisch. „Außerdem hat dich nie-mand gezwungen mit nach Draußen zu kommen.“ „Du hast doch überhaupt keine Ahnung was…“. „Aber du, oder wie?!“, zeterte Sera die allmählich die Geduld verlor. Sie wollte gerade zu einer Standpauke ansetzen die sich gewaschen hatte, als sich ihr alle Nackenhaare aufstellten. Irgendwer – oder Irgendetwas kam. „Scheiße“, fluchte Chace und seine blauen Augen funkelten eigentümlich. „Sie kommen. Du hast sie mit deinem Gekeife angelockt“. Und dann sah Sera es: rote Lichter glommen in der Dunkelheit auf und es dauerte eine Weile bis sie begriff was es war. „Rotglühende Augen“, flüsterte sie tonlos und wich zitternd zu Chace zurück. „Was…“. „Okay. Ich sollte das in Anwesenheit eines normalen Menschen nicht tun, aber es geht wohl nicht anders.“, meinte Chace ruhig und mit einem ausdrucklosen Gesicht. „Er benimmt sich so, als wäre das eine normale Alltagssituation die sich immer wieder wiederholt“, dachte Sera die vor Angst ganz weiche Knie hatte, schockiert. „Wer ist Chace eigentlich wirklich?“ Dann schälten sich aus der undurchdringbaren Dunkelheit der Straße bedrohliche, riesige Gestalten. Während Sera fassungslos auf die riesigen, schwarzen Wesen starrte, hatte Chace einen blau leuch-tenden Stein an einer Kette hervorgeholt und hielt ihn fest in der Hand. „Sera, mach die Augen zu“, sagte er in einem seltsamen Ton den sie noch nie bei ihm gehört hatte. Dann schoss aus dem blauen Stein in seiner Hand ein helles, gleißendes Licht hervor, so dass Sera mit einem Aufschrei zurück taumelte. Vor ihren Augen blitzten und glänzten leuchtende Punkte und sie konnte nichts mehr sehen. Warum, warum nur hatte sie ihre Augen nicht geschlossen! Als sie wieder einigermaßen klar sehen konnte bemerkte Sera als erstes das leuchtend blaue Schwert in seiner Hand. Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einem japanischen Kendo Schwert, nur dass es blau leuchtete und schimmerte als wäre es durchsichtig. „Lehn dich zurück und genieß die Show“, grinste Chace. „Ich erklär` dir später alles“. Damit stürmte er auf die fremdartigen Monster zu. Diese waren ihnen mittlerweile beängstigend nahe gekommen. Sie sahen aus wie die Schatten furchterregender Monster aus schlechten Horrorfilmen, die anstatt wie es jeder andere Schatten normalerweise brav zu tun pflegte, nicht auf dem Boden lagen, sondern aufrecht gingen. Der kleinste war vielleicht vier Meter groß und Chace ging mit einem Schwert dass im Verhältnis zu den Schatten etwa die Größe eines Zahnstochers hatte auf sie los. Das war verrückt! Chace hatte keine Chance! „Halt ein Verräter“, sprach der größte Schatten – ja, er sprach! – zu Chace. Die Stimme klang tief und unwirklich und schien nur aus reinem Bass zu bestehen. Dazu funkelten seine rötlichen Augen furchterregend. „Halt die Schnauze du niederer Schattendämon“, zischte Chace und warf sein Schwert. Dieses schien sich im Flug in einen blauen, tödlichen Blitz zu verwandeln. Der riesige Schatten der gesprochen hatte wich in einer fließenden Bewegung aus, so dass das Schwert den Hintermann traf, der einen abscheulichen Laut ausstieß und zu Boden ging. Chace rief etwas und bewegte seine Hand. Daraufhin kam das Schwert zurück zu ihm geflogen, der es mit einer sicheren Bewegung aus der Luft griff. Der tödlich getroffene Schatten aber löste sich auf! Sera stand wie erstarrt. Schließlich blieb nichts mehr übrig von ihm außer einer Fledermaus, die dem Himmel entschwebte. Seine Kameraden waren alles andere als erfreut – im Gegenteil: sie gingen alle gleichzeitig auf Chace los. Dieser sprang mit schier übermenschlicher Kraft in die Luft – gut zehn Meter hoch um genau zu sein. Er richtete sein Schwertspitze Richtung Boden und ließ sich zusammen mit seinem Schwert auf den Nächstbesten Schattendämon niedersausen. Dieser jaulte so laut auf, dass der Ton in Seras Ohren nachhallte. Sie hatte keine Zeit nachzusehen ob er sich auch in eine Fledermaus verwandeln würde, da um sie herum eine so etwas wie eine kleine Schlacht herrschte: gut fünfzig der Schattenwesen die wütend um sich schlugen und dazwischen ein hellleuchtender Blitz der einen nach dem anderen enthauptete. Ja, Chace bewegte sich so schnell, dass Sera ihn nie wirklich erkennen konnte. Und sie fragte sich nun schon zum zweiten Mal an diesem Abend wer dieser Mann wirklich war. War er nun ein normaler, flirtender Chef einer Digitalithek oder so etwas wie ein Dämonentöter mit einem Schwert aus Licht? Sehr verwirrend und beängstigend das Ganze. Ehe sie mit ihren Überlegungen fortfahren konnte schloss sich eine klauenartige, schwarze Hand um ihr Fußgelenk. Der Anführer der Schattendämonen! Langsam hob er sie hoch und hielt sie auf seine Kopfhöhe. Da baumelte sie nun kopfüber und würgte. Denn das Schattenwesen dünstete einen widerlichen Geruch aus, der nach Essensresten, rohes Fleisch und Blut stank. „Sieht so aus als käme ich doch noch zu meinem wohlverdienten Abendgenuss“, sagte das Ungeheuer zufrieden. Verdammt, wo war Chace wenn man ihn brauchte!? Nun, dieser war mit einer nicht geringen Überzahl an Dämonen beschäftigt. Sera würde sich wohl selber helfen müssen. Der riesige Dämon riss seinen Mund auf der einem schwarzen Loch glich. Eine widerliche Woge fauligen Atems fegte über Sera hinweg wie ein Herbststurm. Nervös tastet sie nach ihrer Handtasche. Die war ihre einzige Chance. Das schwarze Monster hält sie nun auf gleicher Höhe mit seinem Mund. Endlich bekommt Sera den Reißverschluss ihrer Tasche zu fassen und öffnet sie. Der Schattendämon hält sie langsam auf seinen Mund zu und weidet sich sichtlich an ihrer Panik. Der jungen Frau stehen die Schweißperlen auf der Stirn, während sie verzweifelt in ihrer Handtasche wühlt. Das Monstrum hält sein Opfer nun so nahe an sich heran, dass es seine schwarze, ledrige Zunge erkennen kann. Endlich hat Sera gefunden was sie gesucht hat. Mit einem Aufschrei reist sie ihre Taschenlampe aus der Tasche und lässt den gleißenden Lichtkegel direkt auf das dunkle Wesen das sie gefangen hält fallen. Der Aufschrei des Schattendämons gellte durch die Nacht. „LICHT!“, brüllte er und taumelte rückwärts. Der Griff um ihren Fuß lockerte sich und Sera stürzte in die Tiefe. Sie prallte unsanft auf dem Boden auf, doch aus ihrem mehrjährigen Kampfsporttraining wusste sie, wie man sich am besten abrollte. So kam es, dass sie unversehrt blieb, doch das Monster hatte nicht so viel Glück. Es löste sich, von Seras Lichtstrahl getroffen auf und eine riesenhafte, schwarze Fledermaus flog gen Himmel. Als die anderen Dämonen dies sahen, erstarrten sie und flohen dann unter wildem Geheul in die Dunkelheit. Chace sah sie verwirrt an. „Warst du das?“, fragte er ungläubig. „Yep, das war’s dann wohl mit dem “wohlverdienten Abendgenuss“ meinte Sera zufrieden. „Aber kann mir mal jemand sagen was hier eigentlich abgeht?“ Dann wurde ihr schwarz vor Augen und die Knie sackten unter ihr weg. Das Letzte, das sie noch mitbekam war wie Chace sie auffing. Als Sera wenig Später erwachte sah sie zuerst eine heruntergekommene, grobe Backsteinwand mit Fenstern ohne Gläser und einem Türrahmen, durch den die kalte Nachtluft pfiff. Sie selbst lag auf einer groben Pritsche. Das einzig weitere Möbelstück in dem kleinen Raum war ein einfacher Holz-stuhl. Auf diesem saß Chace und untersuchte sein Schwert, welches den gesamten Raum in ein bläuliches Licht tauchte. „Ah, du bist endlich wach, du warst ganze zehn Minuten weg“, sagte Chace, als er sah, dass Serafina aufrecht im Bett saß. „Ich hoffe doch, es ist alles in Ordnung mit dir“. „Nun abgesehen davon, dass sich mein Vorgesetzter als einen Dämonentöter mit Lichtschwert entpuppt hat, ich auf der Straße von Dämonen angegriffen wurde und beinahe gefressen worden bin, ist alles in Ordnung, glaube ich“, antwortete Sera schnippisch. Das war doch wohl eine selten dämliche Frage gewesen. Aber naja, dumme Frage, dumme Antwort. „Ich liebe deinen Humor“, erwiederte Chace. Wenn Sera sich nicht so mies gefühlt hätte, dann sie hätte ihm eine gescheuert. „Wo sind wir hier eigentlich?“, fragte sie stattdessen. „Im Erdgeschoss eines verfallenen Wolkenkratzers der bald abgerissen wird. Aber hier können wir nicht bleiben, die Dämonen sind auf Rache aus. Sie können es nicht fassen, dass ein einfacher Mensch Dion umgebracht hat.“, gab Chace Auskunft. „Dion?“, fragte Sera, „Hieß so der Schattendä-mon den ich getötet habe? Du hast zu mir gesagt, dass du mir alles erklären würdest! Also, ich höre“. „Gut, wo soll ich anfangen. „Also… es existieren Dämonen und es gibt drei verschiedene Arten von ihnen“, begann Chace. „Das Einzige, das diese gemeinsam haben ist ihre Furcht vor dem Licht. Deshalb können sie nur bei Nacht aus ihren Grotten unter der Stadt hervorkommen. Die schwächste Art unter ihnen sind die Schattendämonen, mit denen du bereits Freundschaft geschlossen hast. („Lass die Witzchen!“, knurrte Sera erbost.) Sie sind die Einzigen für die zum Vernichten eine starke Taschenlampe reicht. Die anderen müssten sich schon in die Sonne stellen. Die nächststärkere Gattung sind die “Facettendämonen“. Das Einzige was diese miteinander gemein haben, ist ihre starke Ähnlichkeit mit Insekten und dass sie ausschließlich riesige Facettenaugen haben. Daher der Name. Diese Viecher können bis zu zehn Meter lang und fünf Meter hoch werden. Das Einzige das ihre feste Panzerung durchdringen kann, sind spitze Stahlklingen, die mit entspre-chenden Stärkezaubern und Dämonenfeuer geschmiedet worden sind. Die allerstärksten Dämonen sind die Nachtdämonen. Sie sind von Menschen kaum zu unterscheiden und besitzen übermenschliche Fähigkeiten wie fliegen, unsichtbar werden und andere magische Kinkerlitzchen. Nur ein Nachtdämon hat eine Chance gegen einen anderen Nachtdämon.“ Sera fragte gespannt und erschreckt zugleich: „Und was spielst du für eine Rolle in dem ganzen?“ „Ich?“, sagte Chace grinsend. „Ich bin ein Nachtdämon.“ „Wie bitte!? Du verarschst mich doch bloß! Verdammt, wer bist du eigentlich?“ Serafina war kurz davor durchzudrehen. „Doch, doch ich bin ein Nachtdämon. Aber da ich einer bin, der kein Men-schenfleisch verspeist und keinen Spaß daran hat Menschen zu töten, werden solche wie ich eigentlich Lichtdämonen genannt. Denn durch das Abschwören des herkömmlichen Dämonenlebens habe ich die Fähigkeit, Licht ohne weiteres ertragen zu können. Es gibt nicht viele von meiner Sorte, und wir leben deshalb unerkannt unter den Menschen weil die normalen Dämonen uns als miese Verräter sehen, die es auszulöschen gilt.“ „Das verstehe ich nicht. Wie kommt es, dass ein normaler Dämon auf einmal den Wunsch verspürt wie sein “Essen“ zu leben. Das ist doch völlig abwegig“, meinte Sera skeptisch. „Nicht unbedingt. Man könnte in deiner Welt die Lichtdämonen mit Vegetariern vergleichen. Der fängt dann ja auch an wie ein Reh oder so nur Grünzeug zu essen. Nur haben die Dämonen noch nie etwas von Toleranz gegenüber dem Anderssein gehört“, gab Chace zurück. Nun, dies klang einleuchtend. Im selben Augenblick fühlte Sera das Aufkommen einer düsteren Bedrohung. Es stellten sich ihr alle Nackenhaare auf und eine Gänsehaut überzog ihre Arme und Beine. Der Schweiß brach ihr aus und in ihrem Gehirn existierte mit einem Mal nur der Gedanke, schleunigst die Beine in die Hand zu nehmen. Sie hatte dieses Gefühl schon einmal gespürt. Und zwar kurz bevor Dämonen aufgetaucht waren. „Chace…“, sagte sie zaghaft. „Ich weiß. Ich nehme es auch wahr. Lass uns schleunigst von hier verschwinden. Ich kenne ein Versteck, wo die Dämonen deine menschliche Aura nicht fühlen können. Komm.“ Zusammen verließen sie im Laufschritt das verfallene Gebäude. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, als hinter ihnen ein lauter Schlag ertönte. Sera drehte sich um, gerade noch rechtzeitig um zu sehen wie das alte Hochhaus sich in eine Wolke aus Staub und Glassplitter verwandelte. „Verdammt, Facettendämonen. Gegen die habe ich mit meinem Dämonenschwert keine Chance. Ich bräuchte eine dämonische Eisenklinge“, zischte Chace mit zusammengebissenen Zähnen. So konnten sie nichts anderes tun, als so schnell sie konnten um ihr Leben zu rennen. Hinter ihnen ertönte bald ein wütendes zischen und surren. „Runter!“, brüllte Chace und riss sich und Sera zu Boden. Gerade noch rechtzeitig. Denn über ihnen flog eine gewaltige Gestalt vorbei, genau da wo eben noch ihre Köpfe gewesen waren. Schließlich landete das Geschöpf nicht weit entfernt von ihnen auf dem Dach eines kleineren Hochhauses. So hatte Sera die Möglichkeit es genauer zu betrachten: an sich sah der Dämon wie eine riesenhafte, mindestens sechs Meter lange schwarze Hornisse mit unglaublich großen Facettenaugen die sie boshaft und freudig zugleich anzufunkeln schienen, aus. Das Tier bewegte sich, sodass Sera die riesigen, gebogenen Fangzähne im Mondlicht aufblitzen sah und sich die sechs mit spitzen, knochigen Auswüchsen versehenen Beine gespenstisch gegen das Licht abzeichneten. „Verdammt, bist du festgewachsen, oder was?!“, brüllte Chace gehetzt und riss sie mit sich mit. Er zerrte sie in eine enge Gasse. Schließlich schupste er Sera, die nicht mehr richtig klar denken konnte vor sich her. Das mit der engen Gasse war ein kluger Schachzug gewesen. Dem furchterregenden Insekt blieb nichts anderes übrig als die Flügel einzufalten und sie zu Fuß zu verfolgen. Dabei stieß es abscheuliche Zischlaute aus und grünlicher Geifer troff ihm von den langen Giftzähnen. Endlich konnte Sera wieder denken und in panischer Angst stolperte sie vor Chace her. Weg, nur weg von dieser dunklen Bedrohung. Dennoch wurde das widerliche Trippeln der Insektenfüße immer lauter und kam erschreckend schnell erschreckend nahe. „Lauf! Ich gebe dir Rückendeckung!“, schrie Chace. „Lauf weiter geradeaus und dann nach rechts. Dort befindet sich eine steinerne Bodenklappe! Öffne sie und bring dich unter der Erde in Sicherheit!“ So schnell wie sie konnte raste Sera das Gässchen entlang. Hinter sich hörte sie einen grauenhaften, menschlichen Schrei und ein triumphierendendes, lautes Zischeln. Chace! Sie wiederstand der Versuchung sich umzudrehen und ihm zu Hilfe zu eilen. Sie könnte ihm ja doch nicht helfen. Stattdessen bog sie an der nächsten Ecke nach rechts ab. Und dort, im milden schein des Mondes erblickte sie eine viereckige Steinplatte mit einem Ring daran. Schnell stolperte Serafina dorthin und riss verzweifelt an dem rostigen Ring. Hinter sich hörte sie das wütende Insekt zischeln. Wie schaffte Chace es nur das Riesending so lange aufzuhalten? Und warum tat er das alles für sie? Sera nahm alle Kraft zusammen und riss so stark sie konnte an dem Ring der Steinplatte, die sich dennoch keinen Zentimeter bewegte. Plötzlich tauchte eine Gestalt neben ihr auf und Sera erschrak so sehr, dass sie laut schrie. „Ganz ruhig“, hörte sie eine weibliche, volltönende Stimme neben sich. Dann griff die Unbekannte nach dem Ring und öffnete die Tür im Boden so mühelos als würde sie ein Blatt aufheben. „Aber Chace, er…“, wollte Sera protestieren als ihre Retterin begann sie die die Stufen die nach unten in die schwärze des Schachtes führten, hinab zu zerren. „Ach, dem hilft Niko. Wahrscheinlich haben sie den Dämon schon längst erledigt“, winkte die junge Frau ab. Und tatsächlich: das insektenhafte Zischeln war verstummt. „Na also“, meinte ihre Retterin zufrieden und Sera folgte ihr die dunklen Stufen hinab. Sie stiegen eine Art Wendeltreppe hinab, die so lang war, dass Sera fast schwindlig war als sie und ihre Führerin vor einer schweren, dicken Holztür angelangten. Die unbekannte Frau holte einen schweren Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Dahinter befand sich ein von Fackeln erleuchteter Raum, dessen Wände mit jeder Menge Waffen gesäumt waren. Das helle Licht der Fackeln ermög-lichte Sera, die andere Frau genauer zu begutachten. Sie war höchst attraktiv, mit langen schwarzen Haaren, violetten Augen und ihrer schlanken, leicht muskulösen Figur. Ihre Kleidung war für Seras Geschmack ein wenig zu aufreizend: sie trug nur einen schwarzen, enganliegenden Bustier mit tiefen Ausschnitt und hatte einen so kurzen Rock an, so dass dieser, wenn er ein wenig kürzer gewesen wäre, glatt als breiter Gürtel durchgegangen wäre. Zudem schien sie eine ganze Waffenkammer mit sich herumzutragen: um ihre Schulter baumelte an einem Lederriemen lässig ein Maschinengewehr, auf dem Rücken hatte sie Pfeil und Bogen geschnallt und am Gürtel ihres Rockes befanden sich diverse Messer und Revolver. Aus dem Schaft ihres schwarzen Stiefels lugte ein Messergriff und in ihrer Hand hielt sie dasselbe Schwert wie Chace es hatte, ihres jedoch war violett. „Sie sieht aus als wäre sie aus einem Manga entsprungen“, dachte Sera. „Is´ was?“, fragte die junge Frau. „N –nein“, stotterte Sera ertappt. Anscheinend hatte sie sie zu auffällig angestarrt. „Ich heiße übrigens Noriko“, sagte die Fremde und hielt Sera eine Hand hin. Diese ergriff sie und stellte sich ihrerseits vor. Noriko. Das war doch ein japanischer Name. Also war Noriko vielleicht doch eine real gewordene Mangafigur … Bei diesem Gedanken musste Sera leise lächeln. Doch im selben Augenblick kam jemand zur Türe hineingestürzt. Es war ein junger Mann der fast genauso abgedreht aussah wie Noriko. Er trug einen schwarzen Anzug unter dem ein Stück weises Hemd hervorblitzte und hatte einen schwarzen Umhang. Seine blonden Haare waren lang und glatt und reichten bis zu seinen Schultern. Seine Augen funkelten in einem eigentümlichen grün und auf seinem Kopf thronte ein Zylinder. Bestimmt waren er und Noriko Geschwister. Mindestens. Doch als Serafina sah was der junge Mann in seinen Händen hielt wurde sie leichenblass. „Darf ich vorstellen, dies ist mein Bruder Niko, er …“, begann Noriko, um dann mit einem spitzen leisen Auf-schrei zu verstummen. Auch sie hatte das große Bündel in Nikos Armen entdeckt. „Ja, es hat ihn ziemlich übel erwischt“, meinte Niko und legte Chace vorsichtig auf dem nackten Steinboden des Raumes ab. Chace hatte die Augen geschlossen und sein Arm lag in einem unnatürlichen Winkel da. Er war gebrochen. Von einer Platzwunde auf seiner Stirn floss Blut, und auf seinem Hemd hatte sich bei der Schulter ein dunkler Fleck ausgebreitet. „Wenn ich nur eine Sekunde später gekommen wäre, würde es jetzt eine Fledermaus mehr geben“, meinte Niko. „ Der Dämon ist ziemlich brutal auf ihn losgegangen“. Fassungslos starrte Serafina auf Chace. „Er… er blutet wie ein Mensch. Ich dachte Dämonen tun so was nicht“, sagte sie mit stockender Stimme. „Er mag aussehen wie ein Mensch und bluten wie ein Mensch, aber er ist dennoch ein Dämon. Er wird morgen Abend wieder auf den Beinen sein“, beru-higte Niko sie. „Es ist nur halb so schlimm wie es aussieht“. Sera hatte da ihre Zweifel. Jemand der so schlimm verletzt war, konnte nie und nimmer in vierundzwanzig Stunden wieder gesund sein. Doch sie hielt den Mund. „Ihr seid also auch Lichtdämonen?“, fragte sie Niko und Noriko. „Streng genommen nicht. Wir leben nicht in der Welt der Menschen. Wir hassen andere, bösartige Dämonen einfach und haben es uns zum Ziel gemacht diese Stadt von ihnen zu befreien. Damit ziehen wir den Zorn der Dämonen und der Regierung auf uns.“ „Ihr jagt eure eigenen Leute? Und was hat die Existenz der Dämonen mit der Regierung zu tun?“ „Die Regierung war anfangs gegen Dämonen“, antwortete Noriko. „Die Dämonen kamen eines Tages aus den finsteren Höhlen tief unter der Erde gekrochen und begannen des Nachts wahllos Menschen anzufallen. Doch nicht alle Dämonen waren abgrundtief böse und begannen sich gegen die riesige Übermacht der anderen zu wehren. Sie arbeiteten mit der Regierung, die diese Sache bereitwillig unterstützte, zusammen. Als schließlich nur noch wenige Dämonen übrig waren und ein letzter Todesstoß der Existenz der blutliebenden Dämonen ein für alle Mal ein Ende gesetzt hätte, schloss die Regierung ohne unser Wissen einen dämonischen, unbrechbaren Packt mit ihnen: Sie würden die restlichen Dämonen verschonen, wenn diese für immer und bis in alle Zukunft den Befehlen der Regierung gehorchen würden. Im Gegenzug dazu dürfen sie jeden Menschen, der bei Nacht unerlaubt vor die Tür geht, verspeisen. Seit dem braucht sich die Regierung bei dem Beseitigen unliebsamer Rebellen und anderer Feinde nicht mehr die Finger schmutzig zu machen. Denn die Dämonen haben die Fähigkeit bei ihren Opfern eine natürliche Todesursache vorzutäuschen. Und jeder Dämon der sich den Entscheidungen der Regierung wiedersetzt, und zum Beispiel uner-laubt eine Menschenwohnung betritt, wird dank des Dämonischen Paktes augenblicklich verbrennen.“ Als Noriko geendet hatte blieb es lange Zeit still, während Serafina die schockierende Neuigkeit, dass die Regierung mit Dämonen gemeinsame Sache machte verdaute. Die Fackeln gaben laute Knistergeräusche von sich und Noriko unterhielt sich leise und gedämpft mit Niko, während sie Chace´ Wunden verarztete. „Ich kann nicht mehr nach Hause zurück“, meinte Sera schließlich. „An jeder Tür sind Kameras installiert die registrieren wer aus und eingeht. Ich dachte das wäre dazu da um den Gesetzesbrechern eine Geldstrafe oder so aufbürden zu können. Allerdings bin ich vermutlich bereits für tot erklärt worden und wenn man erfährt das ich noch lebe werden wahrscheinlich Killer oder so auf mich gehetzt, da ich etwas weiß das ich nicht wissen sollte. Ich hab keine Ahnung wohin ich gehen könnte.“ „Erst mal bleibst du hier und wartest zusammen mit uns, dass Chace erwacht. Dank der starken, antidämonischen Aura der Waffen trauen sich die Dämonen nicht hierher.“ „Ja“, zwitscherte Noriko vergnügt und sah ihr Maschinengewehr fast verliebt an. „Es gibt nichts Besseres als ein Maschinengewehr mit dem man auf Facettendämonen umbringen kann. Oder Pfeil und Bogen aus Licht mit welchen man Nachtdämonen davonpusten kann“. Mit einem liebevollen Glanz in den Augen begann Noriko mit einem Tüchlein den Lauf ihres Gewehres zu polieren. Sera schluckte. Was war denn das für eine? Niko zwinkerte ihr zu, als hätte er ihre Gedanken gelesen und machte eine Geste die wohl so viel wie „ich weiß, die ist völlig abgedreht“, heißen sollte in Norikos Richtung. Im selben Augenblick öffnete Chace die Augen und setzte sich verwirrt auf. „Wie, ich lebe noch?“, fragte er erstaunt und erleichtert zugleich. Serafina wollte sich gerade nach seinem Wohlbefinden erkunden, als Chace Noriko sah. „Wow, echt scharfe Braut!“, sagte er aner-kennend. „Mit der würde ich gerne die eine oder andere Nacht verbringen“. Dann sagte er nichts mehr, denn Sera hatte ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Selig lächelnd sank Chace zurück und schlief ein, während Serafina ihre brennende Hand rieb. Irgendwie war er immer noch derselbe Chace wie immer. Noriko lachte und beglückwünschte sie zu ihrem kräftigen Schlag. Anschließend legte Sera sich ebenfalls zum Schlafen auf den Boden. Das war zwar nicht sehr bequem, aber besser als jetzt draußen in der Nacht von Dämonen gefressen zu werden. Es dauerte eine Weile, doch dann glitt sie in einen tiefen Schlaf, dessen Träume mit lauter Spukgestalten gefüllt waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)