Meeresflüstern von Lina_Kudo (Umi Sasayaku (Shinichi&Ran)) ================================================================================ Kapitel 1: »Endlich darf ich wieder bei dir sein …« --------------------------------------------------- KAPITEL 1: »Endlich darf ich wieder bei dir sein …« Es war ein heißer Tag Ende August. Die Sonne stand am höchsten Punkt des Himmels und wurde, wie auch der wolkenlose, strahlend blaue Himmel, vom Meer reflektiert. Großzügig knallte sie sowohl auf den Strand als auch auf das azurblaue Meerwasser. Auf dem fast menschenleeren Strand lag ein junger Mann, der es sich auf einer Liege bequem gemacht hatte. Er hatte eine Zeitschrift auf seinem Gesicht liegen, damit die Sonne ihn nicht zu sehr blendete. Es war so angenehm, dass er kurz davor war, einzuschlafen, bis … »Shinichi, jetzt lieg nicht so faul in der Sonne herum! Lass uns endlich ins Wasser gehen!« Er nahm seine Zeitschrift weg und sah zu einem göttlichen Körper empor. Lediglich mit einem knallroten Bikini bekleidet, der alle ihre Vorzüge und perfekten Kurven an den richtigen Stellen betonte, stand sie direkt vor ihm. Ran. Zwar warf sie durch ihren Körper einen Schatten auf ihn, doch ihre Schönheit blendete ihn nicht weniger als die Sonne. »Okay mein Engel, aber nur unter einer Bedingung«, erwiderte er mit einem sanften Lächeln, griff blitzschnell nach ihrer Hand und zog sie zu sich herunter. Als ihr Gesicht nun direkt vor seinem war, stahl er ihr einen sanften Kuss. Ran wurde knallrot im Gesicht, als sie seine Tat realisiert hatte. Er hatte sie einfach so geküsst! Okay, zwar war das nicht ihr erster Kuss, und doch … konnte sie sich noch nicht daran gewöhnen. Schließlich war ihr erster Kuss auch noch gar nicht so lange her. Ein Tag, um genau zu sein. Obwohl: nicht mal ganze 24 Stunden. Verliebt blickte Shinichi seiner Freundin tief in die Augen. In dieses unschuldige Lavendel, in das er immer wieder versinken könnte. Er war so glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er hatte endlich dauerhaft seinen alten Körper wiedererlangt und war nun mit Ran zusammen. So richtig zusammen. Schmunzelnd dachte er an die letzten Tage zurück. Jegliche Farbe wich Ran aus dem Gesicht, als sie direkt in das Antlitz einer ihr allzu vertrauten Person blickte. Das Gesicht ihres fast verschollenen Freundes. Mit einem breiten Grinsen stand er vor ihr. Zwar hatte er sich kaum verändert – außer, dass er noch ein ganzes Stück gewachsen war und noch männlicher und attraktiver wirkte als früher – und doch kam er ihr fast schon fremd vor. Seine Anwesenheit kam ihr so unglaubwürdig vor, dass sie sich nicht einmal ihren eigenen Augen trauen konnte. »Sh– Shinichi …«, brachte sie lediglich ein schwaches Hauchen zu Stande. In seinem schönen Gesicht machte sich gespielte Missbilligung breit. »Hast du wirklich so lange gebraucht, um mich zu erkennen? Dabei habe ich schon erwartet, dass du mein Gesicht vielleicht etwas früher identifizierst – schließlich kennen wir uns schon fast unser ganzes Leben lang.« Jetzt gab es endgültig keine Zweifel mehr: Es war wirklich Shinichi. Sie schluckte ihre aufsteigenden Tränen runter. Sie wollte nicht wieder Schwäche vor ihm zeigen. Fast jedes Mal hatte sie geweint bei ihren wenigen Treffen seit seinem plötzlichen Verschwinden. Sie wollte nicht ständig vor seinen Augen heulen – noch dazu seinetwegen. »Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt«, gab sie einigermaßen kühl von sich, sah ihn vorwurfsvoll an und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Aus seinem arroganten Lächeln wurde ein sanftes, fast sogar zärtliches. »Also ich bin froh, dich endlich zu sehen, liebe Ran.« Diesmal konnte sie es nicht verhindern, ihre Gefühle zu verstecken und wurde rot. Shinichi sagte süße Sachen zu ihr. Und wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sogar behaupten, dass sogar eine romantische Absicht dahintersteckte. Doch bestimmt war das nicht so gemeint. Sie machte sich einfach viel zu viele Hoffnungen. Ihre Wunschvorstellungen gingen schon so mit ihr durch und waren so weit ausgeprägt, dass sie einfach viel zu viel in seinen Worten hineininterpretierte. Ganz bestimmt. Schließlich waren sie schon ihr ganzes Leben lang befreundet – verständlich, dass er da ab und zu süße Sachen zu ihr sagte. Sie verband eine außergewöhnliche, tiefe Freundschaft. Sie war natürlich froh, ihn wiederzusehen. Das letzte Mal war inzwischen nun auch schon wieder Monate her. Doch … irgendwie wollte sich bei ihr nicht mehr einstellen. Kein Glück und keine Erleichterung. Irgendetwas hinderte sie daran – und sie wusste auch schon was. »Wie lange habe ich diesmal die Ehre?« Erstaunt über ihre Direktheit, die untypisch für sie war, sah Shinichi in ihre Augen. Sie konnte sich nicht freuen – wie auch? Schließlich war er bisher immer genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Umso glücklicher war er, ihr endlich die erlösenden Worte mitteilen zu dürfen, auf die sie und auch er so lange gewartet hatten. »Diesmal bleibe ich. Ich gehe nicht mehr weg. Der Fall ist endgültig abgeschlossen.« Nun konnte sich die junge Oberschülerin endgültig nicht mehr zurückhalten. Der letzte Funken Zweifel hatte sie verlassen. Die Tränen schossen ihr in die Augen und sie schmiss sich, ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen, in seine Arme. Überwältigt von ihrem plötzlichen Gefühlsausbruch fing er sie gerade noch so auf und drückte sie ganz fest an sich. Wie lange hatte er sich diesen Moment herbeigesehnt? Nach schier endloser Zeit lösten sie sich voneinander und strahlten sich glücklich an. »Und um diesen Anlass gebührend zu feiern, werden wir gemeinsam in den Urlaub fliegen. Du darfst schon mal mit dem Packen anfangen; morgen geht es los.« »M– Moment mal, so einfach ist das nicht; ich kann doch nicht -«, fand Ran ihre Sprache wieder, doch Shinichi verschloss ihre Lippen mit seinen Fingern. »Warum nicht? Nenn mir ein gutes Gegenargument. Dein Vater ist doch für zwei Wochen mit Kommissar Megure im Urlaub, und der kleine Knirps, der bei dir wohnt, ist doch auch spontan verreist mit dem Professor, oder? Dein Vater wird das sicher erlauben – wir waren schließlich schon gemeinsam in New York; außerdem werden wir zurück sein, sobald sie wieder da sind. Wir werden nur für ein paar Tage weg sein. Und das Finanzielle kannst du mir überlassen – meine Eltern laden uns quasi ein. Wir werden auf ihrer privaten Insel auf den Malediven sein. Sie haben sie erst vor kurzem gekauft; ich war auch noch nie dort. Aber nach allem, was ich gehört habe, soll es dort wunderschön sein.« Natürlich hatte er sich gründlich informiert. Das verwunderte sie schon längst nicht mehr. Er wurde seinem Ruf als größter Meisterdetektiv des Ostens wie immer gerecht. Doch ihr kam das alles viel zu plötzlich. Sie hatte so viele Fragen an ihn und sie hatten so viel Gesprächsstoff vor sich – schließlich war er jetzt gerade erst zurückgekehrt und morgen sollten sie schon gemeinsam in den Urlaub fliegen? Doch er hatte Recht: Es sprach eigentlich nichts dagegen. Sie konnten wohl gerade im Urlaub ausgelassen über alles reden. Sie haben lange genug gewartet. Sie haben sich lange genug nicht gesehen. »Gut, dann fliegen wir morgen zu den Malediven, aber lass mich bitte auch einen Teil zahlen«, entschied sie sich mit einem warmen Lächeln. »Jedes Mal die gleiche Diskussion im dir«, neckte er sie und näherte sich ihrem Gesicht so sehr, dass sie erstarrte. »Und jedes Mal wirst du die gleiche Antwort bekommen: Nein, du zahlst nichts!« Am nächsten Nachmittag amüsierten sich die beiden bereits im glasklaren Meerwasser und ließen es sich gut gehen. Es war ein strahlend sonniger Tag und es herrschten hitzige Temperaturen um die 35 Grad im Schatten. Die frische Meeresluft verschaffte ihnen die nötige Abkühlung, sodass es richtig angenehm war. »Shinichi!«, rief Ran lachend, als er sie mit dem Meerwasser vollspritzte. Ihre Augen brannten bereits von dem Salz, doch sie wäre nicht Ran Mori, wenn sie das nicht Humor genommen hätte. »Lass uns ein bisschen schwimmen«, schlug Shinichi vor und folgte ihm brav. So schwammen sie nebeneinander her über den Tiefen des Indischen Ozeans. Das Wasser wurde immer klarer, je weiter sie sich vom Strand wegbewegten. Da Ran ihm seine Spritzer heimzahlen wollte, nahm sie süße Rache, indem sie ohne Vorwarnung auf ihn stürzte und seinen Kopf unter Wasser tauchte. »Na warte, du kleines Biest«, knurrte Shinichi gespielt gefährlich. Ran kreischte lachend auf und schwamm schnell von ihm weg. Doch plötzlich durchzuckte es sie – ein Krampf in den Beinen. Im Wasser bei der Tiefe. Fatal. Der Detektiv merkte sofort, dass etwas nicht stimmte und eilte sofort zu ihr. »Ran!«, rief er entsetzt und griff gerade noch rechtzeitig nach ihrer Hand, bevor sie untergehen konnte. »Ich habe einen Krampf an den Waden«, teilte sie mit mit und krallte sich mit schmerzverzerrter Miene ängstlich an ihn fest. »Keine Sorge, halte dich gut fest. Ich bin bei dir. Und ich werde dich in Sicherheit bringen.« Wie die Ruhe in Person ruderte er mit seinem linken Arm vor, während er sie mit dem anderen Arm umschlang. Die Situation war zwar nicht gerade ungefährlich und hätte böse enden können, doch dass sie sich plötzlich so nahe waren; Haut an Haut und sein Gesicht so nahe an ihrem … Diese Tatsache ging nicht spurlos an ihr vorbei. Im Gegenteil. So hatte sie die Gelegenheit, ihn ganz von der Nähe zu betrachten. Oder viel eher anzuhimmeln. Denn genau das tat sie. Welches Mädchen würde bei diesem Anblick denn nicht schwach werden? Seine Haare klebten nass an seiner glatten Stirn, während seine saphirblauen Augen zielstrebig nach vorne gerichtet waren, darauf fixiert, sie beide in sichere Gefilde zu bringen. Sie war so froh und dankbar, dass sie ihn als Freund hatte. So viele Mädchen würden alles dafür tun, um ihm so nahe sein zu können. Und sie durfte es, weil sie sich schließlich schon von klein auf kannten. Trotzdem konnte sie nicht abstreiten, dass ihr das nicht … genügte. Tief in ihrem Herzen sehnte sie sich nach … mehr. Natürlich tat sie das: Sie liebte ihn schließlich. Abgöttisch. Daran hatte sich nie etwas verändert während seiner Abwesenheit. Im Gegenteil: Ihre Liebe war immer weiter gewachsen mit jedem einzelnen Tag. »Ran?« Eine weit entfernte Stimme holte sie auf den Boden der Realität zurück. Shinichi sah sie mit Sorgenfalten auf der Stirn an. »Geht es dir nicht gut?« Erschrocken realisierte sie, dass sie sich schon auf einer Liege befand. Vorsichtig legte er ihr linkes Bein auf den Boden. »Geht es wieder mit dem Krampf? Ich habe dein Bein gedehnt; es sollte eigentlich helfen.« Tatsächlich spürte sie keine Schmerzen mehr. Errötend darüber, dass sie nichts davon mitbekommen hatte, nickte sie zaghaft. »Ja, es geht wieder. Vielen Dank.« »Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ist doch klar, dass ich dir helfe.« Er winkte lächelnd ab und machte es sich anschließend neben seiner Sandkastenfreundin auf der anderen Liege bequem. Und so genossen sie noch entspannt die Nachmittagssonne, bevor sie hinter dem Horizont unterging und den Himmel in ein warmes Abendrot tauchte. Kapitel 2: »Es gibt da noch etwas, was mein Herz dir mitteilen möchte …« ------------------------------------------------------------------------ KAPITEL 2: »Es gibt da noch etwas, was mein Herz dir mitteilen möchte …« Ran verschlug es die Sprache, als sie das Haus verlassen hatte und direkt am Strand ein liebevoll gemachtes Candle–Light–Dinner entdeckte. »Ich hoffe, es gefällt dir«, ertönte Shinichis Stimme direkt hinter ihr. Er sah mal wieder zum Verschmelzen gut aus in seinem schwarzen Anzug, dem weißen Hemd und der royalblauen Krawatte. Sie selbst trug ein luftiges, türkises Sommerkleid, welches ihre Figur optimal umschmeichelte. »Es ist echt wunderschön«, meinte Ran fasziniert und strahlte ihren Freund an. Dieser rückte ganz gentlemanlike ihren Stuhl vor und bat sie, sich zu setzen. »Ich hoffe, dir schmeckt das Essen.« Nachdem sie Platz genommen hatte, setzte er sich ihr gegenüber. »Lass es dir schmecken.« Ran war ganz aufgeregt. Dafür, dass er sich solche Mühe gegeben hatte für das Candle–Light–Dinner, musste es doch einen Grund geben. War es der gleiche Grund wie damals, als sie beim Restaurant des Baker Centers gegessen hatten? Bisher hatten sie sich nur über banale Dinge unterhalten. An dem Abend, als er zurückgekehrt war, war das Hauptthema die anstehende Reise gewesen. Während des Fluges hatten sie auch nur über ganz alltägliche Dinge gesprochen. Meistens hatte Ran ihm vieles erzählt, was sich während seiner Abwesenheit alles ereignet hatte. Sie stellte keinen Fragen, was er so getrieben hatte in der letzten Zeit. Nicht, weil sie keine Fragen hatte – die hatte sie in Massen. Nein. Schon am Telefon war er ihr immer ausgewichen, und sie wollte ihn daher auch nicht drängen, ihr alles zu erzählen. Sie hoffte geduldig, dass er sich ihr von sich aus öffnete. Sie glaubte ganz fest daran; dass er ihr alles offenbaren würde. Während des Essens blieb es jedoch bei banalen Dingen. Vorerst. »Das war wirklich sehr lecker. Vielen Dank für das Essen.« Gut gesättigt wischte sie sich ihren Mund mit einer Serviette ab. »Freut mich, dass es dir geschmeckt hat«, schmunzelte er und holte tief Luft. Es war nun so weit. »Wie du dir bestimmt denken kannst, hat es einen Grund, warum ich dich so speziell zum Essen ausgeführt habe«, begann er mit ruhiger Stimme, die nicht erahnen ließ, wie nervös er tatsächlich war. »D– Das habe ich mir schon fast gedacht«, erwiderte Ran zaghaft und lächelte, um ihre Aufregung zu überspielen. Ihr Herz schlug wild gegen ihren Brustkorb und das Blut rauschte geräuschvoll in ihren Ohren. Würde sie nun endlich Antworten auf all ihre Fragen bekommen? »Ich habe dich schon einmal aus dem gleichen Grund zum Essen ausgeführt. Du erinnerst dich bestimmt, als wir im Restaurant im obersten Stockwerk des Baker Centers waren? Bevor ich dir jedoch sagen konnte, was ich sagen wollte, kam mir wieder mal etwas dazwischen. Mich hat das ziemlich geärgert; schließlich habe ich diesen Ort auch nicht willkürlich ausgewählt.« Er machte eine kurze Pause und sah ihr fest in die Augen. »Dieser Ort sollte mir eigentlich Glück bringen. Mein Vater hat meiner Mutter dort seine Liebe gestanden und um ihre Hand angehalten.« Er nahm allen Mut zusammen und rückte mit einem Geständnis heraus, welches eigentlich schon längst überfällig war. »Und das Gleiche wollte ich auch tun und würde es gerne hier und jetzt nachholen. Denn hier, auf dieser Insel, haben sie schließlich geheiratet.« Ran saß wie versteinert da. Sie war nicht dazu fähig, sich zu regen. Träumte sie? Passierte das gerade wirklich? Mit einem Mal griff Shinichi nach ihrer Hand und hielt sie fest. Es wurde an der Zeit, dass er endlich klarer und deutlicher wurde. Einfach gerade und unmissverständlich heraus. Denn es war ihm wichtig, dass sie alles sofort richtig verstand. »Was ich dir damit sagen will: Ich liebe dich. Und das schon eine gefühlte Ewigkeit.« Ran traute ihren Ohren kaum. War das auch wirklich kein Traum? Nein, das konnte doch unmöglich wahr sein! Sie war so verwirrt, dass sie kein Wort herausbrachte. Sie war wie erstarrt. »Ich liebe dich«, betonte er noch einmal, um noch einmal sicher zu gehen, dass sie es auch wirklich verstand. »Und ich möchte mit dir zusammen sein. Für den Rest meines Lebens.« Tränen stiegen der jungen Brünetten in die Augen, nachdem sie nun endlich realisiert und verinnerlicht hatte, was er gesagt hatte. Zu ihr. Er liebte sie. Er wollte mit ihr zusammen sein. Für immer. Mit ihr. Ja, ganz genau: Mit ihr! Und endlich fand sie ihre Worte wieder. Eigentlich müsste sie sich nun freuen. Ein Liebesgeständnis von ihm war schon so lange ihr sehnlichster Wunsch gewesen. Ein Wunsch, der sich nie erfüllen würde, so glaubte sie. Und jetzt, wo es nun endlich wahr wurde, hielt sie doch noch etwas davon ab, sich zu freuen: Der Bezug zur Realität. »W– Warum ich? Ausgerechnet ich? Obwohl du jede haben könntest. Ich … kann das nicht glauben.« Shinichi schmunzelte warm. Das war seine Ran. Die stets eine ziemlich niedrige Selbsteinschätzung hatte und sich gar nicht bewusst war, was für ein besonderer Mensch sie doch war. Er wäre nicht der Meisterdetektiv Shinichi Kudo, wenn ihm dafür keine ausführliche Erklärung einfallen würde. »Dann stelle ich dir mal die Gegenfrage: Warum nicht? Okay, ich bin wirklich eine der bekanntesten Persönlichkeiten in Japan und in der Tat werde ich … nun ja, verehrt. Ich bekomme täglich Unmengen von Liebesbriefen. Ich lese sie zwar und finde es süß, was sie für Worte finden. Aber das war es auch schon. Nichts davon berührt mein Herz, denn das habe ich schon seit ich ein kleiner Junge bin an dich verloren. Die anderen Mädchen hatten nie auch nur den Hauch einer Chance gehabt. Und du fragst, warum ich mich ausgerechnet in dich verliebt habe? Ich frage mich, warum du dich selbst immer noch so unterschätzt. Sieh dich doch mal an: Du bist das wunderschönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Und das liebenswürdigste, mitfühlendste, hilfsbereiteste, stärkste Mädchen noch dazu. Du bist ein echter Engel. Ein Engel auf Erden. Der einzige Grund, warum du nicht auch von Liebesbriefen überschüttet wirst, ist, weil Jungs sowas halt eher weniger machen. Sie laufen einem Mädchen auch nicht so sehr in Massen hinterher wie Mädchen das tun. Und wenn es doch mal einen gab, der sich das getraut hat, habe ich ihn ganz unauffällig von dir ferngehalten. Er hatte auch nie die Gelegenheit gehabt, dir nahe zu kommen. Ich habe dich stets belagert. Glaub mir: Es gab sehr viele Jungs, die liebend gerne mit dir zusammen gewesen wären. Und das kann ich ihnen auch gar nicht verübeln: Du bist eine wahre Traumfrau.« Er machte eine kurze Pause und hob seinen Blick zum Himmel empor. Inzwischen war sternenklare Nacht. Der Vollmond strahlte und schenkte ihnen helles, silbernes Licht. Einfach wunderschön. »Du bist wie der hell leuchtendste Stern am Firmament. Es wird endlich mal an der Zeit, dass du auch einsiehst, dass du etwas ganz Besonderes bist. Es gibt noch so viele Gründe, warum ich dich liebe. Und dennoch braucht es keinen einzigen Grund. Dahinter stecken viel zu viele Emotionen, und da haben rationale Argumente keinen Platz. Es muss nicht für alles einen Grund geben, meine Liebe. Ich liebe dich schon fast so lange, wie ich denken kann. Reicht dir das?« Er schenkte ihr sein süßestes Lächeln. Ran war mittlerweile völlig in Tränen ausgebrochen. Die Tränen flossen wie Sturzbäche ihre Wangen hinunter. »Ich liebe dich auch. Aber die Gründe brauche ich dir wohl auch nicht zu nennen, sonst wirst du noch arroganter als ohnehin schon.« Sie gluckste erstickt. Shinichi erhob sich, trat neben sie und bot ihr seine Hand an. »Darf ich um diesen Tanz bitten, Fräulein Mori?« Glücklich schmunzelte sie, bevor sie ihre Hand bereitwillig in seine legte. Sekunden später wirbelten sie ausgelassen auf dem Strand. Die Atmosphäre war bezaubernd; das Knistern zwischen ihnen magisch. Die Magie begann, Funken zu sprühen, als sie aufhörten zu tanzen und sich tief in die Augen sahen. Shinichi hatte seine Arme um ihre schmale Taille gelegt, während sie ihre Arme um seinen Hals hatte. Shinichi näherte sich wie von selbst langsam ihrem Gesicht, und Ran tat es ihm gleich. Sie spürten den warmen Atem des anderen, es waren nur noch wenige Zentimeter. Ihre Augen schlossen sich und dann war der Zeitpunkt da: Ihre Lippen trafen sich und schmolzen zu einem süßen, ersten Kuss zusammen. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben. Nichts war mehr wichtig. Nichts existierte mehr. Nichts war von Bedeutung. Außer sie und ihre Liebe. Das war gestern gewesen. Der mit Abstand glücklichste Tag in seinem Leben. Sein Glück war nahezu perfekt, denn endlich war er mit dem Mädchen zusammen, die er über alles liebte. Und doch trübte etwas dieses Bild. Denn nach wie vor schleppte er vor ihr immer noch dieses Geheimnis herum. Das Geheimnis um seine unfreiwillige Verjüngungskur. Immer noch hatte er ihr nichts davon gesagt. Aber er musste es. Sie durften keine Geheimnisse mehr voreinander haben. Er war die Lügen allemal leid und wollte den Beginn ihrer Beziehung nicht mit Dingen aufbauen, die er selbst am meisten verabscheute. Außerdem wollte er unbedingt einen Schlussstrich ziehen und mit dieser Sache abschließen, sich von diesem Lebensabschnitt endgültig verabschieden. Und das konnte er nur durch ein offenes, aufklärendes Gespräch mit Ran erreichen. Eine weit entfernte Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Shinichi?« Wieder sah er in das warme Lavendel, welches nun Besorgnis ausstrahlte. »Tut mir leid, mein Engel, ich habe nur kurz über etwas nachgedacht, ist aber nicht so wichtig«, entschuldigte er sich und gab ihr somit zugleich eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage. Und hätte sich dafür selbst auf die Zunge beißen können. Jetzt hatte er sie schon wieder angelogen. Er, der Wahrheitsfanatiker schlechthin. War er es inzwischen schon so gewohnt, dass er es ganz automatisch machte? Nein, er wollte ihr alles erzählen. Aber erst später, am Abend. Aber … warum eigentlich? Warum verschob er es immer wieder? Warum war denn nicht jetzt ein guter Zeitpunkt dafür? Schließlich befanden sie sich auf einer Privatinsel. Ungestört waren sie also immer. Eigentlich hatte er es ihr ja schon gestern sagen wollen, aber die Momente des Glücks und der Liebe mit ihr waren einfach zu wunderschön und kostbar, um sie durch ein weiteres, eher weniger prickelndes Geständnis zu zerstören. Er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, das Risiko einzugehen, dass sie danach womöglich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Und dabei merkte er es jetzt schon: Nach der traumhaften Zeit mit ihr würde ihn eine Trennung noch mehr zusetzen als ohnehin schon. Sie würde ihn zu Grunde gehen lassen. Stopp! So durfte er nicht denken! Er musste sich einfach etwas einfallen lassen, um ihr Vertrauen danach wieder zurückzubekommen. Es nur weiter hinauszuschieben würde alles nur verschlimmern und komplizierter machen. Außerdem konnten sie sowieso noch nicht endgültig unbeschwert und grenzenlos glücklich zusammen sein, solange immer noch dieses Geheimnis wie eine unsichtbare Wand sie voneinander trennte. Mit diesem Entschluss erhob er sich von seiner Liege und griff nach Rans Hand. »Lass uns ein bisschen am Strand spazieren gehen. Dann wirst du erfahren, was mich so beschäftigt.« Verwundert über seinen Sinneswandel, dass er plötzlich doch darüber reden wollte, ließ sie sich von ihm ziehen. Wie am Vortag bot sich ihnen auch heute ein atemberaubender Sonnenuntergang, was alles in eine idyllische, romantische Atmosphäre tauchte. Der frische, angenehme Meereswind fuhr durch ihre Haare. »Gestern wollte ich dir eigentlich noch ein Geständnis machen. Ich bin aber irgendwie nicht dazu gekommen. Viel zu glücklich war ich einfach, als ich es endlich geschafft habe, dir meine Liebe zu gestehen und zu sehen, dass dich das ebenfalls unglaublich glücklich gemacht hat.« »Noch ein Geständnis?«, fragte Ran und wurde immer hellhöriger. Er klang so ernst und fast schon … verbittert. Das hörte sich nicht besonders gut an. »Leider kein besonders schönes Geständnis; es ist viel eher eine Beichte«, korrigierte er sich seufzend und sah zum Horizont empor. Ran wurde immer verwirrter. Was wollte er ihr nur sagen? Allmählich bekam sie es sogar mit der Angst zu tun. Was konnte denn so schlimm sein, dass er so lange herumdruckste? »Zunächst einmal solltest du bitte wissen, dass ich alles, was ich getan habe, immer nur aus Liebe zu dir getan habe. Das musst du mir bitte glauben.« Er wandte seinen Blick vom Himmel ab und sah sie beinahe schon mit einem Flehen in den Augen an. Und sogar … mit einer Spur von Ängstlichkeit. Abgesehen davon sah er einfach wunderschön aus im orangenen Licht der Abendsonne. Selbst jetzt, in einer eher ernsten Situation, fiel ihr das auf. Sie legte nun auch ihre andere Hand auf seine und drückte ihn ermutigend. »Natürlich glaube ich dir! Um Himmels willen, Shinichi, was hast du denn angestellt? So schlimm kann das doch gar nicht sein! Langsam machst du mir echt Angst. Egal, was es ist: Ich werde nicht böse sein.« Sie schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. »Wirklich?«, fragte er zweifelnd nach. »So sicher bin ich mir da nicht. Böse wirst du mir bestimmt sein. Ich hoffe nur, dass es nicht solche Ausmaße annehmen wird, dass du mich dann hassen könntest. Ich würde es ja sogar verstehen.« Seine freie, linke Hand legte er zärtlich auf ihre Wange. »Ich liebe dich, und du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr«, hauchte er leise und küsste sie sanft auf die Stirn. Sie schloss ihre Augen und genoss diese Geste, auch wenn sie innerlich ziemlich aufgewühlt war. »So wie es aussieht, hast auch du keine Vorstellung von meiner Liebe, die ich für dich empfinde. Sonst würdest du wissen, dass egal was du auch getan hast, ich dich niemals hassen könnte. Egal was.« Shinichi kniff sich die Augen zusammen. Er hoffte so sehr, dass sie diese Ansicht auch nach seiner Offenbarung noch vertreten würde. Tief holte er Luft und gab sich einen Ruck: »Dieser Fall, an dem ich so lange gearbeitet habe … Er war nicht so, wie du denkst. Er war weitaus komplizierter.« Ran hob ihre Augenbrauen. »Dass er etwas komplizierter war als die anderen – das habe ich mir schon fast gedacht. Sonst hättest du ja nicht so lange daran gesessen.« Ein äußerst unschöner Gedanke kam ihr plötzlich in den Sinn. Okay, das wäre wirklich ein Grund gewesen, ihn zu hassen, doch auch nur für eine bestimmte Zeit. Lieben würde sie ihn trotzdem weiterhin. Ihre Liebe zu ihm würde niemals aufhören zu existieren. Niemals. »Hast du etwa bei einem Mädchen gewohnt?«, platzte sie gereizt raus und kochte bereits vor Eifersucht. Shinichi schluckte. Das war die andere Seite des Engels. Die feurige, temperamentvolle Seite, die er nicht weniger liebte als die andere. Denn all diese Charakterzüge machten sie doch erst zu dem Mädchen, das sie war. Zu dem Mädchen, das er liebte. Auch, wenn ihr Temperament hin und wieder äußerst schmerzhaft für ihn endete. »Also wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ja, das habe ich. Ich musste bei ihr untertauchen während dieser Zeit, um eine größere Chance zu haben, diesen Fall zu lösen.« Und das war ja nun mal wirklich nicht gelogen. Wut und Enttäuschung machte sich in ihr breit. Also doch. Ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich gerade. »Was bedeutet dir dieses Mädchen?«, fragte sie mit zittriger Stimme. Zärtlich lächelte er sie an. »Sie bedeutet mir alles.« Sofort versuchte sich Ran überfordert von seinem Griff loszureißen, doch er ließ nicht locker. »Warte, höre mich bitte weiter an. Es ist nicht so, wie du denkst!«, rief er und sah ihr tief in die Augen. »Willst du denn nicht wissen, wer dieses Mädchen ist?« »Nein danke, ich verzichte«, zischte sie wütend und Tränen stiegen ihr in die Augen. Eindringlich durchbohrte sie ihn regelrecht mit seinem Blick. »Das wäre aber sehr schade. Sag mal, hast du etwa schon vergessen, was ich gestern zu dir gesagt habe? Ich habe schon als kleines Kind mein Herz an dich verloren. Es hat nie ein anderes Mädchen für mich gegeben!« In Rans Gehirn arbeitete es. Er hatte also die ganze Zeit bei ihr gewohnt? Aber das konnte doch nur bedeuten … »Conan«, flüsterte sie leise und sah fassungslos zu Boden. »Ich musste es tun. Mir blieb keine andere Wahl, weil ich dich beschützen wollte. Ich wollte dich nicht mit in diese Sache hineinziehen.« Verzweifelt strich er sich über das Haar. Er hoffte so sehr, dass sie ihn verstehen würde. Rans leise, aber bebende Stimme ertönte. »Warum? Erkläre es mir bitte. Ich will es verstehen. Ich möchte dich verstehen.« Erleichtert seufzte er auf. Wenigstens war sie bereit, ihm zuzuhören. Und so begann er zu erzählen. Sie spazierten bis tief in die Nacht durch den Strand; ihre Füße wurden vom Meerwasser durchgespült. Er redete und redete und sie hörte ihm interessiert zu. Bis sie letztendlich im Schlafzimmer ankamen. »Schlaf schön, Ran«, wünschte er ihr mit einem sanften Lächeln, doch diese blieb unschlüssig am Türrahmen stehen. »Was ist los?«, fragte er sie verwirrt und ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern. »Ich möchte gerne weiter reden. Möchtest du vielleicht … ähm … dich zu mir legen?« Sie wurde rot wie ein Feuerwehrauto. Auch Shinichi wurde verlegen. Doch natürlich stimmte er zu, denn er wollte nichts lieber als das: Ihr nahe sein. Und so legten sie sich in ihr großes Himmelbett und drehten sich einander zu. Es wurde lange weiter geredet, bis er endlich mit seiner Zerschlagung der Schwarzen Organisation geendet hatte. Es folgte ein kurzes Schweigen. Irgendwann fand sie dann doch ihre ersten Worte, während sie ihn einfühlsam betrachtete. »Wirklich unglaublich. Hätte ich das nicht selbst mitgemacht, hätte ich dir wohl kein Wort geglaubt« »Ich hoffe, dass du mich, nachdem du jetzt alles weißt, besser verstehen und mir irgendwann all meine Lügen verzeihen kannst. Und vor allem, dass du mir bald wieder vertrauen kannst.« Mit einem hoffnungsvollen Schimmern in den Augen strich er ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ran lächelte ihren Freund zuversichtlich an. »Ich habe dir schon längst verziehen. Schließlich hattest du ja deine Gründe gehabt, das alles zu tun. Und du hast ja auch darunter gelitten. Ich danke dir, dass du immer bei mir warst und mich immer beschützt hast. Ich hatte ja schon immer das Gefühl gehabt, dass du ganz in meiner Nähe bist.« Shinichi war so ergriffen von ihrer Reaktion, dass er sie augenblicklich in seine Arme zog und fest an sich drückte. »Ich werde dich niemals gehen lassen, mein Engel. Verlass dich drauf!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)