Blutige Rose von Moonprincess ================================================================================ Kapitel 7: Getrieben -------------------- Yugi wußte nicht mehr, wie Anzu ihn aus dem Wäldchen geführt hatte. Einer der Lehrer war erschienen und hatte Yugi auf  einen Klappstuhl gesetzt, der wohl deshalb so hieß, weil er so klapprig war. Davon abgesehen bekam Yugi nichts weiter mit.  Tot, tot, tot... Atems angestrengte Stimme hallte immer und immer wieder in seinem Schädel nach.  Eine Decke wurde Yugi um die Schultern gelegt. Irgendjemand verband ihm die Hände und klebte Pflaster in sein Gesicht.  Yugi ließ es geschehen. Irgendwann trat ein weißgekleideter Mann vor Yugi, doch dieser rührte sich nicht. Sein Kopf wurde  angehoben, helles Licht schien in seine Augen. "Akute Belastungsreaktion", hörte er eine Stimme von weit her, so dumpf  war sie.  Yugi blinzelte, sein Magen rebellierte plötzlich. Yugi beugte sich vor, ein ekelhaftes Geräusch ertönte (War das er?),  dann brannte Magensäure in seinem Mund und seiner Nase. Es war widerlich! Eine grün schimmernde, bepelzte Hand reichte ihm einen Becher Wasser. Yugi trank, wusch seinen Mund, dann spie er es aus. Einmal, zweimal, dreimal... Der Geschmack nach Säure ließ nach,  der Geruch nach Blut blieb. Hände versuchten, ihn hochzuziehen, doch Yugi reagierte nicht. Stumm starrte er geradeaus, in den Nachthimmel, der  voller Wolken hing. Er konnte keinen Stern erkennen. Ein neues Paar Arme schlang sich um Yugi und dieser fühlte sich  so einfach hochgehoben wie ein Kätzchen. Die Stimme war warm, beruhigend. Yugi schloß die Augen und schmiegte sein  Gesicht an den Hals seines Trägers. Er riß sie wieder auf, heftig atmend. Scharfe Zähne, boshafte Augen... Er wimmerte. Die Stimme sprach wieder zu ihm,  Yugi wurde auf etwas Weichem abgesetzt. Dann zog eine Hand Yugi die verrutschte Kopfbedeckung samt Perücke vom Kopf. Yugi starrte auf ein blaues Hemd, zerrissene Jeans... Darunter dunkle Haut. Er hob eine Hand und strich über einen kräftigen,  kühlen Arm. "Nicht... alleine sein." Yugi kam seine eigene Stimme fremd vor, kratzig, zerschmettert. Etwas von Krankenschwester erreichte seine  Gehirnwindungen. Er schüttelte den Kopf und klammerte sich an dem Arm fest. "Gut, ich bleibe. Aber du mußt mich loslassen. In dem Aufzug kannst du nicht schlafen." Die Stimme war plötzlich ganz klar  und Yugi nickte, während er losließ. Er hob die Arme über den Kopf und wie ein kleines Kind ließ er sich bis auf die  Unterwäsche ausziehen. Er sank auf sein Bett und wieder wurde eine Decke, diesmal seine eigene, über ihn gelegt.  Holz glitt über Holz. Yugi sah die Jeansbeine, die vor ihm platznahmen. Er lächelte seltsam beruhigt. "Schlaf jetzt, Yugi. Ich werde dich beschützen." Yugi blinzelte, er wollte wachbleiben, in seinem Kopf lauerten Dinge, für die er keinen Namen hatte. Doch er konnte nicht.  Seine Augen schlossen sich, sein Körper entspannte sich und bald fühlte er nicht mal mehr Angst. Als er die Augen wieder aufschlug, war seine Kehle rauh, als hätte er stundenlang geschrien, sein Herz schlug wie wild gegen  seine Rippen und sein Gesicht und seine Hände schmerzten. Er konnte sich nicht erinnern, etwas, irgendetwas, geträumt  zu haben und doch...  Yugi setzte sich langsam auf. Alles wirkte grau, so alles wäre alle Farbe aus der Umgebung geflossen. Doch ein Blick auf  die Uhr enthüllte Yugi, daß es bereits später Vormittag war. Als er direkt neben sein Bett sah, prallte er vor Schreck zurück,  bevor er die im Schatten sitzende Gestalt als Atem erkannte. Dieser hatte sich zurückgelehnt, den Kopf auf die Lehne  gelegt und schien zu schlafen. Langsam, keuchend rutschte Yugi aus dem Bett und tastete mit nackten Zehen nach seinen Hausschuhen. Da! Er stand auf,  schwankte erst eine Sekunde, blinzelte, dann ging er zu seinem Schreibtisch, von dem ihn die Wasserflasche anlächelte. Er hatte vielleicht zwei Schritte gemacht, da schnappten Atems Augen auf. Yugi öffnete den Mund, die Augen groß.  Für einen Moment hatte er Rot gesehen. Tiefes, bösartiges Rot. Er taumelte gegen den Tisch und stützte sich ab. "Yugi? Du bist blaß." Atems besorgte Stimme ließ Yugi aufblicken. Atem war aufgestanden und trat zu ihm, barfuß, wie  irgendein Teil von Yugis Hirn noch bemerken konnte. "Wasser", murmelte Yugi und tastete nach der Flasche, öffnete sie und trank die Hälfte in einem Zug aus. Sein Mund  schmeckte besser und seine Kehle schien sich zu beruhigen. "Warst du die ganze Zeit hier?" "Ich hatte es dir versprochen." Atem führte Yugi zu dessen Bett und setzte ihn. Yugi hielt seine Flasche fest. "Wie geht es dir?"  erkundigte er sich langsam. Yugi schüttelte den Kopf. "Welche Antwort erwartest du?" "Keine gute. Aber die Polizei will dich befragen, so schnell wie möglich." Allein der Gedanke, seine gestrigen Erlebnisse auch nur im Geiste noch einmal zu durchleben, ließ Yugis Magen sich  zusammenziehen. Schweiß erschien auf Yugis Stirn. "Yugi?" Wieder diese Besorgnis... "Ich... Ich will nicht", wisperte Yugi niedergeschlagen und schloß die Augen. "Sie haben darauf bestanden. Ich muß das auch noch über mich ergehen lassen. Yugi, Dr. Takano wird dabei sein.  Du bist nicht allein." Atem kniete plötzlich vor Yugi und blickte diesem tief in die Augen. "'Du kannst es. Wenn du willst,  kommen sie hierher." Yugi wollte am liebsten nichts und niemanden mehr sehen. Doch was blieb ihm übrig? Er hatte die Tat gesehen, was er  erzählte könnte wichtig sein und helfen, denjenigen zu fassen, der Vivian ermordet hatte. Erzitternd schlang er die Arme  um sich, die Flasche preßte sich an seinen Bauch. "Was ist mit meinen Eltern?" "Der Direktor versucht noch, sie zu erreichen. Hinterindien ist wohl nicht gerade gut ausgestattet, was Telefone angeht."  Atem drückte kurz Yugis Hand, dann stand er auf. "Die anderen wollen alle wissen, wie es dir geht." "Muß ja ein großes Kommen und Gehen gewesen sein." Yugi lachte bitter. "Du bist beliebt", erklärte Atem nebenbei, während er Yugi dessen blauen Bademantel reichte. "Die Schulschwester wird sich  deine Wunden ansehen, sobald du mit der Polizei gesprochen hast. Außer natürlich du willst jetzt..." Yugi schüttelte den Kopf zu Atems hastiger Hinzufügung. "Bringen wir's hinter uns", wisperte er. Danach konnte er sich  verkriechen und versuchen, sich wieder zu beruhigen. Der Kommissar, ein Mann mit graumeliertem Haar und Haut wie gegerbtes Leder, brachte mit sich den Geruch von  Zigarettenrauch und den Schulpsychologen. Yugi kannte den zweiten genauso wenig wie den ersten, der sich als  Kommissar Watanabe vorstellte.  Im Bett sitzend ließ Yugi einen ganzen Fragenkatalog über sich ergehen und antwortete mit leiser Stimme.  Atem war gegangen. Er würde auch noch befragt werden. Ob er sich auch so schrecklich fühlte wie Yugi gerade?  Wahrscheinlich nicht, er war so viel stärker und beherrschter, während Yugi mittendrin in Tränen ausbrach. Der  Psychologe wollte abbrechen, doch Yugi weigerte sich. Er wollte das hier schaffen, für Vivian und für seine eigene Ruhe. Yugi erzählte alles, was er gesehen hatte, er sprach von den Augen, den Zähnen, dem Knurren, den Blick stur auf seiner  Bettdecke. Als er geendet hatte, füllte Schweigen den Raum. Müde hob er den Kopf. Was er in den Gesichtern seiner Zuhörer  sah, überraschte ihn nicht.  "Sie glauben mir nicht." "Du hast einen Schock erlitten, Yugi", meinte schließlich Dr. Takano. "Dennoch kann jedes Detail uns helfen, selbst wenn es im Moment unsinnig erscheint", unterbrach Watanabe ihn und  klappte sein Notizbuch zu. "Yugi, danke. Das hast du sehr gut gemacht." Der scheute vor der großen Hand zurück, die der Kommissar auf seine Schulter legen wollte. "Der Mörder muß gefaßt  werden", antwortete Yugi nur und umarmte seine Knie. "Ruh dich aus. Deine Aussage hat mir mehr geholfen, als du glaubst." Watanabe lächelte Yugi schief an und schob ihm  dann noch eine Visitenkarte zu. "Falls dir noch etwas einfällt, gleich was, ruf mich an." Yugi nahm die Karte, ohne sie anzusehen, dann nickte er. Watanabe ging, doch Takano blieb. Yugi wollte nicht mit ihm  reden, aber der schien Yugi alles vom Gesicht ablesen zu können. Irgendwann weinte Yugi wie verrückt, sein Schluchzen  hallte in seinen Ohren und im Zimmer wieder. Seine Brust schmerzte höllisch. Und doch, als Takano ging, fühlte Yugi sich,  als hätte der ihm einen Stein von der Brust gehoben.    *** Später saß Yugi, ein Tablett mit Essen auf den Knien, auf dem Bett, Emi und Jonouchi davor. Sie erzählten von ihrer  vergeblichen Suche gestern und daß Jonouchi es geschafft hatte, Kaiba beim Schach zu besiegen. "Du hättest es sehen müssen! Er hat nur so von Schleim getrieft und dabei mit den Backenzähnen gemahlen..."  Jonouchi kicherte albern. "Soviel dazu, daß ich nichts drauf habe." "Das ist toll, Jonouchi." Yugi lächelte müde und rührte mit dem Löffel im Grießbrei. "Wir haben die Figuren eingepackt. Sie stehen im Lehrerzimmer, bis du sie abholen kannst", fuhr Emi fort. Ihr Lächeln  schwankte zwischen unsicher und sorgenvoll. Yugi konnte es ihr nicht verdenken, er wußte selbst nicht, wie er sich fühlen sollte. "Danke." Er nahm noch einen Bissen,  dann stellte er das Tablett auf den Nachttisch. "Bist du sicher, daß dir das reicht?" fragte Jonouchi ungläubig nach und Yugi mußte kichern. "Ganz sicher." Er lehnte sich gegen die Kissen. "Morgen darf ich wieder aufstehen, hat der Arzt gesagt." "Das ist gut." Emi stand auf und deckte Yugi gut zu. "Du sahst gestern zum fürchten aus." "War ja auch Halloween." Der Witz klang selbst in Yugis Ohren hohl. Er zuckte zusammen, als sein Handy zu vibrieren anfing  und über den Tisch rutschte wie ein Insekt aus dem Labor eines verrückten Wissenschaftlers. Jonouchi sprang auf und ging ran. "Hier bei Yugi Muto, dem kleinen Zauberlehrling?" Yugi patschte sich an die Stirn. "Jonouchi, bitte." "I-ich? Ich mobbe doch keine Leute!" schrie Jonouchi gerade ins Telefon. "Und wer bist du überhaupt? Dein Name, nicht dein  Motorrad, du Scherzkeks." "Ist das Honda?" Plötzlich saß Yugi kerzengerade im Bett und streckte Jonouchi die Hand hin. "Der heißt wirklich so?" Jonouchi blinzelte verwirrt, dann reichte er das Handy an Yugi weiter. Der schüttelte den Kopf und drückte das kleine Gerät an sein Ohr. "Honda, hallo. Wie gehts?" "Miho und ich sind in Ordnung. Sag mal, was war das denn für ne Type?" Yugi grinste über Hondas empörten Tonfall. "Jonouchi. Er hat manchmal eine größere Klappe als gut für ihn ist, aber er  hat das Herz am rechten Fleck." "Sehr treffend", murmelte Emi kichernd und Jonouchi machte ein merkwürdiges Geräusch zwischen Zufriedenheit und Ärger. "Dann bin ich beruhigt, was das betrifft. Wir haben gehört, daß es bei euch an der Schule..." Honda zögerte. "Woher?" "Die Presse. Sind wie die Geier! Aber immerhin konnten wir so mal sehen, wo du jetzt steckst." Hondas Stimme klang  schwer von Sorgen. "Die Polizei hat mich heute schon befragt", erzählte Yugi. "Sie haben mir wohl nicht geglaubt, aber dieser Kommissar hat  wenigstens versucht, mich gut dastehen zu lassen." "Wieso befragt die Polizei dich?"  Yugi konnte direkt sehen, wie Honda die Stirn in Falten legte. "Ich hab... zugesehen. Also wie er sie..." Seine Kehle wurde  eng. Plötzlich sah er wieder die zerfetzte Kehle und in welch seltsamem Winkel ihr Kopf gelegen hatte. "Kumpel, he, Kumpel? Scheiße, Yugi! Was ist das für ein Höllenloch?" Yugi fühlte, wie seine Wangen zum wiederholten Mal an diesem Tag feucht wurden. "Ich weiß es nicht! Und niemand kann  meine Eltern erreichen." Er schluchzte. "Honda, ich habe Angst! Er hätte mich gestern auch fast erwischt. Ich will nicht sterben!"  Er keuchte und seine Finger schmerzten, mit solcher Kraft hielt er das Handy umklammert. "Ich will nicht... Ich... ich..." "Yugi, ich komme. Scheißegal, was meine Eltern sagen, ich setze mich in den nächsten Zug." "Aber, Honda..." "Kein Aber! Wer auch immer das war, wenn er dir zu nahe kommt, hau ich ihm das Licht aus." Honda war laut genug, daß  selbst Emi und Jonouchi es hörten. Letzterer ließ seine Fäuste knacken. "Du sagst es, Mann! Und ich halt ihn für dich fest." "Jonouchi, du bist nach meinem Geschmack", war Hondas begeisterte Antwort. Tatsächlich kam Honda schon am nächsten Tag mit dem Zug. Er brachte Blumen mit, Yugis Lieblingsschokolade, ein Spiel  und einen langen Brief von Miho.  Er übernachtete in Yugis Zimmer und Yugi tat es seltsam gut, seinen alten Freund wiederzusehen und mit ihm über alles  Mögliche zu sprechen. Jonouchi verstand sich auch sehr gut mit Honda und daß die beiden ihre Nummern tauschten, wunderte Yugi nicht. Atem  sah ebenfalls noch einmal vorbei. Er wirkte angespannt und müde, doch war er zufrieden, daß Yugi nette Gesellschaft hatte  und verabschiedete sich bald wieder. Yugi dachte an seine Erkenntnis zurück, als er schwitzend über den Spielfiguren gesessen hatte, um sie mit grünem Wasser zu  befüllen. Er hatte Freunde... Und Atem hatte sogar gesagt, Yugi sei beliebt. Es war ihm schwergefallen, das zu glauben, aber all das hier war ein Beweis, daß seine Freunde bei ihm waren, selbst dann,  wenn sie Meilen trennten. Das machte es leichter, nachts die Augen zu schließen, leichter über das Geschehene zu sprechen. Takano kam auch noch und Yugi wußte nicht, wie er mit der ganzen Aufmerksamkeit umgehen sollte, die ihm an einem  Tag zuteil wurde. Es erleichterte ihn, als der zweite Tag nach Vivians Tod vorbei war und der dritte anbrach. Yugi  verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer, es wurde ruhiger. Honda spielte mit ihm sooft Monopoly, bis Yugi das  Spielgeld schon im Schlaf zählen konnte. Erst abends, sie waren bei der gefühlten tausendsten Partie, kam eine sich sichtlich unwohl fühlende Schülerin aus Yugis  Parallelklasse und ließ Yugi wissen, daß Atem ihn sehen wollte. Yugi fuhr sich durch sein Haar, während er langsam durch die leeren Korridore ging und verlassene Treppen hinaufstieg.  Das Wohnheim war unheimlich still und als Yugi ein lautes Lachen hörte, rutschte ihm unwillkürlich das Herz in die Hose.  Er atmete durch, als er endlich vor Atems Türe stand und klopfte. Er mußte nicht lange auf das Herein warten. Atem stand am Fenster, den Rücken zur Tür gewandt, die Hände in den Hosentaschen versenkt. Yugi trat langsam näher. "Hallo. Was gibt es?" erkundigte er sich leise. Atem wandte sich um und Yugi erschrak, als er Atems verkrampfte, steife Miene sah. Sein Tutor sah aus, als sei er über  Nacht um Jahre gealtert. Atem deutete auf einen Stuhl, bevor er schließlich die Zähne auseinanderbrachte. "Hallo, Yugi. Du siehst besser aus. Ich hoffe, du fühlst dich auch besser." "Etwas. Alle kümmern sich um mich. Honda ist ja sogar aus Domino gekommen", erzählte Yugi und ließ sich unsicher auf  den Stuhl sinken. "Ja, richtig. Dein alter Schulfreund. Bleibt er noch lange?" Atem wirkte, als suchte er krampfhaft nach einem Thema. Yugi glaubte nicht, daß er ihn dafür hergerufen hatte. "Er fährt morgen Vormittag zurück." Atem nickte. "Worüber wolltest du  mit mir sprechen?" "Ich bin ab heute nicht mehr dein Tutor", eröffnete Atem. Er blickte den zweiten Stuhl an, dann stützte er sich mit den Händen  auf der Lehne ab. Seine Knöchel schimmerten weiß. Yugi blinzelte. "Was?" "Es hat nichts mit dir zu tun", beeilte Atem sich hinzuzufügen. "Meine... Umstände... erlauben mir keine andere Möglichkeit." "Umstände? Atem, du sprichst in Rätseln." Normalerweise mochte Yugi sie, aber gerade fand er Atems Benehmen verwirrend  und frustrierend. Atem blickte Yugi schließlich direkt in die Augen und dem machte der Ernst darin fast schon Angst. "Vor dir steht der  Hauptverdächtige in der Mordermittlung Vivian Wong", erklärte Atem mit plötzlich fester Stimme. Yugis Augen wurden groß. "Das... ist ein Scherz! Ich weiß, ich dachte auch, du wärst es gewesen, aber nur als Streich!  Nicht als... als..." "Mörder", sprach Atem aus, was Yugi so schwerfiel. Yugi senkte den Kopf. "Was habe ich nur gesagt?" "Du hast damit nichts zu tun. Es ist kein Geheimnis, daß ich Vivian nur schwer ertragen konnte. Und unsere  Auseinandersetzung nur kurze Zeit vor ihrer Ermordung wurde nicht nur von dir gesehen. Das haben auch viele andere  und dank des Tratsch-Netzwerks wußte bald die ganze Schule Bescheid, einige Lehrer eingeschlossen." Atem setzte sich mit einer Schwerfälligkeit  auf den Stuhl, als sei er ein alternder General, der gerade die wichtigste Schlacht seines Lebens verloren hatte. "Aber Anzu sagte, du warst nur fünf Minuten weg", versuchte Yugi zu verstehen, was ihm unbegreiflich schien. "Sie halten sie für voreingenommen in meinem Sinne." Atem schüttelte den Kopf und hob eine Hand. "Laß es, Yugi. Sie haben  mehr als genug gute Gründe." "Die würde ich aber gerne kennen!" Yugi stand auf und beugte sich, die Fäuste auf den Tisch gestützt, zu Atem. "Wir sind  doch Freunde. Wenn ich dir helfen kann..." "Das Blut auf meinem Hemd." "Hm? Wie bitte?" "Es war echt." "Was?" Yugi fielen fast die Augen aus den Höhlen. "Du hattest echtes Blut auf den Sachen? Ja, aber, warum?" "Schweineblut", verbesserte Atem. "Es sollte echter aussehen." "Also habe ich mich nicht getäuscht, ich habe Blut an dir gerochen." "Nicht nur du. Aber ich habe mich umgezogen, nachdem Polizei und Notarzt informiert waren." Atem ließ den Kopf leicht sinken. Yugi erinnerte sich dunkel an Atems abgerissene Kleidung. "Aber..." "Und ich habe das Hemd in das Lagerfeuer geworfen", fuhr Atem unbeirrt fort. "Es war zu schmutzig, um es noch zu reinigen.  Das haben auch mehrere gesehen." "Und jetzt denken sie, du hast was zu verbergen." Yugi plumpste auf den Stuhl zurück und rieb sich stöhnend das Gesicht. Atem nickte. "Ich darf laut Schulleitung nicht mehr Tutor sein und meine Position als Schülersprecher wurde mir auch  aberkannt. Bis ich entlastet bin." "Und ich dachte, es gilt die Unschuldsvermutung." Von soviel Ungerechtigkeit brannte Yugis Magen. "Die Schüler müssen mir vertrauen können. Und das tun sie nun nicht mehr. Die meisten jedenfalls." Atem sah Yugi an und  lächelte leicht. "Jetzt habe ich dir viel mehr erzählt, als ich vorhatte. Leider muß ich dir noch zwei Dinge sagen." Yugi nickte niedergeschlagen. Er ahnte, daß es ihm genauso wenig gefallen würde wie das Gespräch gerade eben. "Es gibt morgen um 16 Uhr eine Gedenkfeier für Vivian in der Aula. Und, Yugi,..." Der blickte Atem aufmerksam an. "Halte dich die nächste Zeit von mir fern." Yugi starrte Atem sprachlos an, dann schüttelte er den Kopf. "Tu es bitte. Du hast noch nicht gehört, was inzwischen alles über mich an der Schule kursiert. Damit komme ich zurecht,  aber ich will nicht, daß sie anfangen, auch noch verbal auf dich Dreck zu werfen. Du brauchst Ruhe und du hast es nicht  verdient, dafür zu leiden, ein gutes Herz zu haben." "I-ich... Atem, ich komme klar!" Yugi sprang auf und umrundete den Tisch, bis er neben Atem stand und diesem eine Hand  auf die Schulter zu legen. Die Muskeln waren hart. "Ich kann dich doch nicht einfach im Stich lassen, wenn ich weiß, daß du  Vivian nichts getan hast... außer sie mit falschem Schleim zu bespritzen." Atem lachte kurz auf. "Danke, Yugi." Seine Hand, langfingrig, kräftig, kühl, legte sich auf Yugis kleine, heiße. Wärme erblühte  wie eine Knospe in Yugis Körper. "Dennoch... Das hier ist nicht dein Kampf. Ich will nicht, daß du da mit reingezogen wirst." "Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen, weißt du?" "Ja. Aber das hier... Wer auch immer das getan hat, er könnte es jederzeit wieder tun." Yugi schüttelte den Kopf. "Das weißt du nicht. Deshalb mußt du mich nicht fortschicken. Außerdem kannst du doch Zeugen  gebrauchen, sollte noch etwas passieren. Dann hast du ein Alibi." Atem schob Yugi sanft ein Stück zurück und stand auf. Er sah Yugi in die Augen. "Laß das mal meine Sorge sein. Wichtiger ist, daß du nicht in meine Probleme involviert wirst." "Aber..." Atem hob eine Hand und schüttelte den Kopf. "Yugi, tu mir bitte diesen Gefallen. Sicher wird sich bald alles aufklären. Du  sollst nur nicht ins Kreuzfeuer geraten." Yugi senkte den Kopf. "Na schön! Wenn du meinst... Du weißt, wo du mich findest." Er drehte sich um und ging zur Tür. Als er  sie öffnete, hätte er schwören können, ein trauriges Seufzen zu hören, doch als er nochmal zurückblickte, stand Atem noch  immer am Tisch und starrte ihm hinterher, ausdruckslos. Dann lächelte Atem schief. "Ich weiß. Gib auf dich acht." Atems warme Stimme begleitete Yugi noch bis in sein Zimmer, doch als er Hondas fragenden Blick sah, wurden seine Augen  feucht. "Er will mich nicht mehr sehen." "Äh... Hab ich was verpaßt?" Honda setzte sich neben Yugi auf das Bett. In Kürze erzählte Yugi, was passiert war, während er um seine Fassung rang, danach schwiegen sie beide eine Weile. "Er mag dich", erklärte Honda schließlich mit fester Stimme. "Er will dein Bestes. Deshalb sollst du wegbleiben." "Aber Freunde..." "... stehen zueinander", beendete Honda nickend. "So wie Atem gerade dir beistehen will, obwohl er selbst genug Probleme  hat. Ähm, du bist dir ganz sicher, daß...?" "Ja, natürlich!" Verärgert rieb Yugi über seine Augen. Dann sah er Honda an, das Kinn vorgereckt. "Ich werde ihm auch  beistehen. Ich finde schon was, das er mir nicht verbieten kann." "Du magst ihn auch." Honda grinste. Nun war es an Yugi, fragend dreinzublicken. "Oh, tu nicht so! Du hast ihn gestern angesehen wie eine göttliche Erscheinung.  Nicht mal ich bin so blind, daß ich das übersehe." "Ja, gut, er sieht gut aus..." "Und du bürgst für seinen guten Charakter." Honda knuffte Yugi in die Seite. "Wir sind Freunde, nur Freunde. Das mache ich nicht kaputt." Yugi nickte bekräftigend. "Ich werde nicht nochmal eine  Freundschaft aufs Spiel setzen." "Weil Freundschaft und Liebe sich ja auch immer gegenseitig ausschließen."  "Honda, ich will auch nicht noch einen Spießrutenlauf durchmachen, einer hat mir gereicht. Das ist genug für eine laaange Zeit." Der erwiderte eine Weile nichts mehr, doch sein Blick war mitfühlend. "Du hast es deinen Eltern noch immer nicht gesagt." "Nein. Ich denke nicht, daß ich das kann. Großvater... Er sagte, er würde mich unterstützen dabei. Manchmal weiß ich nicht,  wie ich ohne ihn noch weitermachen soll." Yugi starrte auf seine dunklen Hausschuhe. Honda legte einen Arm um ihn und nach einer Weile fühlte Yugi, wie es ihm leichter ums Herz wurde. Er konnte nur hoffen,  daß es anhielt.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)