Blutige Rose von Moonprincess ================================================================================ Kapitel 6: Monster ------------------ „Wow! Du siehst cool aus.“ Jonouchi betrachtete bewundernd das violette Kostüm. Er und Yugi standen auf dem Flur zu  ihren Zimmern. Yugi lächelte verlegen. „Es war das Beste, was ich machen konnte.“ Er sah an sich hinunter. Auf die Rüstung an den Beinen  hatte er verzichten müssen, dafür trug er eine längere Robe. Mit seinen kurzen Beinen hätte es anders einfach zu seltsam  ausgesehen. Wie ein Schwarzer Magier, der nach dem Waschen eingelaufen war. „Ohne Emis Hilfe würde ich wahrscheinlich  ganz schrecklich aussehen. Auf die unerwünschte Art.“ Er strich den weichen Stoff glatt, dann nahm er den Koffer neben sich  auf, ächzte und setzte ihn gleich wieder ab. Jonouchi grinste und schob den schwarzen Hundekopf von seinem blonden Schopf in den Nacken. „Laß mich das machen.  Puh! Sind da... Steine drin?“ „Spielsteine“, antwortete Yugi lachend und nahm seinen grünen Stab auf. „Wir müssen sie nach unten tragen zum Spielfeld.“ „Dein Opa war ein echt cooler Kerl... und stark wie zehn Ochsen.“ Jonouchi schleppte den Koffer mit zusammengebissenen  Zähnen den Gang hinunter zur Treppe. Er schwitzte bereits jetzt in seinem Fell. Yugi ging ihm voraus und sorgte dafür, daß kein Scherzkeks sie erschrecken konnte. Seit heute morgen war Rosenhain im  Ausnahmezustand. Selbst für den verkürzten Unterricht heute waren einige schon teilweise oder komplett kostümiert  erschienen. Yugi hatte heute bereits eine Begegnung mit Freddy Krüger hinter sich, zwei Sadakos (deren Gekicher aber den  Effekt ruinierte), einer Angela Baker und einem fluchenden Leatherface mit zerbröselter Papp-Kettensäge.  „Das war er. Also cool.“ Yugi spähte um die nächste Ecke, erschreckte sich und erkannte erst dann, daß es nur ein Rudel  Gummispinnen war, das die Treppe übernommen hatte. Yugi schob sie so beiseite, daß Jonouchi den Koffer unfallfrei die  Treppe hinunterziehen konnte. „Wer hat dir den eigentlich geschickt?“ „Miho hat einen Schlüssel, falls ich etwas von daheim brauchen sollte. Sie hat ihn mir geschickt... mit Hilfe Hondas und des  Paketboten.“ Yugi fühlte Reue. „Ich hatte nicht bedacht, daß echte Steine soviel wiegen. Vielleicht sollten wir Bakura um Hilfe  fragen?“ „Wieso denn das halbe Hemd?“ Jonouchi mußte auf der Mitte innehalten und sich schnaufend die Arme reiben. „Oh, er ist stark. An meinem ersten Abend hat er einfach so meinen Koffer aufgehoben. Wirklich hoch in die Luft“, erzählte Yugi.  „Wundert mich. Bakura ist echt mies in Sport. Er hält nie die Bälle beim Fußball und meine Oma tritt fester zu.“ Yugi zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war es auch nur eine Ausnahmeleistung.“ Jonouchi nickt. „Das wird’s sein.“ Zusammen mit Yugi, der sich seinen Stab unter den Arm klemmte, stemmte er den Koffer  hoch und sie schleppten ihn vor die Tür des Wohnheims. Draußen erwartete sie Morticia Addams, die sich beim zweitem  Hinsehen als Anzu entpuppte. Sie starrte die Jungen entsetzt an, dann rief sie nach Kaiba und nahm Yugi den Stab ab.  Jonouchi knurrte, aber Yugi war dankbar über jede Hilfe. Und Anzu konnte in dem Kleid gerade mal winzige Schritte machen.  Mit vereinten Kräften wuchteten die drei Jungen den Koffer zum Spielfeld. Als er endlich stand, wischte Yugi sich den  Schweiß von der Stirn.  „Ich hätte das Ding zuerst runterschaffen sollen und mich dann umziehen“, meinte er keuchend. „Ein wirklich komplizierter Gedankengang“, warf Kaiba ein und richtete sich auf, um sein braunes, felliges Kostüm gerade zu  ziehen. Verächtlich blickte er Jonouchi an. „Uh, ein schwarzer Köter, wie gruselig.“ „Halt die Klappe! Niemand hat nach deiner Meinung gefragt.“ Jonouchi ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesicht lief noch  röter an. „Was bist du überhaupt? Rotkäppchens flohverseuchter Fellvorleger?“ „Ich bin ein Wolf, du domestiziertes Haustierchen!“ Kaibas Augen verengten sich und seine Lippen kräuselten sich. „Und ich bin der Hund von Baskerville! Schon mal gelesen?“ Jonouchi bleckte die Zähne. „Ja, öfter als du in deinem ganzen Leben überhaupt gelesen hast.“ „Was willst du damit andeuten, Harry von den Hendersons?“ Yugi seufzte und schüttelte den Kopf. Wenn er eines gelernt hatte, dann daß es absolut sinnlos war, Jonouchi und Kaiba  zu trennen. Aber immerhin bellten sie nur und das hieß ja, sie würden nicht beißen... Yugi schüttelte erneut den Kopf.  Woher kamen gerade alle diese Hunde-Vergleiche? „Wie wäre es mit einer Tollwut-Impfung? Du schäumst ja schon!“ spottete Kaiba gerade und Jonouchi sah aus, als würde er dem Größeren gleich an die  Kehle springen, da legte sich eine weiß behandschuhte Hand auf Jonouchis Schulter. „Seto, Momoko und Kenji brauchen Hilfe beim Aufhängen der Girlanden. Würdest du bitte? Ich bin leider nicht groß genug.“  Ein Mann mit weißer Halbmaske trat zwischen die beiden Kontrahenten, als würde all deren Spannung an ihm einfach  abprallen. Es dauerte einen Moment, bis Yugi unter dem breitkrempigen Hut Atems Haare sah. Er lachte überrascht auf und Atem  blickte ihn mit einem kleinen Lächeln an. Kaiba murmelte etwas Grantiges, dann drehte er um und mit weitausholenden Schritten verschwand er in der Aula, um  bei den Ballvorbereitungen zu helfen. „Danke“, sagte Yugi. „Sonst hätten sie heute nicht mehr aufgehört.“ „Dieser reiche Pinkel legt es doch drauf an!“ empörte Jonouchi sich, aber als er Atem ansah, ging ihm sichtlich die Luft aus. „Ich weiß, Seto ist... schwierig, doch du solltest dich nicht ständig in seine Probleme mit hineinziehen lassen“, mahnte Atem.  „Das sagt sich so leicht...“ Yugi nickte mit einem schiefen Lächeln. „Leider wahr. Er ist wirklich sehr anstrengend.“ Atem zuckte hilflos mit den Achseln, dann sah er Yugi genauer an. „He, das ist ein tolles Kostüm!“ Yugi kratzte sich verlegen an der Wange. „Ach... Du siehst auch sehr gut aus. Der schwarze Umhang, der feine Anzug  und die Maske... Du bist das Phantom der Oper, richtig?“ „Wisse, daß ein Leichnam dich liebt“, zitierte Atem schmunzelnd. Yugi lief feuerrot an. „Ähm... also...“ „Jetzt bitte ihn bloß nicht, zu singen. Außer du willst einen Hörsturz bekommen.“ Bakura trug ebenfalls einen schwarzen Anzug,  allerdings moderner. Sein langes Haar war auf seinem Kopf festgesteckt und eine Art weißer Kapuze baumelte in seinem  Nacken. Atem kniff die Lippen zusammen und warf Bakura einen finsteren Blick zu. Yugi versuchte, mit einem Lachen die Stimmung zu retten. „So schlimm ist es bestimmt nicht. Atem hat doch eine schöne  Stimme.“ Dessen Mundwinkel zuckten und die Finsternis verließ Atems Augen. Bakura schnaufte nur. „Als was gehst du, Bakura?“ „Ich? Ich bin Slenderman!“ Bakura zog die weiße Kapuze hoch und über den Kopf. Yugi erkannte, daß es eine Maske war, die  den ganzen Kopf bedeckte, als sie unter Bakuras Kinn verschwand. Ohne jegliche sichtbaren Gesichtsmerkmale oder -regungen bot der weiße Kopf einen verdammt guten Grund, sich zu fürchten. Yugi schauderte, Bakura lachte zufrieden. „Geile Sache, Alter“, meinte Jonouchi anerkennend. „Und wo sind die Tentakel?“ Yugi glaubte, Bakura unter der Maske lächeln zu sehen. „Immer da, wo du gerade nicht hinschaust.“ Atem derweil hatte den Koffer geöffnet.  „Umwerfend!“ rief er und hob einen der Spielsteine hoch, der einen detailiert  ausgearbeiteten Drachen aus echtem, hellen Stein darstellte. Yugi strahlte und seine Wangen brannte. „Toll, daß es dir auch gefällt! Ich dachte, sie passen perfekt für Halloween.“ Atem packte diverse Monster aus. Neben Drachen gab es Oger, Kobolde, Hexen, Dämoninnen und Vampire. „Das ist ein  wundervolles Schachspiel, du hast nicht zuviel versprochen.“ Yugi kicherte. „Und sie haben noch einen schönen Nebeneffekt. Hast du den Schleim?“ „In Mengen“, versprach Atem und grinsend machten sie sich daran, die Geheimkammern der Figuren mit dem grün  gefärbten Wasser zu befüllen. Jonouchi half ihnen mit einem Gesichtsausdruck, der nichts Gutes verhieß. Yugi fragte sich, was sein Freund plante. Und während sie zu dritt über der sauberen Schmutzbrühe hingen und in ihren Kostümen schwitzten, traf es Yugi wie ein  Hammer. Trotz aller Unkenrufe vor kurzer Zeit hatte er hier Freunde gefunden. Auch wenn er Miho und Honda vermisste,  er war nicht alleine hier. Yugi lächelte fein. Was für eine Erkenntnis!  Schließlich richtete Atem sich triumphierend auf. „Das war die letzte. Es ist alles bereit für das erste Spiel.“ „Sehr gut. Die Aula ist auch bald fertig.“ Es war Anzu, die Yugi seinen Stock reichte. „Entschuldige... Ich habe ihn  mitgenommen und ganz vergessen...“ „Äh... Schon gut.“ Yugi nahm ihn entgegen. „So hatte ich die Hände frei, also danke.“ „Es ist ein riesiges Chaos überall.“ Anzu beugte sich über die Figuren, neugierig, doch Atem zog sie zurück. „Vorsicht, sie spucken!“ „Äh, bitte?“ „Schleim“, sprang Yugi Atem bei. „Wenn man sie berührt, kann es sein, daß sie losspucken. Man wird ein bißchen  feucht und die Haut grün, aber sonst...“ „Da bin ich ja beruhigt. Hauptsache, man kann alles wieder abwaschen.“ Atem nickte, seine Hand lag noch immer auf Anzus Unterarm. Ein Räuspern ließ die ganze Gruppe sich umdrehen. Hinter ihnen stand Vivian mit verkniffenem Gesichtsausdruck,  die Arme vor der Brust verschränkt. „Der Punsch ist fertig“, verkündete sie, während sie Anzu mit giftigen Blicken schier erdolchte. „Würd' ich lieber nicht trinken“, murmelte Jonouchi Yugi zu, der leicht nickte. Vivian trug ein Kleid, das in Farbe und Schnitt Anzus glich, nur daß ihres wesentlich weiter ausgeschnitten war und  über einen zackigen, hochgestellten Kragen verfügte. Der Silberschmuck, der sich um ihren Hals, ihre Handgelenke  und Finger schmiegte, zeigte Fledermäuse und Totenköpfe. Als sie den Mund erneut öffnete, erkannte Yugi lange Fangzähne. „Das habe ich gehört!“ Sie hob die Nase, dann sah sie Atem an, als wäre Anzu neben ihm nur Luft. „Ich habe noch  Tänze für heute Abend frei“, gurrte sie wie ein verliebtes Täubchen. „Also wie wärs? Dir muß doch langweilig sein mit  diesem Mäuschen. Meine Haare sind natürlich schwarz.“ „Was für ein Argument“, entkam es Yugi. Anzu verkniff sich ein Lachen, Atem hingegen gab ihm nach. Finstere Wolken zogen sich auf Vivians Stirn zusammen. „Dich hat keiner nach deiner Meinung gefragt, du billige Kopie!“ „Ach, ich dachte, er sei wie ich, nur niedlicher? Ja, Vivian, ich habe davon gehört.“ „Wer hat das nicht?“ gab Jonouchi, nie um eine Antwort verlegen, seinen Senf dazu. Vivian machte ein abfälliges Geräusch. „Na, dann viel Spaß mit deiner Tanzmaus! Du wirst es noch bereuen, daß du  deine Zeit mit der verschwendet hast statt mit einer richtigen Frau.“ Sie sah auf das Spielfeld. „Was für häßliche Teile!“  Sie hob einen Fuß. „Warte, nicht!“ rief Yugi, als er ihre Absicht erkannte. Atem zuckte nicht mal mit der Wimper. Vivian stieß mit dem Fuß gegen eine Hexe. Diese erbebte und mit einem naßen Geräusch spritzte sie direkt in Vivians Gesicht.  Vivian ließ einen mörderischen Schrei los. Es dauerte nicht lange, bis sie von einer Traube neugieriger bis besorgter Schüler umringt wurde, die sie zuerst anstarrten und  dann lachten. Vivians Augen blitzten, während grüne Tropfen von ihrer Nase in ihren Ausschnitt fielen. Sie kehrte auf dem Absatz um und hocherhobenen Hauptes rauschte sie  Richtung Wohnheim. Jonouchi heulte vor Lachen, Anzu sah geschockt auf die Figuren und trat einen weiteren Schritt zurück. Atem trug ein böses  Grinsen zur Schau. Yugi sah letzteren an, dann schüttelte er den Kopf. „Warum hast du nicht...“ „Weil sie es verdient hat“, erwiderte Atem ebenso leise. „Sie hat Anzu, dich und die Spielfiguren beleidigt. Sie sollte endlich  merken, daß ich keine Lust auf solches Benehmen habe.“ „Es war dennoch gemein.“ „Nein, gemein wäre es, wenn ich ihr sagen würde, für was für eine unerträgliche, bösherzige Oberzicke ich sie halte, die sich  mit Genuß durch das Unbehagen anderer profiliert und dieses Unbehagen deshalb forciert.“ Atems Augen blitzten gefährlich. Yugi gewann den Eindruck, daß Atem kein Problem hätte, ihr das zu sagen, aber sich aus irgendeinem Grund zurückhalten  wollte. Er nickte, wenn auch nicht ganz überzeugt. In einem aber hatte Atem recht: Vivian war nicht viel besser als Ushio. „Ich besorge ein Schild. Ein Warnschild“, erklärte Anzu seufzend. „Für Wong?“ Jonouchi grinste. „Für das Spiel. Ganz gleich, wie sehr Vivian es verdient haben mag, eine Warnung wäre fair gewesen, da hat Yugi recht,  Atem. Laßt uns jetzt wenigstens die anderen warnen.“ Das letzte sagte Anzu laut genug, daß ihr Publikum es ebenfalls  hören konnte. Dieses protestierte lachend und bot sich an, zu spielen und dann als lebende Warnschilder zu fungieren. Es dauerte nicht lange, bis das erste Spiel im Gange war, das Spielfeld eingekreist von lachenden Zuschauern und wenig  später der ersten, von Schleim triefenden, Spieler. Yugi sah auch eine Weile zu, erklärte einigen die Regeln des Schachspielens und amüsierte sich, bis Emi und Jonouchi  zurückkamen und ihn unterhakten. Anzu und Atem waren in der Zwischenzeit zu anderen Problemstellen gerufen worden. „Komm, laß uns den Friedhof ansehen, den die Abschlußklasse gebaut hat“, sagte Emi „Friedhof? Sie haben einen Friedhof aufgebaut?“ Die Abschlußklasse hatte bisher ihr Projekt geheimgehalten. „Ja, sie wollen uns erschrecken. Aber nicht mit uns!“ Jonouchi streckt die Brust vor. „Also sei kein Angsthase. Wir sind  doch zu dritt. Wir zeigen's ihnen!“ Yugi lächelte schwach. Da war er sich nicht so sicher, aber er wollte seine Freunde nicht hängen lassen. Emi schwang also  ihren Besen auf die Schulter, dann gingen sie los. Der Friedhof sollte hinter der Turnhalle beginnen, dort lag ein kleines  Wäldchen, hauptsächlich Tannen, die dem Himmel grün und breit entgegenstrebten, und in der Tat begrüßten sie hinter  dem modernen Bau schon bald schiefe Grabsteine aus Pappmaché und ein Holzkreuz mit der Aufschrift „Die, die ihr hier  eintretet, lasset alle Hoffnung fahren“. Die Bäume warfen dunkle Schatten über die Grabmarkierungen und ließen das Gelände dahinter in Schwärze versinken.  Dabei war es, wie Yugi mit einem Blick in den Himmel feststellte, noch gar nicht Abend. Doch große, graue Wolken schienen  von allen Seiten auf das Internat zuzustreben. Yugi lief ein Schauder über den Rücken. Offenbar hatte seine Toleranz  für Gruseliges in den letzten Monaten mehr abgenommen, als er gedacht hatte. Emi und Jonouchi neben ihm unterhielten sich aufgeregt, das Zwielicht schien sie nicht zu stören. Yugi fiel erst jetzt auf,  daß Jonouchis Kostüm grünlich schimmerte, ebenso Emis lackierte Fingernägel. Er schüttelte sich und straffte die Schultern.  "Gehen wir rein!" meinte er mit falscher Begeisterung. Besser, er brachte das hier schnell hinter sich, je eher, desto besser  für seine Nerven. Zuerst sahen sie nichts weiter als Bäume und Büsche. Irgendwo krächzte ein Rabe. Yugi hielt sich fest an seinem Stab.  Das Grün fiel zur Seite und gab den Blick auf eine winzige Hütte frei, deren Tür sich wegen eines leichten Luftzuges leicht  hin und her bewegte. Yugi erkannte die "Knutschbude" unter Spinnweben und Staub. Emi und Jonouchi waren verstummt. Zu dritt gingen sie langsam auf die Hütte zu.  Yugi pochte das Herz im Halse. Wumm! Er sprang fast einen Meter in die Höhe und Schweiß rann plötzlich über seinen  Rücken. Die Tür war zugefallen. Und aus einem kleinen Fenster beobachteten rotglühende Augen boshaft die drei Besucher. "Jonouchi, was ist da drin?" wisperte Emi, gefangen zwischen Anspannung und Neugier.  "Keine Ahnung. Ich hab das Ding nur repariert, nicht ausstaffiert", erwiderte Jonouchi ebenso leise. Sie alle drei starrten auf die unbeweglichen Augen und langsam entspannten sie sich. "Das sind nur rote Glühbirnen",  war er sich schließlich sicher und Yugi nickte langsam. Dennoch hatte keiner das Bedürfnis, es wirklich herauszufinden.  Langsam gingen sie weiter und Yugi stellten sich die Nackenhaare auf, als er ein leises Quietschen hinter sich hörte.  Schnell sah er über die Schulter. Die Tür stand wieder offen! Saß da vielleicht Atem drin und amüsierte sich über Yugis  Schreckhaftigkeit? Einem plötzlichen Impuls folgend streckte Yugi der Hütte die Zunge heraus, dann wollte er eilig seinen Gefährten folgen.  Aber er konnte sie nicht mehr sehen! Er folgte dem Pfad, doch nirgendwo auch nur ein hellgrüner Schimmer zwischen den  Bäumen. Er atmete tief durch. Es war nur der kleine Wald hinter der Turnhalle. Wohin Yugi auch ging, er würde wieder  auf dem Schulgelände herauskommen. Und doch fühlten sich seine Füße wie von Blei beschwert an. Hier gab es nur ein  paar Leute, die ihn erschrecken wollten, und ein paar Eichhörnchen, die viel mehr Angst vor ihm als er vor ihnen hatte.  Nichts hier konnte ihm ernsthaft schaden. Ungebeten trat ihm wieder das Bild Annas, an die Wand gelehnt, vor sein inneres Auge. Außer diesem Tier.  Yugis Blick huschte von Busch zu Busch, Baum zu Baum. War es nicht schrecklich still hier? Er lauschte angestrengt, doch  er hörte nicht mal mehr den Raben. Yugi setzte einen Schritt vor den andern, genau abgemessen, als fürchtete er, sonst  in einen Abgrund zu stürzen. Und da war es wieder! Boshafte Augen, die ihn verfolgten. Yugi brach der kalte Schweiß aus und fröstelnd drehte er sich um sich selbst, doch er konnte nichts entdecken. Nichts außer  dunklen Schatten, die mit langen, knöchernen Fingern nach ihm griffen.  Yugi entglitt sein Stab aus tauben Fingern. Er flüchtete sich in das nächste Gebüsch. Boshafte Hände griffen nach ihm, rissen  an Kleidung und Haut. Etwas Warmes lief Yugis Gesicht hinunter. Dinge glitten über seinen Körper, unsichtbar und  unbeschreiblich.  Yugi standen die Haare zu Berge, er strauchelte - "Nein!" - und stürzte über knarrendes Holz. Yugis Hände schrammten über den Boden, Schmerz fuhr seine Arme hinauf. Keuchend riß Yugi den Kopf hoch. Die  Augen waren hier! Stocksteif lag er in Dreck und Laub, ihm gegenüber, vielleicht drei Meter entfernt, eine gebückte Gestalt mit Augen,  die wie Feuer brannten. Sie hielt etwas umklammert und als sie sich bewegte, erkannte Yugi Vivians bleiches Gesicht.  Doch etwas stimmte nicht mit ihrem Hals und Ausschnitt. Alles war so dunkel und wo kam dieses seltsame Tropfgeräusch  her? Yugis Blick fiel auf den Boden unter Vivian. Auch er war schwarz, eine Schwärze, die sich stetig ausbreitete.  Kupfergeruch, schwer, feucht, süßlich, kroch wie ein Tier in Yugis Nase und Mund.  Yugi schwindelte vor Ekel und Angst. Blut! Mit letzter Kraft stemmte er sich auf die Beine, die Gestalt vor ihm ließ Vivian achtlos fallen; es schmatzte, als sie auf dem feuchten Boden aufkam. Ihr Kopf fiel zur Seite und Yugi sah, daß ein ganzes Stück ihrer Kehle... Es war nicht da! Yugi trat einen Schritt zurück und sah zu der Gestalt. Diese fixierte ihn lauernd. Dann öffnete sich ein Loch in ihrem Kopf, langsam, als genieße sie es, Yugis Angst noch zu steigern. Blitzende, weiße Zähne,  lang und scharf wie die eines Raubtieres, brannten sich in Yugis Seele. Yugi drehte um und rannte los. Er hörte Rascheln hinter sich und es kam immer näher! Kopflos nahm Yugi den nächsten  Weg und hoffte inbrünstig, der Wald möge sich auftun und ihn zurück in die Sicherheit des Internats entkommen lassen.  Die Kreatur hinter ihm gab ein grauenhaftes Knurren von sich, Yugi schrie auf. Er gab alles, bis seine Beine schmerzten,  bis sie taub wurden und sich nicht mehr wie ein Teil von ihm anfühlten. In seinen Ohren hallte das unnatürliche Geräusch  nach, das ihn zu Höchstleistungen antrieb. Er konnte richtiggehend fühlen, wie die Kreatur immer näher kam, daß sie  wußte, sie würde gewinnen. Daß sie ihn nur aus reinem Spaß noch jagte.  Das Entsetzen nahm Yugi die Luft zum Atmen. Er keuchte, er schnappte nach Luft, er prallte gegen etwas Solides und  ging zu Boden. Verloren! Schon erwartete er, daß scharfe Zähne sich in seinen Leib bohrten, da spürte er weichen Stoff unter seinen Fingern,  fühlte menschliche Wärme. Er hob den Kopf und blickte in Anzus überraschtes Gesicht. "Anzu... wir... Das... Monster...", stammelte Yugi und fiel neben ihr auf den Boden. Hektisch blickte er sich um. Nur  um nichts anderes als Bäume und einen falschen Altar zu entdecken. "Aber..." Er setzte sich auf, und sah sich noch einmal um. "Yugi, um Himmels willen! Was ist passiert? Du bist verletzt!" Anzu krabbelte neben ihn, ihr Gesicht genauso entsetzt wie  ihre Stimme.  Yugi sah, daß der schwarze Stoff über ihrer Brust noch dunkler schien, wo er sie berührt hatte. Er hob seine Hände und  betrachtete das Blut und den Dreck. Den Schmerz nahm er kaum noch wahr. "Entschuldige... Aber da war... Da war eine Gestalt. Und Vivian..." "Was ist mit Vivian?" Atem trat aus dem Wald, in der Hand zwei Wasserflaschen. Seine ehemals weiße Hemdbrust glänzte rot. Yugi starrte ihn an. Wie bei einem Puzzle fielen die Teile an ihren richtigen Platz und ergaben ein Bild. Er stand auf und trat zu  Atem, dann streckte er anklagend den Zeigefinger unter Atems Nase. "Du!" "Wie, ich?" Atem hob eine Augenbraue. Yugi zitterte vor Wut. Wie konnte es der Kerl wagen, selbst jetzt noch so verdammt gut auszusehen! "Ja! Zuerst diese Schau  mit Vivian vor allen abziehen und dann im Wald auf irgendwelche Leute warten, um sie mit eurer Horrorfilm-Einlage fast zu Tode zu erschrecken. Das ist nicht witzig!" "Horrorfilm-Einlage?" Atems Gesicht blieb kontrolliert, kein Erkennen war in seinen Augen. "Du weißt schon! Die, wo du ihr die Kehle mit deinen Raubtierzähnen aufreißt und sie in einen See von Blut fallen läßt,  bevor du denjenigen jagst, der zufällig über euch gestolpert ist." Yugi merkte, wie sein Finger wackelte und ließ ihn sinken. "Yugi, Atem hat nur was zu trinken geholt", erklärte Anzu, die zu ihnen trat. Sie spielte mit der Perücke in ihren Händen.  "Er war nicht mal fünf Minuten weg." "Ja. Und davor kamen Emi und Jonouchi hier vorbei, sie haben dich gesucht. Ich habe beim Wasser holen Ausschau nach  dir gehalten, aber dich nicht gesehen." Atem wirkte auf einmal sorgenvoll. "Dann war es eben einer von den anderen Schülern! Ich weiß, was ich gesehen habe. Es hat mich gejagt." Yugi schlang  die Arme um seinen dünnen Oberkörper und wandte den Kopf ab. Das, was er gesehen und gefühlt hatte... Eine innere  Stimme flüsterte ihm zu, daß er es noch so leugnen konnte, aber das war kein Scherz gewesen. Nichts, was ein Mensch  erdacht hatte. Er erschauderte. Er zuckte zusammen, als eine Hand sein Kinn sanft anhob. Atem war ihm nahe und Yugi roch etwas Vertrautes. Kupfer?  Doch da war es schon wieder weg. "Ich werde nachsehen gehen. Yugi, du bleibst hier bei Anzu." Diese wollte protestieren, doch Atem blickte sie eindringlich an. "Überlaß das mir. Ich bin stärker als du." Anzu schloß ihren Mund, doch ihr Ausdruck war so sorgenvoll wie Atems eben. Sie führte Yugi zu dem Altar. "Setz dich hierhin.  Du siehst nicht gut aus. Dein Gesicht ist zerkratzt und deine Hände..." Yugi lehnte sich gegen das Gebilde aus Holz und sie öffnete eine der Flaschen, die Atem zurückgelassen hatte, und spülte  vorsichtig Yugis Handinnenflächen ab. Yugi biß die Zähne zusammen. Es brannte höllisch! Langsam begriff er, was er gesehen hatte. Und wenn das kein dummer Streich gewesen war... "Vivian kann doch nicht  wirklich..." "Sicher geht es ihr gut." Anzus Lächeln wirkte gezwungen. "Nur keine Sorge!" Yugi wünschte sich, er könnte das glauben, aber wie sollte er, wenn Anzu selbst es nicht glaubte? "Sie ist tot, nicht wahr?"  Er ließ seine Hände sinken, die Wunden nach oben. Die Haut hing in Fetzen und Blut quoll aus einzelnen Stellen. Das hatte er wohl vorhin gerochen. Ihm wurde kalt. Er war um Haaresbreite seinem sicheren Ende entkommen, das  wußte er, noch bevor Atem zurückkehrte, ernst und mit zusammengepreßten Lippen.  Atem sprach leise und dennoch schien es im ganzen Wäldchen widerzuhallen: "Sie ist tot." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)