Götterherz von Jadis ================================================================================ Kapitel 6: Drängende Fragen --------------------------- 6 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Drängende Fragen »Aua!«, rufe ich, als wir uns in meinem Schlafzimmer materialisieren und mein Oberschenkel eine unschöne Bekanntschaft mit der fies angespitzten Ecke meines Nachttisches schließt. Die darauf befindliche Lampe wackelt erst gefährlich und kracht dann schließlich mit einem lauten Klirren auf den Dielenfußboden, woraufhin der Keramikkörper sogleich in tausend Teile zerspringt. »Verzeih mir«, meint Loki und lässt sich sofort auf der Bettkante nieder. »Macht doch nichts«, versichere ich dem Gott und deute auf die Lampe auf der anderen Bettseite. »Wir haben ja noch eine.« Schnell drücke ich Loki in die weichen Kissen und packe seine bestiefelten Füße, um auch diese auf das Bett zu legen, was er widerstandslos mit sich machen lässt. Armer Schatz. »Ruh' dich aus«, sage ich und beuge mich über ihn, um verirrte Haare aus seiner Stirn zu streichen. »Versuch' zu schlafen. Du bist total erschöpft. Kann ich dir etwas Gutes tun?« Lokis unergründliche Augen blitzen auf, als er mich müde anlächelt. »Ich habe doch schon alles«, versichert er und schiebt eine Haarsträhne hinter mein Ohr. »Ich hol' dir etwas zu trinken«, beschließe ich trotzdem und begebe mich auf den Weg in die Küche, wo ich im Halbdunkel nach einem Glas krame und dieses mit Leitungswasser fülle. Zurück im Schlafzimmer bahne ich mir den Weg zu der Seite des Bettes mit der funktionierenden Nachttischlampe und sorge, durch Betätigung dieser, erst einmal für wohlig schummriges Licht. »Dein Wasser«, sage ich zu Loki, als ich wieder auf seiner Seite ankomme, stelle das Glas auf das kleine Schränkchen und sehe, dass er bereits in einen seligen Schlaf gefallen ist. Seine Züge sind entspannt und er atmet ruhig und gleichmäßig. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich darin verliere, ihm beim Schlafen zu beobachten, und eise mich davon los, als ich bemerke, dass er noch sein komplettes Outfit trägt. Stirnrunzelnd klebt mein Blick an Lokis Stiefeln. Ich kann gar keinen Reißverschluss ausfindig machen. Und wie werden diese Gamaschen eigentlich geöffnet? Ganz vorsichtig, um Loki nicht aus seinem wohlverdienten Schlaf zu wecken, packe ich mit beiden Händen einen Schuh an Verse und Spanne und ziehe vorsichtig daran. Sofort gebe ich mein Vorhaben wieder auf. Sitzt bombenfest das Teil. Die Vorstellung, dass er sich erst umständlich in das Leder schälen muss, zerstört irgendwie die Coolness seines Auftretens. Zieht er die Klamotte vielleicht nur durch Magie an? Ich fische eine Wolldecke aus der untersten Schublade der Kommode und versuche damit möglichst viel von Mr. Eins-Fünfundneunzig zu bedecken. Ist ja nicht so, dass der Herr Eisriese im Normalfall frieren würde, aber bei dem Grade seiner Erschöpfung weiß man ja nie. Zufrieden betrachte ich mein Werk – Ja, die Füße lugen ein Stückchen hervor – und will ihm gerade einen Gutenachtkuss geben, als das Festnetztelefon klingelt. Ich zucke erschrocken zusammen, da das Geräusch in der nächtlichen Stille unnatürlich laut wider hallt. Alarmiert blicke ich kurz zu Loki, dem der Lärm nicht zu stören scheint. Dann begebe ich mich ins Wohnzimmer und ziehe die Trenntür hinter mir zu, umrunde die Couch und nehme das Gespräch entgegen. »Ja?«, flüstere ich, setze mich auf das Sofa und versuche, möglichst wenig Lärm zu machen. »Das glaub' ich jetzt nicht«, höre ich Nicks empörte Stimme am anderen Ende der Verbindung, stockend, durch den schlechten Empfang, den er in der Wüste hat. »Ich habe es auf deinem Handy probiert, aber das war aus. Dann habe ich auf Lokis Telefon angerufen, aber das war auch aus. Kein Problem, hab' ich mir gesagt, sie sind im schönen Japan bestimmt nur in ein Funkloch geraten. Aber, als die Stunden vorbei zogen und ich immer noch nichts von euch gehört habe, machte ich mir langsam Sorgen. Und jetzt? Seid ihr doch nicht allen Ernstes wieder in Valdez? Habt ihr mich vergessen? Bitte sag', dass ihr den guten, alten Bob und mich nicht vergessen habt!« »Wir haben dich nicht vergessen«, sage ich, weil es das ist, was er hören will. »Es gab nur einen kleinen... Zwischenfall.« »Ist jemand gestorben?«, will Nick sofort neugierig wissen und ich merke, an seiner Art zu reden, dass er nicht wirklich sauer ist. »Nein«, beantworte ich seine Frage und beginne auf meinem Daumennagel zu kauen. »Jedenfalls nicht, dass ich es wüsste.« »Jetzt machst du mich aber richtig neugierig. Was ist passiert?« »Ein andermal, Nick«, versuche ich ihn abzuwimmeln und werfe einen kontrollierenden Blick in Richtung Schlafzimmer. Scheint alles ruhig zu sein. »Na schön«, gibt Nick sich schließlich ohne das große Tammtamm einer Diva, die er nun einmal ist, geschlagen. »Wann stößt ihr denn wieder zu uns?« Uff, mache ich in Gedanken. Genau da liegt der Hund begraben. Wie mache ich ihm begreiflich, dass wir in nächster Zeit nirgendwo dazustoßen werden? »Wir haben gerade ein kleines...«, beginne ich und ringe armwedelnd nach Worten. »... Teleportierproblem.« Stille grüßt meine Worte und ich frage mich bereits, ob die Verbindung abgebrochen ist, als ich Nicks Stimme erneut vernehme. »Jetzt machst du mit Angst«, gesteht er und ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, dass er sich jetzt ernsthafte Sorgen macht. »Alles in Ordnung bei euch?« »Ja, ja«, rudere ich sofort wieder zurück und versuche die Situation ein wenig herunterzuspielen. »Nichts Ernstes. Loki hat nur all seine Energiereserven verpulvert und muss erst wieder zu Kräften kommen.« »Pilzköpfchen«, höre ich ein amüsiertes Quietschen, als er mich bei einem seiner vielen Spitznamen für mich nennt. »Ich habe euch ja gesagt, dass ihr das mit dem Kamasutra lieber lassen sollt.« »Nihiiiick!«, rufe ich so empört wie nur irgend möglich und so laut es die Trennwand mir erlaubt. Ein prustender Lachanfall ist der Lohn für meine Entrüstung und ich muss ein paar Sekunden warten, bis Nick sich wieder gefangen hat, bevor er nun sachlicher erklärt: »Aber mal im Ernst. Es ist ja kein Ding, dass ich die Tour mit dem guten Bob allein beende. Aber was mache ich, wenn ich wieder in San Francisco bin?« Ich kaue überlegend auf meiner Unterlippe herum, während ich nach einer Lösung für das aufgekommene Problem suche. »Ich lass' mir etwas einfallen«, vertröste ich meinen Gesprächspartner. »Du bist doch jetzt vermögend und kannst uns einen Privatjet schicken«, schlägt dieser prompt vor. »Richtig«, sage ich lustlos und ohne Überzeugung, nur um ihn zufriedenzustellen und in dem Glauben zu lassen. »So machen wir das.« »Ich muss jetzt auflegen«, wechselt Nick quasi sofort das Thema, nachdem er glaubt, dass wir eine durchzuführende Lösung für unser Problem gefunden haben. »Bob versucht gerade die Küchenzeile zu besteigen und ich will nicht, dass er die Kojoten anlockt, wenn er nach Brathähnchengewürz riecht.« »Verstehe«, sage ich monoton und starre dabei in die Dunkelheit. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich überhaupt nicht verstehe. Nick verspricht, Bob einen Kuss von mir zu geben und ich erhebe mich vom Sofa, um Mrs. Fish zu füttern, nachdem ich das Telefongespräch beendet habe. Wie eine Motte zum Licht, zieht es mich zu dem kleinen Aquarium, dessen Beleuchtung genug Helligkeit erzeugt, um dass ich nicht völlig blindlings durch die Gegend stolpern muss. »Lass es dir schmecken«, sage ich zu Mrs. Fish und brösele Fischfutter in den Tank. Sie beobachtet mich kurz dabei und verschwindet dann auf Nimmerwiedersehen in den Algen. Zicke, denke ich, stelle das Futter beiseite und muss herzhaft gähnen. Alles klar. Der heutige Tag fordert seinen Tribut und ich bin mehr als bereit, meinem Körper diesen Tribut zu gewähren. Ich bahne mir den Weg zur Schiebetür und entledige mich auf dem Weg dahin meiner Kleidung, sodass ich nur noch in Unterwäsche bekleidet das Schlafzimmer betrete. Ein grünes Glimmen an Lokis Hand lässt mich in der Bewegung inne halten. Er bewegt sich unruhig im Schlaf, hat die Decke beiseite gestrampelt und wirkt Magie im Unterbe- »Wah!«, rufe ich, als eine Energiekugel ohne Vorwarnung in meine Richtung fliegt. Geistesgegenwärtig werfe ich mich auf den Boden, während die Kugel immer wieder von den Wänden abprallt, dort unschöne Brandflecken hinterlässt und schließlich die übrig gebliebene Nachttischlampe in ihre Einzelteile pulverisiert, bevor sie vergeht und nichts weiter zurücklässt, als den Geruch nach verbrannter Erde. Vorsichtig kämpfe ich mich auf die Knie und luge über den Bettrand. Ich versichere mich, dass in nächster Zeit keine weitere Energiekugel durch das Zimmer fliegt, krabbele schnell auf meine Bettseite und husche erleichtert unter die wärmende Daunendecke. Leise seufzend drehe ich mich auf die Seite und beobachte den schlafenden Loki in der Stille der nächtlichen Dunkelheit. Sein leiser Atem wirkt genauso beruhigend wie einschläfernd, und als ich mich näher gegen ihn kuschele, schlingt sich sein Arm ganz automatisch um meinen Körper, um mich schützend an sich zu ziehen. ~ Als ich erwache, spüre ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Ich öffne die Augen und sehe über die zerwühlten Laken und zurückgeschlagenen Decken hinweg, dass Loki mit gesenktem Kopf am Rand des Bettes sitzt und seine Arme auf seine Oberschenkel stützt. Seine ganze Haltung schreit geradezu nach... der verzweifelten Suche einer Antwort. Es tut mir weh, ihn so zu sehen. Meine Decke raschelt leise und die Matratze gibt unter meiner Bewegung nach, als ich mich aufsetze und zu ihm husche. Ich lege meine Wange gegen seinen Rücken und schlinge meine Arme um seine Mitte. Lokis Kopf dreht sich kurz zur Seite und eine Hand streicht über meinen Unterarm. »Wie geht es dir?«, frage ich leise und meine Finger spielen mit dem dünnen Stoff des Shirts, welches er nun trägt. »Besser«, ist seine knappe Antwort. Ich nicke so gut es geht gegen seinen Rücken und drücke ihn kurz fest an mich, bevor ich meine Hände zurückziehe und mich aufsetze. Meine Finger malen nun undefinierbare Muster auf seinen Rücken. »Macht dir der gestrige Tag noch zu schaffen?«, frage ich vorsichtig weiter und versuche irgendeine Reaktion zu erhalten. »Mach dir keine Sorgen«, ist die erneute Antwort, ohne dass seine Stimme eine Gefühlsregung verrät. Ich schlucke und ein Gefühl der Beklemmung breitet sich in mir aus. Schnell lege ich meine Stirn wieder gegen seinen Rücken und versuche meine Atmung zu beruhigen. »Wann wirst du mich verlassen?«, bricht es plötzlich aus mir heraus und nur mit Mühe und Not kann ich ein Schluchzen verhindern. Ich spüre, wie Lokis Körper sich unter meinen Berührungen kurz versteift, dann dreht er sich zu mir um und ich sehe mein Spiegelbild in seinen tiefgrünen Augen. Tränen glänzen in meinen eigenen. »Wie kommst du darauf?« Ich finde irgendwo ein Lächeln und kleistere es mir ins Gesicht. »Ich bin vielleicht hin und wieder etwas naiv, Loki, aber ich bin nicht blöd.« Er sieht mich durchdringend an und seine Augenbraue geht dabei in die Höhe. »Mir ist klar, dass du früher oder später deiner Wege gehen wirst. Die Frage ist nur, wann du es tust. In ein paar Monaten oder Jahren? Oder erst, wenn ich auf die Fünfzig zugehe? Meinst du, du hältst es mit mir aus, bis ich alt und runzelig bin?« »Rey-Rey«, beginnt Loki und greift nach meinen Händen, die er sogleich beruhigend drückt. Sein sanfter Tonfall führt dazu, dass sich ein Klos in meinem Hals bildet. »Ich bin sterblich«, zwinge ich mich dazu weiter zu sprechen. Nur ein mickriger Mensch. «Du bist ein Gott und wirst noch ewig leben.« »Wieso machst du dir darüber Gedanken?«, fragt Loki und legt eine Hand in meinen Nacken. »Bitte geh nicht ohne dich zu verabschieden«, ist alles was ich verlange und hoffe doch, dass dieser Fall nie eintreten wird. Allein der Gedanke daran bringt mich um. »Das würde ich nicht verkraften.« Er zieht mein Gesicht näher zu sich und antwortet mit einem Kuss. Ich merke, dass etwas Nasses über meine Wange rollt, während ich mich in Lokis Umarmung verliere. »Ich werde dich nie verlassen, hörst du?«, flüstert er mir schließlich ins Ohr und drückt anschließend meinen Kopf gegen seine Brust. Ich bezweifele stark, dass dies der Wahrheit entspricht, behalte meine Zweifel jedoch für mich und erfreue mich an den Momenten die uns noch bleiben. »Ich habe jetzt tierisch Lust auf französische Croissants«, nuschele ich mit belegter Stimme gegen seine Brust. Loki lacht leise, schiebt mich sanft aber bestimmt von sich und legt grinsend den Kopf schief. »Bin gleich wieder da.« Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, das leise »Phlump« bringt die Worte jedoch dazu, dass sie mir im Hals stecken bleiben. Unschlüssig sehe ich mich nun im Raum um, wische mir die Tränen weg und überlege, ob ich Nick Bescheid sagen soll, dass wir nun doch wieder teleportierfähig sind. Dann verzieht sich mein Mund zu einem fiesen Grinsen. Neeeeee. ~ Nervös stehe ich auf einer Veranda in Los Angeles. Kleines, mit weißem Holz verkleidetes Einfamilienhaus, gepflegter Vorgarten, nette Nachbarschaft, niedrige Kriminalitätsrate. Eine perfekte Idylle. Mein Daumen schwebt über der Türklingel, unsicher, ob er sie betätigen soll oder nicht. Schließlich ziehe ich die Hand zurück, bemühe mich, nicht Nägel zu kauen und wende mich zu Loki, der neben mir steht und mich amüsiert betrachtet. Er trägt nicht nur sein neues Hemd, sondern ebenfalls einen riesigen Blumenstrauß aus Sonnenblumen. Ich sehe die farblich perfekt abgestimmte Kombination und mein Blick huscht auch zu seinem neuen Haarschnitt. »Weißt du«, beginne ich und blicke sehnsüchtig die gepflasterte Einfahrt zurück. »Suchst du gerade nach einer Ausrede?«, hat Loki mich sofort durchschaut und ich beiße mir auf die Unterlippe. Verdammt. Wieder schwebt mein Finger über die Klingel und wieder ziehe ich ihn kurz vorher zurück. »Es gibt da ein paar Dinge, die du vielleicht wissen solltest.« »Dein Name ist gar nicht Riley, du stammst aus Vanaheim, bist eine Vanir und bringst Unheil über diese der neun Welten?« »Äh«, mache ich nur, während süße Fältchen um Lokis Augen auf ein unterdrücktes Lachen hindeuten. »Nein.« »Dann kann mich nichts mehr schocken.« »Also«, versuche ich den Faden wieder aufzunehmen und bemerke, dass die Gardinen des Nachbarhauses verräterisch wackeln. Wie lange stehen wir jetzt eigentlich schon hier herum? »Bevor du mich später fragst... Nein, meine Mutter ist nicht verrückt. Sie hat nur Probleme damit, ihre Realität mit der aller anderen in Einklang zu bringen.« »Alles klar«, sagt Loki total unbeeindruckt und betätigt die Klingel. »Nein, warte!«, rufe ich panisch, doch das Unglück nimmt bereits seinen Lauf. Die Melodie von Jeopardy dringt als Klingelton an unser Ohr und ich versuche hastig meine Frisur zu richten und nicht vorhandene Sitzfalten aus meinem Kleid zu streichen. Habe ich eigentlich genug Make-up aufgetragen? Oh je... Die Tür vor uns fliegt auf und ich kneife kurz ängstlich die Augen zusammen, dann besinne ich mich der Tatsache, dass das hier nicht der Teufel, sondern meine Mutter ist, öffne die Augen und setze ein Lächeln auf. »Hi, Mom.« Hat meine Stimme gerade gezittert? Meine Mutter trägt ein todschickes Kostümchen, dazu schimmern ihre Nägel passend in zartrosa Nagellack und ihre Hochsteckfrisur ist ein Meisterwerk amerikanischer Architektur. Für ihr Alter sieht sie einfach umwerfend aus. Das Lächeln gefriert mir auf den Lippen, als ich bemerke, dass sie mir nur einen kurzen Blick zuwirft und dann Loki argwöhnisch beäugt. »Wer ist das?«, flötet sie sogleich los, obwohl ich ihr ansehe, dass sie es ganz genau weiß. Loki sieht auffordernd in meine Richtung und ich erinnere mich wieder daran, wie man spricht. »Das ist Loki«, sage ich, trete von einem Bein auf das andere und füge noch hinzu: »Mein Freund.« Ihr Kopf dreht sich langsam in meine Richtung, wobei ihre Augen noch so lange an Loki kleben bleiben, wie es ihr anatomisch möglich ist. »Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs. Parker«, sieht Loki sich endlich erlöst, nachdem ich ihn vorgestellt habe und will meiner Mutter die Hand reichen. »Oh, ich bitte Sie«, säuselt sie honigsüß und richtet ihre Frisur. »Nennen Sie mich Wilhelmina.« Staunend beobachte ich, wie sie Loki Küsschen auf die Wangen drückt und ihm die Sonnenblumen entreißt. »Sind die für mich? Ich liebe Sonnenblumen! Kommen Sie doch herein.« Loki wird am Handgelenk gepackt und über die Schwelle gezerrt, was er kommentarlos mit sich geschehen lässt. Nur ein kurzer hilfloser Blick in meine Richtung zeugt von seiner Ratlosigkeit. »Ach, Harleen«, beginnt meine Mutter und bleibt in der Tür stehen, um sich zu mir umzudrehen. »Man sieht deinen BH-Träger. Du solltest ein Bolero-Jäckchen zu diesem Kleid tragen, um es aufzuwerten, und du solltest noch ein wenig mehr Make-up auftragen.« »Danke, Mom«, sage ich mit hängenden Schultern, schlurfe als letzte ins Haus uns ziehe die Tür hinter mir zu. Ich lasse meine Handtasche lustlos auf die Garderobe im Flur fallen und streife meine Pumps von den Füßen, da ich weiß, wie sehr es meine Mutter hasst, wenn man Straßenschuhe im Haus trägt. Als ich barfüßig in der Küche ankomme, sitzt Loki bereits bei Kaffee und Kuchen am Esstisch und Mom drapiert die Sonnenblumen in einer Bodenvase. Sie wirft mir einen kurzen Blick zu und schürzt missbilligend die Lippen, als sie meine nackten Füße bemerkt. Ich sehe, dass sie selbst ihre feinsten Ausgehschuhe trägt, fühle mich unwohl und husche schnell auf den freien Platz neben Loki, froh, dass ich so meine Fußnacktheit verstecken kann. »Wie habt ihr euch gleich noch einmal kennen gelernt?«, will meine Mutter wissen und füllt meine Kaffeetasse mit dem koffeinhaltigen Heißgetränk. Uh, wunder Punkt, denke ich und werfe Loki einen entschuldigenden Blick zu, während unsere Gastgeberin sich setzt und anfängt in ihrer Käsesahne herumzustochern. »Riley hat mit einem Schraubenschlüssel auf mich eingeprügelt«, sagt Loki eiskalt, doch ich kann die feine Nuance einer Neckerei in seiner Stimme hören. Meine Mutter schnalzt abwertend mit der Zunge und sieht mich entrüstet an. »Das klingt jetzt wirklich dramatisch«, muss ich gestehen. Und auch nicht ganz legal. »Aber es war der Situation angemessen.« »So haben wir dich nicht erzogen«, lässt Mom verlauten und schüttelt dabei langsam ihren Kopf. »Was würde dein lieber Vater, Gott habe ihn selig, dazu sagen?« Man könnte meinen, dass mein Vater die Radieschen von unten betrachtet, dabei ist er vor ein paar Jahren mit einer Zwanzigjährigen durchgebrannt. Loki wirft mir einen alarmierten Blick zu und ich verdrehe kopfschüttelnd die Augen um zu signalisieren, dass mit meinem Vater alles in Ordnung ist. Hin und wieder bekomme ich eine Postkarte von den Bahamas, wo er Kindern das Surfen beibringt und mit seiner neuen Frau Bahama Mamas schlürft. »Kein Wunder, dass der Mann austickt und ganz New York in Schutt und Asche legt«, findet Mom wieder zum Thema zurück und schiebt just mir die Schuld in die – gerade nicht vorhandenen – Schuhe. Hilfesuchend sehe ich zu Loki, der Käsesahne kaut und mich schelmisch grinsend beobachtet. »Genau«, sagt er zwischen bei Bissen und gibt sich gerade alle Mühe zu Schwiegermutters Liebling zu werden. »Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?« Mein Mund öffnet und schließt sich wieder, während ich fassungslos zwischen Mom und Loki hin und her blicke. Ich muss aussehen wie ein Karpfen, denn ich bringe keinen Ton hervor. »Ich...«, versuche ich es schließlich und sehe, dass meine Mutter beide Augenbrauen in Erwartung einer respektablen Erklärung in die Höhe zieht und mich abwartend mustert. Ich werde auf meinem Stuhl immer kleiner, schlürfe kurz an meinem Kaffee und sage: »Entschuldigung.« Mom nickt zufrieden und schaufelt Loki ein weiteres Tortenstück auf den Teller. »Ist ja gerade noch einmal gut gegangen«, sagt sie so daher und findet prompt ein neues Gesprächsthema. »Was machen Sie beruflich, Herr...?« »Loki. Bitte, nennen Sie mich Loki.« Mom lächelt zuckersüß und lehnt sich zufrieden gegen ihren weiß gestrichenen Küchenstuhl mit den rosa Sitzbezügen. »Ich bin Unternehmer.« Ich habe beschlossen, mich aus der Unterhaltung auszuklinken und sitze schmollend und mit verschränkten Armen am Tisch. Lokis Antwort bringt mich jedoch dazu, interessiert meinen Blick zu heben. »Ach, was unternehmen Sie denn?«, will meine Mutter wissen und meine Stirn kräuselt sich fragend. Was unternehmen Sie denn? »Wissen Sie, ich wollte ja nie, dass meine Harleen Pilotin wird, aber sie ist genauso stur wie ihr Vater.« Loki lächelt verstehend. »Nun, ich-« Ein schrilles Piepen rettet ihn vor einer Erklärung und ich blicke mich verwirrt im Raum um. Ist das Moms neuer Klingelton, von dem ich noch nichts weiß? Sie sieht jedoch genauso ratlos aus, wie ich mich fühle. »Entschuldigung«, sagt Loki und holt etwas kleines Eckiges aus seiner Hosentasche hervor. »Was ist das denn?«, frage ich, als er auf das Teil in seinen Händen blickt. »Ein Pieper«, antwortet meine Mutter für Loki und ich sehe nur kurz zu ihr. »Den habe ich von Fury bekommen«, erklärt Loki sich und liest die Worte auf dem kleinen Display. »Er ist pink«, stelle ich verwundert fest. »Stark hat sich köstlich amüsiert«, lässt Loki uns wissen und vor meinem inneren Auge erscheint ein gewisser Milliardär, der sich gerade tierisch ins Fäustchen lacht. »Heißt das, du gehörst jetzt offiziell zu den Guten? Herzlichen Glückwunsch!« »Dürfte ich kurz telefonieren, Wilhelmina?«, fragt Loki meine Mutter, ohne auf meine Worte einzugehen. »Selbstverständlich«, sagt diese rasch und setzt sich zur Unterstreichung ihrer Worte aufrecht hin. »Das Telefon befindet sich im Flur.« Loki nickt dankend, erhebt sich und verschwindet aus unserem Sichtfeld. Hach ja, denke ich, als ich ihm hinterher blicke. Mein Freund, der Superheld. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. »Erzähl«, flüstert Mom mir plötzlich zu und beugt sich über den Tisch zu mir herüber, kurz nachdem Lokis leise Stimme vom Flur zu hören ist. »Wie ist es denn so?« Ich bin verwirrt. Ich weiß nicht was sie meint und blicke hilflos im Raum umher. »Was denn?«, frage ich schließlich neugierig und Mom rollt genervt mit den Augen, fragt sich vermutlich gerade, weshalb ich eigentlich so schwer von Begriff bin. »Na, der Sex.« Och, bitte nicht. »Mamaaaaaa«, quietsche ich los und überprüfe mit einem kurzen Blick zur Tür, ob Loki noch immer außer Hörweite ist. Meine Haut macht plötzlich der Farbe meiner Haare Konkurrenz. »Was denn?«, echauffiert sich meine Mutter. »Das ist eine ganz normale Frage.« »Auf die ich dir keine Antwort geben werde. Das ist ziemlich privat.« »Ich bin deine Mutter«, sagt sie, als ob das die ultimative Erklärung ist. »Seit wann bist du denn so prüde? Ihr habt doch schon-« »Natürlich haben wir«, bricht es aus mir heraus und ich sehe mich hilfesuchend im Raum um. Was konnte mir jetzt helfen? Ein Erdbeben vielleicht? Aber Naturkatastrophen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. »Also schön«, murmelt Mom beleidigt, erhebt sich und geht zum Kühlschrank. Ich bin heilfroh, dass ich diese Peinlichkeit überlebt habe. »Dann tu mir bitte den Gefallen und sag mir, was du von meiner neuen Kreation hältst.« Mom besitzt ein kleines Café in Zentrumsnähe und lockt die Kunden nicht nur mit dem typischen Stil der Fünfziger an, sondern ebenfalls mit selbstkreierten Köstlichkeiten. Ich beobachte meine Mutter dabei, wie sie ein kleines Backblech aus dem Kühlschrank holt und mir vor die Nase setzt. Ich sehe Cupcakes. Schoko-Cupcakes, um genauer zu sein. Die cremige Masse, welche die Haube bildet, ist türkis und mit orangefarbenen Brausepulver bedeckt. Vorsichtig nehme ich eines der kleinen Törtchen zwischen zwei Finger und beiße hinein. Das Brausepulver kitzelt an meinem Gaumen und ich schmecke... Kaugummi! Begeistert reiße ich die Augen auf und nehme noch einen Biss. Sofort entfleucht mir ein genießerisches Stöhnen und meine andere Hand greift einen zweiten Cupcake. »Die find köftlif«, versuche ich mich mit vollem Mund zu artikulieren, was Mom ein leichtes Lächeln entlockt. Ich kann nur schwer dem Drang widerstehen, wie das Krümelmonster alles in mich hineinzustopfen. »Die müffen unbedingt in daf Angeboh.« Loki betritt die Küche und sein erst ernster Gesichtsausdruck weicht einem amüsierten Grinsen. Ich kann es ihm nicht verübeln. Ich sehe vermutlich aus wie die Todsünde Völlerei persönlich. »Das musst du kosten, Liebling«, sage ich zu ihm, als er näher tritt. »Ich wünschte, ich hätte eine Badewanne voll damit, dann könnte ich mich in die Dinger reinlegen.« Sein leises Lachen erfüllt den Raum, während ich mir die Finger lecke. »Das müssen wir leider auf später verschieben«, sagt er und wendet sich an meine Mutter. »Vielen Dank für die Einladung, aber ich fürchte, dass ich mich kurz davonstehlen muss.« »Kein Problem«, winkt meine Mutter armwedelnd ab. »Das Wohl der Welt geht vor unserem kleinen Kaffeeklatsch.« »Ich rufe an, wenn es länger dauert«, sagt Loki nun zu mir und beugt sich über mich, um mir einen Kuss zu geben. Als er meinen, mit türkisfarbener Creme, verschmierten Mund bemerkt, haucht er stattdessen einen Kuss auf meine Stirn. »Geht klar, aber lass dich bitte nicht wieder verprügeln«, sage ich schlicht, als er einen Schritt zurück tritt und sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht in einem »Phlump« auflöst. Meiner Mom entweicht ein erschrockener Schrei, während ich begeistert nach dem dritten Cupcake greife. Obwohl ich jetzt auch tierisch Lust auf saure Schnüre habe. »Das ist sehr beeindruckend«, sagt meine Mutter staunend, als sie ihre Sprache wiederfindet und sich einen Schluck Kaffee genehmigt. »Zum Abendessen wird er doch wohl wieder zurück sein?« Schluck. Das hoffe ich doch sehr. Sonst wäre ich ja den ganzen Abend mit Mom und ihren drängenden Fragen allein. Vielleicht kann ich mich ja irgendwie verdrücken. »Wann war noch mal das Holi Festival?« »Oh, da habe ich mich im Datum geirrt. Das war letzte Woche.« Neeeeeein. ~ Ende des 6. Kapitels ~ Ja... es hat etwas länger gedauert... aber ich hoffe, euch hat mein kleines vorweihnachtliches Geschenk trotzdem gefallen. Wir sehen/schreiben uns vermutlich erst wieder im nächsten Jahr! Wenn ich den Tripp nach London und die Coriolanus-Vorstellung lebend überstehen werde... Bis dahin: Frohes Fest und einen wundervollen Start ins neue Jahr!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)