Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 22: "Ich wollte dir lediglich genug Zeit geben, deinen Verstand einzuschalten, bevor du irgendetwas Dummes tust" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ "Ich möchte dich heute nicht zum letzten Mal gesehen haben." Stan hatte sich gegen die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und der Blick aus den blauen Augen war so viel ernsthafter, als er es von früher kannte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ließ er seine Lippen in ein leichtes Lächeln kurven. "Ich denke nicht, dass du viel dagegen machen kannst. Wir sind nur vorübergehend hier und ganz davon abgesehen will ich niemanden darauf aufmerksam machen, dass ich euch kenne." Damit verriet er keine Geheimnisse, so viel hatte sich der Andere schon selbst zusammenreimen können. Und dennoch schien Stan stur bleiben zu wollen. "Hat Brad es nicht verdient, irgendwann die Wahrheit zu erfahren? Und was soll er denken, wenn er dich nur ein Mal zu Gesicht bekommen hat, woran er sich dann wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern kann?" Er lauschte für einen Moment in sich hinein, doch nichts hinderte ihn daran, die nächsten Worte mit Gewissheit auszusprechen. "Er ist euer Sohn. Und falls ihr ihm wirklich einmal von mir erzählen wollt, dann hört mit der Geschichte vor dem heutigen Tag auf." Nun wurde auch seine Miene ernst. "Das ist nicht als Vorschlag gemeint, Stan. Mit meinem Besuch habt ihr mehr bekommen, als wir normalerweise zulassen. Aus guten Gründen." Damit war der Grundstein gelegt. Auch wenn er sich nicht darauf verlassen würde. Denn auch wenn er nicht unbedingt wollte, dass Schuldig in den Köpfen der beiden herumpfuschte, so war das hier eine Frage ihrer Sicherheit. Jetzt erhielt er ein Seufzen von Stan, der für einen Moment die Augen schloss. "Kommst du wenigstens noch zu unserem Silvesterball? Kathy hat heute kaum etwas von dir gehabt, weil sie sich zuerst um das Essen und dann um Brad gekümmert hat. Du bist ihr auch etwas Zeit schuldig." Das war… gut möglich. Allerdings fragte er sich, was ein einziger weiterer Besuch daran ändern sollte. Er zog eine Augenbraue hoch. "Und du meinst, als Gastgeberin wird sie dann mehr Gelegenheit haben, mit mir zu reden?" Stan hatte für diesen Einwand nur eine wegwerfende Handbewegung übrig und dessen Blick wurde wieder scharf. "Das ist nur eine Ausrede. Mehr Gelegenheit, als wenn sie dich gar nicht sehen würde, hätte sie schließlich auf jeden Fall." Mit einem leichten Nicken gab er sich geschlagen. "Ich werde dir nichts versprechen, außer, dass ich es ernsthaft in Erwägung ziehen werde. Unter der Bedingung, dass du niemandem sagst, wer ich bin." Das brachte ihm ein Lächeln ein. "Der Preis ist gering genug. Unterhalte dich mit deinen Kollegen einfach auf Deutsch oder Japanisch, dann wird niemand auch nur auf die Idee kommen, dich mit… dir… in Verbindung zu bringen. Falls mich jemand fragt, sage ich einfach, wir haben euch während des Urlaubs kennengelernt und eingeladen, da ihr zufällig zur richtigen Zeit hier wart." Das Ganze wurde ohne größe Verzögerung hervorgebracht und überrascht schüttelte er den Kopf. "Sag mal, seit wann kannst du so gut lügen?" In spielerischem Protest wurden beide Hände ausgestreckt. "Ich habe den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, welche Einwände du haben könntest und mir mögliche Lösungen überlegt. Mehr nicht." Womit bewiesen war, dass Stan wirklich verstanden hatte, allerdings seinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Und dieses letzte Mal war es noch möglich. Es würde Schuldig wenigstens den Job erleichtern, Stan und Kathy dauerhaft Versuche einer weiteren Kontaktaufnahme auszureden. Sozusagen. "Mm, in dem Fall frage ich lieber nicht, was du dir noch so alles ausgesponnen hast. Es könnte mein Bild von dir völlig auf den Kopf stellen." Dafür hatte Stan nur ein Schnauben übrig, begleitet von einem Blick, der auch ohne Worte auskam. Irgendwie fühlte er sich in diesem Moment an Schuldig erinnert und sein Freund hatte mit dem Deutschen normalerweise rein gar nichts gemeinsam. Es schien, als hätte Schuldig in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft bereits einen schlechten Einfluss ausgeübt. Der flüchtige Gedanke ging mit ebenso flüchtigem Amüsement einher, bevor er sie beide daran erinnerte, dass es Zeit war, Abschied zu nehmen. "Ich sollte die anderen nicht länger warten lassen." Stan stieß sich endlich von der Wand ab, gab ihm ein abgehacktes Nicken. "Ich vertraue darauf, dass du meine Einladung nicht ausschlägst", wurde dem hinzugefügt. "Ansonsten kann ich nämlich für nichts garantieren." Er zeigte nicht, dass er sich über diese kaum versteckte Drohung keinerlei Sorgen machte, denn sonst hätte Stan sich nur Gedanken darüber gemacht, woher seine Unbekümmertheit stammen könnte. Stattdessen zeigte er lediglich ein schmales Lächeln, wandte sich dann ohne weitere Worte zum Gehen. Kathy fing ihn ab, bevor er die Haustür erreichte, jetzt natürlich ohne Bradley, der schon tief und fest schlafen sollte. Anders als Stan bestand sie aber auf keine weiteren Besuche und verlor auch ansonsten keine Worte. Der flüchtige Kuss, der seine Lippen mit Wärme streifte und völlig unschuldig ausfiel, war beredt genug. Mit einem innerlichen Seufzen konnte er dann endlich die Tür hinter sich schließen und als erstes suchten braune Augen nach dem Mietwagen. Die anderen hatten sich schon hinein gesetzt, mit Ausnahme von Schuldig, der offensichtlich auf ihn gewartet hatte und ihn jetzt kurz beiseite nahm. "Ich habe ihn während unseres Besuchs beobachtet und mein erster Eindruck hat sich bestätigt. Ich glaube nicht, dass er ein Talent hat, da war nicht die geringste Unregelmäßigkeit in seinem Muster. Und auch bei Kindern, deren Talent noch nicht durchgebrochen ist, sind in der Regel zumindest solche Vorboten zu erkennen." Im Anschluss wurde er ungewohnt ernst und ohne Ungeduld gemustert. Anscheinend wollte Schuldig ihm genug Zeit geben, um sich zu überlegen, ob ihm das reichte. Aber es war noch gar nicht erforderlich, sich festzulegen, nicht wahr? "Ich gehe zwar davon aus, dass er mein Talent nicht geerbt hat, es wäre auch ein zu großer Zufall, wenn es ausgerechnet bei ihm anders sein sollte. Aber ich werde sicherheitshalber mit Herrn Schneider Rücksprache halten." Schuldig schaffte es mit Bravour, ein Zusammenzucken zu unterdrücken. "Du bist dir also sehr sicher, dass er Bescheid weiß." Sein Lächeln fiel völlig humorlos aus. "Das bin ich." Schuldigs Grinsen enthielt ebenfalls keine Belustigung. "Hast du ansonsten noch etwas für mich zu erledigen, bevor wir aufbrechen?" Grundsätzlich nicht, aber… "Haben sie vor, jemanden über mein Auftauchen zu informieren?" Der Andere schüttelte so schnell den Kopf, dass klar war, dass die Frage vorausgeahnt worden war. "Nicht ohne Not, nein." Eine kurze Pause. "Hast du tatsächlich vor, nochmal herzukommen?" "Es ist besser so, nicht wahr? Es hält Stan von Dummheiten ab und du wirst ausreichend Zeit haben, dafür zu sorgen, dass es sie künftig nicht auf die Idee kommen, nach mir zu suchen." Die Aussage schien Schuldig irgendwie zu erleichtern und er erhielt einen zweifingrigen Salut. "Wird erledigt, großer Meister." Es war spät, als sie wieder beim Hotel ankamen, die tiefschwarze Nacht nur aufgehellt durch die künstlichen Lichter der Stadt. Er würdigte den Portier, der ihnen die Tür öffnete, kaum eines Blickes und die anderen schienen auch nur noch ein Ziel zu kennen. Beinahe hätte sich ein Lächeln auf seine Lippen geschlichen, als er ihre müden Gesichter im Spiegel des Fahrstuhls musterte. Dieses eigentlich simple Treffen schien anstrengender gewesen zu sein als so mancher Auftrag, den sie sonst selbst um diese Zeit ohne Probleme hinter sich gebracht hatten. Oder vielleicht konnte er es auf den Ausflug ins Shopping-Center davor schieben… Mit einem Blick auf die Tüten, die sich in Schuldigs Händen befanden. Der Telepath schien seine Gedankengänge zu erraten, doch mehr als einen unwirschen Blick aus grünen Augen erhielt er nicht als Reaktion. Für alles andere schien Schuldig die Energie zu fehlen. Dieses Mal lächelte er wirklich und spürte gleich darauf, wie sich Finger um sein Handgelenk schlossen. Hm… ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass Ran ebenfalls lächelte, seine Stimmung spiegelnd. Er nahm es zum Anlass, ihn zu sich heranzuziehen, als sie allein in ihrem Zimmer waren und Ran ließ sich nur zu gerne darauf ein, erhob sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Anschließend wurde er etwas atemlos aber nichtsdestotrotz zufrieden gemustert. "Was ist?", erkundigte er sich leise, strich eine rote Strähne zurück, die Ran ins Gesicht gefallen war. "Sie sind nicht deine Familie." Die scheinbar völlig zusammenhanglose Antwort ließ ihn für einen Moment stocken, doch dann verstand er und damit auch Rans Zufriedenheit. "Hast du ernsthaft befürchtet, ich könnte mich plötzlich dafür entscheiden, Schwarz hinter mir zu lassen und sesshaft zu werden?" Ein leichtes Schulterzucken, aber der Ausdruck in den violetten Augen sagte alles. Anscheinend fand Ran immer wieder neue Gründe für Unsicherheit. Dabei konnte der Rothaarige in anderen Situationen so souverän sein… Da er einsah, dass Worte an dieser Stelle nichts nützen würden, ließ er lieber Taten sprechen. Und Ran schien erst überrascht, war dann aber mit Feuereifer bei der Sache. Und jede Müdigkeit war vorerst vergessen. Später ließ er den Jüngeren schlafend im Bett zurück, während er selbst ins Bad verschwand, um eine Dusche zu nehmen. Das heiße Wasser verstärkte die Entspannung noch, addierte zur Ruhe, die ihn im Moment erfüllte. Erst als er sich wenig später auf der Couch niederließ, sein Handy in der Hand, beschleunigte sich sein Herzschlag für ein paar Sekunden, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Leicht verärgert über sich selbst runzelte er die Stirn, doch auch diese Reaktion war nicht besser, weswegen sich seine Miene rasch wieder glättete. Letztendlich war sein Gesicht etwas starr, als er die vertraute Nummer wählte und er musste nur wenige Sekunden warten, bis Schneider abnahm. "Crawford. Du hast sie also getroffen, ja?" Ein Ruck ging durch ihn. Nur innerlich, doch dafür umso stärker empfunden. Und alles nur, weil er seinen Namen gehört hatte, gesprochen von Schneiders Stimme. Es erdete ihn in sich selbst, denn der Deutsche war damals dabei gewesen, als er beschlossen hatte, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Und so surreal es gewesen war, heute mit 'Brad' angesprochen worden zu sein, jetzt konnte er das ebenfalls hinter sich lassen. Erst als seine Überlegungen so weit gediehen waren, konnte er den Rest von Schneiders Begrüßung verarbeiten und sein Griff ums Handy verstärkte sich. "Sie wissen es bereits?" Ein Lachen drang an sein Ohr. "Jetzt ja. Es war nicht schwer zu erraten, warum sonst solltest du zu nachtschlafender Zeit anrufen. Nun, nachtschlafend für dich, jedenfalls." Ein Moment des Schweigens folgte. "Du solltest das nicht zur Gewohnheit werden lassen." "Dann geben Sie mir keinen Grund dafür", gab er etwas unwirsch zurück, daran erinnert, weswegen er mit diesem Anruf nicht hatte warten können. Wieder Schweigen und dann bildete er sich beinahe ein, den Deutschen vor seinem inneren Auge lächeln zu sehen. "Du willst dich beschweren?" Braune Augen verengten sich und Fingernägel stachen in nachgiebige Haut, als sich seine freie Hand zur Faust ballte. "Sie… Sie haben es schon wieder getan! Mich manipuliert." Er fühlte sich… betrogen? Dass ihm Schneider seinen Sohn verschwiegen hatte, konnte er verstehen. Denn was hätte ihm dieses Wissen gebracht, während die Ältesten noch an der Macht waren? Nichts als Ärger, so viel war sicher. Und als es nicht mehr nötig war, Stillschweigen zu wahren, war ihm die Möglichkeit gegeben worden, die Wahrheit zu erfahren. Doch zu merken, dass seine Reaktionen auf Bradley nicht wirklich _seine_ waren. Das war weniger leicht zu verkraften. Der Tonfall des Älteren war ernst, als dieser antwortete, das Amüsement von zuvor völlig verschwunden. "Ich wollte dir lediglich genug Zeit geben, deinen Verstand einzuschalten, bevor du irgendetwas Dummes tust. Das sollte dir klar sein. Ansonsten hätte ich ganz einfach verhindert, dass du sie wiedersiehst." Er atmete tief durch, als er die Wahrheit in diesen Worten vernahm. Ganz davon abgesehen, dass Schneider ihn sowieso nicht offen belügen würde, waren es auch keine Ausflüchte, keine verdrehten Ebenen von Bedeutung. Und auch wenn er es sich gerade nicht vorstellen konnte, gerade _weil_ Schneider ihn ruhiggestellt hatte, so war es gut möglich, dass seine erste Reaktion etwas extrem hätte ausfallen können. Er schloss die Augen und ein etwas verlorenes Lächeln begann seine Mundwinkel zu kurven. Wie es aussah, würde er niemals gegen den Älteren ankommen. Schneider war ihm stets unzählige Schritte voraus. Was die Frage aufwarf… "Wann eigentlich haben Sie es für erforderlich gehalten, diese… Sicherung… in meinem Kopf zu hinterlassen?" Er konnte hören, wie Schneider sich zurücklehnte und er wünschte sich, er könnte es auch sehen. Weil dann nicht die halbe Welt zwischen ihnen liegen würde. "Hast du die Verbindung noch nicht selbst hergestellt? Ich nehme an, dass dir dein Freund erzählt hat, dass sie in Japan waren. Und die Nähe schien gereicht zu haben, um dein Talent anspringen zu lasssen. Ich konnte es in deiner Erinnerung sehen, als wir im Japan-Büro über die Pläne für eine amerikanische Schule sprachen. Diesen einen Moment einer flüchtigen Vision, die du nie als solche identifiziert hast. Dir war wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass es da mehr gab, dass dich an deine alten Freunde hat denken lassen. Aber ich wusste, dass sie in Japan waren und deine Träume nicht nur von deinem Bruder handelten. Und ebenso wusste ich, dass dein Talent keine Ruhe geben würde, bis du Bradley tatsächlich treffen würdest…" Mit den letzten Worten war das Amüsement in Schneiders Stimme zurückgekehrt, warm. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, als er die Informationen zu verarbeiten versuchte. Und er konnte sich an das Gespräch erinnern, natürlich. Aber welche Vision Schneider gerade meinte… Und genauso hatte er in diesem Sommer viel zu häufig von seinem Bruder geträumt, wie er jedenfalls angenommen hatte. Er hatte keine Chance, jetzt noch zu unterscheiden, ob das Gesicht darin zum Teil tatsächlich Bradley gehört hatte. Mit einem Seufzen gab er vorerst auf, stellte die nächste Frage. "Und soll ich jetzt ewig mit dieser Sperre im Kopf herumlaufen?" "Hm, nein. Ich denke nicht. Es wäre eine gute Entschuldigung, dich jetzt schon besuchen zu kommen, nicht wahr?" ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)