Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Liebe. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, was die wahre Bedeutung dieses Wortes sein könnte. War ich doch fest davon überzeugt gewesen diese zu kennen, sie bei jeder meiner vergangenen Beziehungen neu kennen gelernt zu haben. Und doch wurde mir diese Überzeugung in nur einer einzigen Nacht, mit nur einer einzigen Begegnung zunichte gemacht. Überhaupt wurde mein ganzes Leben völlig aus den Fugen gerissen, als mich die Wucht der Erkenntnis mit sich riss und mich auf eine neue, völlig andere Ebene der Empfindung warf. Egal was die Leute auf diesem Planeten mit diesem Begriff in Verbindung brachten, noch immer bringen, egal wie es beschrieben und umschrieben wurde und immer noch wird, sie selbst zu erleben, sie zu fühlen und sie in den Händen zu halten, das alles konnte noch nie in Worte gefasst werden, weil eben diese Worte, diese Aneinanderreihungen von Silben, es nicht einmal auch nur ansatzweise schafften den Kern zu verdeutlichen, die Wucht zu veranschaulichen, geschweige denn zu treffen. Und doch ist der wohl beste Vergleich, wenn auch nicht der verbindlichste unter den zahllosen, nie abreißenden Exempeln, ein Hurrikan. Viele wissen oder besser gesagt glauben zu wissen, was damit gemeint ist, weil sie Bilder davon und von dessen Folgen gesehen haben, weil sie diesen Begriff in Lexika nachlesen können. Aber wirklich nachvollziehen können sie es nicht. Dieses Privileg gilt einzig und allein denen, welche bei so einer Naturgewalt dabei waren, die es am eigenen Leib zu spüren bekamen. Ein Hurrikan. Kraftvoll, mitreißend und ja, auch zerstörerisch, aber trotz allem faszinierend. Ich möchte euch meine Geschichte erzählen, aus meiner Sicht. Euch mit auf die Reise durch meine Erinnerung nehmen, euch mein Erlebnis mit der Liebe erzählen und euch wenigstens versuchen zu verdeutlichen, wohin eben jene jemanden bringen kann. Ich möchte, dass ihr wisst, dass überall auf dieser Welt solche Naturgewalten lauern, dass sie auch an Orten zu warten scheinen, welche als denkbar ungeeignet für so eine Erfahrung gelten. Ich möchte ihn euch vorstellen. Meine Liebe. Meinen persönlichen Hurrikan. ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Der süßliche Geruch von Morphium stieg ihm in die Nase, als er sich seinen Weg durch die überfüllten Straßen bahnte, seinen Blick dabei auf die zahlreichen, leicht bekleideten Frauen gerichtet. Es war unbegreiflich für den Grauhaarigen, wie man sich bei diesen knappen Temperaturen, wie sie nun einmal in den Wintermonaten herrschten, so sommerlich anziehen konnte. Aber dieser Gedanke wurde schnell wieder in den hintersten Winkel seines Verstandes gedrängt, immerhin war es nicht die Kleidung, welche ihn zu dieser späten Stunde in dieses, von Männern gut besuchte, Viertel getrieben hatte. Weder die Frauen, noch die Dienste, die diese anboten, hatten den jungen Mann angelockt. Es war seine Arbeit gewesen, egal wie schwach sich dieses Argument anhörte, es war wahr. Unter all diesen stark geschminkten und aufreizend angezogenen Prostituierten versuchte er für gewöhnlich diejenigen zu finden, die minderjährig waren. Immer mehr reduzierte Kakashi sein Schritttempo, bis er schließlich gänzlich und direkt vor einem Freudenhaus zum Stehen kam. Für gewöhnlich, ja. Heute Nacht jedoch war seine Aufgabe spezieller. Noch einmal rief sich der Hatake den Nachmittag in Erinnerung. Wie sein Partner und bester Freund ihm von diesem Bordell erzählt hatte. Wie er erzählt hatte, dass hier die Quelle war, die er und sein Team schon seit Jahren versuchten zu finden. In den Hinterzimmern dieses Gebäudes wurden angeblich ausschließlich Minderjährige beschäftigt, in jeder Hinsicht illegal und meist aus dem Affekt heraus, dass diesen nur dieser Ausweg offengelegt wurde. Und das trieb ihn heute Nacht hierher, er hatte den Auftrag Beweise zu liefern. Beweise, die aussagekräftig genug waren, um dieses Etablissement schließen zu können. Diesen Teufelskreis zu sprengen und den Opfern einen Ausweg aufzuzeigen. Eine Hoffnung auf ein Leben, in dem sie mit ihrem Können und nicht ihrem Körper zu Geld kamen. /Dann wollen wir doch mal sehen, ob Itachi recht hatte./ Mit diesen letzten Gedanken schob er die kunstvoll bespannte Schiebetür beiseite, versicherte sich noch einmal, dass er das unscheinbare Stückchen Papier, welches in der nächsten Zeit seine Eintrittskarte sein würde, nicht verloren hatte und trat ein. Kapitel 1: Nummer 488 --------------------- Dumpf schlug sein Profil auf dem Paketboden auf, als er die drei kleinen Stufen emporstieg, die ihn daran gehindert hatten, den Vorraum des Freudenhauses vollkommen zu betreten. Verschwunden war der Morphiumgeruch, der ihm noch vor kurzem auf der Straße begegnet war und ein neuer, schwerer Duft beschlagnahmte seine Sinne. Nur einen dezenten Platz nahm dieser, in dem spärlich und doch elegant eingerichteten Saal ein, wirkte dadurch kein bisschen aufdringlich und harmonierte ausgesprochen gut, mit dem kunstvoll gestalteten Empfangstresen. Er war, wie auch der Paketboden, aus einem feinen dunklen Holz gearbeitet. Die abgerundete Front glänzte, wurde – in perfekt gleichen Abständen – von drei LED-Linien in ihrer Härte gemaßregelt und lockerte die mürbe Erscheinung, des Möbelstückes, deutlich auf. Und obwohl es neben diesen Lichteinschnitten ebenso Pflanzen, Bilder und eine elegante Statur gab, welche die kahlen Stellen verdrängten und eine gemütliche Atmosphäre schufen, wirkte der Eingangsbereich einschüchternd. Kakashi hatte in seiner Laufbahn schon viele illegale Bordelle auffliegen lassen, aber dieses hier unterschied sich deutlich von allen anderen. Nicht ein erotisches Bild zierte die hellen Wände und auch sonst bot keiner, der sich hier befindlichen Gegenstände, einen Aufschluss darüber, um was für eine Einrichtung es sich hier handelte. Selbst der Kronleuchter über ihm, wirkte in dem Zusammenspiel aus Farben, Holz und Geruch nicht überladen oder gar kitschig. Der Polizist hatte noch nie einen Raum betreten, in dem diese Lichtquelle so harmonisch wirkte wie hier. Zielsicher nahm er seinen Weg wieder auf, steuerte direkt auf den Tresen zu und drückte kurz auf den kleinen Knopf der goldenen und altmodischen Klingel. Augenblicklich erfüllte der produzierte Laut die Luft um ihn herum. Jetzt, wo er sich direkt am Empfang befand, konnte er ein kleines Stück des Korridors erspähen, welcher wohl zu den vergnüglichen Winkeln des Gebäudes führen musste. Gedämpfte Schritte ertönten und kurz darauf bog der schlanke Körper einer Frau, aus einem Zimmer, das an den Flur grenzte, direkt auf den Tresen zu und kam erst zum Stehen, als sie sich hinter diesem befand. „Schönen guten Abend, mein Herr. Wie kann ich ihnen behilflich sein?“ Sie war schön, das musste Kakashi zugeben. Sie lächelte ihn freundlich an, ohne dabei aufgesetzt oder penetrant zu wirken, während sie ihn mit ihren rotbraunen Augen souverän ansah. Das einzige, das annähernd aufdringlich schien, waren ihre Haare. Sie leuchteten in einem Rot, wie es der Hatake selten in natura gesehen hatte. Zwar wurde es in einem Dutt zusammengeführt, aber ihr schlichtes Make-Up und das schwarze Kostüm, welches nahtlos auf ihre Brille abgestimmt war, waren zu schlicht, als das es von diesem hätte ablenken können. Wortlos überreichte er ihr die Karte, die er von ihrem Informanten und Verbündeten erhalten hatte und wartete ab, während die Dame, welche er auf Anfang dreißig schätze, ihm das Pergament abnahm und es gegen das Licht hielt. Es verwunderte den Grauhaarigen kein Stück, man hatte ihn über das Wasserzeichen, das die Originalität des Dokuments bescheinigte, aufgeklärt. „Wir freuen uns, Sie bei uns begrüßen dürfen, mein Herr.“ Routiniert trat die Frau hinter dem Empfangstresen hervor und streckte eine ihrer Hände, einladend in Richtung des Korridors, aus dem sie vor kurzem selber gekommen war. „Mein Name ist Karin, ich werde Sie durch die einzelnen Räumlichkeiten führen und mit ihnen dann alles Weitere besprechen. Wenn Sie mir nun bitte folgen wollen.“ Und damit wandte sie sich ab, betrat den weitläufigen Flur und blieb für einen kurzen Moment an der ersten Tür stehen. Sie war geöffnet und Kakashi konnte eine Art Aufenthaltsort erkennen. „Suigetsu, ich bin verhindert, kümmere dich bitte um den Empfang.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging die Rothaarige weiter, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Neuankömmling im Begriff war ihr zu folgen. Das Licht der Wandlampen war angenehm in den Augen, nicht so beißend, kalt und hell wie die Neonröhren auf dem Präsidium. Das gleißende Licht war warm und in einer Intensität vertreten, die es dem Körper erlaubte runterzufahren und zu entspannen. „Auf der rechten und linken Seite befinden sich die Umkleidekabinen, zwölf Stück an der Zahl. Sollte Ihnen danach sein, sich etwas freier zu fühlen, finden Sie dort einen Yukata des Hauses, welchen Sie selbstverständlich anziehen dürfen. Ihre Sachen können Sie dort lassen, einer der Pagen wird sich um diese kümmern und vor ihrer Abreise unversehrt bereit legen. Sollten Sie sich, nach dem Aufenthalt in den Räumlichkeiten, frisch machen wollen, so können Sie dies dort auch gerne machen. Jeder der Umkleideräume verfügt über eine eigene Duschmöglichkeit, Utensilien für dieses Unterfangen befinden sich ebenfalls darin. Sobald Sie über die Formalitäten aufgeklärt wurden, wird ihnen eine Nummer zugeteilt, anhand derer ihnen eine dieser Kabinen und damit auch ein Page, zugeordnet wird. Darauf werde ich aber, zu gegebener Zeit, genauer eingehen.“ Mit einem freundlichen Lächeln drehte sich Karin nun zu der weitläufigen Treppe um, die sich den beiden am Ende des Ganges entgegenstreckte. „Im oberen Stockwerk befindet sich der vergnügliche Teil. Wir führen ein gemischtes Unternehmen mit geprüften Mitarbeitern. Sie müssen sich, um ihre Gesundheit, also gewiss keine Sorgen machen. Sollte es jedoch einmal vorkommen, dass Sie einen ihrer Besuche nicht genießen können, melden Sie sich bitte an der Rezeption. Wir werden dann umgehend versuchen das Missgeschick zu beheben und Ihnen eine Entschädigung zukommen zu lassen.“ Das darauffolgende verwirrte den Polizisten. Sie gingen nicht wie erwartet in das obere Stockwerk, sondern setzten dazu an, zurück in Richtung Empfangsbereich zu schreiten. Gerade als Kakashi sich nach diesem Umstand erkundigen wollte, erhaschte er einen Blick auf einen schweren Vorhang direkt an der Wand. Er war aus einem festen, schweren Stoff gefertigt und so genau an die Tapete angeglichen, dass es ihm nicht aufgefallen wäre, wenn dieser nicht leicht verrutscht wäre und somit einen massiven Griff erscheinen ließ, der eindeutig einen weiteren Weg hier im Erdgeschoss freilegte. Gerade als er seine Hand nach dem Griff ausstreckte, zog die Rothaarige wieder den schützenden Stoff davor. „Dieser Bereich ist nur für besondere Besucher geöffnet. Ich bitte Sie, das zu akzeptieren. Wenn Sie mir nun wieder folgen würden.“ Obwohl ihr Tonfall sich nicht geändert hatte, konnte Kakashi an ihrem Gesicht ablesen, dass sie nervös war. Ihr Lächeln wirkte plötzlich gezwungen und ihre Atmung ging schneller, so als habe er etwas gesehen, was der Rothaarigen ihren Job kosten könnte. „Bitte kommen Sie.“ Noch einmal vergewisserte sich die Empfangsdame, dass der Neuankömmling auch wirklich von dem Vorhang und dem dahinter liegenden abließ, bevor sie weiterging. Wiederholt schritten beide an den Umkleideräumen vorbei in Richtung Eingangsbereich, aber bevor sie diesen erreichten, kam Karin zum Stehen und bedeutete dem Grauhaarigen, mit einer einladenden Geste, den Raum gegenüber des Aufenthaltsraumes zu betreten. Zögerlich kam der Polizist der Aufforderung nach und fand sich augenblicklich, in einem freundlich eingerichteten Raum wieder. Souverän deutete Karin auf eine der hochwertigen Ledercouchen und wartete geduldig, bis sich der Hatake gesetzt hatte, bevor sie selbst neben ihm Platz nahm und einen schwarzen Ordner unter dem niedrigen Tisch hervorholte. „In diesem Katalog finden Sie jeden unserer Angestellten. Sollten Sie den Wunsch haben, mit einem oder einer von ihnen, persönlichen Kontakt zu knüpfen, werden wie den schnellstmöglichen Termin ermitteln. Schauen Sie es sich in Ruhe an und lesen Sie sich ein. Ich werde Sie nun etwas alleine lassen und ihre Clubkarte vorbereiten.“ Damit erhob sich die Rothaarige, verbeugte sich noch einmal tief und verließ den Raum. Gespannt ließ Kakashi einige Sekunden verstreichen, wartete darauf, dass noch etwas passieren würde, dass jemand in den Raum gestürmt käme und ihn hinauswerfen würde, denn es war zu einfach gewesen. Seit seiner Ankunft, war nicht einmal ganz eine halbe Stunde vergangen und jetzt hielt er schon die Auflistung der Angestellten in seinen Händen. Als nach einer halben Minute noch immer keine Schritte auf dem Gang erklangen, zog er den Ordner an der unteren Ecke zu sich und schlug ihn auf. Behutsam besah er sich den, nun offen gelegten Steckbrief, einer jungen Frau. Blätterte weiter, ein Mann. Weiter, wieder ein Mann. Eine Frau, noch eine Frau. War sein Blick zu Anfang noch interessiert und auch auf die beigefügten Fotos gerichtet, fixierte sich sein Augenmerk nun nur noch auf die Zeile, welche das Alter preisgab. Und was ihm da offen gelegt wurde, gefiel ihm gar nicht. Alle hier Beschäftigten waren über 21 und hatten ein angemeldetes Gewerbe, sprich, sie taten nichts Illegales. Aber das war nicht möglich, ihr Informant Orochimaru hatte ihnen versichert, dass sie hier auf die Quelle des Übels treffen würden, denn in jedem Fall, den seine Abteilung gelöst hatte, war ein Name beigelegt worden. Und eben diesen Namen hatte auch ihr Kontaktmann erwähnt, als er bei ihnen aufgetaucht war. Angeblich hatte der Bordellbetreiber, dem hellhäutigen damals einen Deal versaut, etwas was Orochimaru nie wirklich verkraftet hatte. Aber das hatte sein Team nicht interessiert. Viel wichtiger war es für sie, dass es der Schwarzhaarige geschafft hatte, eine Eintrittskarte zu diesem Etablissement zu beschaffen. Schon länger hatten sie dieses Gebäude in Augenschein genommen, es aber nie geschafft einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken. Er hatte noch genau die Worte des Polizeipräsidenten im Kopf, der ihnen versicherte, dass der Besitzer sich kooperativ gezeigt hatte und es dort mit rechten Dingen zuging. Für gewöhnlich beließ ihre Abteilung es dann dabei, jedoch war etwas an dem Verhalten des Präsidenten seltsam gewesen. Er selbst hatte es nicht wahrgenommen, aber ihr Vorgesetzter schon. Nachdem Danzou ihre Abteilung verlassen hatte, hatte Pain sie zu sich gerufen und ihnen von Orochimaru erzählt. Sie hatten sich beraten und Kakashi für diese Mission ausgewählt. Es war also nicht möglich, dass hier alles mit rechten Dingen vonstattenging. Angestrengt überlegte der Grauhaarige, was er übersehen haben könnte, während er in seinen Gedanken, noch einmal die Tour mit Karin durchging. „Haben Sie sich schon entschieden?“ Heftig zuckte der Hatake zusammen, er war so in seine Überlegungen vertieft gewesen, dass er die Schritte der Rothaarigen nicht wahrgenommen hatte. „Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Geschmeidig nahm die Rezeptionistin wieder neben ihm Platz und reichte ihm eine kleine Plastikkarte, nicht größer als eine Bankkarte. „Muss ich etwas unterschreiben, damit ich in Ihrer Kundenkartei auftauche?“ Das erste Mal, seit seiner Ankunft spiegelte sich Verwunderung und auch eine Spur von Entsetzten in ihrer Mimik wieder. „Wir wahren Diskretion, mein Herr. Der Schein, den Sie mir am Anfang gegeben haben, war ihre Anmeldebestätigung. Ab jetzt sind Sie Nummer 488. Haben Sie sich schon für eines unserer Angebote entschieden?“ Irritiert blickte er die Frau neben sich an, welche nur freundlich auf den Katalog in seinen Händen zeigte. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er sich nicht einen Namen aus dem Ordner gemerkt hatte, aber das konnte er Karin ja schlecht erzählen. Gleißend fuhr die Stimme von Orochimaru durch seinen Kopf, wie dieser ihnen von einer jungen Frau erzählt hatte, welche er gerne selbst besucht hatte und die ihnen bestimmt eine wichtige Verbündete im Kern sein würde. „Ja, ich möchte bitte zu Hitomi.“ Mit festem Blick sah der Hatake in die feinen Züge der Rothaarigen, die nur irritiert ihre Brauen hob. „Sind Sie sich sicher?“ „Warum sollte ich es nicht sein?“, irritiert verließ diese Frage die Lippen des Grauhaarigen. „Nun ja, sie ist etwas schwierig was Kunden angeht, die sie nicht kennt. Möchten Sie nicht-“ „Nein, möchte ich nicht“, fuhr Kakashi ihr über den Mund. „Sollte es Probleme geben, kann ich mich ja an Sie wenden.“ Mit einem freundlichen Lächeln versuchte er seine harten Worte etwas abzumildern und seine Deckung aufrecht zu erhalten. Mit Erfolg, wie er feststellte, denn nun breitete sich auch ein Lächeln auf den Lippen der Rezeptionistin aus. „Ich werde Sie hinbringen. Möchten Sie vorher einen der Umkleideräume aufsuchen?“ Verneinend schüttelte Kakashi mit seinem Kopf und folgte, zum wiederholten Male an diesem Abend, der jungen Frau durch den Flur. Diesmal zögerten sie nicht, als die beiden an der Treppe ankamen, sondern stiegen diese empor um in die obere Etage zu gelangen. Im Obergeschoss angekommen fühlte sich der Polizist umzingelt. Während im unteren Bereich des Hauses, nur vereinzelt Türen angebracht waren, schienen hier mindestens dreimal so viele Räume vertreten zu sein und jeder von ihnen war nummeriert. Bevor er den neu gewonnenen Eindruck wirklich verarbeiten konnte, wurde er auch schon auf eine Tür verwiesen. „Hitomi hat die Zimmernummer 16. Auch wenn die Räumlichkeiten hier so erscheinen, als wären sie zu dicht aneinander, um Ihnen genügend Privatsphäre zu bieten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass eine spezielle Wandverdichtung keinen Laut nach außen oder in die Nebenzimmer dringen lässt. Sie müssen sich also nicht zurückhalten. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt, bitte kommen Sie bald wieder.“ Und damit klopfte sie kräftig an die Tür, bevor sie diese öffnete und sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete. Kurz beobachtete Kakashi, wie sie die Treppe nach unten ging, bevor er sich voll und ganz auf das vor ihm liegende fokussierte. Selbstsicher schritt er in das helle Zimmer, registrierte sehr wohl den abwertenden Blick der Frau in diesem und schloss die Tür. „Sollten Sie es wagen mich anzufassen, werde ich dafür sorgen, dass Sie sich in den nächsten Wochen nur noch unter Schmerzen setzten können.“ Er konnte spüren, wie sich ein ironisches Lächeln auf seine Lippen schlich, nicht, weil er sie spielend hätte verletzten können sollte sie ihn tatsächlich angreifen, sondern weil die Frau genau so war, wie ihr Informant sie beschrieben hatte. Ihre lila schimmernden Haare reichten ihr bis zu den Schultern und der Kimono, den sie trug, verdeckte nur spärlich ihre Brust. Der seidige, helle Stoff des Kleidungsstückes, hob sich anmutig von ihrer leicht gebräunten Haut ab. Auch sie war schön, nicht auf den ersten Blick, oder so offensichtlich wie es bei Karin der Fall gewesen war, aber sie hatte etwas Exotisches an sich. Gewiss stellte ihre verbissene Art, dieser trotzige Ausdruck in ihren hellbraunen Augen, für manche Männer einen Reiz dar. Aber das stand für ihn nicht zur Debatte. „Glotz mich nicht so an!“ Schnell war sie aufgesprungen und hatte sich den erstbesten Gegenstand gegriffen der ihr in die Finger kam, nur um diesen kurz darauf in die Richtung des Hatake zu schleudern. Für einen kurzen Moment war er von dieser Geste so überrascht, dass er zu spät reagierte und der Gegenstand hart gegen seine Schulter schlug. Der ganze Körper der Prostituierten war angespannt und es machte den Anschein, als wollte sie ihn wirklich verletzten, wenn er es auch nur wagen würde eine falsche Bewegung zu machen. Langsam ließ er seinen Blick von dem Gesicht der Frau zu der kleinen Schale wandern, welche ihn gerade noch getroffen hatte. Eines musste Kakashi der Dame vor ihm lassen, sie hatte eine recht gute Treffsicherheit und auch ihre Wurfkraft war nicht zu verachten. Scheinbar desinteressiert richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Körper vor ihm und blieb an der nun gänzlich entblößten Brust hängen. „Nett“, kommentierte Kakashi und besah sich das Schauspiel vor sich, als er als einzige Erwiderung einen lauten Aufschrei bekam und registrierte, dass die Lilahaarige im Begriff war sich auf ihn zu stürzen. Schnell hatte er die schmalen Handgelenke umschlossen, stoppte so die für ihn bestimmte Ohrfeige und sah direkt in die, von dichten Wimpern umschlossenen, braunen Augen der Frau. Er hatte noch eine Trumpfkarte. Der Polizist wusste, dass Hitomi nicht ihr richtiger Name war. Niemand, der in diesem Milieu arbeitete, pflegte seinen richtigen Namen preiszugeben. Zu kostbar waren die Erinnerungen an das damit verknüpfte Leben, als dass sie zulassen würden, dass dieses beschmutzt würde. Oder es war genau umgekehrt. Sie hatten ein Leben geführt, welches so schrecklich war, dass sie es mit ihrem neuen Namen hinter sich ließen. Doch egal welche der beiden Möglichkeiten der Fall war, beide hatten denselben Effekt. Die Person verschwand hinter einer Maske. „Anko Mitarashi, ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Abrupt ebbte der auf seinen Griff ausgeübte Druck ab. „Woher?“ „Orochimaru hat mir erzählt, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen können.“ Diese Aussage brachte den Widerstand der Frau nun gänzlich zum Erliegen und sie sank auf ihre Knie. Immer und immer wieder ein und denselben Satz wiederholend. Unter Tränen flüsternd und doch mit so viel Glückseligkeit in der Stimme, dass dem Hatake schlagartig bewusst wurde, dass er hier richtig war. „Er hat wirklich Hilfe geschickt.“ Kapitel 2: Spielbeginn ---------------------- Noch immer erfüllte das leise Schluchzen der jungen Frau den Raum, während er einfach nur da stand und ihr die Zeit gab, die sie brauchte um sich wieder zufassen. Kakashi konnte nur erahnen was sie durchgemacht hatte, aber was es auch gewesen sein mag, es hatte sie gebrochen. Die abweisende Haltung zu Anfang war eine Tarnung gewesen. Eine Maske, hinter der sich die Lilahaarige versteckt hatte, hinter der sie versucht hatte stark zu wirken und sich selbst zu schützen. Eine falsche Persönlichkeit, versteckt hinter einem falschen Namen. Es war nun schon drei Jahre her, seit der Grauhaarige seinen Posten als Special Agent angetreten war, aber es nahm ihn immer noch mit. Zu sehen wie die Opfer an dem Leben, zu dem sie gezwungen wurden, nagten. Wie jeder von ihnen versuchte stark zu sein, nur um am Ende erkennen zu müssen, dass jede ihrer Bemühungen vergebens war. Diese Momente waren so emotional, dass sie auch ihn trafen. Jemanden der selbst wusste, wie dreckig und undankbar das Leben war und wie sehr andere Menschen jemanden verletzen konnten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Langsam ging der Polizist in die Hocke, umfasste den breiten Saum des Kimonos und zog diesen wieder über die schmalen Schultern der Prostituierten, achtete dabei genau darauf, dass auch die Brust wieder hinter dem schützenden Stoff verschwand. Er wollte für Anko jemand sein, an den sie sich klammern konnte, jemand von dem sie sicher sein konnte, dass er ihr helfen würde anstatt ihre Selbstachtung und Würde Stück für Stück zu zermahlen, so wie es die anderen Männer getan hatten. Nicht, weil er eine Verbündete innerhalb dieser Gemäuer brauchte, sondern weil die Frau ihm leid tat. Beruhigend legte er seine Hand auf die schmalen Schultern vor sich, umfasste diese und spendete einfach nur Wärme. Und während er wartete, schien seine Strategie aufzugehen. Das Zittern ebbte ab und auch das Schluchzen erstarb gänzlich. „Es ist schon verdammt lange her“, kam es leise über ihre Lippen, bevor sie einen tiefen Atemzug tätigte und anschließend wieder ihren Blick hob. Ein verstimmter Ausdruck schlich sich in ihre Mimik, als sie an seinem Mundschutz hängen blieb. „Du willst meine Hilfe?“, schwungvoll hob Anko ihre Brauen, „Nimm diese Maske ab, wenn du hier bist.“ Bevor er auch nur versuchen konnte zu protestieren, hatte die junge Frau auch schon das Stück Stoff herunter gezogen. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus, so einnehmend, dass der Grauhaarige für einen Moment befürchtete, er könne den verdutzten Wimpernschlag der Prostituierten hören. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet unter diesem Ding noch mehr Narben zu finden, aber …“, kurz hielt sie inne, huschte mit ihrem Blick zu der länglichen Narbe an seinem Auge und dann wieder zurück zu seinen Lippen, „Das ist eine sehr angenehme Überraschung.“ Deutlich konnte der Polizist die Röte auf den leicht gebräunten Wangen erkennen, etwas, was seine Mundwinkel dazu brachte sich zu einem sanften Lächeln zu heben. „Danke für das Kompliment, aber ich denke, dass ich mich mit diesem Ding wohler fühlen werde.“ Noch bevor der Grauhaarige zu Ende gesprochen hatte, schnellte sein Griff nach vorn. Aber die junge Frau war schneller. Hastig wich ihre Hand dem Griff des Mannes aus. „Nun, womit kann ich denn behilflich sein?“, wurde die ablenkende Frage an ihn gerichtet. Noch kurz schenkte er dem weißen Stoff in ihren Fingern Beachtung, ehe er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte. „Ich bin-“ Forsch wurde er unterbrochen. „Stopp! Keine Namen.“ Ein schelmischer Ausdruck schlich sich in die braunen Augen und ihre Stimme nahm einen anderen, nachäffenden Tonfall an, „Wir wahren Diskretion, mein Herr“, empört richtete sie ihre imaginäre Brille und brachte den Polizisten damit zum Schmunzeln. Kakashi musste zugeben, dass die Lilahaarige den Ton, ja sogar den erschrockenen Blick von Karin, sehr gut getroffen hatte. Allerdings war er nicht hier um seiner Vergnügung zu erliegen und das wurde wohl auch Anko klar. Sie erhob sich und schritt auf die kleine Kommode am Ende des Zimmers zu. „Du willst dafür sorgen, dass der Laden dicht macht. Das war mir schon klar, als du Orochimaru erwähnt hast.“ Ein Rascheln, gefolgt von einem lauten Knall und die nächste Schublade des Möbelstückes wurde geöffnet und durchsucht. „Orochimaru hat es noch nie gemocht, wenn er etwas das er so sehr begehrt, nicht sein Eigen nennen kann. Ah, hier ist er ja.“, beendete Anko ihre Ansprache und ließ sich auf den Diwan zu ihrer rechten nieder, ehe sie Kakashi zu sich winkte. Er zögerte nicht einen Moment, als er sich aus der Hocke erhob und sich auf das weiche Polster sinken ließ. „Also“, geschickt glitten ihre Finger in die Brusttasche seines Hemdes, besahen sich den frischen Ausweis , ehe sie ihn wieder zurück gleiten ließ, „Nummer 488, stellen mir eine Frage und ich werde sehen, was ich tun kann.“ Gerade als Anko dazu ansetzte ihre Finger durch sein Haar gleiten zu lassen, fuhr ein unheimlicher Ruck durch seinen Körper. Ihm wurde schwarz vor Augen. Verschwunden war das angenehm weiche Polster unter seinem Gesäß, ebenso der süßlichen Geruch der Prostituierten. Das einzige was er noch registrierte, war ein unangenehmer Druck an seinem Oberarm und eine Stimme, die seinen Namen rief. Wieder ging ein Ruck durch seinen Körper, schärfte seine Sinne weiter. Er konnte die Stimme, die seinen Namen rief, nun eindeutig als männlich identifizieren. Nur schleppend gewannen seine Sinne die Oberhand. Er war sich nicht einmal sicher, ob er das auch wirklich wollte. Aber der Grauhaarige musste wohl, denn der Druck wurde mittlerweile schmerzhaft und die Stimme energischer. „Pain kommt!“ Heftig fuhr der Hatake zusammen. Blitzartig schlug er seine Lider auf, verdrängte das stechende Gefühl in seinem Kopf, als das grelle Neonlicht auf seine Netzhaut prallte und setzte sich aufrecht hin. Es dauerte einen Moment, bis er gänzlich realisiert hatte, was genau passiert war. Es war offensichtlich, dass er sich nicht mehr bei Anko befand und als die Mischung von frischem Kaffee und abgestandenen Zigarettenqualm an seine Nase drang, wusste er auch warum dem so war. Mit einem resignierten Seufzten lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, ließ seine Arme schlaff herunter hängen und sah dann in die dunklen Iriden seines Partners. „Du bist schon wieder eingeschlafen.“, setzte Itachi an, „Wann hast du das letzte Mal wirklich geschlafen?“ Anteilslos wanderten seine Augen von dem Langhaarigen zu seinem Schreibtisch und wieder zurück, wollte damit andeuten, dass er bis gerade eben noch in einem Traum gefangen war. Aber das schien dem anderen keineswegs zu genügen, denn ein vorwurfsvoller Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „In einem Bett, Kakashi. Du hast eine Wohnung, mit einem Bett. Erinnerst du dich? Ziemlich altes Wohnhaus auch hier im ersten Bezirk, nicht einmal fünfzehn Minuten von hier entfernt.“ „Ach so, die buchen also jeden Monat Geld von meinem Konto ab“, gespielt verwundert brachte der Grauhaarige diese Worte hervor und sah dabei zu, wie sein Partner sich wieder an seinem eigenen Schreibtisch, rechts von ihm selbst, niederließ. „Ernsthaft, Kakashi, du solltest öfter nach Hause.“ „Und du solltest deine Frauengeschichten mal in den Griff bekommen. Ernsthaft, Itachi, irgendwann wirst du mal aufwachen und eine von denen hat dich ausgeraubt.“ „Verarschst du mich gerade?“ Er musste zugeben, dass seine Aussage nicht im Mindesten auf den Langhaarigen zutraf. Im Gegenteil. Es war eine Rarität, dass sein Partner jemanden mit nach Hause nahm und wenn er sich recht entsann, so war dies auch schon seit zwei Jahren nicht mehr der Fall gewesen. Itachi war, wie auch er selbst, eher der ruhige Typ. Sie kannten sich nun schon seit zehn Jahren, ein Zeitraum, in dem sie sich, ohne es selber wirklich zu bemerken, näher gekommen waren. Für den Hatake war der Braunhaarige mehr als nur ein bester Freund, er war seine Familie. Etwas, was Kakashi nie wirklich besessen hatte in seinem Leben. Obwohl es schon eine Ewigkeit her war, konnte er sich noch genau an seine Kindheit erinnern. Wie er damals von einer Pflegefamilie zu nächsten kam und schlussendlich den Stempel schwer vermittelbar aufgedrückt bekommen hatte. Er wurde in eine betreute Wohneinrichtung gesteckt, hatte dort, wie auch schon vorher bei den Familien, mit niemanden geredet, war lieber für sich allein, als sich mit den anderen Kindern zu beschäftigen. Vier Jahre war es ihm gelungen, jedweden sozialen Kontakt auf Notwendigkeiten zu beschränken und dann kam Itachi. Der Brünette hatte von Anfang an sein Interesse geweckt. Er hatte denselben Ausdruck in den Augen gehabt wie Kakashi. Leer und desinteressiert, nichts mehr vom Leben erwartend. Wie genau es dazu kam, dass sie Freunde wurden, wusste er nicht wirklich. Zu Anfang hatten sie nicht einmal miteinander geredet. Beide hatten nur zusammen gesessen, in einer Ecke, allein, schweigend, ohne den anderen auch nur anzusehen. Es war wohl so etwas wie eine unbewusste Therapie für die beiden, ein Austausch von Nähe und ein Beweis dafür, dass sie nicht alleine existierten. Etwas, was beide offensichtlich gebraucht hatten. Nach etwa einem Jahr, in dem die beiden noch immer kein Wort miteinander gewechselt hatten, bekam der Grauhaarige mit, wie sich Itachi nachts aus der Einrichtung schlich. Warum genau der Hatake so gehandelt hatte, konnte er auch heute, gut ein Jahrzehnt später, nicht mit Gewissheit sagen, aber er war ihm gefolgt. Gut eine halbe Stunde waren sie durch die dunklen Gassen von Tokio gelaufen, bevor sie einen Friedhof erreicht hatten. Kakashi musste zugeben, dass er einen Moment lang gezögert hatte, bevor er ebenfalls das Tor passierte und dem anderen weiter folgte. Und wenn er ehrlich war, so war dieser Entschluss wohl die einflussreichste Entscheidung in seinem Leben gewesen. Es war das erste und auch einzige Mal gewesen, dass er den Uchiha hatte weinen gesehen. Itachi kniete vor einem Grab, hielt die Kette um seinen Hals, welche auch heute noch sein stetiger Begleiter war, fest umschlossen. Und während er das getan hatte, stand Kakashi nur da. Er hatte sich schlecht gefühlt, als er zu verstehen begann, dass es die Grabstätte der Familie Uchiha war. Schon seit der Hatake denken konnte hatte er niemandem, von dem er sagen konnte, dass sie blutsverwandt waren. Er war ein Kind des Staates gewesen, hatte nie wirklich das Gefühl erlebt geliebt zu werden und war es gewohnt auf sich allein gestellt zu sein. Aber dieser Junge vor ihm war anders gewesen. Seine komplette Geschichte war anders. Itachi wusste wie es war geliebt zu werden, eine Familie zu haben und von dieser umsorgt zu werden. Und wie es aussah hatte er alles verloren. Langsam hatte sich Kakashi ihm genähert, sich neben ihn gekniet und ihm das Gefühl vermittelt, dass er nicht alleine war. Wie sie es beide schon so oft getan hatten. Aber dieses Mal war es anders, denn Kakashi wusste was er tat, voll und ganz. Sie hatten lange so beieinander gesessen und irgendwann fingen sie an sich zu unterhalten. Über ihre Erfahrungen. Mit dem Leben, dem Staat und dem Tod. Das laute Bedienen einer Tastatur riss ihn aus seinen Gedanken. Itachi hatte sich abgewandt und tippte, hörbar verstimmt, den Bericht über sein Verhör mit Orochimaru. Der Schwarzhaarige war mittlerweile ein fester Bestandteil in ihren Ermittlungen, auch wenn es dem Grauhaarigen nicht gefiel. Es war kein Geheimnis, dass die Geschäftsabschlüsse des Gründers der Hebi Company außerhalb des gesetzlichen Rahmens stattfanden. Aber seine Firma machte fünfzehn Prozent des Bruttosozialproduktes aus und das gab ihm eine gesonderte Stellung. Denn wenn er fallen würde, so würde dies auch sein Unternehmen und damit wäre Japan in einer finanziellen, wie auch sozialpolitischen Zwickmühle. Doch im Moment war das sein geringstes Problem. Der Grauhaarige war nun schon seit drei Monaten Gast im Freudenhaus Himitsu und er hatte keinerlei nennenswerte Fortschritte gemacht. Ein frustrierter Laut kam über seine Lippen, als er an das vergangene Gespräch mit Anko dachte. „Du willst wissen, wo du findest wonach du suchst?“ Ein neckisches Grinsen schlich sich auf die feinen Lippen von Anko. „Dann sorge dafür, dass sie dich einladen, dass Karin dich einlädt.“ Fest umfasste sie das Kinn des Grauhaarigen und sah ihm eindringlich in die Augen, „Schenke ihr ein Lächeln, mach ihr Komplimente. Brenne dich in ihre Gedanken und dann, wenn sie schon fast abhängig von deiner Freundlichkeit ist, ignoriere sie“, bestimmend fuhr sie fort, „spiel mit ihr, zeig ihr, dass dich deine Besuche langweilen, dass sie dir keinen Reiz mehr geben und dann sag ihr, dass du deine Mitgliedschaft aufgeben willst.“ Ruckartig richtete sie sein Gesicht in Richtung des Handspiegels, den ihre freien Finger fest umschlossen hielten. „ Du musst jemand werden, den Karin nicht gehen sehen will. Du musst dafür sorgen, dass sie dich mag und zwar so sehr, dass sie ihre heiß geliebte Diskretion vergisst. Und glaub mir, mit deinem Gesicht wirst du in Monaten das schaffen, was andere Jahre kostest.“ Und genau das hatte er den gesamten Winter über getan. Jedes Mal, bevor er ins Himitsu ging, hatte er seine Maske abgenommen und war Karin mit einem Lächeln entgegen getreten. Hatte ihr Komplimente gemacht und ganz zufällig ihre Hand gestreift, als sie gemeinsam seinen Buchungsplan für Hitomi durchgegangen waren. So lange, bis seine bloße Anwesenheit ausreichte, um ihr die Röte ins Gesicht zu treiben. Und ab dem Zeitpunkt hatte er begonnen die Rothaarige weitestgehend zu ignorieren. Es erstaunte ihn jedes Mal aufs Neue, wie angestrengt die Rezeptionistin versuchte seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es war offensichtlich, dass Anko mit ihren Worten recht behalten hatte, aber der nächste Schritt war bedeutend. Er konnte es sich nicht erlauben, dass der letzte Zug nicht klappte, dass Karin ihm heute nicht das Angebot unterbreiten würde, auf das er hoffte. Kakashi spürte, wie seine Hände feucht wurden. Er wollte endlich wissen, wohin ihn diese Einladung bringen würde, ob diese wirklich das für ihn bereit hielt, wonach er und die ganze Abteilung schon seit Jahren fahndeten oder ob sich Anko mit ihm nur einen Spaß erlaubt hatte. Mit einer fließenden Bewegung stand er von seinem Stuhl auf, nickte Itachi, welcher ihn nun ansah, kurz zu und griff nach seiner Jacke um kurz darauf das Polizeigebäude zu verlassen. Er ging in Richtung U-Bahnstation und nahm die nächste Bahn in Richtung Shinjuku. Die Fahrt verging für seinen Geschmack viel zu schnell und auch der Fußmarsch, den er zurücklegte, um zum Stadtteil Kabukichō zu kommen, konnte seine Aufregung nicht lindern. Mühelos überschritt der Grauhaarige die Grenze zum Rotlichtviertel und tauchte, wie so oft zuvor, in die bunte und Morphium getränkte Welt ein. Wie von selbst trugen seine Beine ihn zu dem Freudenhaus, vor welchen er noch einmal kurz zum Stehen kam. Fahrig entfernte er den Stoff, der die untere Hälfte seines Gesichtes verdeckte und atmete noch einmal tief durch. Heute würde er entweder finden, was er vor drei Monaten gesucht hatte oder seine komplette Karriere verlieren. Es war soweit. Das Spiel konnte beginnen. Kapitel 3: Das Angebot ---------------------- Hier stand er nun also. Vom eindrucksvollen Empfang aus, reichte er der Rothaarigen desinteressiert seinen Clubausweis, während er seine Lederhandschuhe auf dem harten Holz drapierte. Kakashi bemühte sich um einen gelangweilten Ausdruck, aber er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es ihm auch gelang. Momentan fühlte der Hatake sich wieder wie ein blutiger Anfänger. Zu laut hörte er das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren, das dessen aufgeregt schlagendes Herz durch seine Venen pumpte. Es war schon komisch. Noch nie hatte er wirklich diese Form der Aufregung verspürt, nicht beim ersten Auftrag in seiner Laufbahn und auch nicht, als er das erste Mal vollkommen alleine agierte. Es erschien immer so, als wäre sich sein Körper der Wichtigkeit im Klaren gewesen und hatte mitgespielt, die Aufregung zurückgedrängt. Und es ärgerte ihn, dass gerade jetzt, gerade hier, der sonst so zuverlässige Dienst versagte. Natürlich fand er sich momentan einer ganz anderen Art des Stresses ausgesetzt. Ganz unabhängig davon, was mit ihm selbst bei einem Fehler passieren würde, das Himitsu war mittlerweile das Herzstück der Abteilung, der heißeste Hinweis, den sie alle jemals erhalten hatten. Es war aber nicht die Tatsache, dass das ganze Team ihm vertraute, die ihn unter Druck setzte. Es war der Name des vermeintlichen Inhabers. Madara. Kein Nachname. Kakashi wusste nicht, ob es sich dabei um ein Pseudonym handelte oder nicht, aber er konnte mit Sicherheit sagen, dass dieser Mann nicht zu unterschätzen war. Er musste vorsichtig sein, denn Madara verstand sich darauf im Schatten zu leben, gierte geradezu danach. Sie hatten unzählige Quellen gehabt, Kontaktleute in jeder erdenklichen Ecke und am Ende war es nur noch Orochimaru, der überlebt hatte. „Sie werden bereits erwartet, ich wünsche Ihnen heute Abend viel Spaß, mein Herr.“ Freundlich wurde er von der jungen Frau aus seinen Gedanken gerissen. Nun war er also da, der Augenblick, der alles entschied. „Ich denke nicht, dass ich die Dienste von Hitomi heute in Anspruch nehmen werde“, ein müdes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, „und auch an keinem anderen Abend mehr.“ Für einen kurzen Moment stellte Karin ihre Verwunderung zur Schau, bevor ihre Gesichtszüge wieder in einen professionellen Trott fielen. „Wenn das so ist, werden ich mit Ihnen sofort einen neuen-“, sie kam nicht dazu ihren Satz zu Ende zu sprechen. „Sie verstehen nicht, meine Liebe“, fast schon zärtlich verließen die Worte seine schmalen Lippen, „Ich bin heute nur hier, um meine Mitgliedschaft zu kündigen.“ Es war erstaunlich, wie sehr sie seine Worte aus der Fassung brachten und sie sich offensichtlich selbst zur Ruhe zwingen musste. „Falls es die Uhrzeit sein sollte, die Ihnen Probleme macht, kann ich mit Ihnen bestimmt einen Lösungsweg finden.“, zu schnell formten ihre leicht glänzenden Lippen die Worte und legten so ihr Missfallen seines Vorhabens dar. „Ich bin mir sicher, dass Sie das tun würden, aber es ist nicht die Uhrzeit, es ist ein anderes Problem.“ Damit tauschte der Grauhaarige, die auf dem Holz liegenden Handschuhe, gegen das kleine Stück Plastik. „Wenn etwas zu Ihrer Unzufriedenheit war, dann“, sie geriet ins Stocken, „dann...“, ließ die Rothaarige den Satz in der Luft schweben. Stumm um Worte ringend, die ihn dazu bewegen würden hier zu bleiben. Langsam und stetig darauf bedacht seine innere Unruhe nicht zur Schau zu stellen, streifte er sich den ersten Handschuh über. „Es liegt nicht an Ihnen“, der zweite Handschuh wurde übergestreift, „Es liegt eher daran, dass es mir keinen Reiz mehr bietet und genau das ist es, was mir die eigentliche Lust bereitet. Die Tatsache, dass Hitomi es nie wirklich gewollt hatte. Nun ja, es hatte etwas Verbotenes, etwas Aufregendes. Und das fühle ich hier nicht mehr, den Kick etwas Verbotenes zu tun.“ Kakashi konnte ihren Zwiespalt deutlich aus ihrer feinen Mimik ablesen, seine Worte schockten sie, brachten sie zum Nachdenken. Zum Abwägen. Und genau das war es, was ihn seine behandschuhte Hand ihre Finger umschließen ließ. „Es tut mir leid, Karin“, augenblicklich schnellte ihr Kopf, von ihren ineinander geschlungenen Händen, zu seinem Gesicht, „Das war dann wohl unser letztes Mal, meine Liebe.“ Deutlich sah er die Röte auf ihren Wangen und das leichte Beben ihrer Lippen. Verschwunden war jeder Anflug der Diskretion, welche sie fast schon mit leidenschaftlicher Akribie auslebte. Er konnte nicht umher die lilahaarige Prostituierte dafür zu bewundern, wie zielgenau sie seine Wirkung auf die Frau vor ihm prophezeit hatte. Und während er für einen kurzen Moment sanft ihre Finger drückte, hoffte er, dass es nicht das einzige blieb, was eintreten würde. Ein letztes Mal lächelte der Polizist dem femininen Gesicht entgegen, um anschließend seine Finger zu lösen und sich zum Gehen zu wenden. Kakashi konnte fühlen wie sich seine Muskulatur bei jedem seiner Schritte weiter anspannte. Er musste die Fassung bewahren. Um jeden Preis und unabhängig davon, dass er dem Ausgang schon unheimlich nah war. Der Grauhaarige durfte sich nicht umdrehen, egal wie sehr seine Nerven spannten und drohten zu zerreißen. Einfach weiter laufen. Gerade, rational, bestimmt. Fest umschlossen seine Finger den Türgriff und drückten ihn nach unten. Zu fest, wie er feststellte, als er das leise Knarzen des Leders hörte. Aber das konnte ihm jetzt auch egal sein. Augenscheinlich hatte er verloren, denn die kühle Außenluft traf sein Gesicht und sein Fuß betrat den kalten Stein des äußeren Treppenabsatzes. „Stopp!“ Schrill erreichten die Worte seine Ohren und ließen ihn innehalten. Ohne seinen Finger von dem schmalen Türgriff zu nehmen, wandte er sich um. Karin hatte ihren Platz hinter dem Tresen aufgegeben, stand nun mittig im Raum und sah ihn mit einer Verzweiflung an, die er selten erlebt hatte. Kakashi konnte nicht umhin die junge Frau verwundert zu mustern. Ihre stolze Haltung war verschwunden. Sie war angespannt, leicht gebeugt und ihre perfekt manikürten Nägel vergruben sich in dem dunklen Stoff ihrer Hose. Die Rothaarige wirkte wie ein verschrecktes Kind, das mit der Situation überfordert war. „Wenn“, sie räusperte sich kurz, „Angenommen ich könnte Ihnen ein Angebot machen, von dem ich mir sicher bin, dass es Sie interessieren wird, wären Sie bereit mir zuzuhören?“ Er konnte deutlich sehen, wie sie schluckte, als sie zeitgleich ihre Finger entkrampfte. Fahrig strich sie sich über die Oberschenkel. Die Rezeptionistin war deutlich darum bemüht ihre Fassung zurückzugewinnen, aber das aufgeregte Zittern ihrer Hände war unverkennbar. Geräuschvoll nahm der Hatake seinen nächsten Atemzug, während er seinen Körper wieder gänzlich in den Empfangsbereich platzierte und die Tür schloss. Es dauerte einen Moment, bis er sich vollkommen bewusst wurde, was die Brillenträgerin ihm da vorgeschlagen hatte. Er war wieder im Spiel. „Nun, wenn du dir sicher bist, dass du nicht nur meine Zeit verschwendest“, seine Hand löste sich nun gänzlich von der Klinke, „Ich höre.“ Als wäre seine Aufforderung ein Startschuss gewesen, nahm sie die kleine Karte vom Tresen und sah ihn durchdingend an. „Wir führen noch einen separaten Bereich, hier im Erdgeschoss. Er ist für unsere besonders treuen Gäste.“, damit verschwand sie wieder hinter dem hölzernen Empfang und tippte konzentriert etwas in den schmalen Laptop. „Das dortige Angebot ist um einiges vielfältiger. Es ist möglich jedes Ihrer Bedürfnisse zu stillen, von einfacher Konversation, bis hin zu körperlichem Kontakt.“ Nur zu gut erinnerte sich Kakashi an die verborgene Tür, die er bei seinem ersten Besuch hier gesehen hatte. Eher durch Zufall, lag diese doch für gewöhnlich hinter einem schweren Wandteppich. Schon damals hatte er gewusst, dass damit etwas nicht stimmen konnte, allein schon anhand der verschreckten Reaktion der Rothaarigen auf den Fund. Umso erstaunlicher war es, dass eben jene Person nun offenkundig dazu bereit war, ihn in dieses Geheimnis einzuweihen. Dem Hatake war bewusst, dass es nicht gänzlich seine eigene Leistung war und er musste sich zusammen nehmen, um nicht fassungslos aufzulachen. Anko hatte von Anfang an recht behalten. Interessiert überbrückte der Grauhaarige die Distanz zwischen ihnen und stütze seine Unterarme auf den Tresen. Sehr wohl nahm er dabei das kleine, erleichterte Lächeln auf Karins Lippen wahr. Trotzdem war es noch für ihn noch nicht Zeit gelassen zu sein. Es war noch unklar, ob es sich bei diesem Bereich des Hauses nicht nur um etwas handelte, in dem Fetische ausgelebt wurden. Sollte das der Fall sein, hatte er rein gar nichts. Der Ausruf eines zufriedenen Lautes, zog seine Aufmerksamkeit an und er sah Karin nun wieder direkt ins Gesicht. Diese erwiderte den Blickkontakt, seine Clubkarte im festen Griff. „In diesem Bereich herrschen besondere Regeln. Der Kunde macht keine Termine, er äußert Wünsche“, interessiert horchte der Grauhaarige auf, „Für gewöhnlich sprechen wir dort den Eigenwert unserer Besucher an. Sie lernen dort in der Regel jeden Mitarbeiter kennen und können ungehindert ihre Qualifikationen offenlegen, bevor mir der jeweilige Name genannt wird. Dabei besteht der Reiz darin, dass es sich nicht nur um eine einfache Buchung handelt. Das Wiedersehen muss von beiden Seiten erwünscht sein.“ Abschätzend runzelte er die Stirn. Kakashi hatte schon von vielen skurrilen Angeboten gehört, die Bordelle anboten, um Kundschaft zu unterhalten, aber dieses war das Verworrenste. Was sollte verlockend daran sein ein Vorstellungsgespräch zu führen, bei dem man sich selbst verkaufen musste? „Abgesehen davon, dass es meine Zeit verschwenden würde, kann ich darin weder einen Sinn, noch einen Anreiz erkennen“, äußerte er gelangweilt und nahm seine Unterarme vom Empfang. „Das ist mir durchaus bewusst, aber die Einführung ist Pflicht, bei jeder Einladung. Ich bitte Sie, das zu entschuldigen und noch einen kurzen Moment zuzuhören.“ Ein beschwichtigendes Lächeln wurde dem Hatake entgegen gebracht und ließ ihn resigniert ausatmen. Er hatte das Wort Einladung sehr wohl verstanden, etwas worin er, zumindest laut Anko, das finden würde wonach er suchte. Aber egal wie sehr es den Polizisten auch in Unruhe versetzte hier festgehalten zu werden, er musste in seiner Rolle bleiben. Noch immer bestand die Gefahr, dass Karin skeptisch werden könnte und das war eine Komplikation, die er nicht gebrauchen konnte. „Um die Unklarheit, gegenüber des Reizes, aus der Welt zu schaffen“, elegant strich sie sich eine Strähne ihres roten Haares hinters Ohr, „Es ist der Wettbewerb. Für gewöhnlich wirbt man nicht allein um das Interesse, sondern muss den Gegenspieler übertrumpfen. Ob mit Charakter, Aussehen oder anderem hängt dabei allein vom Angestellten ab. Dieser Prozess ist Standard und unumgänglich... eigentlich.“, ungewöhnlich viel Nachdruck lag in ihrem letzten Wort und sie ließ einige Sekunden verstreichen, „Allerdings habe ich mir die Freiheit herausgenommen Sie direkt zu vermitteln, an jemand besonderen. Ich denke Sie werden mit ihm zufrieden sein.“ „Ihm?“ Kakashi war aufrichtig verwirrt. Zwar wusste er, dass es sich hier um ein gemischtes Gewerbe handelte, aber dass er nun an jemand männliches vermittelt wurde erstaunte ihn. „Sie schienen mir experimentierfreudig und glauben Sie mir, er wird Sie nicht enttäuschen. Katsumi ist unser Kernstück und bei weitem nicht für jeden zugänglich.“ Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, während er sich zum wiederholten Male an diesem Abend seiner Handschuhe entledigte. „Und das ist erlaubt?“ Für einen kurzen Moment wirkte die Angesprochene zögerlich, fast ängstlich, ehe sie sich wieder fasste und in Richtung des Flures ging. Nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und ihn anzulächeln. „Besondere Situationen erfordern besondere Ausnahmen.“ Damit deutete sie einladend hinter sich. „Wenn Sie mir nun bitte folgen würden.“ Augenblicklich setzte er sich in Bewegung, den Rücken der Rothaarigen, die schon im Begriff war loszugehen, fest im Blick. Kakashi konnte nicht sagen, ob es sein schlechtes Gewissen war, welches seiner Stimme diesen rauen Unterton beimischte. Immerhin hatte er sie in den letzten Monaten hinreichend manipuliert und es schien ihm als eine Art Wiedergutmachung nötig, wenn auch nur eine kleine, von der die junge Frau zehren konnte. „Ein böses Mädchen also“, seine Lippen waren so nahe an ihrem Ohr, dass diese schon beinahe ihre Haut berührten, „Die mag ich am liebsten“, hauchte der Grauhaarige, beinahe schon animalisch und erzielte sofort seine beabsichtigte Wirkung. Karins Wangen färbten sich in einem tiefen Rotton, während sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten, „Ich bin wirklich interessiert.“ Und damit ließ er von ihr ab, vergrößerte den Abstand zwischen ihnen und sah nun in das verwirrte, rötliche Gesicht der anderen. Der Hatake war sich durchaus seiner Doppeldeutigkeit und der stillen Hoffnung, welche er damit in ihr weckte, bewusst. Genau das war seine Absicht gewesen, denn wenn sich der Verdacht Pains bestätigen sollte, würde jeder der hier Beschäftigten mit Konsequenzen rechnen müssen. Auch die Rothaarige, da sie offenkundig diesen Gesetzesbruch förderte. Und davor würde sie nicht weglaufen können. „Also dann“, sanft entzog er der jungen Frau die Karte aus ihren Fingern und hielt ihr diese vors Gesicht, „enttäusche mich nicht.“ Ein zaghaftes Nicken wurde ihm entgegen gebracht, bevor die Frau voran in den Flur schritt. Aufmerksam folgte der Grauhaarige ihr, durch das mittlerweile vertraut gewordene Gewölbe, vorbei an den verschieden Türen, welche die separaten Erfrischungsräume hinter sich verbargen. So oft war er in den letzten Monaten hier entlang geschritten, geradeaus durch, auf direktem Weg zur Treppe, welche nach oben führte. Wahrscheinlich lag es an diesem Umstand, dass er beinahe gegen den schmalen Rücken Karins stieß, als diese stehen blieb um den edlen Teppich zur Seite zu ziehen. „Eine letzte Regel muss ich Ihnen noch mitteilen.“, bestimmt verharrte ihre Hand auf dem schmalen Türgriff, „Was auch immer Sie in diesem Bereich sehen, besonders wen Sie dort sehen, bleibt unter Verschluss. Sie werden nichts nach draußen tragen und niemandem davon erzählen. Glauben Sie mir, das ist in Ihrem Interesse. Dieser Bereich wird vom Inhaber persönlich überwacht und bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass es nicht vieles gibt, was schlimmer wäre, als auf seiner schwarzen Liste zu stehen.“ Und damit öffnete sie die massive Tür und deutete mit einer grazilen Handbewegung an, dass er eintreten solle. Augenblicklich kam er dieser Aufforderung nach und betrat den Bereich. „Herzlich Willkommen im inoffiziellem Teil des Himitsu, mein Herr.“ Kapitel 4: Erkenntnis --------------------- Kaum hatte er die Tür passiert, befand er sich in einem Flur. Und obwohl es nur ein Durchgang war, strahlte dieser Abschnitt des Gebäudes schon einen ganz anderen Charakter aus. Auch hier war es edel, keine Frage, aber der kunstvoll gearbeitete Stuck in Verbindung mit dem Burgunder der Tapete und den verschiedenen Landschaftsgemälden, verbreitete eine weitaus prunkvollere Atmosphäre. Langsam ließ er seinen Blick schweifen, bis er auf das breite Lächeln von Karin stieß. Kurz nickte diese und begann dann voraus zu laufen. Es waren nur wenige Schritte, bis ein angenehmer Teppich aus Stimmen seine Ohren erreichte und kurz darauf ein Türbogen zu erkennen war. Augenblicklich verlangsamten sich die Schritte der jungen Frau. Sie ließ sich soweit zurückfallen, bis sie neben ihm herlief. „Vor Kopf befindet sich das Wohnzimmer, der einzige offene Bereich in dieser Etage. Jeder Kunde kann sich dort, zu jeder Zeit und ohne Termin, niederlassen.“ Noch bevor er ein Zeichen der Bestätigung geben konnte, spürte er die zierliche Hand Karins an seinem Oberarm. Sanft wurde der Grauhaarige in die kleine, mit Stuck umrahmte Nische zu seiner Rechten gezogen und kam kurz darauf zum Stehen. Deutlich erkannte der Polizist die einzelnen Pinselstriche des Wandgemäldes, stand er doch nicht einmal ganz einen halben Meter davon entfernt. Und gerade das machte ihn wütend. Er hatte nicht monatelang darauf hin gearbeitet vor eine bemalte Fläche gestellt zu werden. „Das ist eine Wand“, stellte er verärgert fest, während Karin diese mit einer einladenden Geste anpries, „Ich habe kein Interesse an einer Wand.“ „Ein exklusives Angebot erfordert einen Eingang, den nicht jeder erkennt.“ Seine Laune sank deutlich. Auch wenn die Rezeptionistin versuchte ihm diese skurrile Situation schmackhaft zu machen, fühlte er sich eher so, als würde man ihn auf den Arm nehmen. Eine Unannehmlichkeit, für die er momentan nicht viel übrig hatte. Es waren nur wenige Meter, die ihn vom Salon, seinem ersten richtigen Erfolgsschritt, trennten. „Ich sehe keinen Eingang, aber ich sehe meine Uhr.“ Unheilvoll ließ er den Satz in der Luft schweben. Ihm war durchaus bewusst, dass er Karin mit dieser Aussage unter Druck setzte und wenn er ehrlich war, so war genau das seine Intention. Eine Absicht, die nicht zu funktionieren schien, wie sich herausstellte, als das verschlagene Lächeln auf ihren Lippen blieb. „Seien Sie nett, sonst möchte er Sie nicht wieder sehen.“ Elegant ließ Karin ihre auffordernde Geste fallen, um an seinem Gesicht vorbei in eine kleine Vertiefung am äußeren Rand des Stuckrahmens zu greifen. Interessiert fokussierte er die schlanke Hand zu seiner Linken. Es war nur eine minimale Bewegung ihres Fingergelenkes zu erkennen und wenn der Hatake nicht so nah bei ihr gestanden hätte, wäre ihm nicht aufgefallen, dass sie augenscheinlich einen Schalter umlegte. Und während sein Inneres auf Hochtouren arbeitete, um abzuwägen, ob er enttarnt wurde und die Rothaarige einen versteckten Alarm ausgelöst hatte, spannte diese ihre Finger an und zog das breite Wandgemälde zur Seite. „Katsumi, wartet bereits auf Sie.“ Das Erste, was er wahrnahm, war, das in die Wand eingelassene Aquarium. Fast das gesamte Mauerwerk wurde damit ausgefüllt und überzog den dunklen Schieferboden und den bräunlich gehaltenen Naturstein der Wände mit einem sanften Blau. Es gab keine Fenster in diesem Raum, aber die Luft war klar, wirkte weder verbraucht noch abgestanden und festigte so seine Vermutung einer Lüftungsanlage. Sein Blick schweifte nach rechts, zu der breiten Eckcouch mit dem niedrigen Tisch und dem aufgeklappten, flachen Laptop auf der klaren Glasfläche, wanderte weiter entlang an den über den Boden schwebenden Boxen und folgte schlussendlich den bunten Fischen zur linken Seite des Raumes. Der Fläche mit dem Bett. Aber so imposant dieses Zimmer auch wirkte, es fehlte etwas, jemand. „Ticktack“ Unter normalen Umständen hätte ihn das Zusammenzucken von Karin belustigt, aber es war nicht normal. Vor allem jetzt, da er langsam keine Geduld mehr hatte um freundlich zu sein. Ihm war bewusst, dass er es ihr zu verdanken hatte hier unten zu sein. Das änderte aber nichts daran, dass Pein ihn unter Druck setzte und die Rothaarige ihm jetzt gerade mehr ein Hindernis, als eine Hilfe war. Kakashi war sich darüber im Klaren, dass die momentane Verzögerung auf Katsumi zurückzuführen war, aber war die Planung eines reibungslosen Ablaufes nicht auch die Aufgabe der Rothaarigen? Energischer als nötig, ließ die junge Frau das Bild wieder in den Mechanismus einhacken. „Ich werde ihn sofort suchen, bitte folgen Sie mir.“ Damit trat sie aus der kleinen Nische, erlaubte Kakashi eine kurze Sicht auf ihre verärgerte Mimik und ging in Richtung des Türbogens, um diesen kurz darauf hinter sich zu lassen, während der Grauhaarige ihr folgte. Der Hatake musste schlucken, als seine Sinne begannen die neue Umgebung wahrzunehmen. Alles hier wirkte prunkvoll, die kostbare Seidentapete war echt, wie er feststellte, als er seine Finger darüber gleiten ließ und so die etwas rauere Struktur der Ornamente wahrnahm. Ein Indiz dafür, dass diese handbemalt und nicht einfach nur aufgedruckt waren. Aber es war nicht nur die Wandverkleidung, welche dieses gewisse Selbstwertgefühl in ihm schürte. Das satte Grün der Wände traf auf das dunkle Mahagoni des Bodens und vermischte sich mit diesem zu einem angenehmen Rahmen, für die antiken Polstermöbel. Alles hier wirkte königlich, nicht zuletzt auch anhand des Kronleuchters, der mittig in dem großen Saal angebracht war und diesen, mit seinen feinen Gemälden, in ein helles, warmes Licht tauchte. Es war ein schmaler Grat zwischen edel und überladen, doch hier wurde diese feine Linie nicht überschritten. Sie wurde eingehalten, in spielerischer Balance und Perfektion. Und während er sich noch fragte, ob es sich bei dem Boden wirklich um echten Mahagoni handelte, ging Karin weiter. Ihr feuerrotes Haar bildete einen strengen Kontrast, zu der dunklen Wandfarbe, wirkte fast beabsichtigt, damit man sie ja nicht aus den Augen verlor. „Das hier ist der grüne Bereich, das sogenannte Wohnzimmer. Wie schon erwähnt findet hier für gewöhnlich das erste Kennenlernen statt.“ Nur am Rande nahm er wahr, wie sie weitersprach und beide tiefer in den Raum gingen. Seine Aufmerksamkeit galt viel mehr den anderen im Saal. Verschwunden war der letzte Rest seiner anfänglichen Euphorie über die Einladung und seine Missgunst stieg, als er die bekannten Gesichter sah. Politiker und Firmenchefs, bis hin zu Moderatoren und Schauspielern. Jeden einzelnen von ihnen kannte er aus den Medien und bei jedem von ihnen wusste Kakashi, dass es ein vernichtender Skandal wäre, wenn diese Seite ihres Privatlebens ans Licht käme. Denn es war eindeutig, dass hier nicht Geld oder Macht den Status ausmachte, sondern wie intim man mit den einzelnen Prostituierten war, ihren Prostituierten. Kakashi konnte nicht umhin kurz angewidert seinen Mund zu verziehen, als er erkannte, dass die Hand, welche langsam den entblößten Oberschenkel einer jungen Frau streichelte, zum Justizminister gehörte. Es war paradox, dass gerade derjenige, der seiner Abteilung die finanziellen Mittel zukommen ließ, sich an so einem jungen Ding vergriff. Zwar war es keine eindeutige sexuelle Handlung und somit nichts, was man diesem anlasten konnte, doch es war unverkennbar, dass es sich bei der Frau an seiner Seite um jemanden handelte, der noch nicht volljährig war. Ebenso wie bei den anderen Mitarbeitern in diesem Raum. Es war nicht schwer zu erkennen, wer hier welcher Person zugeordnet war. Zu eindeutig waren die Posen der Beteiligten, zu offensichtlich der damit verbundene Besitzanspruch. Mit zügigen Schritten näherte er sich der Bar, gegenüber der Sitzlounge, um sich kurz darauf auf das weiche Polster eines Barhockers zu setzten. Karin war gerade gegangen um den Fehler, wie sie es nannte, so schnell wie möglich zu beheben. Eher beiläufig und ohne den Blick von dem Geschehen der anderen zu nehmen, bestellte er sich einen Whiskey. Zwar hatte er noch keine handfesten Beweise für die Prostitution dieser Minderjährigen, aber er würde Pein etwas berichten können. Und das war ihm Erfolg genug, um im Dienst zu trinken. Er hatte sich gerade mit dem Oberkörper dem regen Treiben zu seiner Linken zugewandt, als ihm mit einem dumpfen Ton die bernsteinfarbene Flüssigkeit serviert wurde. Die Eiswürfel klirrten leise, als er das Gefäß hob und sie gegen das dicke Glas schlugen. Weich entfaltete sich das süßlich, rauchige Bouquet in seinem Mund, als er den ersten Schluck nahm und ihn kurz kreisen ließ, um seinen Gaumen an das mild fruchtige Aroma zu gewöhnen. Augenblicklich entspannte er sich. Noch immer besah er sich die Kundschaft, aber als der Alkohol begann seine typische Wärme zu entfalten, konnte er ein wenig besser mit dem Publikum und der Szenerie umgehen. Es war kein Wunder, dass dieser Grad der Exklusivität die hier vorhandene Gesellschaftsschicht anlockte. Er selbst wollte gar nicht erst wissen, wie viel von ihren finanziellen Mitteln jeden Monat für dieses Etablissement aufgebracht werden musste. Zwar wurde der Betrag von Orochimaru bezahlt, jedoch war er nur der Mittelsmann. Kakashi wusste, dass Pain dem Firmengründer jeden Yen im Voraus bezahlte. Pünktlich und von ihren Fördergeldern. Es wunderte ihn, dass noch niemand die fadenscheinigen Rechtfertigungen für die hohen Auslagen ihrer Abteilung angezweifelt hatte. Aber Pein wusste anscheinend was er tat. Denn er hatte Kakashi jeden Monat aufs Neue Zeit verschaffen können. Das verhaltene Tuscheln zweier Kellner erregte seine Aufmerksamkeit. Sie befanden sich am anderen Ende des Raumes, aber immer wieder glitten ihre Blicke zu ihm herüber. Fluchtartig verschwand das Gefühl der Ruhe aus seinem Körper. Ein weiterer Mann hatte sich zu ihnen gesellt, lauschte ihren Erzählungen und sah dann ebenfalls zu ihm. Es war sofort klar, dass es sich bei dem Mann mit dem bläulichen Haar um jemanden des Sicherheitspersonals handeln musste. Er war um einiges breiter und überragte die zwei Kellner ein ganzes Stück. Beiläufig sah er auf seine Armbanduhr und entdeckte den Grund für den Aufruhr. Karin war mittlerweile schon mehr als dreißig Minuten verschwunden. Ein Zeitraum, in dem er mit niemanden gesprochen hatte. Der Grauhaarige hatte lediglich das rege Treiben vor sich beobachtet, er wäre sich selbst auch verdächtig vorgekommen in diesem Zusammenhang. Bewusst bewegte er seine Finger in Richtung seiner Hosentasche, als sich der Größte des Trios aus der Gruppe löste und sich auf ihn zu bewegte. Er hatte noch immer seine Karte, allerdings wusste er nicht in wie weit ihm das in diesem Abschnitt des Bordells weiterhelfen würde. Kakashi verfluchte sich selbst dafür, dass er Karin nicht nach diesem Umstand gefragt hatte. Es zeugte davon, dass er sich zu sehr in Sicherheit gewogen hatte, es bewies, dass er unvorsichtig geworden war. Nur noch wenige Schritte trennten die beiden Männer voneinander und je näher der Schwarzgekleidete ihm kam, desto deutlicher erkannte der Hatake dessen scharfe und kantige Gesichtszüge. „Entschuldigen Sie, kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?“ Die Stimme des anderen war rau und stand in starkem Kontrast zu seiner höflichen Formulierung. Folgsam kam er der Aufforderung nach und reichte dem Blauhaarigen die kleine Plastikkarte, die ihm augenblicklich abgenommen und in Augenschein genommen wurde. „Ihre Karte gilt nicht für diesen Bereich“, forsch wurde ihm der Ausweis zurückgegeben, „bitte folgen Sie mir zum Ausgang.“ Ruhig platzierte der Grauhaarige das Stück Plastik wieder in seiner Tasche. „Ich denke nicht, dass ich gehen muss. Ich wurde eingeladen“, erwiderte er, während er sein Glas erhob, um einen weiteren Schluck des Whiskeys zu nehmen. „Wären Sie so freundlich mir zu verraten, wer Sie eingeladen hat?“ „Karin.“ Geräuschlos führte er das Glas zu seinen Lippen und trank, nur um augenblicklich inne zu halten, als er bei seinem Gegenüber das geringschätzende Lächeln sah. „Die Rezeptionistin“, deutlich konnte er den abwertenden Tonfall heraushören, „ist nicht befugt jemanden einzuladen. Und jetzt stehen Sie bitte auf. Ich werde Sie nach draußen begleiten.“ Nichts ließ den Polizisten daran zweifeln, dass der Mann vor ihm das wirklich tun würde, im Notfall auch mit vollem Körpereinsatz. Zum wiederholten Male an diesem Abend sank seine Laune erheblich. Auf den anderen fokussiert, nahm er nur aus dem Augenwinkel wahr, wie sich die anderen Gäste interessiert aufsetzten und nun ebenfalls in seine Richtung sahen. Der Polizist war schon geneigt anzunehmen, dass sie das Spektakel eines Rauswurfes bewundern wollten, aber etwas verwirrte ihn. Sie setzten sich nicht nur auf, sondern schoben auch ihren jeweiligen Begleiter von sich. Es ging nicht um ihn, es ging um etwas, das sich hinter ihm befand. Etwas mit mehr Wert, mehr Macht als die hier anwesenden Hetären. Gerade als er im Begriff war sein Glas auf die glatte Oberfläche der Bar zu stellen und sich selbst umzuschauen, fanden zwei Hände ihren Weg an seinem Hals vorbei, berührten sanft sein verborgenes Schlüsselbein und strichen federleicht hinunter zu seiner Brust. Sanft wurde sein Oberkörper nach hinten gedrückt, bis sein Hinterkopf auf etwas Weiches stieß. „Kisame, es ist in Ordnung, ich habe ihn eingeladen. Karin sollte ihn nur hierher bringen.“ Der sanfte Druck auf seinem Brustkorb verschwand, als die fremden Hände ihren Weg fortsetzten. Quälend langsam fuhren sie über seine Vorderseite, machten einen kurzen Schlenker über seinen Bauch und glitten wieder zurück. Behutsam wurde die Linie seines Schlüsselbeines nachgezeichnet, ehe die schlanken Gliedmaßen seinen Hals emporstiegen und sich unterhalb seines Kinns ineinander verschränkten. Für Kakashi war es eine groteske Situation. Nicht, weil er gerade von jemanden berührt wurde, den er nicht kannte, geschweige denn sah, sondern weil sein Körper keine Anstalten machte sich dagegen zu wehren. Im Gegenteil. Jedwede Anspannung fiel von ihm ab und hinterließ nichts, als eine angenehme Wärme. „Es war nur ein unglücklicher Formulierungsfehler, nicht wahr?“ Besitzergreifend wurde sein Kinn gehoben und noch ehe Kakashi erfassen konnte, wie das Gesicht seines Hintermannes aussah, verschwand jedes Geräusch im Raum. Warm und federleicht fühlten sich die Lippen des Fremden auf seinen eigenen an. Der Druck war sanft, kaum spürbar und doch, in Verbindung mit dem angenehm weichen Odeur von Sandelholz, groß genug, um ihn fast in den Wahnsinn zu treiben. Für den Moment genoss er es. Vergessen war sein eigentlicher Auftrag und die damit verbundene Last. Aber so schnell und unerwartet dieser Kuss angefangen hatte, so schnell endete er auch, hinterließ nichts, als eine unangenehme Kälte auf seinen Lippen. Mit Genugtuung erkannte der Grauhaarige, wie der abwertende Ausdruck aus der Mimik Kisames verschwand und seine Körperspannung nicht mehr vor Selbstbewusstsein, sondern von Anspannung zeugte. „Ich werde das mit Madara klären. Das wird ihm nicht gefallen.“ Aufmerksam horchte er auf, bereit jede noch so versteckte Information aufzunehmen. „Ich werde mit ihm reden und ich denke, dass du in dieser Unterhaltung auch vorkommen wirst.“ Es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis sich der Blauhaarige tief verbeugte. „Entschuldigen Sie die Störung, meine Herren.“ Damit löste sich Kisame aus seiner Verbeugung, warf noch einen letzten, warnenden Blick in seine Richtung und verließ das Wohnzimmer. Es schien, als wäre das ein unsichtbares Zeichen gewesen, denn kaum war die Person aus dem Raum verschwunden, ließen auch die Hände von ihm ab. Nur kurz bekam Kakashi einen vollen Blick auf die anderen Gäste, die langsam wieder zu ihrer ursprünglichen Konstellation zurückfanden, aber es reichte aus, um seinen ursprünglichen Gemütszustand wieder herzustellen. „Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten“, zäh verarbeitete der Polizist die Aussage, als sich die zierlich wirkende Person, die sich eben noch für ihn eingesetzt hatte, nun vor ihm befand. Gleißend brannte sich der junge Mann in sein Gedächtnis. Seidig schimmerte der helle Alabasterton seiner Haut, bildete einen harten Kontrast zu dem schwarzen Haar. Die Gesichtszüge waren ebenmäßig, weich, beinahe schon feminin. Aber das fesselndste waren seine Augen. Noch nie hatte der Hatake so ein klares Grau gesehen. Es war dunkel und unverfälscht, wirkte in dem milden Licht des Ambientes beinahe schon schwarz, aber strahlte nichtsdestotrotz eine Wärme aus, von der er sich nur schwerfällig wieder lösen konnte. Kakashi musste es sich eingestehen, er war fasziniert. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, kam die melodische Frage des immer noch Fremden. Ein letztes Mal atmete er tief durch, um wieder in die Rolle des vermeintlichen Freiers zu schlüpfen, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. „Auf deine Verantwortung. Wenn der Typ gleich mit dem Chef reinkommt, wirst du hier ganz alleine sitzen.“ Klar erkannte er das schwache Lächeln des Jungen, als dieser einen der Barhocker heranzog und sich neben ihn setzte. Mit einer nebensächlichen Geste hob dieser einen Finger in Richtung des orangehaarigen Barkeepers, während er sich zeitgleich zu ihm umwand und das Profil des Hatake betrachtete. „Ich bin gewillt dieses Risiko einzugehen.“ Langsam platzierte der Schwarzhaarige seinen Ellenbogen auf dem glatten Marmor der Bar und bettete seinen Kopf in die erhobene Hand. „Ich frage mich, ob Sie-“ Fließend drehte der Polizist sich nach links, verfehlte mit seinem Knie nur knapp das seines Gegenüber. „Sag du. Ich bin erst Sechsundzwanzig, und momentan kein Freund dieser gestellten Etikette.“ Ein belustigtes Funkeln mischte sich unter den Glanz der grauen Iriden. „Ob du einen schlechten Tag hattest.“ Es war deutlich herauszuhören, dass dies nicht die ursprüngliche Frage war. Freudlos lachte er auf. Unzählige Bilder schossen durch seinen Kopf. Die jüngsten Ereignisse dieses Abends, die Unterhaltungen mit Anko, die unzähligen Teambesprechungen, bei denen nur kleine Erfolge zu verbuchen waren und zu guter Letzt die zahlreichen Abende, an denen er von der Arbeit nach Hause kam und versuchte den Tag zu vergessen. Die Gesichter der Prostituierten zu vergessen, damit sie nicht zu einem Teil seines Lebens wurden. Einem Teil, der ihn in ein tiefes Loch warf. „Ich warte auf eine überforderte Rezeptionistin und das ist noch der schöne Teil.“ Resigniert hob er das massive Glas an seine Lippen. Leerte mit einem schnellen Zug den goldbraunen Inhalt, um dem Barkeeper das leere Glas entgegen zu halten, bevor dieser sich wieder zurückzog. Regungslos betrachtete der Orangehaarige das Gefäß, nachdem er dem Jüngeren eine klare Flüssigkeit serviert hatte. Nichts in dem fremden Blick zeugte davon, dass man ihm nachschenken würde. „Es ist in Ordnung, Juugo. Bring uns die Flasche. Er hat eine Entschädigung für meinen plötzlichen Überfall verdient“, beantworte sein Gegenüber die wohl still gestellte Frage und umfasste die in der Luft schwebende Hand des Hatake, um sie sanft zurück auf die Marmorfläche zu drücken. „Kinder wie du sollten noch keinen Alkohol trinken“, sagte Kakashi, als die noch halb gefüllte Flasche vor ihnen abgestellt wurde. „Ich bin siebzehn und ich trinke Wasser.“ Leicht prostete der Jüngere ihm zu, als der Polizist die Flasche absetzte und im Begriff war erneut sein Glas zu heben. Aber er konnte nicht, der Grauhaarige musste leise auflachen. „Was ist?“ „Es ist bizarr, dass gerade hier“, mit einer umherschweifenden Handbewegung deutete er auf die obszöne Szenerie um sie herum, „ein Jugendlicher ist, der sich um so etwas schert.“ Knapp schlossen sich die feinen Lippen des Angesprochenen um den schmalen Glasrand, als er einen Schluck trank und sein Wasser wieder auf den harten Untergrund stellte. „Wir sind nicht viele, aber es gibt uns noch“, offenbarte der Schwarzhaarige ihm. „Ich finde es ja eher verwunderlich, dass du in diesem Zimmer bist, nur um dir einen Drink zu genehmigen.“ Schlagartig verstummte das Lachen. „Ich muss keine Macht demonstrieren, das entspricht nicht meinem Charakter. Deshalb bin ich nicht hier.“ Interessiert setzte sich der Junge auf, verlagerte sein Gewicht und vergrub seine Hände in der Mulde seiner überschlagenen Beine. „Und warum bist du hier?“ Wie vom Blitz getroffen sah er in das feine Gesicht, las daraus ehrliches Interesse und die Gewissheit, dass sich diese Frage nicht auf das heute bezog. Es ging dem Jungen nicht um die fadenscheinigen Gründe, die ihn hierher getrieben hatten. Es ging um die Tiefe, um seinen persönlichen Beweggrund. Es dauerte einen Moment, bis er wusste, was er darauf antworten sollte. Denn wenn er ehrlich war, so hatte er sich diese Frage auch schon gestellt. Immer und immer wieder, unzählige Male. Warum war er zur Polizei gegangen, warum gerade in diese Abteilung? Bis jetzt hatte er noch keine Antwort darauf gefunden. Besser gesagt, er hatte nie ernsthaft versucht eine zu finden. Aber etwas in der Mimik des anderen spornte ihn an darüber nachzudenken. Die Minuten verstrichen, während der Grauhaarige nach einer Erwiderung suchte. Minuten, die der Schwarzhaarige ihm zugestand, ohne auch nur ein einziges Mal das Wort zu erheben. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wollte ich es mir selbst beweisen“, mit einem dumpfen Ton stellte er das leere Whiskyglas vor sich und streckte seine Hand nach der Flasche aus, nur um sie weiter wegzuschieben, „Beweisen, dass man auch alleine weiter kommt, bis an die Spitze. Ganz ohne Eltern, die einen lieben und auffangen. Ohne einen scheinheiligen Staat, der dir leere Versprechungen macht und dir sagt, dass er sich bestmöglich um dich kümmert“, ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Ja, das wollte ich. Und auch wenn ich wohl nie herausfinden werde, wem dieses riesige Aquarium gehört, denke ich, dass ich schon weit gekommen bin.“ Kakashi konnte den Blick der grauen Augen nicht einordnen, wollte es auch gar nicht. Er genoss es einfach, dass sie ihn ansahen und in ihm diese angenehme Wärme auslösten. Aus einem Grund, den der Polizist selber noch nicht genau kannte, mochte er diesen jungen Mann. Er war so anders als die anderen Jugendlichen, die er bislang kennengelernt hatte. Reifer. Und das bedauerte der Hatake. Es bewies, dass er schon vor langer Zeit aufgehört hatte ein Kind zu sein. Mit einem leichten Seufzten streckte der Polizist sich, um seine Muskeln zu lockern und einen Blick auf seine Uhr zu erhaschen. Verwundert verzog er das Gesicht. Er hatte anscheinend länger überlegt als gedacht, denn er war schon seit drei Stunden an dieser Bar. „Ich sollte jetzt lieber gehen, sonst darf ich mir morgen wieder was anhören.“ Damit stand er auf. „Frau und Kinder?“ „Schlimmer“, ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, „Einen besten Freund.“ Das leise Lachen des Jüngeren drang an sein Ohr. „Das war nicht nett“, wurde er belehrt. „Ich habe wohl ein Händchen für unglückliche Formulierungen.“ Mit gespielter Resignation verzog er das Gesicht und entlockte dem anderen zum wiederholten Male ein ehrliches, kurzes Lachen. „Ich bring dich noch nach draußen.“ Für einen kurzen Moment stockte er, während er dem Grauhaarigen einen fragenden Blick zuwarf. „Kakashi“, ergänzte der Ältere. Er war sich durchaus bewusst wie töricht seine Aussage, vor dem Hintergrund der verdeckten Ermittlung wirkte, aber er wollte es so. Es waren nur wenige Worte gewesen, die sie beide miteinander gewechselt hatten, jedoch wirkten sie gehaltvoller und ja, auch ehrlicher, als so manche stundenlangen Gespräche, die er schon im Laufe seines Lebens geführt hatte. Der Hatake wollte dieses Gebilde nicht zerstören, indem er mit Lügen anfing. Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich wiedersahen? „Dann lass uns gehen, Kakashi“, meinte der Schwarzhaarige, als er sich bei ihm einhakte und ihn in Richtung Ausgang zog. Deutlich spürte der Grauhaarige, wie die Blicke der letzten Verbliebenen ihnen folgten und leichtes Unbehagen stieg in ihm auf, wurde jedoch direkt im Keim erstickt, als er auf das warme Lächeln des Prostituierten traf. Es dauerte nicht lange, bis sie die Tür erreichten, welche ihm bis vor kurzem noch verboten war zu passieren. Bevor er selbst die massive Klinke fassen konnte, hatten sich schon die alabasterfarbenen Finger darum geschlossen. Mit einem kurzen Ruck wurde das schwere Holz beiseite gezogen und die Wärmequelle an seinem Arm verschwand. „Nach dir“, kam die Aufforderung des Kleineren. Mit einem großen Schritt war der Grauhaarige wieder im offiziellen Teil des Bordells. Alles hier wirkte trist. Verschwunden war das Gefühl der Exklusivität, jetzt wo er den anderen Teil des Gebäudes kannte, von ihm gekostet hatte. „Kakashi?“ Fragend drehte er sich zu der im Türrahmen lehnenden Gestalt. „Hattest du heute einen schönen Abend?“ Alles in ihm schrie „Ja“. Der heutige Abend war trotz der vielen Komplikationen schön gewesen und das hatte er nur diesem Jungen zu verdanken. Einer Person, die er kaum kannte und von der er doch wusste, dass sie ein besseres Leben verdient hatte. „Den hatte ich. Auch wenn ich noch immer wütend auf Karin bin“, gestand er. „Möchtest du eingeladen werden?“ Warm traf ihn das Lächeln des Jungen. Kakashi bemerkte, wie ein Teil von ihm versucht war eine ehrliche Antwort zu geben. Ein Ja zu geben. Heute Abend hatte er für einen kurzen Moment vergessen können, wie die Welt draußen war. Er hatte sich wohl gefühlt. „Ich wurde schon eingeladen“, wich er aus. „Karin arbeitet nicht in diesem Bereich.“ Angenehm traf ihn die jugendliche Stimme, milderte damit die eigentliche Aussage ab. Der Polizist hatte es nicht vergessen. Den abfälligen Blick von Kisame, als er gesagt hatte, dass die Rothaarige ihn eingeladen hatte. Noch deutlich konnte er die spöttische Nuance seiner Stimme hören. „Ich weiß.“ Er besah sich den anderen noch einmal ganz genau. Kakashi wusste nicht, ob es an den zwei Gläsern Whisky lag, die er getrunken hatte, oder ob der Mann vor ihm wirklich diese Perfektion ausstrahle. Der Grauhaarige mochte alles an ihm und gerade das war gefährlich. Aber er musste auch voraus denken. Er war heute in dem Abschnitt gewesen, zu dem nur die wenigsten Zutritt hatten. Den Teil des Gemäuers, den es zu infiltrieren galt. Warum sollte er also nicht wieder kommen? In diesen Bereich, zu diesem Mann. Geräuschvoll atmete er aus. Er kannte die Antwort. Es würde bedeuten, dass er den Schwarzhaarigen benutzen würde und alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen so zu behandeln, wie er es mit der Rezeptionistin getan hatte. „Ich formuliere meine Frage um.“ Damit stieß sich der Kleinere von beiden von dem harten Holz ab. „Möchtest du mich wieder sehen?“ „Ja“, antwortete er schnell. Zu schnell. Wie von selbst hatten seine Lippen die Worte geformt und noch ehe er darüber nachdenken konnte, was genau sie ausdrückten, was sie nach sich zogen, hatte er sie ausgesprochen. „Ich möchte dich auch wieder sehen.“ Bei dieser Aussage breitete sich eine angenehme Gänsehaut auf seinem ganzen Körper aus. Langsam wurde die schwere Tür in Richtung Schloss gezogen. „Du solltest mit Karin einen Termin ausmachen, einen der nicht ganz so kurzfristig ist.“ Irritiert stutze der Grauhaarige, erntete damit ein amüsiertes Funkeln des anderen. „Das Aquarium gehört Madara, alles hier gehört Madara.“ Immer näher kam die Tür ihrem Gegenstück, verkleinerte die Aussicht auf den schmalen Körper zentimeterweise. „Grüß die überforderte Rezeptionistin von mir und sag ihr, dass Katsumi dich wiedersehen möchte. Bis bald, Kakashi.“ Und damit rastete die Tür ein und ließ ihn alleine auf dem breiten Flur stehen. Kapitel 5: Nächstenliebe ------------------------ Mit einem frustrierten Seufzen lehnte sich der Grauhaarige zurück. Das beißende Licht des Monitors, in Verbindung mit seiner eigenen, nicht vorhandenen Produktivität, bereitete ihm Kopfschmerzen. Schon seit Stunden saß er vor dem breiten Bildschirm, in dem kläglichen Versuch seinen Bericht zu beenden, aber alles was er hatte waren die Standardfloskeln. Die Nummer der Ermittlung, seine eigene Identifikationsnummer und das Datum. Zahlen, mehr hatte er nicht. All das was ihm damals so frei von der Hand ging, fiel ihm nun unheimlich schwer. Es fiel ihm schwer Worte zu finden, die das Geschehen vor vier Tagen veranschaulichen würden. Mit ruhigem Atem besah er sich den leeren Platz am Schreibtisch. Itachi war heute nicht zur Arbeit gekommen, wie jedes Jahr um diese Zeit, zu diesem Tag. Der Hatake akzeptierte es, auch wenn er das Verhalten des Brünetten nicht nachvollziehen konnte. So gleich sie sich auch in ihrer Denkweise waren, es war genau dieser Punkt, in dem die beiden sich am meisten unterschieden. Er selbst hätte sich nicht zurückgezogen. Zurück in Gedanken an eine Welt, die nicht mehr existierte. Der Grauhaarige hätte sich in die Arbeit gestürzt, gehofft von Rationalität geleitet zu werden und am Ende des Tages müde genug zu sein, um in einen traumlosen Schlaf zu fallen. Aber was wusste er schon? Er war der denkbar schlechteste Gegenpart für so einen Vergleich. Beiläufig schloss er das Schreibprogramm und schaltete den Computer ab. Er würde den Teufel tun und Itachi vorschreiben wie er am Todestag seiner Familie zu trauern hatte. „Kakashi.“ Resigniert sah der Angesprochene zu seinem Gegenüber. „Ist der Bericht fertig?“ „Nein“, kam die einsilbige Antwort. Mit einer hochgezogenen Augenbraue wurde er gemustert, bis Pains Aufmerksamkeit auf den unberührten Platz neben ihm fiel. „Gut, du kannst nach Hause.“ Überrascht sah er seinen Vorgesetzten an, nicht sicher, ob dieser es wirklich ernst meinte. „Danzou fängt an herumzuschnüffeln. Jeder Bericht stellt ab sofort ein Sicherheitsrisiko dar. Wir arbeiten nur noch mündlich.“ Ein amüsiertes Grinsen breitete sich auf den Lippen des Hatake aus. „Was ist mit den Vorschriften?“ „Die Vorschriften können mich mal“, forsch wurden ihm die Worte entgegengebracht, „In den acht Jahren, die ich diese Abteilung hier leite, war noch keiner meiner Leute so nahe dran. Informiere Itachi noch über den aktuellen Stand.“ Damit wandte Pain sich zum Gehen. „Und Kakashi? Veränderungen sind gut. Du kannst ruhig öfter deine Maske vergessen. Das nimmt dir diesen Charakter eines potentiellen Terroristen.“ Damit war er auch schon in seinem Büro verschwunden. Ein genervter Laut verließ seine Lippen, als ihm klar wurde, dass er heute Morgen vergessen hatte den schützenden Stoff überzustreifen. Kakashi wusste selbst, dass diese Angewohnheit von ihm bei vielen Dingen eher hinderlich war, aber er trug schon seit Jahren eine Maske. Zu Beginn nur, um seine Pflegeeltern zu provozieren, aber im Laufe der Jahre wurde der stille Protest zur Gewohnheit. Und alte Gewohnheiten wurde man nur schwer wieder los. Vielleicht hatte Pain ja recht, vielleicht war eine Veränderung in diese Richtung auf unbestimmte Weise gut. Aber der Polizist hatte im Moment ein größeres Problem, als einen philosophischen Monolog über Veränderung. Er musste heute noch in die Stadt. Nicht, dass er Aneinanderreihungen verschiedener Angebote für den alltäglichen Gebrauch nicht guthieß, aber es war bald Weihnachten und das war nirgends zu übersehen. Überall hing weihnachtliche Dekoration. Von einfachen Girlanden, bis hin zu riesigen Weihnachtmännern. Jedes einzelne Geschäft hatte seine eigenen Methoden, um Kundschaft anzulocken. Es war genau dieses Zusammenspiel der Masse von Dekoration, Licht und Musik, welches in ihm einen Zustand der Übelkeit hervorrief. Der Grauhaarige hatte Weihnachten noch nie gemocht. Er war weder gläubig, noch vertrat er die Ansichten dieses scheinheiligen Festes der Liebe. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass wenn eine Frau ihren Mann betrog, alles mit einem familiären, festlichen Essen getilgt wäre. Ebenso wenig wie er daran glaubte, dass ein Familienvater, der seine Arbeit mehr liebte als seine eigenen Kinder, zu Weihnachten Vergebung bei diesen fand. Es war ein Aberglaube aus der westlichen Welt, an den sich nun auch die japanische Bevölkerung klammerte. Eine Farce, nichts weiter. Schnell zog er sich seinen Mantel an, griff nach seinem Schal und ging zum Aufzug. Ihre Abteilung befand sich im fünften Stock des hiesigen Gebäudekomplexes und wenn er schon gleich in die bunte Welt des Wahnsinns eintrat, wollte er sich wenigstens im Fahrstuhl einen kurzen Moment der Ruhe gönnen. Er hatte in den letzten Tagen schlecht geschlafen. Er wusste nicht woran es lag, aber Katsumi ließ ihn einfach nicht los. Der Grauhaarige erwischte sich immer öfter dabei, wie er sich in den verschiedensten Situationen fragte, was der Jüngere wohl dazu sagen würde. Wie dieser darauf reagieren würde. Ob er dieselbe Einstellung dazu hätte wie er selbst, oder einen ganz anderen, frischen Blick darauf hätte. Es war absurd, das wusste der Polizist selbst. Er kannte diesen Jungen kaum und doch gestand er diesem zu, so einen großen Platz in seinen Gedanken einzunehmen. Aber das skurrilste daran war, dass es ihn selbst gar nicht so sehr störte, wie es sollte, wie es ihn sonst immer gestört hatte. Kakashi liebte seine Arbeit. Das verzweifelte Gesicht der Bordellbetreiber, wenn ihnen bewusst wurde, dass sie aufgeflogen waren und alles verlieren würden. Die Erleichterung in den Gesichtern der jungen Menschen, wenn ihnen gesagt wurde, dass ihr Körper wieder ihnen gehörte. Es verschaffte ihm Genugtuung. Dieser kleine Beitrag der Gerechtigkeit ließ ihn seine Entscheidungen nicht einen Moment bereuen. Was er nicht mochte, war das Prozedere davor. Das Manipulieren, das Verstellen und letztendlich, das Analysieren. Es war anstrengend und nervenaufreibend, aber vor allem deprimierend zu erfahren, mit welchen Mitteln die Jugendlichen - die Kinder - in den Bordellen gehalten wurden. Was ihnen allen erzählt wurde und in welchem Ausmaß sie das Gefühl der Angst kennenlernten. Diesen Teil der Arbeit nahm er nicht mit nach Hause. Er legte ihn ab, direkt vor der Haustür und ohne mit der Wimper zu zucken. Aber dieses Mal ging es nicht. Es fühlte sich eher so an, als würde man ihn analysieren und nicht an sich heran lassen. Aber konnte er sich auf dieses Gefühl auch wirklich verlassen und als eine Art Warnsignal sehen. Oder sollte er lieber dem Teil Glauben schenken, der diese Anschuldigungen als Paranoia wertete? Mit einem kurzen, hohen Klingeln kam der Aufzug zum Stehen und öffnete seine Türen. Routiniert schloss er seinen Mantel und ließ seine Finger in dem weichen Fleece seiner Handschuhe verschwinden, bevor er die massive Glastür aufdrückte und ins Freie trat. Die Kälte traf sein ungeschütztes Gesicht und ließ ihn leicht frösteln. Noch ein Grund, warum er diese Jahreszeit nicht mochte. Aber es nützte nichts, wenn er sich jetzt nicht überwinden würde, müsste er in den nächsten Tagen nochmal los und je länger er wartete, umso näher rückte Weihnachten und damit die verbundene Eile der restlichen Bevölkerung, die letzten Besorgungen zu erledigen. Beiläufig zog er seinen dunklen Schal enger und machte sich auf in die Innenstadt. Je näher er seinem Ziel kam, desto dichter wurde die Menschenmasse. Er blickte in unzählige Gesichter, jedes einzelne wirkte abgehetzt und war mit Anonymität getränkt. Ihn selbst störte es nicht, es war die typische Einstellung einer Großstadt. Ignoranz gegenüber den Mitmenschen, jeder akribisch auf seine eigenen Vorteile bedacht. Genau das war es, was die Menschen hier ausmachte. Er war in seiner Freizeit nicht anders. Den einzelnen Personen trat er mit Gleichgültigkeit entgegen, während er zeitgleich versuchte die Dekoration und die festlichen Melodien auszublenden. Ohne Umwege machte er sich daran den Supermarkt zu erreichen und konnte so schon bald die von Tannenzweigen umrahmte Tür des gesuchten Ladens passieren. Immer weiter schritt der Hatake von dem Regal zurück, um die Fülle des Sortimentes besser im Blick zu haben. Er selbst hatte den Entschluss gefasst seinen Kaffeekonsum zu zügeln und es mit Tee zu versuchen, um besser schlafen zu können. Aber jetzt, wo er sich vor dem schier endlos erscheinenden Regal befand, war er sich da nicht mehr so sicher. Die Masse erschlug ihn schon beinahe und das ließ seine anfängliche Motivation, über die Veränderung seiner Trinkgewohnheit, sinken. Fünfzehn Minuten – und eine Reihe von leisen Wiederholungen des Wortes >Melisse< – dauerte seine Suche nun schon. Langsam aber sicher gab er die Hoffnung auf, diesen zu finden. Als er sich gerade dazu entschlossen hatte, dass Schlaf überbewertet wurde, schob sich einen schmale, grüne Verpackung mit der Aufschrift Melisse in sein Sichtfeld, nur um kurz darauf mit einem amüsierten, leisen Lachen in seinen Einkaufskorb geworfen zu werden. Überrascht musterte er das bekannte Gesicht vor sich. „Melisse steht immer rechts, kurz vor den Erkältungstees.“ Mit einem Augenzwinkern hakte sich die junge Frau bei ihm unter und zog ihn mit in Richtung der leeren Kasse. Es war nicht zu übersehen, dass der Kassierer immer wieder schüchterne Blicke zu seiner neuen Begleitung warf, während er zeitgleich die wenigen Einkäufe scannte. „Also“, formte er die Worte, als er mit einem kurzen Nicken das Wechselgeld verstaute und nach draußen ging, „Danke für deine Hilfe, aber ich werde jetzt gehen. Man sieht sich, Anko“ Das Plastik der Tüte knisterte, als die Langhaarige ihn mit einem schnellen Ruck wieder zu sich zog. „Bei einem Kaffee, schöne Idee. Ich lade dich ein.“ Ihr Griff war fest, während sie ihn galant durch die Massen zog und immer wieder in verschiedene Richtungen abbog. Wie lange genau die beiden so durch die Stadt marschierten, ehe sie an einem kleinen Café ankamen, konnte er nur schwer einschätzen. Sie gingen bis nach hinten durch und setzten sich in eine kleine Nische. Es war nicht viel Kundschaft anwesend und so wurde ihnen schon nach wenigen Minuten der bestellte Kaffee gebracht. „Was ist passiert?“, abschätzig wurde der Hatake, über den Tassenrand hinweg, gemustert. „Es ist nach Plan gelaufen. Sehr zur Freude meines Chefs.“ „Ich weiß, dass der Plan funktioniert hat. Kisame ist fast ´ne Ader geplatzt wegen dir.“, erwiderte die Prostituierte genervt. „Ich meinte deine Augenringe.“ „Du kennst Kisame?“ Interessiert horchte er auf. „Wir treffen uns öfter in den Pausen zum Rauchen und du hast ihn echt wütend gemacht. Kaum zu fassen, dass du ihm seelenruhig deine Karte gezeigt hast“, kurz lachte die Lilahaarige auf. Er erwiderte nichts, sondern nahm einen großen Schluck des schwarzen Getränkes. „Okay, du willst mir also nicht sagen was los ist. Schön, dann rate ich halt.“ Selbstsicher drapierte sie ihre Ellenbogen auf der Tischplatte, verschränkte ihre Finger ineinander und stütze ihr Kinn darauf. „Du hast Leute da unten gesehen, die du für anständig gehalten hast. Dein Weltbild ist erschüttert und du hast dein Vertrauen in die Menschheit verloren.“ Abschätzig hob er eine Augenbraue. „Na gut. Du hast jemanden getroffen, den du persönlich kennst.“ Noch immer war die Augenbraue des Grauhaarigen erhoben. Amüsiert verzog Anko ihre Lippen für einen Moment. „Du magst Kisame auf eine besondere Art?“ „Oh ja, sein überheblicher Tonfall ist geradezu lieblich“, genervt seufzte er auf. „Jetzt hab ich es“, euphorisch schlug sie in die Hände, „Du hast jemandem die Begleitung ausgespannt!“ Siegessicher lehnte sie sich zurück. „Ich habe niemandem irgendwas ausgespannt.“, beharrte der Polizist. „Natürlich nicht. Es beruht alles auf Gegenseitigkeit“, fast schon mütterlich wurde er angesehen, „Wen hast du umworben?“ Leicht umfassten Ankos Finger die weiße Tasse und hoben sie hoch, „Wen hat Karin für dich locker gemacht?“ „Ich habe niemanden umworben, Anko. Ich saß nur an der Bar.“ „Natürlich, und Kisame konnte dich nicht rauswerfen, weil du noch nicht ausgetrunken hattest.“ Es war deutlich zu erkennen, dass die Lilahaarige sich vorkam, als würde man sie hinters Licht führen und dann änderte sich ihre Mimik schlagartig. „Natürlich, du hattest Sakura. Niemand sonst würde Kisame so auf die Palme bringen. Ihr habt euch unterhalten, sie mochte dich, musste dann kurz für kleine Mädchen und als sie wiederkam, hatte Kisame dich am Wickel. Und wie ich die Gute kenne, hat er sich noch eine von ihr eingefangen. Gute Partie.“ Langsam ließ er die dunkle Flüssigkeit schwenken und beobachtete, wie sie ihre Kreise in dem kleinen Gefäß zog. „Ich kenne keine Sakura. Ich habe Whiskey getrunken und mich unterhalten.“ Ein leiser Pfiff ließ ihn aufsehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass man als Polizist so gut verdient.“ Verständnislos sah er die Frau an. „Ein Glas kostet mindestens viertausend Yen. Das ist das gute Zeug.“ „Ich habe nichts bezahlt.“ Verdutzt hob er beide Augenbrauen. „Der Retter in der Not hat dich eingeladen und gleich die ganze Flasche geordert.“ Es war nicht zu überhören, dass die Mitarashi ihm nicht glaubte. Aber irgendwas in seiner Mimik ließ sie innehalten. „Du meinst das ernst. Die einzige Person, die das nicht bezahlen müsste…“, mittendrin brach sie ab, „Nein, das würde Karin nicht wagen.“ Sie sprach nun viel mehr mit sich selbst, als mit dem Grauhaarigen. „Aber das würde erklären, warum Madara sich nicht einmischt. Wer würde seinem Liebling schon misstrauen?“ Bitter lachte sie auf. „Anko, sprich mit mir“, forderte der Hatake streng. „Katsumi hat dich eingeladen.“ Es war keine Frage, sondern klang eher wie ein Vorwurf. „Du musst sofort damit aufhören. Du hast keine Ahnung, wen du da genau erwischt hast“, eindringlich sah die Lilahaarige ihn an. „Er ist sein Liebling. Das ist gefährlich, lass das Goldkind nicht zu nah an dich ran.“ „Er ist kein Goldkind“, forsch fuhr er sein Gegenüber an, „er ist ein Mensch. Jemand der denkt und fühlt. Hast du dich jemals mit ihm unterhalten?“ „Ich kenne diesen Ausdruck auf deinem Gesicht. Du kannst nicht schlafen, weil der Junge dich nicht los lässt.“ Resigniert schüttelte sie den Kopf. „Hast du dich schon mal gefragt, warum Madara noch da ist? Jede Person, die ihm gefährlich werden könnte, trifft auf Katsumi. Jede Person, die er finanziell nicht entbehren kann, ist mindestens einmal auf Katsumi getroffen. Er ist seine Falle! Er wird dich greifen, dich festhalten und dafür sorgen, dass deine Weste nicht mehr rein ist.“ „Ich weiß, was ich tue. Ich werde nicht mit ihm schlafen. Ich brauche nur genug Beweise, danach bin ich weg.“ Er konnte die Lilahaarige nicht verstehen. Es war seine Sache, in wie weit er sich auf den Schwarzhaarigen einlassen würde. Kakashi hatte nicht gelogen, als er sagte, dass er nicht mit Katsumi schlafen würde. Es würde gegen das Gesetz verstoßen und selbst wenn er es fernab von jedweder Prostitution täte, so wäre es für ihn moralisch inakzeptabel. Er mochte den Jungen, aber nicht auf diese Art und Weise, dessen war er sich sicher. Streng wurde der Polizist gemustert. „Na schön, vielleicht hast du recht. Vielleicht ist er jemand, der eigenständig denkt und sich auf deine Seite schlägt. Vielleicht hast du so viel Glück und er wird dir alles verraten, was er über Madara weiß. Und ja, vielleicht wird er dich vor Madara genauso in Schutz nehmen, wie du ihn vor mir in Schutz nimmst.“ „Ich nehme ihn nicht in Schutz“, fiel er ihr ins Wort, wurde jedoch ignoriert. „Aber das gibt dir keinen Schutz. Madara ist ein Überlebenskünstler. Wenn es sein muss, wird er euch beide los.“ Die Worte von Anko trafen ihn. Er hatte sich schon gedacht, dass der Bordellbetreiber von einem besonderen Kaliber war und der Polizist hatte sich damit abgefunden, dass dieser Auftrag um einiges heikler war als seine bisherigen. Was ihm jedoch wirklich Sorge bereitete, war, dass er diesen Mann nicht einschätzen konnte. Es gab nichts zu seiner Person, keinen Anhaltspunkt. Nur die Gewissheit, dass jeder, der etwas Genaueres über ihn hätte erzählen können, spurlos verschwunden war, als die Polizei im Begriff war Kontakt aufzunehmen. Aber jetzt schien es, als hätte er eine Lücke in der Verteidigung gefunden. Anko hatte ihm mit den Strukturen innerhalb des Himitsu geholfen. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass die junge Frau nun vor ihm saß und mit ihm einen Kaffee trank. Sie war noch da und er hatte auch noch kein Indiz dafür erkannt, dass er aufgeflogen war. Der Hatake wusste nicht, woran genau das nun lag. Natürlich wäre es möglich, dass Madara unvorsichtig geworden war, aber direkt innerhalb seines Territoriums war diese Option äußerst fraglich. Wahrscheinlicher war es, dass es an seinem bisherigen Umgang lag. Die Lilahaarige und auch Karin waren keine Personen, die eine allzu große Relevanz für den Inhaber hatten. Sie waren austauschbar, lediglich Mitläufer, auch wenn es hart klang. Bei Katsumi war es anders. Der Schwarzhaarige war anscheinend nicht nur tragend für das Bordell, sondern schien darüber hinaus Madara persönlich wichtig zu sein. Mit ihm ging der Polizist das denkbar größte Sicherheitsrisiko ein. Kakashi wusste all diese Dinge, er hatte die Ereignisse abgewogen und für sich selbst entschieden, dass er das Richtige tat. Er würde sich auf das Risiko einlassen. Auch wenn Anko es wahrscheinlich nur gut meinte und auch, wenn sie ihm geholfen hatte, er kannte die Frau kaum. „Ich brauche keine weihnachtliche Nächstenliebe.“ Mit einem Klirren fand die weiße Porzellantasse ihren Platz auf dem runden Unterteller. „Weil du selber keine hast? Kein Wunder, dass du alleine unterwegs bist.“ Unverfroren traf ihn der wütende Blick der Mitarashi. „Ich bin gerne alleine“, resigniert ließ der Grauhaarige die Luft aus seinen Lungen entweichen, „Und meine Freunde auch.“ Schnell änderte sich die Wut Ankos in Unglauben. „Zu Weihnachten ist niemand gern allein. Wenn du zu dieser Zeit allein bist, wird dir das überall unter die Nase gerieben. Es treibt dich in den Wahnsinn. Du solltest dir eins merken“, ermahnend hob die Frau ihren Zeigefinger, „Während der Weihnachtszeit ist man nicht alleine, man ist einsam.“ Itachi. Immer wieder hallte der Name durch seinen Kopf. Kakashi hatte den Rückzug seines besten Freundes, zu dieser Jahreszeit, immer schweigend hingenommen. Aber wenn Anko recht hatte, bedeutete dies, dass er ein Idiot war. Und Anko hatte recht, das musste er sich schmerzlich eingestehen. Es war eine Sache zu trauern und eine andere, wenn es sich dabei um die gesamte Familie handelte. Es war unschön, aber vor dem Hintergrund einer Zeit, in der alles vor familiären Intention triefte, war es grausam. „Ich muss gehen.“ Hastig stand er auf und erregte mit dem lauten Stuhlscharren die Aufmerksamkeit einiger Gäste. „Warte.“ Für einen kurzen Moment sah sie ihn eindringlich an, ehe sie einen Stift aus ihrer Tasche holte. Fahrig schrieb sie etwas auf ihre Servierte und reichte diese dem Hatake. „Was soll ich mit dieser Adresse? Das ist im Bezirk Chou.“ „Bridgestone Museum of Art. Ich möchte, dass du dir nächstes Jahr die Ausstellung anschaust. Die Uhrzeit und das genaue Datum stehen dabei. Vertrau mir. “ Kurz nickte er ihr zu und steckte das Stück Papier dann in seine Manteltasche, mit der Absicht es zu entsorgen, sobald die Lilahaarige außer Sichtweite war. „Das letzte Mal, als ich dich gebeten habe mir zu vertrauen, wurdest du kurz darauf eingeladen. Daran solltest du denken, bevor du es wegwirfst.“ Überrascht deutete der Grauhaarige eine leichte Verbeugung an und verließ daraufhin das gemütliche Ambiente des Cafés. Er ging zurück auf die Haupteinkaufsstraße. Vorbei an diversen Geschäften und Spielhallen, direkt in Richtung der U-Bahnstation im Zentrum. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr stellte er fest, dass er noch zehn Minuten hatte, bis die nächste Bahn in seine Richtung fuhr. Kurz vor dem Treppenabsatz verschlug es ihn in das schmale Geschäft zu seiner Linken. Die Glocke der Tür läutete leise, als der Hatake diese beim Öffnen anstieß. Der Laden roch etwas muffig und war, entgegen der Konkurrenz, recht klein und übersichtlich, aber das gefiel ihm. Schnell hatte er sich einen Überblick über die verschiedenen Spirituosen verschaffen und konnte so, ohne langes Suchen, nach dem Sake greifen. Er ignorierte den abschätzigen Blick des Verkäufers, als er die drei Flaschen auf den Verkaufstresen stellte und die zu zahlende Summer hervorholte. Schnell verstaute der Polizist den Alkohol in seiner Einkaufstasche und verließ den Laden wieder. Gerade rechtzeitig erreichte er das Gleis und konnte noch in die überfüllte Bahn einsteigen, bevor diese losfuhr. Es lag eine Fahrt von gut zwanzig Minuten vor ihm, aber das interessierte ihn nicht. Selbst die deutlich zu spürende, weihnachtliche Stimmung in dem engen Abteil störte ihn wenig. Der Grauhaarige hatte keinen Platz in seinem Kopf, um sich über diese Lappalie aufzuregen. Viel mehr ärgerte er sich nun über sich selbst. Er konnte nicht glauben, dass er wirklich so abgestumpft war und nicht bemerkt hatte, dass Itachi zu dieser Jahreszeit eindeutig mehr litt, als er. Kakashi verstand nicht viel von Verlust, aber er konnte sich in etwa vorstellen, wie es den Menschen bei dieser Empfindung gehen musste. Er hatte den Brünetten in den letzten Jahren dafür beneidet, dass dieser sich dem bunten Treiben der Weihnachtszeit entziehen konnte, dass dieser einen Weg hatte diese Zeit gekonnt und ohne große Selbstanstrengung zu ignorieren. Aber jetzt war es anders. Die Prostituierte hatte ihm einen Denkanstoß in eine Richtung gegeben, über die er nie nachgedacht hatte. Kakashi war wirklich nicht das, was man unter gesellig verstand, aber auch er wusste, wann er am Zug war. An der elften Haltestelle stieg er aus und folgte der Masse zum Ausgang. Es wurde schon langsam dunkel und die Straßenlaternen begannen ihren Dienst. Unbeirrt setze er seinen Weg fort. Er war eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr in dieser Gegend gewesen, den Weg hätte er jedoch auch im Schlaf gefunden. Ohne sich vergewissern zu müssen, dass er richtig war, glitten seine Finger wie von selbst, zu einer der Klingeln des Mehrfamilienhauses. Immer wieder drückte er den dünnen Knopf nach unten. Regelmäßig und in perfekt gleichen Zeitabständen. Der Hatake konnte selber nicht glauben, dass er tatsächlich dabei war Sturm zu klingeln. Es war untypisch für ihn diesen Grad der Penetranz an den Tag zu legen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erklang das erlösende Surren und er konnte in den Hausflur eintreten. Hastig stieg er die Treppen bis zum dritten Stock nach oben und kümmerte sich nicht um das Klirren der Flaschen. Schon bald war er in der gesuchten Etage angekommen und blickte in das müde und abgekämpfte Gesicht seines besten Freundes. „Was willst du denn hier?“ Die Stimme des Brünetten klang rau. Kakashi bemühte sich nicht um eine Antwort, sondern drängte sich an dem Körper im Türrahmen vorbei und trat ins Innere der Wohnung. Es hatte sich nichts seit seinem letzten Besuch verändert. Noch immer erinnerte die Einrichtung eher an eine Musterwohnung, als an einen Ort, an dem wirklich jemand lebte. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich auf das breite Sofa fallen zu lassen. „Kakashi, ich bin jetzt wirklich nicht in Stimmung. Ich-“ „Halt die Klappe“, unterbrach der Grauhaarige ihn und stellte energisch die Sakeflaschen auf dem niedrigen Couchtisch ab, „Und hol Gläser.“ Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie sich Itachi‘s Augen weiteten, als er zuerst die Flaschen musterte und dann das Gesicht des Hatake. Für einen Moment verharrte er mit dieser Mimik, bevor er wortlos in die Küche ging, um mit den geforderten Gläsern zurückzukommen. Der Brünette stellte diese auf dem Tisch ab und ließ sich kurz darauf auf dem Sessel gegenüber nieder. „Du musst nicht mit mir reden“, eröffnete Kakashi, „und ich werde auch nichts sagen, aber wir werden uns betrinken.“ Ohne Umschweife ergriff Itachi das ihm gereichte Glas. „Und weil ich für Weihnachten keinen Kuchen habe, werden wir uns auch an Weihnachten betrinken. Und zwar hier, in dieser Wohnung. Einfach weil ich keine Lust habe mich alleine zu betrinken und im besoffenen Zustand meine Wohnung abzufackeln.“ Für einen kurzen Moment stockte er, als ihm die unbeabsichtigte Parallele auffiel. „Das war nur eine ungünstige Formulierung. Mein neues Talent, frag nicht.“ Erleichtert stellte er fest, dass sein Gegenüber ein leichtes Lächeln auf den Lippen trug. Und das freute ihn, das tat es wirklich. Itachi sah schrecklich aus. Seine Augenringe waren tief und das lange Haar wirkte leicht strähnig. Der Brünette hatte sich gehen lassen, zu recht. Kakashi würde ihn nicht zwingen eine gute Miene aufzusetzen und sich zu verstellen, nur weil er jetzt zu Besuch da war. Er würde ihm einfach nur Gesellschaft leisten und mit ihm trinken. So wie es Freunde normalerweise miteinander taten. Er würde da sitzen und ihn ansehen, gelegentlich nachschenken und ihm das Gefühl geben nicht allein zu sein. Denn jetzt, als er sich selbst in Gesellschaft befand und einen Vergleich hatte, glaubte er Anko vollkommen. Zu Weihnachten war man nicht allein, man war einsam. Aber dieses Jahr würden weder er, noch Itachi einsam sein. Nächstenliebe. Etwas, was man sich nach zehn Jahren Freundschaft ruhig mal erlauben konnte. Kapitel 6: Verbrannt -------------------- Der Stoff seiner Jacke raschelte leise, als er sie über die Lehne der dunklen Couch legte. Nervös stützte er sich mit seinem Gesäß gegen die Außenseite der Rückenlehne. Es fühlte sich seltsam an, dass er sich nun in dem Raum befand, welchen er vor gut einem Monat zum ersten Mal gesehen hatte. Der blaue Schein des Aquariums wurde von dem sanften Licht der Deckenbeleuchtung zurückgedrängt, aber auch wenn die Atmosphäre nun eine andere war, das gemächliche Umherschwimmen der bunten Fischschwärme beruhigte ihn dennoch. Sein Puls fand zu einer normalen Frequenz zurück und auch seine Atmung zeugte nun von Gelassenheit. Die idealen Voraussetzungen, um mentalen Abstand zu dem heutigen Abend aufzubauen. Kräftig holte der Hatake Luft und stieß sich von der Rückseite ab, während er seine Hände tief in den Taschen seiner dunklen Jeans vergrub. Abstand war eine gute Sache. Es war etwas, das er für gewöhnlich als seinen Leitsatz ansah, aber in letzter Zeit klang es für den Grauhaarigen eher wie etwas, das er sich vehement einzureden versuchte. Kakashi verstand es selbst nicht so genau, aber je näher der heutige Tag gerückt war, desto stärker protestierte ein Teil von ihm gegen diese Barriere. Resigniert seufzte er auf. Er hatte in den letzten Wochen ungewöhnlich viel Zeit in Gesellschaft verbracht. Es war zwar nur Itachi gewesen, aber immerhin. In dieser Zeit hatte er alle Mauern fallen lassen und sich wirklich mit dem Braunhaarigen beschäftigt. Während sie in der ersten Woche nur zusammen gesessen hatten, trinkend und eher mit sich selbst beschäftigt, war in der darauffolgenden Zeit das genau gegenteilige Szenario abgelaufen. Sie hatten miteinander geredet, sich ausgetauscht. Aber vor allem hatten sie sich auf den jeweils anderen eingelassen, ausnahmslos und ungefiltert. Wahrscheinlich lag es daran, dass es ihm nun umso schwerer fiel die Mauern wieder hochzuziehen. Denn der Hatake musste nicht nur die einzelnen Steine wieder aufeinander setzten, sondern das gesamte Fundament neu modellieren. Etwas, auf das er ehrlich gesagt keine Lust hatte, wie er feststellte, als er sich auf das Polster neben seiner Jacke fallen ließ, die Augen schloss und den Kopf in den Nacken legte. Entspannt lauschte der Polizist den leisen Tönen des Aquariums, die in Verbindung mit seinen eigenen, regelmäßigen Atemzügen eine ausgesprochen angenehme Harmonie bildeten. Erst jetzt, wo sich seine Muskulatur lockerte, registrierte er, dass die Fische doch nicht so beschwichtigend gewirkt hatten, wie zunächst angenommen. Je weiter seine Anspannung abflaute, umso deutlicher spürte der Grauhaarige wie zerschlagen er eigentlich war. Sein Schlafrhythmus war noch immer angeknackst und die wenigen Momente, in denen er sich der Schwärze hingegeben hatte, waren nicht im Mindesten erholsam gewesen. Er war wirklich versucht sich gegen die aufsteigende Müdigkeit zu wehren, aber was würde das ändern? Er war heute sowieso zu früh hier. Katsumi würde erst in zwei Stunden hier aufkreuzen und er kannte sich. Er hatte in den letzten Monaten nie länger als zwanzig Minuten geschlafen. Das war eine unumstößliche Tatsache. Langsam rutschte der Grauhaarige weiter nach vorn und breitete sich auf dem bequemen Möbelstück aus. Zwanzig Minuten, mehr brauchte er nicht, mehr würde er nicht bekommen. Das war sein letzter Gedankengang, bevor er, mit dem schwachen Hauch von Sandelholz in der Nase, in das wohltuende Nichts glitt. Das Erste, das er wieder wahrnahm, war der frische Duft, gefolgt von dem weichen Stoff an seinen Händen und der eindeutig angestiegenen Wärme. Es störte ihn nicht wirklich, im Gegenteil, es war angenehm. So angenehm, dass er sich dem weiter hingeben wollte. Sein Gesicht weiter in das weiche Kissen betten, einfach liegen bleiben, mehr wollte er nicht. Und für einen kurzen Moment gelang ihm das auch, aber dann holte die Realität ihn ein. Er war eingeschlafen, das wusste er. Aber er hatte sich weder hingelegt, und er befand sich eindeutig in einer liegenden Position, noch hatte er sich Kissen und Decke als Hilfsmittel genommen. Ruckartig setzte der Grauhaarige sich auf und öffnete seine Augen, nur um sie gleich wieder mit einem verstimmten Laut zusammenzukneifen. Der Lichtpegel hatte sich keineswegs verändert, aber auch wenn er warm und angenehm war, kurz nach dem Aufwachen stach er in seinen Augen. Für einen Augenblick sammelte er sich und bereitete sich auf das Licht vor, eher er seine Lider erneut öffnete. Fahrig fuhr er sich mit seinen Handflächen durch das Gesicht, um den letzten Schlaf zu vertreiben, als ein leises Lachen seine Aufmerksamkeit erweckte. Katsumi saß ihm gegenüber auf dem Sessel, die Beine angewinkelt und ein breites Buch auf den Knien balancierend. Schlagartig war der Polizist wach und ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus. Er hatte einen Fehler gemacht. Nicht nur, dass der Junge augenscheinlich schon früher hierhergekommen war, wahrscheinlich hatte er ihm auch noch eine Buchung durchkreuzt. Nicht gerade ein guter Start für ihn und seine Ermittlungen, auch wenn er sich ungewohnt ausgeruht fühlte, es machte die Situation nicht besser. Noch einmal strich er über den feinen Stoff des Bettbezuges, bevor er wieder zu dem Schwarzhaarigen sah, ohne zu wissen was er sagen sollte. Es war offensichtlich, dass der Jüngere ihn hingelegt und zugedeckt hatte. Eine Geste, von der er selbst nichts mitbekommen hatte. Die gesamte Situation war neu für ihn. Kakashi konnte weder einschätzen wie viel Zeit tatsächlich vergangen war, noch die Geschehnisse des Zeitfensters rekonstruieren. Er hatte zum ersten Mal den Anfang verpasst. Mit einem kurzen Räuspern schlug er die Decke beiseite und brachte seinen Pullover in Ordnung. Es war ein armseliger Versuch die einnehmende Stille zu überspielen, aber es war das Einzige, was ihm im Moment einfiel. Nur am Rande bekam der Polizist mit, wie er sich resigniert durch sein Haar fuhr, während sein Blick automatisch wieder zu dem Schwarzhaarigen glitt. Kakashi musste sich eingestehen, dass die augenscheinliche Perfektion des Jüngeren nicht nur eine Illusion des Alkohols gewesen war. Mit jedem Moment, den er Katsumi ansah, verstand er mehr und mehr, warum gerade dieser Junge so beliebt zu sein schien. Auch wenn der Grauhaarige nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten legte, die nahezu perfekte Symmetrie in dem Gesicht des Schwarzhaarigen beeindruckte ihn. Tief holte der Hatake Luft und öffnete seinen Mund in dem festen Entschluss etwas zu sagen, aber der erwartungsvolle Blick der grauen Iriden ließ ihn einfach nur geräuschvoll wieder ausatmen. Zum wiederholten Male hörte er das milde Lachen von Katsumi. „Es ist in Ordnung“, sanft erreichte die Aussage des Jungen ihn und augenblicklich flaute das ungute Gefühl in seiner Magengegend ab. „Entschuldige“, kurz schloss Kakashi die Augen und massierte seinen Nasenrücken, „Das ist mir noch nie passiert“, ergänze er. Mit einem dumpfen Ton prallten die Buchseiten aufeinander, als der Prostituierte die Lektüre schloss und das Werk auf dem Boden zu seiner Linken platzierte. „Sagen wir einfach, wir hatten heute beide eine Premiere.“ Gespannt beobachtete der Grauhaarige, wie Katsumi aufstand und sich an das andere Ende der Couch setzte. Schwungvoll ließ der Schwarzhaarigen seine Beine auf den dunklen Bezug des Möbelstückes gleiten und während er ihm nun im Schneidersitz gegenüber saß, tat Kakashi es ihm gleich und nahm dieselbe Sitzposition ein. „Wenn ich gewusst hätte, dass du früher kommst-“, der Grauhaarige unterbrach sich selbst, “Ich fasse es nicht, dass Karin mich durchgelassen hat. Du hattest bestimmt noch einen Termin vor mir.“ „Füher?“, ein amüsiertes Grinsen schlich sich auf die Lippen des Jüngeren, „Kakashi, hast du eine ungefähre Ahnung wie spät es ist?“ Verständnislos sah er sein Gegenüber an, verweilte für einen kurzen Moment an den langen Wimpern und riss wieder von ihnen los. „Höchstens neunzehn Uhr.“ Ohne Umschweife entfernte der Polizist die Decke nun vollständig von seinen Beinen. „Ich hätte erst um acht kommen sollen, wie vereinbart. Ich werde später wieder kommen.“ Gerade als der Polizist im Begriff war aufzustehen, beugte sich Katsumi nach vorn, umfasste sanft das Handgelenk des Grauhaarigen und positionierte es so, dass der Polizist ein Blick auf das Ziffernblatt seiner eigenen Uhr werfen konnte. Es war kurz vor Zwölf. Er hatte tatsächlich ganze sechs Stunden geschlafen, ohne auch nur ein einziges Mal wach zu werden. „Ich-“, setzte er an, bekam aber nicht die Chance weiter zu sprechen. „Es ist schön dich wieder zu sehen, Kakashi.“ Deutlich verstand der Grauhaarige die eigentliche Intention des abrupten Themenwechsels und obwohl die Aussage des Jüngeren hauptsächlich als Ablenkung dienen sollte, konnte er spüren, dass die Worte ernst gemeint waren. Und jetzt, wo er es sich selbst erlauben konnte wieder herunterzufahren, stellte er fest, dass es auch auf ihn zutraf. Ja, er hatte den Schwarzhaarigen vermisst. In einem Ausmaß, welches er selbst nicht nennenswert fand, hatte er auf diesen Tag hin gefiebert. Es war weniger die Tatsache, dass er Informationen brauchte, sondern das beständige Gefühl von - ja wovon eigentlich? Kakashi wusste es selbst nicht, aber ihm war schon nach ihrem ersten Aufeinandertreffen klar gewesen, dass er mehr über den Jungen wissen wollte. Nicht der Polizist in ihm, sondern er selbst. Lange hing er seinen eigenen Gedanken nach, in dem Versuch den richtigen Wortlaut für seine Fragen zu finden, aber je länger er darüber nachdachte, desto absurder kam ihm sein eigenes Verhalten vor. Kakashi war hier, in diesem Bereich. Dem Teil des Himitsu, in dem es nicht nur um die rohe Befriedigung ging. Das hatte ihm Karin deutlich gemacht. Entspannt lehnte er sich mit seinem Rücken gegen die hohe Armlehne des Möbelstückes. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Katsumi bist?“, stellte er die Frage, welche ihm über die Wochen hinweg am meisten beschäftigt hatte. „Weil du anders mit mir umgegangen wärst.“ Schnell traf die Antwort den Grauhaarigen. „Versteh mich bitte nicht falsch“, tief holte der Junge Luft und schlug seine Hände übereinander, „Du hast gesehen, wie es hier abläuft. Die Machtverhältnisse und vor allem ihre Demonstration. Es ist nicht mein Stil. Ich suche mir meinen Umgang nicht zu meinem Vorteil aus. Mich interessieren die Personen, nicht ihr Einfluss.“ Mild traf ihn das entschuldigende Lächeln von Katsumi und ja, er konnte ihn verstehen. Er hatte gesehen, wie es im Wohnzimmer abgelaufen war und es hatte ihn selbst nicht im Geringsten angesprochen. Gerade als er dazu ansetzen wollte eine weitere Frage zu stellen, erhob sein Gegenüber erneut das Wort. „Wie waren deine Festtage?“ „Anders“, erwiderte der Grauhaarige knapp und legte anschließend seine Stirn in Falten, „Gesellig.“ „Und das ist schlecht?“ „Nein, wenn er keine Standpauke hält, ist es sogar ganz angenehm.“, wehrte er ab. „Aha, der ominöse beste Freund.“ Kurz stockte der Polizist, ehe ihm einfiel, dass er selbst bei ihren ersten Treffen von Itachi gesprochen hatte. Zwar war es nur ein kurzer Einwurf von ihm gewesen, doch Katsumi schien es sich dennoch gemerkt zu haben. Es überraschte ihn, dass der Prostituierte sich dieses kleine Detail gemerkt hatte, denn es bewies, dass er Kakashi zugehört hatte und in ihm nicht nur eine beliebige Nummer sah. Natürlich, hier unten galten nicht dieselben Konventionen, wie in den anderen Bordellen, dennoch fiel es ihm schwer zu glauben, dass es sich hier nur um die übliche Routine handelte. „Es ist immer schön jemanden zu haben.“ Entschlossen fixierte er die grauen Iriden. „Hast du auch jemanden?“ Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, schallt er sich selbst. Es war erst das zweite Treffen zwischen ihnen. Sie waren noch zwei Fremde für einander und auch wenn seine beruflichen Kompetenzen gerade zu wünschen übrig ließen, so galt dies nur für ihn selbst. Die Wahrscheinlichkeit auf eine ehrliche Antwort, frei von jedweder Professionalität war gleich Null, auch wenn das verdutzte Blinzeln des Jungen einen kleinen Riss in der perfekten Fassade darstellte. „Also“, verwirrt hielt der Junge inne und blinzelte noch einmal, „Die Feiertage waren für mich auch recht gesellig.“ Es klang viel mehr wie eine Frage und es war deutlich, dass der Grauhaarige eine Grenze überschritten hatte, für die es noch zu früh war. Deutlich zu früh. Er hatte einen Fehler gemacht, schon wieder. „So meinte ich das nicht“, die Worte des Hatake überschlugen sich fast, „Das klang falsch. Ich meinte … Bitte vergiss es einfach.“ Resigniert schloss der Polizist die Augen und ließ seinen Rücken erneut gegen die Armlehne sinken. Er hatte verloren, es sich selbst verspielt. Aber sein eigentliches Problem war, dass der Schwarzhaarige für einen kurzen Moment verletzt gewirkt hatte. Kakashi hatte sich nicht entschuldigt um in seiner Rolle zu bleiben, er hatte sich entschuldigt, weil es ihm wirklich leid tat. So sehr, dass er nicht auch nur ansatzweise die Frage zuließ, warum es ihn ausgerechnet hier nicht kalt ließ. Die anhaltende Stille war unangenehm, nicht zuletzt auch, weil sie die sogenannte Gnadenfrist vor dem Rauswurf darstellte. Ein Phänomen, von welchem er bislang nur aus den Berichten der Anderen gelesen hatte. „Ich“, erhob der Junge das Wort. Langsam öffnete Kakashi wieder seine Augen und sah ihn an. Prägte sich jede Linie des Gesichtes vor sich genau ein, memorierte die einzelnen Stränge seiner Mimik und registrierte, dass dem anfänglichen Abwägen des Jüngeren eine Entscheidung gefolgt war. Er würde wieder mit Anko zusammenarbeiten. Kein Umstand, mit dem er nicht zurechtkam, aber es würde anders sein, differenzierter, auch wenn die Lilahaarige eine offenere Art an den Tag legte. „Madara.“ Nun war es an dem Grauhaarigen verwirrt zu sein. Er hatte die Kurve gekriegt, die Balance behalten und zufällig das Gespräch in eine interessante Richtung gelenkt. Aber es bedeutete ihm nichts. „Also hast du niemanden“, stellte er fest. Es war knapp gewesen und doch wollte er aus diesem Missgeschick nicht lernen, zu sehr schürte die Neugierde an seinen Nerven. Er ignorierte das beklemmende Gefühl, welches sich in seinem Magen ausbreitete, als der Schwarzhaarige fassungslos auflachte und seinen Blick zeitgleich durch den Raum schweifen ließ. „Ich habe ein Leben, das mich jeden Tag aufstehen lässt.“ Katsumi war wütend. Seine Stimme befand sich nun in einem ganz anderen Frequenzbereich und seine Lippen bildeten eine dünne Linie. Wie gern würde der Polizist nun von sich behaupten können, dass es ihm egal war. Aber so war es nicht. Er konnte nicht ruhig bleiben, nicht nach dieser, für dieses Milieu, so typischen Antwort. Nicht hier, nicht bei ihm. Der Grauhaarige war ebenfalls wütend. Niemand wusste so genau wie er, dass Katsumis Ansicht durch und durch falsch war. „Gefällt es dir?“, lauter als beabsichtigt und mit dem bitteren Beigeschmack des Vorwurfs stellte der Grauhaarige die Frage. Anstandslos trat er jede Regel, jedes Verhaltensmuster, das er in seiner Ausbildung gelernt hatte, mit den Füßen und es war ihm egal, solange er nur eine Antwort bekommen würde. „Manchmal.“ Fassungslos sah er seinem Gegenüber ins Gesicht. „Du hast mich gebucht“, die Stimme des Prostituierten war ruhig, aber der Ausdruck in den dunklen Augen war um ein vielfaches anklagender als die Tonlage des Grauhaarigen zuvor. „Vielleicht wärst du nicht so müde, wenn du dich nur um dein eigenes Leben kümmern würdest.“ Noch bevor die letzte Silbe seiner Aussage verklungen war, biss sich Katsumi auf die Unterlippe. „Das hätte ich nicht sagen sollen.“ Die Stimme des Jüngeren war wieder vollkommen ruhig. „Ich habe angefangen.“ Es fiel ihm nicht schwer das zuzugeben, aber leid tat es Kakashi nicht. Er hatte es geschafft nach nur so kurzer Zeit eine Seite an Katsumi zu sehen, die ihn unter Einhaltung des Protokolls Monate gekostet hätte. Der Hatake hatte einen kurzen Einblick auf die Person hinter dem Pseudonym Katsumi erhaschen können. „Ich hätte darauf nicht eingehen sollen. Ich sollte mir das abgewöhnen.“ Leise sprach der Schwarzhaarige die Worte aus, fast so, als wären sie nur für seine eigenen Ohren bestimmt. Kurz überlegte der Polizist, fuhr sich geistesabwesend über die Stelle seines Gesichtes, an der schon seit einigen Wochen ein bestimmtes Stück Stoff fehlte. „Alte Gewohnheiten wird man nur schwer los“, resigniert richtete er seinen Oberkörper wieder auf, „glaub mir ich kenne Veränderungen.“ Abschätzig wurde er gemustert. „Erkennst du auch, ob sie gut oder schlecht sind?“ Wie von selbst resümierten die letzten Monate in seinem Kopf. „Jede Veränderung hat dasselbe Potenzial. Sie ist gut oder schlecht. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Entweder man macht es sich gewohnt einfach oder man ist bereit zu investieren.“ „Wenn ich das richtig verstanden habe, dann machst du es dir einfach.“ Fragend hob der Hatake seine Augenbraue. „Alles, was du hier hast, ist gekauft“, ergänzte der Schwarzhaarige und entlockte Kakashi damit ein mildes Lächeln. Sie waren sich nahe. Ihre Knie berührten sich beinahe und der Grauhaarige konnte den Atem des anderen leicht an seiner Wange spüren. Wann genau sie beide in diese Position gekommen waren wusste er nicht, aber das war auch nicht der Gegenstand seines Interesses. „Nein, denn das würde bedeuten, dass es schlecht ist“, federleicht berührten sich ihre Knie, „Und ich bin davon überzeugt, dass du nicht schlecht bist.“ Obwohl ihre Gesichter nahe beieinander waren, konnte er das ehrliche Lächeln von Katsumi erkennen. Erkannte die weißen Zähne hinter der schmalen Öffnung seiner Lippen. „Du hast interessante Ansichten, Kakashi“, nur ein Flüstern und doch hallte es in seinen Ohren laut nach, während er wie gebannt die grauen Augen vor sich fokussierte. „Leichtsinnig trifft es eher.“ Hauchzart stießen ihre Finger aneinander. „Das ist ja das Interessante.“ Immer schmaler wurde ihre Distanz zueinander, immer wärmer der Atem des Schwarzhaarigen. Sein Kopf war angenehm leer, vergessen waren die Fehler die er heute gemacht hatte, bedeutungslos der Streit mit Katsumi vor kurzem. Quälend langsam schloss er die Augen, aber nicht ohne sich noch einmal das nahe Grau genau einzuprägen. Deutlich hörte er jeden einzelnen Schlag seines Herzens und spürte, wie sein Blut prickelnd durch seine Adern floss. Es war das Angenehmste, was er je gespürt hatte. Und dann schreckte er ruckartig zurück und schlug die Augen auf. Sah direkt in die überraschte Mimik seines Gegenüber. „Ich sollte gehen.“ Seine Stimme war gepresst, als er jede Verbindung zwischen ihnen unterbrach und aufstand. „Meine letzte Bahn fährt gleich ab.“ Es war eine Lüge, aber sie war notwendig. Noch bevor Katsumi etwas sagen konnte, hatte er nach seiner Jacke gegriffen und war zum Ausgang gestürmt. „Bis nächsten Monat.“ Und damit war er draußen. Raus aus dem Zimmer. Raus aus dem Flur. Raus aus dem Himitsu. „Scheiße.“ Regelmäßig wiederholte er diesen Wortlaut. Seine Kleidung klebte unangenehm an seiner Haut, aber es half ihm nicht. Ebenso wenig wie die harten Fliesen an seinen Rücken und das eisige Wasser, das auf ihn niederprasselte. Nichts davon half ihm, egal wie sehr er sich auf die Kälte konzentrierte. Sein gerötetes Gesicht spiegelte sich leicht in dem Glas der geräumigen Kabine und gewährte ihm zusätzlich einen Blick auf das schnelle Heben und Senken seines Brustkorbes. Es half nichts. Egal wie lange er nun schon unter der kalten Dusche stand, ihm war immer noch heiß. „Scheiße.“ Kapitel 7: Kollision -------------------- Schwerfällig hob und senkte sich der Brustkorb des Grauhaarigen und versorgte seinen Organismus mit Sauerstoff. Es war eine Handlung, die jeder Mensch vollzog, ohne sie groß wahrzunehmen. Geräuschlos, ebenmäßig und überlebenswichtig. Wenn er jedoch recht darüber nachdachte, war er ernsthaft versucht diese Tat einzustellen. Jede einzelne seiner Gliedmaßen schmerzte und sein Kopf fühlte sich ungewohnt benebelt an, aber obwohl er sich schrecklich fühlte, war es für den Polizisten ein leichter Trost. Er wusste jetzt, dass Katsumi ihn nicht so tiefgehend getroffen hatte, wie zunächst angenommen. Denn das Einzige, was ihn vor drei Tagen wirklich erwischt hatte, war das ansteigende Fieber gewesen. Immer wieder redete Kakashi sich das ein, so lange, bis er selber keinen Widerspruch mehr in dieser Theorie sah. Erleichtert atmete er aus und bereute es sofort, als der Luftstrom sich in ein raues, schmerzhaftes Husten verwandelte. Unangenehm, aber dennoch tröstend. Der Hatake hatte sie gefunden, seine unumstößliche Erklärung. Die schützende Nische, die ihm versicherte, dass alles nach Vorschrift lief. Dass er nach Vorschrift lief. Nur zu gern gab er sich seinem nun beruhigten Gewissen hin und genoss die angenehme Stille. Schon seit einer gefühlten Ewigkeit hatte der Hatake nicht mehr in seinem Bett gelegen. Immer häufiger hatte er in den letzten Monaten die weiche Matratze, gegen die rustikale Couchgarnitur seines Wohnzimmers eingetauscht. Gerade deswegen war jetzt die ideale Voraussetzung für ihn, um zur Ruhe zu kommen und einen kleinen Augenblick Schlaf zu ergattern. Aber es gelang ihm einfach nicht. Egal wie sehr sich der Grauhaarige der Lautlosigkeit auch hin gab, es fehlte etwas. Eine Kleinigkeit, die er selbst nicht benennen konnte. Unruhig drehte sich Kakashi auf die Seite und vergrub seinen Kopf tiefer in dem weichen Kissen. Ja, es fehlte eindeutig etwas. Fieberhaft überlegte er, was dieses kleine Detail sein könnte, bis er sich schlussendlich doch geschlagen gab. Und gerade als er sich dem wohltuenden Nichts im seinem Kopf wieder hingeben wollte, hörte er es. Es war kein Poltern, kein Klirren oder dergleichen, nur ein Flüstern. Leise und beruhigend berieselte es ihn, bewirkte das genaue Gegenteil von dem, was sein gesunder Menschenverstand von ihm verlangte. Mit jedem Moment, in dem sich seine Muskulatur entspannte, mit jedem Wort, das in seinen Ohren widerhallte, verlor sein Triumph an Perfektion. „Das ist ja das Interessante.“ Mit rauer Stimme wiederholte er den Wortlaut, welcher sich hartnäckig in sein Ohr gesetzt hatte. Immer und immer wieder, bis zu dem Punkt, an dem die Worte anfingen seine Erinnerungen wachzurufen. Es machte ihn wahnsinnig, dass er dem Resümee augenscheinlich schutzlos ausgeliefert war. Die Bilder prasselten auf ihn ein und das Gespräch hallte laut in seinen Ohren wieder, legte ihm so beinahe schon auf grausame Art offen, wie töricht er sich verhalten hatte. Unprofessionell dem Jungen gegenüber, der vor Dankbarkeit gar nicht wahrzunehmen schien, was genau er da eigentlich tat. Gereizt drehte der Grauhaarige sich wieder auf den Rücken und legte seinen Arm verzweifelt über seine Augen, denn er musste feststellen, dass seine Situation tatsächlich noch etwas schlechter wurde. „Du siehst aus, wie ich mich fühle.“ „Das ist Hausfriedensbruch.“ Rau traf die Anschuldigung den jungen Polizist. „Du klingst sogar, wie ich mich fühle“, war die einzige, amüsierte Erwiderung, die er erhielt. „Itachi“, deutlich genervt formulierte Kakashi seinen Satz zu Ende, „geh weg.“ Aber es half nichts. Mürrisch registrierte er, wie sich der Langhaarige neben ihn setzte und die Hand auf seine Stirn legte. „Erwähnte ich schon, dass du miserabel aussiehst?“ Es war dem Uchiha deutlich anzuhören, dass ihn die momentane Lage erheiterte. Langsam ließ der Grauhaarige seinen Arm zurück auf die Matratze sinken und sah seinem Nebenmann genervt ins Gesicht. Erfolglos, denn Itachi verkniff sich eindeutig ein Grinsen. „Wenn du darauf bestehst“, mit Mühe zwang der Hatake sich zu einem Lächeln und berührte die Hand auf seiner Stirn, „Warum fühlst du dich denn miserabel? Möchtest du darüber reden?“ Kurz herrschte Stille zwischen den beiden Freunden, bevor der Braunhaarige wieder das Wort erhob und seine Hand langsam von der Stirn des Älteren löste. „Pain schickt mich. Das wird dir nicht gefallen.“ Fragend hob er seine Augenbraue, als der anfängliche Schalk aus den Augen des Langhaarigen einem deutlich ernsteren Ausdruck wich. „Erinnerst du dich an was Guy dran war?“ „Das Odoroki, der Besitzer wollte mit uns kooperieren.“ „Der Besitzer ist tot.“ Ruckartig setzte der Hatake sich auf, verdrängte den aufkommenden Schwindel und sah in das filigrane Gesicht seines Teampartners, der nahtlos seine Erläuterung weiter fortführte. „Er wurde zusammen mit seinem Bordell verbrannt.“ Fest ballte Kakashi seine Hand zur Faust und holte rasselnd Luft. Noch genau konnte er sich an das breite Grinsen des Mannes mit den buschigen Augenbrauen erinnern, als dieser ihm von seinem Triumph erzählt hatte. Der Schwarzhaarige hatte ihn mit erhobenen Daumen darauf aufmerksam gemacht, dass er es geschafft hatte, dass er Kakashi mithilfe der Jugend einen großen Schritt voraus war. „Wann ist das passiert?“ „In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, gegen halb drei Uhr morgens. Hast du was mitbekommen?“ Fest biss der Grauhaarige seine Zähne zusammen und verzog seinen Mund zu einer dünnen Linie. Das Bordell, über das sie sprachen, befand sich nur wenige Straßen vom Himitsu entfernt und das beunruhigte ihn. „Nein“, eröffnete der Ältere, nachdem sich seine Kiefermuskulatur wieder entspannt hatte, „Ich bin kurz nach zwei in die letzte S-Bahn gestiegen und nach Hause gefahren.“ Kaum merklich nickte der Uchiha. „Wir pausieren.“ „Was?“ Zu ruckartig hatte er seine Verwunderung zum Ausdruck gebracht, er musste ein Husten unterdrücken. „Mit sofortiger Wirkung. Man hat uns bemerkt, es wäre zu gefährlich weiter zu ermitteln.“ „Vielleicht war es nur ein Kabelbrand.“ „Es hat drei Stunden gedauert, bis der Löschtrupp das Feuer unter Kontrolle hatte, nicht gelöscht, sondern unter Kontrolle. Zeig mir ein Kabel, das so etwas hinbekommt.“ Unaufhaltsam nahm der Druck in seinem Kopf zu. Das durfte nicht wahr sein. Natürlich verstand er den Ernst der Situation, aber er wollte nicht. Kakashi wollte nicht pausieren. Mit einer fließenden Bewegung schlug er die Decke beiseite und stand auf. „Das wirst du nicht tun, Kakashi.“ Die Stimme des Langhaarigen war selbst für seine Verhältnisse ungewohnt streng, aber das hinderte den Hatake nicht daran seine Handlung fortzuführen. „Hey!“ Itachi war nun deutlich lauter, als er sich den ersten Schuh überstreifte, „Mit sofortiger Wirkung. Das ist Befehlsverweigerung.“ „Nicht, wenn du es mir noch nicht sagen konntest.“ Fest fixierte er die braune Iris Itachis. Er wusste, dass sein bester Freund recht hatte. Es fiel unter Befehlsverweigerung, wenn er jetzt ging, aber er konnte nicht anders. Ihm lag wirklich etwas an diesem Fall. „Ich soll Pain anlügen?“ „Nur einen Tag.“ „Hast du getrunken?“ Der Ärger stand dem Jüngeren deutlich ins Gesicht geschrieben. „Ich werde bestimmt nicht meinen Job für dich riskieren, nur da-“ „Bitte.“ Verstört hielt der Langhaarige inne, zu irritiert, als dass er noch wütend sein konnte. Es lag nicht daran, dass der Grauhaarige ihn unterbrochen hatte. Es lag daran, wie er das getan hatte. Natürlich hatte der Grauhaarige schon des Öfteren um etwas gebeten, allerdings noch nie auf diese Weise. Itachi kannte Kakashi, seine Macken, seine Denkweise, aber das war neu. Er hatte Kakashi in all den Jahren noch nie das Wort „Bitte“ sagen hören. Auch wenn der Ältere sich nicht vollkommen sicher sein konnte, dass es an diesem kleinen Wort lag, so war er dennoch davon überzeugt, dass es dazu beitrug, Itachi den Blick abwenden und resigniert stöhnen zu lassen. „Du hast genau zwanzig Sekunden, bevor ich es mir anders überlege.“ Aber so lange brauchte er nicht, denn noch bevor der Satz des Brünetten ganz verklungen war, rastete die Wohnungstür ein. Die kalte Luft zerrte unangenehm an seinem Gesicht, denn auch wenn die weiße Schneedecke von den Straßen verschwunden war, hatte diese keineswegs die kalten Temperaturen mit sich genommen. Doch das war ihm egal. Wenn er die nächste Bahn nach Shinjuku nicht verpassen wollte, musste er den aufkommenden Schwindel verdrängen und das fiel ihm bei Weitem nicht leicht. Der Polizist wusste selbst, dass es nicht gerade von gesundem Menschenverstand zeugte, mit einer Erkältung zu rennen. Erst recht nicht, wenn jeder Atemzug sich anfühlte, als würde er die Lunge zerreißen. Jedoch hatte seine Aktion den gewünschten Effekt. Mit rasselndem Atem ließ er sich auf den schmalen Sitz der S-Bahn fallen und beobachtete, wie sich die Türen langsam schlossen. Die Luft in dem Abteil war stickig und roch unangenehm sauer. Nichts Ungewöhnliches. Die meisten Schulen lagen auf dem Weg dieser Linie und es konnte noch nicht lange her sein, dass hier ein Schüler an den anderen gepresst stand. Er wusste das und für gewöhnlich machte es dem Grauhaarigen auch nichts aus, aber heute reagierte er ungewohnt empfindlich auf diese Komponente. Langsam schloss er seine Augen, atmete durch den Mund und konzentrierte sich auf das Rütteln, welches während der Fahrt durch seinen Körper ging. Es war zwar nicht die ideale Lösung, aber es machte die Fahrt von knapp vierzig Minuten erträglicher. Erst als die betont freundliche Durchsage ertönte, dass die nächste Haltestelle sein Ziel war, öffnete er seine Augen wieder. Zielstrebig begab sich der Polizist zur Tür und betrachtete flüchtig sein Gesicht in dem schmalen Glasabschnitt. Es war leicht erschreckend für den Hatake zu sehen, wie blass er war. Zwar war er nie jemand gewesen, der sonnengebräunt wirkte, aber er musste kein Arzt sein um zu erkennen, dass diese Farbe eindeutig ungesund war. Noch bevor er sich weiter Gedanken darüber machen konnte, öffneten sich die Türen und entließen den Grauhaarigen in die Menschenmenge des Bahnhofs. Kakashi musste für einen kurzen Moment innehalten, als er den Ausgang der Station erreichte. Tief holte er Luft, in dem Versuch das hartnäckige Bouquet von Schweiß und verschiedenen Parfüms aus seiner Nase zu bekommen. Als der Geruch nach einer gefühlten Ewigkeit endlich nachließ, beruhigte sich auch sein Magen wieder und er konnte weitergehen. Gemächlich schritt Kakashi über die breite Hauptstraße des Vergnügungsviertels, stetig darauf bedacht, das ungewöhnliche Flackern seiner Umgebung auf ein Minimum zu beschränken. Aber es nützte nichts. Holprig stolperte er in eine kleine Seitenstraße und lehnte sich schwer atmend an das kalte Mauerwerk. Mittlerweile sehnte sich der Grauhaarige schon beinahe nach seinem morgendlichen Zustand, denn da war es für ihn um einiges erträglicher gewesen. Ein pulsierender Schmerz zog durch seinen Kopf, verteilte sich mit jedem Atemzug bis in die hintersten Winkel seines Körpers. Aber das war nicht das Schlimmste. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Die Dinge, die er sah, waren – kaum, dass sie aus seinem Blickfeld verschwanden - wie ausgelöscht für ihn. Das Stimmengewirr dröhnte unerbittlich in seinen Ohren und er musste sich wirklich zusammenreißen, um dem aufsteigenden Brennen in seiner Speiseröhre Einhalt zu gebieten. Und unter all diesen Faktoren schlich sich das Geräusch seiner viel zu schnellen Atmung. Langsam glitt der Grauhaarige an der Wand entlang nach unten und saß kurze Zeit später auf dem rauen Asphalt. Er hatte komplett die Orientierung verloren und die anfängliche Schwärze am Rand seiner Sicht, breitete sich immer weiter aus. „Scheiße.“ Kraftlos bettete er seine Stirn auf seine angewinkelten Knie. Es wäre eine Untertreibung, wenn er behaupten würde, dass er sich schlecht fühlte. Unaufhaltsam ebbte seine Wahrnehmung ab. Die Unterhaltungen der Hauptstraße schlossen sich zu einem einzigen Teppich zusammen, der es ihm unmöglich machte einzelne Gesprächssequenzen herauszufiltern. Krampfhaft versuchte er seine Augen offen zu halten, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, aber er schaffte es nicht. Es war alles nur noch eine einzige, zähe und alles überlappende Masse für ihn. Wie lange er in dieser schmalen Seitengasse hockte, konnte Kakashi nicht sagen, aber das wollte er auch gar nicht, denn er fühlte sich einfach nur ausgelaugt. „Was machst du hier?“ Irritiert hob er für einen kurzen Moment den Kopf. Der Angesprochene kannte die Stimme, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte weder die Gestalt vor sich klar erkennen, noch konnte er die Stimme genauer zuordnen. Was er jedoch gewiss feststellte, war die plötzliche Kühle an seiner Stirn. Sie war angenehm, verbannte das unangenehme Pochen und ebenso das hämmernde Rauschen in seinen Ohren. Er war weg. Der beißende Schmerz in seinem Kopf hatte endlich nachgelassen. „Hey.“ Während der erste Ausruf eindeutig Verwunderung widergespiegelt hatte, klang dieser um ein vielfaches besorgter. „Was machst du hier?“ Egal wie sehr sich der Polizist auch bemühte, er konnte nicht antworten. Die Kälte auf seiner Stirn verlagerte sich, fuhr sanft über seine Schläfe und verweilte nun auf seiner Wange. Ein unverkennbares Zeichen dafür, dass sich sein Gegenüber zu ihm gekniet haben musste. „Du bist ein Dummkopf“, behutsam wurde ihm über die Wange gestrichen, „Man geht mit Fieber nicht aus dem Haus.“ Kaum merklich drückte der Grauhaarige sein Gesicht gegen die kühle Hand. „Na komm.“ Mit einem verstimmten Laut quittierte der Angesprochene, das Verschwinden der angenehmen Finger an seiner Haut und das kurz darauf folgende Ziehen an seinem Oberarm. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, dass er wieder auf den Beinen stand. Was ihn aber wirklich wunderte, war die Tatsache, dass er nicht wieder zusammensackte. Er fühlte sich noch immer nicht besser, zwar hatte sich seine Wahrnehmung wieder etwas gefangen, aber das war nichts, was seine Beine betraf. Geschweige denn den Rest seines Körpers. Dem Hatake war nicht wohl dabei, dass jemand, den er noch immer nicht direkt zuordnen konnte, ihn augenscheinlich so einfach mit sich zog. Es klang vielleicht abstrus, aber egal wie benebelt er auch noch war, es war unverkennbar, dass sein unbekannter Gegenpart das Laufen übernahm. Ebenso unumstößlich wie die Tatsache, dass sie sich kurz darauf nicht mehr in der kleinen Seitenstraße - oder generell draußen - befanden. Sie waren in einem Gebäude, denn der Lichtpegel war gefallen und die Luft wirkte zwar nicht stickig, aber schien auch nicht mehr zu zirkulieren. Sie liefen noch ein Stück, ehe sie kurz stoppten und sein Arm über die Schultern seines Nebenmannes gelegt wurde. „Wir gehen jetzt ein paar Treppen. Du bist nicht gerade leicht, es wäre also nett, wenn du etwas mithelfen könntest.“ Noch einmal überlegte der Hatake woher er die Stimme kannte, sie war ihm eindeutig nicht fremd und auch wenn es ihm nicht einfiel, bemühte er sich doch die genannte Hürde ein Stück weit mit zu meistern. Das schwere Atmen zu seiner Linken ließ allerdings darauf schließen, dass ihm das nicht ganz so gelang wie erhofft. Jetzt, wo sich seine Sinne zum größten Teil wieder beruhigt hatten, fiel es ihm leichter sich zu konzentrieren. Es waren nicht viele Stufen, die sie nach oben gingen, aber auf eine skurrile Art fühlte sich der Weg bekannt an. Das Licht, der Geruch und die Person neben ihm, das alles ließ ihn nicht unruhig werden. Es wäre leicht zu sagen, dass es daran lag, dass seine Wahrnehmung und damit sein Urteilsvermögen getrübt waren, aber das war es nicht. Er hatte ein Déjà-vu. Nicht in Bezug auf die Situation, sondern was die Richtung anging. Ein dumpfes Poltern riss ihn zurück in den Teil des Geschehens, den er wahrnahmen konnte. Sie hatten kurz angehalten, wahrscheinlich um eine Tür zu öffnen, denn noch bevor der Lärm richtig verklungen war, gingen sie weiter, nur um wenige Schritte später erneut stehenzubleiben. „Also“, langsam wurde sein Gewicht verlagert und kurz darauf fand er sich auf einem weichen Untergrund wieder, “Ich müsste noch was gegen Erkältungen hier haben.“ Vereinzelt wurden Schubladen geöffnet und wieder geschlossen. Es dauerte eine Weile, bis die Aufeinanderfolge der Töne gänzlich abbrach und sich Schritte dem Polizisten näherten. Noch einmal holte der Grauhaarige tief Luft, bevor er seine geschlossenen Augen wieder öffnete. Zwar konnte der Hatake nicht behaupten, dass er wirklich zur Ruhe gekommen war, aber die Zeit hatte ausgereicht, um sich zu sammeln. Er sah seine Umgebung nun um einiges klarer, besonders Anko, die vor ihm kniete und ihm ein Glas Wasser und eine Packung mit Tabletten unter die Nase hielt. „Jetzt guck nicht so, das ist gegen dein Fieber.“ Er rührte sich nicht, sondern starrte einfach weiter missbilligend in das Gesicht der Lilahaarigen. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich den ganzen Weg hierher geschleppt habe, um dir jetzt eins auszuwischen?“ „Ich nehme keine Tabletten“, war seine schlichte Erwiderung. „Und du bist ein Dickkopf, der gerne alleine ist, schon klar. Aber du nimmst sie jetzt entweder freiwillig oder ich werde nachhelfen.“ Der letzte Satz verließ den Mund der Mitarashi mit so viel Nachdruck, dass er der Aufforderung automatisch nachkam. „Geht doch, spätestens in zwanzig Minuten geht es dir besser.“ Damit erhob sie sich wieder aus der Hocke und setzte sich neben ihn. Es war eine vertraute Situation. Bevor er den unteren Teil des Bordells betreten hatte, hatten sie meist so beieinander gesessen und über das weitere Vorgehen und den aktuellen Stand seiner Fortschritte geredet. Zu Beginn hatte es Kakashi gestört, dass die junge Frau ihm so nahe gekommen war, aber im Laufe der Zeit war es ihm egal geworden. Dieses Mal redete die Prostituierte nicht, sondern saß einfach nur da. Und das rechnete der Grauhaarige ihr dankend an. Er wollte im Moment einfach nur seine Ruhe, zumindest solange, bis das unangenehme Ziehen in seinem Kopf aufhörte. Und das tat es auch. Es waren gerade einmal zehn Minuten vergangen und die Tablette schlug an. Auch wenn er nicht behaupten würde vor Gesundheit zu strotzen, so ging es ihm doch besser. Seine Sicht war klar und das beklemmende Gefühl hatte von seinen Sinnen abgelassen. Erleichtert atmete er aus und fixierte kurz die Frau neben sich. „Danke.“ Widerwillig verzog er seine Mundwinkel. „Gerne geschehen“, lächelte die Prostituierte ihm entgegen und verstaute die restlichen Tabletten, mit einem Zwinkern, in seiner Jackentasche. „Ich hätte nicht gedacht, dass du von allein darauf kommst.“ Damit stand sie auf und bedeutete dem Grauhaarigen ihr zu folgen. Kurz stutze der Polizist, er verstand nicht, was Anko damit andeuten wollte. Es war unmöglich, dass seine Intention des Besuches, mit ihren Vorstellungen übereinstimmte. Langsam stand Kakashi auf und folgte ihr durch die Tür, zurück in den Flur und hinunter ins Erdgeschoss. Er verstand es zwar nicht, aber seine Neugierde war geweckt. Vorbei an dem schweren Wandteppich, von dem er zu genau wusste, welches Geheimnis er verbarg. Weiter zu dem Raum, in dem er seine Mitgliedskarte erhalten hatte. Das gesamte Bordell wirkte wie ausgestorben. Das Licht war nicht mehr einladend, sondern schien nun mehr die Funktion einer Notbeleuchtung zu erfüllen. Es störte ihn nicht groß. Kakashi war in den letzten Monaten oft genug hier gewesen. Er kannte diesen Ort und die Flure, schließlich war er sie oft genug entlang gelaufen. Aber kurz bevor sie den Eingangsbereich erreichten, schlug Anko einen Weg in unbekanntes Terrain ein. Es war eine der Umkleidekabinen. Es fiel ihm schwer in dem fahlen Licht die genaue Nummer an der Tür zu erkennen, aber wenn er es richtig sah, handelte es sich um die Eins. Lautlos öffnete die Langhaarige die Holztür und zog den Grauhaarigen in das Innere. Kurz musste er die Augen zusammenkneifen, als Anko das Licht einschaltete und die helle Flut der Deckenbeleuchtung auf seine Netzhaut traf. Als sich seine Augen an das neue Lichtverhältnis gewöhnt hatten, erkannte er, dass es sich hier nicht wirklich um eine Umkleidekabine handelte, sondern um ein Büro. Es war angenehm eingerichtet, nicht so kahl und lieblos, wie er es von verschiedenen Behörden kannte, aber es wunderte ihn auch nicht. Der Hatake wäre sogar eher erstaunt darüber gewesen, wenn es in diesem Gebäude auch nur einen Raum geben würde, der nicht von Exklusivität zeugte. „Willkommen in der Zentrale.“ Verständnislos streifte er den Blick seiner Begleitung, gerade lang genug, um ihr triumphierendes Lächeln wahrzunehmen. Das sollte es also sein? Der Ort, den er nach Ansichten der Mitarashi gesucht hatte? Aber seine Verwirrung hielt nur kurz. „Das ist Madaras Büro, es hat mich einiges gekostet das zu finden.“ „Vor lauter Bäumen, sieht man den Wald nicht mehr“, sprach er seinen Gedanken aus. Er hatte selbst immer wieder nach diesem Ort Ausschau gehalten, versucht an der Mimik und Gestik von Karin abzulesen, wo sich dieser befinden könnte, aber das hier erklärte seinen Misserfolg. Das Büro befand sich nicht, seiner jüngsten Vermutung entsprechend, im inoffiziellen Bereich. Und so wenig extravagant sein Standort war, genauso unauffällig war seine Fassade. Kakashi musste zugeben, dass das hier einer der letzten Plätze war, dem er seine Aufmerksamkeit geschenkt hätte. „Warum sollte uns das weiterhelfen? Ich denke nicht, dass die Kundenkartei hier einfach so rumliegt.“ Ein süffisantes Grinsen schlich sich auf die Lippen der Frau. „Bis vor zwei Jahren hat sie das auch nicht, aber jemand von der Polizei hat sich in das System geschlichen. Seitdem scheint hier einiges anders zu laufen. Außerdem suchen wir auch keine Kundenkartei.“ Kurz stockte er. Anko hatte recht. Zetsu hatte damals den Auftrag gehabt, sich in den Computer des Bordells zu hacken und Pain eine Liste der Kunden zu beschaffen. Der Erfolg war allerdings mäßig gewesen, denn als der schizophren wirkende Polizist es nach Stunden endlich geschafft hatte, war er in weniger als fünf Minuten in eine Flut aus Flüchen ausgebrochen. Kakashi kannte sich mit der Materie dieser Technik nicht aus, aber wenn er es richtig verstanden hatte, hatte sich zeitgleich jemand bei seinem Kollegen eingeschlichen und durch dessen Rechner den Polizei Server zerlegt. Es war ein herber Rückschlag für die Abteilung gewesen, da ihnen, durch diesen Angriff, die Aufzeichnungen der letzten drei Monate verloren gegangen waren. Allerdings war diese Information nie nach außen gelangt. Woher also hatte die Mitarashi dieses Fragment? Immerhin schien sie niemand zu sein, der hier eine höhere Position besetzte. Auch wenn es den Grauhaarigen interessierte, ließ er es auf sich beruhen. Anko hatte keine Ahnung wer er war, ganz zu schweigen davon, dass sie nicht wusste, dass er unmittelbar involviert war. Zumindest ließ ihr selbstgefälliges Grinsen darauf schließen. Wahrscheinlich dachte sie, dass Kakashi verwundert über die Information an sich war und nicht über die Quelle. „Und wonach suchen wir dann?“, lenkte er vom Thema und seinen aktuellen Gedanken ab. Ruckartig öffnete die Angesprochene einen der Aktenschränke und begann darin zu wühlen. „Nach Bauplänen.“ „Aha.“ Ihm war deutlich anzuhören, dass er nicht sehr überzeugt von ihrem Vorhaben war. Der Hatake verstand nicht, was es bringen sollte, wenn sie diese fanden. Ein Blick in sein Gesicht ließ die junge Frau resigniert aufseufzen. „Wenn du willst, dass etwas lange brennt, musst du einen idealen Ort finden, um den Brand zu legen“, half sie ihm auf die Sprünge, aber er verstand es immer noch nicht so recht. „Ein Bauplan zeigt dir die idealen Plätze. Gasleitungen und so. Das Odoroki ließ sich nicht löschen, weil immer wieder kleinere Gasleitungen explodiert sind. Gott, interessierst du dich gar nicht für die Nachrichten?“ Damit wandte sie sich wieder von ihm ab und widmete sich einer neuen Schublade. Dieses Mal half er ihr. Kakashi machte sich daran, den gegenüberliegenden Schrank zu durchsuchen. Anko hatte nicht ganz unrecht. Jeder konnte einen Brand legen, aber wenn man wollte, dass es richtig brannte, brauchte man Hintergrundwissen bezüglich des Gebäudes. Wenn sie den Bauplan hier wirklich finden sollten, wäre das ein Beweis. Zwar keiner, der vor Gericht unumstößlich wäre, aber vor Pain. Wenn er schon seine Befehle missachtete, wollte er wenigstens nicht mit leeren Händen dastehen. Sie suchten lange, aber das Einzige, was sie fanden, waren Bilanzen. Beachtliche Bilanzen, um genau zu sein. Es war ein offenes Geheimnis, dass das Himitsu einen guten Umsatz machte, aber die genaue Summe hatte ihn doch einen kurzen Moment aus der Bahn geworfen. Jedoch nur kurz, denn ein Blick auf die Kopfzeile, hatte ihm einen neuen Namen eingebracht, Aman Kakuzu. Er war derjenige, der sich um die Finanzen des Etablissements zu kümmern schien. Kakashi bezweifelte, dass ein Suchlauf im Einwohnermelderegister, zu einem Treffer führen würde und damit zu einem kleinen Erfolg. Mit einem metallischen Widerhall, schloss Anko die letzte Schublade ihres mittlerweile dritten Schrankes. „Ich kann nicht mehr“, rief sie resigniert aus. Etwas unbeholfen stand sie vom Boden auf und ihr Rücken knackte unangenehm, als sie sich streckte. Der Grauhaarige konnte sie verstehen, es ging ihm ähnlich. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es schon achtzehn Uhr war. Sie waren seit geschlagenen sechs Stunden auf der Suche. „Vielleicht steckt Madara da nicht mit drin“, äußerste der Polizist seine Vermutung und erntete prompt einen Schlag auf den Hinterkopf. „Doch“, war die einsilbige Erwiderung darauf. „Und was mach dich da so sicher?“ Fragend sah er der Mitarashi ins Gesicht, registrierte wie diese sich kurz auf die Unterlippe biss und sich durch ihr langes Haar fuhr. „Es ist einfach so ein Gefühl.“ Geräuschvoll atmete der Polizist aus und stand auf. Er wusste was sie meinte, denn er hatte dieselbe Empfindung. Jedoch wäre es irrsinnig, nur aufgrund von einer Vermutung weiter drauf zu beharren. Tief vergrub Kakashi die Hände in den Taschen seiner Jacke, befühlte kurz den Blister mit den Tabletten, welchem Anko ihn zugesteckt hatte. Er war noch immer nicht begeistert davon, seinen Körper mit Medikamenten vollgestopft zu haben, aber er musste auch offen zugeben, dass diese unscheinbaren, kleinen Pastillen ihren Dienst wirklich gut machten. Auf Ermahnen der Prostituierten hin, hatte er im Laufe der Suche noch eine genommen und sein Gemütszustand war wirklich konstant geblieben. Er hatte sich konzentrieren können und so ein weiteres Fragment gefunden, welches er und sein Dezernat untersuchen konnten. Egal von welchem Blickwinkel er es betrachtete, der Hatake hatte mehr erreicht, als ursprünglich gedacht. Und das reichte ihm, er wollte sein Karma nicht weiter strapazieren. „Wir sollten uns vergewissern, dass alles so aussieht wie vorher und dann verschwinden.“ Ungläubig lachte die Lilahaarige auf. „Weißt du wie selten es ist, dass das Himitsu geschlossen hat?“, wütend zog sie ihre Augenbrauen zusammen, „Das ist das erste Mal, in den vier Jahren, die ich hier arbeite.“ Energisch tippte sie ihm mit ihren Zeigefinger gegen die Schulter. „Egal welcher Wochentag, egal welcher Feiertag, egal welche Naturkatastrophe, es ist geöffnet. Aber kaum brennt ein Bordell hier in der Nähe, wird geschlossen? Es ist mir egal, was du denkst, aber hier stimmt was nicht. Außerdem habe ich eine Menge riskiert, um an den Zweitschlüssel zu kommen.“ Missbilligend verzog er seine Lippen. Das war in der Tat seltsam. Langsam ging Kakashi den Raum entlang und ließ seinen Blick über jeden noch so kleinen Winkel schweifen. Wenn hier wirklich so etwas wie Baupläne waren, hatte Madara sie sorgfältig verstaut und zwar da, wo er sich sicher war, dass niemand suchen würde. Der Grauhaarige ignorierte das Rascheln, welches Anko verursachte, als sie sich erneut daran machte die Schränke zu durchsuchen. Sie waren nicht in den Schränken, vorausgesetzt natürlich da war etwas, das nicht in den Schränken sein sollte. Genau inspizierte er die Gegenstände. Wenn er eines wusste, dann, dass sich in diesem Haus besonders viel Mühe gemacht wurde, um Dinge zu verstecken. In diesem Büro war aber weder ein Teppich, noch ein Bild und die Pläne in der Nähe der Schränke zu platzieren, wäre nicht sehr klug gewesen, für den Fall, dass jemand explizit nach ihnen suchen würde. Nachdem er den kompletten Raum mit seinen Augen abgesucht hatte, wiederholte diesen Vorgang. Vorbei an den hohen, dunklen Schranklandschaften, vorbei an der einladenden Couchecke mit dem niedrigen Tisch, bis zu dem breiten Schreibtisch am anderen Ende des Raumes. Und da blieb er hängen. Langsam näherte sich Kakashi dem schwarz glänzenden Möbelstück, glitt mit seinen Fingern über die glatte Oberfläche, bevor er vereinzelt mit seinen Fingerknöcheln darauf schlug und den gedeckten Ton aufnahm. Sorgsam arbeitete er sich von einer Ecke zur nächsten, schlug weiter und hörte immer wieder denselben Ton. Bis dieser sich schlussendlich veränderte und von einem satten, zu einem hohlen Ton wechselte. Noch einmal klopfte er auf die graue Verkleidung, oberhalb des Tischbeines und registrierte wohlwollend, dass der Laut sich nicht änderte. Fest umfasste der Hatake den schmalen Rand des Kreises und zog. Als sich nichts zu bewegen schien, versuchte er es erneut, aber auch dieses Mal blieb die Abdeckung fest. Also drehte er sie und sie ließ sich drehen. Eine halbe Drehung um genau zu sein, dann war sie ab, verbarg nicht mehr den langen Bogen Papier, der sich im Inneren des Tischbeines befand. Filigran packte er das feste Papier, mit seinem Zeige- und Mittelfinger und zog dieses heraus. Es raschelte leise, als die Ecken beim Ausrollen aneinander rieben. „Wenn man es weiß, weiß man es einfach.“ Beinahe wäre er zusammengezuckt. Er hatte nicht mitbekommen, dass Anko sich neben ihn gestellt hatte. „Wenn ich vorstellen darf“, mit einer grazilen Bewegung breitete sie ihre Arme aus und deutete anpreisend auf die aufgeschlagene Rolle, „Das Odoroki.“ Das amüsierte Lachen der jungen Frau erfüllte das Büro. Ob sie recht hatte, konnte er nicht sagen, er war nie in diesem Bordell gewesen und das hieß, dass er sich erst mit Guy kurzschließen musste. Aber auch, wenn der Schwarzhaarige verneinen würde, war es komisch. Diese Umrisse waren keinesfalls vom Himitsu. Warum also hatte Madara sie? Es war sehr unwahrscheinlich, dass der Bordellbetreiber ein zweites Etablissement eröffnen wollte, besonders nach diesem Entwurf. Das Papier schien schon älter zu sein. Das Weiß war von gelblichen Flächen durchzogen und auch die einzelnen Linien waren schon etwas verblasst. Kakashi hätte wahrscheinlich noch länger über die mögliche Verwendung des Plans nachgedacht, aber das Geräusch einer zuschlagenden Tür holte ihn zurück in das momentane Szenario. Auch die Mitarashi schien es gehört zu haben, denn ihr Lachen riss abrupt ab und ihre Augen weiteten sich erschrocken. „Habt ihr nicht geschlossen?“, flüsterte der Grauhaarige die Frage, während er fahrig den Bogen Papier faltete. „Scheiße, scheiße, scheiße“, zischte sie leise und schraubte die Verkleidung wieder an Ort und Stelle, „Haben wir auch.“ Die silberne Kappe rutschte von der Schraubvorrichtung und die Lilahaarige musste neu ansetzen. „Ich dachte, du hast den Zweitschlüssel?“ Es klang mehr wie eine Anschuldigung ihr gegenüber. „Richtig, den Zweitschlüssel.“ Nun war es an ihm hektisch zu werden. Unkoordiniert platzierte er den klein gefalteten Plan in seiner Hosentasche. Er wusste nicht, von wem Anko den Schlüssel hatte, aber er wusste, dass die einzige Person, die ein weiteres Exemplar davon hatte, der Inhaber war. Und wenn er seinen Ohren trauen konnte, machte sich Madara gerade auf den Weg in sein Büro. „Zieh deine Jacke und deinen Pullover aus“, forderte ihn die Langhaarige auf, während sie sich selbst ihre Bluse öffnete und ihm einen Blick auf ihren BH gewährte. „Was?“ Er wusste, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um Fragen zu stellen, aber er konnte nicht anders. „Wir sind in einem Bordell, wenn wir uns rausreden müssen, dann zumindest mit etwas Plausiblem.“ Ohne weiter abzuwarten, zerrte sie ihm die Jacke von den Schultern. Achtlos wurde sie auf den Boden geworfen und gleich darauf galt ihr Interesse seiner Gürtelschnalle. Fest umfasste Anko den schmalen Silberrahmen und zog ihn daran quer durch den Raum. Er hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn die Schritte kamen immer näher. Mit einer fließenden Bewegung zog er sich sein Oberteil über den Kopf, gerade noch rechtzeitig, bevor die Mitarashi mit ihm in dem weichen Polster der Couch versank. Sie saß rittlings auf ihn, als sie mit geübten Griff anfing seinen Gürtel zu öffnen. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Knopf und schließlich auch der Reißverschluss folgten. Deutlich konnte er ihren schnellen Atem hören, der sich mit dem dumpfen Gespräch auf dem Flur vermischte. Wer auch immer da war, er war nicht allein. Nur am Rande registrierte er, wie Anko sich nach unten beugte und ihren Unterarm neben seinem Gesicht bettete. Ein leichtes Ziehen an seinem Haaransatz verriet ihm, dass sie ihre andere Hand in seiner grauen Mähne vergrub. Und während er seine an ihrer Hüfte drapierte, horchten sie den leisen Tönen, die vom Flur hereindrangen. Es waren eindeutig mehrere Personen, denn der dumpfe Singsang wurde von einem kurzen, helleren Lachen unterbrochen. Je kürzer ihre Distanz zum Büro wurde, desto deutlicher konnte der Polizist das Gespräch mitverfolgen. „Ich hole die Karten.“ Aus dem Augenwinkel konnte Kakashi erkennen, wie die Mitarashi mit jedem Schritt, der sich dem Büro näherte, blasser wurde. Er konnte es ihr nicht verübeln, denn er konnte selbst seinen Puls in den Ohren hören. Immer weiter spannte sich seine Muskulatur an, bis zu dem Punkt, an dem die Schritte wieder abebbten. Wer auch immer die Karten holte, er war vorbeigelaufen. Erleichtert stieß er die Luft aus seinen Lungen und auch der Oberen war anzumerken, dass sie sich entspannte. Mit Schwung stand sie von dem Grauhaarigen auf und deutete auf seinen Pullover, den er achtlos hinter einen der Schränke geworfen hatte. „Ich dachte wirklich, dass es das war“, flüsterte die Langhaarige und beförderte mit einem gezielten Tritt, die dunkle Jacke zurück zu seinem Besitzer. „Der Stimme nach zu urteilen, war es ohne jeden Zwei-“ Schlagartig hielt sie inne, was auch den Hatake dazu brachte seine aktuelle Tätigkeit zu stoppen. Sie war blass, noch blasser, als sie es auf dem Sofa gewesen war und ihr Blick war starr zu Tür gerichtet. „Ich“, fing sie an, „Ich kann das erklären.“ Kakashi konnte nicht erkennen, wer in der Tür stand, denn in seiner momentanen Position, war das Einzige, was er sah, die junge Frau und die Seite des schwarzen Aktenschrankes. Ein Gerüst aus lackiertem Stahl, das es auch dem Neuankömmling unmöglich machen musste, ihn zu sehen. Laut hallte das missbilligende Schnauben in seinen Ohren wieder. „Keine Erklärung würde das rechtfertigen, schon gar nicht vor Madara.“ Fest umfasste er das Stück Stoff in seinen Händen. Er musste die Person nicht sehen, um zu wissen wer es war. Er würde diese Stimme überall erkennen. Noch einmal holte er tief Luft, lockerte den Griff um seinen Pullover ein wenig und stand auf, zog sofort die Aufmerksamkeit der beiden anderen auf sich. Er konnte sich vorstellen auf was sein zerzaustes Haar, seine geöffnete Hose und sein freier Oberkörper schließen ließen. Immerhin war das die gewünschte Intention dahinter. Und wenn er wirklich in seiner Rolle blieb und dem verletzten Blick, der von Unglauben fast vollkommen verdeckt wurde, noch etwas weiter standhielt, würde es sogar funktionieren. „Kakashi?“ „Katsumi“, erwiderte der Grauhaarige schlicht und darum bemüht, die unangenehme Enge in seinem Hals auszublenden. Kurz flog der Blick der grauen Iriden über seine Erscheinung, ehe er wieder, vorbei an der noch immer halb geöffneten Bluse, auf Ankos Gesicht verweilte. „Das“, freudlos lachte der Schwarzhaarige auf, „Das glaube ich jetzt nicht.“ „Was?“ Die tiefe Bassstimme kam von weiter hinten aus dem Flur. Es war genau die, welche das Gespräch der Beiden auf dem Flur am Laufen gehalten hatte. Madara. Noch einmal sah Katsumi zu dem halbnackten Polizisten, bevor er den Blick abwandte und mit einem letzten, ungläubigen Laut das Licht ausschaltete und die Tür ein Stück schloss. „Du hast schon wieder vergessen das Licht auszumachen.“ Ein tiefes Lachen drang durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen und Kakashi konnte im fahlen Licht der Flurbeleuchtung erkennen, wie sich eine breite Gestalt zu dem Jungen herunterbeugte und sein Gesicht in dessen Haar vergrub. „Vielleicht wollte ich dir darin ja noch etwas zeigen?“ Eine unangenehme Gänsehaut breitete sich auf Kakashis Armen aus. Der Grauhaarige musste nicht studiert haben, um diese Anspielung zu verstehen und er mochte sie nicht. Verschwunden war seine anfängliche Anspannung darüber, dass man ihn und Anko entdeckt hatte, sie wurde von einer anderen abgelöst, einer Anspannung, die bei weitem unangenehmer und um ein vielfaches einschneidender war. „Lass uns gehen, die Vorstellung fängt gleich an.“ Damit trat Katsumi einen Schritt zurück und umfasste die Hand des vermeintlichen Bordellbetreibers, um diesen langsam von der Tür wegzuziehen. „Warte, ich muss wirklich noc-“ Für einen kurzen Moment dachte der Hatake wirklich, dass seine Finger gleich brachen. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, vergrub er sie in dem dunkelblauen Stoff seines Oberteiles, als der Siebzehnjährige seine Lippen mit denen Madaras verschloss. „Morgen?“, flüsterte der Junge so leise, dass der Grauhaarige es beinahe nicht verstanden hätte. „Morgen ist gut.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, wurde der eben noch Geküsste mitgezogen. Weg von der Tür und, wie der unsanfte Knall vermuten ließ, raus aus dem Bordell. Noch eine Weile standen er und Anko in dem dunklen Raum, unfähig sich zu bewegen. Nur ihre gleichmäßige Atmung, vergewisserte dem jeweils anderen, dass man noch da war. „Kakashi?“ „Hm?“ „Katsumi hat-“ „Ja.“ Er war wütend. „Er hat Madara-“ „Ja!“ Und die Lilahaarige machte es nicht besser. „Er hat dich in Schutz genommen.“ „Ich hab es gesehen, Anko.“ Etwas unbeholfen zog der Angesprochen sich wieder an, achtete dabei nicht weiter auf die junge Frau und verließ die bedrückende Atmosphäre des plötzlich klein wirkenden Büros. Ja, er hatte es gesehen. Er hatte gesehen, wie Katsumi Anko angesehen hatte und er hatte gesehen, wie er ihn angesehen hatte. Hatte den deutlichen Unterschied in den grauen Augen registriert. Er hatte gesehen, wie der Schwarzhaarige das Licht ausgemacht hatte und die Tür zuzog. Und er hatte gehört, wie Katsumi die Person anlog, vor der sich hier jeder zu fürchten schien. Also ja, er hatte hautnahe mitbekommen, wie der Junge für ihn Partei ergriffen hatte. Aber wenn er an das Odoroki dachte, wünschte er sich wirklich, dass Katsumi es nicht getan hätte. Kapitel 8: Mi­li­eu­wech­sel ---------------------------- Das ohnehin leise Einrasten der Hintertür, ging in dem lauten Gewirr des Abendgeschäfts vollkommen unter. Kakashi war wieder in der kleinen Nebenstraße und obwohl dieses Viertel in den späten Stunden von unzähligen Lichtern erleuchtet war, drang die Helligkeit nur spärlich zu diesem Winkel vor. Schnell setzte der Hatake einen Fuß vor den anderen, bis zur Hauptstraße in Richtung Ausgang. Das Blinken der Reklametafeln und die aufreizenden Äußerungen der Damen zogen an ihm vorbei, ohne auch nur annähernd seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Kopf war voller Fragen. Kakashi suchte nach dem Warum. Akribisch spielte er jede Unterhaltung, die er mit Katsumi in den vergangenen Monaten geführt hatte, noch einmal durch. Rief sich jede Mimik und Gestik vor sein inneres Auge, in der stillen Hoffnung eine Erklärung zu finden. Kurz streifte der Schatten des, als Eingang dienenden, Türbogens über sein Gesicht, als er die Grenze zurück in den Alltag überschritt. Was gab Katsumi das Recht ihn, einen Polizisten, zu decken? Hatte er ihn überhaupt in Schutz genommen oder wollte der Junge nur den Stand der Dinge verdeutlichen? Aber die wohl wichtigste Frage war: Warum konnte er diesen Kuss nicht vergessen? Er hatte sich wie ein Parasit in seinem Kopf eingenistet. Nicht der bloße Wortgedanke, das wäre vielleicht sogar noch erträglich gewesen, sondern das Bild flackerte immer wieder auf. Es war wie ein Fluch, eine Unannehmlichkeit, die der Polizist nicht loswurde. Obwohl seine Fingerspitzen den Bauplan in seiner Jackentasche berührten, freute er sich nicht. Er war wütend. Darauf, dass sie erwischt wurden. Sicherlich hatte Anko nie die Absicht gehabt, ihn in diese brenzlige Situation zu bringen, aber das änderte nichts daran, dass sie sich hatten heraus manövrieren müssen. Das Wie störte ihn. Offenkundig war der Plan der jungen Frau nicht schlecht gewesen, er hatte sogar authentisch gewirkt. Ebenso wie er Konsequenzen mit sich gezogen hatte. Ein unangenehmes Ziehen machte sich in seiner Brust breit, als der Grauhaarige sich an den Blick des Jungen erinnerte. Kakashi wollte das nicht, diese beißende Erfahrung, wenn man jemanden enttäuschte. Und das hatte er, zweifelsfrei. Umso verwirrender war es, dass der Schwarzhaarige ihnen geholfen hatte. Auch wenn der Hatake nur die Silhouetten erkennen konnte, war der Bordellbetreiber im Begriff gewesen in sein Büro zu gehen. War der Kuss also aus dem Affekt heraus oder würden die Beiden nach der Vorstellung gemeinsam den Abend ausklingen lassen? Unaufhaltsam begab sich seine Phantasie auf Reisen, rief ihn ihm die absurdesten Bilder wach und trieb in den Wahnsinn. Geschickt wich er einer Gruppe von jungen Männern aus, die leicht zusammenzuckten, als der Grauhaarige ein schneidendes Zischen von sich gab. Kakashi wusste vielleicht nicht warum Katsumi so gehandelt hatte, aber er wusste, dass er Madara den Arm brechen würde, falls irgendeine Szenerie aus seinen Gedanken wirklich eintreten sollte. Langsam und auf eine erniedrigende Art und Weise würde er ihm fürchterliche Schmerzen bereiten. ~ Monotonie, die Abwesenheit jedweder Veränderung. Das waren seine letzten sechs Wochen gewesen. Immer das gleiche Muster, die gleichen Menschen und die gleichen Gedanken. Nicht zu vergessen die Wut, welche trotz der vergangenen Zeit kein Stück abgeebbt war. Damals hatte es ihm nie etwas ausgemacht jeden Tag dieselben Abläufe auszuführen, aber momentan war es einfach nur ermüdend. Aufstehen, zur Arbeit gehen, Papierkram, Überstunden. Itachi hatte Wort gehalten. Der Langhaarige hatte Pain erzählt, dass Kakashi nicht Zuhause war, somit war er mit seiner damaligen Aktion milde davon gekommen. Der Bauplan befand sich gut verschlossen, im Büro des Rothaarigen. Offiziell pausierte ihr Dezernat, übernahm kollegial verschiedene Aufgaben der anderen Abteilungen und half diesen. Überaus gewissenhaft sogar. Jeder von ihnen machte Überstunden, blieb so lange in dem Präsidium, bis auf der Etage nur noch ihre Sektion anwesend war. Sie arbeiteten weiter, unbezahlt und als Dezernat 0. Sechs Wochen lang, bis in die frühen Morgenstunden und mit weniger als fünf Stunden Schlaf. Jedem einzelnen Kollegen war anzusehen, dass er erschöpft war. Der Schlafmangel hatte schon in der ersten Woche angefangen seinen Tribut zu fordern. Aber so unkonzentriert die Anderen auch waren, an Kakashi veränderte es nichts. Der Grauhaarige war es gewohnt mit wenig Schlaf auszukommen. Es war schon fast seine Lebenseinstellung. Belustigt beobachtete er, wie Deidara langsam zu der Kaffeemaschine schlenderte und die Glaskanne in die Hand nahm. Mit jedem Millimeter, den der Blondschopf das Gefäß weiterkippte, lehnte der Hatake sich genüsslicher in seinem Stuhl zurück. Kurz stieß er mit dem Ellenbogen gegen die Hüfte des neben sich stehenden Uchiha und deutete mit einem kurzen Nicken auf das baldige Ereignis. Auch der Langhaarige hielt in seiner Tätigkeit inne, um sich dem Jüngeren zuzuwenden. Gerade noch rechtzeitig, denn keine drei Sekunden später hallte ein lauter Fluch durch die Gänge. „Na, wieder wach?“, fragte der Grauhaarige verschmitzt. „Was stimmt nur mit der Jugend heutzutage nicht? Damals hat man den Kaffee noch in eine Tasse geschüttet und nicht auf seine Hand“, stieg auch Itachi ein. Das Einzige, was sie erhielten war ein sarkastisches Lächeln des Blonden, der sich kurz darauf in Richtung der Toiletten verzog. „Das wäre mir heute Morgen auch beinahe passiert“, warf der Brünette seufzend ein, als er sich wieder seiner Akte zuwandte und diese aufschlug. „Bei dir hätte ich gelacht.“ „Charmant wie immer, Kakashi.“ „So bin ich. Wo bist du denn heute unterwegs?“, wechselte der Hatake das Thema und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch. „Verkehrsamt.“ „Ach komm schon, Danzou ist heute nicht da. Hast du herausgefunden aus welchem Archiv der Bauplan gestohlen wurde?“ Der Angesprochene holte tief Luft, schlug das Dokument zu und drapierte dieses fein säuberlich auf einem kleinen Stapel. „Erst beantwortest du mir eine Frage“, forderte der Jüngere, während er sich umdrehte und leicht an den Tisch lehnte, „Deine Freundin-“ Mit einem genervten Stöhnen unterbrach Kakashi ihn. „Sie ist nicht meine Freundin, sondern einfach nur verrückt.“ „Du hast sie hierher gebracht.“ „Falsch, sie ist mir gefolgt.“ Es war die Wahrheit, direkt nachdem er das Himitsu vor sechs Wochen verlassen hatte, war er nicht wieder nach Hause gefahren, sondern zur Arbeit. Er war zwar wütend, aber dennoch pflichtbewusst genug gewesen, um Pain den Bauplan auszuhändigen und ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Das sein Pflichtbewusstsein ihn nicht davor schützte verfolgt zu werden, wurde ihm kurz darauf klar. Kaum hatte Pain verkündet, dass sie ihre Untersuchungen einstellen würden, hatte sich Anko zu Wort gemeldet. Es hatte den Grauhaarigen jeden Fetzen an Selbstbeherrschung gekostet, bei ihrer Stimme nicht zusammenzuzucken. Sie war ihm damals tatsächlich gefolgt, den ganzen Weg von Shinjuku bis hierher aufs Polizeipräsidium, ohne, dass er auch nur ansatzweise etwas davon mitbekommen hatte. Binnen Sekunden hatte die Frau die gesamte Aufmerksamkeit seiner Kollegen erregt. Aber bevor irgendwelche Fragen in den Raum geworfen werden konnten, hatte der Rothaarige sie in sein Büro gebeten. Zwanzig Minuten hatten sie dort verbracht und niemand wusste, was in dieser Zeit passiert war. Aber die Prostituierte hatte es irgendwie geschafft, dass die Ermittlungen des Dezernats nicht auf Eis gelegt wurden. Sie ermittelten weiter. Verstießen direkt gegen das Wort des Polizeidirektors Danzou, ohne zu zögern. Auch wenn sie es nach Dienstschluss taten, sie alle ignorierten die Vorschriften. Und das gefiel Kakashi. Viel mehr als die Tatsache, dass Anko nun des Öfteren hier herum schlich. Sie war eine potenzielle Schwachstelle der Ermittlungen. Er wusste es, Pain schien dieser Punkt allerdings keinerlei Sorgen zu bereiten. „Also so eine Art Stalkerin oder läuft da was?“, fuhr Itachi fort. „Sie ist eine Verrückte, die plötzlich auftaucht. Ich denke, dass das für ersteres spricht.“ „Ich mag dich auch.“ „Siehst du? Einfach da.“ Mit einer Hand deutete er auf die Lilahaarige, die sich zu ihnen gesellt hatte. „Ist er immer so?“, fragte die Mitarashi den Uchiha. „Nein, heute hat er gute Laune.“ „Kein Wunder, dass er sozial etwas-“ „Schön, dass ihr euch so gut versteht. Was willst du?“ Barsch wurde die Frau von dem Grauhaarigen unterbrochen. „Dich fragen, warum du heute hier bist.“ Irritiert sah der Hatake sie an. „Das frage ich mich auch.“ Ruckartig löste Itachi seine Verbindung zum Tisch und stellte sich aufrecht hin, den Blick fest auf Pain gerichtet. „Ich arbeite“, erwiderte Kakashi schlicht. „Das ist nicht der Bezirk Chuo.“ „Wie bitte?“ „Du hast damals einen Tipp bekommen. Auch wenn wir sehr vorsichtig sein müssen, ist es wie du gesagt hast, Danzou ist heute nicht da.“ Perplex zog der Hatake seine Augenbrauen zusammen. „Meine Augen und Ohren sind überall. Wir fahren in fünf Minuten.“ Damit entfernte sich der Rothaarige vom Trio. „Warum weiß ich nichts von einem Hinweis?“, fragte der Grauhaarige in die eingetretene Stille. „Warum hast du nicht mitbekommen, dass du verfolgt wurdest?“, kam die synchrone Gegenfrage, die seine Laune erheblich sinken ließ. Nicht nur, dass die Beiden wahrscheinlich noch Monate auf seinem Fauxpas herumreiten würden, sie würden zu zweit sein. Und das Einzige was noch schlimmer war als ein Itachi, war der Brünette in Verbindung mit Anko. Mit einem letzten resignierten Seufzen stand er auf, griff nach seiner Jacke und verkniff sich beim Anblick der beiden grinsenden Gesichter einen Abschiedsgruß. Der Verkehr war grausam, selbst zu dieser noch recht frühen Tageszeit. Ihr Vorankommen war schleichend und auch wenn die Frühsingluft lau war, wurde diese durch die vielen Motoren um sie herum deutlich aufgeheizt. Erleichtert beobachtete der Grauhaarige, wie sein Chef die Klimaanlage bis zum Anschlag auf kalt stellte. „Geht es dir gut?“ Die Frage traf den Hatake unvorbereitet, es war zwar keine Neuheit, dass Pain sich um seine Mitarbeiter sorgte, dennoch kam es ziemlich selten vor. Ebenso, dass er gerade ihn fragte. „Natürlich.“ Ein undefinierbares Brummen verließ die Lippen des hochgewachsenen Mannes zu seiner Rechten. Die Stille, die folgte, als der Ton verklungen war, schien den Grauhaarigen zu erdrücken. Verflogen war die Ungezwungenheit zwischen den beiden Männern. Er hatte sich schon immer gut mit dem Rothaarigen verstanden, jeder tat das. Obwohl sich Pain mit seinem gepiercten Gesicht deutlich von der konventionellen Gesellschaft abhob, hatte er Karriere gemacht und dafür bewunderte Kakashi ihn. Es war nicht nur das Aussehen, welches die meisten Menschen einschüchterte, sondern auch die herrisch selbstsichere Art, die sein Vorgesetzter oftmals an den Tag legte. Aber wenn man ihn erst einmal besser kannte, sah man, dass dieses Verhalten beruflicher Natur war. Pain liebte seine Arbeit und er erwartete, dass jeder in seiner Abteilung seine Leidenschaft bis zu einem gewissen Maß teilte. Nur wenn man hinter einer Sache stand, machte man sie gut. Das war seine Devise, sein Regelwerk, nach dem er jeden seiner Leute anlernte und agieren ließ. Der Rothaarige spornte sie alle an, stichelte auf subtile Weise so lange, bis man selbst Feuer und Flamme war. Und das machte er hervorragend, ohne dabei unmenschlich zu wirken. Je länger man für den vermeintlichen Schrecken der Polizei arbeitete, desto deutlicher wurde einem, dass für den Gepiercten seine Abteilung eine Form der Familie darstellte. Auch wenn der Grauhaarige das Konzept der Familie nicht mochte, gefiel es ihm irgendwie ein Teil davon zu sein. Zu wissen, dass er mit dem Älteren reden konnte. „Warum Anko?“ „Sie ist ein guter Informant.“ Für einen kurzen Moment erfüllte nur das dezente Rauschen der Klimaanlage das Innere des Autos. „Aber auch eine Schwachstelle“, sprach der Rothaarige das aus, was der Hatake schon lange dachte. „Ich verstehe deine Bedenken. Um ehrlich zu sein teile ich sie auch, aber manchmal muss man auch bereit sein etwas zu investieren.“ Langsam rollte der schwarze Audi ein Stück weiter nach vorn. „Auch wenn das bedeutet, dass man alles verlieren könnte?“ Sein Tonfall war zu rau, ließ die Frage viel mehr wie einen Vorwurf klingen. Kurz verzog Kakashi seine Mundwinkel. Ja, er konnte mit Pain reden, aber der Andere war noch immer eine Respektperson. „Entschuldige.“ Mit einer fließenden Handbewegung gab sein Chef ihm zu verstehen, dass es schon in Ordnung war. „Ja, auch dann. Vielleicht auch gerade deswegen.“ Schnell setzte der Rothaarige den Blinker, schnitt beim Abbiegen beinahe den Wagen vor sich und fuhr nun auf einer deutlich ruhigeren Straße weiter. „Du reißt noch den Griff ab, Kakashi.“ Augenblicklich löste er seine Finger von dem hellen Leder des genannten Gegenstandes und ließ diese zurück auf seinen Oberschenkel sinken. Das Manöver des Älteren hatte ihn eiskalt erwischt. „Ich hätte mit der Bahn fahren sollen“, stellte der Hatake nüchtern fest und erhielt als einzige Reaktion ein kurzes Lachen. Den Rest des Weges war es angenehm ruhig zwischen den beiden Männern. Eine Zeitspanne, die es dem Grauhaarigen erlaubte sich zu erinnern, um welchen Hinweis es sich handeln könnte, aber es war zwecklos. Er hatte in den letzten Wochen mit niemandem, ausgenommen seiner Kollegen, über seine Arbeit gesprochen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in dem Polizisten aus, als Pain das Tempo drosselte und augenscheinlich anfing nach einem Parkplatz zu suchen. Die Gegend, in der sie sich befanden, war dicht bebaut, nichts Ungewöhnliches für Tokio. Was jedoch direkt auffiel, war die Anonymität. Die Fassaden der Hochhäuser waren einheitlich in Weiß- und Grautönen gehalten, wenn sie nicht gerade voll verglast waren. Ein unverkennbares Zeichen dafür, dass sie im Bankenviertel der Stadt angekommen waren. Er mochte diesen Teil von Tokio nicht. Die geballte Zurschaustellung von Macht und Geld. Jeder Mensch sehnte sich in irgendeiner Weise nach Luxus, aber diese Form war ihm bei weitem zu klinisch. Einzig und allein die Überreste der Stadtbrücke aus der Edozeit, lockerten die Erscheinung des Stadtteiles etwas auf. Sie waren die einzigen Punkte, welche diesem materiellen Distrikt annähernd so etwas wie Tiefe verliehen. Ruckartig prallte der Hatake mit seiner Schulter gegen den Rahmen der Autotür und spürte schmerzhaft wie der Gurt in sein Schlüsselbein schnitt. „Beeil dich, ich stehe ihm Halteverbot.“ Sichtlich genervt drückte der Grauhaarige auf die rote Fläche und augenblicklich sprang die Verschlussvorkehrung aus der Verankerung. Ein kurzer Blick auf die Uhr im Armaturenbrett verriet ihm, dass die Autofahrt nicht ganz dreißig Minuten gedauert hatte. Egal aus welchem Winkel der Hatake diese Fahrt begutachtete, er wäre eindeutig schneller gewesen, wenn er die U-Bahn gewählt hätte. Ganz zu schweigen davon, dass seine Nerven nach dieser Fahrt um einiges entspannter gewesen wären. „Und so jemand hat eine leitende Position bei der Polizei“, nuschelte er, während er sich aus dem bequemen Sitz schälte und den ersten Fuß auf die Straße setzte. Ihm war durchaus bewusst, dass sein Vorgesetzter die spitze Bemerkung verstanden hatte und konnte dessen hochgezogene Augenbrauen sehr gut interpretieren. Gerade als er sich zu voller Größe aufgerichtet hatte und im Begriff war die Beifahrertür zu schließen, sah er die fein säuberlich angebrachte Schrift an der Glasfront. Bridgestone Museum of Art. Unaufhaltsam zogen die einzelnen Sequenzen an ihm vorbei. Wie er Anko getroffen hatte, wie diese ihm davon abriet weiter auf Katsumi einzugehen und wie sie ihm schlussendlich die Servierte in die Hand gedrückt hatte. Die Lilahaarige hatte ihm den Hinweis geliefert und gerade deswegen machte sich in ihm das Gefühl breit, dass nichts, was er heute hier herausfand, etwas mit dem Bauplan zu tun haben würde. Dezernat 0 hatte gearbeitet, keine Frage. Aber alles, was sie getan hatten, glich Theorie. Jeder hatte sich auf das Baudokument gestürzt, keiner war tatsächlich im Außendienst gewesen. Das war Pains Bedingung, ein Gebot das schwerer wog, als jede Vorschrift und an das sich jeder gehalten hatte. „Investitionen sind schon ein zweischneidiges Schwert“, irritiert riss der Grauhaarige sich von dem Glas los und sah zurück in den Wagen, „aber manche erzählen dir Dinge über jemanden, die du sonst nie gesehen hättest.“ Er konnte sich nicht bewegen, die grünen Augen fixierten ihn und hielten ihn fest. „Du hast eine Woche. Ich will, dass du darüber nachdenkst und deinen Hintern erst wieder zu Arbeit bewegst, wenn du eine Antwort hast.“ „Worauf?“ „Ob du bereit bist zu investieren“, eine unangenehme Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus, als die Strenge in der Stimme des Anderen, ihm die Bedeutsamkeit dieser Worte klarmachte, „und jetzt lass los.“ Geräuschvoll schlug er die Autotür zu, beobachtete noch kurz wie sich der schwarze Audi wieder in den Verkehr einordnete und verschwand. Egal was Anko und Pain besprochenen hatten, ein Teil davon musste etwas mit ihm zu tun gehabt haben, anders konnte er es sich nicht erklären. Denn der letzte Satz des Rothaarigen hatte zweifelsfrei nichts mit dem Auto zu tun gehabt. Misstrauisch drehte sich der Grauhaarige um und ging zum Eingang. Gerade als er seine Finger um die schmale Metallstange legen wollte, hörte er lautes Stimmengewirr im Inneren. Sicherheitshalber trat er einen Schritt zurück, gerade noch rechtzeitig, um den massiven Rahmen nicht vor die Stirn geschlagen zu bekommen, als das Gebilde unsanft aufgetreten wurde. Die Szenerie, die sich kurz darauf bot, ließ ihn paradoxerweise schmunzeln. Ein Mann protestierte lautstark dagegen das Museum zu verlassen, während er sich heftig gegen den Griff der Sicherheitsleute wehrte. Kakashi war sich nicht sicher, ob der Schreihals die Belehrung der Uniformierten verstand, jedoch tat er es auf jeden Fall. Es war augenscheinlich eine verdeckte Ermittlung der Steuerfahndung, die gerade in einem Erfolg ausartete. Der Dunkelhaarige in dem feinen Anzug musste eine Menge Kohle hinterzogen haben, wenn die Fahndungseinheit schon nach ihm gesucht hatte. Ein letztes Mal schweifte sein Blick von dem Mann über die glatten Fassaden der Hochhäuser, nun mit einem deutlich wohleren Gefühl in der Magengegend. Es stimmte, das Bankenviertel Chuo war opulent, aber auch hier war alles nur materieller Herkunft. Dieser Stadtteil war keineswegs besser als die anderen in Tokio, er versteckte die Hässlichkeit einfach nur besser. Damit öffnete er die breite Glastür und trat in das Innere des Gebäudes. Kapitel 9: Künstlich -------------------- Das Erste, das der Grauhaarige bemerkte, war die alles dominierende Farbe Weiß. Sie stellte sicher, dass der Fokus der Aufmerksamkeit so auf die einzelnen Bilder gelenkt wurde, das war ihm klar. Auch wenn der Hatake kein großer Freund der Kunst war, verstand er dies bis zu einem gewissen Grad. Einer Grenze, die hier bei weitem überschritten wurde. Jede Wand und jedes Möbelstück waren in diesem Ton gehalten. Selbst die Gäste, die sich in dem weitläufigen Saal zu kleinen Gesprächsgruppen formiert hatten, bevorzugten diese Farblosigkeit an ihrer Kleidung. Kakashi fühlte sich fehl am Platz. Nicht wegen seinem dunklen Hemd und der legeren Jeans, die er trug, sondern weil auf ihn nicht nur die Landschaften an den Wänden künstlich wirkten. Leise hallten seine Schritte auf dem hellen Marmorboden wieder, als er selbstsicher zu dem Bereich ging, welcher deutlich als Kasse ausgeschildert war. Der junge Mann dahinter konnte höchstens an die zwanzig sein. Er war, passend zum Rest des Ambientes, ungewöhnlich blass und auch das freundliche Lächeln wirkte aufgesetzt. Generell erweckte alles an dem Jungen den Eindruck einer einzigen Farce. Beiläufig schweifte sein Blick zu dem kleinen Namensschild an der schmalen Brust. Der Name Sai war in gradliniger Schrift darauf gedruckt. Kein einziger Muskel im Gesicht veränderte sich, als der Kassierer das Geld gegen eine Eintrittskarte tauschte und ihm einen angenehmen Tag wünschte. Kakashi bezweifelte stark, dass irgendetwas an diesem Ort angenehm sein würde, aber trotzdem nickte er ihm freundlich zu und ging weiter in das Gewölbe. Die Galerie war weitläufig und linear. Es gab keine Türen, nur aufgestellte Trennwände, die wohl die einzelnen Bereiche gliedern sollten. Ihm war es recht, besonders da es schien, dass die Masse an Besuchern abnahm, je weiter man nach hinten ging. Mit deutlich schnelleren Schritt bahnte er sich seinen Weg durch die kleinen Ensembles. Der Grauhaarige musste sich zusammen nehmen, um bei den wenigen, nichtssagenden Gesprächsfetzen nicht den Mund zu verziehen. Es war das typische Gerede reicher Leute. Das Aufputschen von Themen, die so unsagbar nichtig waren, dass die Tatsache ihnen Aufmerksamkeit zu schenken schon an Luxus grenzte. Er war froh, als die Menschenmasse sich lichtete und er vermehrt einen Blick auf die Ausstellungsstücke an den Wänden werfen konnte. Vielleicht klag es grotesk, aber diese Form der Illusion zog er dem menschlichen Kontakt deutlich vor, denn sie verstand sich zumindest darauf still zu sein. Der Grauhaarige drosselte seine Schritte, als er bemerkte, dass er allein war. In diesem Winkel des Museums war noch keine Menschenseele, nur die einzelnen Gesprächsfetzen aus dem Foyer drangen zu ihm durch, zu leise, als dass er sie noch hätte verstehen können. Und das erleichterte ihn. Beiläufig schweifte sein Blick über die einzelnen Landschaften an den Wänden. Einige von ihnen waren klar, sahen schon beinahe aus, als wären sie fotografiert. Der Polizist musste zugeben, dass er von ihnen fasziniert war. Nicht von den Bildern, sondern von den Künstlern. Es war schwer in der heutigen Welt so etwas wie Talent zu finden, aber augenscheinlich hatten einige dieses in der Malerei gefunden. Es wäre übertrieben, wenn der Hatake behaupten würde sie zu beneiden, jedoch respektierte er sie. Vor allem, weil für ihn diese Form der Kunst auch plausibel erschien. Noch genau konnte der Grauhaarige sich daran erinnern, wie Itachi ihn vor Jahren einmal in eine Ausstellung geschleift hatte. Stundenlang hatte der Langhaarige vor den bemalten Leinwänden gestanden und sie angesehen. Regungslos hatte er vor jedem Einzelnen verharrt und auch wenn Kakashi damals nicht ein Funken Interesse aufbringen konnte, war er geblieben. Er hatte die stundenlange Prozedur ertragen, denn der Brünette hatte bei jedem Bild gelächelt. Heute war er aber allein, nichts hielt ihn hier und doch sagte ihm etwas, dass er noch nicht gehen sollte. Es war schwer zu beschreiben, aber dieses Gefühl ließ ihn weiter in das Gemäuer schlendern, langsam genug, um den Schein aufrecht zu erhalten, dass er sich wirklich für die Ausstellung interessierte. Die Stimmen im Hintergrund wurden immer leiser, bis auch sie vollkommen verstummt waren und das einzige Geräusch das laute Widerhallen seiner Sohle auf dem Boden war. Ihm war klar, dass er das Ende des Museums erreicht hatte, als sein Weg in einer Sackgasse zu enden schien. Die helle Wand, auf die er nun zuschritt, war fast vollkommen von einer Leinwand bedeckt. Die eigentliche Abbildung darauf sagte dem Hatake nichts. Es war für ihn einfach nur eine willkürliche Aneinanderreihung von Farben. Trotzdem verharrte der Grauhaarige für einen kurzen Moment vor dem Gemälde, denn er war nicht mehr der einzige Besucher. Direkt vor ihm, keine drei Meter entfernt, stand der Grund warum er heute hier war. Anko hatte ihn ausgetrickst. Am Schlimmsten aber war, dass sie Pain auf ihrer Seite hatte. Er konnte nicht einfach wieder gehen, nicht weil er sich dann der direkten Anweisung von Pain widersetzt hätte, sondern weil er es sich selbst verbot. Resigniert stellte er fest, dass seine Handflächen begannen zu schwitzen. Alles ergab nun einen Sinn. Die junge Prostituierte und der Rothaarige hatten damals in der Tat über ihn geredet. Über seine Ermittlungen, seine Fortschritte und über ihn. Wie weit sie die Materie dabei auseinandergenommen hatten war uninteressant. Alles was zählte war hier, direkt vor ihm. Er würde nicht gehen, er wollte nicht. Darauf bedacht die Lautstärke seiner Schritte zu dämpfen, überbrückte er die letzten Meter und kam direkt neben dem jungen Mann zum Stehen. „Du magst also Kunst?“ Kaum merklich zuckte der Schwarzhaarige zusammen und sah irritiert zu ihm. „Hm“, kam in verneinenden Tonfall die Erwiderung, während sich die grauen Iriden wieder auf das wirre Farbenspiel an der Wand richteten. „Geschäftstermin?“, riet der Polizist ins Blaue. „Storniert.“ Kurz zuckte sein Mundwinkel bei dem Gedanken daran, dass der Junge mit Madara hier gewesen sein könnte. Er wusste selbst wie paranoid sich das anhörte, aber nichtsdestotrotz konnte er diesen Gedanken nicht verdrängen. Ebenso wenig wie das leise, verächtliche Schnauben, welches sich über seine Lippen schlich. Eine unangenehme Stille breitete sich über den beiden aus und das störte den Grauhaarigen. Vor wenigen Wochen war es noch so einfach gewesen mit Katsumi ein Gespräch zu führen. Aber nun war es anders. Ohne dass man es aussprechen musste, war deutlich, dass etwas zwischen ihnen angeknackst war. Und auf seltsame Art und Weise störte ihn das. Obwohl er ein großer Freund der Stille war, wollte er sie in diesem Moment nicht. „Es ist schon etwas her, was?“ Kaum hatte Kakashi die Worte ausgesprochen, bereute er sie. Was zur Hölle redete er da? „Selbst schuld.“ Nur ein Flüstern, so leise, dass es unmissverständlich war, dass der Junge diese Worte an sich selber gerichtet hatte. „Also dann, es war nett dich wieder zu sehen, Kakashi.“ Obwohl keinerlei Hektik in der Bewegung Katsumis lag, empfand er es so. Der schmale Körper setzte viel zu schnell dazu an sich wegzudrehen. Das milde Lächeln war zu flüchtig für ihn. „Warte, bitte.“ Erst jetzt bemerkte der Hatake, dass er, begleitend zu seinem Ausruf, das Handgelenk des Jüngeren umschlossen hielt. Hastig lockerte er seinen Griff und zog seine Hand zurück, als er den fragenden Blick des Schwarzhaarigen auffing. „Möchtest du einen Kaffee trinken?“ „Storniert.“ Irritiert zog der Hatake bei der Wiederholung seine Stirn in Falten. „Ich bin privat hier“, kurz ließ der Schwarzhaarige den Blick über das riesige Gemälde gleiten, „und ich denke, dass ich mir die Kunst ansehen möchte.“ „Kunst?“, fragte er ihn etwas fassungslos. „Ja.“ Langsam löste er den Blick von dem feinen Gesicht seines Gegenübers und schwenkte zurück zu der wilden Farbexplosion an der Wand. „Das ist also Kunst?“, erhob er das Wort. „Ja.“ Die Aussage des Jüngeren klang unsicher, fast so, als würde er nun selbst eine Frage stellen. „Also“, der Hatake musste kurz innehalten, als seine Augen den scheinbar willkürlichen Farbsträngen folgte, „das ist wirklich-“, erneut stoppte er, fixierte den Kern der Leinwand, in dem jede erdenkliche Nuance des Farbspektrums zusammen lief und sich zu einem tristen Grauschwarz verband, „wirklich... wirklich-“ Er war deutlich darum bemüht die richtigen Worte zu finden. „Hässlich?“, half ihm der Jüngere auf die Sprünge. „Oh Gott, ja.“ Das sanfte Lachen Katsumis hallte angenehm in den hohen Raum wider. Auch wenn Kakashi es eigentlich nicht sollte, er hatte diesen Ton vermisst. Aber er war anders, ungezwungener und das lag ganz sicher nicht an dem Ambiente. Katsumi hatte frei. Das erste Mal seit ihrer Bekanntschaft, war er nicht gezwungen eine Rolle aufrecht zu halten. Er war nur ein siebzehnjähriger Junge in einer Galerie, ein Minderjähriger. Das durfte er nicht vergessen, ganz egal wie angenehm sich sein Lachen auch anhörte und unabhängig davon, wie reif er für sein Alter wirkte. Der Schwarzhaarige hatte ein Leben, fernab von Katsumi und dessen Verpflichtungen. Ein Leben, in dem der Hatake nichts verloren hatte. „Du hast recht. Genieße deinen freien Tag.“ Damit ging er, setzte fein säuberlich einen Fuß vor den anderen und ließ mit jedem Bild, das er passierte, den Jungen weiter zurück. Pain hatte ihn gefragt, ob er bereit wäre zu investieren. Und genau jetzt in diesem Moment verstand er, was der Rothaarige gemeint hatte. Es war nicht beruflich. Es ging um ihn. Das erste Mal hatte sein Chef Berufs- und Privatleben vermischt. Er wollte nicht, dass Kakashi sich für oder gegen Katsumi entschied. Die Wahlmöglichkeiten bezogen sich auf den Jungen, nicht auf den Prostituierten. Aber von diesem Blickwinkel aus erschien es ihm falsch. Der Polizist war gut darin die Menschen so weit zu manipulieren, bis sie ihm verrieten, was er wissen wollte. Er hatte diese Fähigkeit über die Jahre hinweg schon beinahe perfektioniert. Und ja, er wollte mehr über den Jüngeren erfahren. Aber nicht so. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in seinem Brustkorb aus, als er den kühlen Griff des Ausganges umfasste und ins Freie trat. Kakashi wollte Ehrlichkeit und das bedeutete, dass er mit seiner üblichen Methode nicht weiter kam. Er würde auf unbekanntes Terrain vordringen müssen. Das erste Mal würde er mit teilweise offenen Karten spielen und auch wenn es lächerlich klang, das verunsicherte ihn am meisten. Tief sog er die Luft in seine Lungen, schloss sie kurz ein und atmete geräuschvoll wieder aus. In der Tat, Investitionen waren ein zweischneidiges Schwert. „Kakashi? Warte.“ Aber das Lächeln, welches sich bei der Stimme des Schwarzhaarigen auf seinem Gesicht ausbreitete, schien ihm Grund genug es zumindest zu versuchen. Das Lächeln und vielleicht auch das angenehme Kribbeln in seinen Fingerspitzen, das er vehement zu ignorieren versuchte. Kapitel 10: Kompromisse ----------------------- Stillschweigend saßen sie sich in dem kleinen Café gegenüber. Neben den angeregten Gesprächen um sie herum, wirkte ihre momentane Situation sonderbar. Keiner sagte ein Wort, nur das leise Klingeln des Teelöffels erklang ab und an, wenn dieser gegen das weiße Porzellan der Tasse schlug. Nicht einen Moment ließ Kakashi den Schwarzhaarigen aus den Augen, welcher starr fokussiert den hellbraunen Strudel beobachtete, den er beim Rühren in seinem Tee erzeugte. Es war komisch, bedrückend und doch freute sich ein kleiner Teil des Hatake über die vorherrschende Gegebenheit. „Du wirst die Tasse kaputt machen, wenn du so weiter machst.“ Sofort brach die Bewegung ab und der Löffel wurde fein säuberlich auf der Untertasse drapiert. Genau beobachtete der Polizist, wie sein Gegenüber sich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen ließ und ihn schlussendlich ansah. Die grauen Iriden trafen seine, hielten ihn fest und jagten ihm eine angenehme Wärme durch den Körper. In diesem Moment wirkte alles so normal, aber das war es nicht. Sie befanden sich nicht in Shinjuku, saßen nicht in dem elegant eingerichteten Zimmer und genau deswegen war es komplizierter. Resigniert musste er seufzen. Er wusste nicht wer oder was sich gegen ihn verschworen hatte, aber das hier war nicht seine Welt. Nicht nur das Bankenviertel selbst stellte ihn auf die Probe, sondern auch die zwischenmenschliche Ebene wich von seinem Charakter ab. Umso verwirrender war es, dass Kakashi sich wohl fühlte. Die vielen Menschen um ihn herum und das damit einhergehende Gefühl der Beengtheit. Nichts davon schien den Einzelgänger hier, an diesem Tisch, zu erreichen. Gedankenverloren nahm er den ersten Schluck seines Kaffees. Es war zum Verrücktwerden. Kakashi hatte gewollt, dass der Jüngere Zeit mit ihm verbrachte und nun wo er das erreicht hatte, wusste er nicht wie es weiterging. Der Junge vor ihm war nicht Katsumi, nicht heute. Aber worüber sprach man mit einem Jugendlichen dieses Kalibers? Ein leises Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. „Entspann dich, wenn du so weitermachst, bleibt das noch so.“ Irritiert musterte der Grauhaarige das Gesicht des anderen, ehe dieser die Stirn kraus zog und erklärend gegen die entstandene Falte zwischen seinen Brauen tippte. „Magst du generell keine Kunst oder war es nur die Ausstellung?“, begann der Schwarzhaarige die Konversation. „Naja, ich mag Farben. Schwarz, Weiß. Die Rahmen waren ganz nett.“ Sanft bebte der schmale Brustkorb, als sein Gegenüber verhalten lachte. „Streng genommen sind Schwarz und Weiß keine Farben.“ Ein amüsierter Unterton schwang in dieser Aussage mit und augenblicklich verschwand der letzte Rest der sonderbar wirkenden Atmosphäre. „Wie wäre ein Kompromiss?“ Fragend wurde er angesehen. „Das vorhin war Kunst und dafür werden Schwarz und Weiß in den Kreis der Farben aufgenommen“, kurz rief er sich das letzte Ausstellungsstück in Erinnerung, „Dabei gewinnst du, glaub mir.“ „Sieh mal an, ein harter Geschäftsmann“, wurde er aufgezogen. „Scheint so, als würde dieser Bezirk hier abfärben.“ Kurz wurde es wieder still zwischen ihnen. Aber anders als zu Beginn des Nachmittags, wirkte es dieses Mal nicht komisch. „Kann ich dich was fragen?“ Bestätigend nickte der Polizist. „Du bist nicht aus Chuo und magst keine Kunst.“ „Das war keine Frage“, stellte er nüchtern fest. „Was verschlägt dich hierher?“ Ohne den Blick abzuwenden hob er erneut seine Kaffeetasse. „Mein Chef.“ Ruhig trank er einen Schluck der mittlerweile lauwarmen Flüssigkeit. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, er würde so nahe an der Wahrheit bleiben wie es nur ging. „Allerdings glaube ich, dass ich zu einem Selbstfindungstrip geschickt wurde.“ Kaum merklich zog der Junge seine Stirn in Falten. „Genau das war auch meine erste Reaktion. Aber du solltest das lassen, nachher bleibt das so“, quittierte er das Stirnrunzeln und erntete ein kurzes Lächeln, „Ich glaube, ihm ist einfach nur langweilig.“ Mit einem leisen Klirren schlug seine Tasse auf den kleinen Porzellanteller auf. Das glaubte er wirklich. In all den Jahren, in denen Kakashi nun schon für ihn arbeitete, hatte er immer sein Bestes gegeben, hatte immer Erfolge erzielt und nun das. Pain schloss ihn aus, ließ ihn außen vor in einer Ermittlung, welche gerade in die heiße Phase überging. Jeder Mann wurde gebraucht, da draußen im Dienst, nicht in einem kleinen Café beim Kaffee trinken. „Und das macht dich wütend“, stellte der Schwarzhaarige fest. „Nicht direkt.“ „Dann ist es der Zeitpunkt?“, wurde nachgehakt. „Ja.“ Noch immer sah er in die grauen Augen, es war erstaunlich, aber je länger er dem Blick standhielt, desto wohler fühlte er sich. „Hm“, war die einzige Erwiderung, die er bekam. Deutlich stach der unterschwellige Ton heraus und ließ ihn fragend die Augenbraue heben. „Nun ja“, filigran umschlossen die blassen Finger die kleine Tasse und hoben diese an, „Vielleicht ist deine Sichtweise etwas festgefahren.“ Damit pustete der Junge leicht über seinen Tee, eher er die Lippen ansetzte und trank. „Nein“, antwortete der Grauhaarige. Verstimmt brach der Hatake den Blickkontakt ab und griff nach seiner Tasse, nur um festzustellen, dass sie schon leer war. Er wusste nicht wie und warum, aber scheinbar hatte der andere einen wunden Punkt getroffen. „Hm.“ Wieder dieser Laut, wieder derselbe Tonfall. „Hör auf damit.“ Das belustigte Grinsen, welches ihm entgegen gebracht wurde, half seiner Stimmung kein bisschen. „Tut mir leid“, entschuldigte sich der Jüngere, ohne auch nur einen Moment die Mundwinkel zu senken, „Aber ernsthaft, vielleicht solltest du es nicht ganz so persönlich nehmen.“ Kurz stockte Kakashi. Diese Atmosphäre hier zwischen ihnen kam ihm bekannt vor, fast wie ein Déjà-vu. „Ich wurde beurlaubt. Für mich ist das persönlich.“ „Beurlaubt ist nicht gekündigt. Was ist so schlimm daran, wenn man mal frei hat?“ Freudlos lachte der Polizist auf. „Ich brauche keine Auszeit. Ich bin gut in meinem Job.“ Kaum merklich schürzte der Schwarzhaarige seine Lippen und sah auf die Tischplatte, es war deutlich, dass er etwas sagen wollte, aber der Jüngere hielt sich zurück. Und das wurmte ihn. Der Hatake hatte noch nie sonderlich viel Wert auf die Meinung von anderen gelegt, trotzdem stieg in ihm der Wunsch auf zu hören, was sein Gegenüber ihm zu sagen hatte. „Was?“, fragte er resigniert. „Schon gut.“ Wie in Zeitlupe registrierte er, dass Katsumi der Kellnerin zu verstehen gab, dass sie bitte zahlen würden. „Nein, sag es schon“, forderte der Grauhaarige. „Vergiss es einfach“, scheinbar nebensächlich bezahlte der Schwarzhaarige die Rechnung, wobei er, den leuchtenden Augen der Bedienung zufolge, ein nettes Trinkgeld gab, „Das wäre unhöflich.“ „Wir haben heute beide frei. Du musst nicht nett sein.“ Kurz verweilten die schmalen Hände auf der Geldbörse, ehe der Jüngere tief einatmete und ihn ansah. „Es geht dir nicht um die Arbeit, Kakashi. Sondern darum, was sie dir erlaubt hat und was du nun nicht mehr kannst.“ Nur im Augenwinkel bemerkte der Angesprochene, dass der Kleinere das Portemonnaie wieder verstaute. „Und das wäre? Na los, ich bin neugierig“, hakte er nach. „Bist du sicher, dass du das hören willst?“ Mit einer eleganten Handdrehung gab der Polizist zu verstehen, dass er das wollte. „Du verbiegst deinen eigenen Charakter so lange, bis du das hast was du willst, auch wenn das heißt, dass du dich selber aufgibst.“ „Wie bitte?“ „Du verbietest dir du selbst zu sein, weil du denkst, dass dich dann alles unberührt lässt. Die Arbeit erlaubt es dir dich zu verbiegen. Jetzt hast du allerdings frei und du musst für schrecklich viele Stunden nur du selbst sein. Und ich glaube, dass du selber keine Ahnung hast, was dich erwartet.“ Noch immer saß er da, ungläubig und darauf bedacht sein Gesicht zu wahren. „Du kennst mich nicht.“ „Ich bin auch gut in meinen Job, Kakashi.“ Für den Grauhaarigen war die Begründung unzulänglich. Katsumi und er unterschieden sich von Grund auf. Sein Milieu war das Analysieren und Auswerten, der Schwarzhaarige hingegen musste – freudlos lachte er auf – nett sein. Aber nichtsdestotrotz war es seltsam. Er kannte diese Person vor sich kaum, hatte nie wirklich Persönliches besprochen und doch war er Opfer seiner Berufung geworden. „Das ist …“, fassungslos blinzelte der Polizist dem Jungen entgegen, „... dreist.“ „Es ist dreist von dir, dass du nur den sexuellen Aspekt in meiner Arbeit berücksichtigst.“ Nur dieser eine Satz reichte aus, um die Rollen zu vertauschen und Kakashi als den Bösen darzustellen. Bei nüchterner Betrachtung war das beunruhigend. Katsumi war gut. Der Jüngere besaß eine Raffinesse mit so vielen Facetten, wie er sie bis jetzt bei nur einer Person erlebt hatte. Und das machte es wirklich spannend. Kakashi wollte wissen wie weit dieses Muster übereinstimmte. „Was denkst du denn, was mich erwartet?“ „Magst du Straßenfeste? Der Bezirk Chuo wirkt zwar steif, aber das Fest lohnt sich.“ Das warme Lächeln ließ ihn kurz vergessen, was seine eigentliche Intention war. Ob der andere ihm auswich oder einfach nur mehr Informationen über ihn sammeln wollte, wusste er nicht, jedoch war der Hatake nun vollends interessiert. Lässig lehnte er sich zurück und taktierte sein Gegenüber. „Was hältst du von einem weiteren Kompromiss?“ Nun war es an ihm zu lächeln. „Ich gebe dem Fest eine Chance, wenn du es schaffst mich davon zu überzeugen, dass ich wirklich dreist war.“ Für einen kurzen Augenblick glaubte der Polizist zu weit gegangen zu sein und dann registrierte er endlich das belustigte Funkeln in dem grauen Augenpaar. „Angenommen ich lasse mich darauf ein, was hältst du von einer Präzisierung? Falls du wirklich erkennst, dass du unhöflich warst, gehst wir zusammen zum Fest und du wirst dich nicht einmal beschweren, während wir da sind.“ Das Lächeln des Älteren verzog sich zu einem Grinsen. Ihm gefiel die Verhandlungsart des Jüngeren. „Abgemacht. Aber wenn du es nicht schaffst, ersetzen wir das Fest durch ein Essen“, flüchtig wanderte sein Blick zu dem unberührten Keks auf dem Unterteller des Jüngeren, „Irgendetwas Süßes. Und du wirst es essen ohne dich zu beschweren.“ „Abgemacht.“ Langsam schweifte sein Blick über die verschiedenen Gäste im Raum. Jeden einzelnen musterte der Polizist genau, bevor er sich entschied. Er würde es dem Schwarzhaarigen nicht einfach machen, dafür hasste er Feste viel zu sehr. „Am Fenster. Die Brünette mit den längeren Haaren. Wie ist deine Meinung über sie?“ „Das ist alles?“ Mit einer fließenden Handbewegung deutete Kakashi auf die junge Frau. „Ja, ein einfaches, emotionales Profil.“ Nach kurzem Zögern richtete sich der Blick des Schwarzhaarigen zu der Fensterfront. Kurz war es still zwischen den Beiden, während jeder für sich die Brünette musterte. „Ihre Gesten sind zu gestellt und an ihrem linken Ringfinger ist eine weiße Stelle.“ Kurz sah Kakashi in die feste Mimik des Jungen, ehe sein Blick zurückglitt. „Ihr Make-Up ist für den Tag etwas zu dick aufgetragen, besonders für diesen Stadtteil. Entweder kommt sie ursprünglich aus Shinjuku oder sie versucht ihre Augenringe zu überdecken“, fuhr sein Gegenüber fort, „Ich denke es ist letzteres, für Shinjuku trägt sie die Seidenbluse mit zu viel Selbstverständlichkeit. Die Frau scheint hier aufgewachsen zu sein.“ Es stimmte. Jeder Punkt, den er aufgelistet hatte, war da. Der Jüngere hatte genau das getan, was der Polizist wollte, genauso wie er es selbst getan hatte und dabei war er verdammt schnell gewesen. Alles was jetzt noch fehlte war der schwierige Teil, das sogenannte Fazit. „Sie hat vor kurzem ihre Verlobung gelöst. Wahrscheinlich war sie von dem Mann abhängig und steht jetzt vor dem Nichts. Allerdings lässt sie sich nichts anmerken, weil sie nicht will, dass die Leute reden.“ Schwungvoll löste der Jüngere seine Aufmerksamkeit von der Frau und sah ihn an. „Das war ... schnell“, quittierte der Hatake die Ausführung seines Gegenübers. „Oh ja, besonders, weil sie angezogen ist.“ Der Seitenhieb saß. Kakashi hatte tatsächlich verloren. „Es tut mir leid, ich war vorhin zu engstirnig und habe mich von Klischees beeinflussen lassen.“ „Schon in Ordnung“, wehrte der Schwarzhaarige ab und stand auf, um sich seine Jacke überzustreifen. Es entging dem Polizist nicht, dass die Gespräche leiser wurden und unangenehm viel Aufmerksamkeit auf dem Jungen lag. Dieser schien sich daran jedoch nicht zu stören. „Kommst du, Kakashi?“ Verwirrt musterte der Grauhaarige ihn. „Wohin?“, fragte er verdutzt. „Du bist auch nicht von hier und das Straßenfest ist erst um sieben, nicht dass du dich davor drückst, weil du verloren gehst.“ Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr zeigte Kakashi, dass es erst sechzehn Uhr war. In der Tat hatten sie noch Zeit. Jedoch verwunderte es ihn, dass der Junge ihn mitnehmen wollte. „Du tust es schon wieder, Kakashi.“ Sofort entspannte der Grauhaarige seine Gesichtsmuskulatur und stand auf. Geduldig wartete sein Gegenüber, bis er sich seine Jacke übergezogen hatte und bereit war das Café zu verlassen. Sie schlängelten sich dicht hintereinander an den gut besetzten Tischen vorbei. Er war ein Mann der Strukturen mochte, Pläne und geregelte Abläufe und jetzt wusste Kakashi nicht, was ihn in den nächsten drei Stunden erwarten würde. Aber hier, nur wenige Millimeter vom Rücken des Jüngeren entfernt, störte ihn dieser Umstand ganz und gar nicht. Kapitel 11: Normalität ---------------------- Gemächlich liefen sie nebeneinander her. Die breite Hauptstraße des Bezirks war schon für das Fest gesperrt und hier und da begannen einzelne Standbesitzer allmählich ihre Angebote aufzubauen. Es war ein komisches Gefühl. Besonders wenn Kakashi daran dachte, dass es noch vor wenigen Stunden für Pain ein kleiner Kampf gewesen durch das Straßengewusel zu kommen. Aber je länger er mit dem Schwarzhaarigen durch die Einkaufsmeile schlenderte, desto mehr rückten seine Gedanken an die Arbeit in die Ferne. Ein wirklich seltsamer Umstand. Natürlich neben der Tatsache, dass er am helllichten Tag mit Katsumi durch Chuo bummelte. Teilnahmslos strich sein Blick über die unzähligen Schaufenster, nur um kurz darauf fassungslos das Gesicht zu verziehen. Das war doch hoffentlich ein Scherz. Es konnte doch nicht wirklich Menschen geben, die für einen einfachen Mantel so viel bezahlten, wie er für zwei Monatsmieten. „Möchtest du rein?“, wurde Kakashi aus seinen Gedanken gerissen und registrierte erst jetzt, dass er stehen geblieben war. Der Schwarzhaarige an seiner Seite lächelte ihm sanft entgegen und deutete mit einer kurzen Geste auf das Burberry über den Eingang. Stillschweigend sah er noch einmal durch das Schaufenster. Eins musste er zugeben, so einfach das Kleidungsstück auch war, es sah gut aus. Der Preis war allerdings mehr als nur Wucher und lag eindeutig über seinen Mitteln. Aber der Grauhaarige kam gar nicht mehr dazu zu verneinen. Bestimmend wurde er am Arm gepackt und mitgezogen. Die Geräusche der Straße verstummten abrupt, als die massive Glastür einrastete und sie im Inneren willkommen hieß. Kaum merklich straffte der Polizist seine Schultern. Noch nie hatte er sich an einem Ort so deplatziert gefühlt wie hier. Nicht nur das Ambiente, auch der Geruch in dem lichtdurchfluteten Geschäft wirkte teuer. Kakashi wollte hier raus. „Guten Tag, kann ich Ihnen weiter helfen?“ Augenblicklich versteifte er sich, setzte wiederholt zu einer Verneinung an, doch auch diese wurde im Keim erstickt. „Der Mantel aus dem Schaufenster bitte.“ Was darauf folgte, ignorierte der Polizist. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, während die adrett gekleidete Frau ihn flüchtig musterte, um kurz darauf in den hinteren Verkaufsbereich zu verschwinden. Kakashi musste hier wirklich raus und zwar schnell. Er wusste nicht genau, was für ein Bild er bei dem Schwarzhaarigen hinterlassen hatte, was dieser dachte, wie es um seine Finanzen bestimmt war, aber alles hier in diesem Laden sprengte seine Preiskategorie um Längen. Ganz besonders dieser Mantel. Still verfluchte er Pain für seine idiotische Aktion ihn hierher gebracht zu haben. Zwar war es nicht die Schuld seines Vorgesetzten, dass er nun in diesem Geschäft stand, aber hätte er Kakashi einfach weiter mit Itachi an dem Bauplan arbeiten lassen, wäre er jetzt nicht in dieser Bredouille. Äußerlich gelassen taktierte er die Verkäuferin, als diese wieder zu ihnen trat und ihm mit einem professionellen Lächeln den Mandel reichte. Stillschweigend tauschte er seine Jacke gegen das weiche Kleidungsstück, ignorierte schwerfällig den verzückten Ausruf der Verkäuferin, als sich der teure Stoff perfekt um seine Konturen schmiegte. Wirklich perfekt. Trotzdem konnte der Polizist sich nicht auf das Tragegefühl konzentrieren. Bemüht gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb. Geld war nicht alles, davon war er mehr als nur überzeugt. Aber seine Einstellung würde ihm hier nichts nutzen. Wie sollte er Katsumi erklären, dass er genügend Geld hatte um in das Himitsu zu kommen, es sich jedoch nicht leisten konnte hier einzukaufen? „Ich weiß nicht.“ Die Stimme des Jüngeren war angenehm, war es immer schon gewesen, aber jetzt wo die Distanz zwischen ihnen so gering war, schlug sie noch intensiver auf ihn ein. Mit jeder Silbe spürte er, wie seine Sorgen kleiner wurden. Es waren nicht die Worte. Auf unerklärliche Weise beruhigte ihn die pure Stimmfarbe. Eine angenehme Gänsehaut stieg in ihm auf, als Katsumi sanft den Revers umfasste und prüfend darüber strich. Der Schwarzhaarige war ihm nahe. Deutlich konnte er die Wärme der Finger spüren, als diese scheinbar zufällig die freie Hautpartie seines Schlüsselbeins berührten. Beruhigend, fast schon entschuldigend. „Nein.“ Federleicht streiften die schmalen Finger vom Kragen zu den Knöpfen, ohne den Kontakt zu lösen. Der Hatake war unfähig etwas zu erwidern, hoffte nur inständig, dass seine unbeteiligte Fassade weiter hielt. Denn ihm wurde warm. Mit jedem Knopf, den der Grauäugige öffnete, mit jedem Millimeter, den sich seine Finger unter den Mantel schlichen, um ihm diesen von seinen Schultern zu streifen, wurde ihm wärmer. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er zu erkennen, wie Katsumi lautlos die Worte >Gott sei Dank< formte. Sicher war er sich jedoch nicht, vielleicht schlug ihm seine Wahrnehmung auch einfach nur ein Schnippchen. „Nein“, wiederholte sein Gegenüber flüsternd, „Kein Verkleiden.“ Damit verschwand das Kleidungsstück von seinem Körper und der Schwarzhaarige trat zurück. Kakashi nutzte den Moment, in dem sich seine Begleitung der Verkäuferin zuwandte, um sich selbst zu sammeln. Schwerfällig unterdrückte er den Impuls sich seine schwitzenden Handflächen an seiner dunklen Jeans abzuwischen. Was war nur los mit ihm? Kein Verkleiden. Was hatte das zu bedeuten? War sein innerer Disput so offensichtlich gewesen? Aus dem Augenwinkel betrachtete er die Verkäuferin. Es schien sie zu wundern, dass der Mantel nicht in seinen Besitz überzugehen schien. Also bezweifelte der Polizist, dass die Frau etwas bemerkt hatte. Katsumi hatte im Café bewiesen, dass er eine fast schon unheimliche Fähigkeit hatte Menschen zu analysieren. Aber Kakashi war kein Anfänger. Er verdiente sein Geld damit, anderen Menschen etwas vorzuspielen. Der Hatake war immer jemand anderes, bei jedem Einsatz. Von Banker, über Künstler, bis hin zum reichen Selfmade-Millionär – alles war dabei gewesen. Er verkaufte eine Rolle, jedes Mal wenn Kakashi seinem Job nachging. Kurz stutzte er. Im Grunde genommen war er keinen Deut besser als all die Nut-, nein! Kakashi weigerte sich selbst diesen Gedanken zu Ende zu führen, als sein Blick auf den Jüngeren fiel, der sich immer noch mit der Verkäuferin auseinandersetzte. Katsumi war anders und er weigerte sich aus tiefstem Herzen, diesen abfälligen Begriff bei ihm zu gebrauchen. Der Schwarzhaarige hatte es nicht verdient in diese Schublade gesteckt zu werden. „Ich hätte dich ausreden lassen sollen“, wurde er wieder ins Hier und Jetzt befördert. Kakashi stand allein mit dem Grauäugigen im vorderen Verkaufsbereich, von der Frau keine Spur. Dankend nahm er seine Jacke entgegen. „Lass uns einfach gehen.“ Ohne Umschweife ging der Hatake zum Ausgang und kaum hatten sie die Tür passiert, fühlte er sich deutlich wohler. „Entschuldige.“ Reuevoll blickten die grauen Iriden ihm entgegen. „Schon in Ordnung. Ich mag solche Geschäfte nur nicht. “ Und das war nicht einmal gelogen. Fernab von der Tatsache, dass er sich höchstens einen Schal in dem Laden hätte leisten können, war Kakashi kein Markenmensch. „Ich eigentlich auch nicht“, seufzte der Schwarzhaarige, „Ich meine, Qualität ist schön und gut, aber für einen Markennamen? Hast du den Preis gesehen? Davon könnte man einen ganzen Monat leben.“ Kakashi Gesichtszüge entglitten ihm, das spürte er. Ob es mehr an der Tatsache lag, dass ihn Katsumis Einstellung überraschte oder der Schwarzhaarige ihn trotz dieser Einstellung da reingeschleift hatte, war jetzt die große Frage. Und anstelle, dass der Jüngere ansetzte sich zu erklären, lachte er nur vergnügt auf. „Na los, lass uns weitergehen. Und keine überteuerte Mode mehr, versprochen.“ ~ Der Schwarzhaarige war eine sehr angenehme Begleitung. Nicht zuletzt, weil er Wort gehalten hatte und sie sich bei Kleidung auf die Schaufenster beschränkten. Der Jüngere ließ dem entspannten Schweigen zwischen ihnen Raum. Nur ab und an brach er das Schweigen, um über die Angebote im Schaufenster zu plaudern. Es waren oft nur wenige Worte und doch konnte der Hatake sich ein immer besseres Bild von dem Jungen neben sich machen. Katsumi war kein typischer Konsument. Er interessierte sich nicht für die überteuerte Kleidung der zahlreichen Luxusmarken, hatte sogar angemerkt, dass es ihm unverständlich war, warum man für einen Namen auf dem Etikett so viel bezahlte. Was den Jüngeren aber wirklich zu interessieren schien, das waren Bücher. Aus dem Augenwinkel erhaschte Kakashi oft, wie der Blick des Jüngeren an der Literatur der Buchhandlungen hängen blieb. Keine Elektronik, keine Markenkleidung, sondern einfach nur Bücher. Er hatte eher mit einem verwöhnten Jungen gerechnet, der seinen Berufsstatus in sein Privatleben übertrug. Jemanden, der es laut mochte, bunt und luxuriös. Der Hatake war sich sogar sicher gewesen. Zumal er davon überzeugt war, dass Katsumi weit mehr als nur einen Hungerlohn bekam. Unweigerlich kam ihn die Szene mit Madara in den Sinn. Wie dieser widerliche Bastard es tatsächlich gewagt hatte anzügliche Anspielungen zu machen. Was ihm jedoch wirklich die Galle in die Kehle trieb war der Kuss. Es war dunkel gewesen und die spärliche Beleuchtung hatte nur etwas mehr als Schemen erkennen lassen. Trotzdem bestand kein Zweifel. Sie hatten sich geküsst. Nein! Katsumi hatte Madara geküsst. Ein Bild, welches er auch jetzt – knapp zwei Monate später – nicht aus seinem Kopf bekam. Es war irrelevant, aus welchen Grund der Grauäugige das getan hatte, aber... Verdammt, es wurmte ihn wirklich. Diese Ungewissheit, was genau zwischen den beiden lief. Der daraufhin resignierte Seufzer seinerseits endete in einem Laut der Verblüffung, als der Ellenbogen des Jüngeren ihn traf. „Keine Arbeit, Kakashi“, wurde er mit einem milden Lächeln ermahnt. Es war immer noch seltsam, mit dem sogenannten Goldstück des Himitsu durch die Straßen zu laufen, aber je länger er ihn beobachtete, desto deutlicher wurde dem Hatake, dass es ihm Spaß machte. Es war schon eine Ewigkeit her, dass er einfach nur einen gemütlichen Schaufensterbummel gemacht hatte. Damals war er mit Itachi unterwegs gewesen, kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Zwischen ihnen hatte auch ein angenehmes Schweigen geherrscht. Eine Gemeinsamkeit, welche Kakashi sanft seine Mundwinkel heben ließ. Ein Lächeln, das zu einem Schmunzeln wurde, als Katsumi immer langsamer wurde und schlussendlich stehen blieb. Interessiert fokussierte der Schwarzhaarige ein ziemlich alt wirkendes Buch im Schaufenster. So gebannt, dass dessen Nasenspitze beinahe das kühle Glas berührte. Es war wunderbar, riss ihn selbst ein Stück weit mit. Ohne groß nachzudenken tippte er seiner Begleitung auf die Schulter und deutete an, ihm in das Innere zu folgen. Kurz kündete die Glocke über dem Eingang ihre Ankunft an. Es war ein kleiner Laden, keiner von diesen großen Ketten, die mit modernem Ambiente die Kunden lockten. Die Regale waren schon etwas abgenutzt, aber genau das war es, was dem Ganzen einen gewissen Charme verlieh. Ebenso wie die kleinen Bücherstapel, die hier und da verteilt lagen. Genau einer dieser Stapel wurde nun auf dem schmalen Kassentresen abgestellt und gab den Blick auf den wahrscheinlichen Eigentümer frei. Er war schon etwas in die Jahre gekommen und die feinen Lachfältchen um seine Augen verliehen ihm eine freundliche Ausstrahlung. Trotzdem ließ ihm sein zerzaustes, weißes Haar kauzig wirken. Eine wirklich seltsame Mischung. „Schön, dass du mal wieder vorbei schaust, mein Junge. Und wie ich sehe, bist du sogar in Begleitung.“ Kurz blinzelte Kakashi, eher er seinen Blick von Katsumi zu dem alten Mann schweifen ließ. Anscheinend kannten sie sich. „Eigentlich wollte ich schon viel früher reinschauen, aber du weißt ja wie das ist, Jiraiya“ „Wohl wahr.“ Zusätzlich zu seiner Zustimmung verzog der Langhaarige resigniert das Gesicht. Der Hatake hielt sich zurück, ging sogar etwas auf Abstand, um den beiden mehr Raum zu geben. Geduldig ging er die hohen Regale ab, sah sich die unterschiedlichen Buchrücken genau an, ohne seine Aufmerksamkeit ganz der Konversation abzuwenden. Sie unterhielten sich zum größten Teil über einen sogenannten Naruto. Dieser schien bei dem alten Mann zu wohnen und einige Probleme in der Schule gehabt zu haben. Die ganze Szenerie wirkte so unheimlich normal und als zur Sprache kam, dass ihre gemeinsamen Lernnachmittage etwas gebracht hatten, konnte er spüren, wie sich Erleichterung in ihm breit machte. Also war dem Schwarzhaarigen die Schulbildung nicht fremd. Im Gegenteil. So wie Jiraiya von ihm schwärmte, schien der Jüngere ein kleines Genie zu sein. Sofort gingen dem Polizisten unheimlich viele Fragen durch den Kopf. Ging Katsumi wirklich zur Schule oder hatte er einen Privatlehrer? Waren er und dieser Naruto Freunde? Und wenn ja, wusste er dann von dem Gewerbe, dem der Grauäugige nachging? Fragen über Fragen. Und keine davon stellte er. Zu sehr mochte er das lockere Geplauder, in dem er selbst kein Stück involviert war. Das typische Geräusch einer aufspringenden Kasse lenkte sein Augenmerk wieder zu den beiden. Katsumi war gerade dabei sein Wechselgeld einzupacken und eine kleine Tüte entgegenzunehmen. Der Hatake hatte gar nicht mitbekommen, dass Katsumi sich für ein Buch entschieden hatte, doch der leere Platz im Schaufenster ließ ihn nicht lange im Unklaren darüber, um welche Errungenschaft es sich dabei handelte. Zumal die Freude sich deutlich auf den feinen Gesichtszügen abbildete. So frei, dass er sich selbst dafür erwärmte. Die Verabschiedung fiel kurz aus und während der Schwarzhaarige ein paar freundliche Worte übrig hatte, beschränkte er sich auf ein kurzes Kopfnicken, ehe die kühle Außenluft ihn dazu brachte seine Hände in den Jackentaschen zu vergraben. „Und was machen wir jetzt?“ „Jetzt gehen wir auf das Fest.“ Kakashi hasste diese organisierten Versammlungen von Vergnügungen, aber das spitzbübische Grinsen des Jüngeren lenkte ihn davon ab. Schon komisch, dass er sich noch vor einigen Stunden gefragt hatte, wie er mit dem 17-Jährigen umgehen sollte. Seine Gedanken hatten sich um nichts anderes gedreht. Dabei war es herrlich unkompliziert. Keine Strategien, kein Vorausplanen, einfach nur die Dinge auf sich zukommen lassen. Still notierte der Polizist sich diese Methode öfter anzuwenden, denn es fühlte sich gut an nicht zwanghaft die Kontrolle haben zu müssen. Kapitel 12: Wolkenbruch ----------------------- Vier Stunden, das war der Zeitraum. Gefühlte neunzigtausend Kilometer, das war die Strecke. Sie waren seit vier Stunden unterwegs und auch wenn die Strecke wohl etwas übertrieben geschätzt war, fühlte es sich so an, als hätte er sie tatsächlich zurückgelegt. Schon nach den ersten sechs Schritten hatte Kakashi aufgegeben zu zählen, wie oft er bereits angerempelt worden war. Er mochte solche Veranstaltungen nicht und bei Gott, er würde sie auch ganz gewiss nie zu schätzen lernen. Es war laut, eng und der Geruch der ganzen Essensstände vermischte sich zu einer einzigen, nicht auszublendenden Duftnote – Bratenfett. Und trotzdem war er hier, umgeben von Komponenten, die er allesamt nicht mochte, weil er zu seinem Wort stand. „Erinnere mich doch bitte beim nächsten Mal daran, keine Kompromisse mit dir zu schließen.“ Der Grauhaarige musste fast schon schreien, um sich über die anderen Stimmen hinwegzusetzen. Ein weiterer Umstand, den er nicht wirklich guthieß. „So schlimm ist es doch gar nicht“, erwiderte seine Begleitung schlicht, während er ihn über die Schulter hinweg ansah. Dezent genervt schnalzte Kakashi mit der Zunge und entlockte dem Schwarzhaarigen mit seinem Augenrollen lediglich ein hämisches Lächeln, mit dem dieser sich auch schon wieder dem Sortiment der kleinen Verkaufsbude widmete. Langsam aber sicher glaubte der Hatake wirklich, dass die gute Laune des Jüngeren sich lediglich auf sein Leid bezog. Wirklich, das musste es sein, denn die kleinen Talismane für Glück, Liebe und Zufriedenheit konnten unmöglich als Auslöser dienen. Aber gut, wahrscheinlich war das seine gerechte Strafe. Kakashi hatte in dem Café zu hoch gepokert. Dennoch hätte es ihm eindeutig besser gefallen den Jüngeren dabei zu beobachten, wie dieser ihn in eine Konversation verstrickte, um davon abzulenken, dass er nur lustlos in seiner Süßspeise stocherte. Schadenfroh hoben sich seine Mundwinkel. Das würde ihn in der Tat mehr amüsieren. Worüber hätten sie sich wohl unterhalten? Hätte Kakashi ihn getriezt? Wahrscheinlich. Trotzdem hätten sie auch miteinander geredet und der Grauhaarige hätte ihn so viele Dinge gefragt. Fragen über seine Interessen, vielleicht über sein bisheriges Leben. Hätte Katsumi sie wohl beantwortet und selbst Fragen gestellt? Wahrscheinlich. Vielleicht auch mit einem genervten Ausdruck auf dem Gesicht, weil Kakashi ihn immer wieder dezent darauf aufmerksam gemacht hätte, dass stochern nicht als essen galt. Deutlich konnte er sich alles vorstellen. Besonders wie der Schwarzhaarige daraufhin fast schon aus Trotz einen Bissen nehmen würde, wie sich dessen Unmut einzig und allein daran zeigen würde, dass seine feinen Lippen sich dezent kräuselten. Nur die Lippen, weiche, perfekte Lippen. Lippen, die kurz darauf ein verschlagenes Lächeln bildeten, weil Kakashi sie zu offensichtlich anstarrte. Lippen, die mit dem scheppernden Beiklang von zerschlagenden Porzellan, auf seinen eigenen landeten. Hart, fordernd. Schmale Finger, die sich in seine Haare gruben, während der Jüngere langsam auf seinem Schoß Platz nahm. Immer näher, immer fordernder, bis alle seine Sinne nur noch- „Hallo?“ Eklatant holte der Jüngere ihn zurück ins Hier und Jetzt. Der Hatake musste kurz blinzeln, um dem Schleier über seinen Augen zu entkommen und den fließenden Schatten der winkenden Hand des Schwarzhaarigen zuzuordnen. „Alles okay bei dir?“ „Was?“ Ziemlich unelegant entwich Kakashi die Frage. Eine, die sich eindeutig nicht auf die Realität bezog. Hart drang nun auch wieder die Geräuschkulisse zu ihm durch. Was bitte war da gerade passiert? „Kakashi?“ Wie von selbst wanderte sein Blick zu dem Mund seines Gegenüber. “Essen! Wir sollten etwas essen. Etwas Herzhaftes. Definitiv etwas Herzhaftes.“ Impulsiv überging der Hatake den fragenden Unterton des anderen, indem seine eigenen Worte wie ein Wasserfall aus ihm herausbrachen. „Okay. Ich kenne ein wirklich gutes Restaurant ganz-“ „Nein!“ Hektisch unterbrach der Hatake den Schwarzhaarigen. Auf gar keinen Fall wollte er jetzt etwas aus Porzellan in seiner Nähe... oder dämmriges Licht. Noch immer klammerte sich ein kleiner Teil des Hirngenspins an ihm fest und auch wenn der Schwarzhaarige unmöglich wissen konnte was sich in Kakashis Kopf abgespielt hatte, so war der Polizist dennoch nervös. „Geht’s dir wirklich gut?“ Ganz sicher nicht. Noch immer war Kakashi damit beschäftigt die eben abgespielten Bilder zu verbannen. „Ja?“ Dass seine Antwort daher wie eine Frage klang, war nebensächlich. Wenn er Glück hatte, würde sein Gegenüber diese als rhetorisch auffassen. „Du wirkst ziemlich durcheinander.“ Irritation wechselte zu Argwohn. Er musste sich beruhigen, auch wenn sein Herz wie verrückt gegen seinen Brustkorb hämmerte. „Nein, nein, ich hab nur... Lass uns da was essen gehen.“ Ohne wirklich darauf zu achten was es dort gab, deutete der Grauhaarige auf einen Essensstand weiter hinten, fast schon abseits des eigentlichen Gewusels. Noch einmal traf ihn der skeptische Blick des Jüngeren, ehe dieser sich endlich von ihm abwandte und in die eben gezeigte Richtung ging. Schweigsam folgte der Hatake ihm und plötzlich störten ihn die unzähligen Rempeleien auch nicht mehr, im Gegenteil. Bei jeder Kollision rückte sein Tagtraum mehr in den Hintergrund. Wenigstens etwas. „Du magst also Karē-Pan?“ „Was?“ „Karē-Pan. Das, was man hier kaufen kann. Brötchen, mit Curry gefüllt und frittiert.“ Unterstützend zeigte Katsumi auf das Schild, welches am Stand angebracht war und die Speise anpries. Oh ja, Essen. Eigentlich war er kein großer Freund von Speisen, die in Fett gebacken wurden, aber jetzt, wo sie schon in der Schlange standen, konnte er das schlecht zugeben. Zumal er selbst darauf bestanden hatte hierher zu gehen. „Ja?“ Warum bitte war der einzige Tonfall, den er momentan zu Stande brachte, fragend? Innerlich schlug er sich für diesen Umstand, während die kleine, sarkastische Stimme in seinem Kopf ihn dafür lobte, wie unauffällig er sich momentan verhielt. Ganz normal, kein Stück verrückt. „-anders.“ Oder gar unaufmerksam. „Was?“ Sofort lag seine Aufmerksamkeit wieder auf dem Jüngeren. Besser gesagt, auf dessen Mimik. Einer interessanten Mischung aus Besorgnis und Ist das dein Ernst?. Immer wieder zuckten die Mundwinkel seiner Begleitung auf und für einen kurzen Moment glaubte der Hatake wirklich, dass er gleich die Meinung gesagt bekam oder schlimmer – einfach stehen gelassen würde. Eigentlich rechnete er mit allen Eventualitäten, dachte er zumindest, denn die Realität verwirrte ihn dann doch. Der Junge neben ihm fing tatsächlich an zu lachen. „Dein Gesicht.“ Die sonst melodische, volle Stimme wirkte dünn, wurde beinahe vollständig von dem Laut der Belustigung erstickt „Oh Gott, wie ein verschrecktes Tier.“ Der herzhafte Ton ebbte kein Stück ab und mittlerweile musste sich der Schwarzhaarige sogar Lachtränen aus den Augenwinkeln wischen. Ein schöner Beweis dafür, wie ungezwungen Katsumi sich in seiner Gegenwart fühlte. Wirklich. Und wenn Kakashi sich nicht so überfordert fühlen würde, könnte er das bestimmt auch würdigen. „Machst du dich gerade über mich lustig?“ Mit entgeisterter Irritation beäugte der Hatake die vor Frohsinn schon leicht gebückte Gestalt neben sich, welche schwer atmend um Fassung rang. Ein tiefer Atemzug und noch einer. Dann hatte der Jüngere sich weitestgehend wieder gefangen. Zumindest lange genug um zu antworten, dass er nur mit Kakashi lachte. Dann war es auch schon wieder vorbei mit der Beherrschung. Das Schlimmste daran war jedoch, dass es ansteckend war. Ohne, dass der Polizist es wirklich verhindern konnte, begann er selbst leise in sich hinein zu lachen. Amüsiert verdrehte er die Augen, als er sich wieder der Warteschlange zudrehte. ~ Skeptisch beäugte er die goldgelbe Backware zwischen seinen Fingern. Sie hatten noch eine ganze Weile anstehen müssen, aber jetzt bei genauerer Betrachtung war sich Kakashi nicht sicher, ob sich die Warterei auch wirklich gelohnt hatte. Zumindest hatten sie die Feststraße verlassen, einerseits um in Ruhe essen zu können und andererseits, weil sie tatsächlich schon fast am Ende des Festes angelangt waren. Auch wenn Kakashi es gewohnt war längere Strecken zu Fuß abzugehen, dankten seine Füße Katsumi dafür, dass dieser auf die letzten Meter verzichtete. Stattdessen saßen sie nun also hier in einer kleinen Grünanlage, keine zehn Minuten vom festlichen Geschehen entfernt. Noch nie hatte sich der Hatake so darüber gefreut zu sitzen, auch wenn es sich dabei um eine recht harte Bank handelte. Mit verhaltendem Eifer biss er von seinem Brötchen ab. Angenehm überrascht weiteten sich seine Augen etwas. Es schmeckte wirklich gut. Vergnügt nahm er einen weiteren, größeren Bissen. Überraschend gut sogar. „Bei der Reaktion könnte man meinen, dass du das zum ersten Mal isst.“ Belustigt funkelten ihm die grauen Augen entgegen. „Um ehrlich zu sein, tue ich das auch.“ Stets darauf bedacht das warme Brötchen nicht zu verlieren, nahm der Polizist die selbe Position ein wie der Schwarzhaarige. Den Rücken leicht gegen die Armstütze gelehnt und ein Bein wie im Schneidersitz angezogen, während das andere weiter auf dem Boden verweilte. „Und es ist gar nicht mal so übel, auch wenn ich Frittiertes nicht so mag.“ Bekräftigend nahm er einen weiteren, herzhaften Bissen. Und dann war es wieder da, das ansteckende Lachen. Diesmal nicht so laut und impulsiv, sondern sanfter und wenn er sich nicht täuschte, auch etwas fassungslos. „Also hast du mich dahin geschleift, obwohl das eigentlich nicht dein Geschmack ist?“ Nun war es an dem Grauhaarigen verschlagen die Mundwinkel zu verziehen. „Tja, ich hab´s mit Essen, andere haben dieses Phänomen mit irrwitzig teurer Kleidung...“ Absichtlich ließ er den Satz offen ausklingen. Das Erlebnis mit dem Mantel würde er so schnell nicht fallen lassen. Besonders weil es den Anschein machte, als könne er den Jugendlichen damit wirklich aufziehen. Ertappt verzog dieser den Mund. „Touché.“ Damit war das Gespräch beendet. Schweigsam aßen sie weiter, verputzten ihr Karē-Pan restlos und gaben sich der kühlen Spätabendluft hin. Es war wirklich kalt, aber obwohl jeder von ihnen sich tief in seiner Jacke vergrub, machte keiner die Anstalten ihr Treffen aufzulösen. Kakashi konnte zwar nur für sich sprechen, aber er genoss es. Die Nähe des anderen war noch immer sehr angenehm. Ja, geradezu entspannend und dieses Gefühl wollte er wirklich ausnutzen – bis zur letzten Sekunde. Ungezwungen lehnte er sich stärker gegen die Armstütze und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. Von dem klaren Nachthimmel war nichts mehr zu sehen. Dicke, graue Wolken schirmten die Troposphäre vollkommen ab. Ihn störte das allerdings nicht, er schloss einfach die Augen und genoss die Stille. „Sind freie Tage immer noch so schlimm?“ Kurz löste er seine Position, um Katsumi ansehen zu können. „Ich denke, dass sie mit dir okay sind.“ Es war Kakashi egal wie kitschig dieser Satz klang oder wie dümmlich sein eigenes Lächeln gerade wirken musste. Alles, was zählte, war, dass der Schwarzhaarige es erwiderte. Auf seine Art. Nicht übertrieben aufgesetzt, sondern aufrichtig und unbefangen. Einfach schön. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt um Fragen zu stellen. Fragen über ihn, der Person hinter Katsumi. Über den Jungen, mit dem er heute den Tag verbracht hatte. Fragen, deren Antworten er allesamt aufsaugen würde. Einfach, weil ihn dieser Junge so viel mehr faszinierte, als Katsumi es je getan hatte. Kakashi wollte ihn wirklich fragen, aber ein feuchter, kalter Tropfen auf seiner Nase unterbrach ihn. Irritiert blinzelte er kurz, bevor ihm klar wurde, dass es jetzt tatsächlich anfing zu regnen. „Wundervoll.“ Der Polizist war wirklich genervt. Erst hatte er eine unangenehme Anprobe über sich ergehen lassen müssen, dann hatte er sich durch das Fest gekämpft und jetzt das. Eigentlich war er nicht nur genervt, sondern auch wütend, besonders weil der Niederschlag immer mehr wurde. Noch bevor er sich weiter darüber aufregen konnte, wurde er an der Hand gepackt und mit einem lauten „Komm“ einfach mitgezogen. Schon bald wurde aus den paar Tropfen ein richtiger Schauer und seine Kleidung klebte unangenehm an seiner Haut. Noch immer rannten sie durch die Straßen, als wären sie auf der Flucht, versuchten zumindest unter den schmalen Vordächern der Häuser und Geschäften etwas Schutz zu finden und während der ganzen Zeit ließ der 17-Jährige ihn nicht los. Immer weiter zog er den Hatake mit sich. Breite Straßen, schmale Straßen, kleine Fußwege zwischen einzelnen Hochhäusern. In unterschiedlichsten Reihenfolgen durchstreiften sie diese Pfade. Der Regen prasselte laut und verschluckte ihre Schritte mühelos, ebenso wie das Geräusch ihres eifrigen Luftholens. Ein weißer Nebel war alles, was sich von ihrem Atem abzeichnete. Kakashi hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber das war nicht von Bedeutung. Viel wichtiger war der Moment an sich. Seit einer Ewigkeit hatte der Hatake sich nicht mehr so gefühlt. Da war nichts in seinem Gedanken, keine Erwartungen, keine Ansprüche, denen er gerecht werden musste und keine Verpflichtungen. Ganz egal wie verrückt es auch klingen mochte, Kakashi fühlte sich einfach nur völlig frei. Frei und voller Adrenalin. Unzählige Passanten sahen ihnen nach, als sie an ihnen vorbei rauschten. Klitschnass und, zumindest was ihn betraf, mit einem breitem Lächeln im Gesicht. Er hoffte wirklich, dass ihr Weg noch andauerte, denn im Moment wollte er einfach nur weiter laufen. Egal wohin, Hauptsache die Hand in seiner würde nicht verschwinden. Tatsächlich waren sie noch eine ganze Weile durch Chūō gehastet, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her, aber schlussendlich kamen sie doch irgendwann schwer atmend zum Stehen. Es war wirklich nicht so, dass es um Kakashis Fitness schlecht stand, aber der Grauhaarige hatte Mühe seine Atmung zu beruhigen. Glücklicherweise erging es dem Schwarzhaarigen nicht anders. Dadurch fühlte er sich nicht ganz so kläglich. Gedanklich nahm der Polizist sich vor bedeutend öfter als einmal in der Woche im Sportbereich des Präsidiums vorbeizuschauen. Für Außenstehende war dieses Bild bestimmt amüsant. Zwei Männer, völlkommen durchnässt und völlig aus der Puste. „Und was machen wir jetzt?“ Ratlos sah er den Jüngeren an, der sich nebensächlich das nasse Haar aus dem Gesicht strich. „Abtrocknen.“ Mit Genugtuung registrierte er, dass der 17-Jährige noch immer nicht wieder ganz zu Atem gekommen war. Seine Freude verschwand jedoch schnell, als die Aussage wirklich zu ihm durchsickerte. Irritiert sah er sich das Gebäude an, vor dem sie nun standen. Dem wirklich einschüchternden Gebäude. Suchend wanderte sein Blick über die helle Fassade, um herauszufinden, wo genau sie sich gerade befanden und als er endlich die unscheinbar wirkende Tafel fand, wäre ihm beinahe der Mund aufgeklappt. Das war doch ein schlechter Scherz. „Kommst du? Keine Sorge, ich hab hier ein Zimmer.“ Geduldig hielt Katsumi ihm die hohe Glastür auf, während er selbst schon im Inneren des Gebäudes war und den Boden voll tropfte. Mit einem zögerlichen Nicken kam er der Aufforderung nach. Ihre Schritte hallten leise auf dem glänzenden Parkett des Empfangsbereichs wider. Einem wirklich großzügigen Bereich. Was nicht verwunderlich war, denn immerhin hatten sie gerade das MandarinOriental betreten. Eines, der wohl luxuriösesten Hotels in ganz Tokio. Karma war immer so eine Sache. Kakashi war sich nie wirklich sicher, ob es wirklich existierte, aber wenn das doch der Fall sein sollte, war er sich definitiv nicht sicher, ob seines nun gut oder schlecht war. Wie dem auch sei, zumindest war es hier bedeutend angenehmer und vor allem wärmer als draußen. Außerdem hätte Kakashi damit rechnen müssen, dass Katsumi nicht in irgendeiner billigen Absteige übernachtete, aber das hochwertige Ambiente stand im großen Kontrast zu den Eindrücken, die er heute über den Schwarzhaarigen gesammelt hatte. Ein Konflikt, der ihn nicht losließ, sich sogar noch verstärkte, als sie im Aufzug standen und die schmalen Finger den Knopf für die sechsunddreißigste Etage drückten. Wohnraum in Japan war knapp und teuer, deshalb baute man hier in die Höhe. Und je höher man war, desto tiefer musste man auch in die Tasche greifen. Mit einem leisen 'Pling' öffneten sich die Aufzugtüren wieder und sie traten in einen hellen Flur. Aus dem Augenwinkel erhaschte der Polizist noch einen kurzen Blick auf das seichte Lächeln des Jüngeren und dann setzten sie ihren Weg auch schon fort. Er kam sich seltsam dabei vor dem Schwarzhaarigen zu folgen und die Selbstsicherheit mit der dieser das Zimmer öffnete, ließ in ihm die Frage aufkeimen, wie oft Katsumi wohl schon in spezieller Begleitung hier genächtigt hatte. Eigentlich wollte er darüber nicht nachdenken, aber seine Gedanken kreisten wie von selbst darum. Kakashi hatte so viele Fragen, die nach einer Antwort schrien und sich immer weniger in den Hintergrund drängen ließen. Zumindest nicht durch bloße Willensstärke, aber kaum trat er in das Innere des Hotelzimmers, waren sie weg. Sein Kopf war leergefegt, als er das Appartement sah. Sie waren in einer Suite! Einer verdammten Suite mitten in Chūō, in der sechsunddreißigsten Etage eines verdammten Luxushotels. Er wollte wirklich nicht wissen, was diese Räumlichkeiten pro Nacht kosteten. „Alles in Ordnung?“ Besorgt musterten die dunklen Iriden ihn. Kakashi war unfähig Worte zu formulieren und so nickte er nur einmal kurz, ehe er sich an dem 17-Jährigen vorbeischob. “Geschäftstermin?“ - „Storniert“. Wie ein Stich fühlte sich dieser Erinnerungsfetzen an. Katsumi hatte von vornherein keinen Hehl daraus gemacht, warum er heute Zeit gehabt hatte. Aber auch, wenn Kakashi sich nun auf alles einen Reim bilden konnte – ihm wurde schlecht. Das war alles so unwirklich. Der glänzende Boden, die hochwertige Einrichtung und jetzt, wo er mitten im Wohnzimmer war, der freie Blick auf das Schlafzimmer, mit dem breite Doppelbett. Jedes kleinste Detail schrie ihm entgegen, dass der 17-Jährige ursprünglich nicht vorgehabt hatte mit ihm hier zu landen und das drehte ihm den Magen um. „Möchtest du duschen?“ Noch immer war Kakashi überfordert und hatte für den Schwarzhaarigen nur ein leichtes Kopfschütteln übrig, während sein Blick an der riesigen Fotografie über dem Sofa hängen blieb. Er war sich nicht einmal sicher, ob er sich überhaupt dazu überwinden konnte hier etwas anzufassen. Der Polizist musste schlucken. Er hatte wirklich gedacht, dass er sich heute Nachmittag in diesem Geschäft äußerst deplatziert gefühlt hatte, aber das hier stellte alles in den Schatten. Um Längen. „Du solltest zumindest aus den nassen Sachen raus. Hier, ich leg dir ein paar Sachen auf die Couch.“ Desorientiert blinzelte er kurz, ehe er von den weißen Stoffpäckchen zu Katsumi sah. Wann hatte der Jüngere denn Handtücher und Bügel geholt? „Ich bin im Badezimmer, lass dir ruhig Zeit.“ Damit verschwand der Schwarzhaarige auch schon und ließ ihn allein. Der Hatake hatte nicht einmal genug Zeit, um angemessen zu reagieren. Resigniert strich er sich über das Gesicht. Das alles hier war so gar nicht seine Welt. Aber war sie denn seine? Brauchte der Schwarzhaarige das hier alles? Wollte er das wirklich? Kakashi muss nicht einmal überlegen. Die Antwort war in beiden Fällen ein klares Nein. Und dann kam ihm ein weiterer Gedanke. Was, wenn der Jüngere sich genauso überfordert fühlte, wie er selbst? Naja, vielleicht nicht genauso. Mit Sicherheit wurde Katsumi öfter mit dieser Art von Ambiente konfrontiert. Der darauffolgende, freudlose Aufschrei wurde stark durch seine Hände gedämpft. Kakashi wollte nicht in dieser Form von dem Jungen denken, nicht heute. Fahrig strich er sich das graue Haar zurück. Er sollte sich wirklich besser zusammen nehmen und er würde gleich damit anfangen. Fast schon wütend zog er sich die nassen Sachen aus und griff nach einem der weichen Handtücher, um sich abzutrocknen. Der Hatake fühlte sich etwas verloren in dem großen Wohnzimmer und trotzdem hatte er nicht das geringste Bedürfnis den Raum zu wechseln. Immerhin hatte er sich dazu überwunden seine feuchten Klamotten auf die Bügel zu hängen und sich den schneeweißen Bademantel überzuziehen. Für ihn ein Erfolg. Dass es zum Teil auch daran lag, dass er Katsumi nicht nur in Unterwäsche gegenüberstehen wollte, blendete er jetzt einfach aus. Nur zu deutlich konnte der Polizist den Blick in seinem Rücken spüren, welcher ihn seinen Überwurf nicht einen Moment bereuen ließ. Der Schwarzhaarige stand schon seit einer Weile wieder im Türrahmen des Schlafzimmers, selbst in den weißen Stoff gehüllt. Aber er blieb still, gab Kakashi Zeit sich an die Umgebung zu gewöhnen und dafür war der Hatake ihm dankbar. Noch immer wühlte den Älteren sein momentaner Standort auf. Warum, wusste er selbst nicht genau. Tief atmete er durch, er musste sich einfach am Riemen reißen. Der heutige Tag war so alltäglich gewesen, so angenehm. Kakashi wollte einen passenden Abschluss. Einen, der zu der lockeren Atmosphäre zwischen ihnen passte und kein verklemmtes Verhalten. Kurz überlegte er, wie er am besten mit der Situation umgehen sollte. Doch ihm fiel nichts ein, bis er durch das bodentiefe Fenster sah. „Ich werde mich wohl nie daran satt sehen können.“ Kakashi hatte sein ganzes Leben in Tokio verbracht und trotzdem – das nächtliche Panorama fesselte ihn noch immer. Die strahlenden Lichter, die sich durch die Nacht schlugen, so beeindruckend, dass man sich selbst vergaß. Alles wirkte auf einmal so unbedeutend neben den meterhohen Gebäuden und den unendlichen Straßen, die alle in der Dunkelheit verschwanden und zu einem einzigen, funkelndem Teppich verschmolzen. „Es ist wirklich wunderschön“, pflichtete ihm der Schwarzhaarige bei. Kurz darauf erloschen die Lampen und er wurde sanft am Arm gepackt und mitgezogen. Sie steuerten direkt das Schlafzimmer an und kaum hatten sie die Türschwelle passiert, konnte der Grauhaarige nichts anderes fühlen als Leichtigkeit. Der Raum war großzügig geschnitten, aber das war nicht der Punkt. Die komplette Front gegenüber des Bettes war verglast. Von diesem Zimmer aus hatte man sogar freie Sicht auf die Bucht von Tokio. „Hilf mir mal“, wurde er aufgefordert und so schoben sie zu zweit das breite Sideboard mitsamt Fernseher beiseite, welches sich direkt gegenüber vom Bett befand. Weg aus ihrem Sichtfeld. Kein Geräusch erklang, als sie beide sich auf die weiche Matratze niederließen, die unzähligen Kissen als Stütze in ihrem Rücken und die Beine ausgestreckt. Nebeneinader, halb sitzend, halb liegend und nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Als einzige Lichtquelle, das schimmernde Tokio bei Nacht. Mit jedem Atemzug konnte Kakashi spüren, wie er sich mehr und mehr in der Skyline verlor. Ebenmäßige Atemzüge, fest und entspannt erfüllten das Zimmer. Jede Minute fühlte sich an wie eine kleine Ewigkeit, aber das spielte keine Rolle. „Das habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht.“ „Ich auch nicht“, gab er zu. In der Tat konnte er sich nicht an das letzte Mal erinnern und jetzt, wo ihm klar wurde, worauf er verzichtet hatte, bedauerte der Grauhaarige diesen Umstand zutiefst. „Danke, Kakashi.“ „Wofür?“ Fragend hob er eine seiner Augenbrauen, nahm den Blick jedoch nicht von der Aussicht. „Für einen ganz normalen Tag.“ Ein stilles Lächeln schlich sich auf Kakahis Lippen. Genau jetzt, genau hier war alles einfach wunderbar. Seit er dem Schwarzhaarigen begegnet war, überkam ihn öfter dieses Gefühl, doch das hier fühlte sich anders an als sonst. Viel wärmer. „Gern geschehen.“ Lange war es wieder still. Nur ihre Atemzüge erfüllten den Raum. Ihre Atmung und das unterschwellige Knistern, dass der Jüngere noch etwas zu sagen hatte. „Du hast mich heute nicht einmal 'Katsumi' genannt.“ Es war nur ein Flüstern, fast schon schüchtern. „Bist du das denn? Bist du heute 'Katsumi'?“ Eigentlich brauchte der Hatake keine Antwort darauf. Er hatte den Namen heute vermieden, weil es sich einfach falsch angefühlt hatte ihn so anzusprechen. Der Junge an seiner Seite war heute nur das gewesen – ein einfacher Junge. „Möchtest du, dass ich es bin?“ Die Bettwäsche raschelte dumpf, als der Jüngere seine Beine anzog. „Nein.“ Ohne groß darüber nachzudenken, überbrückte der Grauhaarige die Distanz zwischen ihren Händen und umfasste sanft die schmalen Finger mit seinen eigenen. Nicht einen Augenblick sah er den Schwarzhaarigen dabei ein, sondern fokussierte teilnahmslos eines der beleuchten Schiffe in der Bucht. „Bist du dir da sicher?“ „Absolut.“ „Du bist wirklich ein ziemlich komischer Kerl, Kakashi.“ „Ist das gut oder schlecht?“ „Das weiß ich noch nicht.“ Kakashi nahm seinen Blick nicht von der Skyline, nicht für einen Moment. Nicht einmal, als der Kopf des Schwarzhaarigen langsam auf seiner Schulter zum Liegen kam. Warm und schwer, ohne sich dabei falsch anzufühlen. Deutlich entspannte sich die Muskulatur des Älteren und wie von selbst verschwand auch der letzte Rest an Nervosität aus seinen Gliedern. „Sasuke“, die Stimme des Jungen klang schläfrig, „Eigentlich heiße ich Sasuke." Selbstsicher neigte Kakashi seinen Kopf zur Seite, bis seine Wange das weiche Haar des Jüngeren berührte. „Ein schöner Name.“ Entspannt atmete er den schwachen Duft von Sandelholz ein. Nein, keine Sekunde nahm der Grauhaarige den Blick vom Fenster. Viel zu sehr faszinierte ihn die entspannte Mimik des Jungen, dessen schlafendes Gesicht sich schwach im Glas spiegelte. „Gute Nacht, Sasuke.“ Kapitel 13: Frühstück --------------------- Unnachgiebig tänzelten die ersten Sonnenstrahlen über das Gesicht des Grauhaarigen. Ein kurzes Stirnrunzeln seinerseits, begleitet von einem verstimmten Brummen und dann vergrub Kakashi auch schon sein Gesicht tiefer in dem Kissen. Aber es half nichts, noch immer kitzelte das helle Licht seine Haut. Hartnäckig und einfach nur nervig. Mit einer ausladenden Geste zog er sich die Decke über den Kopf und war erst zufrieden, als jeder Millimeter von ihm unter dieser verschwunden war. Er wollte noch nicht aufstehen. Viel zu sehr genoss er die wohlige Wärme und seinen herrlich unkomplizierten Dämmerzustand. Es würde ihn mit Sicherheit nicht umbringen, sich diesem verlockenden Halbschlaf noch etwas hinzugeben, oder besser noch, einfach wieder einzuschlafen. Weiterschlafen, das klang in der Tat sehr gut. Am liebsten sofort und für den Rest des Tages. Immerhin hatte er eh nichts besseres zu tun – generell nichts zu tun. Weder heute, noch morgen oder gar übermorgen. Denn er war beurlaubt worden, mit sofortiger Wirkung und aus einem Grund heraus, der sicherlich existent war, sich ihm aber noch nicht so recht erschließen wollte. Während andere sicherlich die Zeit genutzt hätten, um halbwegs sinnvolle Dinge zu tun, vergrub er sich lieber tiefer in dem weichen Gebilde aus Baumwolle und Daunen. Ließ sich von dem frischen Duft einhüllen – frisch und irgendwie anders, aber doch vertraut. Seltsam, Kakashi konnte diese unterschwellige Duftkomponente beim besten Willen nicht benennen, aber sie beruhigte ihn. Immer flacher wurde seine Atmung und er verlor sich immer mehr in der Stille, war dabei wieder einschlafen. Bis sein Handy anfing zu klingeln. Der Grauhaarige versuchte wirklich das störende Gedudel zu ignorieren, aber als es nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht aufhören wollte, wurde es ihm zu bunt. Genervt schlug er die Decke beiseite und stand auf, lauschte einen kurzen Moment und folgte dann dem Klingeln ins Wohnzimmer. Unzufrieden fixierte er den Sessel und steuerte kurz darauf sein Handy an, welches auf dem Stapel seiner Kleidung thronte. Das verstimmte Grummeln des Polizisten ging in ein kurzes Fluchen über, als er mit mit seinem Zeh am Tischbein hängen blieb. Perfekt, einfach perfekt, schoss es ihm sarkastisch durch den Kopf. „Was?“ Kakashi strengte sich nicht einmal an den genervt wütenden Tonfall für den Störenfried zu unterdrücken. Aber schnell wurde ihm der Wind aus den Segeln genommen. „Ist das dein verdammter Ernst?“ Es war Itachi, ein ziemlich kühler Itachi um genau zu sein. Kakashi kannte den Langhaarigen gut genug um sagen zu können, dass je kälter seine Stimme klang, desto größer seine Wut war. Und verdammt, der Grauhaarige bekam fast eine Gänsehaut. „Was ist mein Ernst?“, versuchte er den Unmut seines Freundes abzuwenden. „Kakashi, ich warne dich.“ Kurz fuhr er sich über das Gesicht. Ein wütender Itachi war so ziemlich das letzte, was er kurz nach dem Aufstehen haben wollte – allgemein haben wollte. Er musste Schadensbegrenzung betreiben. „Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich nehme mir nie Urlaub, das weißt du“, wehrte der Hatake ab. „Wie lange?“ Erleichtert stellte der Grauhaarige fest, dass Itachis Stimme nicht mehr ganz so frostig klang. „Eine Woche. Ich soll erst herausfinden, ob ich bereit bin zu investieren.“ Ein fast schon fassungsloses Schnaufen war am anderen Ende der Leitung zu hören und das unterstützte er. Ihm war auch unklar, warum Pain das von ihm verlangte. Immerhin lebte er für seinen Job, machte unzählige Überstunden und er war es auch, der den Bauplan besorgt hatte. Zugegeben, ohne Anko wäre er nicht einmal in die Nähe von Madaras Büro gekommen, aber trotzdem, wie viel mehr sollte Kakashi denn noch investieren? Aber nun gut, er hatte sich vorgenommen das Ganze nicht allzu schwarz zu sehen und sich auf dieses Urlaubsding einzulassen. Resigniert strich er sich durch das graue Haar, lenkte dem Uchiha gegenüber ein: „Vielleicht ist es gar nicht so übel.“ „Wie bitte?“ Da war er wieder, der kalte, einschneidende Tonfall. „Etwas Abstand zu den Dingen gewinnen.“ Ziellos ließ er seinen Blick streifen. Über das imposante Glasbild, die elegante Ledergarnitur und schlussendlich seine fein säuberlich gefaltete Kleidung. Hatte er die gestern nicht nur auf Bügel gehangen? „Schön, dass du entspannst, während ich deine Arbeit miterledigen darf“, holte Itachi ihn aus seinem Gedankengang. Ein schelmisches Lächeln trat auf die Lippen des Hatake und seine Tonlage wechselte in eine neckende Sequenz. „Ich vermisse dich auch schon, Schatz.“ „Idiot“, verkündete der Langhaarige, aber Kakashi konnte deutlich den belustigten Unterton heraushören. Wenigstens etwas. Langsam begann er sich um seine eigene Achse zu drehen und das Hotelzimmer bei Tageslicht auf sich wirken zu lassen. Noch immer war das hier nicht seine Welt, aber es wirkte nicht mehr so erschlagend auf ihn. Und ernsthaft, es hätte ihn schlimmer treffen können. Aber seine Erleichterung hielt nur sehr kurz, ebenso wie das Grinsen. Abrupt fror er in seiner Bewegung ein. Er hätte liegen bleiben sollen, definitiv. „Ich ... ruf dich später noch einmal an.“ Ohne seinem besten Freund die Chance zum Protest zu geben, legte der Hatake auf. Unschlüssig stand er nun im Wohnzimmer und sah auf die kleine Empore, die als Essbereich ausgeschmückt war. Der Tisch war gedeckt und an ihm saß kein geringerer als Sasuke. Ein ziemlich belustigt wirkender Sasuke. Was ihn aber wirklich stocken ließ, war, wie perfekt der Schwarzhaarige in diese exquisite Umgebung passte. Er sah aus wie ein verdammtes Katalogmodel. Wer sah bitte am Morgen schon so ... gut aus? „Guten Morgen, Kakashi. Wie geht es deinem Fuß?“ Kurz räusperte der Grauhaarige sich und unterdrückte den unbändigen Drang an seinem Bademantel zu zupfen. „Guten Morgen. Es geht schon wieder, danke der Nachfrage.“ Die Atmosphäre war seltsam, nicht auf verkrampfte Art, sondern nun ja, so seltsam wie es nun mal war vor einem eigentlich Fremden im Bademantel zu stehen. Wobei fremd nicht wirklich zutraf. Sie waren sich gestern näher gekommen und hatten auf eigentümliche Weise einen intimen Moment genossen. Aber war 'intim' wirklich die richtige Wortwahl? Noch einmal zog der gestrige Abend an ihm vorbei. Der Moment im Schlafzimmer, ein Moment der so viel Bedeutung gehabt hatte. Bedeutung für ihn. Und auch, wenn der ganze Tag ein einziges Auf und Ab für den Polizisten gewesen war, schien das einzige, was wirklich hängen geblieben war, das schlafende Gesicht des Jüngeren zu sein. Sasuke hatte so friedlich ausgesehen. Sasuke ... Tief holte Kakashi Luft, er wollte nicht länger wie angewurzelt im Raum stehen. „Rieche ich da Kaffee?“, versuchte er das befremdliche Gefühl in seinen Gliedern zu überspielen. „Möchtest du einen?“ „Auf jeden Fall.“ Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich zu dem Schwarzhaarigen an den Tisch, nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie dieser dazu ansetzte ihm einzuschenken und überflog die zahlreichen Köstlichkeiten. „Ich wusste nicht genau, worauf du Hunger hast, also ...“ - “Hast du du einfach alles bestellt“, vollendete der Grauhaarige den Satz. Eigentlich hatte er vorgehabt es wie eine Frage klingen zu lassen, aber bei der Auswahl an Speisen war ihm das einfach nicht möglich. Es gab einfach alles. Von traditioneller Miso-Suppe und Reis, bis hin zur westlichen Variante mit Brötchen und Butter. „Das ist wirklich nett, aber ich frühstücke nicht.“ „Nie?“, hakte der Jüngere nach. „Nein.“ „Ach so.“ Ehe der Grauhaarige auch nur die Chance hatte zu reagieren, stellte Sasuke die Kanne beiseite und griff danach wie selbstverständlich zur eben gefüllten Tasse, um sie weit von Kakashi entfernt zu platzieren. „Was?“, entfuhr es dem Polizisten irritiert. „Du hast doch gesagt, du frühstückst nicht.“ „Aber Kaffee-“ „Ist kein Frühstück“, unterbrach der Schwarzhaarige ihn, während er in Seelenruhe eine Tomate kleinschnitt. „Trotzdem ist es ein Teil davon.“ „Ein Teil von etwas, was du nie tust.“ „Kaffee ist mein Frühstück.“ „Kaffee ist ein Teil vom Frühstück. Das hast du gerade selber gesagt. Ein Teil ist kein Ganzes, sondern, wie der Name schon sagt, nur ein Teil von etwas.“ Fassungslos sah er den Jungen an, das war ... was zur Hölle? „Das ist nicht verhandelbar.“ „Schön, dass wir uns da einig sind.“ Ohne ihn zu beachten griff der Schwarzhaarige nach seiner eigenen Kaffeetasse. Langsam aber sicher reichte es dem Hatake. Immer mehr verfiel er in den Gemütszustand, welchen er vor dem Telefonat mit dem Uchiha gehabt hatte. Niemand verbot ihm den Kaffee. Niemand. „Sasuke ...“ „Kakashi.“ Der Jüngere wollte also darüber diskutieren, bitte. Aber er sollte sich nachher nicht beschweren, denn die einzigen Kontroversen, die er jemals verloren hatte, waren die gegen Itachi gewesen. Tief holte er Luft. Er würde seinen Kaffee bekommen – nur Kaffee. Zehn Minuten später biss er in sein Brötchen. Wütend und, auch wenn er es nie zugeben würde, frustriert. Er hatte verloren. Kakashi hatte tatsächlich gegen einen 17-Jährigen verloren. „Guten Appetit.“ Mit einem amüsierten Lächeln reichte Sasuke ihm seinen Kaffee. Verstimmt grummelnd griff er nach dem feinen Porzellan und trank. Sofort legte sich sein Unmut. Verdammt, das war mit Abstand der beste Kaffee, den er je getrunken hatte. Dagegen wirkte die Plörre bei der Arbeit wie abgestandenes Abwasser. Genüsslich trank er noch einen Schluck, ehe er sich wieder seinem Brötchen widmete. Ob er wohl auch etwas von dem Rührei probieren sollte? Noch während er darüber nachdachte, wurde ihm die fokussierte Speise auch schon gereicht. Mit einem kurzen Nicken bedankte er sich bei Sasuke und schaufelte sich etwas zurückhaltend das Ei auf den Teller. Noch einmal kam ihm der Gedanke, dass es ihn schlimmer hätte treffen können – eindeutig schlimmer. „Im Bad liegen eine frische Zahnbürste und Handtücher, falls du nachher duschen möchtest oder baden“, eröffnete der Schwarzhaarige ihm beiläufig, während er nach einer weiteren Tomate griff. Anscheinend mochte Sasuke diese rote Frucht gern – interessant. „Danke“, kurz hielt er inne, ließ alles noch einmal auf sich wirken, „Heißt das, du bist gleich weg?“ „Leider ja, ich muss zu einer Besprechung.“ Missmutig ließ der Hatake seine Gabel etwas sinken. Zugegeben, zu denken, dass Sasuke den Tag heute mit ihm verbringen würde, war etwas ... utopisch. Trotzdem betrübte ihn das ein wenig. Was sollte er denn bitte den Tag über machen? „Du wolltest doch noch deinen besten Freund zurückrufen.“ Kakashi musste sich bemühen den Schwarzhaarigen nicht allzu entsetzt anzusehen. „Oder hast du mehrere 'Schätze', die du schon vermisst?“, kurz hoben sich die dunklen Augenbrauen, „Nicht, dass ich dir das nicht zutrauen würde, aber es würde mich irgendwie schockieren.“ Er konnte nicht anders, Kakashi musste auflachen. „Das würde dich schockieren?“ „Zutiefst.“ Deutlich hörte er den Schalk aus der Aussage und ihm wurde warm. Es freute ihn wirklich, dass sie nahtlos an gestern ansetzten. Dass Sasuke mit ihm interagierte, zwanglos und ... natürlich. Vielleicht war es nun auch für ihn an der Zeit nicht mehr ganz so wohlbedacht zu sein, auch etwas mehr von sich selbst und seinem Leben zu präsentieren. Nur ein bisschen. „Ich kann dich beruhigen, mein einziger 'Schatz' ist Itachi.“ Auf einmal rutschte Sasuke beim Schneiden ab. Ein seltsamer Ton entstand, als die Schneide des kleinen Messers auf das Porzellan traf und ein vertrauterer Klang, als der Schwarzhaarige das Messer komplett fallen ließ. Kleine rote Tropfen fielen auf die schneeweiße Tischdecke. „Entschuldige.“ Schnell griff der Jüngere nach einer Servierte und tupfte damit auf die blutende Stelle an seiner Hand. „Hab ich was Falsches gesagt?“, hakte der Grauhaarige nach. „Nein, nein, es ist nur ... eigentlich lächerlich, schon gut.“ „So lächerlich, dass du dir in die Hand schneidest? Klar, das passiert mir auch andauernd“, besorgt musterte er den Schwarzhaarigen. „Ich ... kannte auch mal einen Itachi.“ „Kannte?“, hakte er nach. „Tot. Aber das ... Ich hab nur den Namen lange nicht mehr gehört.“ Kurz war es ruhig zwischen ihnen. „Wirklich?“ „Wirklich“, versicherte der Jüngere ihm. „Vielleicht sollten wir den Zimmerservice nach einem Pflaster oder so fragen“, stellte Kakashi fest, aber kaum hatte er zu Ende gesprochen, schüttelte Sasuke mit dem Kopf. „Hat schon aufgehört.“ Langsam legte er die Servierte auf den Tisch, verdeckte mit ihr die Flecken auf der Tischdecke und sah entschuldigend zum Grauhaarigen, „Tut mir leid.“ „Tja Sasuke“, fest sah er in die grauen Augen und musste sich wirklich bemühen sein Gesicht zu wahren, „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine-“ „Idiot!“ Das gab ihm den Rest. Der empörte Gesichtsausdruck des Schwarzhaarigen war einfach zu viel für ihn. Unvermittelt begann er zu lachen, aus tiefster Seele und als Sasuke kurze Zeit später leise mit einstimmte, war es wieder da. Das unbeschreibliche Prickeln und die angenehme Wärme. Ja, es hätte ihn definitiv schlechter treffen können. ~ Lautlos glitt er aus der geräumigen Duschkabine und griff nach dem weichen Handtuch auf dem Waschtisch. Gemächlich machte er sich daran sich abzutrocknen. Er war nun allein in dem geräumigen Hotelzimmer. Kurz nach dem kleinen Ungeschick am Frühstückstisch hatte Sasuke sich verabschiedet. Es war wirklich seltsam gewesen. Kakashi wusste, dass die Welt sich nicht aufgehört hatte zu drehen, aber die Tatsache, dass Sasuke nun auf dem Weg ins Himitsu war, bescherte ihm ein flaues Gefühl in der Magengegend. Aber was war ihm schon groß übrig geblieben? Zumindest hatten sie ausgemacht, sich morgen Nachmittag zum Kaffee zu treffen. Das war doch auch was. Beiläufig sah er sein eigenes, grimmiges Gesicht im Spiegel. Wem versuchte er eigentlich etwas vorzumachen? Er hatte nicht gewollt, dass Sasuke ging. Erst recht nicht zur Arbeit. Nicht zu diesem Madara. Hör' auf damit!, ermahnte er sich selbst. Kakashi konnte jetzt ohnehin nichts mehr ändern. Routiniert streifte er sich seine Kleidung über und verließ das Bad. Genau besah er sich das Schlafzimmer und anschließend den Wohnraum. Es war seltsam allein hier zu sein. Seltsam und falsch. Entschlossen griff er nach seiner Jacke. Auf keinen Fall würde er länger hier bleiben. Ehe er sich versah, schloss er die Tür hinter sich. Der feine Teppichboden schluckte seine Schritte mühelos. Es dauerte einen Moment, ehe der Fahrstuhl bei ihm ankam und als die Türen sich vor ihm öffneten, flüchtete er schon beinahe hinein. Die Fahrt war seltsam, besonders mit dieser nervtötenden Musik im Hintergrund. War die auch schon gestern da gewesen? Wahrscheinlich. Der Hatake erwiderte weder das Lächeln, noch die Verabschiedung der Angestellten, die ihm vom Empfangsbereich entgegen schallte. Er wollte nur noch raus. Als die Geräusche der Straße ihn einhüllten, atmete er einmal tief durch. Das war nicht seine Welt, definitiv nicht. Auch wenn der Kaffee ausgesprochen gut war. Kurz verzog Kakashi das Gesicht – der Kaffee! Noch einmal nahm er einen tiefen Atemzug, hielt die Luft etwas in seinen Lungen, bevor er sie geräuschvoll ausblies. Entschlossen ging er näher an die Straße und hob auffordernd die Hand, um eines der vielen Taxis auf sich aufmerksam zu machen. Kakashi brauchte jetzt Ablenkung, unbedingt. Blind fischte er nach seinem Handy und noch während er die Nummer wählte, blieb eines der gelben Fahrzeuge vor ihm stehen. Verstimmt schwang er sich auf die Rückbank, nannte dem Fahrer noch kurz die Zieladresse und konzentrierte sich dann wieder auf das nervige Freizeichen an seinem Ohr. Einundzwanzig, zweiundzwanzig – und dann wurde sein Gespräch endlich entgegen genommen. „Wir müssen uns unterhalten.“ Kapitel 14: Idiot ----------------- Hart schlug seine Faust auf. Rechts, links, rechts, rechts. Immer wieder erfüllte der Ton des Aufpralls den Raum, vermischte sich mit der rauen Atmung Kakashis zu einer wütenden Melodie. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber sein Körper fing langsam an ihm zu signalisieren, dass es genug war. Unaufhörlich rann ihm der Schweiß über den Rücken und seine Lunge brannte, ganz zu schweigen von dem schmerzhaften Ziehen in seinen Händen. Ja, langsam aber sicher war es genug. Trotzdem hörte er nicht auf, im Gegenteil. Verbissen erhöhte der Grauhaarige seinen Krafteinsatz und gewann an Schnelligkeit. Linke Faust, rechtes Knie, Deckung. Kakashi sollte aufhören, wirklich aufhören, aber er konnte nicht. Es fühlte sich einfach viel zu gut an auf etwas einzuschlagen – wild, roh und rücksichtslos. Er war wütend, so unsagbar wütend. Fest biss er die Zähne zusammen, als er zum nächsten Schlag ausholte. Mit aller Kraft zielte er auf den alten Boxsack. Ein letzter tiefer, rasselnder Atemzug, ein letzter harter Aufprall und dann ließ Kakashi sich fallen. Die dünnen Bodenmatten gaben einen erstickten Laut von sich, als sie seinen Fall abfingen. Regungslos verweilte er auf den Rücken, die Glieder leicht abgespreizt und mit hechelndem Atem. Er horchte auf, als das Geräusch von leichtfüßigen Schritten zu ihm durchdrang. Der Grauhaarige musste nicht aufsehen, viel zu vertraut war ihm das Getippel. „Geht´s dir jetzt besser?“ Noch einmal gaben die Matten einen dumpfen Ton von sich, als sich die junge Frau neben ihn nieder ließ. Verneinend schüttelte der Hatake mit dem Kopf. Es ging ihm keinen Deut besser. „Naja, zumindest gönnst du dir endlich eine Pause. Deine Fingerknöchel sind schon ganz aufgeschlagen.“ Verwundert hob er die Arme ein Stück, um die Aussage zu überprüfen. Sie hatte recht, zumindest was seine linke Hand betraf. „Du musst vorsichtiger sein, dass hat Papa dir damals schon immer gesagt, Brüderchen“ Kurz zog sich seine Brust zusammen, als die Erinnerung in ihm aufkeimte. Erinnerungen an damals. An dieses Dojo, an seine erste Pflegefamilie. Ruckartig setzte Kakashi sich auf und griff nach dem weichen Handtuch, das die Brünette ihn mit einem sanften Lächeln reichte. „Ich bin nicht dein Bruder, Rin.“ Ihr Grinsen wurde ein kleines Stück wärmer. „Doch, genau hier.“ Demonstrativ tippte sie sich gegen die Brust. Kakashi konnte nicht anders, resigniert schüttelte er mit dem Kopf. Jedes Mal brachte sie dieses Argument. Es war der Brünetten egal, dass er damals nur wenige Monate hier gelebt hatte. Seit damals war und ist der Hatake ihr Bruder geblieben – und auch wenn er es ihr viel zu selten mitteilte, fühlte er genauso für sie. „Also, dann erzähl der weltbesten Schwester doch mal was dich bedrückt.“ „Wann wollte sie denn hier sein?“ Spielerisch wich er dem darauf folgenden Schlag aus. „Du bist so ein Idiot, Kakashi. Aber ernsthaft, was ist los?“ Kurz wischte sich der Polizist mit dem Handtuch über das Gesicht, ehe er es gekonnt um seinen Nacken schwang und seinen Kopf etwas nach hinten neigte. „Ich weiß es nicht.“ „Also wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass du wütend bist.“ Mit einen undeutlichen Grummeln schloss er die Augen. „Hast du eine unüberwindbare Lebenskrise?“, riet die Andere drauf los. „Nein.“ „Wegen einer Frau?“ „Ich habe keine Krise.“ Mit einem tiefen Atemzug versuchte er sich wieder zu beruhigen. Langsam aber sicher ging ihm das Kreuzverhör auf die Nerven. „Wenn du es sagst.“ Der Tonfall klang wenig überzeugt. „Die Arbeit?“ Kakashi beschloss einfach still zu bleiben. Nichts sagen, sich nicht weiter aufregen. Einfach bis zehn zählen. Ja, es ging ihm definitiv auf die Nerven. „Es ist so was von die Arbeit.“ „Rin...“ Unheilvoll sprach er den Namen aus. „Schon klar, du darfst nicht darüber reden, aber ernsthaft, irgendwas stimmt nicht mit dir. Und es muss was Großes sein und mit der Arbeit zu tun haben, wenn du lieber zu mir kommst, als zu Itachi. Du kannst mir vertrauen, ich werd' schon nicht bei deinem Chef petzen.“ Tief holte der Grauhaarige Luft. Die Unruhe kam zurück, klammerte sich an ihm fest. Rin hatte recht. Kakashi war nicht hier her gekommen um auf etwas einzuschlagen – zumindest nicht ausschließlich. Vielmehr hatte der Polizist gehofft Abstand zu gewinnen und so dieses nagende Gefühl in seinem Körper loszuwerden. „Hypothetisch gesehen könnte es sein, dass mich etwas beschäftigt“, gestand er. „Etwas, dass dich nicht beschäftigen sollte? Also hypothetisch.“ „Ja.“ Eine kurze Unruhe entstand, als die Brünette ihr Gewicht verlagerte und etwas näher zu ihm rückte. „Und das wäre?“ Lange war es Still. Keiner sagte ein Wort und Kakashi war der Frau dankbar, dass sie ihm die Zeit gab, um über seinen eigenen Schatten zu springen. „Ich“, fing er an, machte eine kleine Pause, „Naja, also, es ist so, dass...keine Ahnung.“ Kakashi wollte lachen. Nicht weil es amüsant war, denn das war es nicht. Ganz und gar nicht. Er, ein gestandener Mann, brachte es nicht fertig sein Anliegen klar zu formulieren. Es war kindisch und ein Kakashi Hatake war nicht kindisch. „Es ist mir nicht mehr egal.“ „Was genau?“ „Alles irgendwie. Ich war gut in meinem Beruf, ich war emotional nie zu sehr involviert und konnte immer rationale Entscheidungen treffen und jetzt“, resigniert fuhr der Hatake sich durchs Haar, „Fühle ich mich wie ein kompletter Idiot.“ Nachdenklich brummte die Frau vor sich hin. „Vielleicht bist du ein Idiot?“ „Danke, wirklich. Das hilft mir gerade unheimlich.“ Genervt verzog der Grauhaarige das Gesicht. „So meinte ich das jetzt nicht. Jeder fühlt sich von Zeit zu Zeit mal so und um ehrlich zu sein... ich bin gerade etwas beruhigt.“ Rin lachte auf, als Kakashi ihr einem mehr als unfreundlichen Blick zuwarf. „Du warst immer ein schwieriger Kerl, Kakashi. Ich mag dich, ganz ehrlich, aber du warst so... na ja, unterkühlt, berechnend? Manche würden sagen ein schwerer Kerl. Für deinen Job ist das bestimmt ideal, aber für alle anderen Lebensbereiche nicht. Deshalb...“ Unvollendet ließ sie den Satz im Raum, erntete nur einen unverständlichen Blick des Grauhaarigen. „Lass es mich anders formulieren“, setzte sie an, „Du bist menschlicher. Auch wenn dich das aus den Konzept bringt, das ist gut. Es macht dich nicht schlechter, weder als Person, noch als Polizist. Im Gegenteil, es macht dich besser. Und wenn du nicht einmal versuchst dich darauf einzulassen, dann und nur dann, bist du wirklich ein Idiot.“ Es war seltsam sich so von der jungen Frau belehren zu lassen. Zugegeben, er hatte sie angerufen. Trotzdem war es seltsam. Noch zu deutlich konnte er sich an das kleine, weinerliche Mädchen erinnern, dass sie gewesen war, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Im Kreis ihrer Familie, seiner ersten Pflegefamilie. „Erstaunlich wie erwachsen du geworden bist“, sprach er seinen Gedanken aus und erhielt prompt eine freche Antwort. „Erstaunlich wie emotional verkrüppelt du geblieben bist.“ Sie lachten beide kurz. Rin meinte es nicht böse, dass wusste er. Auch wenn es nicht geklappt hatte, als sie acht waren und er zurück ins Heim gemusst hatte, sie waren beide nie voneinander los gekommen. Auf verdrehte Art und Weise waren sie Geschwister. Nicht offiziell, aber für sich. Und das war seiner Meinung mindestens genau so viel wert. „Du magst sie wirklich, was?“, hakte Rin nach. Mit einem Ruck setzte der Hatake sich auf und strich sich resigniert über das Gesicht. „Ich hab doch gesagt, dass da keine Frau ist.“ „Oh, dann ist Sasuke ein Mann. Hübscher Name, nebenbei bemerkt.“ Erschrocken sah er ihr ins Gesicht, entlockte ihr so nur ein weiteres Auflachen. „Du hast vor dich hin gemurmelt und ich stand schon etwas länger an der Tür“, abwehrend hob sie die Hände, „Komm schon, sieh mich nicht so an. Ich freue mich für dich.“ Fassungslos Atmete der Polizist aus. „Da gibt es nichts, über das man sich freuen könnte.“ „Bist du wegen Sasuke so wütend?“ „Lass es.“ Provozierend hob sie ihre feine Augenbraue. „Sasuke?“ „Rin“, fest schlangen sich seine Hände um das weiche Handtuch, „Hör auf.“ Nachdenklich zog die Brünette ihre Stirn in Falten. „Sasuke hat mit der Arbeit zu tun“, es klang kein Stück wie eine Frage, auch wenn ihr Gesichtsausdruck etwas anderes beschrieb. Kakashi wünschte sich wirklich aus tiefsten Herzen, dass Rin nur ein einziges Mal auf ihn hören würde, nur einmal ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten steckte. Es war beinahe so, als könnte er ihren Gedankengang hören, ein kurzer Prozess der darin mündete, dass sich ein resignierter Zug auf ihr Gesicht legte. „Natürlich, deshalb ist es nicht Itachi.“ Sein Kiefer begann zu schmerzen, als er mit aller Kraft die Zähne aufeinander biss. „Kakashi?“ Ruckartig wendete er sich ab. Der Hatake würde sich das ganz bestimmt nicht anhören. Diese lächerliche Theorie, die Rin sich augenscheinlich zurecht gelegt hatte. Es war nicht einmal nötig, dass sie es aussprach. Der Polizist hatte es ihr angesehen. Mit schnellen Schritten verließ er den Trainingsraum. Auf gar keinen Fall würde er sich das anhören. Das Gras kritzelte leicht an seinen Füßen, als er das kleine Stück Garten durchquerte, um vom Anbau zum Haupthaus zu gelangen. „Kakashi, warte!“ Noch einmal beschleunigte er, öffnete mehr als nur unsanft die Hintertür und trat ins Wohnzimmer. „Ich habe gesagt, du sollst warten!“ Die Stimme war nah, um ehrlich zu sein viel zu nah und noch eher der Polizist wirklich realisierte was gerade passierte, wurde er von den Füßen gerissen. Die alte Couch fing seinen Fall nur geringfügig ab und das zusätzliche Gewicht von Rin auf ihm machte es nicht besser. Genauso wenig wie ihr triumphierendes Grinsen. Sie hatte sich tatsächlich auf ihn geworfen. „Rin.“ Ihr Name klang aus seinem Mund wie ein wütendes Knurren „Geh runter von mir.“ - „Nein. Du hast mich angerufen, mich, weil du genau wusstest, dass ich dich nicht in Ruhe lassen würde. Du kennst mich und trotzdem bist du hier hin gekommen. Du kannst mir vertrauen, ich würde dich nie verurteilen.“ „Das ist nicht witzig. Geh runter von mir.“ Sie kam seiner Forderung nicht nach. Ihr Griff verfestigte sich. „Nicht bevor du mir endlich erzählt hast, was wirklich los ist.“ Resigniert atmete er aus. Rin hatte recht, er wusste wie sie war und trotzdem war er zu ihr gekommen. Verdammt, er war wirklich ein Idiot. Kapitel 15: Unverhofft ---------------------- „Wow, das ist-“, fassungslos strich sie sich durch das braune Haar, „Wow.“ Kakashi blieb still und bemühte sich darum nach außen hin die Fassung zu bewahren. Es war neu für ihn, nicht nur, dass seine normalen und über die Jahre gereiften Charakteristika anfingen zu bröckeln, er hatte auch noch geredet – über seine Gefühle. Im letzten Moment schaffte er es sich davon abzuhalten das Gesicht zu verziehen. Es hätte ihm auch nichts mehr gebracht. Kakashi hatte es ihr erzählt, einfach alles. Wie er überhaupt ins Himitsu gekommen war, wobei es sich darum handelte, was in den gesonderten Räumen dieses Etablissement vor sich ging und zu guter Letzt auch von Katsumi Sasuke. Rin war erstaunlich ruhig geblieben, hatte jedem seiner Worte aufmerksam gelauscht, ihn nicht ein einziges Mal unterbrochen. Auch wenn er sich lieber die Zunge abbeißen würde, als es auszusprechen, es hatte ihm geholfen. Kakashi fühlte sich seltsam befreit, besonders da seine Schwester anscheinend genauso überrollt von der ganzen Sache zu sein schien wie er selbst. Es war irgendwie tröstlich, dass es nicht nur für ihn so surreal wirkte. „Okay, warte“, setzte sie an, fuchtelte zu Verdeutlichung mit ihren Händen vor sein Gesicht, „Katsumi ist eigentlich Sasuke?“ Bestätigend nickte er. „Und er ist im Himitsu angestellt als, nun ja Dienstleistender?“ Noch einmal nickte er. „Und er hat es wirklich geschafft, dass du mit ihm auf ein Straßenfest gegangen bist​? Ein Echtes, mit echten Menschen?“ Beim letzten Satz traf ihre Stimme eine ungewohnt hohe Oktave. Irritiert zog der Grauhaarige die Stirn in Falten. „Natürlich mit echten Menschen.“ Ein anerkennender Pfiff ertönte. „Er ist gut. Meinst du er hätte Lust mal zum Essen vorbei zukommen und mir Tipps zu geben?“ Fassungslos klappte ihm der Mund auf. „Das-, was?“ „Naja, du magst nicht wirklich andere Menschen. Gott, weißt du noch wie oft ich dich angebettelt habe, dass du mit mir irgendwo hin gehst? Du bist nicht mal eingeknickt, als ich angefangen habe zu weinen.“ Kakashi wollte etwas sagen, das wollte er wirklich. Immer wieder öffnete und schloss sich sein Mund, aber nichts kam. Er kam sich vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. War das ihr verdammter Ernst? „Kein Wunder, dass du ihn magst. Selbst ich mag ihn und ich kenne ihn nicht einmal.“ Es war ihr verdammte Ernst. „Das ist...alles?“ Kakashi konnte nicht verhindern, dass seine Stimme rau klang. Er hatte mit allem gerechnet. Vorwürfen, Geschrei, weitere Bekundungen darüber was er doch für ein Idiot war, aber nicht damit. „Das-, wie kannst du-, hast du mir zugehört?“ „Was willst du hören? Das du ein Idiot bist, der eine Standpauke verdient hat? Gib mir ein Zeichen und ich leg los. Oder willst du, dass ich deinen Chef anrufe und ihm erkläre, wie idiotisch deine Beurlaubung ist? Dann gib mir dein Handy.“ Rin atmete laut aus. „Was willst du? Darüber dachte er nach, lange, sehr lange. „Ich weiß es nicht, das ist scheiße.“ Deutlich spürte er die warmen Finger der Brünetten auf seiner Haut, als sie ihm mitfühlend über die Hand strich. „Ich weiß. Aber du bist alt genug, Kakashi und auch wenn du das wahrscheinlich am allerwenigsten hören willst...sich nur darüber Gedanken zu machen, wird nichts ändern und dir keine Antworten bringen.“ Sanft entzog er sich ihren Berührungen und strich sich resigniert übers Gesicht. „Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Ich kann ja schlecht einfach weiter ins Himitsu gehen und mich Pains Anweisung widersetzen.“ Abschätzig zog die junge Frau ihre Augenbrauen in die Höhe. „Also eigentlich sind es Anweisungen zu einer Ermittlung die offiziell nicht mehr existiert. Außerdem warst du noch nie gut darin dich an Befehle zu halten.“ Abwehrend hob sie die Hände und Kakashi stöhnte auf. „Ich hasse dich“, kam es ihm gedämpft über die Lippen. „Ach Brüderchen, du liebst mich.“ Kapitel 16: Höhenflug --------------------- Tief sog der Grauhaarige den Qualm in seine Lungen, um ihn kurz darauf wieder auszustoßen. In dem schwachen Licht das von der Hauptstraße in diese Gasse fiel, wirkte die Schwade gräulich. Nicht das die Farbgebung irgendetwas ändern würde. Rauchen war und blieb schlecht, trotzdem war eine Zigarette genau das was Kakashi gerade brauchte. Oder zwei, oder mehr. Er hatte schon lange aufgehört mitzuzählen, aber die Schachtel die er sich vor ein paar Stunden gekauft hatte, war mittlerweile fast leer. Zum wiederholten Male fragte er sich warum er hier war, warum er tatsächlich auf Rin gehört hatte. Teilweise zumindest, denn er war ja nicht wirklich im Himitsu. Viel mehr schlich er in einer Gasse hinter dem Etablissement herum, wie irgend so ein Landstreicher. Kakashi hoffte zumindest, dass er sich irgendwo hinter dem Bordell befand. Die Haupt- und Nebenstraßen hier waren gut strukturiert, aber die schmalen Schleichwege waren etwas ganz anderes. Trotzdem meinte er sich daran zu erinnern, dass er schon mal mit Anko hier gewesen war, beziehungsweise, dass sie ihn hier gefunden hatte. Zwar war das schon etwas her und seine Wahrnehmung damals stark durch sein Fieber beeinträchtigt, aber die rot lackierte Eisentür schien an seinen Erinnerungen zu rütteln. Er hoffte einfach mal das Beste. Ein letztes Mal zog er an seiner Zigarette, ließ sie dann auf den Asphalt fallen und trat sie aus. Mit einer fließenden Bewegung zog er sein Handy aus der Tasche und überprüfte die Uhrzeit. Drei Uhr morgens. Er war schon seit einer Stunde hier, ohne das irgendetwas passiert war. Was genau er sich überhaupt erhofft hatte war ihm unklar, besonders hier in diesem recht dunklen Spalier. Resigniert fuhr Kakashi sich über das Gesicht. Er hätte einfach durch den Haupteingang gehen sollen um.... um was? Der Polizist hatte diese unkonventionelle Route gewählt, weil er keine Ahnung hatte was er Karin hätte sagen sollen. Vielleicht hätte er mit der Rothaarigen auch gar nicht reden müssen, sondern einfach direkt durchgehen können. Aber ohne Termin? Andererseits war ihm ja gesagt worden, dass er sich jederzeit in das grüne Zimmer setzen könne. Wohnzimmer wurde es genannt und das obwohl es viel mehr wie eine Bar oder eine Lounge wirkte. Das war aber nebensächlich. Wahrscheinlich hätte Kakashi wirklich durchgehen und sich einfach an den Tresen setzen können. Zumindest wäre es dort heller gewesen und vielleicht... vielleicht hätte er Sasuke getroffen. Wobei das eher unwahrscheinlich war, der Schwarzhaarige hatte ihm selbst gesagt, dass ihm diese ganze Demonstration von Macht und Privilegien nicht interessierte, trotzdem wäre ein Zusammentreffen dort bei weitem wahrscheinlicher gewesen als hier draußen. Nun ja, dafür hatte er hier seine Ruhe. In seinem Kopf spielten sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten ab. Alle waren sie hypothetisch, keine würde sich bewahrheiten oder als falsch herausstellen – zumindest nicht heute. Es hatte knapp eine Woche gedauert, bis er zu der Entscheidung gekommen war, dass Rin tatsächlich recht hatte und das reine Grübeln ihn nicht voran bringen würde. Rückblickend betrachtet hätte er vielleicht doch noch etwas nachdenken sollen, um zumindest grob seine nächsten Schritte zu planen. Mittlerweile geübt steckte sich der Hatake die nächste Zigarette zwischen die Lippen. Vielleicht sollte er Itachi anrufen. Der Langhaarige war schon immer verdammt gut darin gewesen Pläne zu schmieden, außerdem wäre es nicht das Schlechteste jemanden zu haben, der ihn mit Informationen zu den neusten Erkenntnissen im Fall Madara versorgen. Mit einem abtuenden Schnauben verwarf der Hatake den Gedanken wieder und zündete seinen Glimmstängel an. Itachi würde ihm höchstens gewaltig in den Hintern treten. Ob Anko ihm wohl helfen würde? Eher nicht. Sie würde wahrscheinlich direkt Pain anrufen und dann hätte er ein richtiges Problem. Kakashi massierte sich die Schläfen und lehnte sich erschöpft mit der Schulter gegen die Steinmauer. Die ganze Aktion hier war einfach nur Sinnlos. Das blecherne öffnen der roten Tür, war geradezu einschneidend. Reflexartig trat er einen Schritt zurück, verschwand weiter in den Schatten. Aufmerksam fixierte er den hellen Lichtbogen, der nun vom Inneren auf die Straße fiel und lauschte. „-untypisch für dich.“ Das war eindeutig die Stimme von diesem Kisame, die Silhouette im Türrahmen passte ebenfalls und er schien jemanden den Weg zu versperren. „Du kannst nicht einfach tun und lassen was du willst. Es ist mein Job dafür zu sorgen, dass alles läuft wenn er nicht da ist, das weißt du genau.“ Der Lichteinfall nach draußen verringerte sich kurz, als sich eine bedeutend schmalere Gestalt an den Hünen vorbei zu schieben versuchte. „Und dein Verhalten ist nicht tragbar.“ Es war nicht schwer zu erkennen, dass der zweite Akteur sich gar nicht um die Standpauke und den wilden Gestikulation Kisames scherte. Geschickt duckte sie sich und nutze den passenden Moment, um sich unter den Arm des Größeren vorbei zu schlängeln. Der Triumph hielt aber nur kurz. Unsanft wurde er vom Blauhaarigen am Oberarm gepackt und zurück gezogen. „Du kannst den Betrieb nicht einfach sabotieren und mich ignorieren, so läuft das nicht.“ „Los.Lassen.“ Es war unverkennbar ein Befehl. Zwar keiner der bei Kisame Wirkung zeigte, dafür aber bei Kakashi. Besonders da er zusätzlich zu der Stimme jetzt auch ein Gesicht sah. „Kisame Hoshigaki, ich warne dich. Das war keine Bitte.“ „Tatsächlich? Du überschreitest deine Befugnisse, Katsumi.“ „Du überschreitest deine Befugnisse. Du hast ´nen Höhenflug, weil er nicht da ist und dein minderbemittelter Verstand dir vorgaukelt, dass du jetzt hier der Größte wärst. Aber du bist nicht Madara und nichts hier gehört dir. Du bist nur Kisame, nur der Sicherheitschef. Du entscheidest nicht wer oder was gut für das Himitsu ist. Du hast mir nicht zu sagen wie ich meinen Job machen soll und du hast nichts mit meinem Buchungsplan zu tun. Aber vor allem, hast du mich nicht anzufassen. Also Mr. Sicherheitschef, zum letzten Mal, lass mich los.“ Bedrohlich lachte der Blauhaarige auf, verfestigte seinen Griff und zerrte den Schwarzhaarigen mehr als unsanft vor und zurück. „Du miese, kleine Hure. Was erlaubst du dir?“ Mit herausfordernden Trotz hielt der Kleinere dagegen, fixierte den größeren mit seine Blick. „Alles zu dem ich befugt bin.“ Dann passierten mehrere Sachen gleichzeitig. Kisame hob seine Hand und in Kakashi kam Bewegung. Der Grauhaarige dachte an nichts, handelte intuitiv und fing sich kurz drauf den harten Fausthieb des Sicherheitschefs ein. Der Schlag hallte in seinem Kopf nach und obwohl er nicht richtig getroffen worden war, konnte er spüren, dass er anfing zu bluten. Kakashi ignorierte es. Seine angeeigneten Reflexe arbeiteten für ihn. In einem Sekundenbruchteil packte er mit Links das Handgelenk von Kisame, zwang diesen so, unter einem schmerzhaften Aufheulen, Sasuke loszulassen. Ein gepeinigter Ton, der schnell in ein erstickendes Gurgeln überging, als er mit seinem rechten Unterarm den bulligen Körper an der Kehle erwischte und ihn damit an die Hauswand pinnte. Adrenalin strömte durch jede Zelle von Kakasis Körpers. Was ihn jedoch fast jedweden Rest seiner Selbstbeherrschung verlieren ließ, war seine Wut. Er wollte Kisame weh tun – wirklich weh. Und er war sich mehr als nur sicher, dass er es tun würde, wenn Sasuke nicht auch hier wäre. „Du mieser Bastard.“ Seine Stimme war schneidend, während er den Druck auf die Kehle des anderen erhöhte und mit seinem Gesicht gefährlich nahe kam. Seine Lippen berühren fast das Ohr des Schlägers und mit Genugtuung saugte er das Röcheln von diesem auf. „Ich werde dir jetzt sagen wie es läuft. Du wirst deinen erbärmlichen Arsch zurück in das Himitsu verfrachten und ganz still deiner Arbeit nachgehen. Keine Höhenflüge mehr, keine Ausraster. Du wirst es nie wieder wagen die Hand gegen diesen Jungen, oder sonst irgendjemanden zu erheben. Falls doch werde ich dich finden und dafür sorgen, dass du nie wieder auch nur irgendwas mit deinen Händen machen kannst. Verstanden, Kisame Hoshigaki?“ Erst als er das zaghafte Nicken wahrnahm, ließ er von ihm ab. So abrupt, wie er ihn auch an die Wand gedrückt hatte. Es dauerte ein paar jämmerliche Atemzüge, bis Kisame sich gefasst hatte und nicht einen Moment ließ Kakashi ihn aus den Augen. Erst als der Größere im Inneren des Bordells verschwunden und die Eisentür wieder geschlossen war, entspannte er sich etwas. Danach waren sie allein in der Gasse. Vereinzelnd spülte der Wind Stimmen und angetrunkenes Gelächter von der Hauptstraße zu ihnen. So viel also zu seiner Theorie, dass heute gar nichts passierten würde. Beiläufig wischte der Grauhaarige sich mit den Fingern das Blut von der Nase und musste feststellen, dass sofort Neues nach floss. Dieser Kisame hatte wirklich einen verdammt festen Schlag, aber das war nebensächlich. Aus dem Augenwinkel sah er zu Sasuke. „Alles okay bei dir?“ Er bekam keine Antwort. Stattdessen kam der Jüngere näher und umfasste sein Gesicht. Sanft wurde sein Kopf nach links und rechts gedreht und seine Nase sorgfältig begutachtete. Die Mimik des Schwarzhaarigen war dabei kontinuierlich besorgt. Auf seltsame Art und Weise löste dieser Umstand ein warmes Gefühl in ihm aus und die weichen Finger an seinen Wangen schienen auch das letzte bisschen Aggression in ihm einfach zu ersticken. „Was machst du hier, Kakashi?“ Die Tonlage des Anderen war weich und der Gefragte schüttelte nur mit dem Kopf. Er wollte nicht erklären, dass er hier herumgestreunt war wie irgendein ruheloses Tier und Sasuke beließ es dabei. Mit einer Hand löste der der Junge den Kontakt und fischte ein Taschentuch aus seiner Jacke. Ohne Umschweifen begann der Grauäugige vorsichtig das Blut aus dem Gesicht des Polizisten zu tupfen. „Dummkopf.“ Leicht strich Sasuke ihm mit dem Daumen über seine Wange, während er noch immer mit der anderen Hand das Taschentuch führte. Kurz fragte Kakashi sich, ob dem Kleineren überhaupt bewusst war, dass er ihm diese Zärtlichkeit entgegenbrachte. Fragen würde er aber nicht, dafür fühlte es sich einfach zu gut an. „Wohnst du weit weg?“ Er sollte darauf nicht antworten. Auf keinen Fall. Ganz egal wie angenehm diese Szenerie gerade auch war. Es wäre zu gefährlich, würde ihn nur noch weiter persönlich involvieren. „Eine gute Stunde.“ Er schob seine Nachgiebigkeit auf die Uhrzeit – das musste es sein. Kein normaler Mensch konnte um kurz nach drei Uhr morgens noch rationale Entscheidungen treffen. Abschätzig zogen sich die Brauen des Jungen zusammen und Kakashi hatte das Gefühl, dass, wenn es möglich wäre, Sasuke ihn mit seinem Blick durchlöcherte. Die streichende Bewegung an seiner Wange fror ein und die Stimmung zwischen ihnen wurde kurz angespannt. Zuerst war Kakashi irritiert und dann verstand er es. Sasuke versuchte ihn einzuschätzen. Aber warum? „Hast du was mit Drogen zu tun?“ Sasuke klang ernst, machte es dem Grauhaarigen damit unmöglich die Frage als schlechten Scherz abzutun. „Nein.“ „Ein Vergewaltiger?“ Überrascht blinzelte er kurz. „Nein.“ „Mörder?“ „Nur am ersten Wochenende des neuen Quartals“, versuchte Kakashi die Situation zu lockern. Er verstand noch immer nicht wie der Schwarzhaarige dazu kam ihm diese Fragen zu stellen, aber der unentspannte Ausdruck im Gesicht des Jüngeren gefiel ihm nicht. Sein Versuch zeigte Wirkung. Die Mundwinkel seines Gegenüber hoben sich ein Stück. „Ein Schläger?“ „Nicht das ich wüsste. Wobei dieser Idiot gerade es verdient hätte. Also wenn überhaupt wäre ich eher so was wie...“, kurz musste er überlegen, „Batman?“ Das Lächeln von Sasuke wurde breiter, entblößte etwas seine weißen Zähne. „Keine Drogen? Bist du sicher, Batman?“ Jetzt musste auch Kakashi Grinsen. Es spannte etwas im Bereich seiner Nase, aber das war es wert. „Na komm, lass uns dir das Blut richtig abwischen.“ Sie schlängelten sich schon eine Weile durch die Menge an angeheiterten Japanern, als dem Grauhaarigen endlich auffiel, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Abrupt kam er zu stehen, handelte sich nur einen irritierten Blick seiner Begleitung ein, die ebenfalls anhielt. „Ich muss in die komplett andere Richtung“, teilte er seine Erkenntnis mit dem Schwarzhaarigen. „Später.“ Das war die einzige Erwiderung die er bekam, ehe er auch schon weiter gezogen wurde. Kurz darauf verließen sie das Rotlichviertel endlich. Die Straßen waren nun bedeutend leerer und auch der Geräuschpegel hatte sich drastisch gesengt. Kakashi sich um. Sie waren in einem Wohngebiet. Aufmerksam versuchte er sich den Weg einzuprägen. Auch wenn er stark bezweifelte, dass Sasuke ihn verschleppen würde, konnte es nicht schaden. Sie nahmen eine weitere Abbiegung, kamen in eine Art Hinterhof und Kakashi meinte spüren zu können, wie der Jüngere noch einmal zögerte. Nur kurz, nicht einmal ganz eine Sekunde, aber doch irgendwie merklich. Es überraschte ihn nicht, dass sich auch hier, fast schon versteckt, Wohnungen befanden. Was ihn verwunderte war, dass Sasuke die Außentreppe empor stieg. Sein Verstand schien wirklich nicht mehr ganz wach zu sein, denn erst als er das Klimpern eines Schlüssels hörte setze sich alles in seinem Kopf zusammen. Sasuke wohnte hier. Deshalb die ganzen Fragen und das Zögern. Der Jüngere hatte ihn mit zu sich nach Hause genommen. Unweigerlich keimte in ihm Unruhe auf, aber bevor er wirklich darin aufgehen konnte, kamen sie vor einer der Wohnungstüren zum stehen und der Kleinere machte sich daran aufzuschließen. So unauffällig wie möglich schielte er auf das Namensschild über der Klingel. Chidori. Er nahm sich fest vor, diese Identität zu überprüfen. ~ Gemütlich. Das war das erste was dem Grauhaarigen zu der Wohnung einfiel. Sie war nicht sonderlich groß und bestand nur aus einem kleinem Flur und einer Wohnküche. Ein Fernseher, ein Esstisch mit Stühlen und ein schmales Bett, an dem er gerade mit dem Rücken lehnte. Mehr an Einrichtung gab es nicht. Kein einziges Bild befand sich in diesen Räumlichkeiten, dafür jedoch Bücher. Jede Menge Bücher. Kakashi brach seine Musterung ab und konzentrierte sich wieder auf den Schwarzhaarigen. Dieser war gerade dabei das Gefrierfach des Kühlschranks zu durchforsten, bis er schließlich fündig wurde. Mit einem nassen Lappen und einem tuchumwickelten Kühlakku bewaffnet, kniete er sich vor den Älteren. Sie sprachen nicht miteinander, als Sasuke ihm sanft das Blut aus dem Gesicht wischte. Nicht ein Wort, nur Blicke. Sie waren kurz, wurden immer wieder unterbrochen und doch schickten sie kleine Impulse durch seinen Körper. Warme Blitze die ihn entspannten. Finger die behutsam seinen Nasenrücken berührten. Und der schwache Duft von Sasuke, der ihn aus jeder Ecke der Wohnung einhüllte. „Scheint so, als hätte es schlimmer ausgesehen als es ist. Deine Nase ist noch heil und nicht geschwollen, nur ein bisschen rot. Trotzdem“, vorsichtig wurde ihm das Küchentuch mit dem Kühlakku aufgelegt, „Sicher ist sicher" Kakashi erwiderte drauf nichts und griff in sein Gesicht, um den Schwarzhaarigen mit dem Halten des Kühlmediums abzulösen. Ihre Hände berührten sich. Sasuke sah ihn an, fesselte den Älteren mit seinen Blick und ließ ihn nicht mehr los. Nur ein Blick und trotzdem fühlte er sich irgendwie ausgeliefert. Nicht im schlechten Sinne. Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Auf keinen Fall im schlechten Sinne. „Hier wohnst du also?“ Wie von selbst stellte er die Frage. „Hier wohne ich also“, bekam er die Antwort und der warme Atem des Schwarzhaarigen traf auf sein Gesicht. Sie waren sich immer noch nahe, berührten sich noch immer an den Fingern und keiner von ihnen schien daran etwas ändern zu wollen. „Du bist wirklich ein komischer Kerl, Kakashi..“ Die Stimme des anderen war leise, schlich direkt in sein Ohr und berührte etwas tief in ihm. „Und das von jemanden, der einen fast Fremden mit in seine Wohnung nimmt.“ Auch seine Stimme war gesenkt. Viel zu deutlich nahm er wahr, wie Sasuke sich auf die Unterlippe biss und ein angenehmer Schauer ging durch seine Glieder. Plötzlich und wie aus dem nichts, genau wie die Erkenntnis. Kakashi wollte mehr. Mehr über Sasuke wissen, mehr Zeit mit ihm verbringen, mehr Kontakt – einfach mehr. So sehr wie er noch nie etwas gewollt hatte. Er fühlte sich ungewohnt leicht und das obwohl er spürte, dass seine Atmung schwerer ging. Es war ihm egal. Alles war ihm momentan egal. Er wollte einfach nur hier bleiben. Nur ein bisschen länger in der Nähe des Schwarzhaarigen sein und mit ihm reden. „Du bist auch wirklich komisch, Sasuke.“ Er dachte nicht mehr nach, wehrte sich nicht mehr. Seine freien Finger legten sich zärtlich um den Nacken des Jüngeren und vergruben sie in dessen Haar. Mit der anderen Hand fasste er die schmalen Finger des Schwarzhaarigen nun richtig und ignorierte, dass der Kühlakku dabei auf den Boden fiel. Alles was zählte war der Blick, die Berührung ihrer Haut. Es war so verdammt berauschend. „Ja?", kam die leise Nachfrage. Kurz keimte in ihm die Warnung von Anko auf. Lass ihn nicht zu nahe an dich ran. Aber genau das wollte er. Das war nicht richtig und so ziemlich der dümmste Wunsch den er jemals gehabt hatte, aber er war es leid. „Ja.“ Gedankenverloren malte er mit dem Daumen kleine Kreise am Haaransatz Sasukes, nahm fast schon euphorisch wahr, wie dieser leicht den Kopf neigte, um ihm mehr Spielraum zu geben. Langsam aber sicher begann auch die Atmung von Sasuke sich zu beschleunigen. Es gab ihn Sicherheit, bestärkte ihn darin, dass auch er eine Wirkung auf den Jüngeren hatte und ließ ihn neckisch werden. „Außerdem bist du bis jetzt sehr unhöflich.“ Die Stimme des Polizisten klang heiser. „Warum?“ Ebenso wie die des Schwarzhaarigen. „Du hast dich noch nicht bedankt.“ Vorsichtig ließ er von den schmalen Finger des Anderen ab, strich über dessen Arm, dann über seine Seite und packten ihn schlussendlich an der Hüfte. Ob er Druck ausübte oder einfach nur folgte konnte er nicht sagen, aber Sasuke kam noch ein Stück näher. Stoff berührte sich. „Nein.“ Heiß traf Sasukes Atem auf seine Lippen. „Das sollte ich auch nicht. Es wäre nicht richtig." Kakashi hatte das Gefühl jedes einzelne Wort des Anderen schmecken zu können, ebenso wie dessen kurzes, erschrockenes Aufkeuchen, als er ihm spielerisch in die Seite kniff. „Du bist ganz schön negativ.“ „Nein. Ich bin nett, auch wenn du das nicht siehst. Du bist zu gierig.“ Die Luft schien sich elektrisch aufzuladen, als Sasuke sich etwas nach vorne beugte und sie nun Stirn an Stirn berührten, Nasenspitze an Nasenspitze, die Augen geschlossen. „Ich bin...ich arbeite fast jeden Tag. Es gibt kein Exklusivrecht, Kakashi. Nicht für dich und nicht für mich.Besonders nicht für...Leute wie mich. Es bringt keine Vorteile, nur Nachteile. Kein vorgespielter Frieden mehr, nur noch Realität. Willst du das?“ Alles in ihm schrie „Ja". Aber es ging nicht nur um ihn – schon lange nicht mehr. Kakashi zog den Schwarzhaarigen näher zu sich. So lange, bis er endlich auf seinem Schoß saß. „Was wenn es gar nichts ändert, weil es schrecklich wird? Wir könnten es dann immer noch vergessen. Oder nicht?" Keine Antwort. Nur Sasukes unruhiger Atem, der über Kakashis Gesicht strich. Eine wacklig Stille umhüllte sie. Stille und eine seltsame Spannung, die mit jedem ihrer Atemzüge weiter wuchs. Immer größer, immer erdrückender, bis er das Gefühl hatte darunter zu brechen. Es wurde zu viel, zu real. Es war kein Knistern. Es war ein verdammtes Donnerngrollen. Gefährlich und elektrisierend. Bis es sich endlich entlud. Ihre Lippen prallten aufeinander. Hart und hungrig. Sasuke packte mit beiden Händen sein Gesicht, zog ihn näher, umklammerte ihn, während ihre Münder ungeahnt intensiv miteinander agierten. Fahrig fuhr der Jüngere ihn durch das Haar und bewegte sich auf ihm. Heiße, alles überrollende Wellen schwemmten durch Kakashis Körper. Jedes Blutplättchen in seinem Organismus fing an zu kochen. Ihre Atmung ging schwer und hallte laut in seinen Ohren nach. Immer wieder fanden ihre Lippen zueinander. Immer und immer wieder. „Siehst du? Es ist total mies“, brachte er atemlos zwischen zwei Küssen hervor, während er unruhig und ohne Unterlass den Rücken des Schwarzhaarigen entlang strich. „Total schrecklich“, bestärkte Sasuke ihn, presste sich heftig gegen seinen Körper und küsste ihn erneut. Es war bitter süß, wie makellos ihre Lippen zueinander passten. Noch nie hatte der Hatake so etwas erlebt. Es war berauschend, unkontrollierbar und eine kleine, viel zu leise Stimme in seinem Verstand flüsterte ihm zu, dass es falsch war. Aber auch sie erstarb, als die warme Hand des Jüngeren sich unter sein Oberteil schob und begierig seine Brust erkundete. Alles um ihn herum verschwamm. Da war nur noch der Andere. Nur Sasuke. Seine weiche Haut, die er mit seinen Händen berührte. Seine Lippen, die er immer wieder in Beschlag nahm und besitzergreifend hineinbiss. Seine Stimme, die ihn in regelmäßigen Abständen mit perfekten kleinen Lauten anheizte. Sasuke. Nur Sasuke. „Scheiße“, es war nur ein atemloses Flüstern des Grauäugigen und Kakashi knurrte auf. „Das kannst du laut sagen.“ „Kakashi.“ Rau wurde sein Name ausgesprochen. Herrisch presste der Hatake seine Lippen gegen das Schlüsselbein des anderen. „Kakashi.“ Genüsslich fuhr er mit seiner Zunge den blassen Hals hinauf und brachte den Schwarzhaarigen damit zum zittern. Aber das reichte ihm nicht. Er wollte mehr. Mehr als nur ein Zittern, mehr als nur seinen Namen. Kakashi bockte auf, stieß mit mit seinem Becken gegen das des Kleineren. Ihre intimsten Stellen kollidierten miteinander und das kurze Aufstöhnen Sasukes machte ihn wahnsinnig. Verdammt, er genoss es. Es war perfekt. Unsagbare, quälende Perfektion. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)