You`re a honey von Marron ================================================================================ Kapitel 1: Neue Schule, neues Leben ----------------------------------- Wir befinden uns in New York, genauer gesagt vor einer nach außen hin gewöhnlichen High School. Das riesige Gebäude steht erhaben inmitten des Geländes und erweckt einen respektvollen Eindruck – zumindest für jeden, der nicht auf diese Schule geht. Für mich wird das wohl anders sein, denn heute ist mein erster Schultag nach unserem Umzug nach Amerika. Warum? Ganz einfach – Scheidung. Und meine Mutter hat das Sorgerecht bekommen. Sie wollte neu anfangen und kümmert sich nicht darum, ob ich damit einverstanden bin. Ginge es nach mir, wären wir in Tokio geblieben. Nicht, weil ich kein Englisch könnte, nein – als Klassensprecherin waren meine Noten mit die Besten. Aber ich hatte – und habe immer noch – die Hoffnung, dass ich ihn noch einmal wiedersehe, wenn ich dort bliebe, wo er immer hingehörte. Meine Mutter nannte das schwachsinnig. Tja, jetzt stehe ich hier, auf dem Parkplatz und überlege seit gut fünf Minuten, wie ich das nur ohne all meine Freunde schaffen soll. Schüler gehen langsam an mir vorbei, während sie mich skeptisch beäugen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, da ich selbst wohl auch so reagieren würde. Ich muss seufzen und setze mich endlich in Bewegung. Zum Glück ist alles sehr übersichtlich aufgebaut und ich muss nur den anderen zum Haupteingang folgen. Irgendwo muss ja wohl das Sekretariat sein, oder? Als ich drinnen stehe, geht mir auf, dass ich nicht einmal weiß, was Sekretariat auf Englisch heißt. Großartig, das geht ja schon mal gut los! Kopfschüttelnd suche ich nach Hilfe. Ein blonder Junge, der in etwa so groß ist wie ich, sieht zu mir herüber und unsere Blicke begegnen sich. Er lächelt und kommt zu mir herüber. „Hey“, grüßt er mich. Ich nicke und muss auch lächeln. „I`ve never seen you around here. Are you a new student?“ Ich nicke. „Yes. But I don`t know where to go now.“ Soweit reicht mein Sprachverständniss noch und ich klopfe mir mental auf die Schulter, den Akzent verstanden zu haben. Er fährt sich durchs Haar. „Well, then follow me. I can show you, ok?“ „Thanks, that would be great.“ Wir sind schon ein paar Schritte gegangen, als er den Kopf dreht. „I`m Mike, by the way.“ „And my name is Hillary. Nice to meet you“, antworte ich leise. Ob ich mir den Namen merken kann? Ich hab`s nicht so mit Namen und Gesichtern. Er grinst mich an und wird langsamer, sodass wir fast nebeneinander gehen. „Cute name. Are you from somewhere near?“ „Nope“, lache ich, „I`m from Japan. Little Nippon, you know?“ Er wirkt verblüfft. „Cool! That makes two!“ Verwirrt blinzele ich, doch bevor ich fragen kann, redet er schon weiter: „Ich bin nämlich ebenfalls von dort und erst vor zwei Jahren hergezogen.“ Völlig baff starre ich ihn an. Dann muss ich erleichtert lachen. „Wow, cool. Und ich dachte schon, ich müsste meine Muttersprache begraben.“ Er nickt. „Dachte ich auch, aber is gar nicht so. Wirst sehen, hier gibt`s jede Menge Japaner. Und wir helfen dir alle echt gern, ja?“ Ich nicke. Vielleicht ein bisschen zu heftig, aber Mike scheint nichts zu bemerken. „So, wie jetzt“, grinst er und deutet auf eine Tür. Ich blicke überrascht darauf und seufze. „Tja, dann hol ich mir mal alles ab.“ Er steckt die Hände in die Hosentaschen. „Ich warte hier.“ Gaaanz toll. Einer von der super-hilfsbereiten Sorte. Solche Leute werden schnell anhänglich und nervig. Trotzdem kann ich nicht ablehnen. Ich bin so erleichtert, jemandem begegnet zu sein, der mir helfen kann, dass ich mich nicht mehr traue, allein loszustapfen. Also nicke ich nur höflich und betrete den Raum. Kapitel 2: Der Grund -------------------- Hallo meine lieben Leser! Vor lauter Nervosität habe ich die Sache gleich mal vermurkst!^^° Also: 1) Ich hab vergessen, mich vorzustellen. *verbeug* gomen nasai. Ich bin Marron. Dies ist meine erste FF, deshalb bitte ich um Verständnis, wenn nicht alles so hinhaut, wie es sollte. 2) Der Plot ist mir spontan eingefallen, deshalb sorry für Plotholes oder eine unbestimmte Länge. 3) Ich komme erst einmal nicht so häufig ans Internet, deshalb wird`s etwas länger dauern mit den Kapiteln. Und zu guter Letzt: Da ich ein Techniklaie + Programmidiot bin, werde ich wohl einige Einstellungen nicht gleich verstehen. Sorry!! Nun aber genung der Vorrede, viel Spaß mit dem Kapitel! Marron Eine rothaarige Frau mit oberlehrerinmäßiger Brille glotzt mich an. „Yes, please?“ „Er...I`m Hillary Tachibana.“ Sie starrt weiter. „And?“, fragt sie gelangweilt. Ich zupfe an meinem Shirt herum. „I`m new to this school.“ Scheinbar reicht das nicht als Erklärung, denn sie bewegt sich immer noch nicht. Ich seufze leise. „Actually, I`m new to american schools. I just moved here from Japan.“ Jetzt klärt sich der Gesichtsausdruck und sie scheint zu verstehen. „Aaah. So, you don`t know, where you have to go, right?“ Ich nicke und sie bedeutet mir, ruhig zu warten. Nach einer kurzen Zeit hat sie einige Unterlagen zusammengesucht und reicht mir alles nacheinander. Ein Zettel, auf dem alle Lehrer heute unterschreiben müssen, ein Lageplan der Schule – seit wann haben Schulen mehr als ein Gebäude? - und natürlich meinen Stundenplan. Dabei quasselt sie ständig auf mich ein und erklärt mir alle Wege, die schön kurz sind und mich am schnellsten zum Ziel bringen sollen. Manchmal spricht sie so schnell, dass ich nichts verstehe, aber ich nicke nur und versuche, mitzukommen. Das fehlte mir noch, dass ich sie bitten muss, langsamer zu sprechen und dann gleich als kleines Blödchen dastehe! Es reicht schon, wenn die Lehrer Rücksicht auf mich nehmen müssen, weil ich sowas nicht gewöhnt bin. Nach einer kleinen Ewigkeit entlässt sie mich mit einem „Have a nice day!“ und ich flüchte aus dem Raum. Täusche ich mich, oder hat sie mich eben Honey genannt? Solche Nähe bin ich nicht gewöhnt und ich unterdrücke den Drang, mich kurz zu schütteln. Man kann doch kein wildfremdes Mädchen einfach Honey nennen. Draußen empfängt mich Mike und bringt mich zu meiner ersten Stunde. Welches Fach das ist, muss ich noch herausfinden. Der Name sagt mir jedenfalls nichts. Kurz überlege ich, wie das hier nur weitergehen soll. Zu Hause war ich die mit den besten Englischkentnissen und jetzt stehe ich hier wie so`n Trottel, der Null Vokabeln kann. Toll, hoffentlich bemerkt das niemand. Mike redet ebenfalls auf mich ein. Scheinbar ist er richtig begeistert von der Tatsache, dass er mal wieder Japanisch reden kann: „Mach dir mal keine allzu großen Sorgen. Das mit den Räumen und Gebäuden kriegst du schnell hin. Ich war am Anfang auch erschlagen, aber man lernt`s einfach. Nur ein paar Tage und du läufst ohne Karte durch die Gegend, wetten?“ Ich lache vorsichtig. „Wird wohl etwas länger dauern bei mir. Ich hab kein Talent für Karten.“ Was leider auch stimmt. Drückt man mir eine Karte in die Hand, kann man sicher sein, dass ich in die falsche Richtung laufe. Darüber hat sich Tyson früher auch immer lustig gemacht. Weil er das immer mit links konnte. Tyson...Beim Gedanken an ihn werde ich traurig. Tyson und ich waren in Japan in derselben Klasse gewesen, doch dann kam er eines Tages einfach nicht mehr. Ich wartete drei volle Tage, bis ich an einem Freitagmorgen bei ihm vorbeischaute. Diesen Tag habe ich bis heute nicht vergessen, obwohl er schon ein Jahr zurückliegt. Denn ich traf nur auf Hiro, der todernst und tieftraurig im Dojo saß. Als er sich umdrehte und ich die Tränenspuren auf seinen Wangen entdeckte, überkam mich ein Schauer der Angst. Wenn ich jetzt daran denke, zieht sich mein Herz immer noch zusammen. Flashback: „Hillary?“ Hiros Stimme klingt rau und ich weiß, dass ich nicht hören will, was er zu sagen hat. Aber ich zwinge mich, zu fragen. Wenn etwas Schlimmes passiert ist und Hiro schon so mitgenommen ist, wie wird es dann erst Tyson ergehen? Ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken. „Ja, ich bin`s. Ich wollte Tyson abholen. Zur Schule. Er ist ja schon länger nicht mehr da gewesen und so...“ Meine Stimme verliert sich, als er die Augen schließt. „Dann kannst du wieder gehen. Er wird heute nicht in die Schule gehen.“ Ich stelle mich doof: „Ist was passiert? Ich meine, wenn er noch Zeit braucht, dann sag`s einfach. Ich erklär das den Lehrern und-“ „Stop, Hillary!“, unterbricht er mich scharf. Dann atmet er tief ein und lässt die Schultern hängen. „Tyson wird gar nicht mehr zur Schule gehen. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.“ Alles, was mir einfällt, ist ein leises „Warum?“ Hiro steht auf und sieht mich an. Ist da wirklich Schuld, die in seinen Augen aufflackert? Er holt tief Luft und es sprudelt aus ihm heraus. „Großvater ging es nicht so gut und Tyson hat mich angerufen, weil er allein etwas überfordert war. Eigentlich nur eine harmlose Grippe, aber jemand muss sich ja drum kümmern, dass alles läuft. Und dann sind wir über eine Kleinigkeit in Streit geraten – ich weiß nicht einmal mehr, was es genau war – und er flippte aus. Tyson stürmte aus dem Haus und ich ließ ihn. Er war ja schon immer hitzköpfig für drei. Erst am nächsten Morgen merkte ich, dass er nicht zurückgekommen ist. Ich machte mir Sorgen und suchte ihn. Dann kam ich wieder hier her und fand diesen Zettel.“ Er verzieht das Gesicht und hält mir ein kleines Blatt Papier entgegen. Hallo Bruder! Ich fürchte, ich werde dich jetzt ziemlich schocken, aber ich hab mich entschieden, zu gehen. Was du gestern zu mir gesagt hast, hast du nicht so gemeint, ich weiß. Trotzdem hast du mich dazu gebracht, nachzudenken. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du Recht hast. Wenn ich nicht langsam anfange, für mein Handeln Verantwortung zu übernehmen, werde ich nie selbstständig sein. Deshalb werde ich allein noch einmal neu anfangen und mir ein eigenes Leben aufbauen – weit genug weg von euch allen. Das wird echt schwierig, so, wie ich an euch hänge. Aber ich denke, da muss ich durch, um erwachsen zu werden. Ich habe außerdem beschlossen, mich nicht mehr zu melden, um nicht in Versuchung zu geraten, alles hinzuschmeißen. Danke für die Hilfe bisher und kümmere dich bitte gut um Großvater und meine Freunde. Bis (hoffentlich) bald! Tyson Mit zitternden Fingern lasse ich den Zettel sinken. Das kann doch nur ein Scherz sein! Ein verdammt schlechter Scherz. Doch Hiros Augen sagen mir etwas anderes. Dort springt mir die Wahrheit entgegen und mein Magen verkrampft sich. „Tyson ist weg?“, frage ich schockiert. Er nickt langsam. „Ja, seit gestern. Ich hab schon alles durchtelefoniert. Alles! Ich hab sogar Kai angerufen! Er ist nirgends. Soll ich die Polizei rufen? Oder Großvater Bescheid sagen? Und ich kann Vater nicht erreichen!“ Ich bin mir nicht sicher, ob er noch mit mir redet, doch ich räuspere mich. „Und Max? Ray oder Kenny? Wussten die auch nichts?“ Er zuckt zusammen und schlägt sich dann mit der flachen Hand vor die Stirn. „Max! Ich wusste doch, dass ich einen vergessen habe!“ Er rennt ins Haus, greift zum Telefon und hämmert die Nummer der Tates ein. „Max? Ja, hey, hier ist Hiro. - Nein, ich wollte dich sprechen. - Ja, mit dir. Ist Tyson bei dir? Sag mir bitte, dass es so ist, ja? - Was? Nicht? Sch.... - Nein, er ist nicht auffindbar... - Was?! - Ehrlich? - Und wieso sagst du mir nichts davon, verdammt? Ich bin sein großer Bruder! - Uh, echt? Wow, sorry, Max. Echt, das wusste ich nicht. - Ja, ich geb dir Bescheid. Danke für die Information. Bis dann.“ Er legt auf und stöhnt verzweifelt auf. „Was ist?“, frage ich vorsichtig. „Was hat Max gesagt?“ Langsam dreht Hiro sich zu mir um. „Tyson war gestern bei ihm und hat sich erkundigt, wie man sich ein Flugticket für`s Ausland besorgt. Max dachte, ich wüsste Bescheid und hat es ihm erklärt. Seitdem hat er ihn nicht mehr gesehen, aber Tysons Abschied kam ihm merkwürdig vor. Er meinte, er verstehe es jetzt.“ Seine Stimme klingt bitter. „Also könnte er schon überall sein?“, frage ich leise, nachdem ich Ordnung in meine wirren Gedanken gebracht habe. „Ja“, sagt Hiro erschöpft, „Er hat sein Konto leergeräumt. All das Geld von den Turnieren...er kann hin, wo immer er will.“ Erst jetzt schlägt die Wahrheit über mir zusammen, wie eine riesige Welle. Tyson ist fort. Er wird nicht mehr wieder kommen. Keine dummen Kommentare von hinter mir! Kein freches Grinsen, das mich fröhlich stimmt! Keine Treffen mehr bei ihm zu Hause mit den Jungs! Keine gemeinsamen Lernnachmittage vor den Klausuren! Alles hatte ich so gern gehabt. Jede Tatsache war für mich wie ein kostbarer Schatz, den ich ewig hüten wollte. Und nun soll all das vorbei sein? Eine kalte Hand greift nach meinem Herz. „Nein“, hauche ich, doch die Welt kümmert sich nicht darum, was ich will. Flashback ende Ich lande wieder im hier und jetzt, als Mike sich von mir verabschiedet und zu seinem eigenen Unterricht geht. Ich muss schlucken, um den Kloß im Hals loszuwerden und betrete den Raum. Der Unterricht hat noch nicht angefangen, aber der Lehrer ist schon da. Er sieht mich und scheint sofort zu wissen, dass ich keine Ahnung habe, wie das hier läuft. Ich muss mich der Klasse mit ein paar Sätzen vorstellen und hasse ihn sofort dafür. Mein Platz ist ebenfalls so weit vorne, dass er immer schnell merkt, wann ich keine Ahnung habe, denn ich kann mich hinter niemandem verstecken. Jawohl, die erste Reihe, fast direkt vor dem Lehrerpult – ich Glückskind. Noch mehr solcher Ereignisse und ich bleibe für den Rest meines Lebens in sarkastischen Bemerkungen hängen. Zumindest im Geiste. Es stellt sich heraus, dass es sich bei Trig schlicht um Mathematik handelt. Und, dass alle schon viel weiter sind, als ich es bin. Kann mein Tag eigentlich noch schlimmer werden? Kapitel 3: Ein alter Bekannter ------------------------------ Oh ja, er kann. Das muss ich etliche Schulstunden später feststellen, als wir endlich Mittagspause haben. Sobald ich die Mensa betrete, starren alle mich an. Die Lautstärke der Gespräche wird merklich heruntergeschraubt, da einige innehalten, um zu glotzen. Ich laufe rot an und setze mich schnell hin. Glücklicherweise kommt Mike zu mir und bringt einen Schwung Leute mit, sodass ich für`s Erste vor neigierigen Blicken geschützt bin – bis auf die an meinem Tisch, versteht sich. Die brennen sich schon zur Genüge in mich ein und ich wiederstehe dem Drang, zurückzuweichen. Stattdessen klebe ich mir ein Lächeln ins Gesicht und versuche, mich vernünftig zu unterhalten. Bis der ganze Saal still wird. Ich sehe auf und muss feststellen, dass alle Schüler zur großen Flügeltür sehen, die offen steht. Fünf Personen stehen dort und mustern den schweigenden Raum. Dann hebt einer die Hand und lächelt. Er hat braunes Haar, das ihm in die Augen fällt und eisblaue Augen. Die Schuluniform steht ihm gut. Die dunkle Hose und die lockere Jacke unterstreichen seine blasse Haut. „Hey, guys“, sagt er halblaut und ein paar Mädchen seufzen auf. Fehlt nur noch, dass ihre Augen zu Herzen werden und sie sabbern. Obwohl die Stimme schön tief und männlich ist, schnaube ich leise. Ich hatte noch nie etwas für den offensichtlichen Mädchenschwarm übrig. Die Sorte Jungs sahen meist nur gut aus und hatten einen eigentlich miesen Charakter. Neben dem großen steht ein Kerl, der so klein ist, dass er in Japan nie auffallen würde, hätte er nicht eine Frisur wie ein Igel. Pink, schwarz und blond. Ernsthaft? Hat der schon mal in den Spiegel geschaut? Und was soll dieses auf Punk getrimmte Halsband? Er sieht aus, wie ein Hund im Kinderkörper! Lächerlich. Das einzige Mädchen in der Gruppe ist angenehm blond. Der Farbton ist nicht zu hell, sondern schön weizenfarben. Das scheint ihre natürliche Haarfarbe zu sein und ich beneide sie darum. Ich wäre auch gerne blond. Sie ist fast so klein, wie der Igel, aber ihre Figur ist Modelmaß: Schlank, mit toller Oberweite und einem Engelsgesicht. Ihre Augen sehen von hier hinten fast golden aus und erinnern mich an Ray. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und seufzt. Dann wendet sie sich dem Kerl zu ihrer rechten zu und sagt etwas zu ihm. Er verzieht die vollen Lippen zu einem Grinsen und nickt. Seine dunkelblauen Haare fallen bis auf die Schultern und seine Augen blicken ernst in derselben Farbe drein. Als ich beim Letzten ankomme, bleibt mein Herz fast stehen. „Kai!“, entfährt es mir lautlos. Tatsächlich, dort steht Kai und grummelt genervt vor sich hin! In der Schuluniform habe ich ihn fast nicht erkannt, aber die zweifarbige Frisur steht heraus. Sein Blick sagt eindeutig, dass er alle in diesem Raum für nervige Würmer hält. Dann fällt sein Blick auf mich. Er wechselt von gelangweilt zu überrascht und spiegelt damit meinen Gesichtsausdruck. Ich hatte ihn hier auch nicht erwartet. Er lehnt sich zu dem Blauhaarigen direkt neben ihm und flüstert scheinbar etwas, denn alle lehnen sich zu ihm herüber. Trotzdem lässt er mich nicht aus den Augen und hält meinen Blick fest. Ich schlucke vorsichtig. „Blöde Reiche!“, schnaubt Mike und mein Blick wandert zu ihm. „Wieso?“, frage ich ihn. Er sieht mich an und verzieht das Gesicht. „Nur, weil sie Geld haben, halten sie sich für was Besseres. Sie haben sogar Extraunterricht. Weil wir ja zu unwürdig für sie sind.“ „Sie nehmen sich alles raus und hacken gerne auf uns Normalos rum“, meldet sich ein Mädchen neben mir, deren Namen ich vergessen habe. Tja, das klingt nach Kais üblicher Lass-mich-in-Ruhe-du-Idiot-Einstellung. Klar, dass das keiner hier versteht. „Sie müssen noch nicht einmal die Schuluniform tragen. Weil sie das Image der Schule so aufpolieren und das nach außen einen besseren Eindruck macht“, ergänzt ein weiteres Mädchen und ich bemerke zum ersten Mal, dass tatsächlich nur der mit den braunen Haaren Uniform trägt. Der Rest hat individuell andere Sachen an. Natürlich ist der Igel auch im Rest auf Punk eingestellt: Nietenschuhe, Lederhosen und schwarzes Shirt. So eng, dass es wirkt wie aufgesprüht. Der Junge mit den blauen Haaren steckt in dunklen Jeans und einem schwarzen Hemd mit kurzen Ärmeln. Außerdem hat er irgendein Armband an, dass ich nicht richtig erkennen kann. Aber er wirkt noch am normalsten – wenn man davon absieht, dass alle wie Models wirken. Die Blonde steckt in einem süßen schwarzen Kleid, das eine Schulter freilässt und am Kragen leicht funkelt. Stiefeletten koplettieren das Ganze. Sie sieht aus, wie frisch aus einer Zeitschrift entsprungen. Und Kai – tja, Kai ist eben Kai. Sein Haar ist genauso wie immer. Seine Kriegsbemalung ist am Platz und seine Hosen sind schwarz. Eine ebenfalls schwarze Jacke über einem dunklen Shirt. Er hat sich wirklich überhaupt nicht verändert. Als er eben den Kopf drehte, habe ich sogar ein Funkeln an seinem Ohr bemerkt. Trägt er immer noch den Ohrring? Ich muss lächeln. Wie gut, dass es noch Leute gibt, die sich selbst treu bleiben. Ich habe mich schließlich auch nicht verändert. Die Gruppe setzt sich an einen Tisch nahe der Tür, durch die sie gekommen sind und die leisen Gespräche beginnen wieder. Mein Blick haftet noch auf Kai, der mit den Fingern ein Brötchen zerrupft und keinerlei anstalten macht, etwas zu essen. Seine Lippen bewegen sich und das Mädchen hört ihm aufmerksam zu. „Besser, du lässt dich nicht mit ihnen ein“, warnt mich Mike. „Wieso?“, frage ich verblüfft. Er seufzt. „Sie können dir manchmal direkt nett erscheinen, aber dann ist`s am gefährlichsten. Wenn man sich mit einem unterhält, solange Lehrer dabei sind, sind sie freundlich und alles. Aber hinten rum machen sie dich fertig. Total. Es sind schon einige von der Schule runter, weil sie`s nicht mehr ausgehalten haben.“ Das schockiert mich wirklich. Ich meine – klar, Kai ist nicht der netteste Mensch auf Erden, aber so daneben hab ich ihn noch nie erlebt. „Und wenn ein Lehrer sie erwischt?“ Er seufzt. „Dann kommt`s drauf an, wer. Die meisten lassen es so durchgehen. Andere verwarnen dann und kümmern sich nicht mehr darum. Ich glaub, manche lassen sich sogar bestechen. Aber sag das nicht laut, sonst bricht hier die Hölle los!“ Ich zucke zurück. „Du meine Güte!“ Er nickt gequält. „Nur ganz wenige Lehrer sind da streng genug. Meistens die, die keinen Unterricht bei denen haben. Ansonsten könnten sie ihren Job loswerden, deswegen trauen sie sich das nicht.“ Ich mache große Augen. „Und das sagst du mir an meinem ersten Tag? Sehr ermutigend.“ Er lacht. „Keine Sorge, du wirst wohl nichts mit ihnen zu tun haben. Also sei einfach höflich, wenn du ihnen mal auf dem Gang begegnest und sieh zu, dass du schnell wegkommst. Dann ist alles ganz easy.“ Ich nicke. „Werd`s versuchen.“ „Es sei denn, sie wird ein Honey“, wirft das Mädchen neben mir ein. „Jessica!“, zischt Mike leise. Sie hebt die Augenbrauen. „Ist doch möglich? So, wie der eine sie eben angeglotzt hat. Und Hiwatari hat im Moment keine, soviel ich weiß.“ Ich will fragen, was sie meint, doch die Schulglocke unterbricht uns. Eilig stelle ich das Tablett weg und sehe auf meinen Stundenplan. „Ich muss jetzt zu Englisch.“ „Oh, Mist“, flüstert Mike. Jessica sieht mich mitleidig an. Ich schaue sie fragend an. Da deutet sie auf die Raumummer. „Direkt neben den Reichen. Und zu dieser Zeit sind die alle in ihrem Raum. Das nenn ich mal Pech.“ Und schon verknotet sich mein Magen zu einem kleinen Klumpen. „Hab ich ein Glück. Juchu!“, murmele ich sarkastisch. Kapitel 4: Der Anfang vom Ärger ------------------------------- Diesmal bringt mich Jessica zum Raum. Anscheinend hat Mike zu viel Schiss vor den furchtbaren Kerlen im Nebenzimmer. Toll, soviel zur Ritterlichkeit der Männer. Wenn jetzt doch nur einer der Jungs hier wäre! Von unserem alten Team hatte keiner Angst vor Kai. Allein bin ich jedoch nicht so mutig. Wenn ich komplett ehrlich bin, hat mir Kai immer schon Angst gemacht. Weil ich nie wusste, was er über mich denkt. In meinen Augen hat er sich nur wegen Tyson mit den anderen eingelassen. Meine These schien in dem Moment bewiesen zu werden, als Tysons Verschwinden die Runde gemacht hatte. Kai war der Erste, der abhaute. Ohne Nachricht, ohne Kommentar. Damals war ich stockwütend. Nun hab ich vor allem Angst, aber er tut mir auch Leid. Ohne Tyson scheint er mächtig abgerutscht zu sein. Vielleicht sollte ich doch einmal mit ihm reden? Da flüchtet auch Jessica mit schnellen Schritten und ich höre Schritte auf dem Gang, die näher kommen. Blitzschnell drehe ich mich um und will die Tür zu meinem Raum aufreißen. Jetzt hat mich die blanke Panik erfasst, da die Gruppe vermutlich gleich um die Ecke biegt und mich sehen wird. Die Tür fliegt auf, der Lehrer sieht mich und ich will schon erleichtert seufzen, als ich hinter mir eine Stimme höre, die ich nur zu gut kenne: „Hillary!“ Ich erstarre. Blöde Füße, lauft gefälligst weiter! Ich will nicht! Eine Hand legt sich auf meine Schulter. „Hey, ich rede mit dir! Sieh mich gefälligst an.“ Innerlich bibbernd komme ich der Aufforderung nach. Rote Augen mustern mich. Ich schlucke. „Hi, Kai. Netter Zufall. Darf ich zum Unterricht, oder wolltest du was Bestimmtes?“ Er starrt mich an. „Wieso bist du hier?“ Es klingt wie Verfolgst du mich etwa? und ich werde sauer. „Beschwer dich doch bei meiner Mutter. Die hat mich hierhergeschleift, obwohl ich lieber in Japan geblieben wäre! Und jetzt muss ich echt gehen.“ Ich wirbele herum und schlage ihm die Tür vor der Nase zu. Als ich zum Lehrer stürme, höre ich Gelächter von draußen. „Ow, that`s a feisty one. Right, Kai?“, lacht jemand lauthals. „Shut up!“ Ich nehme mir den Zettel und setze mich weit nach hinten. Während ich meine Sachen auspacke, verraucht langsam die Wut und mir wird klar, was ich soeben getan habe. Ich habe Kai vor seiner Clique bloßgestellt. Sie haben ihn meinetwegen ausgelacht. Mist, bestimmt kocht er jetzt vor Wut und überlegt, ob er mich gleich köpfen soll. Oder mich mit einem Blick aufspießt. Oder mich nachts überfällt. Ooookay, ich bin albern. Er wird vermutlich schimpfen wie immer und mich anfunkeln. Sonst nichts. Das geht, das kann ich aushalten. Hoffe ich jedenfalls. Schließlich scheint er sich charakterlich verändert zu haben. Ob er mich jetzt mobben wird? Die Stunde vergeht damit, dass ich mich in immer neue Horrorvorstellungen reinsteigere und sie mir nacheinander alle wieder ausrede. Aber wenigstens kriege ich mit, welche Hausaufgabe wir aufhaben. Die schreibt nämlich keiner an die Tafel, sondern nuschelt sie einfach vor sich hin. Das ist hier echt anstrengender als zu Hause. Zu Hause...ob Max schon aufgestanden ist? Und wie geht`s wohl Kenny? Und Daichi? Sie fehlen mir so sehr. Welche Uhrzeit haben wir überhaupt in Japan? Ich bin ganz verwirrt. Und so sehr am Grübeln, dass ich nicht mitbekomme, wie die anderen den Raum verlassen, während ich noch hier sitze und vor mich hinstarre. „Woran denkst du?“ Die Frage reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schreie auf, als ich Kais Stimme erkenne. „Hilfe! Töte mich nicht!“ Er starrt auf mich herunter. „Bitte?“, erwiedert er höflich und zugleich verwirrt. Ich werde rot und sehe ihn an. „Was machst du hier?“ Meine Stimme klingt rau und ich räuspere mich. Er schnaubt. „Darauf warten, dass du mir eine Antwort gibst. Also?“ So kenne ich ihn schon eher. „Woran ich gedacht habe?“ Ein Nicken seinerseits. „An Max. Und Kenny und Daichi. Und überhaupt an alle zu Hause in Tokio.“ Die Worte verlassen meinen Mund ohne Erlaubnis. Er verzieht die Lippen zur Andeutung eines Lächelns. „So sah das auch aus.“ Wie bitte? Hab ich mich verhört, oder ist er gut gelaunt? „Du bist gar nicht sauer?“, frage ich zögernd. Er zieht die Augenbrauen hoch. Das Lächeln wird zu einem fiesen Grinsen. „Oh, doch. Aber dann dachte ich mir, dass ich dich viel besser bestrafen kann, wenn ich dir helfe.“ Hä? Wo ist in diesem Satz die Logik? Hab ich was überhört? Vielleicht ist Kai auch geistig nicht ganz auf der Höhe? Ja, das muss es sein! Er beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Ich werd dir einen Wunsch erfüllen. Und der wird zu deinem persönlichen Albtraum werden, das kann ich dir garantieren!“ Und dann lehnt er sich zurück und lacht gehässig. Ich zucke zusammen und starre ihn an, wie ein Reh das herannahende Auto. Leider folgt keine weitere Erklärung, denn er rutscht von meinem Tisch, auf dem er zuvor gesessen hat und verlässt den Raum. Fröhlich pfeifend. Darf ich kurz mal in Tränen ausbrechen? Der Tag vergeht ohne weitere Zwischenfälle – wenn man von meiner furchtbaren Leistung in Sport mal absieht. Wie hab ich es nur geschafft, einen Volleyball gleich zwei meiner Mitschüler in einem Zug an den Kopf zu donnern? Das ist echt nicht mein Tag. Und laut Kai soll es für die nächsten zwei Jahre nicht nur so weiter gehen, sondern noch schlimmer werden. Verflixt noch mal! Ständig sehe ich mich um, ob er irgendwo lauert, um mich bloßzustellen. Will er mir Wasser über den Kopf kippen? Mir Dreck über die Uniform schütten? Mich verleumden? Mein Kopf schwirrt vor lauter negativen Gedanken. Erstaunlicherweise geht der Tag vorüber. Ich stehe in meinem Zimmer und kann nicht glauben, dass ich für heute fertig bin. Wie in Trance ziehe ich die Uniform aus und steige in Jeans und T-shirt. Es klopft an meiner Tür. „Hillary? Schatz, kannst du bitte rasch einkaufen gehen? Ich muss noch so viel erledigen.“ Ich rolle mit den Augen. „Ja, Mama, mach ich. Was denn alles?“ Doch ich höre schon, wie sie die Treppe runterläuft. Großartig. Also liegt hoffentlich ein Zettel neben dem Geld am Tisch, sonst muss ich mühevoll alles nachsehen. Klar, dass meine Mutter keinen Nerv dafür hat. In zwei Stunden hat sie ein Vorstellungsgespräch für ihren absoluten Traumjob und ist mega-aufgeregt. Selbst, wenn das hinhaut werden wir kaum genug Geld zum Leben haben, aber nun ja. Ihr reicht`s so und ich werde es ihr sowieso nicht ausreden können. Warum bin ich bloß erst sechzehn? Im Supermarkt – ja, ich hab ihn wirklich gefunden! - ist viel weniger los, als ich erwartet hätte. Vielleicht irre ich mich ja, weil in der Schule so eine riesige Masse an Leuten war. Hier kann ich ganz entspannt durch die Reihen gehen. Die Regale sind so hoch, dass unter der Decke nur ein paar Zentimeter Platz ist. Und alles quillt über vor Zeug, dessen Namen ich noch nie gesehen oder gelesen habe. Jetzt gerade habe ich eine Dose in der Hand, auf der irgendetwas von Hähnchen steht. Der Rest ist Kauderwelsch, für das mein Schulenglisch leider nicht reicht. „Was ist das?“, murmele ich vor mich hin. Leider gibt mir niemand Antwort, da mich keiner beachtet. Nun, fast keiner. „Nanu, wen haben wir denn da? Auch unterwegs?“ Kai! Und sein Tonfall ist schon wieder so fies. Vor Schreck lasse ich die Dose fallen. „Was willst du?“, frage ich gereizt, während ich die Dose aufhebe und wieder ins Regal stelle. Er ignoriert meine Frage völlig und grinst. „Dann komme ich jetzt schon zu meiner Rache. Sehr schön.“ Trotzig funkele ich ihn an: „Mach und verschwinde dann wieder, ok? Ich bin dein Benehmen leid.“ Seine Augen blitzen auf. „So eilig? Na dann...“ Er dreht sich um und winkt jemanden zu sich. „Ey! Hab ich dir nicht gesagt, du wirst noch deinen Spaß haben? Hier hätte ich was für dich!“ Er redet mit dieser Person Japanisch? Woher kennen die sich überhaupt? Schritte ertönen – jedenfalls glaube ich, welche zu hören. Dann kommt er um die Ecke und mein Herz bleibt stehen. Schon oft habe ich mir vorgestellt, wie unser Wiedersehen aussehen würde. Wo ich ihn treffen könnte. Ob sein Aussehen sich verändert hätte und ob er mich sehen wollte. Und nun stehe ich hier, in New York, mitten in einem schlechtbelüfteten Supermarkt und treffe ihn, weil ich Kai verärgert habe. „Tyson?“ Meine Stimme zittert. Ich kann es nicht glauben. Er trägt ein weißes T-shirt und einfache, helle Jeans. Sein dunkelblaues Haar ist hinten kürzer und leicht offen, aber er ist es. Seine Haut ist genauso dunkel, wie ich es in Erinnerung habe und er sieht immer noch umwerfend aus. „Tyson!“, jubele ich. Ein paar Leute drehen sich zu mir um, doch ich bemerke es kaum. Stattdessen werfe ich mich nach vorn und will ihn umarmen. Doch er weicht zurück. „Hil?“, entfährt es ihm halblaut. „Ja!“, lächle ich, immer noch völlig glücklich darüber, seine Stimme wieder zu hören. „Scheiße!“ Mein Lächeln erstirbt und ich sehe ihm zum erstem Mal direkt in die Augen. Was?! Seit wann sind seine Augen so kalt? Und wieso funkelt er mich so an, als wäre ich ein besonders lästiges Insekt? Er sieht sich hektisch um. „Sind die anderen hier? Oder bist du allein?“ Ach so. Er hat Sorge, dass ich ihm seinen Plan von Eigenständigkeit ruinieren könnte. „Nein, nur ich. Meine Mum und ich sind umgezogen. Ich...ich freu mich so, dich wiederzusehen. Echt. Wir haben dich alle so vermisst.“ Ich merke, dass ich plappere und hole tief Luft, um mich zu beruhigen. Es hift nichts, mein Körper vibriert vor Freude. Tyson, Tyson, Tyson! Sein Name springt in meinem Kopf herum wie ein Flummi. „Zufälle gibt es.“ „Ja, die gibt`s. Und stell dir vor, Tyson : Sie geht sogar auf unsere Schule.“ Kai klingt gönnerhaft. Als würde er den schlechtesten Nachrichten der Welt noch die Krone aufsetzen. Als amüsiere er sich königlich darüber. Tyson wirkt schockiert. „Was?! Wieso immer ich?“, jammert er. Kai klopft ihm auf die Schulter. „Nimm`s nicht so tragisch. Du hast ja immer noch genug Spielzeuge übrig“, erklärt er feixend. „Hä?“, frage ich. Tyson schnaubt. „Und ich soll hier anfangen, hm?“ Wieso redet er nur mit Kai? Und seit wann sind die eigentlich so eng miteinander? Ist in dem einen Jahr wirklich so viel passiert? Kai nickt. „Wenn du so nett wärest. Sie hat mich stehen lassen.“ Jetzt grinst Tyson, doch es wirkt nicht wie früher. Es wirkt hart und zynisch. „Das hätt ich gerne gesehen. Darüber haben sich die anderen also unterhalten heut Vormittag?“ Kai schnaubt nun ebenfalls. „Ja. Und ich hab doch gesagt, so käme sie mir nicht davon.“ Er sieht zu mir herüber. Tyson ebenfalls. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in der Klemme stecke... Kapitel 5: Honey ---------------- Tyson streckt die Arme weit aus und nickt mir zu. „Du wolltest mich begrüßen, hm?“ Zaghaft lächelt er so, wie früher immer, wenn er nett zu mir war. Das sollte mir wohl komisch vorkommen, aber ich bin im Moment so happy, ihn zu sehen, dass ich nicht nachdenke. Ich werfe mich in seine Arme und kuschele mich an ihn. Sofort bin ich von seinem Duft eingehüllt und schließe glücklich die Augen. Ich erinnere mich an letztes Jahr, als wir uns etwas näher gekommen waren und er mir als Geburtstagsgeschenk ein Paar Ohrringe gab. Jeder von uns hatte sich ein Loch stechen lassen, auf verschiedenen Seiten, sodass nur wir beide zusammen ein Paar bildeten. Das war so süß gewesen, weil er sich dazu durchgerungen hatte, obwohl es ihm total peinlich war. Den Ohrring trage ich immer noch. Und dieser Ohrring ist jetzt plötzlich weg. Jedenfalls sind da seine Finger und dann ist der inzwischen vertraute Druck weg. „Tyson, was...?“ „Shhh“, flüstert er mir ins Ohr und mir wird heiß und kalt. Dann kehrt der Druck zurück, aber das Gewicht stimmt nicht. Der Ohrring ist zu schwer, das ist nicht meiner! Ich zucke zurück. „Was hast du gemacht?“ Er grinst. „Nichts. Gar nichts.“ Schweigen tritt ein, als ich mein Ohr befühle. Ja, das, was ich fühle, ist eindeutig nicht meiner. Der hier ist schmaler und aus anderem Metall. Meiner lag eng am Ohr an und baumelte nicht. „Jedenfalls freu ich mich, dich wiederzusehen. Ich hab oft an dich gedacht.“ Ich starre Tyson an. Meint er das ernst? Wenn ja, dann freut es mich. Er und Kai verschwinden wieder. „Bis morgen in der Schule!“, ruft er mir noch zu und Kai neben ihm prustet los. Hab ich den Witz verpasst? Egal. Ich werde Tyson morgen schon wiedersehen! Für die nächsten zwei Jahre werden wir uns jeden Tag sehen! Ich könnte vor Freude platzen. Beschwingt erledige ich den Einkauf und komme viel später als erwartet nach Hause. Ups, es ist schon drei Stunden her, dass ich losgegangen bin. Hab ich aber heute getrödelt. Mama ist schon da und an dem strahlenden Gesichtsausdruck kann ich die wichtige Info ablesen: „Du hast den Job?“ Sie umarmt mich. „Ja, meine Kleine. Ich kann übermorgen anfangen. Endlich kann ich tun, was ich schon immer wollte! Und du kannst ganz beruhigt aufwachsen!“ Das konnte ich in Tokio auch, aber das sage ich ihr besser nicht. Stattdessen erzähle ich ihr von meinem Treffen mit Tyson. Sie sieht mich an. „Wirklich? Das freut mich für dich. Ihr habt euch immer so gut verstanden. Oh!“, ruft sie dann aus und ihre Hand fährt zu meinem Ohr. „Ein neuer Ohrring?“ Ich werde rot und laufe zum Spiegel. „Ja, ich denke schon. Tyson hat ihn mir gegeben. Ich hab ihn noch gar nicht gesehen.“ Im Spiegel funkelt mir ein kreisförmiger Metallreifen entgegen. Die zwei kleinen Steine darauf funkeln wie Diamanten. Ich finde ihn wunderschön. Während ich also am Esstisch sitze und mein Abendbrot herunterschlinge, während meiner Hausaufgaben und während dem Gespräch mit meiner Mutter muss ich immer wieder daran denken, wie er mich im Arm gehalten hat. Und immer wieder muss ich grinsen wie ein Honigkuchenpferd. Erst beim Zubettgehen stelle ich fest, dass das Ding nicht so praktisch ist. Wenn ich mich auf die Seite lege, drückt es unangenehm. Also setze ich mich auf und will ihn abmachen. Es klappt nicht. „Mama?“, rufe ich unsicher. Sie kommt verschlafen zu mir. „Ja?“ Ich deute auf mein Ohr. „Kannst du mir mal den Ohrring abmachen? Ich kann damit nicht schlafen.“ Ich drehe den Kopf und sie fummelt an dem Ding herum. „Sorry, Schatz. Das sitzt bombenfest. Ich krieg`s nicht auf. Du musst heute wohl mal so schlafen.“ Ich seufze. „Ist okay. Gute Nacht.“ „Nacht, Spatz.“ Am nächsten Morgen erwartet mich eine Überraschung. Alle starren mich an und tuscheln über mich. Hatten wir das nicht schon gestern? Erst, als Mike mich begrüßt, kommt Licht ins Dunkel. Verdattert bleibt er stehen und deutet auf mich. „Sie hat`s getan!“, posaunt er aus. Ich ziehe die Stirn kraus. „Was denn?“ Jessica stuppst meinen Ohrring an. „Du bist echt sein Honey geworden?“ Ich bin komplett verwirrt. „Wer ist was?“ Sie sehen sich an. „Soll das heißen, du hast keine Ahnung, was los ist?“ Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. „Nein, ich weiß nichts. Hab ich was falsch gemacht?“ Mike deutet auf mein Ohr. „Dieser Ohrring bedeutet, dass du der Honey von einem aus der Künstlerklasse geworden bist. Das bedeutet, dass du ihm zu Diensten zu sein hast.“ Ich glotze verblüfft. „Was?!“ Jessica nickt. „Schau, das ist so: Hier gibt es die Normalos und die Künstler. Die sind in verschiedenen Klassen, damit es keinen Tumult gibt. Die Künstler sind für ihre Arbeit vom Unterricht befreit, damit sie ihren Job machen können. Weil sie so natürlich nicht mehr mit dem Lernen hinterherkommen, können sie sich aus der Klasse der Normalen einen Assistenten aussuchen. Der schreibt dann für sie mit, verteilt Gruppenarbeiten und passt auf, dass der Künstler auch vernünftig lernt. Dieser Assistent wird Honey genannt und der Künstler dann Master. Kapiert?“ Ich nicke langsam. „Natürlich ist das nicht gerecht, also gibt es von der Seite des Masters auch einige Bedingungen, die er zu erfüllen hat. So bezahlt er zum Beispiel die Schulgebühren für sein Honey und nimmt es mit zum Unterricht. Die Honeys gehen auch in die Künstlerklasse“, erklärt Mike weiter. „Du meinst, ich bin jetzt sein Dienstmädchen?“, entfährt es mir komplett schockiert. Wusste Tyson das? Hat Kai deswegen so gelacht? Warum ich? Wieso ist Tyson überhaupt in der Künstlerklasse? Ich komme nicht mehr dazu, meine Fragen zu stellen, denn ein Wagen fährt vor. Wow, wer hat denn hier einen Ferrari? Kai steigt aus. Oh nein! Nicht er! Unsere Blicke treffen sich und er grinst dreckig. „Na, schon aufgeklärt?“ Ich fauche zurück: „Was geht`s dich an?“ „Alles“, erklärt eine weiche Stimme. Auf der Fahrerseite steigt ein Mädchen aus, das wunderschön ist. Habe ich gestern schon die Blonde als Model bezeichnet, so ist die hier noch besser. Neben ihr sieht die von gestern fast schon gewöhnlich aus. Schwarze Haare fallen bis auf die Schultern und rahmen ein zartes Gesicht ein. Das einfache, schwarze Kleid fließt an ihr herunter wie ein Wasserfall und betont ihre perfekte Figur. Schwarze High Heels und ein Ring am Finger. Außerdem funkelt der Ohrring an ihrem rechten Ohr. Nur ist ihrer blau und eher ein schmaler Zylinder. Sie kommt mit anmutigen Bewegungen um das Auto herum und mustert mich kühl. „Ich bin Madleine. Kais Schwester. Besser, du legst dich nicht mit mir an.“ Und sie zieht von dannen. Ein etwas hilflos wirkender, braungebrannter Junge tapert hinterher. „Wait, Master. Your books!“ Sie wirft ihm nicht mal einen Blick zu. „Take them and come!“ Selbst ihr Ton ist eisig. Ich schüttele mich angewiedert. Kai lacht. „Und das ist erst der Anfang. Richtig, Tyson?“ Mein Herz macht einen Hüpfer. Tyson ist da. Irgendwie freue ich mich ja, mit ihm in eine Klasse gehen zu können, aber Kais Kommentar hat mir gezeigt, dass Tyson mich wohl nicht mehr so behandeln wird, wie früher. Tatsächlich kommt Tyson mit einem neutralen Gesichtsausdruck auf mich zu und packt mich grob am Arm. „Komm mit.“ Er zerrt mich hinter sich her. Im Klassenzimmer wirft er sich in den Sitz. „Setz dich und lass mich erklären.“ Ich nehme neben ihm Platz und sehe verwirrt zu ihm herüber. „Also“, beginnt er, „Ich mache das, weil du ja eh nicht locker lassen wirst. Und, weil Kai darum gebeten hat. Bild dir also bloß nichts ein.“ Als würden wir uns gar nicht kennen...so kalt und berechnet...Wo ist der Tyson von vor einem Jahr geblieben? „Kommt nicht in Frage! Was soll das hier werden? Hm? Eine Strafe, weil ich Kai angefaucht habe? Und überhaupt, du tust ja so, als wäre Kai auf einmal dein bester Freund! Was ist passiert? Wieso benimmst du dich genauso bescheuert wie er? Und warum-“ „Shut up!“, faucht er mich an. Seine Augen brennen vor Wut. „Shut the hell up! You know nothing!“ Ich lehne mich erschrocken zurück. Ich traue mich nicht mehr, etwas zu sagen und nicke nur. Offensichtlich habe ich etwas falsch gemacht. Nur was? Kapitel 6: Du hast dich verändert... ------------------------------------ Die Stunden ziehen sich hin. Da wir hier viel weniger sind als in anderen Klassen, komme ich viel öfter dran. Und etwa genauso oft weiß ich nicht, was man von mir will und stottere vor mich hin. Tyson rollt genervt mit den Augen, je weniger ich weiß und Kai grinst immer zufriedener. Als es zur Mittagspause läutet bin ich den Tränen nahe und verschwinde aufs Klo. Dort wasche ich mir das Gesicht und versuche, nicht zu heulen. Das wollte Kai also gestern sagen. Er hat mir einen Wunsch erfüllt, indem er mich zu Tyson gebracht hat. Und das soll jetzt zu meinem Albtraum werden. Ich seufze und sacke beinahe auf den Boden. „Gott. Kai Hiwatari, ich hasse dich! Was hast du mit Tyson gemacht?“ Wieder im Raum – Tyson meinte ich sollte hier bleiben und mit den anderen essen – stehe ich erneut dumm da. Tyson ist verschwunden. Was soll ich jetzt tun? Ich stehe etwas hilflos da, während sich die anderen über mich das Maul zerreißen. Der Junge, der wohl Madleines Honey ist, steht auf und kommt zu mir. „Hey. I`m Heiji. Who are you?“ Ich lächle zaghaft. „I`m Hillary. Nice to meet you.“ „Me too!“, lacht er. Dann sieht er sich im Raum um. „Well, you`re Tysons honey, right?“ Ich nicke. „Then you better go and find him. The next class will start soon. It`s your job to make him attend classes. “ Ich mache einen Laut, irgendwo zwischen verblüfft und genervt. „Really?“ Er nickt. Stöhnend drehe ich mich um und verlasse den Raum. Ich suche im ganzen Gebäude, aber er ist nicht da. Nirgens! Versteckt er sich, um mich zu ärgern? Ich blicke nach draußen, wo der Sportplatz ganz in der Nähe liegt. He? Ist das da etwa Tysons Haarschopf? Denn gerade sehe ich eine Bewegung an einer der Wände. An den Platz grenzt gleich die Sporthalle, sodass eine Wand den Platz von einer Seite abschirmt. An genau dieser Wand bewegt sich jetzt etwas. Und zwar eine Person mit mitternachtsblauem Haar. „Da hast du dich versteckt!“, murmele ich zufrieden und setze mich in Bewegung. Eigentlich will ich ihm ja eine Standpauke halten, sobald ich da bin, doch dann kommt alles ganz anders. Ich gehe an einer Wand entlang, die den Sportplatz wohl zur Straße hin abschirmen soll und versuche, möglichst leise zu sein. Schließlich will ich nicht, dass er direkt wieder abhaut. Ich bin gerade an der Ecke angekommen, als ich ein Stöhnen höre: „Tyson! Please, don`t let me wait!“ Eine Mädchenstimme. Sie klingt völlig außer Atem. Ich bleibe wie eingefroren stehen. Dann sein ebenfalls atemloses Lachen. „Like this?“, fragt er und kichert. Noch ein Stöhnen. „Gosh, you`re a god!“ Er raunt ein „I know.“ Ich glaube nicht, was ich da höre. Kann es wirklich sein, dass er...? Nein, das macht er nicht! Nicht Tyson! Doch die Geräusche hören nicht auf...“Faster, please!“ Mir wird warm. Was soll das werden? Hier, in der Schule? „Tyson! I...I`m...!“ Wer ist dieses Mädchen überhaupt? Ich will hier weg, will das nicht hören, will nicht wissen, was er da macht. Aber meine Beine sind wie eingefroren. Kleidung raschelt. Anscheinend sind sie fertig. „Can we do that again?“, fragt sie und schnurrt vor Zufriedenheit. „No“, ist seine schnelle, kalte Antwort, „You`re just an amusement. And I have enough of you. Take today as a special price for goodbye.“ Ich schnappe nach Luft, genau wie sie. „What? You said you love me!“ Er lacht höhnisch. „And you took that for granted? How naive can you get? We guys talk a lot when we want something. And now go. I`m sick of you!“ Sie bricht in Tränen aus und verschwindet. Die Hände vors Gesicht geschlagen läuft sie an mir vorbei und verschwindet im Normalentrackt. Schockiert starre ich ihr hinterher. „Kommst du da noch mal raus? Ich weiß, dass du da bist, Hil.“ Seine Stimme ist ganz kalt. Als würde ihn nicht interessieren, was ich davon halte. Ich trete aus dem Schatten hervor und sehe ihn ungläubig an. Er ist noch dabei, sein Hemd in die Hose zu stecken und blickt nicht einmal zu mir hin. „Was sollte das?“, bricht es aus mir hervor. „Was denn?“, erwiedert er lässig. Hilflos deute ich an die Stelle, wo das Mädchen verschwunden ist. „Das da! Wie konntest du das tun?“ Jetzt sieht er mich an. Seine Hose steht noch ein kleines Stück offen und sein Haar ist zerzaust. Doch sein Gesicht ist wieder die undurchschaubare Maske, die ich sonst nur von Kai kenne. „Reg dich ab. Sie wusste, worauf sie sich einlässt. Ich hab ihr nie etwas versprochen. Was kann ich dafür, wenn sie sich Hoffnungen macht?“ Mir klappt die Kinnlade runter. „Bitte was? Bist du verrückt geworden? So warst du doch früher nicht.“ Er nickt und grinst falsch. „Früher war ich ein spätpubertierendes Kind. Sonst nichts. Das war einmal, klar? Außerdem hatte ich gerade Lust drauf. Hätte ich etwa besser dich nehmen sollen?“ Er zieht provozierend eine Augenbraue hoch. Ich werde flammend rot und mir wird an einer ganz bestimmten Stelle warm. Gleichzeitig bin ich entsetzt, was aus ihm geworden ist. Unfähig, meine wirbelnden Gefühle in Worte zu fassen, starre ich ihn an. Er nutzt meine Sprachlosigkeit aus und kommt näher. Ich gehe einen Schritt rückwärts und befinde mich an der Wand. Weiter zurück kann ich nicht. Mit einer Hand packt er mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. „Ich habe viel zu viel im Leben verpasst. Mein Bruder hat es wirklich geschafft, mich so weit zu kontrollieren, dass ich über so vieles nie nachgedacht habe. Seit ich hier bin, wird mir jeden Tag klarer, was für ein Dummkopf ich gewesen bin! Also lass mich doch. Es gibt ne ganze Menge, was ich noch erleben will, bevor ich rechtlich als erwachsen gelte.“ Er sieht mich ernst an und spricht die Worte mit Nachdruck: „Und du wirst mich nicht aufhalten, klar?“ Da nicke ich. Ich weiß nicht, wieso. Er verzieht die Lippen zu einem Lächeln. „Gut. Wir verstehen uns scheinbar.“ Echt? Ich verstehe nur, dass er scheinbar die falschen Freunde hat. Er beugt sich zu mir und seine Lippen streifen hauchzart meine. „Bis dann. Sag dem Lehrer, ich sei schon gegangen“, flüstert er und lässt mich einfach stehen. Jetzt sacke ich wirklich auf den Boden und heule. Mein erster Kuss! Und dann so! Wie furchtbar. Minutenlang sitze ich auf dem Boden und schluchze. Was ist nur mit ihm passiert? Was? Ein Taschentuch taucht in meinem Blickfeld auf. „Hier.“ Ich schaue auf. Madleine beugt sich zu mir und sieht besorgt aus. Zögernd nehme ich das Taschentuch und wische mir über`s Gesicht. „Danke“, schniefe ich leise. Sie setzt sich vorsichtig neben mich. „Dein Kleid wird schmutzig“, murmele ich und sie zuckt mit den Schultern. „Nicht so schlimm.“ Dann sieht sie mich an. „War das Tyson?“, fragt sie sanft. Ich nicke. Sie schnaubt genervt auf. „Typisch! Anstatt ehrlich zu sein, beweist er lieber, was für ein toller Hengst er doch ist!“ Ich werde rot und starre sie erschrocken an. So deutlich hatte ich sie gar nicht eingeschätzt. Sie sieht meinen Blick und grinst. „Na, ich bin direkt. Daran musst du dich gewöhnen. Aber egal. Das ist echt zuviel. Jetzt hat er`s übertrieben, finde ich.“ „Was ist passiert?“, frage ich leise. Ich muss es wissen. Muss es verstehen. Ich will ihm helfen. Ich will meinen Tyson zurück. Lange starrt Madleine mich an. Wahrscheinlich entscheidet sie gerade, ob sie mir antworten soll. „Bitte“, flüstere ich und sie gibt nach. „Na schön. Also, das ist so: Tyson lernte ich vor etwa einem Jahr kennen. So ein oder zwei Monate, nachdem er hier in die USA gezogen war. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie wir uns begegnet sind!“ Flashback Tyson stand an der Ampel und wartete auf das bekannte grüne Männlein. Unter seinem Arm steckte ein DinA-3 großer Umschlag, den er zur Post bringen wollte. Schließlich sprang die Ampel um. „Endlich“, seufzte Tyson und setzte sich in Bewegung. Er wollte seine letzte Chance nutzen und diese Bewerbung verschicken. Wenn er nicht bald eine Zusage für einen festen Job bekommen würde, wäre all seine Anstrengung umsonst gewesen. Er wollte nicht als Gescheiterter zu Hause auftauchen. Plötzlich fiel sein Blick auf eine Person, die er zu erkennen glaubte. „Unmöglich“, flüsterte er und erstarrte. Hatte er richtig gesehen? Quietschende Reifen und schockierte Ausrufe brachten ihn zurück in die Wirklichkeit. Er blickte nach rechts und sah ein Auto unkontrolliert auf sich zurasen. Erschrocken riss er die Arme hoch und schloss die Augen. Er spürte, wie er von den Füßen gerissen wurde – allerdings viel sanfter, als er erwartet hatte. Als die Welt aufhörte, sich zu drehen, oder ohrenbetäubend wie sich verbiegendes Metall zu klingen, wagte er einen Blick nach oben. Es musste oben sein, denn er spürte den Asphalt der Straße unter sich. Graublaue Haare waren das Erste, was er wahrnahm. „Alles okay?“, fragte eine Stimme, die ihm eine Gänsehaut erzeugte. „Du...?“, brachte er nur noch hervor. Kai blinzelte und erkannte ihn endlich. „Tyson?“, rief er völlig schockiert und sprang auf. Langsam richtete sich auch der Japaner auf. „Nein, Sie verwechseln mich“, knurrte er und wollte verschwinden. „Und das sagst du mir auf Japanisch? Kleiner Denkfehler, hm?“, meinte Kai und hielt ihn am Arm fest. Tyson fluchte unfein und riss sich los. „Ja, meinetwegen, ich bin`s. Zufrieden? Jetzt lass mich in Ruhe!“ Erneut hinderte Kai ihn, indem er ihm einfach den Weg versperrte. „Ich habe gerade dein Leben gerettet“, sagte er nüchtern, „Wie wäre es denn, wenn du dich mal bedanken würdest?“ Noch ein Fluch verließ Tysons Lippen. Kai zog daraufhin nur die Augenbrauen hoch. So schlecht gelaunt hatte er den kleinen Chaoten nicht in Erinnerung. Er seufzte leise. „Setzen wir uns doch erst mal in ein Caffeè und reden. Nun ja – du redest und ich höre zu.“ Der Blick, mit dem Tyson ihn bedachte, brachte Kai zum Verstummen. Trotz der offensichtlich schlechten Laune ließen sie sich nach wenigen Schritten in einem Caffeè nahe der Straße nieder. Tyson schwieg sich leider aus. Erst, als sie beide einen Kaffe vor sich stehen hatten und Kai ihm auffordernd zunickte, räusperte sich der Jüngere. „Ich bin halt von zu Hause weg.“ Kai nickte nur. Der Japaner verstand, dass Kai in die Geschichte eingeweiht war. Hilflos grinste er. „Ich hab noch keinen Job. Nur sieht`s ohne schlecht aus. Die Schulgebühren krieg ich im Moment so noch hin, aber es wird langsam eng.“ „Welche Schule denn?“, fragte Kai leise. Er sah seinen alten Freund genauer an und bemerkte dessen dunkle Augenringe. Auch die Haut des anderen war wesentlich blasser, als früher. Insgesamt sah Tyson krank und erschöpft aus. Als er seine Schule nannte, wurde Kai auch klar, warum der andere so fertig war. „Dieses Drecksloch?“, erwiederte er schockiert. Tyson nickte leicht. „Es ist nicht so schlecht – wenn du dich von den Schlägern und dessen Frauen fernhälst.“ Kai seufzte leise und frustriert. Musste sich der Kleine ausgerechnet die Schule aussuchen, die den miesesten Ruf in ganz New York hatte? Tyson stand auf. „Ich muss gehen“, murmelte er und schulterte einen Rucksack, der Kai bisher gar nicht aufgefallen war. „Wieso?“, fragte der Halbrusse und sah auf. Ein Zähneknirschen. „Dank dem Unfall von vorhin ist meine Bewerbungsmappe weg. Keine Ahnung, wohin der Umschlag geweht wurde. Jetzt muss ich zum Copy-Shop und mir alles noch einmal ausdrucken lassen.“ Kai hielt den Umschlag hoch. „Meinst du den hier?“ „Idiot! Gib doch her, wenn du ihn aufgehoben hast!“ Kai zog den Arm weg und barg den Umschlag hinter dem Rücken. „Nein.“ Tyson starrte ihn an und langte erneut nach seinem Besitz. Kai sprang auf. „Wo soll das hingehen?“, fragte Kai ihn. Tyson langte hinter Kais Rücken und ergriff den braunen Packen. „An eine Dienststelle der BBA!“ Er riss daran. Kai lachte. „Ist das die letzte Rettungsleine?“ Tyson funkelte ihn an. „Und wenn schon. Kann ja nicht jeder so ein Vermögen erben, wie du.“ Mittlerweile standen sie so nah aneinander, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. „Tue ich gar nicht“, flüsterte Kai. Tyson stoppte in dem Versuch, am Umschlag zu reißen. „Wie bitte?“ Kai grinste schief. „Ich erbe nichts. Da Großvater und Boris aus dem Rennen sind, hab ich die Firma verkaufen wollen. Aber jetzt hat sie jemand aus dem Freundeskreis meiner Familie übernommen. Jemand, der schon so gut wie zur Familie gehört. Aber interessiert dich das wirklich?“ Der Blauhaarige blinzelte. „Ach...so...“, machte er langsam. Kai bemerkte, dass der andere langsam und kontrolliert atmete. Als wäre ihm nicht gut und er müsste sich zusammen reißen... Tysons Augen flatterten zu. „Doch“, nuschelte er leise und schleppend, „Es...ist mir...wichtig.“ Er riss die Augen auf, doch sein Blick flackerte bedenklich. Kai ließ den Umschlag fallen und fasste Tyson bei den Armen. „Hey?“ Tyson verzog die Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns. „Ich bin einfach...nur müde...`kay?“ Und er sackte in sich zusammen. Schockiert fing Kai ihn auf. „Tyson?“ Er schüttelte ihn, doch der Jüngere reagierte nicht. „Hey, mach keinen Quatsch.“ Er befühlte die Stirn und bemerkte, dass Tyson offensichtlich Fieber hatte. Langsam ließ er sich auf den Stuhl zurücksinken und beförderte Tyson auf seinen Schoß. Dann holte er vorsichtig ein Handy aus der Jackentasche und scrollte durch die Nummern. Sogleich drückte er den grünen Hörer und wartete. „Ja, ist was?“ Erleichtert seufzte er auf. „Onee-san? Du musst mir mal helfen...“ Flashback Ende Madleine sieht mich an. „Kai hat mich gefragt, ob wir Tyson helfen könnten. Erst einmal hab ich ihn zu uns nach Hause gebracht und einen Arzt geholt. Während der ihn untersuchte, wollte ich in dem Rucksack nach einem Handy suchen. Mir gefiel nicht, was Kai mir erzählt hatte und ich wollte seine Familie anrufen.“ Sie lacht auf. „Aber er hatte noch nicht einmal ein Handy! Er hat wirklich an allem gespart. Stattdessen fand ich etwas, was mich viel mehr interessierte.“ Sie macht eine Pause und sieht mich an. Ich bin die ganze Zeit still geblieben. Habe versucht, mir die Situation vorzustellen. „Was denn? Ein Tütchen?“, frage ich und werde im nächsten Moment knallrot. Madleine zieht die Augenbraue hoch. „Sorry, ich-ich weiß nicht, was das sollte. Ich-ich hab`s nicht so gemeint! Ich-“ Doch sie unterbricht mich mit einem Lachen. „Der war gut. Du hast echt Humor!“ Ich starre sie verdattert an. Sie grinst. „Ehrlich. So hab ich schon lange nicht mehr gelacht. Und nun zu deiner Frage: Schau, ich bin Sängerin. Nicht unbedingt Nummer eins, aber doch in den amerikanischen Top Ten. Und ich erkenne was Gutes, wenn ich`s vor mir habe. Und Tyson hatte Songtexte geschrieben. Wirklich gute Songtexte. Ach, eins ergab das andere und ich machte ihn zum Texter meiner Band. Mittlerweile ist er sogar selbst als Künstler aktiv. Ich hab ein paar Beziehungen spielen lassen und im Moment konzentriert er sich darauf, als Model Fuß zu fassen. Gut genug aussehen tut er ja.“ Ich starre sie an. Kann nicht fassen, was sie mir erzählt hat. Tyson als Model? Nun ja, er sieht schon gut aus. Sogar mehr als gut. Bisher dachte ich immer, ich wäre leicht voreingenommen bei dieser Meinung. Trotzdem. Ich hatte mir etwas Sinnvolleres vorgestellt. Dann erst fällt mir auf, was sie vorher gesagt hat. „Songtexter? Echt? Und ist er gut?“ Sie zuckt mit den Schultern und sieht auf den leeren Sportplatz hinaus. „Wir sind von Platz zehn auf Platz drei aufgestiegen. Und übermorgen gibt es die neue Liste offiziell. Unser Produzent meinte, es ginge noch weiter rauf.“ Jetzt fallen mir die Augen fast aus dem Kopf. Und das alles nur wegen Tysons Texten? Wow. Dieses Talent kannte ich noch gar nicht an ihm. Da sieht sie mich an und ihr Blick wird dunkler. „Aber dann ist irgendetwas passiert. Seine Texte waren immer frech, aber im Moment haben sie nur ein Thema. Manche Sachen musste ich sogar entschärfen, damit die Jugendlichen sie noch hören dürfen. Was er vorher noch umschrieben hat, wird jetzt schon peinlich-direkt. Mit ihm ist nicht mehr zu reden. Wenn du meine Texte nicht mehr willst, dann lass es sagte er neulich sauer zu mir.“ Sie imitiert seine Stimme echt gut. Aber ein trauriger Unterton schwingt mit. „Dabei wollte ich nur, dass er mehr über das Gefühl schreibt. Du weißt schon, Liebe, rosarote Brille und so weiter. Dieses aufregende Kribbeln, wenn man sich sieht. Die Nervosität beim ersten Date. Aber er will nichts davon hören und konzentriert sich nur noch auf die körperliche Seite. Als ginge es nur darum. Ich glaube, er hat Liebeskummer, oder so etwas Ähnliches.“ Sie sieht mich an, als erhoffe sie sich von mir die Antworten, die sie nicht hat. Doch ich bin noch von ihrer Erklärung gefangen. Ich spreche langsam, versuche so, Ordnung in meine Gedanken zu bringen: „Er ist nicht bereit, zu diskutieren? Warte mal, du sagtest, er schreibe...“, ich stocke, rede dann aber weiter, „über die körperliche Seite. Du meinst...?“ Ich werde rot und breche schließlich ab. Sie nickt. „Ja, genau das.“ Dann dreht sie den Kopf wieder weg. Todtraurig wirkt sie – nicht nur ihr Blick, sondern alles an ihr. „Sicher“, murmelt sie, „Ich hab ihn gebeten, darüber zu schreiben. Aber nur ab und zu! Und auch nicht so. Nicht so...düster.“ Madleine schüttelt müde den Kopf. Ich starre sie an. Was ist hier nur passiert? Als wir in den Klassenraum zurückkommen, hat der Lehrer schon angefangen. Er wirft uns beiden einen bösen Blick zu und wir setzen uns. Leider sieht er sehr deutlich den leeren Platz neben mir, auf dem eigentlich Tyson sitzen müsste. Er sieht mir in die Augen. „Where is he?“, fragt er scharf. Ich starre ihn an und kann nur stottern. Kai kichert leise. Offenbar amüsiert er sich königlich über jeden Fehler von mir. „He`s gone home. Work“, sagt Madleine nüchtern. Sie wirft dem Lehrer einen Blick zu und zieht die Augenbraue hoch. Der Kerl am Pult verstummt und wendet sich kurz darauf wieder seinem Unterricht zu. Ich bemerke aus den Augenwinkeln, wie Kai seiner Schwester einen unverständlichen Blick zuwirft. „Danke“, flüstere ich. Madleine zuckt mit den Schultern. „Soll nicht nachher heißen, ich hätte mit euch zweien geschwänzt. Immerhin hab ich den Ruf, das nie zu tun.“ Okay, soviel zu ihrer Hilfsbereitschaft... Kapitel 7: Sport ist Mord ------------------------- Stundenende. An einem Donnerstag. Morgen muss Mama mit ihrer Arbeit anfangen. Wenn ich jetzt noch Sport überstehe, dann kann ich mit ihr reden. Vielleicht kann sie mir ja helfen. Ich will ja gar nicht auf eine andere Schule, nein. Aber ich würde gerne wissen, was ich jetzt tun soll. Vorsichtig packe ich meine Bücher weg und beobachte die anderen. Die Blonde zieht ein Gesicht, als solle sie eine Zitrone pur essen. Offensichtlich mag sie keinen Sport. Madleine sieht eher belustigt aus. Kai wie immer genervt. Der kleine Igel grinst und der Große mit den braunen Haaren hackt nur auf seinen Laptop ein. Jetzt kommt der mit den blauen Haaren auch noch auf mich zu. Er musstert mich von oben bis unten und sieht dann zu Madleine. „That`s Kais feisty one, huh?“, fragt er und sie verdreht die Augen. „Yepp, she is. But I think it changed to Tyson.“ Er grinst. „Same game?“ „As usual. And I hate it.“, erwiedert sie genervt. Kai schnaubt. „She deserves it.“ „Why? Just `cause she wasn`t like all the other girls when you first met?“ Diesmal hat Heiji gefragt. Ich will nicht antworten. Außerdem komme ich mir eh gerade ziemlich außen vor vor. „She stormed away and left him staring.“, erläutert Mister Laptop ruhig und ohne aufzusehen. Heiji wirft den Kopf zurück und lacht laut. „Shut up!“, zischt Kai und sieht aus, als wolle er dem anderen an die Gurgel gehen. „Can it, guys“, geht Madleine dazwischen, „We don`t want to be late. At least Alex and I. So, hurry up, we still have two more lessons.“ Sie schnappt sich ihre Sporttasche und verschwindet. Die Blonde sieht mich an. „Do you know where to go?“ Ich schüttele den Kopf. Sie seufzt und drückt mir meine Tasche in die Hand. Ihre hängt schon über ihrer Schulter. „Come with me.“ Ihre Stimme ist sehr sanft. Erleichtert nickend trabe ich hinter ihr her und gelange zu einer fast leeren Umkleide. Nur Madleine ist schon da und beinahe halb umgezogen. Als wir reinkommen zieht sie sich gerade ihr Oberteil über den Kopf und legt es auf die Bank vor ihr. Als ich ihre schlanke Taille sehe, bleibt mir fast die Luft weg vor Neid. Sie hat nicht mal Babyspeck oder so etwas! Alex sieht auch so aus. Trotz ihres Sonderstatus tragen beide die normale Sportkleidung der Schule. Ein einfaches, weißes T-Shirt und dunkle Shorts. Ich bin nicht ganz so schnell wie die zwei und fummele noch etwas nervös an den Turnschuhen herum, als sie schon die Halle betreten. Fahrig setze ich mich auf die Bank und zerre an den Schnürsenkeln, die einfach nicht halten wollen, egal, wie oft ich sie zubinde. Direkt über mir ist ein kleines Fenster in der Wand, das wohl als Lüftung dienen soll. Dadurch kann ich hören, wie die Mädchen draußen miteinander reden: „What is it with you?“ Alex klingt aufgebracht. „I don`t like that. It`s nothing wrong with her, though. It is the whole situation.“ Kais Schwester ist vorsichtig mit ihrer Antwort. Eine männliche Stimme mischt sich ein. „And that means you have to be that rude? You use to be nicer.“ Ich kann beinahe ein Grinsen heraushören, als sie antwortet: „Yeah, I use to. If I like the people. But the two of them seem to have a good reason to behave like idiots. I think they know her.“ Ein Gemurmel entsteht. Daraus erhebt sich Madleines gereizter Tonfall: „Okay, okay. I won`t continue if you are so much against it. But I will find out, what`s going on here. And now be quiet, the guys are gonna come every second.“ Es wird still draußen und ich gehe vorsichtig zur Tür. Noch ein paar Sekunden warte ich, schließlich sollen sie nicht mitkriegen, dass ich – wenn auch unfreiwillig – gelauscht habe. Dann betrete ich die Halle – und traue meinen Augen kaum. Durch die volle Breite der Halle sind Netze aufgestellt worden und es liegen Tennisbälle bereit. Eine etwas ältere Frau mit kurzen, hellblonden Haaren legt gerade einen Stapel Schläger auf einer Sitzbank ab. Ihr Sportanzug ist einfach, aber nicht besonders modern. Auch ihr Haar ist eher grau als blond. Oder vielleicht ist es auch nur das Licht, welches ja sowieso niemandem schmeichelt. Ich gehe auf sie zu und frage vorsichtig: „Uhm, excuse me...I`m new. Do I need a sign or something?“ Sie zuckt kurz zusammen und sieht mich dann an. „No“, antwortet sie schlicht und mir fällt ihre etwas nasal klingende Stimme auf. Ein über die Glasscheibe fahrender Gegenstand ist vielleicht schlimmer, aber beides verursacht mir eine leichte Gänsehaut. Ich nicke nur – verdutzt über die offensichtliche Unhöflichkeit – und schlendere zurück zu den anderen. Allzu nah will ich mich aber nicht an sie heranstellen, weil ich das Gefühl habe, dass sie mich nicht leiden können. So verharre ich ein paar Schritte von ihnen entfernt und lehne mich an die Wand, während ich beobachte, wie sie miteinander lachen und scherzen. Zu gerne würde ich mitmachen und auch ins Gespräch einsteigen, aber ich habe den Eindruck, dass sie mir nicht antworten würden. Bilde ich mir wirklich nur ein, dass der Kerl und Alex mir absichtlich den Rücken zudrehen? Ich schüttele den Kopf und starre auf die Netze. Ich will nicht den hilflosen Eindruck vom ersten Schultag wiederholen. Ein Geräusch, welches verdächtig nach einer zugeschlagenen Tür klingt, lässt mich erneut herumfahren und die Gruppe ansehen. Heiji ist zur Gruppe dazugestoßen und funkelt gerade den anderen Kerl an. „Get your hands off of her, Zane!“ Dabei deutet er auf Madleine. Ich folge seiner Armbewegung mit dem Blick und sehe, dass Zane die Hand auf Madleines Rücken gelegt hat. Genauer gesagt, auf ihr Kreuz. Ziemlich nahe an ihrem Hintern also. Sie scheint das nicht zu stören – Heiji dafür umso mehr. Zane grinst ihn überheblich an und nimmt seine Hand betont langsam hoch. „Okay?“, fragt er mit vor Ironie triefender Stimme. Heiji verengt die Augen und macht einen Schritt auf ihn zu. Madleine tritt dazwischen und legt beiden eine Hand auf die Brust. „Stop! No fights in school! Not over this again. Got it?“ Beide mustern sich noch mit ausdruckslosen Gesichtern, nicken aber. Ich hatte es ja vorher schon öfters gesehen, aber jetzt ist es mir gänzlich klar: In dieser Klasse hat eindeutig Madleine das sagen. Die anderen sagen und tun zwar viel, aber keiner wiederspricht ihr. „Ja, sie ist der Boss.“ Ich zucke zusammen, als ich so plötzlich angesprochen werde. Ich mache einen Satz zur Seite und sehe Kai neben mir stehen. Er nickt zu den anderen herüber. Dann wendet er sich wieder mir zu. „Was meine Schwester sagt, ist hier Gesetz. Aber das heißt nicht, dass wir alles verboten bekommen. Sie mag Tyson am liebsten, deshalb hat er fast totale Narrenfreiheit. Auch bei den Lehrern. Hoff also nicht auf jemanden, der dich beschützen kommt.“ Eiskalt blicken mich seine roten Augen an. Auf einmal werde ich wütend. „Was zum Geier habe ich dir getan?“, keife ich ihn an, „Hier geht es nicht darum, dass ich dich habe stehenlassen, oder? Also, was wirfst du mir vor?“ Er verzieht das Gesicht, als wolle er sagen `Das weißt du doch genau`, aber ich habe wirklich keinerlei Ahnung, was hier vor sich geht. Alle anderen werden sofort still, als sie meinen Ausbruch hören. Gespannt warten wir alle auf Kais Antwort. Er sieht mich an und öffnet den Mund. „Du...“, beginnt er. „Hey, what`s up?“, unterbricht Tyson uns. Alex stöhnt auf. „Perfect timing“, murmelt sie sauer. Tyson sieht sie an. „Did I do something wrong?“ Zane patscht ihm auf die Schulter. „Yepp, you showed up at the worst moment. But it`s not your fault, I think. Don`t think too much about it.“ Tyson zuckt mit den Schultern und sieht Kai an. Ich ebenfalls. Er sieht Tyson erst erschrocken an, dann seufzt er auf. „Vergiss es“, murmelt er in meine Richtung und geht an mir vorbei. Langsam füllt sich die Sporthalle und die Lehrerin zählt kurz durch. „Well, I`m glad, you made it to class today, Tyson“, sagt sie dann amüsiert. Die anderen kichern und ich grinse ebenfalls. Tyson und seine Faulheit... Wir beginnen mit Warmlaufen. Womit auch sonst? Allerding müssen wir in einem riesigen Kreis um die Netze herumlaufen und ich stecke mitten in der Gruppe drin. Ich merke erst, dass Kai hinter mir läuft, als er mir mit dem Fuß an die Wade tritt und ich ins Stolpern komme. Wütend sehe ich über meine Schulter. „Ups!“, macht er sarkastisch, „Mach doch mal schneller, du lahme Schnecke!“ Ich beschleunige ein bisschen und denke, dass ich ihn los bin. Falsch gedacht. Bei der nächsten Stange, die eines der Netze hält, trifft mich wieder ein Fuß. Erneut stolpere ich. Diesmal jedoch ist nicht genug Platz und ich falle hin – und reiße dabei gleich noch die Stange samt Netz mit herunter. Mit einem lauten Platsch liege ich auf der Nase und höre, wie alle stehen bleiben und versuchen, nicht laut zu lachen. Trotzdem prusten sie leise los. Meine Wangen werden warm und beinahe sofort schießen mir die Tränen in die Augen. So eine riesige Blamage! Und das vor allen! Erdboden, tu dich auf und verschlinge mich! Ich klaube meinen letzten Rest Würde zusammen und stehe auf. Ohne ein Wort. Trotzdem legt sich eine Hand auf meine Schulter. „Are you okay?“ Madleines Stimme umweht mich sanft. Ich schlucke meine Tränen hinunter und lege ein falsches Lächeln auf mein Gesicht: „Klar, ich bin nur gestolpert.“ Sie sieht mich an und ihr Blick ist irgendwo zwischen besorgt und mitleidig. „Wäre ich auch, wenn mir mein kleiner Bruder seinen Fuß da hingehauen hätte“, meint sie dann und deutet auf meine Wade, die leicht gerötet ist. Beinahe sofort höre ich, wie Kai beleidigt schnaubt. „Ich war das nicht!“ Sie bedenkt ihn mit einem eisigen Blick. „Na klar, ich muss wohl blind sein, was? Oder hast du seit neuestem unkontrollierbare Zuckungen, hm?“ Selbst ihre Stimme ist unterkühlt. Offensichtlich mag sie mich doch genug, um den Jungs nicht alles durchgehen zu lassen. Kai zuckt zurück, als hätte sie ihn geschlagen. Er verliert sein fieses Grinsen und starrt stattdessen verdattert. „Everything okay with you?“, mischt sich die Lehrerin in die Sache ein – immerhin war mein Platscher unüberhörbar und ich hätte mir ja was getan haben können. Ich nicke ihr kurz zu. Madleine jedoch schüttelt den Kopf und erklärt sachlich: „That was Kai and his sort of fun. I think he has too much energy today.“ Er beginnt zu protestieren – nachdem er sich von dem Schreck erholt hat und seinen Mund wieder zuklappen konnte -, aber sie schüttelt den Kopf. „Forget it. Just ten more rounds for you – knees to your ellbows. Got it?“ Er starrt sie an, völlig schockiert, doch dann seufzt er auf und setzt sich in Bewegung. „Around the whole hall!“, ergänzt die Lehrerin und ich sehe, wie Kai ihr einen wütenden Blick zuschießt. „Don`t take it too strong, dear“, murmelt Alex und streicht mir tröstend über den Arm. Ich lächle vorsichtig. „Thanks.“ Für den Rest des Unterrichts bin ich sicher. Als Kai seine Runden abgelaufen hat, ist er völlig aus der Puste und muss zu allem Überfluss auch noch in ein Team, in dem ein Spieler zu wenig ist. Allein steht er drei Gegnern gegenüber – Alex steht völlig hilflos am hintersten Ende des Feldes und beobachtet nur. Bei ihrem ersten Versuch hatte sie ihm den Schläger an den Kopf gedonnert, sodass sie jetzt sich komplett heraushält. Yugi, der kleine Stachelkopf, scheint zu schwänzen. Und Tyson steht auf der anderen Seite und haut ihm einen Ball nach dem anderen um die Ohren. Ich muss grinsen, obwohl ich das bereuen werde. Ich bin in der anderen Gruppe gelandet. In meinem Team sind Madleine und Zane, die den Großteil des Spiels nur zu zweit managen. Ich stehe nur zur Verschönerung der Landschaft herum, aber es ist mir nur Recht. Die andere Seite – mit Jaden, Seto und Heiji als Team – ist nicht sehr koordiniert und rennt sich ständig gegenseitig um. Irgendeiner flucht immer leise und bringt uns Restliche damit zum Grinsen. Zane scheint mich zu mögen, denn er gibt mir immer ein aufmunterndes Lächeln und hat mir sogar die Namen von allen verraten, als ich ihrem Team zugeteilt wurde. Ich versuche mein Bestes zu geben, selbst, wenn ich nicht viel tun muss. Wir gewinnen zwei von drei Runden und damit das ganze Match. Am Ende hebt Madleine die Hand und schlägt uns beide zum verdienten High-Five ab. „That was great!“, lacht sie. Zane nickt und klopft mir leicht auf die Schulter. „Yepp.“ Wir rennen regelrecht zur Umkleide und Madleine ist in richtiger Hochstimmung. Alex lächelt nur und sagt nichts, da ihr Team kläglich gescheitert ist. Kai durfte entsprechend sauer gewesen sein, schätze ich. „That was funny“, plappert Madleine, während sie ihre Kleidung wechselt, „Makes me wish, we could repeat this someday.“ Alexis stöhnt genervt auf: „For gods sake, no!“ Ich muss lachen und beide sehen mich an. „You did a great job, you know, beating Kai in the head with that raket“, bringe ich hervor. Beide grinsen und lachen mit mir. „He deserved it“, stellt Alexis klar. Interessanterweise sind wir Mädchen schneller umgezogen, als die Jungs. Weil die zwei Mädels sich hinstellen und warten, tue ich es auch. Für einen kurzen Moment vergesse ich sogar den blöden Ohrring und was er bedeutet. Heiji kommt als Erster aus der Tür. Er freut sich richtig, als er Madleine sieht. „You waited“, murmelt er fast schon erstaunt. „Sure“, erwiedert sie, „I still have an essay due. And you`re gonna help me, `cause I can`t think of a proper thing to write about.“ Er sackt kurz in sich zusammen und macht ein gequältes Gesicht, dann rappelt er sich sofort wieder auf. „In your room?“ Sie nickt und ihr Lächeln wird eine Spur wärmer. Nicht so, wie bei Alexis oder Kai – anders. Intimer. Hmmm... Als nächster erscheint Zane. Er unterhält sich ausschließlich mit der Schwarzhaarigen und verabredet ein Treffen in der Stadt für den Abend. Sie verspricht, zu kommen, aber nur, wenn sie Heiji mitbringen könne. Wiederwillig nickt Zane. Seto taucht auf. Er nickt uns Übrigen kurz und neutral zu, dann zerrt er Zane an der Hand aus der Halle. Zane lässt sich grinsend mitschleifen. Noch mal hmmm... Ich bin in Gedanken noch völlig bei dieser Tatsache, als Kai und Tyson die Umkleide verlassen. Kais Blick ist noch furchteinflößender als früher. Er definiert das Sprichwort `Wenn Blicke töten könnten` ganz neu. Mit der Hand hält er Tyson auf und sie sehen mich an. „Du traust dich was“, beginnt Tyson. Ich zucke zurück und merke, dass Madleine und Heiji ebenfalls verschwunden sind. Als ich auf die Stelle sehe, wo sie eben noch stand, begrüßt mich nur Leere. „Ganz richtig, du kannst dich nicht immer verstecken. Außerdem ist das ja wohl echt ein starkes Stück, dass du meine Schwester gegen mich aufhetzt.“ Kai klingt so entrüstet und angewiedert, als würde ich ihn mobben, nicht umgekehrt. „Aufhetzen? Wer denn wen? Kai, du verdrehst die Tatsachen.“ Die Worte entschlüpfen meinem vorschnellen Mundwerk ohne Erlaubnis. Wenigstens klinge ich nicht ängstlich. Er schnauft leise. „Na klar.“ Und dann geht Tyson auf mich zu und zerrt leicht an dem Ohrring. „Vergiss nicht, wer hier das Sagen hat, kleines Mädchen.“ „Wir sind gleich alt!“, erwiedere ich sauer. Er tritt zurück und lacht abfällig. „Ne, nur körperlich. Ich scheine dich geistig überholt zu haben.“ Ich sehe rot. Gekränkt hole ich aus und... >Klatsch< Alle schnappen nach Luft, einschließlich mir. Habe ich das wirklich gerade getan? Habe ich Tyson geohrfeigt? Erschüttert über mich selbst stolpere ich zurück. „Sorry“, entschlüpft es mir gerade noch. Er reibt sich nur über die Wange, funkelt mich kurz mit einem undefinierbaren Blick an und flüchtet dann regelrecht aus der Halle. Starr sehe ich ihm hinterher und bin wie betäubt. Jetzt hab ich`s mir wohl endgültig mit ihm verscherzt, oder? Kai rennt Tyson wortlos hinterher und würdigt mich keines Blickes mehr, doch ich ahne, dass das hier ein Nachspiel haben wird. Ein echt böses Nachspiel sogar. „That was great!“, ertönt es neben mir plötzlich. Ich drehe mich um und erblicke den Jüngsten in der Familie Hiwatari: Jaden. Zane meinte eben, dass er seine Eltern schon früh verloren habe und Voltaire ihn in einer guten Stimmung adoptiert habe. Er fand das selbst wohl nicht so toll, wie Voltaire es tat, aber mit Kai und Madleine versteht er sich wohl recht gut. Auch mir würde es schwerfallen, diesem immer gut gelaunten Kerl böse zu sein. Er trägt ständig ein Lächeln im Gesicht, selbst jetzt, wo sein Bruder mich am liebsten geköpft hätte. Ich starre ihn verdattert an. „You`re not mad at me?“ Er grinst mich an. “Nope, `cause I know he deserved it.” Alexis stellt sich neben ihn und nickt mir freundlich zu. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie mich aufmuntern wollen. Sehe ich so verzweifelt aus, oder was? Kapitel 8: Kein Weg zurück -------------------------- Nach einem recht bedrückten Abschied – ich kann immer noch nicht erleichtert sein, weil Tysons Blick mir noch vor Augen steht – komme ich wieder nach Hause. Ich steige aus dem Bus und biege nach wenigen Schritten in meine Straße ein – und erstarre. Panik macht sich in mir breit, welche ich sofort wieder unterdrücke. Direkt vor der Haustür steht meine Mutter und blickt verwirrt und besorgt zu mir. Direkt neben ihr steht Tyson und sieht mich an, wie die meistgehasste Person auf Erden. Ich stoppe kurz, muss schlucken und gehe dann sehr viel langsamer weiter. „Hi, Mum“, flüstere ich und sehe keinen von Beiden an. Völlig überraschend nimmt meine Mutter mich in den Arm und lacht. Mir klappt der Kiefer runter. „Oh, Schätzchen! Warum hast du mir denn nicht erzählt, dass du einen Weg gefunden hast, die Schulgebühren zu umgehen? Ich hab das erst von deinem Freund hier erfahren! Und den hast du mir auch verschwiegen, also wirklich. Dabei hättest du ihn mir doch schon längst vorstellen können.“ Sie plappert und plappert und ich verstehe nur die Hälfte von allem. Sowohl von der Akustik als auch vom Sinn her. Perplex hebe ich beide Hände in einer abwehrenden Geste und schnaufe kurz auf. „Warte mal, warte mal! Was hab ich dir denn verschwiegen? Und was heißt hier, ich hätte dir Tyson vorstellen sollen? Erinnerst du dich nicht mehr, wie ich dir früher immer von ihm und dem Team berichtet hab?“ Nichts macht für mich einen Sinn. Besonders nicht, dass Tyson sich mit dem süßesten Lächeln, dass ich je bei ihm gesehen habe, zu meiner Mutter umdreht und mich in Schutz nimmt: „Werfen Sie ihr nichts vor. Das mit uns ist noch relativ früh und ich hab mich vielleicht auch etwas missverständlich ausgedrückt. Es ist doch nur gut, wenn sie nicht sofort auf alles anspringt und erst einmal abwartet, ob ich es ernst meine?“ Mum sieht zu ihm und strahlt wie die Sonne. „Nein, also so etwas von verständnisvoll! Ein wirklich toller junger Mann bist du.“ Tyson wendet scheinbar verlegen den Blick ab. „Nicht doch, das mit den Schulgebühren ist doch das Mindeste, was ich tun kann. Sie haben es doch auch so schon schwer genug.“ Meine Mutter klatscht in die Hände. „Ja, ja, das stimmt schon. Ich kann meine Tochter also ganz beruhigt in deine Hände geben, nicht wahr?“ Tyson nickt und sieht zu mir. Seine Lippen verziehen sich zu einem sanften Lächeln, doch seine Augen sind eiskalt. `Sag was und du bist dran` scheinen sie zu sagen. Ich nicke ihm wortlos zu. Anscheinend war er bei mir zu Hause und hat meiner Mutter das Blaue vom Himmel erzählt. Sie denkt wohl, dass er aus reiner Selbstlosigkeit mein Schulgeld bezahlt. Jedenfalls lassen die Kommentare von eben darauf schließen. Soll ich ihr die Wahrheit sagen? Besser nicht, sie sieht so glücklich aus. Und ihre endlosen Diskussionen kann ich jetzt schon beinahe hören. Deshalb habe ich eben genickt. Jetzt noch mit Mum zu reden würde absolut nichts bringen. Dann erstarre ich und ein Eisklumpen legt sich in meinen Magen. Tyson ist hier, weil er wusste, dass ich meine Mutter um Rat fragen wollte! Er hat nach meiner Ohrfeige ganz eiskalt kalkuliert und mir auch diesen Fluchtweg nehmen wollen! Oder kommt diese Idee von Kai? Oder sogar von Madleine selbst? Kann ich überhaupt noch einem von ihnen trauen? Das Eis in meinem Magen bewegt sich und drückt so sehr, dass mir leicht schlecht wird. „Hillary, du bist ja plötzlich so blass. Ist etwas nicht in Ordnung?“ Warum hört Mum denn nicht, wie falsch und scheinheilig er klingt? Ich schlucke mühsam. „Alles okay. Ich bin nur müde und ein bisschen geschafft“, zwinge ich mich dann zu sagen. Ich kleistere mir ein zaghaftes Lächeln aufs Gesicht, als beide mich so mustern. Mum kauft es mir ab. „Dann leg dich ruhig hin, mein Schatz. Es ist ja auch so viel Neues, an das du dich jetzt gewöhnen musst, nicht wahr?“ Ich nicke müde und gehe in mein Zimmer. Wie ein Stein falle ich ins Bett und schlafe fast sofort ein, da ich letzte Nacht vor lauter Nervosität nicht viel Erholung gefunden habe. Als ich erwache, fühle ich mich einerseits erholt, andererseits aber auch etwas steif. Mit einem genüsslichen Gähnen strecke ich mich und setze mich auf. Ich reibe mir noch den Schlaf aus den Augen, als ich seine Stimme höre: „Na endlich. Ich dachte schon, du schläfst bis morgen durch.“ Gerade so unterdrücke ich das überraschte Quieken, welches sich meine Kehle hinauf einen Weg bahnen will. „Was machst du hier?“ Seine braunen Augen sehen mich an, als wolle er in mir lesen. Dann wendet er sich ab und wirft mir in einer fließenden Bewegung meinen Schulblock aufs Bett. „Ich hab darauf gewartet, dass du wieder wach wirst. Deine Mutter hat mich noch reingebeten und mich zugeschwallt. Dann meinte sie, es wäre schon spät und ich könne doch hier übernachten. Das hab ich ihr nicht ausreden können, leider. Eigentlich habe ich dir noch etwas sagen wollen, aber jetzt hab ich`s vergessen. Langschläfer.“ Ich ziehe nur eine Augenbraue hoch. Er klingt fast schon wieder so, wie vor einem Jahr, als wir uns noch den ganzen Tag gezofft haben. Vielleicht falle ich deswegen in das alte Muster zurück. „Ich hätte dich bestimmt nicht gebeten, hierzubleiben. Und was kann ich dafür, wenn du so vergesslich bist?“ Grinsend warte ich auf seine Antwort, doch er bleibt stumm und sieht zum Fenster raus. Was ist denn jetzt schon wieder? Die Sekunden verstreichen und er räuspert sich schließlich leise. „Während ich darauf gewartet habe, dass du aufwachst, wurde mir langweilig. Da hab ich die Hausaufgaben schon mal gemacht. Denk dran, die morgen mitzunehmen.“ Nun ist mein Gesicht ein einziges Fragezeichen. Tyson und Hausaufgaben? Ist das achte Weltwunder geschehen? Ich muss lachen, weil es in meinen Ohren so absurd klingt. Er sieht mich endlich wieder an. Täusche ich mich, oder blicken seine Augen gerade…erleichtert? Ist er froh, mich lachen zu sehen? Nein, bestimmt bilde ich es mir ein. Wunschdenken. Ja, so muss es sein. Sein Gesichtsausdruck verändert sich und er legt wieder eine undurchdringliche Maske auf. „Wie auch immer“, murmelt er schroff, „Entscheide du, was du morgen deiner Mutter sagst. Ich bin jedenfalls erst mal weg.“ Er erhebt sich und verschwindet aus meinem Zimmer. Ich höre die Stufen der Treppe knarren und dann leise die Haustür, die sich schließt. Ich kann nicht anders. Ich schlüpfe aus dem Bett und stelle mich ans Fenster. Zum Glück haben wir hier keine Mauer, sodass ich die Straße recht weit einsehen kann. Ich erkenne Tyson, wie er durch unseren Vorgarten geht. Eine Bewegung in meinem Augenwinkel fällt mir auf. Als ich nach links blicke, sehe ich Kai, der sich gerade außerhalb des Scheins einer Laterne an der Mauer der Nachbarn herumdrückt. Unsere Blicke begegnen sich und er versteinert regelrecht. Ich zucke zusammen und ziehe den Morgenmantel, den ich mir vorhin rasch umgeworfen habe, etwas enger. Dann wandert Kais Blick geradeaus und ein schneller Seitenblick sagt mir, dass er Tyson entdeckt hat. Der denkt jedoch immer noch, er wäre unbeobachtet. Halt, nein. Jetzt sieht er unauffällig über die Schulter und grinst. Hat er Kai entdeckt? Er geht drei Schritte, während Kai sich weiter versteckt. Dann bleibt Tyson stehen und sieht zu mir hoch. Es scheint ihn außerordentlich zu freuen, dass ich hier am Fenster stehe. Er zwinkert mir grinsend zu und wirft mir einen Handkuss hinauf. Ich werde augenblicklich rot, frage mich aber auch, was das werden soll. Aus einem Impuls heraus sehe ich zu Kai. Huch! Er zittert am ganzen Körper und seine Augen, in welchen sich das Licht der Laterne wiederspiegelt, scheinen vor Zorn zu brennen. Er öffnet den Mund, besinnt sich dann aber wohl eines Besseren und schließt ihn wieder. Als er den Kopf abwendet und sich sein Blick zu Boden richtet, erweckt er einen gekränkten, verletzten Eindruck. Ungefähr eine Sekunde tut er mir leid. Aber ich erinnere mich immer noch zu lebhaft an seine Mobbingattake von heute Vormittag. Ich will nicht, dass er mir leidtut. Ich könnte ihm zu schnell verzeihen. Trotzdem ziehe ich scharf die Luft ein, als Tyson zielstrebig auf Kai zugeht und neben ihm stehen bleibt. Wortlos mustern sich die zwei Jungs und das mit ausdruckslosen Mienen. Kai wendet zuerst den Blick ab und sieht zu meinem Fenster. Er schließt nach einigen Sekunden gequält die Augen, dreht sich um und geht. Tyson sieht ihm traurig nach. Kapitel 9: Cat`s out of the bag I --------------------------------- In diesem Moment begreife ich, wie die Situation für einen Außenstehenden aussehen muss. Tyson ist bei mir gewesen. Bis spät in die Nacht – die Uhr zeigt 1.35 Uhr an. Dann schleicht er sich wie ein verkappter Romeo aus dem Haus und ich stehe hier und sehe ihm nach. In einem Morgenmantel. Himmel, glaubt Kai jetzt etwa, Tyson und ich hätten es getan? Meine Wangen brennen mit neu entfachter Hitze. Allerdings vor Wut, nicht vor Scham. Wofür hält Kai mich denn? Für ein billiges Flittchen? Ich bin japanisch erzogen, durch und durch, verflixt nochmal! Ich will als Jungfrau in die Ehe gehen, das sollte er doch noch wissen – schließlich hab ich`s damals oft genug gesagt! Ich muss mit dem Kopf schütteln bei so viel Eifersucht. Moment mal! Eifersucht? Ha! Als ob Kai Hiwatari es nötig hätte, eifersüchtig zu sein! Er hat mir doch deutlichst zu verstehen gegeben, dass er mich nicht leiden kann. Schnell eine andere Erklärung. Ist er sauer, dass sein ehemaliger Rivale seine Zeit mit Frauen vertrödelt? Das muss es sein. Er denkt wahrscheinlich, Tyson sollte lieber trainieren, anstatt Mädchen aufzureißen. Ich nicke mir selbst zu, froh, eine logische Erklärung gefunden zu haben. Leider vergesse ich dabei vollkommen Tysons traurigen Blick… Der Rest der Nacht wird so lang, dass ich völlig geschafft bin, als ich aufstehe. 5.50 Uhr. So früh war ich noch nie wach, aber sonst habe ich auch nicht solche Probleme gehabt. Mechanisch ziehe ich mich an und gehe nach unten. Meine Mutter sieht mich mit verblüfftem Gesicht an. „Du bist aber früh da“, kommentiert sie misstrauisch. Ich gähne leicht. „Bin aufgewacht und wollte nicht mehr einschlafen.“ Stimmt ja auch, es ist egal, wie müde ich sein werde. Schon jetzt will ich den Tag nur noch gerade so hinter mich bringen. Selbst die Zeitung hole ich nur eben schnell rein und werfe sie zusammengefaltet auf den freien Küchenstuhl. Sonst lese ich immer beim Frühstück, aber im Moment habe ich die Befürchtung, dabei einzuschlafen, also lasse ich es. Das Müsli schmeckt nicht und ich wünsche mir ein japanisches Gericht zurück. Mum meint nur, ich solle mich umgewöhnen, was mir ein Murren entlockt. „Ich hab ne echt anstrengende Nacht hinter mir, also lass mir meine schlechte Laune.“ Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Ehrlich? Und ich soll dafür herhalten? Ist doch nicht mein Problem, ich hab heute meinen ersten Arbeitstag und wahrhaftig andere Dinge im Kopf. Wo ist eigentlich dein Freund?“ „Weg“, murre ich leise, „Er hat einen Anruf gekriegt und ist noch letzte Nacht gegangen. Und mir tut die Hüfte weh!“ Das habe ich jetzt davon, dass ich mich nicht darum gekümmert habe, den Pyjama anzuziehen. Der Bund des Rockes hat unangenehm eingeschnitten und, weil ich fast nur auf einer Seite gelegen habe, schmerzt mein Kreuz. Mum zuckt mit den Schultern und drückt mir was von Romeo rein: „Da hat er seine Julia also auf dem Balkon stehen lassen?“ „Wir haben keinen Balkon, Mum.“ Sie kichert und verlässt das Haus. Welches mir auf einmal viel zu fremd und zu groß und zu still vorkommt. Ich flüchte in die Schule und lasse mich auf den Platz fallen, auf dem ich gestern gesessen habe. Ob ich heute auch hier sitzen soll oder wir überhaupt eine Sitzordnung haben, weiß ich nicht. Aber mir fallen die Laptops ins Auge, die in einem Schrank liegen. Für wen die wohl sind? Der Lehrer huscht in den Raum und blickt mich an, als könne er seinen Augen nicht trauen. Ich grüße ihn höflich und er spannt mich gleich in die Vorbereitungen für die Stunde mit ein. Großartig, so bleibe ich wenigstens wach – schließlich bin ich noch nie im Laufen eingeschlafen, denn ich soll die Laptops und einige Zettel auf den Tischen verteilen. Als Belohnung sozusagen darf ich mir selbst schon einen Rechner schnappen und ein bisschen surfen. Noch satte zehn Minuten bis zum Stundenanfang. Ich öffne also ein Fenster, logge mich ins Internet ein und will als Erstes meine Mails checken. Bestimmt haben mir die anderen geschrieben, aber es war so viel los, dass ich noch nicht daran gedacht habe. Wie sie wohl reagieren werden, wenn ich ihnen von Tyson erzähle? Bestimmt kommt Hiro dann in einem Jet der BBA hier hin und zieht seinem kleinen Bruder die Ohren lang. Genervt klicke ich auf Japanisch als Sprache, denn noch muss ich lernen, um alles zu verstehen. Ich wandere mit dem Kursor gerade auf das Anmeldefeld, als mir die Schlagzeile ins Auge springt: `Beyblade-Weltmeister vergeben? Comeback oder Rücktritt der BBA Revolution?` Mir bleibt die Luft weg und ich beginne zu zittern. Woher haben die das schon wieder? Ich folge dem Link und lande auf einer Nachrichtenseite eines Klatschmagazins. Bunte Bilder von verschiedenen Stars springen mir rechts entgegen, während sich links der Artikel aufbaut. Die Schlagzeile bleibt gleich, doch als ich den Artikel lese, muss ich nach Luft schnappen: `Beyblade-Weltmeister vergeben? Comeback oder Rücktritt der BBA Revolution? Viele kennen sicher noch den Namen Tyson Granger, auch, wenn dieser sich seit einiger Zeit versteckt hielt. Der sonst so offene und medienfreudige junge Mann verschwand vor rund einem Jahr von der Bildfläche und zog sich völlig zurück. Von Seiten der BBA gab es hierzu keine Stellungnahme und Gerüchte machten die Runde. Von Ausstieg, einem Streit des Teams oder sogar einer schweren Krankheit war die Rede. Nun ist das Geheimnis endlich geklärt! Der Junge versteckte sich in New York, Amerika in einer exklusiven Schule, die auf die Ausbildung junger Künstler spezialisiert ist. Welches Ziel er aktuell verfolgt, ist noch unklar, doch Augenzeugen zufolge soll die Liebe ihn dorthin getrieben haben: Ein Reporter unserer Zweigstelle beobachtete ihn letzte Nacht, als er sich aus einem fremden Haus schlich und einer jungen Frau in seinem Alter einen eindeutigen Abschiedskuss gab. Ersten Vermutungen nach handelt es sich dabei um die erschreckend normale Hillary Tachibana, die schon länger mit dem Sportler bekannt war. Als ehemalige Managerin des Teams stand sie Granger schon zwei Jahre lang zur Seite und scheint für den Japaner mehr als nur eine gute Freundin zu sein. Bleibt die Frage, warum Granger seine Beziehung nie öffentlich machte. Wollte er Streit vermeiden? Denn auch sein ehemaliger Teamkollege Kai Hiwatari soll vor Ort gewesen sein und das Techtelmechtel argwöhnisch beobachtet haben. Dreiecksbeziehung? Eifersuchtsdrama? Löst sich das Team jetzt auf? Wir bleiben weiter dran!` Unter dem reißerisch gestalteten Artikel findet sich ein Bild, auf dem ich verschwommen am Fenster stehend zu sehen bin, mit hochrotem Kopf natürlich. Und Tyson steht unten auf der Straße und streckt die Hand nach mir aus, als wolle er sie auf meine Wange legen. Seinen Gesichtsausdruck sieht man nicht, doch das Bild scheint für sich zu sprechen. Wann ist das denn passiert? Warum hat das keiner von uns bemerkt? Mir wird heiß und dann eiskalt. Weiß Tyson es schon? Und Kai? Was habe ich jetzt schon wieder angestellt! Ich werde wohl hier nach nie mehr zur Ruhe kommen. Was soll ich denn jetzt nur tun? Kapitel 10: Erklärungen ----------------------- Meine Schultern sacken nach vorn und ich seufze laut. Was jetzt? Die Frage blinkt in meinem Kopf auf, wie ein riesiges Neonschild. Es scheint jedoch keine anderen Gedanken mehr zu geben, denn mir fällt keine Lösung ein. Ich starre auf den Bildschirm, als würde der Artikel damit verschwinden. „What is the matter?“ Ich zucke zusammen, als die dunkle Stimme direkt neben meinem Ohr ertönt. Die Stimme von Seto Kaiba. Ich drehe mich um, aber er sieht nur auf den Bildschirm und liest sich den Text durch. Er muss grinsen und geht einen Schritt zurück. „Well, that makes things more interesting.“ Er klingt so nüchtern, dass ich mich frage, ob er die restlichen Leute in der Klasse überhaupt leiden kann. „What should I do now?“, platze ich unkontrolliert heraus. Seto zuckt nur mit den Schultern und setzt sich hin. Mit leicht abschätzendem Blick betrachtet er den Laptop, schiebt ihn dann mit einer märtyrerhaften Geste von sich weg und packt seinen eigenen Rechner aus. Zufrieden nickt er und beginnt, auf die Tastatur einzuhämmern. Tja, scheinbar ist ihm der Schullaptop nicht teuer genug – er bevorzugt hochwertige Qualitätsware. Solche, die sich sonst keiner leisten kann, versteht sich. „Why are you here? In the US, I mean.“ Ich weiß nicht, was ich tun soll. Da ich sowieso warten muss, will ich mich ablenken, um nicht in Panik zu verfallen. Er hält inne und sieht mich an. „Are you really that interested?“ Seine Stimme klingt zynisch. Ich nicke ernst. Da schnaubt er und erklärt in nüchternem Ton: „I made a contract with Pegasus. He gave me adresses from other people, who have the money that I need. As long as I need to stay here – until I have those signs on the papers – I need to go to school. So I chose a school that has the easiest possibilities to do my job as fast as I can.” Er sieht wieder auf den Bildschirm und tippt weiter. “Ah”, mache ich leise. Mehr sage ich nicht, weil mich diese Antwort verblüfft hat. Yugi taucht auf und bleibt zunächst im Türrahmen stehen. Erst, als er Kaiba sieht, seufzt er erleichtert auf und geht auf ihn zu. „You`ve got a mail from Mokuba“, sagt er und lässt sich neben Seto nieder. Der nickt leicht. „Hm.“ „He says, you haven`t called in two weeks.“ “Hmhm.” Yugi knurrt leise. “You should call him. You still have enough time, you know.” Seto schüttelt den Kopf und hält nicht mal kurz inne. “Busy”, erwiedert er knapp. Da schnellt Yugis Hand nach vorn und er klappt den Laptop zu. Seine violetten Augen fixieren Seto eisblaue. „Your brother asked me to look after you so you wouldn`t overdo it again. He is really worried about your health. Do me and him a favour and CALL HIM. Now.” Aha, also sind Yugi und Setos kleiner Bruder wohl Freunde und der Kleine hat Yugi hinter seinem Onii-chan hinterhergeschickt. Das erklärt zum Teil, warum der Igel hier ist. Seto reagiert jedoch nur mit einem sarkastischen Lachen. „Don`t tell me that you`re here for me, Muto. You are here because your fans ran right into your old school and the director said that this interrupts the classes too much. You`re here to hide yourself, not to nurse me.” Yugi holt Luft, sieht gekränkt drein und seine Hände ballen sich zu Fäusten. Doch dann schüttelt er langsam den Kopf und murmelt: „You are not that bad. There are people, who like you for what you are. Not Seto Kaiba, just Seto. How long will it take this time, until you accept it, Seto?” Der Braunhaarige wendet sich kommentarlos ab und öffnet den Laptop wieder, um weiter zu tippen. Yugi seufzt besiegt auf und lässt den Kopf hängen. Ich weiß nicht, ob ich etwas sagen soll und deswegen starre ich nur wortlos. Ist ja nicht so, als würde ich einen von ihnen persönlich kennen und verstehen, was das Problem ist. Seto scheint irgendwie keine Zeit zu haben, um den jüngeren Bruder anzurufen. Na und? Tyson und Hiro haben sich noch seltener gesehen. Max` Mutter arbeitet sogar auf einem anderen Kontinent. Das ist doch laut Seto eh nur auf begrenzte Zeit, was soll also der Wirbel? „WAS zu Hölle hast du angestellt?“ Der Satz wird so laut gebrüllt, dass ich fast vom Stuhl falle. Blitzschnell drehe ich mich um und erblicke einen vor Wut schäumenden Tyson in der Tür stehend. Himmel, habe ich je gesagt, Kai hätte einen eiskalten Blick? Der von Tyson hier könnte die Sahara gefrieren lassen. Und mehr. „Ich war das nicht“, erwiedere ich gekränkt. Er holt tief Luft. „Das weiß ich, du dumme Nuss! Ich wollte wissen, warum du die Reporter nicht bemerkt hast! Und ob das witzig war, mich nicht vorzuwarnen! Ich renne hier voll in die sensationshungrige Meute und hab gut ein Dutzend Mikrofone unter der Nase. Du sitzt hier und glotzt Löcher in die Luft. Ist doch nicht zu fassen!“ Er schnaubt beleidigt. Ich springe auf und werde leider auch laut: „Hast du mich gerade dumme Nuss genannt? Wenn ich das erst vor zwei Minuten entdeckt habe, kann ich dich wohl kaum warnen, du Vollidiot!“ „WIE hast du mich genannt?“ Er macht einen großen Schritt nach vorne und im ersten Moment glaube ich tatsächlich, dass er mich schlagen will. Da legt sich eine Hand auf seine Schulter und er fährt herum. Hinter ihm steht Kai und schüttelt langsam den Kopf. „Lass es besser. Sonst ist hier echt was los.“ Auch Kai sieht leicht geschafft aus. Ist wohl auch in die Meute geraten. Sein Haar ist zerzaust und seine übliche Kriegsbemalung fehlt ebenfalls. Aufmunternd drückt er die Schulter des anderen. „Sobald Madleine da ist, beraten wir uns, okay?“ Stumm nickt Ty, lässt sich auf einen Platz möglichst weit von mir weg nieder und zieht Kai mit sanfter Gewalt neben sich. Kai grinst mich hochmütig an. `Geschieht dir Recht` sagen seine Augen. Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse und drehe mich weg. Erst kurz vor Stundenanfang erscheint Madleine – mit Zane und Alexis im Schlepptau. Gerade noch lachen die Mädchen und stupsen Zane neckend in die Schulter. Der rollt mit den Augen und versucht verzweifelt, seine roten Wangen zu verstecken, was ihm aber nicht gelingt. Als sich alle drei dem Raum zuwenden, wird es so mucksmäuschenstill, dass man meinen könnte, alle würden den Atem anhalten. Madleines Augen fixieren mich, dann Kai und schließlich Tyson. Sie wirft das Haar zurück und zum zweiten Mal höre ich sie Japanisch sprechen: „Es ist mir vollkommen egal, wer hier an wie viel Schuld hat. Und auch, was davon wahr ist und was nicht. Nur eines zählt: Was wir jetzt tun werden, wird über die Ruhe dieser Schule entscheiden und auch über unsere eigene Reputation. Also Folgendes: Hillary ist neu auf der Schule. Tyson wollte als hilfsbereiter `Kumpel`“, sie betont das Wort sarkastisch, „nur nett sein und ihr helfen. Über ihren Hausaufgaben ist er dann eingeschlafen und hat das Haus verlassen, da es ungehörig wäre, bei ihr zu übernachten. Die zwei sind nur Freunde und sonst nichts. Soweit die Story, die wir als Erklärung abgeben werden. Zu Tysons Plänen an der Schule oder Hillarys Familie sagt keiner etwas. Ihr beiden lächelt einfach nur und Tyson zeigt sich die nächsten Tage mit mehreren Mädchen im Schlepp – selbstverständlich auch mit Alex und mir. Hillary sucht sich irgendeinen netten Kerl und hängt mit ihm ein paar Wochen herum. Macht beide auf verknallt mit diesen Partnern und die Presse wird Ruhe geben. Klar soweit?“ Kai und Tyson nicken, Zane wirft Madleine einen anerkennenden Blick zu. Ich starre sie an. „Wo, bitte, soll ich auf die Schnelle einen Kerl herkriegen?“ Sie seufzt, als wäre das die dämlichste Frage der Welt. „Du hast doch sicherlich irgendwen am ersten Tag hier getroffen? Nimm dir einen von denen.“ Ich lasse den Kopf unsanft auf den Tisch sinken. Scheiße, dabei dachte ich, ich könnte Mike ganz nett einen Korb geben! Wird wohl nichts draus, ich muss da durch, wenn ich nicht alle zum Feind haben will. „Was ist mit den Mädchen, die Tyson abgeschossen hat? Wenn eine von denen redet, sind wir übel dran“, meint Kai leise. Sie zuckt mit den Schultern. „Eure Sache. Ich hab die nicht wie Dreck behandelt.“ Wenn sie so flucht und knallhart die Wahrheit sagt, wie jetzt, dann klingt es richtig grob, weil sie einen leichten Akzent hat. Ich hatte gedacht, sie könne gar nicht wirklich viel Japanisch, da alle mit ihr immerzu Englisch reden, aber diese Ansprache war mit das Längste, was ich je aus der Hiwatarifamilie gehört habe. Wer hätte auch gedacht, dass sie so blitzschnell eine Lösung parat hat? Obwohl…gerade das ist irgendwie merkwürdig. Es klingt so eingeübt, als ob sie die Ausrede schon für Jemanden vorbereitet hätte. Jemand anderen als mich. Hm… Nachher habe ich gewiss immer noch Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Jetzt muss ich erst einmal in den sauren Apfel beißen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schreibe eine einfache SMS: Hey! Muss dich dringend sprechen. Können wir uns sehen? Bald? Hillary Ich schicke das ab, bevor ich darüber nachdenken kann, ob es vielleicht blöd formuliert ist. Die Antwort kommt so prompt, dass ich denke, er müsse auf sein Handy gestarrt haben. Ja! Gerne! Ich warte in der Pause in der Mensa auf dich. Ist unser alter Platz okay? Mike P.S.: Ich warte auf deine Erklärung, Süße. ;) Ich seufze und schüttele den Kopf. War der Smiley wirklich notwendig? Egal, ich sollte mich nicht beschweren, immerhin hat er überhaupt geantwortet. Bleibt die Frage, ob ich ihm ebenfalls das Märchen erzähle, oder schlicht die Wahrheit sage. Lieber das Märchen. Damit gehe ich auf Nummer sicher, denke ich mal. Er scheint nicht wütend auf mich zu sein und auch nicht an die Schlagzeile zu glauben, also sollte ich kein Öl ins Feuer gießen. Wie die Jungs mich behandelt haben, nein, das ist meine Sache und geht Mike nichts an. Die Pause scheint gar nicht mehr kommen zu wollen. Ständig schiele ich auf die Uhr und seufze lautlos. Aber in dem Moment, wo es zum Pausenanfang klingelt, macht mein Magen einen Looping. Mir wird schlecht, wenn ich nur an das folgende Gespräch denke. Doch ich muss da durch. Vorsichtig stehe ich auf und sehe zu Madleine. Sie nickt mir aufmunternd zu und lächelt sogar. Hat sie schon mal jemand gefragt, ob sie eine gespaltene Persönlichkeit besitzt? Der Gedanke lässt mich das Gesicht zu einem zynischen Grinsen verziehen. Ist wohl so eine Art Berufskrankheit – muss sie doch immer in die Kameras lächeln, auch, wenn sie gar nicht will. Ich verlasse den Raum und komme doch noch in der Mensa an. Ich suche die Tische ab und entdecke Mike ganz am Rand – er ist mit seinen rudernden Armen auch schwer zu übersehen. Wortlos gehe ich zu ihm rüber und setze mich leise hin. Alle Augen scheinen auf mir zu liegen. Liest denn jeder hier diese dummen Klatschmagazine? „Hi, Mike.“ Ich klinge viel zu unsicher, schon diese wenigen Worte machen einen völlig falschen Eindruck. Also räuspere ich mich und wiederhole etwas fester: „Hey.“ Er nickt mir zu und seine Mundwinkel kollidieren fast schon mit seinen Ohrläppchen. Warum grinst der so? Bin ich so lächerlich? Und seit wann hab ich eigentlich kein Selbstbewusstsein mehr? „Ich freu mich, dass du mich nicht vergessen hast“, sagt er leise und seufzt. Seine Augen glänzen vor unausgesprochener Hoffnung. „Wie könnte ich das?“, erwidere ich gezwungen lächelnd. In seinem Gesicht leuchtet etwas auf. Trotzdem bemüht er sich um einen vorsichtigen Ausdruck. „Naja, ich dachte, bei all den Stars und so...“ Ich ziehe die Augenbrauen in ehrlicher Verblüffung hoch. „Du meinst, ich würde abheben? Wieso sollte ich?“ Erleichtert atmet er aus. Dann fällt mir sein PS ein und ich beschließe, nachzuhaken: „Du hast den Artikel doch gelesen, oder? Ich war schon länger die Managerin von Tysons Team, das ist das einzig Richtige in diesem Artikel, weißt du?“ Er stützt das Kinn auf eine Hand. „Echt? Das Bild sah aber anders aus.“ Was sage ich denn jetzt? Ich hab mir doch noch nichts überlegt. Halt, nein, nicht ganz. Ich hatte etwas überlegt – eine geniale Ausrede – doch die ist jetzt irgendwie vergessen. „Er hat mir nur zugewunken, weil ich wach wurde und geklopft hatte. Die haben die Story dem Bild angepasst. Er hat mir nur bei den Hausaufgaben helfen wollen.“ Gutes Mädchen, weiter so! Ich zucke also mit den Schultern, als wäre nichts passiert. „Bin dann wohl eingeschlafen und er wollte warten, ob ich aufwache. Dann ist er wohl gegangen. Keine Ahnung, ich hab noch nicht mit ihm gesprochen. Ihm scheint das ziemlich egal zu sein.“ Mike verzieht missmutig das Gesicht. Mir wird warm und ich erwarte schon fast, beim Lügen ertappt worden zu sein. Da murmelt Mike etwas, das wie „Der muss blind sein, wenn du ihn nicht interessierst“ klingt und ich werde rot. „Oh, danke“, hauche ich leicht überfordert. Solch direkte Komplimente habe ich noch nie bekommen. Wie soll ich damit umgehen? Ich straffe die Schultern und eine Idee blitzt in meinem Kopf auf. „Jedenfalls wollte ich nicht, dass du was Falsches von mir denkst. Als ich begriffen habe, was die behaupten, wollte ich direkt mit dir reden. Ich will nicht, dass du denkst, ich könnte vergeben sein.“ Jetzt lehnt er sich nach vorn. In seinen Augen blitzt es auf. „Warum willst du das denn nicht?“ Die Hoffnung, die darin mitschwingt, ist fast greifbar. Ich zwinge mich, ebenfalls näher zu ihm zu rutschen und grinse geheimnisvoll. „Muss ich dir das wirklich sagen?“, hauche ich leise und schimpfe mich in Gedanken eine furchtbare Schauspielerin. Eigentlich wollte ich ja bestimmt und fröhlich aussehen, doch meine flammend roten Wangen machen mir einen Strich durch die Rechnung. Ich wirke wohl eher wie ein kleines Mädchen, welches zum ersten Mal flirtet. Was leider stimmt. Seufz. Mikes Hand rutscht wie in Zeitlupe über den Tisch und seine Fingerspitzen berühren ganz vorsichtig meine. „Echt? Ich mag dich nämlich.“ Ich muss wegsehen, damit er nicht in meinen Augen lesen kann. „Ja“, sage ich erstickt – hoffentlich wirkt es nur schüchtern, „Ich mag dich ja auch.“ Okay, das tu ich. Aber nur als Freund. Ich krieg so eins über die Rübe, wenn das hier auffliegen sollte. Ich bin vielleicht nicht in Mike verknallt – und werde es wohl nie sein – aber er ist ein netter Junge und ich hasse mich schon jetzt dafür, ihm wehtun zu müssen. Außerdem fürchte ich, dass ich eine langweilige Freundin werde. Meine Interessen sind lesen und Fantasyfilme. Ansonsten lerne ich nur für die Schule und habe früher eben mit den Jungs rumgehangen. Ich hab nicht mal ein Haustier. Womit soll ich also schon begeistern? Mike beugt sich runter, damit er mir in die Augen sehen kann. „Sag mal, das klingt vielleicht blöd, aber: Sind wir jetzt zusammen?“ Ich sehe ihn an und muss trotz allem lachen. Er ist nicht gerade der Typ für tiefgründige Gedanken oder große Geheimnisse, hm? Leicht nicke ich. „Denk schon.“ Er strahlt. „Klasse. Ich bin grad richtig glücklich.“ Ich nicke nur, da ich meiner Stimme nicht traue. Wir reden danach über nichts wichtiges mehr, aber Mike lässt meine Hand nicht mehr los. Fühlt sich eigentlich sogar ganz schön an, seine warme Hand auf meiner. Ich sollte das Beste draus machen, es ist nicht Mikes Schuld, dass ich mir eine andere Hand wünsche, die meine festhalten soll. Als es klingelt und wir wieder zum Unterricht müssen, verspreche ich ihm, heute Nachmittag am Schultor auf ihn zu warten. Er grinst und sieht mir die ganze Zeit nach, während ich zu meinem Raum zurückgehe. Kapitel 11: Familienprobleme und unverhoffte Wiedersehen -------------------------------------------------------- Dort steht Madleine im Türrahmen mit der typischen Pose, die ich von Kai kenne. Alles klar, sie sind Geschwister. Sie hat nicht nur denselben Blick, dieselbe unterkühlte Art, nein, sie lehnt offensichtlich auch gerne an irgendwas. Fehlen nur noch die Dreiecke im Gesicht und ne zweite Haarfarbe, dann kann sie als Kai-Klon durchgehen. „Und? Ist die Sache klar?“, fragt sie und ich bleibe stehen. Ist so deutlich, was ich eben gemacht habe? Ich verkneife mir eine Nachfrage und nicke. „Ja, ich hab jemanden, mit dem ich mich in nächster Zeit treffe. Könntest du bitte aufhören, so zu starren? Man könnte dich und Kai glatt für Zwillinge halten“, brumme ich als Antwort. Sie zieht einen Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns hoch. „Sind wir. Allerdings zweieiige.“ Ich fürchte, in diesem Moment fallen mir beinahe die Augen raus. Wie zur Bestätigung erscheint Kai, sieht erst mich an, dann seine Schwester und sie fangen gleichzeitig an zu lachen. Es ist allerdings kein frohes Lachen, dazu klingt es viel zu hart. „Wenn ich so drüber nachdenke...ist eigentlich klar“, murmele ich pikiert. Kai schnauft. „Und das, obwohl wir uns kaum noch kannten.“ Ich blinzle. „Bitte was?“ Madleine winkt mich hinter sich her und setzt sich hin. Als ich nicht sofort folge, zieht sie den Stuhl neben sich zurück und klopft auf die Sitzfläche. Da setze ich mich doch und sehe sie erwartungsvoll an. „Also, ich fange am besten so an: Kai und ich wurden geboren und unser Großvater“, das letzte Wort geht ihr schwer über die Lippen und ich höre Kai mit den Zähnen knirschen, „wollte mich erst gar nicht. Wäre es nach ihm gegangen, wäre ich wohl in der nächstbesten Babyklappe gelandet. Im günstigsten Fall.“ Sie sieht mich an und wartet, bis ich verstehe. Und es trifft mich wie ein Schlag. Kann das wirklich sein? War Voltaire Hiwatari wirklich so ein Scheusal, dass er sogar seine eigene Enkelin getötet hätte? Mir wird übel bei dem Gedanken, dass es solche Menschen wirklich geben soll. Empfand dieser Mann denn wirklich gar nichts für seine Familie? Als sie die Erkenntnis in meinen Augen sieht, nickt sie nur und fährt fort: „Zum Glück hatte unsere Großmutter – Gott hab sie selig, sie lebte da noch – etwas dagegen und sich durchgesetzt. Sie meinte, man könne es Mama nicht zumuten, sie würde durchdrehen, wenn sie mich verlieren würde. Somit blieb ich. Aber ich war nur ein kleines Mädchen. Was hätte ich schon tun können? Niemand erwartete etwas von mir, also beobachtete ich nur. Und ich erkannte, was für ein Scheusal Boris war - sofern ein Kind es sich vorstellen kann. Für mich war er immer ein `ganz böser Mensch`, den ich nicht um mich haben wollte. Hätte niemanden gestört, wenn Kai mir nicht geglaubt hätte. Das tat er aber und ich wurde zu einer Nervensäge, die Boris` Arbeit behinderte. Denn er wollte Kai ja in der Abtei haben und Großvater zögerte, solange ich Kai noch ständig davor gewarnt habe. Er legte Voltaire nahe, mich in ein Internat zu geben.“ Ich habe gerade noch genügend Zeit, die Verletztheit in ihrem Blick zu sehen, als sie verstummt und den Blick abwendet. Sie schweigt, ich schweige und versuche, dem Aufruhr in meinem Inneren Herr zu werden. Ich spüre, jetzt kommt der schlimme Teil. Als Kai die Stimme erhebt, überrascht mich das. Er will es wohl nur erzählen, damit sie es nicht tun muss: „Und dann war Madleine von einen Tag auf den anderen weg. Ich weiß nicht mehr, was man mir erzählt hat. Ich kam in die Abtei und der `Unfall` mit Black Dranzer passierte. Das hat mein Gedächtnis gelöscht. Bis vor ein paar Jahren wusste ich nicht einmal, dass ich eine Schwester habe. Großvater hatte allen verboten, je über sie zu sprechen.“ Er bricht ab und dreht sich ebenfalls weg. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ja, die beiden tun mir unglaublich Leid. Wie kann man nur einem Menschen sowas verschweigen? Die eigene Schwester? Und wie mag sich Madleine gefühlt haben, als ihr klar wurde, dass Kai sie nicht mehr erkannte? Wie sehr muss das geschmerzt haben. Ich bin Einzelkind, ich kann mir das nicht vorstellen. Aber Kais starre Haltung und Madleines verkrampfte Hände sprechen so viel mehr, als tausend Worte es könnten. Der Raum ist still, als hätte keiner dazu etwas zu sagen. Erst nach einer ganzen Weile meldet sich Jaden zu Wort. „Ich bin ja nur adoptiert, aber ich hab mich auch erschrocken, als Maddy auf einmal da stand. Sie traute sich erst wieder zurück, als sowohl Voltaire als auch Boris ihr endgültig nichts mehr tun konnten. Kann man verstehen. Aber ich bin froh, dass sie da ist. Sie hat uns nach Amerika geholt und uns die Chance auf einen Neuanfang gegeben. Nur deswegen sind wir hier.“ Er sieht seine Geschwister an und lächelt. Und ganz zögerlich lächelt Madleine zurück. „Danke“, flüstert sie. Dann räuspert sie sich und strafft die Schultern. Sie streicht sich energisch die Haare zurück und schlägt ihr Heft auf. „Genug damit, konzentrieren wir uns lieber auf die Zukunft.“ Zane neben ihr nickt. „Gut gesagt.“ Ich beginne zu begreifen, dass hinter Kai und Madleine mehr steckt, als ich bisher gesehen habe. So viel mehr, als man je sehen kann... Jetzt sehe ich auch ganz deutlich, dass Madleine und Jaden die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, damit ich Kai in Ruhe lasse. Sie beschützen ihn, weil er eben doch nicht der gefühllose Kühlschrank ist. Weil er verletzt und wütend auf sich selbst ist. Der Lehrer erscheint mit einigen Minuten Verspätung und knallt seine Unterlagen (die er im Lehrerzimmer vergessen hatte – toller Sensei!) missmutig auf das Pult. Ich zucke heftig zusammen. „Unfortenatly“, blafft er sarkastisch, „we can`t go on with the lesson. You have some people, who want to see you.“ Wir sehen uns alle verwirrt an. Wen meinte er denn jetzt? Da deutet er zur Tür. „Open that. I think the name was Dickenson. Or something like that.“ Tyson sieht schockiert aus. Kai seufzt und lässt die Hand zur Schläfe wandern, welche er mit geschlossenen Augen massiert. Uh,oh, der ist sauer! Madleine steht schließlich auf und öffnet die Tür, sieht kurz in den Flur und räuspert sich. „Mr. Dickenson, I believe?“ Ich höre, wie er bejaht und dann tritt er in den Raum. Er sieht sich um und stürmt regelrecht auf die Jungs zu. „Oh, Kai, Tyson! Wie schön, dass wir euch endlich gefunden haben! Ich bin so froh!“ „Wir nicht“, gibt Tyson trocken zurück. Kai belässt es bei einem sauren Blick. Schlagartig bleibt Mr Dickenson stehen. „Nicht?“, fragt er wie ein Kind, dass keine Geburtstagsparty bekommt. „Nein“, erwidert Kai eisern. „Du hast dich gar nicht verändert, Kai.“ Ich springe so hastig auf, dass ich meinen Stuhl umwerfe. Mein Gesicht glüht vor Freude. „Ray!“ Er nickt und schnauft kurz, als ich ihn voller Wiedersehensfreude stürmisch umarme. „Hallo, Hillary, wir sind auch noch da“, ertönt es neben Ray. Als erstes sehe ich blondes Haar. Dann Sommersprossen und ein zufriedenes Grinsen. „Max!“, quietsche ich und falle ihm um den Hals. Er lacht. Ich drehe mich zur Seite und bemerke den Kleinsten der Runde. „Kenny!“ Und ja, auch er wird ordentlich gedrückt. Wird sogar ein bisschen rot dabei. Ich trete zurück und atme tief durch. „Ich freu mich so, euch zu sehen!“ Es hilft nichts, meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren zu laut. Hoffentlich fange ich nicht an, zu heulen. Das wäre extrem peinlich. „Wenigstens einer!“, wirft Kai sarkastisch ein. Ich drehe mich und sehe, wie er und Tyson einen Blick tauschen. Kai nickt und Tyson steht auf. „Das war`s, ich bin weg“, verkündet er genervt. Max` fröhliches Grinsen fällt in sich zusammen und Ray keucht leise auf. „Was? Tyson?“, murmelt er ungläubig. Tyson wirft ihm einen feindseligen Blick zu. „Ja, ich bin`s. Oder bist du seit neuestem blind?“ Ray starrt völlig schockiert zurück. Als er antwortet, zittert seine Stimme sogar ein wenig: „Nein, bin ich nicht. Aber...was um Himmels Willen ist mit dir passiert? Du bist so...so...“ Er beendet den Satz nicht, sondern starrt nur weiter. Tyson schnauft. „Denk doch, was du willst. Jetzt lass mich durch und quatsch mich nicht voll!“ Er drängelt sich an Mr. Dickenson und dem Rest seiner Freunde vorbei und verschwindet aus dem Raum. Kai schnappt sich hastig seine Tasche und folgt ihm. „Dito“, merkt er noch an und stampft von dannen. Kapitel 12: Ab nach Hause? -------------------------- Starr vor Schreck sehen die drei ihnen hinterher. „Sie sahen den großen Abgang der kleinen Nervensägen“, kommentiert Seto Kaiba die Sache und Madleine fängt tatsächlich an, zu lachen. Ich seufze und setze mich etwas unsanft hin. Natürlich dachte ich mir schon, dass Kai missmutig reagieren würde, aber Tysons Reaktion hat mir erneut gezeigt, wie sehr er sich verändert hat. Auch, wenn ich es nicht zugeben will, es hat mir wieder einen Stich versetzt, ihn so kalt zu sehen. „Was war das denn?“, fragt Ray, der zuerst seine Sprache wiederfindet. „Na, Tyson. Was sonst?“ Yugi sieht verwirrt aus. Er kennt Tyson wohl nicht anders. „Speak English, or I`m gonna give you detention! You got me? This is an american school!“ Der bestialisch laute Ausruf des Lehrers klingelt mir in den Ohren und lässt alle verstummen. Man, hat der Kerl schlechte Laune! Seto sieht zu ihm hin und unterbricht seine Arbeit am Laptop. Warte mal, hat der die ganze Zeit lang getippt? Bringt den nichts aus der Ruhe? Verrückter Kerl. Egal, jedenfalls zieht er jetzt eine Augenbraue hoch und verengt dann die Augen. „No need to scream like you`re the boss of everything“, sagt er dann gefährlich leise und schüttelt den Kopf, als könne er nicht fassen, was der Lehrer sich herausnimmt. Der läuft knallrot an und will zu einer unheimlich langen Strafpredigt ansetzen, als Seto ihn erneut unterbricht: „All it takes for me is one little conversation with the director of this school and you`re out to find a new job. It`s your choice if you behave wisely now. Or not, I don`t care. But you should.“ Das bringt den armen Sensei dazu, den Mund zu halten und sich mit wütendem Blick auf seinen Stuhl zu setzen. Yugi rollt mit den Augen, als wäre er mit dieser Aussage und der darin enthaltenen Drohung unzufrieden. Ich bin es nicht – so habe ich wenigstens meine Ruhe vor dem Idiot – und kurz denke ich darüber nach, wer von beiden einschüchternder ist. Kai oder Seto? Ich denke, nach der Vorstellung hier ist es Seto Kaiba. Kai starrt einen oft sauer an, aber das war`s auch. Bei Seto hört man heraus, dass er jede Drohung, die er ausspricht, auch sofort umsetzen würde. Und er würde es sogar genießen, das zu tun, denke ich. Brrr, mir läuft es kalt den Rücken herunter. „Sollen wir später wiederkommen?“, fragt Max mit Unsicherheit in der Stimme. Er scheint Setos Ausspruch richtig gedeutet zu haben. Leicht ängstlich blickt Kenny zu dem Rest der Leute im Raum. „Not at all. So haben wir mal wieder frei. Kommt mir sehr gelegen, so thanks.“ Madleine grinst und erhebt sich. Sie packt mit einem Lächeln auf dem Gesicht ihre Sachen zusammen und scheint sich überhaupt nicht um die angespannte Atmosphäre um sie herum zu kümmern. Ich bin ihre Einstellung – dieses Ich-tu-immer,was-du-nie-erwarten-würdest – schon so sehr gewohnt, dass es mich nicht mehr verblüfft, dass sie gehen will. Sie sieht zu mir und wirft mir meine Tasche zu. Automatisch fange ich sie auf. „We`ll go now and explain what we can. Okay?“ Der Lehrer will schon Einspruch erheben, doch dann fällt sein Blick auf Seto. Uhum, und schon ist er still! Hab zwar keine Ahnung, warum Seto uns unterstützt, aber ich nutze es aus. „Okay“, sage ich hastig und schiebe alle zur Tür hinaus. Madleine sieht zu Jaden und schiebt ihn zurück in den Raum. Alexis sieht Madleine fragend an und die schüttelt den Kopf. Alex seufzt und dreht sich nach vorn um. Jaden rollt mit den Augen und schnauft beleidigt, aber er setzt sich neben Alexis. Zane legt Kais Schwester eine Hand auf die Schulter und erklärt leise: „Ich komme mit. Keine Diskussion.“ „Ich auch“, fügt Heiji an. Sie zieht die Augenbrauen hoch und mustert ihn mit einem Blick, der deutlich sagt `Bist du so dämlich, oder tust du nur so?` „Geh wieder rein und schreib mit. Wofür bist du denn mein Honey, du Dussel?“ Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus. Heiji schlägt sich vor die Stirn, als hätte er das echt vergessen. „Shit!“, seufzt er auf, „And here I am, thinking you care about me.“ Sie haut ihm auf den Arm. „Idiot! Go and do, what you should.“ Er dreht sich um und stapft in den Raum. Als er sich umdreht erwarte ich einen beleidigten Gesichtsausdruck, aber er grinst. „As you wish, beautiful!“, erklärt er scherzhaft und ich sehe, wie Madleine tatsächlich ein bisschen rot wird. Sie murmelt noch einmal „Idiot“, bevor sie sich umwendet und unserer Gruppe den Weg zum Parkplatz zeigt. Scheint, als wäre meine Vermutung richtig gewesen. Sie scheinen wirklich ein Paar zu sein. Ein sehr verrücktes zwar, aber Hauptsache, sie sind glücklich damit. Am Parkplatz angekommen, sieht sie eine Lücke, die vorher wohl noch besetzt war, denn sie zetert los: „That`s not possible! Those idiots took my car, not Kai`s! Ooh, wait, till I get this brat!“ Sie tritt frustriert gegen den Reifen eines großen Jeeps. Hätte ich mit den Schuhen – schwarze Pumps mit mindestens zehn Zentimeter Absatz – eher nicht gemacht, aber ich bin zum Glück nicht an ihrer Stelle. Es kommt, wie es kommen muss: Ihr bricht der hauchdünne Absatz ab und sie legt den Kopf in den Nacken, um nicht aufzuschreien. „Not my day.“ Ich muss ein Kichern unterdrücken. Kurzerhand zieht sie die Schuhe aus und geht barfuß um das Auto herum. Sie öffnet die Tür und nickt, steigt ein und ruft über die Schulter: „Follow me!“ Dann schlägt sie die Autotür zu und startet den Wagen. Zane nimmt auf der Beifahrerseite Platz und Ray, Max, Kenny und Mr. Dickenson beeilen sich, in den Wagen der BBA einzusteigen. Ich setze mich ebenfalls rein, was mir verwunderte Blicke einbringt. „Ich bin lieber hier, als bei Kais Verwandschaft.“ „Gute Idee“, ertönt es vom Fahrersitz und ich erkenne Max` Mutter. „Hallo, Mrs. Tate.“ Sie nickt und fährt los, Madleine hinterher. Erst jetzt denke ich daran, dass ich gar nicht weiß, wo sie wohnen. Kunststück, ich bin seit ein paar Tagen hier und bin von einem Unglück ins Nächste gestolpert. Da war keine Zeit für alltägliche Gedanken. Apropos alltäglich...“Oh, shit! Mike!“ Jeder sieht mich fragend an. „Mein Freund“, erkläre ich leise. Max fällt die Kinnlade nach unten. „Du hast einen Freund? Nach den paar Tagen? Wow.“ Soll das ein Kompliment sein, oder was? „Tja...“, antworte ich ausweichend und zücke mein Handy. Schnell tippe ich eine Sms: Hey, Mike! Sorry, aber mein dämlicher Master hat Mist gebaut. Ich muss kurz weg, aber ich versuche alles, um nachher da zu sein! Ich versprech`s dir, okay? Kuss, Hillary Ich muss mich echt überwinden, um den Gruß zu schreiben, aber es muss ja sein. Ich schicke es ab und hoffe verzweifelt, dass er nicht sauer ist und denkt, ich wolle ihn versetzen. Wie kommt es eigentlich, dass immer alles schief geht, sobald ich das Gefühl habe, mit der Situation klar zu kommen? Muss das Karma sein. Oder ich hab im letzten Leben nicht genug Gutes getan. Kapitel 13: Wo wohnt Kai Hiwatari?! ----------------------------------- Wir brauchen satte zehn Minuten, um zum Haus zu kommen. Welches so riesig ist, dass ich nach Luft schnappe. Vier Stockwerke und eine glänzende, fast gänzlich verglaste Fassade erwarten mich. In vielen Fenstern sehe ich Traumfänger hängen. Und die Blumen! Rote, blaue und weiße Blumen scheinen auf jedem freien Fleck im Garten zu wachsen. Gelbe Sonnenblumen bilden in einer Reihe eine Art Zaun zum nächsten Grundstück und hier und da ist dunkles Holz, dass in der Sonne glänzt. Ich habe keine Ahnung, was ich genau erwartet habe, aber sicherlich nicht das! Dieses Haus scheint die gute Laune wie eine Aura um sich herum zu tragen. Es passt doch nicht zu der angespannten Art, die jetzt herrscht, weil wir wie bestellt und nicht abgeholt vor der Haustür stehen. Max` Mutter hat sich nicht getraut, wie Madleine vor der Garage zu parken und ist am Bordstein stehen geblieben. Wie Ölgötzen stehen wir also hier und starren, die Köpfe in den Nacken gelegt. „Wow“, entfährt es Ray leise. Ich bin ebenfalls beeindruckt, will mich aber nicht laut bemerkbar machen. „Kommt ihr?“, fragt Zane und es klingt nicht einmal genervt. Eher verunsichert. Ich nicke ihm zu und gehe neben Judy her. Er schüttelt nur den Kopf und verschwindet im Inneren. Vorsichtig betrete ich das Haus und werfe schnell ein paar Blicke herum. Viel weiß und blau. Also so ähnlich, wie draußen. Scheinen die vorherrschenden Farbe zu sein. Eine breite Wendeltreppe führt nach oben ins nächste Stockwerk. Damit ist die linke Seite ausgefüllt. Rechts begrüßt mich ein matt glänzendes Klavier, über dessen Fläche Notenblätter verteilt sind. Dahinter stehen Sofas und Sessel, auf denen auch etwas liegt oder hängt. Vorzugsweise Jacken oder Zettel. Auch hier finden sich Blumen, die in Vasen stehen. Allerdings nicht so eine Flut, wie draußen war. Eher so zwei oder drei Stück. Poster oder Gemälde hängen an den hinteren Wänden und zeigen entweder Engel, oder bekannte Filmszenen zu diesem Thema. Alles sieht etwas durcheinander aus, aber das macht den Raum in meinen Augen angenehm warm. „Du meine Güte!“, murmelt Judy und sieht sich mit Kulleraugen um. „Ist das Chaos so schlimm?“, fragt Madleine nach und sieht sich leicht unglücklich um. Ray schüttelt den Kopf. „Das ist es nicht. Viel eher hat keiner von uns erwartet, dass Kai so lebt.“ Madleine lacht auf. „Wie denn sonst? Dachtet ihr an eine alte, verschimmelte Dachkaschemme? Oder eher an ein verließartiges Kerkerchen?“ Ray nickt zaghaft. „Uhum“, macht er zustimmend, „So ähnlich. Auf jeden Fall dunkler.“ Max nickt und Kenny klappt seinen Laptop auf. Er wirft seine Kamera an und nuschelt: „Das muss ich dokumentieren. Damit ergibt sich ein völlig neues Bild bezüglich Kai.“ Blinzelnd starrt Zane ihn an. „Dokumentieren?“, wiederholt er verblüfft. Kenny sieht auf. „Ja!“, ruft er und fuchtelt wild mit einem Arm herum. Beinahe fällt ihm sein Laptop zu Boden und er umklammert das wichtige Teil lieber wieder beidhändig. „Ich muss doch alle Entwicklungen festhalten! Nur so können wir als Team unsere Schwächen verbessern!“ Schweigen. Sogar ziemlich lange. „Ähm“, räuspere ich mich dann leise, „Klingt vielleicht doof, aber: Gibt es denn noch ein Team, Kenny, für das diese Aufzeichnungen wichtig wären?“ Schockierte Gesichter sehen mich an. „Auf jeden Fall!“, antwortet Max schließlich. Ray nickt. „Es läuft zwar im Moment nicht besonders gut, aber wir sind immer noch ein Team.“ Er klingt so zuversichtlich wie immer. Und irgendwie erwarte ich fast schon, dass jemand wiederspricht. Aber Madleine lächelt uns nur zu. „Das ist gut zu wissen. Mein Bruder hat wohl treue Freunde gefunden.“ Sie bietet uns Sitzplätze an und bringt dann Getränke. Sie selbst nimmt in einem Sessel Platz, der vor Kopf steht und sieht uns lange an. „Also“, meint sie dann leise, „Ihr seid wohl hier, weil ihr euch Sorgen um eure Jungs gemacht habt?“ Das `eure Jungs` betont sie ganz komisch. So, als hätte sie erst etwas anderes sagen wollen. Mr. Dickenson beantwortet die Frage ausführlich: „Ja, natürlich. Wir haben noch gestern Abend in einer Sondersendung davon erfahren, dass Tyson und Kai sich hier befinden. In Japan war das eine sehr wichtige Meldung und sie unterbrachen dafür sogar die Abendnachrichten. Ich war sofort bereit, alle hier herzubringen. Es geht hier um den Fortbestand meines wichtigsten Teams. Selbstverständlich war ich auch erleichtert, die beiden gesund und in Sicherheit zu wissen.“ Er sieht sich um und fügt hinzu: „Es ist schön hier. Sehr warmherzig.“ Madleine lächelt leicht und wendet den Blick ab. „Das liegt hauptsächlich an Jaden und Heiji. Nicht wir haben dieses Haus so wohnlich gemacht. Und meine Freundin hat sich mit dem Garten befasst.“ Jetzt weiss ich, wie der Blick zu deuten ist. Sie ist verlegen. Eine Premiere. Ray räuspert sich leicht. „Und wie ist das nun so gekommen? Ich meine, warum wohnen sie jetzt hier?“ Eine berechtigte Frage. Also seufzt Madleine und erklärt: „Die Nachricht, dass sowohl Voltaire, als auch Boris endlich ihren gerechten Strafen zugeführt worden waren, habe ich erst nach einem halben Jahr erfahren – und auch das nur zufällig. Ich habe mich getraut, Kai zu kontaktieren. Es war schwierig, aber ich bin froh, es getan zu haben. Wir hielten eine Weile nur telefonisch Kontakt, weil er – aus welchem Grund auch immer – noch in Japan bleiben wollte. Und, naja“, sie zuckt die Schultern, „Er stand dann recht plötzlich vor meiner Tür und fragte, ob er hier wohnen könne. Ich habe nicht mal überlegen müssen. Wir waren schon viel zu lange getrennt.“ Sie erzählt, wie Tyson dazukam und ich merke, wie sie einige Einzelheiten auslässt. Dinge, die sie mir erzählt hat. Ich registriere es, halte mich aber ansonsten heraus. „Und Hilary wusste nichts davon?“, fragt Max Mutter. Ich schüttele den Kopf. „Hab`s erst gestern erfahren. Ich konnte kaum glauben, dass ich sie hier treffe.“ „Denke ich mir“, brummt Zane halblaut. Er war so ruhig, dass die meisten ihn wohl fast vergessen haben. Nun ist er das Zentrum der Aufmerksamkeit. Er lächelt vorsichtig. „Ich kenne diese kleine Verrückte hier schon länger“, lacht er und stuppst Kais Schwester in die Schulter. „Verrückte?“, wiederholt die scheinbar gekränkt, grinst ihn aber an. Er nickt. Gespielt genervt stöhnt er: „Und kaum kannten wir uns, wurde ich sie nicht mehr los. Notgedrungen blieb ich also mit ihr in Kontakt. Und dann kommt sie auf diese Idee!“ Er sieht uns an und formt in der Luft mit den Fingern Anführungsstriche, um das Zitat zu verdeutlichen: „`Hey Z! Kannst du mal grade nach Tokyo gehen und meinen Bruder überreden, mit mir zu telefonieren? Vielleicht musst du ihm den Zettel mit der Telefonnummer auf seinen Blade tackern und dann um dein Leben rennen, aber ansonsten ist er ganz zahm. Vielen Dank schon mal im Voraus!`“ Er zieht eine Grimasse. „Was sollte ich denn mit dieser dämlichen Nachricht anfangen?“ Alle brechen in lautes Gelächter aus. „Oha“, lacht Max, „Da kennst du ihn natürlich gut. Könnte glatt geklappt haben?“ Madleine zieht eine echt süße Schnute. „Also so habe ich das nie gesagt! Verdrehe hier nicht die Tatsachen!“ Aber jeder kann sehen, dass auch sie es lustig findet. Sie sieht zu Zane auf, der halb auf der Sessellehne sitzt. Er legt den Kopf schief und zieht eine Augenbraue hoch. „Tue ich das?“ Sie tut so, als müsse sie überlegen. Dann: „Nö. Aber ich hab`s anders formuliert.“ Er rollt mit den Augen. „Du bist unmöglich.“ Sie lacht, wird dann aber wieder ernst. „Ich denke nicht, dass Kai und Tyson euch gerne hier haben wollen. Sonst wären sie schon längst runtergekommen und hätten mit euch geredet. Lasst ihnen am besten noch etwas Zeit, okay?“ Mein Team nickt und Mr. Dickenson versichert, dass man eh noch plane, länger hier zu bleiben. Nichts eile und sie sollten sich ruhig Zeit lassen. Kapitel 14: Die Wahrheit ------------------------ Zwei Stunden bleiben wir bei ihnen. Dann fährt Zane mich zurück in die Schule. Und – Wunder über Wunder! - sogar Tyson kommt mit. Kai bleibt zwar stur in seinem Zimmer und hat die Tür verschlossen, aber Tyson sitzt mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz und sieht wortlos zum Fenster raus. Madleine hatte ihn runtergerufen und ihm dann eine unheimlich lange Predigt gehalten, was den beiden einfiele, einfach ihr Auto zu nehmen. Er hat zur Antwort nur gemurrt und ist nur deswegen hier, weil er wohl keine Lust hatte, mit den anderen zu reden. „Soll ich euch irgendwo rauslassen?“, fragt Zane. Er ist viel zu freundlich, das hat Tyson gar nicht verdient, finde ich. Aber ich schüttele schlicht den Kopf und sage neutral: „Nein, ich muss sowieso noch zur Schule.“ „Muss!“, spottet Tyson mit einem Schnauben und seufzt. „Ich geh hin, um unsere Abwesenheit zu erklären. Sonst nichts.“ Toll, großartig, er ist supersauer. Wieso immer ich? Ich hüpfe aus dem Auto und sehe mich um. Sollte ich es tatsächlich geschafft haben, Mike direkt am ersten Tag zu versetzen? Ich sehe mich hektisch um. „Da hinten steht er doch“, meint Tyson und zeigt nach vorne. Da sehe ich ihn auch. Er steht nahe der Hausecke und scheint sich mit Jemandem zu unterhalten. Erleichtert atme ich auf. „Ich komm mit.“ Mit großen Augen starre ich Tyson an. Er reagiert gereizt: „Was denn?! Ich muss eh noch warten, ob Reporter auftauchen. Es ist schließlich kurz vor Schulschluss und wir haben uns vorhin durch den Nebenausgang rausgeschlichen. Wenn ich jetzt nicht hier rauskomme, hängen die dir an der Backe. Willst du das?“ Ich erschaudere und er nickt. „Eben. Also lass mich das machen. Ist ja auch in meinem Interesse.“ Wir setzen uns in Bewegung. Und ich sehe ihn zuerst. Er steht dort, mit vor der Brust verschränkten Armen und undefinierbarem Gesichtsausdruck. Als ich Luft hole, um Tyson vorzuwarnen, sieht er zu uns herüber und seine braunen Augen werden schmal. Mike erkennt mich und kommt auf mich zugerannt, als begreife er nichts von dem, was hier vor sich geht. „Hey“, haucht er mir zu und drückt mir zögerlich einen Kuss auf die Wange. Ich werde rot. Vorsichtig schiele ich zu Tyson, welcher nach vorn starrt und dasteht, wie vom Donner gerührt. Er kann es wohl nicht glauben. „Hiro?!“ Seine Stimme ist nur ein Flüstern, doch sein großer Bruder hat es verstanden. „Ja, allerdings. Denkst du etwa, ich würde ruhig zu Hause sitzen bleiben, wenn du hier Unsinn machst?“ Er faucht regelrecht. Jetzt dämmert auch Mike, dass etwas nicht stimmt. „Uuuh, hier gibt`s aber negative Schwingungen. Sicher, dass ihr Brüder seid?“ Wir ignorieren ihn. Tyson schluckt schwer, sagt aber nichts. Dafür erhebt Hiro die Stimme und brüllt richtig. Ich habe ihn noch nie so aus der Fassung erlebt. „Wie konntest du nur jemals so etwas tun?! Einfach weglaufen! Weisst du eigentlich, was du angerichtet hast? Vater hätte beinahe das Haus verloren! Und ich hatte die Polizei im Haus! Sie wollten doch tatsächlich von mir wissen, ob wir dich venachlässigt hätten. Sie wollten Vater das Sorgerecht entziehen, kannst du dir das vorstellen?“ Ich kann nur stumm danebenstehen, während Hiro schwer atmend um Beherrschung ringt. „Wieso hätte Vater beinahe das Haus verloren? Großvater hat doch alles unter Kontrolle“, bemerkt Tyson dumpf. Mit zwei schnellen Schritten ist Hiro bei ihm und packt ihn an den Schultern. Mit bebender Stimme sagt er: „Tyson, Großvater ist tot.“ Mein Magen sackt nach unten. Die Tränen schießen mir in die Augen. Ich bekomme kaum noch Luft. Ryu ist tot? Der liebe, nette Ryu, der jeden von uns wie seine eigenen Kinder behandelt hat? Der Ryu, der mir immer Mut gemacht hat und sogar Daichi zur Ruhe bringen konnte? Die Person, die Tyson mehr als jeden anderen auf der Welt geliebt hat? Das darf nicht wahr sein, nein! Ich mache einen Schritt zurück und klammere mich an Mike. „Oh nein“, flüstere ich. Tyson steht da wie erstarrt. Mit vollkommen fassungslosen Augen sieht er zu Hiro auf. „Das ist nicht wahr“, sagt er leise. Hiro schüttelt ihn einmal leicht. „Doch! Er hatte sich solche Sorgen um dich gemacht. Es ging ihm nicht gut, aber er ist trotzdem aufgestanden und wollte dich suchen, als er hörte, dass du verschwunden wärest. Da hatte er einen Schlaganfall! Fast einen Monat lag er im Krankenhaus, bevor die Ärzte ihn aufgaben. Hast du jetzt endlich, was du wolltest?!“ Tyson ist leichenblass. Er sagt immer noch keinen Ton. Ich glaube, er hat einen Schock. „Das ist doch nicht fair! Du kannst ihm doch nicht die Schuld geben“, schaltet Mike sich ein, „Das konnte er nicht wissen.“ „Misch dich nicht ein!“, wütet Hiro zurück. Er lässt Tyson für einen kurzen Moment los – und der rennt mit gesenktem Kopf weg. Ich hebe eine Hand – wie, um ihn aufzuhalten - , aber ich sage kein Wort. Ich bin wie am Boden festgeklebt. Er tut mir so Leid. Wieso denn nur? Armer Kerl! Hiro sieht ihm hinterher. Dann dreht er sich um und fährt sich durchs Haar. „Oh, Gott. Das wollte ich ihm doch gar nicht sagen“, murmelt er leise. Er drückt die Handballen auf seine geschlossenen Augen. „Ich Idiot! Was bin ich nur für ein Bruder?“ Ausnahmsweise habe ich dem nichts hinzuzufügen. Denn genau das frage ich mich auch gerade! Mike legt mir eine Hand auf den Rücken und entlässt mich somit aus seiner Umarmung. „Geh ihm nach“, sagt er. „Hä?“, mache ich. Er seufzt. „Jemand sollte sich um ihn kümmern. Und er will den da“, er deutet mit dem Kinn auf Hiro, „jetzt wohl erst einmal nicht sehen. Ich kenne ihn nicht und sonst ist keiner da. Bleibt unter`m Strich: Du solltest gehen.“ Ist diese Logik jetzt dämlich oder genial? Egal, ich nicke ihm zu und drücke seine Hand. „Danke für dein Verständnis.“ Und schon bin ich auf dem Weg zu Tyson. Ich finde ihn nach ein paar Minuten Suche bei den Treppen am Seiteneingang der Turnhalle. Er sitzt auf den Stufen, hat die Arme um die Beine geschlungen und die Stirn auf seine Knie gelegt. Ganz leise kann ich ihn schluchzen hören. Ich setze mich neben ihn und warte ein bisschen. Tyson würde bestimmt nicht wollen, dass ich jetzt etwas sage. Meine Anwesenheit reicht ihm hoffentlich. Erst nach einigen Minuten hebt er den Kopf und sieht mich aus geröteten Augen an. Immer noch laufen Tränen über seine Wangen. „Warum bist du hier?“, fragt er mit rauer Stimme, „Warum? Nach allem, was ich getan habe?“ Er schüttelt den Kopf und sieht weg. „Weil du immer noch mein Freund bist. Und, weil ich deinen Großvater auch mochte. Ich würde dir gern helfen.“ Die Worte verlassen ohne Erlaubnis meinen Mund, aber sie sind ehrlich. Er tut mir so Leid, ich möchte unbedingt etwas tun! Tyson dreht sich ruckartig zu mir um, seine Arme fliegen förmlich nach oben und er zieht mich an sich. „Bleib hier“, flüstert er mir ins Ohr, „Bleib bei mir, ja?“ Ich nehme ihn in den Arm. „Ja.“ Er drückt sich an mich und küsst meinen Hals. „Danke.“ Noch ein Kuss auf meine Haut. Ich werde rot. „Ähm...Tyson?“ Er drückt seine Lippen so fest auf meine, dass ich nach hinten kippe. „Huch!“, entfährt es mir, als ich wieder reden kann. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, von Tyson geküsst zu werden, aber das hier ist viel zu plötzlich. Was wird das hier, wenn es fertig ist?! Seine Hände wandern weiter runter, schieben meine Bluse hoch. Nun wird es mir zu bunt. „Tyson! Stopp! Was machst du da?!“ Er zuckt zusammen und starrt mich an. Ich kann seinen Blick nicht deuten. Keuchend schiebe ich ihn von mir weg, aber er bewegt sich nicht. „Runter von mir!“ Er hebt die Hände hoch und springt auf – wie auch immer er das fertig bringt, ohne sich abzustützen. „Sorry!“, sprudelt er hervor. Ich richte mich auf und sehe ihn an. „Was ist denn in dich gefahren?“ Ich bin ihm nicht böse, nein. Ich will es ehrlich wissen. Er stolpert einen Schritt zurück. „Sorry“, wiederholt er, „Ich wollte...ich sollte-ich-ich....“ Und er fängt wieder an, zu weinen. „Ich bin furchtbar!“, sagt er gequält. „Hey“, murmele ich und ergreife seine Hand. „Was ist passiert?“ So furchtbar es auch ist, ich habe das Gefühl, Tyson nun endlich dazu bringen zu können, mit mir zu reden. Er senkt den Blick und nuschelt: „Kein Wunder, dass mich keiner haben will.“ Schockiert schnappe ich nach Luft und springe auf. „Das ist nicht wahr und das weisst du auch!“ „Tue ich das?“, fragt er mit Ironie in der Stimme. „Ja, natürlich. Wäre ich sonst hier?“ Er lächelt mich an und lässt sich auf die Stufen sinken. „Kai denkt da wohl anders.“ „Was ist passiert?“, wiederhole ich und sehe ihn fest an. „Erzähl`s mir.“ Er seufzt und sieht in die Baumkronen. „Ich bin bei ihm und seiner Schwester eingezogen. Hab ihr Texte geschrieben.“ Er verstummt und atmet tief durch. Jeder Satz klingt abgehackt und so, als koste es ihn große Mühe. Dann bricht es auf einmal aus ihm heraus und ich muss mich bemühen, alles zu verstehen: „Und Kai war so nett zu mir. Wir haben gar nicht mehr gestritten. Und irgendwie ist es so gekommen, dass er und ich allein waren. Nur eine Nacht, aber das hat gereicht. Er wollte mit mir schlafen und ich hab ja gesagt. Und am nächsten Morgen war er nicht mehr da. Er tut so, als wäre nie was gewesen. Er hasst mich, ich weiss es!“ Er lässt den Kopf sinken und eine Träne tropft zu Boden. „Ich bin so blöd!“ Er versteckt das Gesicht in den Händen und lässt mich mit meiner Überraschung allein dasitzen. Verdattert starre ich auf meine Füße. Das heißt also – wenn ich denn richtig gehört habe -, dass Tyson in Kai...? Kapitel 15: Brüder? Ist das noch so? ------------------------------------ Oh, klasse, mein Herz bricht gerade entzwei! Aber wen kümmert`s schon? Ich hätte es doch wissen müssen, er sieht mich ja nie so an. Ich schlucke schwer, um die Tränen zurückzuhalten. Ich darf jetzt nicht heulen, Tyson braucht mich. Dringend. Ich hole tief Luft und ziehe seine Hände nach unten. Er sieht mich fragend an und ich versuche ein zaghaftes Lächeln. „Hast du schon versucht, mit ihm darüber zu reden?“, frage ich leise. Er schüttelt den Kopf. „Hab mich nicht getraut.“ Ich unterdrücke ein Seufzen. „Naja, vielleicht wartet Kai genau darauf.“ Er springt auf. „Ach, Quatsch! Kai doch nicht!“ „Doch, ich denke schon. Erinnerst du dich, wie er reagiert hat, als er dachte, du und ich...?“, beginne ich meinen Satz, kann ihn dann aber doch nicht beenden. Da gab es noch die Möglichkeit...ein `Was wäre, wenn`...alles vorbei, ich hatte nie eine Chance. Tyson verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich skeptisch. „Das könnte auch andere Gründe haben“, murrt er leise. Ich unterdrücke mühevoll ein genervtes Stöhnen. Das er auch immer so stur sein muss! Selbst, wenn man ihn mit dem Zaunpfal erschlagen würde, anstatt einen Wink damit zu geben, würde er aus Prinzip „Nein!“ sagen! Ich versuche es anders: „Du kennst doch Kai. Wenn er etwas will, dann geht er schon mal zu direkt vor und kümmert sich nicht um andere. Ich fürchte, er mag dich mehr, als er zugeben will und bereut einfach, dass er dich damit so überfallen hat. Denk doch mal nach, warum sollte er dir sonst bis zu mir nach Hause folgen und stundenlang auf dich warten?“ „Ja, warum sollte er?“ Ich zucke zusammen und drehe mich dann ruckartig um. Hinter mir stehen Hiro und Mike. Mike lächelt mich an, aber Hiro sieht aus, wie beim Zahnarzt auf dem Behandlungsstuhl. Tyson schnaubt und will schon wieder abhauen. Ich lange nach vorne und kralle mich in seinen Hemdsärmel. „Bleib!“, sage ich bestimmt. Er hält tatsächlich an und sieht zu mir herunter. Mein Blick ist fest und ich bin entschlossen, kein Stück zurück zu weichen. Ein Blickduell folgt. Als er seufzt, weiß ich, dass ich gewonnen habe. Er stöhnt übertrieben genervt auf und dreht sich wieder um. „Also? Was willst du?“, fragt er seinen Bruder. Es soll wohl kühl und herablassend klingen, aber wahrscheinlich ist er nervös. Hiro seufzt. „Entschuldige. Das eben...das tut mir wirklich Leid, ich hätte das nicht sagen sollen. Ich hab mir nur so furchtbare Sorgen um dich gemacht.“ Tyson zieht die Augenbrauen hoch. „Du?, fragt er nach, „Du hast dir Sorgen gemacht? Seit wann denn das?“ Hiro ballt die Hände zu Fäusten. „Tyson, ich bin doch nicht völlig gefühllos! Das weißt du doch am Besten, ich wollte dir doch immer helfen! Lass uns doch darüber reden.“ Gegen Ende hin wird sein Tonfall regelrecht flehend. Er scheint erschrocken zu sein, dass sein kleiner Bruder wirklich so schlecht über ihn denken könnte. Noch hofft er wohl, dass Tyson nur schlechte Scherze macht. Aber ich weiß es besser. Seine nächsten Worte bestätigen meinen Eindruck nur noch: „Nein, ich kann nicht sagen, dass ich dich kenne. Der Bruder, den ich gekannt hab, der ist mit 15 von zu Hause weg und hat mich allein gelassen. Mit allem – Großvater, der neuen Schule, meiner Trauer wegen Mama...Ich hab seit Jahren keinen Bruder mehr! Hör auf, dich jetzt hier aufzuspielen, nur, weil du zufällig dein schlechtes Gewissen entdeckt hast!“ Er schnaubt und wendet sich ab. Hiro bleibt der Mund offen stehen bei so viel Ehrlichkeit und Härte. Ich unterdrücke mühevoll ein Seufzen. „Das war wohl mal nötig, hm?“, frage ich und sehe zu Mr. Superdickschädel hinüber. Ein schiefes Grinsen ist die Antwort. „Tja...ja, schon irgendwie.“ „Nötig?“, stottert Hiro, immer noch fassungslos. Ich drehe mich um und funkele Tysons großen Bruder an: „Oh ja! Tyson hat lange genug alles still ertragen, findest du nicht? Ich denke, er hat es sich verdient, auch mal richtig an sich zu denken, oder nicht?“ „Misch dich nicht ein, Hilary. Das mache ich mit Tyson aus, du hast hier nichts zu melden, du-“ „Wag es ja nicht, sie zu beleidigen!“, geht Mike dazwischen. Schützend stellt er sich vor mich. „Meine Freundin“, er betont das ganz stark, „hat nämlich recht. Kannst du nicht einfach mal annehmen, was dein Bruder dir sagt und drüber nachdenken, bevor du zurückschießt?“ Hiro tritt einen Schritt nach hinten. Er sieht stumm zwischen Tyson, Mike und mir hin und her. „Muss wohl“, grummelt er dann. Ich sehe an Mike vorbei noch einmal Tyson an. „Nutz die Chance, rede mit ihm. Auch, worüber du eben mit mir geredet hast“, sage ich eindringlich. Geknickt nickt er. Ich sehe Hiro an: „Hör zu. Höre ihm wirklich zu! Und zähl im Kopf bis 20, bevor du ausflippst, sonst bist du bald Einzelkind!“ Ich warte gar nicht auf eine Antwort, ich ergreife Mikes Hand – überraschend, wie einfach das auf einmal geht – und ziehe ihn hinter mir her, während ich gehe. Wir sind schon fast am Schultor, als Mike stehen bleibt. Ich sehe über meine Schulter in sein Gesicht. „Was denn?“ Sein Blick irritiert mich. Er sieht mich an, als würde er ein Kunstwerk bewundern. Oder einen Engel. „Du bist echt klasse, weisst du das?“ Ich werde flammend rot. So ehrlich war bisher noch keiner – nicht einmal Tyson. Und zum ersten mal denke ich, dass Mike vielleicht doch kein so dusseliger Kerl ist. Dass ich ihn vielleicht wirklich gernhaben könnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)