You`re a honey von Marron ================================================================================ Kapitel 11: Familienprobleme und unverhoffte Wiedersehen -------------------------------------------------------- Dort steht Madleine im Türrahmen mit der typischen Pose, die ich von Kai kenne. Alles klar, sie sind Geschwister. Sie hat nicht nur denselben Blick, dieselbe unterkühlte Art, nein, sie lehnt offensichtlich auch gerne an irgendwas. Fehlen nur noch die Dreiecke im Gesicht und ne zweite Haarfarbe, dann kann sie als Kai-Klon durchgehen. „Und? Ist die Sache klar?“, fragt sie und ich bleibe stehen. Ist so deutlich, was ich eben gemacht habe? Ich verkneife mir eine Nachfrage und nicke. „Ja, ich hab jemanden, mit dem ich mich in nächster Zeit treffe. Könntest du bitte aufhören, so zu starren? Man könnte dich und Kai glatt für Zwillinge halten“, brumme ich als Antwort. Sie zieht einen Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns hoch. „Sind wir. Allerdings zweieiige.“ Ich fürchte, in diesem Moment fallen mir beinahe die Augen raus. Wie zur Bestätigung erscheint Kai, sieht erst mich an, dann seine Schwester und sie fangen gleichzeitig an zu lachen. Es ist allerdings kein frohes Lachen, dazu klingt es viel zu hart. „Wenn ich so drüber nachdenke...ist eigentlich klar“, murmele ich pikiert. Kai schnauft. „Und das, obwohl wir uns kaum noch kannten.“ Ich blinzle. „Bitte was?“ Madleine winkt mich hinter sich her und setzt sich hin. Als ich nicht sofort folge, zieht sie den Stuhl neben sich zurück und klopft auf die Sitzfläche. Da setze ich mich doch und sehe sie erwartungsvoll an. „Also, ich fange am besten so an: Kai und ich wurden geboren und unser Großvater“, das letzte Wort geht ihr schwer über die Lippen und ich höre Kai mit den Zähnen knirschen, „wollte mich erst gar nicht. Wäre es nach ihm gegangen, wäre ich wohl in der nächstbesten Babyklappe gelandet. Im günstigsten Fall.“ Sie sieht mich an und wartet, bis ich verstehe. Und es trifft mich wie ein Schlag. Kann das wirklich sein? War Voltaire Hiwatari wirklich so ein Scheusal, dass er sogar seine eigene Enkelin getötet hätte? Mir wird übel bei dem Gedanken, dass es solche Menschen wirklich geben soll. Empfand dieser Mann denn wirklich gar nichts für seine Familie? Als sie die Erkenntnis in meinen Augen sieht, nickt sie nur und fährt fort: „Zum Glück hatte unsere Großmutter – Gott hab sie selig, sie lebte da noch – etwas dagegen und sich durchgesetzt. Sie meinte, man könne es Mama nicht zumuten, sie würde durchdrehen, wenn sie mich verlieren würde. Somit blieb ich. Aber ich war nur ein kleines Mädchen. Was hätte ich schon tun können? Niemand erwartete etwas von mir, also beobachtete ich nur. Und ich erkannte, was für ein Scheusal Boris war - sofern ein Kind es sich vorstellen kann. Für mich war er immer ein `ganz böser Mensch`, den ich nicht um mich haben wollte. Hätte niemanden gestört, wenn Kai mir nicht geglaubt hätte. Das tat er aber und ich wurde zu einer Nervensäge, die Boris` Arbeit behinderte. Denn er wollte Kai ja in der Abtei haben und Großvater zögerte, solange ich Kai noch ständig davor gewarnt habe. Er legte Voltaire nahe, mich in ein Internat zu geben.“ Ich habe gerade noch genügend Zeit, die Verletztheit in ihrem Blick zu sehen, als sie verstummt und den Blick abwendet. Sie schweigt, ich schweige und versuche, dem Aufruhr in meinem Inneren Herr zu werden. Ich spüre, jetzt kommt der schlimme Teil. Als Kai die Stimme erhebt, überrascht mich das. Er will es wohl nur erzählen, damit sie es nicht tun muss: „Und dann war Madleine von einen Tag auf den anderen weg. Ich weiß nicht mehr, was man mir erzählt hat. Ich kam in die Abtei und der `Unfall` mit Black Dranzer passierte. Das hat mein Gedächtnis gelöscht. Bis vor ein paar Jahren wusste ich nicht einmal, dass ich eine Schwester habe. Großvater hatte allen verboten, je über sie zu sprechen.“ Er bricht ab und dreht sich ebenfalls weg. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Ja, die beiden tun mir unglaublich Leid. Wie kann man nur einem Menschen sowas verschweigen? Die eigene Schwester? Und wie mag sich Madleine gefühlt haben, als ihr klar wurde, dass Kai sie nicht mehr erkannte? Wie sehr muss das geschmerzt haben. Ich bin Einzelkind, ich kann mir das nicht vorstellen. Aber Kais starre Haltung und Madleines verkrampfte Hände sprechen so viel mehr, als tausend Worte es könnten. Der Raum ist still, als hätte keiner dazu etwas zu sagen. Erst nach einer ganzen Weile meldet sich Jaden zu Wort. „Ich bin ja nur adoptiert, aber ich hab mich auch erschrocken, als Maddy auf einmal da stand. Sie traute sich erst wieder zurück, als sowohl Voltaire als auch Boris ihr endgültig nichts mehr tun konnten. Kann man verstehen. Aber ich bin froh, dass sie da ist. Sie hat uns nach Amerika geholt und uns die Chance auf einen Neuanfang gegeben. Nur deswegen sind wir hier.“ Er sieht seine Geschwister an und lächelt. Und ganz zögerlich lächelt Madleine zurück. „Danke“, flüstert sie. Dann räuspert sie sich und strafft die Schultern. Sie streicht sich energisch die Haare zurück und schlägt ihr Heft auf. „Genug damit, konzentrieren wir uns lieber auf die Zukunft.“ Zane neben ihr nickt. „Gut gesagt.“ Ich beginne zu begreifen, dass hinter Kai und Madleine mehr steckt, als ich bisher gesehen habe. So viel mehr, als man je sehen kann... Jetzt sehe ich auch ganz deutlich, dass Madleine und Jaden die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, damit ich Kai in Ruhe lasse. Sie beschützen ihn, weil er eben doch nicht der gefühllose Kühlschrank ist. Weil er verletzt und wütend auf sich selbst ist. Der Lehrer erscheint mit einigen Minuten Verspätung und knallt seine Unterlagen (die er im Lehrerzimmer vergessen hatte – toller Sensei!) missmutig auf das Pult. Ich zucke heftig zusammen. „Unfortenatly“, blafft er sarkastisch, „we can`t go on with the lesson. You have some people, who want to see you.“ Wir sehen uns alle verwirrt an. Wen meinte er denn jetzt? Da deutet er zur Tür. „Open that. I think the name was Dickenson. Or something like that.“ Tyson sieht schockiert aus. Kai seufzt und lässt die Hand zur Schläfe wandern, welche er mit geschlossenen Augen massiert. Uh,oh, der ist sauer! Madleine steht schließlich auf und öffnet die Tür, sieht kurz in den Flur und räuspert sich. „Mr. Dickenson, I believe?“ Ich höre, wie er bejaht und dann tritt er in den Raum. Er sieht sich um und stürmt regelrecht auf die Jungs zu. „Oh, Kai, Tyson! Wie schön, dass wir euch endlich gefunden haben! Ich bin so froh!“ „Wir nicht“, gibt Tyson trocken zurück. Kai belässt es bei einem sauren Blick. Schlagartig bleibt Mr Dickenson stehen. „Nicht?“, fragt er wie ein Kind, dass keine Geburtstagsparty bekommt. „Nein“, erwidert Kai eisern. „Du hast dich gar nicht verändert, Kai.“ Ich springe so hastig auf, dass ich meinen Stuhl umwerfe. Mein Gesicht glüht vor Freude. „Ray!“ Er nickt und schnauft kurz, als ich ihn voller Wiedersehensfreude stürmisch umarme. „Hallo, Hillary, wir sind auch noch da“, ertönt es neben Ray. Als erstes sehe ich blondes Haar. Dann Sommersprossen und ein zufriedenes Grinsen. „Max!“, quietsche ich und falle ihm um den Hals. Er lacht. Ich drehe mich zur Seite und bemerke den Kleinsten der Runde. „Kenny!“ Und ja, auch er wird ordentlich gedrückt. Wird sogar ein bisschen rot dabei. Ich trete zurück und atme tief durch. „Ich freu mich so, euch zu sehen!“ Es hilft nichts, meine Stimme klingt selbst in meinen Ohren zu laut. Hoffentlich fange ich nicht an, zu heulen. Das wäre extrem peinlich. „Wenigstens einer!“, wirft Kai sarkastisch ein. Ich drehe mich und sehe, wie er und Tyson einen Blick tauschen. Kai nickt und Tyson steht auf. „Das war`s, ich bin weg“, verkündet er genervt. Max` fröhliches Grinsen fällt in sich zusammen und Ray keucht leise auf. „Was? Tyson?“, murmelt er ungläubig. Tyson wirft ihm einen feindseligen Blick zu. „Ja, ich bin`s. Oder bist du seit neuestem blind?“ Ray starrt völlig schockiert zurück. Als er antwortet, zittert seine Stimme sogar ein wenig: „Nein, bin ich nicht. Aber...was um Himmels Willen ist mit dir passiert? Du bist so...so...“ Er beendet den Satz nicht, sondern starrt nur weiter. Tyson schnauft. „Denk doch, was du willst. Jetzt lass mich durch und quatsch mich nicht voll!“ Er drängelt sich an Mr. Dickenson und dem Rest seiner Freunde vorbei und verschwindet aus dem Raum. Kai schnappt sich hastig seine Tasche und folgt ihm. „Dito“, merkt er noch an und stampft von dannen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)