Distant sleep, painted red von Jisbon (Jisbon) ================================================================================ Prolog: Loaded dice ------------------- I) Manchmal kippte die Welt von einem auf den anderen Moment. Das hier war definitiv einer davon. Und das Absurde war, das Lisbon noch nicht einmal genau sagen konnte, warum sie sich in dieser Situation wiederfand. Sie stand gewaltig unter Druck (noch mehr als sonst), denn in den aktuellen Fall waren eine Menge hochrangiger Politiker beider Parteien verwickelt-genau wie deren Frauen. Ein toter Psychologe, mit einer ganzen Kartei voller wichtiger Klienten. Und einer Verlobten, die gerade zur Senatorin gewählt worden war. Sac PD hatte die Nachbarn und die unvermeidlichen Gaffer befragt. Einer davon, Kenneth Bows, hatte ausgesagt, das er einen Streit zwischen Winters und dem Klienten, der jeden Dienstag bei ihm war, gehört hatte. Weshalb Jane und sie hier waren. Und mit hier war ein lautes, einigermaßen volles, Fußballstadion gemeint. Wenn sie nicht so sehr unter Druck gestanden hätte, hätte sie wenigstens das Ende des Spiels abgewartet, aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, hatte sie so viel Zeit nicht. Lisbon hasste Politik. Und was Jane betraf…Den Anruf, der ihn eigentlich an den Tatort hätte bringen sollen hatte er zwar erhalten, aber er war nicht aufgetaucht. Und sie hatte ihn weder angerufen und angeschrien, noch gefragt, warum er nicht dort gewesen war (es war zu offensichtlich), dafür hatte sie ihn jetzt gezwungen, sie zu begleiten. Nicht, das es ihr viel genutzt hätte. Auch jetzt war er mit seinen Gedanken ganz woanders. Während des Gesprächs mit Clade, dem Schiedsrichter, hatte er erst mit ein paar provozierenden und völlig unhilfreichen Bemerkungen geglänzt und war, als sich abzeichnete das der Verdächtige über ein wasserdichtes Alibi verfügte, schließlich ganz verschwunden. Vielleicht war es sein schlechtes Gewissen, aber als sie sich müde, frustriert und in der Gewissheit, das Bows gelogen hatte in Richtung Ausgang aufmachte, präsentierte er ihr einen Becher Kaffee. „Lächeln, Teresa.“ Einen langen Moment hatte sie ihn nur vorwurfsvoll angesehen, aber als er plötzlich die Augen verdreht hatte, hatte sie doch lächeln müssen und nach dem Becher gegriffen. Ein böser Fehler. Es war der Moment, in dem die Kiss Cam sie erwischt hatte. Und der Moment, in dem die Panik über ihr zusammen schlug. Der vernünftige, rationale Cop Teil von ihr wusste sehr genau, das sie sich irrational verhielt. So funktionierte das nicht und vor allem: so funktionierten sie nicht. Jane würde sie nicht küssen. Aber der Teil von ihr, der alle diese schätzenswerten Eigenschaften nicht besaß, war sich da nicht so sicher. Dieser Teil wäre am liebsten gerannt. So weit wie möglich oder einfach nur nach Hause, um sich dort unter ihrer Bettdecke zu verstecken. Nicht, weil sie ihn nicht attraktiv fand (sich das nach schlaflosen Nächten mit seinem Bild vor Augen einzureden gelang nicht einmal ihr) oder noch nie darüber nachgedacht hatte, wie es wohl sein mochte, ihn zu küssen sondern weil sie Angst hatte. Wenn er das tat- wenn sie ihn das tun ließ- dann brachen sie endgültig auf dem dünnen Eis ein, auf dem sie seit Jahren um einander herumtanzten. Ihre Gedanken überschlugen sich. Das durfte nicht passieren. Das musste passieren. Sie wollte es nicht. Sie wollte es unbedingt. „Manchmal ist die Welt ein seltsamer Ort.“, murmelte Jane, jedenfalls glaubte Lisbon, dass das seine Worte gewesen waren. Der Lärm und die Anfeuerungsrufe um sie herum machen es schwer, ihn richtig zu verstehen. Ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen und einen Moment lang fragte sie sich, wie viele ihrer Gedanken er erraten hatte. Hilfesuchend griff sie nach ihrer Marke. Wenn sie die in die Kamera hielt, dann musste sich das Missverständnis doch aufklären, oder? Aber er schüttelte den Kopf. Nur ganz leicht und doch war das schon genug, um sie ihre Hand zurückziehen zu lassen. Sein Blick fiel auf ihren Mund und mit einem Mal wusste sie, das er zumindest darüber nachdachte, sie zu küssen. Plötzlich war sie ganz ruhig. Weil sie in diesem Moment wusste, das die Verantwortung für was auch immer jetzt passierte bei ihm lag. „Das Herz will, was es will.“ Und dann beugte er sich vor und küsste sie. Auf die Wange. Es war eine flüchtige Berührung. Seine Lippen streiften sie nur einen Moment lang, der Duft seines After Shaves stiegt ihr in die Nase und vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, das ein paar Bartstoppeln sie kratzten. Falls sie es sich nicht eingebildet hatte, bedeutet das, dass seine Jagd nach Red John hatte ihn wieder so sehr absorbiert hatte, das kein Raum für etwas anderes mehr bleib. Nicht für Fälle, nicht für sein Aussehen und ganz sicher nicht für Kiss Cams oder sie. Dann trat er einen Schritt zurück. Zögerlicher Applaus brandete auf (die Zuschauer erwarteten ganz sicher mehr als einen keuschen Kuss auf die Wange), und dann interessierte sich schon niemand mehr für sie denn auf dem Bildschirm war schon das nächste Paar zu sehen. Ein echtes, vermutlich. Jane sah sie prüfend an, immer noch dieses halbherzige Lächeln auf den Lippen. In seinen Augen stand die Frage, ob er das Richtige getan hatte- und wenigstens die konnte sie ihm beantworten. „Tun Sie das nie…nie wieder!“, fauchte Lisbon. Vielleicht wusste sie nicht, was sie gewollt oder erwartet hatte, aber sie wusste wenigstens, was sie nicht gewollt hatte. Das hier. Auf die Wange. So wie Sophie Miller damals. Er hatte jedenfalls nicht dieselben Skrupel gehabt, Lorelei zu küssen, als die ihn dazu aufgefordert hatte. Was sagte das über ihre Stellung in Janes Universum aus? Auf einer Umlaufbahn mit der Psychologin, die ihm aus der Nervenheilanstalt rausgebracht hatte, aber Lichtjahre weit von der Geliebten eines Serienkillers entfernt? Gut genug, um ihn zu retten, aber nicht bedeutend genug, um.. „Viel Glück, Teresa. Liebe dich.“ Aber sicher doch, dachte sie ironisch. Giftige Gedanken und alte Bekannte, aber so sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sie abzuschütteln. Jane sah sie immer noch unvermindert an, aber sein Grinsen flackerte und verschwand schließlich ganz. Er wollte etwas sagen, aber Lisbon schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. Für den Moment hatte sie wirklich genug von ihm und seinen Tricks gehabt. „Halt, nein. Behalten Sie das besser für sich, ja?“ Sie rang sich ein Lächeln ab, das wahrscheinlich mehr von einer Grimasse hatte als alles andere. „Besser, ich kümmere mich alleine um Bows. Sehen Sie einfach zu, das sie ins Büro kommen.“ Sie drehte sie sich um. Auf der Leinwand küsste sich inzwischen ein echtes Paar leidenschaftlich. „Teresa?“ Ohne ein weiteres Wort begann sie, sich ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Jane folgte ihr nicht. II) „Mister Bows, öffnen Sie die Tür! Wir haben noch ein paar Fragen an Sie!“ Lisbon hob die Hand, um ein weiteres Mal an der Türe des halb verfallenen Hauses zu klopfen. Manchmal hatte sie das Alles so satt. Hirnrissige Aktionen, Fragen, auf die es keine Antwort gab, Stunden und Tage, an denen er sie völlig aussperrt weil er mit den Gedanken ganz wo anders war. Und seit Neuestem auch noch Küsse auf die Wange. „CBI, aufmachen! Wir haben noch ein paar Fragen an Sie!“, wiederholte sie, während sie (heftiger als nötig) ein weiteres Mal gegen die Türe schlug. Mit ein bisschen Glück würde sie so das ganze baufällige Gebäude zum Einsturz bringen. Und das wäre wirklich kein Verlust. Die grafittybeschmierten Wände, die rostigen Klinken und die blinden Fenster: alles hier atmete Verfall. Unter Garantie verschwendete Lisbon hier ihre Zeit. Entweder war der Verdächtige wirklich nicht da oder er versteckte sich Drinnen vor ihr. Dann würde sie mit einem Durchsuchungsbefehl wieder kommen müssen. Die Nachbarn brauchte sie jedenfalls nicht zu befragen, in dieser Gegend beantworte man Fragen der Polizei schon aus Gewohnheit mit nicht oder mit Lügen. Eine schlechte Angewohnheit, aber eine weit verbreitete. In diesem Moment klingelte auch noch ihr Handy. Sich einen Fluch verbeißend warf sie einen Blick auf das Display und stellte mit der viel zu vertrauten Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung fest, das es sich um Director Bertram handelte. Dann verdrängte Frustration diese Gefühlsmischung. Großartig, genau das, was sie jetzt brauchte. Noch mehr Druck, weiteres Drängen den Fall so schnell wie möglich zu lösen. Aber bevor sie sich in das Unvermeidliche fügen konnte, hörte sie, wie irgendwo an der Rückseite des Hauses eine Tür zuschlug. Hastig schob sie ihr Handy zurück in die Jackentasche und griff nach ihrer Pistole, bevor sie sich in Richtung des Geräusches aufmachte. Heute würde sie sich keinen weiteren Fehlschlag leisten. Natürlich wusste Lisbon, das sie sich etwas vormachte. Es ging nicht um Bows, oder jedenfalls nur zu einem verschwindend geringen Prozentsatz. Aber er war derjenige, der ihr Antworten schuldete. Anders als Jane. Bows war vielleicht ein Mörder und Jane war… Es war ein weiterer dieser Momente, in denen die Welt kippte. Lisbon war zu abgelenkt um den Mann zu bemerken, der sich hinter eins der rostigen Ölfässer duckte, als sie an ihm vorbeieilte. Und als sie es tat, war es zu spät. Die beiden Schüsse folgten so schnell aufeinander, das sie sie nur als eine einzige Explosion von Schmerz in ihrem Oberkörper wahrnahm. Sie verlor das Gleichgewicht und stützte hart zu Boden. Der Mann entfernte sich mit schnellen Schritten und sie bleib allein zurück. Ein paar Augenblicke lag sie so da und konzentrierte sich nur darauf, zu atmen. Das war schon schlimm genug. Kurz darauf verlor sie das Bewusstsein. Als Lisbon das nächste Mal aufwachte, waren höchstens ein paar Minuten vergangen. Ihre Lage hatte sich nicht wesentlich verbessert. Die Schmerzen waren höllisch und sie war immer noch allein. Aber sie hatte das schon mal durchgestanden. Sie würde nicht sterben. Nicht jetzt, nicht hier, weil sie einfach nicht hier sterben konnte. Nicht durfte. Sie hatte das alles doch schon einmal durchgestanden, auch wenn sie sich einbildete, das sie damals nicht so weh getan hatte. Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, ihr Handy hervorzuholen. 911, sie musste 911 wählen. Ein paar Mal rutschte sie mit ihren, vom eigenen Blut, klebrigen und zittrigen Fingern ab, aber schließlich ertönte das Wählzeichen. In den Sekunden die vergingen, bis jemand ihren Notruf entgegen nahm musste sie absurderweise an ihre Examensfragen an der Akademie denken. Siebenundzwanzig a, „über den Einsatz im Feld und den Kontakt mit Verdächtigen: warum müssen Polizisten unter allen Umständen zu zweit ausrücken?“ Und dann war jemand am anderen Ende der Leitung. Sie zwang sich, ein paar Worte hervorzuwürgen, weil sie wusste, das die ihre einzige Chance waren. „Lisbon..Hilfe…Schussverletzung.“ Zwischen jedem Wort verging eine kleine Ewigkeit. Das Luftholen fiel ihr schwer, das Sprechen wurde zu einem Ding der Unmöglichkeit. Die Stimme drängte sie, ihren Aufenthaltsort zu nennen, aber alles, woran sie denken konnte, war die Antwort, die sie damals auf Frage siebenundzwanzig a gegeben hatte: „Um sich im Falle der Eskalation gegenseitig Schutz gewähren zu können. Zu ihrer eigenen Sicherheit“ Es war die richtige Antwort gewesen, natürlich. Schließlich war sie eine verdammt gute Schülerin gewesen. Die Gegenwart verschwand mit rasendem Tempo, auch wenn sie darum kämpfte, bei Bewusstsein zu bleiben. Ihr letzter klarer Gedanke war für Jane reserviert. Sie wollte nicht sterben, sie konnte nicht sterben, sie durfte nicht sterben. Das würde er nicht überleben. Und es durfte nicht sein. Nicht, mit so viel Ungeklärtem zwischen ihnen. Nicht ohne ihn einmal geküsst zu haben. Nicht… Und dann hörte das Denken und Kämpfen auf und alles wurde schwarz. Kapitel 1: Interlude: There --------------------------- III) Irgendwo zwischen Leben und Tod hatte Teresa Lisbon einen verrückten Traum. Sie sah durch die Glasscheibe in den Raum, den sie für Gegenüberstellungen nutzten. Und sie trug ein Brautkleid. Bodenlang und weiß ,mit einem bauschigen, cremefarbenen Rock und aufgestickten Perlen. Es war ein Kleid für eine Prinzessin. Eins, was sie immer als kitschig bezeichnen und doch mit einer heimlichen Mischung aus Sehnsucht und Neid betrachten würde. Darum wusste sie auch so genau, das sie träumte. Sie hatte ein solches Kleid nie getragen und so, wie die Dinge lagen würde sie es auch in nächster Zeit nicht tun. Niemals, wahrscheinlich. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. „Keine Sorge, Boss. Die können Sie nicht sehen.“ Das war die Floskel die sie immer benutzen um nervöse Zeugen zu beruhigen. Blieb nur die Frage, warum ihre Kollegin es für nötig hielt, sie zu beruhigen. Lisbon folgte ihrem Blick. Eine Reihe von Männern stand dort, jeder von ihnen trug eine Tafel mit einer Nummer. Dieser Teil ihres Traums war also völlig normal. Wenn man davon absah, das jeder von ihnen einen Smoking trug. Und das sie sie alle kannte. Greg, ihr Jugendfreund und ehemaliger Verlobter. Gabe Mancini, vom FBI. Jeff, „der Nagelbeißer“ aus der Abteilung für Betäubungsmittelmissbrauch. Mashburn, ihr One-Night Stand. Bob Kirkland, von Homeland Security und noch eine Handvoll anderer. „Und, welcher ist es?“ Die Stimme ihrer Kollegin überschlug sich fast vor Aufregung. „Welcher ist was?“, erkundigte Lisbon sich misstrauisch. Sie kam nicht ganz mit-was nicht bedeutete, das sie keine böse Vorahnung hatte. „Ihr Prinz, natürlich!“ Die böse Vorahnung bewahrheitete sich, trotzdem fühlte Lisbon sich, als ob auf einmal kaltes Wasser über ihr zusammen schlüge. Sehr witzig, wirklich. Darum also das alles. „Sie wollten doch nicht mehr länger allein sein, darum sind wir doch hier. Oder…“ ihre junge Kollegin strahlte „Darum sind die Männer hier.“ Es fiel Lisbon schwer, überhaupt irgendetwas zu denken. Und darum stellte sie die Frage, die am nächsten lag. „Wo ist Jane?“ Van Pelts Lächeln verblasste. „Boss…er kann nicht dort sein, das wissen Sie doch.“ Ihr Tonfall war der, den alle Polizisten beherrschten, beherrschen mussten. Reserviert war er für schlechte Nachrichten, die Welten eistürzen ließen. (“Teresa, deine Mutter hatte einen Unfall. Es tut mir leid, so leid“) Nachrichten, die sie einem ahnungslosen Angehörigen überbrachten. „Das wussten Sie doch schon immer.“ Lisbon fröstelte. Nein, ahnungslos war sie nie gewesen. Aber auch das war ein zweifelhafter Schutz. „Warum?“ Ihre Kollegin sah sie mitleidig an, aber bevor sie etwas sagen konnte, kam Jane ihr zuvor. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht einmal gewusst, das er da war. Aber das war er. Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf seinem Sofa und mischte Karten, war zu beschäftigt, um aufzusehen. Jane war häufig beschäftigt. „Wissen Sie das wirklich nicht?“ Lisbon schüttelte den Kopf. Sie wollte aufwachen, das war das einzige, was sie genau wusste. Es war ein bescheuerter Traum und er war auf dem besten Wege, schmerzhaft zu werden. „Dann sollten Sie darüber nachdenken.“ „Warum sagen Sie es mir nicht einfach?“, erkundigte Lisbon sich spöttisch. „Das wäre ja witzlos.“ Jane grinste, sah sie aber immer noch nicht an. „Denken Sie darüber nach, ich werde wieder fragen.“ Und dann wurde alles schwarz. IV) Es war van Pelt, die schließlich das Schweigen brach. „Wir…jemand muss Jane Bescheid sagen.“ Ihre Stimme zitterte bei diesen Worten unmerklich. Rigsby, dankbar für jemanden, auf den er seine Wut richten konnte, sprang von seinem klapprigen Besucherstuhl im Wartebereich der Notaufnahme. „Jane! Wo steckt der überhaupt?!“ Cho schüttelte den Kopf und legte ihm die Hand auf die Schulter, drückte den größeren Mann so zurück auf seinen Platz. „Das hier ist nicht seine Schuld. Wäre er dabei gewesen, wären sie jetzt wahrscheinlich beide…“ „Der Boss ist nicht tot!“ „Nein.“ Selbst dem stoischen Cho fiel es schwer auszusprechen, was sie alle wussten. „Aber die Ärzte wissen nicht, was in einer Stunde ist.“ Der Arzt, der sie im Vorbeihasten informiert hatte, war deutlich genug gewesen: niemand konnte sagen, ob Lisbon die OP überleben würde. Sie hatte viel Blut verloren, bevor man sie gefunden hatte und selbst wenn sie nächsten Stunden überlebte war nicht sicher, wann sie aus dem Koma erwachen würde. Ob sie es tun würde. Der Agent nickte van Pelt zu. Er war Lisbons Stellvertreter, also verteilte er auch jetzt ganz automatisch die Aufgaben. „Rufen Sie an.“ Niemand würde es wagen, ihn daran zu erinnern, dass im Bereich der Notaufnahme Handys verboten waren. Van Pelt fügte sich, und ließ es klingeln. Ein Dutzend Mal, bis sich die Mailbox einschaltete. „Er geht nicht dran.“ Hilfesuchend sah sie zu ihren beiden Kollegen. „Das sollte er aber. Es kann seine letzte Chance sein.“ Cho brauchte nicht auszusprechen, wofür. Die drei versanken in düsteres Schweigen, während van Pelt es ein zweites Mal versuchte. „Versuch es mit dem Handy vom Boss.“, schlug Rigsby plötzlich vor. Lisbons Telefon war unter den Sachen gewesen, die sie bei sich gehabt und die man ihnen übergeben hatte. Und da sie nichts zu verlieren hatten, ging van Pelt auf seinen Vorschlag ein. Nach dem zweiten Klingeln ertönte Janes Stimme. „Lisbon, was gibt es denn so Dringendes?“ Niemand konnte etwas sagen. Er klang so…unbeschwert, so ahnungslos. „Oder…sollen wir doch über die Sache vorhin reden?“ Die drei tauschten betretene Blicke. Über den Tonfall zu spekulieren, der zwischen Jane und Lisbon herrschte, wenn sie allein waren, war ein beliebtes Thema. Nicht nur für sie, sondern auch für die Kollegen in anderen Einheiten. Aber das hier war weder der Ort, noch der Zeitpunkt es herauszufinden. Nicht, wenn die Möglichkeit bestand, das es nie wieder eine Rolle spielen würde, wie die beiden miteinander umgegangen waren. Als er immer noch keine Antwort bekam, wurde Jane misstrauisch. „Lisbon? Was ist los?“, erkundigte er sich besorgt. Van Pelt sagte es ihm. V) „Und, wissen Sie es jetzt?“ Lisbon blinzelte. Jane stand vor ihr, in seinem üblichen Dreiteiler und sah sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf. Momentan konnte sie sich nicht einmal an die Frage erinnern, sie wusste nur, das es etwas mit dem Brautkleid zu tun hatte, das sie trug. „Was soll ich wissen?“ Er schnaubte, als wäre es seine Geduld, die hier strapaziert würde. Eine nette Abwechslung. „Warum es in ihrem Märchen einen Narren gibt. Oder anders gesagt: warum ich nicht zu den Prinzen gehöre, die da draußen auf sie warten.“ Weil das hier ein Traum war? Lisbon hütete sich davor, das auszusprechen. Irgendetwas sagte ihr, das Janes Traum-ich diese Erklärung nicht gelten lassen würde. Oder das er ihr die Worte daraufhin so lange im Mund umdrehen würde, bis es nur noch darum ging, warum er überhaupt in diesem Traum auftauchte-ob als Narr, oder als Berater. Warum ihr Unterbewusstsein ihn herbei fantasierte, ob sie ihn so dringend brauchte, das sie nicht einmal ihm Schlaf auf ihn verzichten konnte. Und für dieses Gespräch war sie eindeutig noch nicht bereit- ob sie es je sein würde, stand auf einem ganz andern Blatt. „Ich weiß es nicht. Sagen Sie es mir doch einfach.“ Jane zwinkerte und streckte ihr die Hand entgegen. „Tanzen Sie mit mir, dann sage ich es Ihnen. Vielleicht.“ Lisbon legte den Kopf schief und sah ihn finster an. Wenn sie etwas über Patrick Jane wusste dann, das man ihm keine Hintertüren offen lassen durfte. Er würde sie immer nutzen. „Vielleicht ist nicht genug.“ „Sie haben ja doch etwas von mir gelernt.“ Jane lächelte. So, wie sie es erst ein einziges Mal bei ihm gesehen hatte: als er nach einer vorübergehenden Erblindung sein Augenlicht zurückgewonnen und sie der erste Mensch gewesen war, den er gesehen hatte. Es war ein ehrliches Lächeln, ein glückliches. Eins was schnell verschwand. „Also gut, ich sag es Ihnen bestimmt. Zufrieden?“ Statt einer Antwort nahm Lisbon seine warme Hand. Und sie tanzten, so, wie sie schon einmal getanzt hatten. Vor einer halben Ewigkeit. Damals, als die Dinge noch sehr viel einfacher gewesen waren. Oder vielleicht waren sie es auch da nie gewesen, es war nur einfacher gewesen sich hinter dem Satz „er klärt Fälle auf“ zu verstecken. Lisbon schloss die Augen und ließ sich von Jane führen. Vielleicht konnten sie so bleiben, nur ein bisschen noch. Dann brauchte sie auch keine Antwort auf ihre Frage, dann… Aber so funktionierte das nicht. „Weil ich weiß, das es nicht immer so bleiben kann“, flüsterte Jane heiser. Lisbon drehte den Kopf weg. Sie wollte das nicht hören. Das hier war ein Traum, ihr Traum um genau zu sein. Warum quälte sie sich selbst also so? Er fuhr unbarmherzig fort. „Weil ich kein Prinz sein kann und dich trotzdem für mich behalten will, Teresa.“ Er beugte sich ein wenig zu ihr herunter und sah ihr dabei in die Augen. Sein Lächeln war nicht mehr als eine traurige Andeutung. „Ich will, dass du weißt, das…“ Sie hielt den Atem an. Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Ein Klatschen. Einmal, zweimal, dreimal: Spöttischer Applaus. Beide fuhren sie herum. Lorelei Martens war in den Raum getreten. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid mit orangefarbenen Streifen. Die Farben, in denen Lisbon sie zuletzt gesehen hatte. „Patrick“, sie lächelte ihn an „Es tut mir wirklich leid, aber du musst gehen. Ich habe Red John draußen gesehen.“ Und er gehorchte. Gerade noch waren sie sich so nah gewesen und jetzt ließ er sie einfach zurück. Lisbon blinzelte mühsam die Tränen der Wut und Resignation zurück, die ihr in die Augen stiegen. Sie musste Verständnis aufbringen, er konnte ja nicht anders. Aber sie konnte auch nicht anders: sie war wütend, enttäuscht und fühlte sich weggestoßen. Sie war eben doch keine Heilige, war es nie gewesen. „Jane!“ „Es tut mir leid, Lisbon.“ Er drehte sich nicht einmal mehr um, machte sich nicht die Mühe sie zu beschwichtigen oder auf später zu vertrösten. Sein Blickfeld hatte sich auf die eine Sache verengt, die ihn wirklich interessierte: Red John. Vielleicht verließ er sich darauf, das sie später (wann auch immer das sein würde) noch hier sein würde. Das sie warten würde. Auf ihn, auf das was sein könnte. Oder vielleicht hatte er sie völlig vergessen. Das Problem blieb das gleiche: sie hatte das Warten so satt. VI) Mehrere Ewigkeiten später öffnete sich endlich die Tür zum Operationsbereich und eine Krankenschwester marschierte auf die Wartenden zu. Eine ältere Frau, offensichtlich erschöpft, deren Namensschild sie als Schwester Hobsen auswies. Cho war ins CBI zurückgefahren. Unter den Umständen schien es lächerlich, aber der Alltag musste weiterlaufen. Es gab Dinge zu regeln und Personen zu informieren. Vorgesetzte und Lisbons Familie. Rigsby hatte versprochen ihn anzurufen, wenn es etwas Neues gab. Er und van Pelt saßen, eigentlich viel zu dicht, nebeneinander auf den Plastikstühlen. Jane lehnte ein paar Meter entfernt von ihnen an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ins Leere. Seit dem seine Kollegin ihn angerufen hatte, hatte er kein Wort gesprochen. Es waren nicht nur die vorwurfsvollen Blicke, die Rigsby ihm immer wieder zuwarf, die ihn fernhielten, sondern das Wissen, das er diese Blicke verdient hatte. Die und noch viel mehr. Weil es seine Schuld war. Wenn er am gestern Nacht am Tatort gewesen wäre, hätte er Bows als Psychopathen und Cophasser identifiziert. Lisbon wäre nicht alleine gewesen. Wenn die Sache im Stadion nicht gewesen wäre…Sie war ein guter Cop, sie hielt sich an Regeln. Wie oft hatte er sich deshlab schon über die lustig gemacht? „Besser, ich kümmere mich alleine um Bows.“ Seine Schuld. Aber jetzt schreckte er aus seinen Gedanken auf um die Krankenschwester anzusehen. Automatisch registrierte sein immer beobachtendes Auge die Fakten (geschieden, überarbeitet, hatte deshalb auch keine Zeit für Sport, versuchte sich das Rauchen abzugewöhnen) während er auf das Urteil wartete. Wenn er an Gott glauben könnte, auch nur einen Moment, hätte er ein Gebet für sie sprechen müssen, aber da er es nicht war, bleib ihm dieser leere Trost versagt und er konnte nur abwarten. Rigsby und van Pelt waren hinter ihm aufgetaucht. „Sind Sie wegen Miss Lisbon hier?“ „Ja, sind wir.“ Rigsby. „Die Operation ist beendet. Es gab Komplikationen, aber die Ärzte sind zuversichtlich. Wir haben Sie jetzt auf die Intensivstation verlegt. Sie müssen Geduld haben.“ Unter den Umständen waren das wohl gute Nachrichten, aber Jane wartete nicht ab, um weiteres Geschwätz dieser Art über sich ergehen zu lassen. „Ich muss sie sehen.“ , erklärte er mit rauer Stimme. Seine ersten Worte seit ein paar Stunden. Die Schwester sah ihn an, als hätte er sie gebeten, sich ihr schönstes Ballkleid anzuziehen und mit ihm ein paar Runden durchs Krankenhaus zu tanzen. „Das können Sie nicht. Sie ist auf der Intensivstation und nur nahe Angehörige…“ Er hörte ihr gar nicht mehr zu, sondern schob sich an ihr vorbei. „Was? Wollen Sie mich aufhalten?!“, knurrte er. „Jane!“, van Pelt versuchte ihn zu beruhigen. „Das ist doch sinnlos!“ „Sir! Beruhigen Sie sich, sonst muss ich den Sicherheitsdienst rufen.“ „Tun Sie das!“, gab er hitzig zurück. Unter anderen Umständen hätte er seinen Charm spielen lassen, irgendeinen Weg gefunden ihr ein Übertreten der Regeln abzuschmeicheln. Aber die Umstände waren, wie sie waren und er hatte keine Zeit für so etwas. Natürlich wusste, das er hier draußen genauso wenig für Lisbon tun konnte wie da drinnen und auch das sie ganz sicher nicht wollen würde, das er sich vom Sicherheitsdienst vor die Türe setzen ließ, aber im Moment spielte das keine Rolle. Es war einfacher, seinen Selbsthass auf die ganze Welt zu übertragen, als noch eine Minute weiter hier zu stehen und zu schweigen. Schwester Hobsen griff nach ihrem Funkgerät-Pieper, was-auch-immer Gerät, als ihr Blick plötzlich auf seine linke Hand fiel, die immer noch auf der Türklinke lag. Auf seinen Ehering. „Ich dachte…Sind Sie der Ehemann…?“ Alles, wenn er sie nur sehen konnte. „Natürlich.“ „Dann kommen Sie bitte mit.“ VII) „Wie merkwürdig.“ Lorelei. Lisbon hatte sie völlig vergessen, sie hatte auf nichts außer Janes Rücken geachtet. „Was?“, erkundigte sie sich geistesabwesend. „Jane, immer nur Jane. Jane, was denken Sie über den Fall? Jane, es gibt Arbeit Irgendwelche Beobachtungen, Jane?“,äffte sie Lisbon nach. Lorelei zog ihre Kreise, bewegte sich mit albernen Trippelschritten um Lisbon herum. „Und immer verstecken Sie sich hinter der Arbeit. Nur ein einziges Mal:‘ Jane, ich brauche dich‘?“ Sie zielte auf ihren wunden Punkt-und sie zielte gut. Lisbon schüttelte den Kopf und versuchte sich trotzdem unbeeindruckt zu geben. „Ich wusste gar nicht, das Red John auch Kurse im Gedankenlesen anbietet.“ Die andere beachtete sie gar nicht. „Ich weiß!“ Lorelei klatschte in die Hände als wären sie auf einem Kindergeburtstag und das größte Geschenk wäre gerade in Sicht gekommen. „Wollen Sie wissen, warum Sie es nie sagen wollen?“ „Danke, ich verzichte.“ Lisbon verschränkte die Arme vor der Brust, versuchte spöttisch und unnahbar zu wirken. Beides gelang ihr nur mäßig gut. „Weil Sie ihm nicht trauen. Das ist es doch, nicht wahr? Sie haben es Patrick einmal gesagt, zu Anfang ihrer Zusammenarbeit. Er war gar nicht begeistert, nicht wahr? Und hat er nicht alles getan, um sich für sie unentbehrlich zu machen, ihre Zweifel an ihm zu verschütten?“ Sie lächelte triumphierend. „Und er hat ganze Arbeit geleistet. Jetzt ist er ihr Freund, der wichtigste Mensch in ihrem Leben und, vielleicht sogar derjenige…“ „Seien Sie doch endlich still!“ Unwillkürlich ballte Lisbon die Hände zu Fäusten. Die andere beachtete sie gar nicht. „…den sie lieben könnten, wenn Sie es sich nur erlauben würden.“ Überfordert stieß sie Lorelei von sich, aber die lachte nur. „Und Patrick hat Ihnen gesagt, das er Sie liebt. Aber statt sich von ihm auf sein Pferd heben und in das Schloss bringen zu lassen, zweifeln Sie mehr denn je. Weil da diese nagende Stimme in Ihrem Kopf ist, die sie zwingt sich zu fragen, ob das nicht auch nur einer seiner Tricks ist. Ob er sie damit kaufen will. Damals das Smaragdkollier, heute ein Liebesgeständnis? Es kostet ihn so wenig und sorgt dafür, das sie weiter brav und treu an seiner Seite stehen. Das sie weiter nützlich sind.“ „Das…ist nicht wahr.“, brachte Lisbon mühsam hervor. Sie hasste sich für diese Worte. „Wie traurig. Ich bin nicht einmal real und trotzdem wollen sie die Wahrheit leugnen?“ Hätte sie in diesem Moment ihre Waffe gehabt, hätte sie das ganze Magazin leer geschossen, nur um das Miststück endlich zum Schweigen zu bringen. Weil es eben doch die Wahrheit war. Lorelei zerrte das hervor, was sie niemals aussprechen würde, wonach sie Jane niemals fragen würde. Weil sie Angst vor der Lüge hatte, die sie dann zu hören bekommen würde. Es waren genau die Fragen, die sich immer wieder in ihr Herz bohrten. Immer, wenn Jane sie anlächelte oder ihr eine Tür aufhielt. Oder wenn er nicht da war, physisch oder psychisch. Immer die gleiche Frage: verhält sich so ein Mann, der liebt? Die Frage, die sie sich nicht stellen wollte, führte zu einer Feststellung, die sie nicht machen wollte: mit seiner Frau war er sicherlich anders umgegangen. „Wissen Sie was? Ich glaube, Sie sind eifersüchtig auf mich gewesen.“ Lisbon achtete nicht auf das letzte Wort, stattdessen lachte sie trocken auf. „Aber sicher doch. Es ist der Traum meiner schlaflosen Nächte, Schoßhündchen eines Serienkillers zu sein.“ Ihr Angriff wurde einfach zur Seite gewischt. „Ich erwarte nicht, das sie das verstehen können. Nein, was ich gemeint habe war, etwas ganz anderes. Mit mir hat er geschlafen.“ Sie selbst hatte er nicht einmal küssen können. „Ich würde das nicht überbewerten.“ Lisbon klammerte sich an diesen Einwand „Das hat er nur getan, weil sie einer seiner Trittsteine auf dem Weg zu Red John waren.“ Das waren jedenfalls seine Worte gewesen. Worte, die wohl dazu dienen sollten, ihr verlorene Sicherheit zurückzugeben. Falls das seine Absicht gewesen war, hätte sie ihm gratulieren müssen: Sie fühlte sich verlorener als je zuvor. „Hat er das gesagt?“, erkundigte Lorelei sich neugierig „Wie gar nicht gentelman-like von ihm. Aber andererseits: was hätte er schon sagen sollen…Männer lügen. Und ganz besonders Männer wie Patrick Jane. Aber Ihnen muss ich darüber ja sicher nichts erzählen.“ „Das reicht jetzt.“ Wenn Lorelei nicht die Güte hatte, zu verschwinden, dann würde sie es tun. Das hier hatte lange genug gedauert und sie hatte das Gefühl, keine einzige Sekunde mehr ertragen zu können. Also raffte sie ihre Röcke und marschierte auf die Tür zu. „Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun.“ Lisbon machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. „Vielen Dank für Ihren Rat.“ Sie drückte die Klinke herunter. Schwärze und Kälte empfingen sie. Und sie war dankbar dafür. VIII) Sie war nicht hier. Es war der vierte Abend, an dem Jane am Fenster stand und Lisbon dabei zu sah, wie sie schlief. Schlafen traf es natürlich nicht im Geringsten, aber es war einfacher, bequemer es so zu nennen. In dem großen weißen Bett, begraben unter den ganzen Schläuchen und Kabeln wirkte sie so klein, so zerbrechlich. Nichts erinnerte an die Frau, die Männer doppelt so schwer wie sie waren zu Fall bringen konnte, oder hartgesottene Kriminelle so lange in die Zange nehmen konnte, bis sie sich in ihrem eigenen Netz verfingen. Und obwohl es nur vier Tage waren begann er sich schon zu fühlen, als existierte diese Frau nur noch in seiner Erinnerung. Also verbrachte er die Zeit in seinem Gedächtnispalast. Wo sie bei ihm war, sich über ihn ärgerte, ihm wiedersprach oder ihm einfach nur den Rücken frei hielt. Wann hatte das angefangen, das er Angst um sie hatte? Eine handvoll von Momenten lagen vor ihm, aber er konnte den richtigen nicht ausmachen. Immer schon, vielleicht. So etwas war immer eine Möglichkeit gewesen und er hatte nie die Augen davor verschlossen. Ihr Beruf brachte sie ihn Gefahr.Er brachte sie in Gefahr. Und sie wusste das. Sie hatten darüber gesprochen, das erste Mal nach der Sache mit Kristina Frye. Und natürlich hatte sie nicht auf ihn hören wollen. „A ist das nicht wahr und B selbst wenn es das wäre: ich bin ein Cop. Es ist mein Job in Gefahr zu sein.“ Das Absurde war, das es dieses eine Mal nicht um Red John gegangen war. Es war bloß ein gewöhnlicher Fall, noch nicht einmal eine besondere Herausforderung. Fälle lösen, das war es, was er tat. Auch jetzt. Tagsüber machte er seinen Job (auch wenn das Team ihm exakt so behandelte, wie er es verdiente hatte), wenn er nicht gebraucht wurde saß er in Lisbons Büro und wartete. Abends war er hier, auf dem Gang und wartete. Seine ganze Welt bestand aus warten, in diesen Tagen. Irgendwann tauchte die Nachtschwester auf und warf ihn raus, dann fuhr er in sein Hotelzimmer und wartete, bis ihm irgendwann vor Erschöpfung die Augen zu fielen. Und am nächsten Morgen ging es von vorne los. Es war lächerlich, Verdächtige zu befragen, aber er tat es, weil er genau wusste das es das war, was Lisbon wollen würde. Eigentlich hasste er diese Formulierung. Es war eine Ausrede, um sich irgendein Vergnügen nicht zu verwehren, nur weil jemand das schlechte Timing gehabt hatte, zu sterben. Aber für ihn war es keine Ausrede, es war fiel mehr seine Art, sich zu bestrafen. Und Lisbon würde nicht sterben. Trotzdem konnte er sich nicht überwinden, das Zimmer zu betreten, ihre Hand zu halten. Charlotte hatte das Märchen vom schlafenden Dornröschen geliebt, aber irgendwie bezweifelte er, das ein Kuss von ihm Teresa viel Glück bringen würde. Er brachte den Menschen dir er liebte einfach kein Glück. So wie im Stadion, in einem anderen Leben. Die Nachtschwester tauchte hinter ihm auf. Vielleicht erkannte sie ihn wieder, vielleicht auch nicht. Es war ihm gleichgültig, er konnte sich nicht einmal dazu durchringen, sie anzulächeln. „Die Besuchszeit ist zu Ende.“ Er würde warten. Bis alles wieder in Ordnung kam. IX) „Es ist leicht sich vorzumachen, das die Menschen die man liebt ehrlich mit einem sind. Kommt dir das bekannt vor, Teresa?“ Jane. Sie waren im Fußballstadion und er stand neben ihr und balancierte einen Ball auf dem Knie. „Natürlich.“ Sie erinnerte sich wirklich immer noch an diese Worte von ihm. Ein Fall, ziemlich zu Anfang ihrer Zusammenarbeit. Eine Frau, die auf der Unschuld ihres Mannes bestand. Lisbon hatte sich immer gefragt, ob diese Worte nicht auch eine Warnung an sie gewesen waren. Falls sie es gewesen waren hätte sie besser darauf gehört. „Meine Worte. Aber ich muss sagen, die Ausrede hattest du mit mir ja nie.“ Plötzlich war er ihr den Ball zu. Automatisch fing sie ihn auf. „Die Frage ist nur: war das jetzt fair oder grausam von mir? Wir brauchen schließlich alle unsere kleinen Illusionen.“ Lisbon runzelte die Stirn. Warum führten sie diese Unterhaltung, was sollte das bringen? Sie hatte es ihm gesagt, einmal. Das sie Sicherheit brauchte. Keine körperliche, das Recht darauf hatte sie aufgegeben, als sie Polizistin geworden war. Aber sie musste wissen, das sie den Menschen in ihrer Umgebung vertrauen konnte. Das sie Jane vertrauen konnte. Er war ihren Gedanken gefolgt. „Und, kannst du das? Oder habe ich dich vielleicht die ganze Zeit nur ausgenutzt, dich als eine Schachfigur in meiner ewigen Partie gegen Red John genutzt? Als meinen Läufer oder Springer, vielleicht sogar als Dame?“ Er lächelte sein leeres Lächeln. „Ich würde alles tun, um ihn zu kriegen, das weißt du doch. Und romantische Gefühle ausnutzen-darüber haben wir doch gesprochen.“ Das wusste sie. Und sie wusste es auch nicht. 'Und ich würde sie bitten mich zu heiraten, wenn ich glauben würde das sie es schluckt.' "Warum sollte ich also deine Gefühle schonen?" Sie öffnete den Mund, aber sie konnte keine Worte finden. Das würde er nicht tun. Nein. Oder doch? Es hatte Momente gegeben, in denen sie sicher gewesen war, ganz bestimmt sogar. Sie konnte sich nur nicht daran erinnern. An keinen einzigen davon. Es kam ihr vor, als wäre sie schon viel zu lange so. X) Ein missbilligendes Räuspern riss Jane aus seinen düsteren Gedanken. War es schon wieder so weit? Er verlor die Zeit immer mehr aus den Augen, wenn er hier war. Lisbon hätte für dieses Verhalten sicher nicht viel übrig, aber sie war auch nicht hier, um ihm den Kopf zu waschen. Die Schwester, eine nicht mehr ganz junge Frau, war schon ein paar Mal hier gewesen, wenigstens so weit funktionierte seine Beobachtungsgabe noch. Sie schob sich an ihm vorbei, kontrollierte ein paar der Apperate und trug die Werte auf ihrem Diagnosebogen ein. „Sie müssen mich rausschmeißen?“, erkundigte er sich mit heiserer Stimme. Die Schwester verriet mit keiner Regung, ob sie ihn gehört hatte, anscheinend ging sie völlig im Erfüllen ihrer stupiden Tätigkeit auf. Vielleicht hatte sie seine Frage auch für rhetorisch gehalten, auf jeden Fall fehlte ihm der Elan, um es herauszufinden. Gerade als er sich zum Gehen wandte, sprach sie doch: „Sie sollten mit ihr reden.“ Jane machte sich nicht die Mühe, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen. „Ich bezweifle, das sie diese Unterhaltung sehr genießen könnte.“, antworte er mit beißendem Spott. „Schließlich kann sie mich nicht hören, von antworten ganz zu schweigen.“ Die Krankenschwester, deren an deren Namen er sich jetzt endlich erinnerte, schüttelte den Kopf. „Niemand weiß, was die Leute hören oder nicht hören, die dort sind.“ Er lachte freudlos auf. „Dort muss ja wirklich ein faszinierender Ort sein.“ Diesmal trat er rechtzeitig an die Seite. In der Türe drehte Schwester Hobsen sich noch einmal um: „Junger Mann, Sie tragen dieses schlechte Gewissen sicher nicht grundlos mit sich herum. Also versuchen sie wenigstens, sich nützlich zu machen, anstatt Draußen im Wege zu stehen!“ Als sie gegangen war verdrehte Jane die Augen. „Und noch jemand, der sich beim Weihnachtsmann über mich beschweren wird.“, spottete er, diesmal an Lisbon gewandt. Dann erstarrte er. Er hatte es getan, obwohl es völlig sinnlos war, auf eine Komapatientin einzureden. Genauso sinnlos wie beten oder mit Angela zu sprechen. Jane warf einen Blick auf seinen Ehering. Hier bedeutete er nicht das selbe wie im Rest der Welt. Und in diesem Fall traf er eine Entscheidung. Er würde es tun, mit ihr reden. Was spielte es schon für eine Rolle, ob es sich um reines Wunschdenken handelte oder er sich dabei wie ein Idiot vorkam? Er schuldete ihr sein Leben und mehr als das. Also würde er ihr erzählen, von den Momenten, die er in ihrem Wagen in seinem Gedächtnispalast finden konnte. Von den glücklichen Momenten, die sie geteilt hatten. Von den Momenten, in denen er fast verrückt vor Angst um sie gewesen war. Von den Momenten, in denen er sie gezwungen hatte, zu lächeln, obwohl sie wütend oder traurig gewesen war. Von den Momenten, in denen er sie am liebsten an sich gerissen hätte, in denen ihm aber der Mut gefehlt hatte-weil er sie nicht in Gefahr bringen wollte und weil er nicht sicher gewesen war, ob sie ihn nicht zurückstoßen würde (das hätte er nicht ertragen können). Von den Küssen, die noch auf sie warteten. Er würde reden. Lisbon hatte ihm mehr als einmal vorgeworfen stur und arrogant gewesen zu sein und genau das würde er auch sein. Er würde reden, reden, reden. Bis sie die Geduld verlor und aufwachte, um ihn mit irgendetwas zum Schweigen zu bringen. Einer der Automaten wäre sein Favorit. Er würde reden, bis sie zu ihm zurückkehrte. XI) „Reese?“ Lisbon hielt die Augen geschlossen. Sie wollte nicht gestört werden, nicht jetzt. Sie erinnerte sich. An die Momente, in denen sie sicher gewesen war, das es Jane um sie gegangen war. Als er Sheriff Hardy ohne zu zögern erschossen hatte, um sie zu retten. Seine einzige Spur zu Red John. An die Angst in seiner Stimme, als sie ihn angerufen hatte, weil in der Villa Harrington eine Bombe platziert worden war und er sie gedrängt hatte, so schnell wie möglich dort zu verschwinden. An den Tag, an dem er ohne jeden Grund quer durch die Stadt Gefahren war um sie in einer verfallenen Schule zu besuchen, einfach weil er sich Sorgen um sie gemacht hatte. Und an seinen Blick, als er sie in der Sprengstoffveste vorgefunden hatte. Er war geblieben, hatte behauptet nicht gehen zu können, obwohl er mit ihr dort hätte sterben können. Als er ihren Job für sie zurückerobert hatte, obwohl er mit Haffner hätte leben können. An die Momente, in denen er sie ausgeschlossen hatte, weil er sie schützen wollte. Und egal, wie wütend es sie in diesen Momenten gemacht hatte und egal wie fehlgeleitet seine Aktionen gewesen waren: er hatte es gut gemeint, es war ihm um sie und ihre Sicherheit gegangen. Das hatte sie Stunden oder Tage später eingesehen. Er glaubte wirklich, das er alles alleine tragen musste. Für einen so klugen Mann war er manchmal ein ganz schöner Trottel. Red John hatte vielleicht Priorität, aber in manchen Momenten hatte er sie über ihn gestellt. Sie erinnerte sich sogar an den Draper Fall, wo sie wegen einer von Janes idiotischen Aktionen suspendiert worden war und er ihr hatte helfen wollen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Er hatte nicht einmal gewollt, das sie bemerkte, was er tat. Als ob. Und da war noch etwas: „An den meisten Tagen ist das genug“, ihre Worte. Das war es wirklich. „Reese!“ Wiederwillig öffnete sie die Augen und wandte sich dem Störenfried zu. Reese. Außer ihren Brüdern nannte sie niemand mehr so. Für die meisten Leute war sie Lisbon, für einige Teresa und für Jane mal das eine und mal das andere. Endlich erkannte sie ihn. Greg. Ihr sicherer Hafen während der Schulzeit, ihr Gegenpol zu ihrem gewalttätigen Vater. Der Mann, den sie auf keinen Fall hatte heiraten können. Etwas war seltsam daran wieder hier, auf der Veranda vom Haus seiner Eltern zu sitzen, aber so vieles war seltsam. „Bist du zufrieden, Reese?“, wollte er wissen. Es war keine Wut in seiner Stimme, nur Neugierde. Als wären sie wieder siebzehn und er würde ihr von dem Gerücht erzählen, das der Schuldirektor ein Verhältnis mit der Schulkrankenschwester hatte. („Kannst du dir das vorstellen, Reese? In seinem Alter!‘) „Ich meine…Dreißig Prozent, das ist nicht viel. Über mich hast du immer alles gewusst, die kompletten hundert Prozent. Und trotzdem konntest du die Vorstellung nicht ertragen, dein Leben mit mir zu verbringen. Warum, Reese? Weil ich eine Familie mit dir wollte? Weil ich dich so geliebt habe, wie du es verdient hast?“ Das war es nicht, aber das hatte er nie verstanden. „Weißt du noch, was du damals zu mir gesagt hast-als du mir meinen Ring zurückgegeben hast?“ Natürlich wusste sie das und es gehörte nicht zu den Dingen, auf die sie besonders stolz war. Aber in diesem Moment hatte sie nur rennen wollen. Weg von ihm, weg von der Kleinstadt und dem vorbestimmten Leben und vor allem: weg von seiner bedingungslosen Liebe, die sie mehr und mehr erdrückend fand und die sie eigentlich gar nicht verdient hatte. Als ob Greg irgendwann auf dem Weg zu einem Hindernis auf ihrem Weg geworden wäre, über das sie einfach nur herüberspringen musste, um es hinter sich zu lassen. Weil Greg sie nie wirklich gekannt hatte. Er hatte ihre schlechten Seite und scharfen Kanten einfach ignoriert, wollte das sie sich nie veränderte, damit er sie weiter anbeten konnte. „Ich kann das nicht, Greg, das Alles.“ Wiederholte sie ihre Worte von damals „Ich will eine Karriere, ich bin gut, in dem was ich tue.“ Es hatte ihr leid getan, ihm das anzutun, aber sie hatte es tun müssen. Und sie hatte nie zurückgeschaut. „Ja…“, einen Moment lang schwieg er, als würde er den Moment noch einmal erleben. „Aber er ist auch ein Hindernis für deine Karriere, das weißt du doch. Denk an all den Ärger, den er dir schon eingebrockt hat, die Suspendierungen, den Papierkram. Du hast deinen Job schon einmal wegen ihm verloren und das wird wieder passieren. Und das alles für dreißig Prozent, von dem, was er tut…und noch viel weniger von dem, was er denkt? Ist es das wirklich wert?“ Und sie antwortete, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels. Weil sie auch an die guten Momente und das Richtige, in dem was sie taten, dachte. „Ja.“ Sie blinzelte. Das Licht wurde immer heller. Sie sah ein verschwommenes Gesicht vor sich, eins, das sie überall erkannt hätte. Jane. XII) Fünf weitere Tage. Tagen in denen nichts geschah. Das schlimmste hatte sie inzwischen überstanden, jetzt konnten sie nur warten. Wenn die Situation anders gewesen wäre, hätte Jane über diesen idiotischen Vorschlag des behandelnden Arztes gelacht. Warten. Als ob er etwas anderes getan hätte, in der letzten Zeit. Jane räusperte sich, bevor er nach ihrer Hand griff. „Teresa? Ich will nicht drängen, aber du musst wirklich langsam aufwachen.“ Wie pathetisch, wie lächerlich „Du hast den fehlenden Schlaf der letzten Monate inzwischen aufgeholt, lass es nicht zu Jahren werden…Bitte.“ Und dieses eine Mal gehorchte sie. Ihre Wimpern flatterten. Sie wachte auf. Epilog: Lasting impressions --------------------------- XII) „Jane?“ Es war nicht das erste Mal, das Lisbon aufwachte und auch nicht das zweite, aber dieses Mal fühlte sie sich endlich wieder völlig klar. Die Schmerzmittel sorgten für eine selige Taubheit, aber sie würde sie so bald wie möglich absetzen. Schließlich musste sie zurück zur Arbeit. Die füllige Krankenschwester, die sich gerade an einem der Apparate zu schaffen machte, drehte sich mit einem Stirnrunzeln zu ihr um. „Schätzchen, Ihren Mann habe ich vor die Tür gesetzt. Der hat mir in den letzten Tagen wirklich genug im Weg herum gestanden.“ Vielleicht war sie doch noch nicht ganz so wach, wie sie gedacht hatte, vielleicht hatten die Schmerzmittel in diesen Tagen böse Nebenwirkungen, oder sie war doch sehr viel härter mit dem Kopf aufgeschlagen, als ihr bewusst gewesen war. Ihr Mann?! „Er ist nicht…“ Gleichzeitig warf sie einen Blick aus dem Fenster. Jane stand Draußen und beobachtete sie. Als er ihren Blick bemerkte hob er zögerlich die Hand. Lisbon lächelte. Ihre rissigen Lippen schmerzten etwas, aber sie war so froh ihn zu sehen, das sie das gar nicht weiter beachtete. Jetzt breitete sich auch auf seinem Gesicht ein Lächeln aus. Ein missbilligendes Räuspern zwang sie in ihr Zimmer zurück zu kehren. „Was auch immer Sie beiden sind, Sie sollten das klären.“ Das sollten sie wohl. XIII) „Sie sehen beschissen aus.“ Ein ziemlich kläglicher Versuch Normalität vorzugauckeln, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, das sie ihn machen musste. Sie waren schließlich immer noch Jane und Lisbon. Plötzlich fühlte sie sich bei seinem Anblick nämlich befangen. Sie hatte eine Menge wirres Zeug geträumt und auch wenn sie nichts davon greifen konnte, wusste sie doch, das viel davon mit ihm zu tun gehabt hatte. Wie sollte es auch anders sein? „Danke.“ Er bleib in der Türe stehen, als wäre er nicht sicher, ob er hier sein sollte. Es gab ihr einen Stich sich daran zu erinnern, das er sie das letzte Mal nicht im Krankenhaus hatte besuchen können. „Es tut mir leid.“ Sie schüttelte den Kopf etwas zu heftig und wurde mit einem schmerzhaften Ziehen bestraft. „Was? Es war nicht Ihre Schuld.“ „Natürlich war es das.“ Er sagte das als handle es sich um eine unumstößlich Tatsache. Lisbon wandte den Blick ab. Abgesehen davon hatte sie nicht gelogen. Er sah fürchterlich aus, fast so schlimm wie nach seinem halben Jahr in Vegas. Er war nachlässig rasiert, seine Haare durcheinander und sein Anzug verknittert. Wegen ihr. Schließlich sah sie ihn wieder an. „Sie nehmen sich viel zu wichtig, hat ihnen jemand das schon mal gesagt?“ „Nur ein paar hundert Mal.“, er lächelte freudlos. „Anscheinend nicht oft genug.“ Langsam fand sie in ihre Rolle zurück, fühlte sich weniger verwundbar in seiner Gegenwart „Schließlich machte ich meine Fehler immer noch selbst und ich…“ Aber weiter kam sie nicht. Er marschierte auf sie zu. Und bevor sie reagieren konnte küsste er sie. Diesmal war es kein Kuss auf die Wange, diesmal war es die ganze Wucht. „Nie wieder! Hörst du? Nie wieder!“ Sie hätte ihm sagen können, das sie sich bestimmt nicht absichtlich hatte niederschießen lassen, aber dafür fehlte ihr in diesem Moment der Atem. Im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Er hatte sie küsst. Und seltsamerweise hatte sie dieses Mal keine Angst gehabt. Obwohl die ganzen Nachteile auf der Hand lagen und sich wie ein nie endender Teppich vor ihr ausbreiteten. Jane zog sich ans Fenster zurück. „Ich hatte Zeit zum nachdenken. Viel zu viel davon sogar. Weißt du, was die Büchse der Pandora ist?“ Lisbon konnte ihn nur anstarren. Es war so typisch für ihn nach dem, was gerade passiert war über alles zu sprechen, nur njcht über das, was auf der Hand lag. „In der griechischen Mythologie hat Zeus eine schöne Frau mit eben dieser Box zu den Menschen geschickt. Sie sollten…“ „Sie auf gar keinen Fall öffnen, ich weiß.“, unterbrach sie ihn ungeduldig „Ich hatte in der High-School einen Lehrer, der ganz verrückt nach diesem Zeug war, Danke. Was ich nicht weiß ist, was das mit irgendetwas zu tun hat. “ Sie sah verlegen zur Seite, als Jane sie mit einem spöttischen Lächeln ansah. „Oder mit uns.“, ihre Stimme war kaum zu hören. „Etwas mehr Geduld, bitte.“ Er fuhr mit seiner Erklärung fort, als hätte sie nie etwas gesagt „Diese Büchse enthielt alles Unheil der Welt. Sie brachte Schmerzen, Angst und Unsicherheit, wo vorher keine gewesen waren.“ „Jane, Sie wissen wirklich, was eine Frau hören will.“ Kläglicher Spott, was blieb ihr auch anderes übrig? Ganz automatisch hatte sie wieder seinen Nachnamen verwendet, denn egal, was gerade passiert war, wenn er diese Einleitung wählte wollte er sie auf ein paar Dinge vorbereiten, die sie sicher nicht hören wollte. Und sie musste ihm das leicht machen, schließlich kannte sie die Punkte selbst alle gut genug. Sie arbeiteten zusammen, Red John, tausend andere Dinge…es war eben nicht so einfach, das war es nie. Nicht für den Rest der Welt und schon gar nicht für sie. „Aber sie enthielt auch noch etwas anderes: Hoffnung.“ Er lächelte. Dieses Lächeln, an das sie sich so oft erinnert hatte, das sie nur ein einziges Mal zu sehen bekommen hatte: als er sein Augenlicht zurückbekommen hatte. „Jetzt weißt du, was das mit uns zu tun hat.“ „Hoffnung? Kommt mir wie ein schlechter Tausch vor.“ Sie verstand ihn nicht. Alles was sie wusste war, das ihr Herz zum zerspringen klopfte. Und das sie wieder Angst hatte. Diesmal vor zu viel Hoffnung. Er nickte ernsthaft. „Eine sehr kluge-und sehr schöne- Frau hat mir einmal gesagt, das Hoffnung jeden Preis wert ist.“ Ihre Worte, dieses Mal. Und vielleicht, nur vielleicht konnte es doch so einfach sein. Sogar für sie, wenigstens in diesem Moment. Sie lächelte. „Wirklich? Ich muss mehr über sie erfahren.“ Er verließ seinen Platz am Fenster und trat wieder zu ihr ans bett. „Das solltest du auch. Schließlich habe ich mich hier als dein Mann vorgestellt-und du willst mich doch nicht als Lügner entlarven, oder?“ "Das überlege ich mir noch. Schwester Hobsen scheint ja immun gegen den verheerenden Jane Charme zu sein." Sie würde ihn nicht verlieren, jedenfalls nicht ohne zu kämpfen. Und wenn sie es doch tat, dann wenigstens nicht, ohne ihn gehabt zu haben, das wusste sie jetzt mit Gewissheit. Und an den meisten Tagen war das genug. "Das, meine Liebe, liegt nur daran, das sie ihn noch nie zu spüren bekommen hat." Und alles andere würde die Zukunft zeigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)