Wie Blätter aus einem Tagbuch... von Sternenschwester ((OS/Drabbel-Sammlung für OC)) ================================================================================ Kapitel 1: Von Küken und Katern ------------------------------- Wenn Blicke töten könnten, würde Salvatria in diesem Moment wahrscheinlich unter Höllenschmerzen aus der Welt scheiden. Gilbert musste sich sehr zusammenreißen, um nicht einfach nach der zierlichen Kehle der Salzburgerin zu greifen, während sie einfach kokett da saß und sich verhielt, als würde sie das alles hier nichts angehen. Roderich, der bei weitem kein Busenfreund des Preußen war, warf ihr einen flehenden Blick zu. „Komm schon, Salva!“, versuchte er sie zu erweichen, als er sah, dass seinem Rivalen langsam aber sicher der Geduldsfaden riss. Er schluckte seinen Stolz runter und fügte noch hinzu: „Tue es für mich.“ Die violetten Augen seiner Schwester suchten endlich seinen Blick und sahen ihn prüfend an. Nach einem quälend langen Augenblick beugte sie sich zu ihrem Kater runter und kraulte ihm verhätschelnd das Kinn. „Komm schon, Rupert, spuck es endlich aus. Du verdirbst dir sowieso damit nur den Magen.“ Gerade noch rechtzeitig ergriffen Roderich und Hagen, der bisher ebenfalls nahe dem Preußen stand, diesen, um ihn daran zu hindern, sich auf das Fürstentum zu werfen. Der Kater schien erst kurz zu überlegen, wobei die einzig noch herausstehende Feder durch die Lippenbewegung leicht nach oben gezogen wurde, dann öffnete er unter dem bittenden Blick seiner Herrin das Maul und spuckte das gelbe Federvieh vor die Füße seines Besitzers. Roderich hatte irgendwie das Gefühl, dass diese Katze es extra darauf angelegt hatte. Kapitel 2: Raben von Untersberg ------------------------------- 1944 - Salzburg Verzweifelt stand Salvatria auf dem Schutthügel und sah schreckensstarr auf das große Loch in der Kuppel, die nun ihren Dom zierte. Tröstend miaute Rupert um ihre Beine und wollte sie so aus ihrer Starre locken, doch erst als sie ein leichtes Poltern hinter sich vernahm, drehte sie sich - immer noch nicht Herrin ihrer Sinne - um. Ein kleines Männchen erkletterte den Schutthaufen, auf dem sie stand. „Vergiss es, eine Träne drüber zu vergießen, Kind. Du wirst deinen Kummer noch brauchen.“, meinte er dann, als sie erreicht hatte, in dem spöttischen Ton, den nur Zwerge pflegten. Krampfhaft schluckte sie den Zorn runter, der in ihr aufgewallt war, beim Vernehmen dieser Worte. Mit verkrampft geballten Fäusten ließ sie den Blick durch die zerstörte Halle schweifen. Ein salziger Tropfen nach dem anderen löste sich von ihren Augenwinkeln und floss ihr über die bleichen Wangen. „Sag, fliegen die Raben noch immer um den Untersberg?“, fragte sie dann tränenerstickt, wobei sie sich nach Rupert bückte, der ihr sogleich sanft mit seiner Wange über die ihre strich. Der Zwerg warf ihr einen belustigten Blick zu. „Natürlich tun sie das, Mädi.“ Die Augen schließend vergrub sie ihr zartes Gesicht in das pechschwarze Fell des Katers und atmete seinen Duft ein. Rupert schnurrte beruhigend und funkelte misstrauisch den kleinen Mann aus seinen gelben Augen an. Nach einem tiefen Atemzug öffnete Salvatria wieder die violetten Augen und sah gefestigt zum Grau des Himmels, welchen man nur allzu gut durch die Wunde, die man ihrem Dom geschlagen hatte, sah. Gebäude konnte man wieder aufbauen und egal wie schlimm die Wunde auch war, sie würde sich im Laufe der Zeit auf die eine oder andere Weise schließen. „Dann kann es noch nicht das Ende sein.“, meinte sie nur kurz angebunden, um sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Zum ersten Mal seit seinem Erscheinen war das Lächeln des Untersbergers ehrlich. „Da hast du recht, Salzprinzessin.“ Kapitel 3: Von Harfen , Langweile und Literatur ----------------------------------------------- Von Harfen , Langweile und Literatur Irgendwann 1772 - Pommern Gelangweilt ließ Agnes den Blick über die Runde schweifen. Für einmal lief das Treffen der Mitglieder des heilig römischen Reiches deutscher Nation, so gesittet ab, wie es sich diese Pflaume von Roderich immer gewünscht hatte. Thüringen hielt gerade eine Rede, auch wenn sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr wusste, worum es überhaupt ging. Wenn sie ehrlich war, es interessierte sie auch nicht. Sie ließ den Blick vom Redner zu den anderen schweifen. Karl, der noch immer die Erscheinung eines Kindes hatte, blickte gedankenverloren in sein Weinglas und seufzte regelmäßig. Schnell wandte sie sich von diesem herzzerreißenden Anblick ab und stieß, unweit vom Repräsentanten der deutschen Nationen, auf die bleiche Gestalt von Gilbert, der, offenbar ebenso gelangweilt wie sie, begann seine gelbe Federkugel mit Gebäckkrümmeln zu mästen. Weit entfernt von ihm und das konnte vielleicht auch der Grund sein, warum es bisher sehr gesittet zu gegangen war, saß Bayern, welcher unter dem Tisch mit Hannes, dem personifizierten Hessen eine Partie Mühle spielte, wobei Agnes ganz sicher war, dass es nicht teil der Regeln war, mit jedem verlorenen Stein einen ganzen Becher Wein zu leeren. Agnes seufzte während sie beobachtete, wie August, Sachsen persönlich, am anderen Ende des Tisches gemütlich ein Nickerchen machte, wobei ihm ein dünner Speichelfaden den Mundwinkel hinunter lief. Ach, wie gerne hätte sie jetzt die üblichen Prügeleien und die sonstigen Kepplerein, aber offenbar dank irgendjemandes genialem Einfall, hatte man die Hauptstreithähne voneinander getrennt und sie soweit wie möglich auseinander gesetzt. Sie konnte nicht einmal mit Salzburg eine Zankerei vom Zaun brechen, da diese nicht nur ein paar Sitze weiter weg saß, sondern auch vollends damit beschäftigt war, ihren Kater regelmäßig daran zu hindern, sich Gilbert und vor allem seinem Küken zu nähern. Verdrossen legte sie höchst undamenhaft ihren Kopf auf die Arme, da nahm sie eine Bewegung neben sich wahr. Von sich selbst überrascht, noch nicht geschaut zu haben, wer neben ihr Platz genommen hatte, lugte sie zu Seite. Hagen, der zu ihrer größten Verwunderung nicht den Platz neben seinem Bruder und seiner Schwester eingenommen hatte, blättere in einem regelmäßigen Rhythmus Seite um Seite eines Buches um. Neugierig lehnte sie sich ein wenig nach links, um besser einen Blick auf die Seiten erhaschen zu können. Sie merkte zwar, dass er ihre Intentionen mit Argusaugen beobachtete, doch er schwieg und so fühlte sie sich ermutigt, herauszufinden was der graublonde Norddeutsche las. Doch kaum hatte sie die ersten Zeilen gelesen, hob sie erstaunt ihre schwarzen Augenbrauen. Aus den Augenwinkeln heraus, bekam sie mit, wie sich ein verdächtiger rosa Stich auf den bleichen Wangen ihres Sitznachbarn ausbreitete. Noch immer nicht ganz fassend, was sie da gerade gelesen hatte, suchten ihre Augen den Blick des Brandenburgers, der im ersten Moment auswich, um sich dann verlegen seinem Schicksal zu ergeben. Nochmals huschte ihr Blick über das geschriebene Wort. ~Der Abschied, wie berängt, wie trübe! Aus deinen Blicken sprach dein Herz. In deinen Küssen welche Liebe, O welche Wonne, welcher Schmerz! Du gingst, ich stund und sah zur Erden Und sah dir nach mit nassen Blick. Und doch, welch ein Glück, geliebt zu werden, Und lieben, Götter, welch ein Glück! ~ Diese Zeilen kamen ihr bekannt vor aber sie konnte im Moment den Autor, nennen. Schiller oder Goethe vielleicht, auf jeden Fall irgendeiner dieser romantischen Spinner. „So was liest du?“, fragte sie, immer noch ein wenig verwundert. „Ja…und? Ist das verboten?“ Er zuckte mit den Achseln und beobachtete sie misstrauisch. In seiner Stimme lag etwas Lauerndes. „Nun ja, ich hätte dir nie eine solche romantische Ader zugetraut. Das passt vielleicht zu Thüringen, oder vielleicht noch zu Holger aber dich kann ich mir schwer in der Rolle des jungen Rebellen vorstellen.“ „Dir würde man auch nicht zutrauen, mit Leidenschaft Harfe zu spielen.“, erwiderte er dann lasch und klappte das Büchlein zu, wobei er den Daumen an die Stelle geschoben hatte, wo er aufgehört hatte zu lesen. „Du erscheinst nicht feinfühlig genug zu sein, ein solches Instrument zu beherrschen.“ Leicht pikiert blähte sie die Backen auf und wollte schon zu einer barschen Antwort ansetzen, da redete er einfach weiter. „Aber in diesem Punkt, habe ich mich geirrt.“, Siecherer als noch einige Augenblicke zuvor, sah er zu ihr. „Ich habe dich vor ein paar Tagen im Musikzimmer spielen gehört und es war richtig berührend. Es hat einem wahrlich zum Träumen angeregt“ Augenblicklich färbten sich nun ihre Wangen ein wenig rötlich und sie sah verlegen zu Seite. „Danke.“, nuschelte sie und ermahnte sich, das nächste Mal vorsichtiger zu sein. Sie mochte es nicht, wenn sie ein fremdes Publikum hatte. Verglichen mit Schwestern des Wasserkopfes, insbesondere mit Salvatria, fühlte sie sich musikalisch nicht sehr begabt, so dass sie es nicht gewohnt war, Lob für ihr Spiel zu bekommen. „Und warum bist du eigentlich so erstaunt darüber, dass ich Poesie lese?“ „Nun ja,es passt einfach nicht zu…“ „Nicht zu mir? Weil ich wie mein Bruder als Raufbold verschrien bin?“ In seinen Augen blitzte ein nicht näher definiertes Etwas auf. So als wäre er sich bewusst, dass er sie langsam aber sicher verbal gegen die Wand drängte. „Du hast doch auch den Ruf ein Raubein zu sein und trotzdem spielst du mit einer unvergleichbaren Sanftmut Harfe. Dabei sollten diese beiden Aspekte unvereinbar sein, oder?“ „Natürlich nicht…“, nuschelte sie und wich den Blicken der roten Augen aus. „Eben, also wenn ein Raubein wie du so herrlich Harfe spielen kann, warum sollte dann ein Raufbold wie ich nicht gerne Liebesgedichte von Gothe lesen.“ Er lachte leise auf, während sie sich ertappt fühlte, einem Klischee auf den Leim gegangen zu sein. „Keine Sorge, „Die Leiden des jungen Werther“ haben mir nicht so gut gefallen. Der Junge lässt sich viel zu sehr gehen.“ Sie warf ihm unbedacht einen verwirrten Blick zu. Stimmt, von daher war ihr der Name des jungen Schreiberlings bekannt. Sie war einst nur froh gewesen, dass diese seltsame, junge Bewegung sich in ihren Landen nicht durchgesetzt hatte. „Es ist schön, dass ihr euch dahinten so köstlich unterhaltet, aber ich möchte euch mitteilen, dass die Konferenz zu Ende ist!“, zerschnitt eine barsche Stimme die zwischen ihnen entstandene Stimmung und unbewusst fuhren sie beide auseinander, wie Kinder, die bei einer kleinen Verschwörung erwischt worden waren. Verwirrt sah Agnes zu dem Gesicht des österreichischen Erzherzogtums auf, welcher zu ihrem Platz getreten war. Unter dem einen Arm hatte er die Unterlagen des heutigen Treffens eingeklemmt, während er mit der anderen Hand Karl hielt. „Kommst wenn du fertig bist, nach? Ich möchte keinen Augenblick mehr als nötig in der Gesellschaft dieses Preuß stehen. Das geht nicht gegen Euch, Hagen.“ „Ich wäre auch nicht auf die Idee gekommen es auf mich zu beziehen, Roderich. Aber ich fürchte, Ihnen bleibt die Anwesenheit meines Bruders nicht erspart, da meine Schwester im Zuge dieses Zusammentreffens heute Abend ein Bankett ausgerichtet hat und ihr, wie auch eure liebreizenden Schwestern, eingeladen seid.“ Die Stimme des Brandenburgers klang weich und glatt. So ungewohnt zuvorkommend in den Ohren der Tirolerin. „Danke für die Erinnerung, es wäre mir glatt entfallen.“, antwortete Roderich spitzt und neigte ein wenig den Kopf. „Dann sehen wir uns noch heute Abend, doch bis dahin möchte ich mich entschuldigen. Ich muss noch etwas mit meinen Schwestern besprechen. Richten Sie bitte ihrer Schwester einen Dank für die Einladung aus.“ Hagen nickte dem Österreicher kurz kühl zu. „Ich werde es ihr ausrichten.“ „Hagen, beweg endlich deinen Hintern hier her.“, schrie just von hinten der vorhin indirekte erwähnte Preuße, während sich die übrige Gesellschaft auflöste und August höchst unsanft von Hauke, dem Friesen mit einem Klaps auf den Hinterkopf geweckt wurde. Roderich zog mit dem Repräsentanten des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation weiter, um seine restlichen Schwestern und Krain einzusammeln. Schnell sortierte Agnes ihre nicht benutzte Mitschrift und bündelte sie zusammen. Neben ihr folgte Hagen ihrem Beispiel, wobei sie darauf achteten, dass sie sich nicht weiter ansahen. Als sie sich eben verabschieden wollte, stand er auf und bat höflich um ihre Hand, auf die er dann den, von der Etikette vorgeschriebenen, Handkuss hauchte, bedacht nicht mit den Lippen die wettergegerbte Haut der Tirolerin zu berühren. Diese einfache Geste machte sie ein wenig verlegen, da sie es erstens nicht gewohnt war, auf solch höfische Weise behandelt zu werden und zudem es nicht zu dem Verhalten passte, dass sie von ihm gewohnt war. „Es wäre eine Ehre, wenn ihr mich an einem der nächsten Tage euerm Spiel an der Harfe lauschen lasst, Fräulein Hütt und bis zum Abend wünsche ich euch noch einen angenehmen Tag“ Verwirrt rang sie sich zu einem Nicken durch und sah ihm dann verblüfft nach, wie er sich zu seinen Geschwistern gesellte. Es war immer wieder verstörend, wenn ein altbekanntes Gesicht neue Seiten von sich zeigte. Kapitel 4: Flach ---------------- Flach Mitten in Brandenburg - Irgendwann zwischen 1674-79 Angestrengt versuchte Roderich sich auf die Schritte seines Pferdes zu konzentrieren, doch er schaffte es einfach nicht, die höchst missgelaunte Stimme neben sich auszublenden. Warum, ermahnte er sich, warum nur hatte er Agnes nur mitgenommen? „Ich verstehe überhaupt nicht, warum du ausgerechnet auf die Idee kamst, mich mitzunehmen!“ Gut, seine älteste Schwester war eine sehr schweigsame Reisegesellschaft, aber Katharina hatte beschlossen, dieses Frühjahr gemeinsam mit Italien deren ältere Schwester Venedig zu besuchen. „Glaubst du wirklich, dass ich nicht wüsste, wie wenig du auf mein Wort hörst…“ Hedwig hingegen war mit ihrem sonnigen Gemüt und ihrem neugierigen Geist sicher eine Bereicherung während der anstrengenden Reise gewesen, aber auch auf ihre Anwesenheit hatte er verzichten müssen. Dabei bedauerte er dies sehr, schließlich waren sie Beide seit Jahrhunderten ein eingespieltes Team und er konnte sich wahrlich blind auf sie verlassen. Doch als er sie einst gefragt hatte, sagte sie ihm ab, da sie ihrem Lebensgefährten, dieser schleimigen Kröte von Erzberg, versprochen hatte, bis in den Sommer hinein bei ihm zu bleiben, da er sie seiner Meinung nach in den letzten Jahren nicht gerade häufig für sich gehabt hatte. Nach dieser Absage hätte er es wissen müssen und alleine seinen Weg in den Norden beschreiten sollen. „Aha, siehst du… du nimmst meine Anschuldigungen nicht einmal ernst…“ Doch nein, er Wappler hatte es drauf anlegen müssen und nun hatte er Agnes am Hals. „Wenn dir so viel an Reisegesellschaft gelegen wäre… dann würdest du dich auch dazu herablassen, ein paar Worte mit mir auszutauschen, oder ist sich der feine Herr nicht gut genug dafür?“ Es war nicht so, dass er die Tirolerin nicht schätzte. Selbst mit ihrem temperamentvollen Gemüt und ihrer herrischen Art, mochte er sie recht gerne und er wusste, dass selbst wenn sie ihm regelmäßig die kalte Schulter zeigte, sie begonnen hatte ihn zu akzeptieren. Sie gehörte zu der Sorte, bei deren Freundschaft man sich jederzeit sicher sein konnte, wenn man sei erst einmal, nach langer und qualvoller Prüfung, erlangt hatte. Dennoch hätte er es wissen müssen, wie wenig sie von der Idee begeistert wäre, ihre Berge zu verlassen und ihm in den Norden des Reiches zu folgen. Aber als er bei ihr angefragt hatte, war ihr keine passende Ausrede eingefallen, um diese Bitte auszuschlagen. Zudem konnte er sich überhaupt glücklich schätzen, dass sie ihm nicht einfach barsch zum Teufel gejagt hatte. Doch nun schlug diese fehlende Motivation, an ihrer gemeinsamen Reise nach Brandenburg, in eine solch schlechten Laune um, dass Roderich sich wünschte sie hätte es einst getan. Jetzt jedoch blieb ihm nur die Möglichkeit über, einfach jedes bös gemeinte Wort in das eine Ohr rein rieseln zu lassen, damit es seinen Geist so schnell wie möglich durchs andere Ohr wieder verlies. „Ach und weißt du was an der der ganzen Sache besonders faul ist?“, fragte sie ihn dann, wobei er nur noch mechanisch nickte. „Nein, sag nichts, ich werde es dir gleich sagen.“ Anklagend deutete sie in die Landschaft. „Dass du mich, ein Kind der Berge und Täler, von allen gottesverfluchten Gegenden auf Erden unbedingt in eine verschleppen musstest die so deprimierend flach ist!“ ------------------------ Kapitel 5: Bauerntrampel ------------------------ Agnes Hütt-> Tirol Bauerntrampel Irgendwann im 17 Jahrhundert - irgendwo in HRR Roderich konnte es immer noch nicht richtig glauben. Ihm war nie wirklich aufgefallen, wie schlank sie in Wirklichkeit war, wobei er sich eingestehen musste, dass das Kleid ihre Figur an den richtigen Stellen betonte. Früher hätte er ihre Gestalt als drahtig beschrieben, wenn nicht hager und das Gesicht mit den hohen Wangenkochen, unterstrichen von den schwarzen Haaren, als zu hohl empfunden, aber die Kammerzofen hatten ihm wahrlich eine Überraschung beschert. Agnes schien sich ebenfalls leicht unsicher zu sein. So war es für ihn nicht sehr verwunderlich, dass, nachdem sie abermals seinen Blick über ihre Gestalt schweifen spürte, sie sich ihm zuwandte und ihn anfauchte. „Was denn?“ Mit einem amüsierten, wie auch verlegenen Blick sah er wieder nach vorn, wobei er durch den Körperkontakt zu ihr spürte, wie unsicher ihre Schritte waren. „Nichts.“, murmelte er dann gerade noch verständlich. „Es ist nur so ungewohnt, dich derart elegant zu sehen.“ Ein Schnauben blieb die einzige Antwort die er daraufhin erhielt, sodass er sich verpflichtet fühlte, weiterauszuholen. „Zudem passt dir dieses bezaubernde Kleid überaus gut.“ Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sich der Dame, welche sich bei ihm eingehackt hatte, ein verdächtiger Rotstich auf die Wangen schlich. „Außerdem bringt die Frisur deine prächtigen langen Harre sehr gut zur Geltung. Ich war schon immer der Meinung, dass der grässliche Zopf, zu dem du sie immer bindest, sie nur verschandeln.“ Der rote Schimmer auf den hohen Wangen der Tirolerin intensivierte sich nur. „Danke.“, nuschelte sie erst verlegen, um dann ein wenig mehr von ihrer gewohnten Selbstsicherheit wieder zu gewinnen. „Ich wollte mir einfach nicht von diesem Brandenburgerochsen und dieser Sachsennase sagen lassen, ich wäre nur ein ungesitteter Bauerntrampel.“ Roderich lachte leise auf, als er den Trotz in diesen Worten vernahm. Kurz darauf ließ er ihren Arm los und sie lieb automatisch stehen. Sanft nahm das österreichische Erzherzogtum ihre Hand in die seine und suchte den Blick der rostroten Augen. „Wenn es so ist, würde ich gerne um euren ersten Tanz bitten, Fräulein Hütt, damit sich jeder davon überzeugen kann, dass meine Begleitung alles andere als ein ungewaschener Bauerntrampel ist.“ Das verlegene wie auch schelmische Lächeln war ihm Antwort genug, und mit Würde führte er sie in den Tanzsaal. Kapitel 6: Von Teller und Handys -------------------------------- Von Teller und Handys „Na, Hedwig, ich konn wirkli net, tut ma echt lad. I geh nachher in die Opa.“ Roderich schüttete mit angestrengtem Gesichtsausdruck das kochend heiße Wasser mit den schwimmenden Knödeln in das Sieb, während er sich mittels Schultereinsatz weiterhin das Handy ans Ohr drückte. Kaum hatte er den Topf neben sich gestellt und den Küchenkasten mit den Tellern, oberhalb der Spüle geöffnet, nahm er mit der einen Hand einen Teller raus, während er mit der anderen das Handy nahm. „Außerdem sollt i langsam auflegen, da i nur draßig Minuten hab um zu Essen.“ Er hielt kurz inne, als er die Antwort über das Kabel vernahm. „Jo, moch des. Kannst ja Salva oder Käthe fragen, ob die Zat habn um auf den Zwutschklern aufzupassn. Danke, di a noch an netten Abend.“ Mit einem Seufzen drückte er auf den Knopf mit dem aufgelegten Hörer und legte das Gerät weg. Sofia lugte in die Küche. „War das Tante Hedwig?“ Ihr Vater fischte mit einem Löffel einen Knödel nach den anderen aus dem Sieb und drapierte sie am Rand des Tellers. „Ja, sie wollte fragen ob sie mir Friedensreich und Franzi geben könnte, da sie gerne mit ihrem Luitpold ins Theater gehen möchte.“ „Sie haben doch hoffentlich noch keine Karten gekauft.“ Roderich machte den Kasten wieder zu. „Nein, nein. Es war eine spontane Idee von ihnen. Außerdem habe ich ihr gesagt, dass ich nachher in die Oper gehe. Sie kann einfach eine der anderen anrufen. Die ganze Bagage ist doch sowieso gerade in Wien.“ Sofia nickt mit erleichtertem Gesicht. „Na dann passt es ja. Aber lass dir nicht so viel Zeit, wir sollten blad los.“ ---------------------------------------- Noch Mal prüfte Roderich, ob er alles hatte. „Ausweise, Karten, Geld… Verdammt noch mal, wo ist das blöde Ding?“ Wie er es hasste, wenn ihm kurz vor dem Aufbruch etwas fehlte. „Sofia?“, rief er ins Wohnzimmer. „Weißt du wo ich mein Handy liegen lassen hab?“ „Wozu brauchst du es? Du musst es sowieso während der Vorstellung auf lautlos drehen.“ „Weil ich es lieber bei mir habe.“ „Also ich sehe es hier nicht.“ Roderich fluchte leise. Warum musste so was immer in der letzten Minuten vor Aufbruch passieren? „Warte ich rufe dich an.“, erklang es aus dem Wohnzimmer. Angespannt lauschte Roderich in die plötzliche Stille seiner Wohnung. Doch dann erklang von nicht weit her Beethovens fünfte Symphonie. Er wollte den harten Klängen schon folgen, da hörte er, wie seine Tochter sich schneller Richtung des Läutens bewegte. Kurze Zeit später tauchte sie aus der Küche auf und hielt ihm das altmodische Gerät entgegen. „Wo war es denn?“, fragte er perplex, als er es auf lautlos schaltete, bevor er es in seiner Manteltasche verschwinden ließ. Die braunen Augen blitzten amüsiert auf . „Na, im Küchenkasterl, bei den Tellern.“ ------------------------------ Kapitel 7: Dem Vogel ein wenig Wasser geben ------------------------------------------- Dem Vogel ein wenig Wasser geben Berlin 1816 Gilbert grinste sie alle mit dem ihm typischen Grinsen an, das meistens folgendes Ausdrücken sollte: Nehmt alle diesen Vorschlag an, denn ich bin einfach der Beste, Klügste, Genialste und so weiter und so fort. August überlegte ob er nicht einfach einem Impuls seines sächsischen Blutes folgen sollte, um nach dem Halstuch des Preußen zu schnappen, damit seine Ideen, durch den plötzlichen Aufschlag auf der Tischplatte, wieder an den richtigen Platz verrückt würden. Hauke, der sich bisher wie immer im Hintergrund gehalten hatte, paffte noch einmal an seiner Pfeife und hätte am liebsten Totenköpfe in die angespannte Atmosphäre geblasen, um seinen Unmut über diese Idee kund zu tun. Holger, welcher nicht weit vom Friesen entfernt saß, bekam den Vorschlag seines Nachbarn nicht wirklich mit, da er eben in seinen Gedanken völlig bei seiner Schwester war, welche sich wiedermal in den Händen von Matthias befand. Wodurch der Holsteiner für die überschäumenden Ideen von dem bleichen Egozentriker nicht viel übrig hatte. Mechthild seufzte nur, und dachte sich ihren Teil dazu, gewohnt dass ihr Bruder ein empathisches Feingefühl hatte, vergleichbar mit dem des silbernen Löffels, mit dem die Pommerin in ihrem Tee rührte. Schwaben, alias Gisela und Hessen, alias Hannes, waren gerade damit beschäftigt, Theodor am Platz bei ihnen zu behalten, der sich, kaum waren die Worte verklungen, brüsk erhob und dem Preußen handgreiflich beibringen wollte, was er von seiner Idee hielt. Die Verhandlungen mit Roderich über Agnes hatten die bayrischen Nerven in den letzten Tagen ein wenig überspannt, sodass Gilbert ihm einen willkommenen Anlass bot, seine Frustration an jemand auszulassen. Johann-Raimar konnte über das Verhalten der anderen nur seinen Kopf schütteln und wünschte sich so schnell wie möglich wieder in seine Bibliothek zurück. Wehmütig dachte der Thüringer an seinen gemütlichen Lehnstuhl zurück, während Heinrich überhaupt nicht zugehört hatte, da er schlicht und einfach eingeschlafen war. Hagen war bisher ungewöhnlich still gewesen, was aber vielleicht einerseits darin begründet war, dass er schon sehr lange mit Gilbert unter einem Dach lebte, und zum anderen dadurch schnell gelernt hatte, wie wenig sich sein Bruder von Gewalt, Drohungen und dergleichen von seinen Ideen abbringen ließ, egal wie überdreht diese waren. Der Brandenburger befeuchtete seine Fingerspitzen ein wenig mit Speichel und reckte sich, um diese auf die bleiche Stirn seines Bruders zu legen. Überrumpelt sahen ihn die roten Augen an. „Was machst du da bitte?“ Hagen zuckte nur ein wenig mit den Schultern, als er sich wieder hinsetzte. „Nur deinem Vogel ein wenig Wasser geben.“ „Welchen Vogel?“ Erst allmählich wurde sich Gilbert der Anspannung im Raum bewusst. „Was habt ihr bitte gegen meinen Vorschlag, dass ihr alle meinen Nachnamen annehmt?“ Kapitel 8: Bei einem Krügel Bier... ----------------------------------- Bei einem Krügel Bier... 1830 in irgendeiner Spelunke in Bayern Mit einem schon sehr angeheiterten Seufzer ließ Theodor seinen Krug Bier mehr auf den Tisch fallen, als ihn wieder hinzustellen und Roderich war nur froh, dass kaum mehr Bier im Gefäß vorhanden war, das hätte überschwappen können. Warum hatte er sich nur von seinem Bruder überreden lassen, noch einen mit ihm Trinken zu gehen? Entnervt sah er in seinen eigenen Krug, als könnte er dort am Grunde die Antwort finden, die er doch schon längst kannte: Damit sich Theodor an seiner Schulter ausweinen konnte, obwohl er es eher Sundern nennen würde . „Dieser beschißene Preuße…“, murmelte der Bayer in seinen nicht vorhandenen Bart, während der Österreicher sich wünschte, sein Bruder hätte einen, damit er nicht mehr verstand, was der im Suff von sich gab. Roderich wollte ihm eben pflichtbewusst den Rücken tätscheln, da suchten die blau-grünen Augen seinen Blick. „Warum hast du eigentlich nie darauf bestanden, dass die anderen deinen Namen annehmen?“ Roderich sah ihn überrascht an. Er hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass Theodor den Schwerpunkt des Gespräches nun auf ihn zog. Erst runzelte er die Stirn und hoffte, dass der andere sich schnell genug wieder seinem Vergessen widmete, aber der erwartungsvolle Blick ließ ihn einfach nicht los. „Nun ja, gehen wir die möglichen Reaktionen einmal durch…“, begann er dann schlussendlich und drehte seinen Krug Bier in den Händen. „Käthe hätte sich auf das Recht der Älteren berufen und darauf bestanden, wenn wir schon einen gemeinsamen Nachnamen annehmen würden, so sollte es doch ihrer sein.“ Bayern nickte träge und schien so, als würde er diese Schlussfolgerung in seinen alkoholumnebelten Geist wirklich verstehen. „Styria würde mich auf den Grund aufmerksam machen, warum sie einst gerade diesen Namen gewählt hat und vertraue mir, mit Wesen aus dem Alten Volk ist es sehr schwer zu verhandeln.“ „Du hast dich noch immer nicht ganz mit dem Gedanken angefreundet, dass dein Schwager ein Wasserman ist, oder?“ Beschwichtigend wollte Theodor ihm die Hand auf die Schulter legen, aber das österreichische Herzogtum schob sie barsch weg. „Sie sind nicht miteinander verheiratet, sondern nur ein…“, zischte er, wusste aber nicht wie er die Beziehung passend bezeichnen soll. „Ein Liebenspaar?“, kam ihm sein Bruder zuhielfe, aber das war auch nicht ganz das Wort was Roderich für passend hielt oder ehrlicher ausgedrückt, es gefiel ihm nicht, diese Umschreibung in diesem Zusammenhang zu verwenden. „Lebensgemeinschaft“, kam er dann mit sich überein, dass dies das kleinere Übel war. Sein Bruder warf ihm einen zweifelnden, wie auch mitleidigen Blick zu. Roderich ignorierte ihn und wechselte im Thema zu seiner nächsten Schwester. „Salvatria würde mich fragen, ob ich nicht besseres zu tun hätte, als mir über solche Nichtigkeiten den Kopf zu zerbrechen und mir beim Abschied Mir noch einschärfen, eher hören die Raben auf, um den Untersberg zu kreisen, als dass sie ihren Nachnamen aufgibt.“ Er unterbrach sich kurz und nahm einen tiefen Schluck, bevor er weiterredete. „Du kennst sie ja selbst, sie dreht einem dann so die Worte im Mund um, dass man selbst anfängt, an seinem Anliegen zu zweifeln. Außerdem lege ich mich ungerne mit Rupert an.“ „Du hast uns ziemliche Probleme beschert, als du ihr das Vieh geschenkt hast, weißt du das?“, warf Bayern ein, wobei sein Blick bei weitem nicht mehr klar war. „Woher sollte ich als Knabe auch nur erahnen, in was für ein Biest sich das süße Kätzchen von einst verwandeln würde?“, verteidigte sich Roderich und gab seinen Tischnachbarn einen brüderlich gemeinten Schubs. „Auch muss ich gestehen, dass es mich als Bruder beruhigt, sie unter einen solchen Schutz zu wissen.“ Theodor lachte spöttisch auf. „Schutz? Ich würde das eher einen der effektivsten Leibwächter nennen, der mir jemals untergekommen ist, wenn sich dieses Miststück auch meist wie ein eifersüchtiger Liebhaber verhält.“ Wieder drehte Roderich an seinem Krug, musste aber unwillkürlich lächeln. Doch der Augenblick der Zerstreuung dauerte nicht lange, da hakte das Königreich nach. „Agnes!“ Verwirrt hob Roderich den Kopf. „Wie bitte? Ich fürchte, ich habe zwischen Wassermännern und Katern den Faden verloren.“ „Agnes. Wie würde Agnes reagieren?“ Offenbar hatte sein älterer Bruder an diesen Was-wäre-wenn-Fragen Gefallen gefunden und auch Roderich musste sich eingestehen, dass sich bei den Überlegungen, wer wie reagieren würde, sich eine gewisse Entspannung zwischen ihnen ausgebreitet hatte, die er seit seinen Tagen unter Theodors Dach schmerzlich vermisst hatte. Hier waren sie nun einfach Brüder, keine Nationen, oder gar politische Rivalen. Einfach nur Brüder, welche sich, begleitet durch den Alkohol, eine mögliche Realität ausmalten. „Ich glaube, dass kannst du dir gut genug selbst beantworten.“, meinte er dann gut gelaunt, bevor er einen weiteren Schluck nehmen wollte, um dann Augenblicke festzustellen, dass sein Krug leer war. „Nun ja, ich möchte aber von dir hören, wie du es dir vorstellst.“, säuselte Theodor, nicht mehr ganz im Besitz seiner geistigen Kräfte, während Roderich mit dem Krug wedelte, um der Wirtin zu signalisieren, dass sie nachschenken solle. Während diese sich das Gefäß schnappe und hinter die Theke wuselte, stützte sich der Österreicher auf seine Ellbogen und versuchte, sich alle Möglichkeiten einer solchen Situation bildliche vorzustellen. „Mhm…“, nahm er das Wort nicht sehr geistreich wieder auf und starrte dabei unentwegt auf die Maserung des Tisches. Die Wirtin stellte den Krug recht unsanft vor seiner Nase ab und wandte sich den anderen Gästen wieder zu. „Erste Möglichkeit, sie wird mich nur beschimpfen. Zweite Möglichkeit sie wird mich beschimpfen und womöglich handgreiflich werden. Dritte Möglichkeit sie wird mich beschimpfen, handgreiflich werden und mich zum Teufel jagen.“ Er löste seine Augen von der Tischplatte und sah zu seinem Bruder. „Vierte Möglichkeit sie erspart sich das Ganze und hetzt mir gleich alle Riesen von Tirol An auf den Hals.“ Theodor grinste auf eine Art, die er sich im nüchternen Zustand nie erlaubt hätte. „Ja ja, die Riesen. Habe ich dir eigentlich schon einmal erzählt, dass diese mir damals 1808 sehr deutlich klar gemacht haben, dass sie von mir verlangen, Agnes von Münchner Hof zurück nach Tirol zu schicken?“ Roderich schüttelt den Kopf, konnte sich aber die „Art“ vorstellen, wie die Personifikationen der Tiroler Berge ihren Unmut kundgegeben haben. Riesen waren nicht dafür bekannt, diskussionsfreudige Verhandlungspartner zu sein. „Sie haben mir einen wahren Felsbrocken in das Arbeitszimmer meines Jagdhauses gepfeffert.“ Durch den Alkohol belustigt über die Tatsache, dass drei- bis vier Meter große Männer, vielleicht auch Frauen, ihm ihr Anliegen über diesen Weg haben zukommen lassen, genehmigte sich das bayrische Königtum einen weiteren Schluck. Roderich war überzeugt, dass Theodor ohne den Gerstensaft nicht so locker über diese Begebenheit gesprochen hätte. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, während es rund um sie herum weiterhin heiter zuging. „Na ja, um Abzuschließen, Adelheid würde zuerst zögern und dann Agnes fragen, was sie davon hielte. Und dann kannst du dir ja eine der vorhin genannten Optionen aussuchen.“ Theodor stellte den Krug, welchen er eben bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken, wieder auf den Tisch und fuhr sich kurz über den Mund. „Ein wahres Wort…“, kommentierte er dann den Abschluss. „Ach manchmal wünschte ich, Gilbert könnte sich von dir eine Scheibe abschneiden und in solchen Fragen ebenfalls ein solch kompromissbereites Weichei sein, wie du.“ Roderich verpasste ihm einen etwas härteren Knuff in die Seite. „Was heißt hier Weichei? Wer hat sich denn vor 14 Jahren auf Gilberts Vorschlag eingelassen? Theodor Bleischmid, ehemaliger Kreuzweger?“, konterte er dazu säuerlich, während sein Bruder ertappt in seinen leeren Krug starrte. „Nun ja er hatte schlagfertige Argumente.“, nuschelte dieser dann. „Und Roddy, ich würde mich in Zukunft echt vor ihm in Acht nehmen.“ -------------------------------------------- Kapitel 9: Eisenhut ------------------- Eisenhut 1869 - Irgendwo in der Nähe des Erzberges Mit zögerlichen Schritten tapste das Mädchen zur Tür. Ihr war auf dem Weg durch die unheimlichen und dunkeln Gänge keine einzige Seele begegnet. Ihre Tanten schienen sich alle noch im Salon aufzuhalten und der große, unheimliche Mann, welcher mit der steirischen Schwester ihres Vaters hier zusammen lebte, hatte offenbar ebenfalls das Zimmer nicht verlassen. Selbst die Bediensteten waren sich der nächtlichen Bettflucht der Kleinen nicht bewusst geworden. Was aber nicht verwunderlich war, wenn man bedachte, dass Tante Hedwig erstens die Anzahl der Angestellten auf ein Minimum reduziert hatte und zweitens die meisten von denen schon ein beachtlich hohes Alter hatten. Wieder knarrte hinter ihr etwas und mit weniger Vorsicht als zuvor, versuchte sie so schnell wie möglich die besagte Türe zur gemütlichsten aller Stuben des Hauses zu erreichen. Sie wollte nicht hier sein. Die Gegend war zwar wunderschön idyllisch und während des Tages war sie die ganze Zeit draußen und kehrte nur ins Haus zurück, um zu essen oder eine ihrer Tanten zu überreden mit ihr vor Haus zu spielen. Aber die Nächte, mit dem Haus, welches jedes Mal wenn es dunkel wurde mehr und mehr zu knarren begann, behagte ihr mit jeder Nacht immer weniger. Ihr Vater, der Repräsentant des Kaiserreiches Österreich, war noch bis zum heutigen Tag hier geblieben, nur war er am Nachmittag wieder Richtung Wien gefahren, da ihre Mutter, welche Ungarn vertrat, seine Anwesenheit in der Hauptstadt verlangte aufgrund einiger politischer Fragen. Dafür war sie in der Obhut der bunten Schwesterschar ihres Vaters geblieben. Am Anfang war sie froh gewesen doch nicht die, von ihr so gehasste Reise anzutreten. Diese Meinung hatte sich jedoch geändert als Tante Salvatria sie zu Bett gebracht hatte und sie sich wieder mit der geheimen Welt des Hauses auseinander setzen musste, welche immer dann auftrat, wenn das Licht des Zimmers erlosch. In den vergangenen Nächten, war sie immer wieder dann, wenn es ihr mit den Monstern in der Dunkelheit zu viel wurde, im eiligen Tempo in das Bett ihres Vaters gekrochen, der sie nach einigem halbherzigen Gezeter gewähren ließ. Doch nun war dieser ein paar hundert Kilometer entfernt und erst nach langem Zögern hatte sie sich entschlossen, eine ihrer Tanten zu Hilfe gegen die Finsternis, welche sich unheimlich in ihrem Zimmer eingenistet hatte, zu holen. Auf Tante Katharina hoffte sie nicht. Diese hochgewachsene Frau, deren Gesichtszüge denen ihres Vaters ähnelten, mochte, soweit sie verstanden hatte, die Älteste sein, aber ihr war die distanzierte und kühle Art der Kärntnerin unheimlich. Tante Salvatria und Tante Anges waren mit ihr schon um einiges herzlicher, aber wirklich auf sie zugegangen und sofort ins Herz geschlossen hatte sie Tante Hedwig. Das Herzogtum Steiermark war in den letzten Tagen nie müde geworden mit ihr zu spielen und herum zu tollen. Auch nahm sich die stämmige blonde Frau die Zeit, auf die ihr gestellten Fragen zu antworten und sie auf kleine Wunder aufmerksam zu machen, welche ihrem kindlichen Blick entgangen waren. Außerdem mochte sie es in der hauseigenen Schmiede zu stehen und der Hausherrin dabei zuzuschauen, wie sie aus einem rohen Klumpen Eisen, nützliche oder einfach nur schöne Dinge zauberte. Unter dem typischen Knarren von altem Holz öffnete sie die Tür und stolperte in den Raum. Eine Petroleumlampe stand auf den massiven, runden Tisch, von dem aus ihr vier Frauen erstaunte Blicke zuwarfen (Tante Katharina hatte nicht einmal ein kleines Stück ihrer Mundwinkel verzogen ), während in einer anderer Ecke, im wuchtigen alten Fauteuil der Gatte der Hausherrin saß. Dieser sah nur kurz von seiner Lektüre auf, bevor er seine unheimlich dunklen Augen wieder zu den Zeilen zurückführte. Verlegen ging sie noch ein paar Schritte nach vorne und kreuzte die Hände hinter dem Rücken. Tante Hedwig war die erste, welche reagierte. „Sofia, Spätzchen, was ist den los?“ Verlegen knetete Sofia den Stoff ihres Nachthemdchens in ihren Kinderfingern. Eine unangenehme Schweigepause trat ein und das Mädchen wurde sich bewusst, wie abermals die dunklen Augen des einzigen Mannes auf ihr ruhten. Hastig, um so schnell wie möglich aus dieser eingefahrenen Situation zu entfliehen, rang sie sich zu einer Antwort durch. „Ich kann nicht einschlafen. Es ist so düster in meinen Zimmer.“, nuschelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart, unangenehm berührt durch die verschiedenen Reaktionen der Anwesenden. Kärnten verzog wie erwartet keine Minne und es war absolut nicht ersichtlich, was unter dem dichten, braunen Haarschopf vor sich ging. Tirol warf erst einen verächtlichen Blick zu Hedwig, wobei Sofia zu vernehmen meinte dass sie dieser etwas zu raunte, was verdächtig nach: „Ich hab dir doch gesagt, dass er sie zu sehr in Watte gepackt hat.“. Salvatria, welche gegenüber ihrem tirolerischen Pendant saß, gab dieser unter dem Tisch einen versteckten Tritt gegen das Schienbein und giftete der Schwarzhaarigen etwas entgegen, worüber das Mädchen nur froh war es nicht zu verstehen. Die Situation wäre eskaliert, wenn Katharina nicht augenblicklich eingegriffen hätte und mit einem eindeutigen Blick den Konflikt im Keim erstickte. Hedwig hingegen bedachte die jungen Monarchie besorgt und wandte sich dann ihren Schwestern zu. „Ich fürchte meine Damen, ich werde aus der Runde austeigen müssen, um…“ Sie wollte eben aufstehen, da meldete sich der einzige Mann im Raum, mit tiefer Stimme zu Wort. „Bleib sitzen, mein Dirndel. Ich kümmere mich schon um das Kind.“ Die Federn des Fauteuils ächzten hörbar, als sich der breit gebaute Mann erhob während Hedwig ihm einen zweifelnden Blick zu warf. „Passt schon, Schatz…“ Er winkte noch ab und ließ keine Zweifel übrig, dass er von diesem Entschluss nicht abweichen würde. Seufzend ergab sich die Steierin ihrem Schicksal und sah noch mal auf das kleine Mädchen. „Wenn du so darauf beharrst, mein Lieber…Das macht dir doch nichts aus, oder Sofia?“ Sofia blickte eingeschüchtert zu der großen Gestalt hoch, doch sie wollte nicht unhöflich sein, so schüttelte sie den Kopf. Augenblicklich spürte sie die Blicke Kärntens auf sich ruhen, so als würde sie bestens wissen, was in ihrem Inneren vorging. Doch Katharina schwieg, während der Hausherr auf sie zu ging und sie ohne Mühe auf seine muskulösen Arme hob, wobei er sich davor sein Buch unter die Arme geklemmt hatte. „Dann bringen wir dich mal ins Bett und lassen deine Tanten in Ruhe Tarock spielen.“ Das Mädchen nickte schüchtern. „Dann sag deinen Tanten mal gute Nacht.“ Er drehte sich so, dass sie nochmal allen Schwestern ihres Vaters ansehen konnte. „Gute Nacht, Tante Agnes, gute Nacht, Tante Katharina, gute Nacht, Tante Salvatira…“ Sie ließ den Blick von einem Gesicht zum anderen schweifen. „Gute Nacht Tante Hedwig!“, schloss sie ab, während sie noch einmal in die violetten Augen der Hausherrin versank, sich wieder bewusst werdend, wie sehr sie denen ihres Vaters glichen. Es schien so, als wollte Hedwig noch einmal was einwerfen, doch im letzten Moment schloss sie stumm den Mund und nickte. „Dir auch eine Gute Nacht, Sofia. Hoffentlich kannst du gut schlafen.“ Während der Gatte ihrer Tante, mit ihr auf den Armen, die Treppe in den zweiten Stock hinauf ging, versuchte Sofia so wenig Körperkontakt wie möglich entstehen zu lassen. Zum einen mochte sie es nicht, wie ein kleines Kind herum getragen zu werden, wollte aber auf der anderen Seite den Mann nicht brüskieren und schwieg lieber dazu. Zum anderen war da etwas an seiner Gestalt das ihr Unbehagen bereitete. Sie wusste nicht viel über ihn, da er bisher nie am Wiener Hof erscheinen war, wodurch sie seine Existenz gar nicht wahrgenommen hatte. Weder ihr Vater, noch Hedwig hatten ihn je erwähnt, doch als sie in dieses Haus gekommen war, hatten alle sich so verhalten, als wäre seine Präsenz im Hause selbstverständlich. Ihr gegenüber hatte man nur gesagt, dass es der Lebensgefährte ihrer Tante sei und das war’s. Als sie dann nachgefragt hatte, welche Nation sich einst mit Steiermark vermählt hatte, wurde sie nur soweit darüber aufgeklärt, das er keine Nation sei, und Hedwig nie zum Altar geführt hatte, aber diese es vorzog bei ihm von ihrem Gatten zu reden. Zudem waren sie schon sehr lange zusammen und sie sollte aufhören zu fragen, denn für weiteres sei sie noch zu jung, dabei hatten sie ihn ihr nicht einmal mit einem Namen vorgestellt. Bis auf das letzte Argument, welches sie bis heute ärgerte, beließ es die junge Monarchie dabei, froh keine tiefere Bekanntschaft mit diesem unheimlichen Kerl machen zu müssen und hatte sich mit Erfreulicherem beschäftigt. Er schien ebenfalls kein allzu großes Interesse an ihr zu haben und somit hatten sie sich in den letzten Tagen sehr gut ignoriert. Sein plötzlicher Einsatz sie ins Bett zu bringen, hatte sie nicht nur überrascht, auch verunsicherte es sie zu tiefst. Er war ihr einfach unheimlich, sodass sie überlegte, ob es ihr nicht lieber war, sich mit den Geistern im Haus mutterseelenalleine auseinander zu setzten anstatt nun mit ihm alleine zu sein. Scheu huschte ihr Blick über seine Gestalt, welche geheimnisvoll vom schwachen Schein der Kerze, die er in der freien Hand im dazu passenden Halter vor sich hielt, während er die Stufen hinauf stieg, beleuchtet wurde. Er war nicht besonders groß, und überragte auch keineswegs Tante Hedwig. Aber dafür hatte er breite Schultern und kräftige Arme. Bis auf die wettergegerbten Wangen, der knolligen Nase und den schwarzen, so dunklen Augen, war das restliche Gesicht, durch das lange, leicht wirre Haar, von Bart und Haupt versteckt, wobei die weißen und gräulichen Strähnen, immer wieder im Licht der Kerze kurz aufschimmerten. Die dicken Augenbrauen, meliert wie das restliche Haar, unterstrichen nur die Tiefe der Augen und es waren eben diese Augen, welche Sofia so viel Unbehagen bereiteten. Für sie glichen diese dunklen Seelenspiegel, einem tiefen, schwarzen Loch und mit einem Schauer im Nacken wurde ihr erst jetzt bewusst, dass sie immer an ein dunkles Wasserloch denken musste, wenn sie sich wiedermal in ihnen verlor. Solche Empfindungen hatten sie noch nie heimgesucht, wenn sie in die Augen eines anderen sah, doch bei ihm waren diese Bilder so präsent, das es ihr Angst machte. Zudem verströmte er eine Ausstrahlung, die ihr so fremd vorkam und gleichzeitig so vertraut, sie konnte es halt nicht richtig zuordnen, noch fielen ihr die richtigen Wörter ein, um dies zu beschreiben. Sie war so in ihren Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie der Hausherr ihr Gästezimmer betreten hatte und auf das zerwühlte Bett zu ging. Als er jedoch die Kerze auf dem kleinen Schränkchen, neben ihrer Schlafstätte abstellte und sich runterbeugen wollte um sie auf ihre Decke zu setzen, glitt sie wie selbstverständlich von seinen Armen und berührte dabei unabsichtlich seinen nackten Unterarm. Ein Zucken durchfuhr sie, als sie merkte, wie kalt sich die bloße Haut anfühlte. Kühl wie ein blankpolierter Stein und ebenso so glatt. Ebenfalls war ihr nie aufgefallen, wie unbehaart er an den Armen war, dabei glich er sonst eher einem Holzfäller aus ihrem Märchenbuch. Ein wenig bedröppelt, sah sie ihm zu, wie er sein Buch neben der Kerze abstellte und sich dann dran machte, den schweren Lehnstuhl im Eck, in den Scheinradius der einzigen Lichtquelle zu ziehen, ohne auf ihren erstaunten Blick zu reagieren. Kurze Zeit später setzte er sich in den gemütlichen Fauteuil und wollte eben seine Lektüre wieder aufnehmen, da nahm er den Ausdruck auf ihrem Gesicht wahr. „Ich würde unter die Tuchern kriechen, Mädel. Sonst könnte dir kalt werden.“ Mechanisch hob sie die Beine an, und zog sich die Decke bis zu Brust hoch ohne den Mann aus den Augen zu lassen, welcher seine Aufmerksamkeit dem Inhalt des Buches gewidmet hatte. Aber schon nach kurzer Zeit wurde er sich gewahr, dass sie sich nicht hingelegt hatte und warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. Wieder fingen sie die dunklen Augen ein und wieder musste sie an die Dunkelheit denken, die in so manchen Löchern lauerte. „Was ist denn, Mädi? Wolltest du nicht schlafen gehen?“ Er sprach leise, aber dennoch verstand Sofia jedes einzelne Wort. Unbehaglich blickte sie zu einem Punkt hinter ihrer Gesellschaft. Die Stille, welche nun vom Raum besitzt ergriff, war ihr noch unangenehmer als seine Beachtung und bevor sie wirklich nachgedacht hatte, sprach sie das erste aus, was ihr einfiel um das Schweigen zu brechen. „Was lesen Sie im Moment gerade?“ Die dunklen Augen wanderten von dem geschriebenen Worten zu ihr und sie glaubte etwas wie Amüsement in ihnen zu entdecken. „Mhm, es ist eine Liebesgeschichte.“, meinte er dann nur kurz, wobei Sofia zum ersten Mal etwas wie Wärme in der dunklen Stimme vernahm. Sie versuchte kurz einen Blick auf den Titel, welcher in abgegriffenen Lettern auf den Einband prangte, zu erhaschen, doch da hatte der Hausherr das Buch schon zu geklappt und legte es mit der Rückseite nach oben auf das Kästchen. „Aber ich fürchte es dient nicht wirklich als Gute-Nacht-Geschichte.“ Die Wangen hoben sich ein wenig und dem Mädchen wurde bewusst, dass er mit größter Wahrscheinlichkeit lächelte. Für einen Augenblick glitt sein Blick zum Fenster, wo der Vollmond eben die herrliche Berglandschaft erhellte und neben der Kerze das einzige war, welches die Geister dieses Hauses von ihr fernhielten. „Wenn du willst…“, sprach er weiter, ohne sie anzuschauen und in den dunklen Augen breitete sich ein Hauch von Melancholie aus. „… kann ich dir aber eine andere Geschichte erzählen.“ Höflich nickte Sofia, während sie sich jedoch fragte, was unter dem wirren und dichten Haarschopf wohl vorging. Sie konnte nicht sagen, ab welchen Zeitpunkt sich die Atmosphäre zwischen ihnen verändert hatte, aber nun wurde ihr bewusst, wie die unheimliche, kühle Aura, welche den Mann seit ihrer ersten Begegnung umgeben hatte, immer dünner wurde und abblätterte. Er lehnte sich zurück und schlug das eine Bein über das Knie des anderen, während Sofia sich vollends hinlegte. Von ihrem Kissen auf, sah sie gespannt in das nur vom Schein der Kerze erhellte Gesicht. „Nun unsere Geschichte beginnt vor langer Zeit…“, begann er, doch dann runzelte er die Stirn, als würde ihm eine Frage aufkommen und er beugte sich zu dem Mädchen vor. „War Hedwig mit dir schon mal am Leopoldsteiner See?“ Artig verneinte die junge Monarchie. Er schüttelte nur den Kopf und lehnte sich wieder zurück. „Ne Schade, das müssen wir dringend nachholen, Dirndel! Aber gut kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Wenn man dem Lauf des Erzbaches, nicht weit weg von hier, talab folgt, gelangt man dorthin, wo der Abfluss in den Leopoldsteiner See herabrauscht. Von dort ist es nicht weit zu einer grottenartigen Vertiefung im Felsen. Wenn man diese hinabsteigt, kommt man zu einen dunklen Wasserspiegel. Der Grund ist nicht zu sehen und bis zum heutigen Tage kann kein sterblicher von sich behaupten, ihn jemals gesehen zu haben.“ Sich diese Grotte vorzustellen fiel Sofia nicht schwer, musste sie nur einmal in die dunklen Augen des Mannes ihr gegenüber schauen. „Nach den Überlieferungen zu folge, soll dort einst eine sonderbare Gestalt gelebt haben, welche Zeit zu Zeit auftauchte, um sich vor der Grotte im Schein der Sonne zu wärmen. Das seltsame Wesen hatte einen schuppigen Fischleib und einen mächtigen Bart, sodass die Leute ihn für einen Wassermann hielten…“ „Und war er das?“, unterbrach ihn Sofia, welche sich aber sofort ihres Fauxpas bewusst wurde und sogleich „Verzeiht mir, das ich euch unterbrochen habe.“ nuschelte. Wieder tauchten die leichten Falten an den Seiten der Augen auf. „Passt schon Dirndel, dies ist ja dein volles Recht. Aber nun zu deiner Frage, wer kann es heute schon sagen, wer er war. Aber unsere Geschichte beginnt, als einst ein junger Mann beschloss, seinen Mut zu beweisen und den Wassermann zu fangen.“ Sofia zog die Augenbrauen leicht zusammen. „Das ist aber gemein.“, murmelte sie dann schließlich, schon mutiger geworden ihre Meinung kund zu tun. „Warum wollte er so was überhaupt das tun?“ Der Hausherr zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich um jugendlichen Übermut zu beweisen, wer kann das heute noch wissen. Aber er musste schnell feststellen, dass ihn diese selbstauferlegte Aufgabe Geduld von ihm erforderte, denn der Wassermann war überaus scheu und flink. Legte sich der Jungspund auf die Lauer und wollte den Wassermann packen, als dieser sich wieder in der Sonne wärmte, so glitt der Wassermann schnell zurück ins dunkle Wasser, ohne dass ihn der junge Mann zu fassen bekam. So dachte sich dieser eine List aus. Er legte regelmäßig Essen und Trinken aus, um den Wassermann aus seiner Grotte raus zu locken. In den ersten Tagen schien es, als würde der Wassermann, jegliche menschliche Speiße und Trank ablehnen, aber mit der Zeit fand er zum größten Wohlfallen des Burschen großen gefallen dran. Doch er schlug nicht gleich zu, sondern wartete lieber ab. An einem warmen Nachmittag, als der Wassermann träge und leicht betrunken im Gras vor der Grotte lag, sah der Junge seine Chancen gekommen.“ Sofia rückte ihr Kopfkissen zurecht und hatte ein ganz übles Gefühl bei der Sache. Auch wenn sie die Beweggründe des Protagonisten nicht guthieß, so wurde sie immer neugieriger, wie es wohl weitergehen würde. „Er nahm einen alten Mantel und schmierte ihn mit Teer ein. Dann schlich er auf den dösenden Wassermann zu und im Moment, wo sich dieser verzweifelt aufraffen wollte, warf er den Mantel über das Wassergeschöpf, welches dadurch hemmungslos verklebte und nun vom jungen Mann gefesselt werden konnte.“ Leicht verärgert knautschte das braunhaarige Mädchen sein Kissen unter sich zusammen. Wie gemein, doch sie sparte sich eine Bemerkung und sah erwartungsvoll zu ihrem Gastgeber, darauf bedacht durch ihre Ungeduld nicht etwas zu verpassen. „Zuerst fluchte der Wassermann unaufhörlich und verdammte den Blonden.“ Ihr wäre es beinahe entgangen, doch dann fragte sie sich warum auf einmal die Haarfarbe des jungen Mannes erwähnt wurde? Ihr Erzähler sprach indes einfach weiter und wirkte plötzlich so in sich gekehrt, als würde sich die Szene direkt vor seinen Augen abspielen, wobei er sie nur zu beschreiben bräuchte. „Als der Wassermann bemerkte, dass die Fesseln zu streng saßen, als das er sich von ihnen befreien konnte und der Bursche ihn Richtung Tal zerren wollte, hörte er augenblicklich auf zu fluchen. Wo böse Worte nicht geholfen hatten, versuchte er es nun mit Bitten und Betteln, denn er wollte unter keinen Umständen seine Höhle verlassen. Da sah ihn der junge Mann keck an, und fragte: „Was ist dir deine Freiheit denn wert?“ Der Wassermann überlegte nicht lange und sprach: „ Du kannst wählen zwischen einen Herz aus Gold für ein Jahr, einem Stab aus Silber für zehn Jahre oder einen Hut aus Eisen für immer“.“ Sofia runzelte die Stirn und dachte über diese Worte nach. Sollte sie dies wortwörtlich verstehen oder waren dies nur Wortspiele und der Wassermann trieb zu Rache nur ein Spiel mit seinem Peiniger. Während sie über dem Angebot des Sagenwesens brütete, blühte ihr Gegenüber in der Rolle des Erzählers erst richtig auf. „Erst überlegte der junge Mann lange, doch dann kam er zu einem folgenschweren Schluss. „Das Herz aus Gold, mag vielleicht wertvoll sein, aber sein Wert wird vermindert, wenn es nur ein Jahr währt. Vom silbernen Stab, werden meine Kinder nichts mehr haben. Darum wähle ich den Eisenhut für immer.“ Der Wassermann war erstaunt über den Glanz in den violetten Augen bei dem Aussprechen dieser Worte, aber er fragte nicht weiter, sondern hielt den Jungen seine gefesselten Hände hin. Der junge Mann hielt sein Wort und löste kurzerhand diese. „Du hast weise ausgesucht.“, sprach der Wassermann und streckte den Arm aus, wobei er auf einen Berg deutete. „Seht dort, das ist dein Eisenhut, den du gewählt hast. Verwende ihn weise und er wird dir wie auch deiner Kinder Glück und Segen bringen.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da hechtete er wieder zu seiner Grotte. Doch bevor er in den Tiefen des Wassers verschwand, drehte sich der Wassermann ein letztes Mal um.“ Gebannt verfolgte die Monarchie jede Regung im Gesicht des Mannes. Es war faszinierend, wie sehr er sich in der Rolle des Wassermannes einfand. Jede Geste, jede Tonlage, und jede Mimik fanden perfekt zueinander und ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden, hatte sie verzaubert der Geschichte gelauscht, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Da hielt er plötzlich inne und sah sie mit seinen tiefen Augen an. Langsam beugte er sich vor, so als wollte er ihr ein Geheimnis zuraunen. „Doch nach dem Besten hast du nicht gefragt..,“, flüsterte er dann leise aber verständlich, wobei eine Spur von Häme in der Stimme lag. „Um den Karfunkelstein und die Kreuze in der Nuss.“ Sofia runzelte die Stirn über eine solche Aussage. Der Hausherr ließ sich wieder zurück in die Polsterung sinken und betrachtete versonnen das Lichtspiel an der Decke. Das Mädchen merkte indes, wie die Unruhe in ihr wuchs. „Und dann?“, traute sie sich zu fragen, als die Künstlerpause ihrem Geschmack nach zu lang gedauert hatte, begierig das Ende zu erfahren. Sein Blick wanderte wieder zurück zu ihr, und sie hatte den Eindruck, ihn aus seinen Gedanken gerissen zu haben. „Ach ja, verzeih mir, Mädel. Ich war kurz wo anders. Nun ja, damit verschwand der Wassermann aus dem Bewusstsein der Menschen.“ Sofia legte den Kopf leicht schief. Was war das bitte schön für ein übereiltes Ende, fragte sie sich schweigsam. „Und was ist mit dem jungen Mann? Wurde er glücklich mit seinem Berg?“ Die dunklen Augen bekamen etwas Schelmisches und auch der Backenbart hob sich ein wenig. „Oh ja, er wurde glücklich und über Jahrhunderte brachte der Berg Segen über seine Kinder.“ Da fiel bei Sofia der Groschen, welcher Berg mit dem Eisenhut gemeint war. „Es ist der Erzberg, den der Wassermann dem jungen Mann geschenkt hatte, oder?“ Anerkennend nickte er ihr zu. „Du hast es verstanden, Mädchen. Ja, einst hatte er den Erzberg gemeint.“ Mit ihren dünnen Armen stützte sich Sofia leicht auf und suchte den Blick des anderen. „Und der Wassermann hat ihm nie nachgetragen, dass er ihn erpresst hat?“ Wieder hatte sie das Gefühl, als wäre der Mann über ihre Frage amüsiert. „Nun dann sage ich dir was, was die wenigsten wissen.“ Verschwörerisch beugte er sich abermals zu ihr. „Eine verlässliche Quelle hat mir zugetragen, dass der Wassermann von der Ferne aus das Glück des Burschen beobachtet hatte und sich schlussendlich mit ihm versöhnte, sodass sie immer eine gute Beziehung zu einander hatten.“ Erstaunt blickte Sofia ihn an, doch dann ließ sie sich wieder zurück in die Kissen sinken. Es kam ihr so vor als hätte sie irgendwas Wichtiges übersehen und auch nicht zur Ansprache gebracht. Noch mal ging sie im Geiste die erst kürzlich gehörte Erzählung durch und dann fiel es ihr auf. „Sie sagten doch der blonde Mann hatte violette Augen?“ Irrte sie sich oder fühlte sich der Mann ertappt, denn überrascht musterten sie die dunklen Augen. Bestätigt formten sich sogleich weitere Vermutungen in ihrem Geiste, die sie nur schwerlich für sich behalten konnte. „Heißt das, der Mann war einer der unseren?“ Wieder blitzte etwas unter den dicken Augenbrauen auf, ohne das es Sofia richtig deuten konnte. „Wie kommst du darauf, Mädi?“ Unbehagen schwang in der Stimme mit und die junge Nation hatte irgendwie das Gefühl, dass sie auf der richtigen Fährte war. „Nun ja, ich habe bei normalen Menschen noch nie violette Augen gesehen, aber bei den unseren gibt es sehr viele die diese Augenfarbe haben.“ Nur für eine Sekunde behielt sie die Idee für sich, die ihr durch den Kopf geisterte. „Kann es sein das ich noch einen Onkel habe den ich nicht kenne?“ „Du kennst doch schon alle Anverwandte deines Vaters…“, murmelte er leise, ließ aber keine Zweifel, dass für ihn das Thema damit abgeschlossen war, was Sofia als Ungerechtigkeit empfand, wurde sie mit ihren Vermutungen allein gelassen. Doch als er wieder sein Buch in die Hand nahm, verstand sie, dass es Zeit wurde, wieder zurück ins Bett zu gleiten. Die Kerze, welche immer noch auf dem Nachtkästchen stand, warf unablässig Schatten an die Wand und langsam übermannte sie immer mehr die Müdigkeit, ohne dass der Schlaf ihr einen weiteren Gedanken zuließen. „Styria, Liebes, schenke uns noch ein Stamperl von deinen herrlichen Wahlnussschnaps ein.“ „Agnes meinst du nicht dass es genug ist für heute.“, fragte die Steierin leicht misstrauisch nach, während sie ihre Karten von Salvatria annahm. „Für ein Stamperl ist es nie zu spät.“, feixte die Tirolerin gut gelaunt zurück und nahm ihrer Seits die ihr angebotenen Karten an. Kaum hatte sie jedoch einen Blick in ihre Karten geworfen, fror ihr Lachen augenblicklich ein. „Verdammt noch mal, Salzprinzessin, was gibst du mir für einen Sch…“ „Zügle deine Zunge, Riesenbalg.“, fauchte sie Salzburg sogleich an, doch bevor der Konflikt weiter eskalierte, mischte sich Kärnten ein. Mit einem mehr als eindeutigen Blick brachte sie beide zum Schweigen und ordnete angespannt ihre Karten. „Zwanzig, weiter.“ Styria, welche die nächste war, überflog kurz ihr Deck. „Weiter.“ Die beiden anderen taten es ihr gleich und verzichteten auf weitere Ansagen, wobei beide hofften, in dieser Runde nicht mit dem anderen ein Team bilden zu müssen. „Sie ist ein niedliches Mädchen, oder?“, versuchte Hedwig ein wenig mehr Gespräch aufkommen zu lassen, um die angespannten Stimmung ein wenig zu dämpfen. Katharina jedoch stieg nicht in das Gespräch ein und legte stattdessen eine Dame auf Steiermarks König. Ihre nördliche Nachbarin hingegen sortierte erst nochmal ihre Karten bevor sie sich entschied, die wertloseste Karte in diesem Spiel zu legen, die farblich passende Glatze, auf die vorhergegangenen zu legen. „Ja, schon, aber ich würde erst mal warten, wie sich die Situation entwickelt. Ihr wisst doch wie unbeständig das politische Wetter ist.“, erwiderte sie mit einem Schulterzucken und nahm unberührt zur Kenntnis, dass ihre tirolerische Tischnachbarin eben dabei war, die haarlose, halbe Monarchie mit einer niedrigen Tarock abzustechen. „Außerdem schirmt Richi sie einfach zu sehr ab.“, meldete sich dann diese auch noch zu Wort, als sie den Stich an sich nahm. „Sie wird zu sehr vor der Welt da draußen geschützt. Ich mein, wenn ich sie mit uns einst vergleiche…“ „Du kannst sie schwer mit uns vergleichen, Agnes.“, fiel ihr Hedwig ins Wort. „Wir sind zu anderen Zeiten aufgewachsen und unter völlig anderen Umständen. Außerdem gibst du aus.“ „Dennoch… ich mein, selbst unsere Salzprinzessin war in dem körperlichen Alter bei weitem nicht mehr so naiv.“ „Soll ich das als Kompliment verstehen?“ „Nimm es als Wink wahr, dass du dich schon sehr früh zu einem hinterhältigen Biest entwickelt hast.“ „Salva, setze dich wieder hin.“, unterband Kärnten sogleich die wieder aufkommende Unruhe an dem Spieltisch. „Es steht uns nicht zu, Roderichs Erziehungsmethoden zu kritisieren. Alles was uns zu tun bleibt, ist, ihn und Sofia in jegliche Belange zu unterstützen.“ „Trotzdem, ich sage euch, wenn er das Mädchen weiterhin so sehr von der Realität fern hält, wird das Erwachen grausig sein. Ich habe kein gutes Gefühl bei der ganzen Geschichte, es gab einfach zu viele Verlierer mit diesem politischen Schachzug.“ Ein Schweigen breitete sich nach dem Abklingen der Worte der Salzburgerin am Tisch aus und leicht betreten fertigten sie diese Runde, ohne weiterhin das Gespräch zu vertiefen, ab. Hedwig räumte, nachdem ihre Schwestern ins Bett gegangen waren, die Karten, wie auch die leeren Schnapsgläser weg. Agnes war mehr gewankt als schlaftrunken nach vorne gestolpert und Katharina hatte sie stützen müssen. Versonnen lächelte die Steierin, auch wenn sie sicher war, dass die erste leidenschaftliche Liebe zwischen den beiden erloschen war, so sprachen die zärtlichen Gesten, die beide noch immer austauschten, eine eindeutige Sprache. Genüsslich streckte sie sich und ließ kurz ihre Gelenke knacken. Selbst wenn sie ihre Geschwister sehr liebte, so freute sie sich auf die Zeit, in der wieder Ruhe in ihrem Haus einkehren würde und sie ihr sehr beschauliches Leben mit dem Mann, der inzwischen ihren Alltag teilte, weiterführen konnte. Wenn sie so rückblickend drüber nachdachte, wunderte sie sich selbst, wie lange ihre Beziehung nun hielt. Dabei hatte sie einst ziemlich temperamentvoll begonnen und war alles andre als harmonisch gewesen. Doch sie hatten sich mit der Zeit eingespielt und so, wie sie einst seine Bekanntschaft höchst ruppig gemacht hatte, so hatte er die Geduld bewiesen, sehr sanft und einfühlsam um sie zu werben. Da sie weiterhin in ihren Gedanken völlig der Vergangenheit nachhing, kam es für sie erschreckend plötzlich, als sich zwei Arme von hinten um sie schlangen. Doch der Schreck war schnell verklungen, als sie sich gewahr wurde, wer da hinter ihr stand. „Heute sind wir ja völlig anschmiegsam.“, witzelte sie sanft, in einem Ton, aus dem eindeutig hervor ging, dass die Spötterei nicht ernst gemeint war. Der Druck um ihre Hüfte wurde stärker. „Ich wünschte, es wäre schon der Tag, wo deine Schwestern abgereist sind. Wir haben da einiges nachzuholen.“, gurrte es an ihrem Ohr und mit Wohlwollen spürte sie die kühle Haut an der ihrigen. Dennoch schob sie bestimmt ihre Finger zwischen die glatten Händen und ihren Körper. „Was ist mit dem Kind?“ „Schläft wie ein Sack Hufnägel. Mach dir um die keine Sorgen, mein Dirndl.“ Mit der Situation schon versöhnlicher gestimmt, ließ sie sich gegen die massigen Schultern fallen. Starke Arme fingen sie auf und noch einmal überkamen sie Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Leise lachte sie amüsiert und war sich des fragenden Blickes der pechschwarzen Augen nur allzu bewusst. Sie wusste, dass er von ihr eine Antwort erwartete. „Weißt du, ich habe mich nur daran zurückerinnert, wie das mit uns beiden begonnen hat.“ Amüsiert drehte sie sich zu ihm um und selbst durch den dichten Bart hindurch vermeinte sie ihn lächeln zu sehen, während sie aber auch gleichzeitig bemerkte, das etwas gespielt vorwurfsvolles in seinen Augen lag. „Also wirklich, Mädi. Mich einst zuerst besoffen zu machen und dann mit einem Teermantel einzufangen ist nicht eben die feine Art, die man sich von einer Dame oder selbst von einer Bauerngöre erwarten darf.“, tadelte er sie in einem vorwurfsvollen Ton, wobei er zärtlich seine bärtige Wange an die ihrige schmiegte. „Dass du mir das noch immer vorhältst, mein Lieber. Ich war halt ein neugieriges Ding und forderte außerdem gewissermaßen das Erbe meiner Mutter ein. Vergiss das nicht.“ Belustigt schob er sie weg von sich, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. Kurz überrascht warf sie ihm dann aber einen enttäuschten Blick zu. „Das Erbe deiner Mutter also…“ Behutsam tastete er mit seiner großen Hand nach den grünen Haarschleifen, welche die Enden der beiden blonden Zöpfe hinter dem Ohr festhielten. Sanft fielen diese der Steierin auf die Schulter. Neugierig verfolgte diese seine nächsten Handgriffe, mit denen er die Zöpfe auflöste und das dichte, helle Haar auf den nicht eben schmalen Schultern drapierte. Für eine kurze Weile betrachtete er das Bild, welches sich ihm bot, während etwas Tiefes und schlecht Ergründbares in den violetten Augen seiner Liebsten funkelte. „Selbst mit offenen Haaren ähnelst du Noreia wenig, wenn man mal von deinen bezauberten Augen absieht.“ Sie wollte eben was einwenden, da legte er ihr seinen Zeigefinger an die Lippen und sprach einfach weiter. „Aber wer dich jemals am Amboss erlebt hat, kann nicht verneinen, dass du Noricums Kind bist. Im Wesen bist du ihr näher als irgendeiner deiner Geschwister.“ „Du hast sie gut gekannt, nicht wahr?“, flüsterte sie dann leise, als er begonnen hatte, liebevoll mit dem Daumen über ihre Wangen zu streichen. „Nun drücken wir es so aus, wir sind uns öfters begegnet. Erinnere dich, dass sie einst aus dem alten Volke gekommen ist, dem auch ich angehöre.“ Mit einem Schritt überbrückte sie die vorhin entstandene Distanz und schmiegte sich in seine Arme, welcher er nur allzu bereitwillig um sie schlang. Später konnte sie nicht sagen, wie lange das Schweigen angehalten hatte, aber sie war sich sicher, dass eine gefühlte Ewigkeit vergangen war, bis sie wieder zu sprechen begann. „Sag hast du es jemals bereut, dass du dich auf mich eingelassen hast, nachdem was ich dir angetan habe?“ Erstaunt hob er eine seiner buschigen Augenbraue und sah auf den blonden Haarschopf herab. „Nein… an so was darfst du nicht denken, mein Mädi. Ich war mir sehr wohl bewusst, was ich von mir gab, als ich dich vor die Wahl gestellt habe.“ „Einen Eisenhut für die Ewigkeit…“, nuschelte Hedwig in seine Schulter, wobei ein sanftes Lächeln ihre Lippen zierte. „Und so soll es auch zwischen uns sein…“ flüsterte die Personifizierung des Erzberges noch, bevor er sie langsam aber sicher zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer dirigiert. ------------------------------------------- Kapitel 10: Flach II -------------------- Wütend stapfte Hagen die Stallgasse entlang. Einstweilen verlief einfach gar nichts nach seinen Vorstellung und dieser Zustand, gekoppelt mit der Tatsache, dass er sich eben in einem Krieg befand, spannte seine Nerven höchst ungesund an. Sicher, er war kein Neuling in diesem blutigen Spiel. Bei Gott, bei Weitem nicht… aber im Gegensatz zu seinem bleichen Bruder verabscheute er die Momente, in denen die Würfel noch nicht gefallen waren. Nein, er mochte vielleicht auf dem Schlachtfeld ein alter Veteran sein, aber der Nervenkitzel und das Bangen um den Erfolg konnten ihm getrost erspart bleiben. Beinahe kopflos rauschte er an den einzelnen Pferdeboxen vorbei, da fielen ihm noch in letzter Sekunde zwei Tiere auf, von denen er mit Bestimmtheit sagen konnte, dass sie nicht zu seinem Regiment gehörten. Beinahe ruckartig blieb er stehen und sah sich beide Pferde an. Mit jedem Augenblick, der verstrich, wurde er unruhiger, da eine böse Vorahnung seine Gedanken umschlich, wie der Wolf die Schafherde. Der kompakte Apfelschimmel sagte ihm zwar etwas durch sein typisches Exterieur, aber in diesem Punkt könnten ihn seine Erinnerungen trügen, aber als er das kleine, durchdrungene, sandfarbene Pferdchen eine Box daneben aus der Nähe betrachtete, wusste er, was die Anwesenheit der beiden für ihn und seine Nerven zu bedeuten hatte. Wie von der Tarantel gestochen rauschte er aus dem Stall und wurde im Hofe des Gebäudes zu seinem größten Bedauern fündig. -------------------------------- „Du bist spät dran.“, maßregelte Gilbert ihn mit einem Ton, bei dem es Roderich nur regelrecht juckte, dem Preußen sein Militärgehabe aus dem Leib zu prügeln. Aber er behielt seine gewalttätigen Fantasien für sich und antwortete nur betont kühl: „Schneller ging es nicht, mein Lieber… Du vergisst, dass ich auch noch mit anderem beschäftigt bin, als in Karls Namen dir auf den Schlachtfeld das Händchen zu halten.“ So wie der vorher angeschlagene Unterton ihn im Stolz getroffen hatte, so merkte er erfreut, dass seine schneidende Bemerkung ihn in ihrer Wirkung nicht enttäuschte. Die roten Augen blitzten ihn scharf an und mit Genugtuung beobachte der Österreicher, wie sein momentaner Verbündeter Ablenkung im Schreiben suchte. Roderich wusste nicht genau warum, aber aus irgendeinem Grund hatte er beinahe eine perverse Freude daran, sich mit dem bleichen Repräsentanten dieses nördlichen Streifen Pampa verbal zu zerfetzen, ohne dass einer von ihnen auch nur um eine Oktave höher die Stimme erhob. Vielmehr schien es sie beide zu befriedigen, mit Worten sich tiefe Wunden im Stolz zu versetzen, selbst jetzt, wo sie formal gesehen eigentlich Verbündete waren. „Gut, das heißt, du wirst hier bleiben?“, fragte ihn Gilbert, ohne vom Blatt aufzusehen, doch sein „Gast“ konnte genau sehen, dass sein Blick sich keinen Deut vom Absatz wegrührte. „Ich fürchte, Fortuna wird mich nicht so schnell von hier ziehen lassen.“ Roderich achtete im höchsten Maße darauf, heuchlerisch an den passenden Stellen das Bedauern zu akzentuieren. „Dann soll dir Hagen ein Quartier zukommen lassen.“, fertigte ihn Gilbert so schnell wie möglich ab, um eiligst sich dieser seltsamen Spannung zu entziehen, die den Raum, seitdem sie ihren ersten abschätzigen Blick ausgetauscht hatten, mit Knistern erfüllte. Er traute der Atmosphäre nicht und war sich nicht ganz im Reinen, wie er zu diesem braunhaarigen Schnösel aus dem Süden stehen sollte. „Und meine Begleitung? Liebster Gilbert, hast du auch an die gedacht?“ „Du bist mit Begleitung angereist?“ Für einen kurzen Augenblick entgleisten vor Überraschung Gilberts Gesichtszüge und im Schnelldurchlauf ging er alle möglichen Personen durch, die der Österreicher seines Wissens nach hätte mitnehmen können. „Wer? Doch nicht etwa Hedvika, oder?“ Roderich schüttelte sachte den Kopf, wobei er jedoch keine weiteren Anstalten machte, das Geheimnis zu lüften. „Eine deiner Schwestern?“ Ein sanftes Nicken. „Mhm, man könnte sie als solches bezeichnen.“ „Sag mir bitte nicht, dass du die mit dem unheimlichen Blick…“ Auf einen verwirrten Blick fiel dem preußischen Herzogtum eine andere Umschreibung ein. „Na, die Älteste…“ „Du meinst Katharina… aber nein, sie ist es nicht. Sie begleitet gerade Felicia nach Venedig.“ „Der Sonnenschein?“ „Hütet das Heim und geht meinen Pflichten nach, während ich hier bin.“ Und das in Gesellschaft dieses verdammten Wassermannes, komplettierte Roderich den Satz in Gedanken. „Warte Mal… wer bleibt da noch übrig… ne, Krain ist ein Mann…“ Hätte Roderich erstens das offene Gemüt Gilberts gehabt und - Gott behüte - dessen Erziehung genossen, so hätte er vor Schadenfreude begonnen zu grinsen, doch so begnügte er sich damit, dieses schamlose Lächeln unter seiner Maske zu halten, während dem Gastgeber die grauenvolle Erkenntnis langsam in seinen Gedankengängen einsickerte. Von der Spannung von vorhin war nichts mehr geblieben. „Nein… das hast du uns nicht angetan…“, hauchte er dann überrascht, das Entsetzen im Gesicht. „Hüte deine Zunge, Preuß.“, zischte ihn Roderich pflichtbewusst an, wobei er jedoch sehr wohl wusste, inwieweit die Befürchtungen des anderen berechtigt waren. Augenblicklich sprang Gilbert vom Tisch auf und hechtete aus dem Zimmer. Mit einem gelassenen Blick sah ihm Roderich hinterher und zog sich betont langsam die Handschuhe aus. Irgendwie sah er voraus, das bleiche Gesicht Gilberts im Türrahmen wiederzusehen und ihn anfauchen zu hören, er solle sich gefälligst beeilen, ihm zu folgen. Wie es aussah, würden sich die Angelegenheiten hier schneller regeln als es nötig war, denn sonst müssten das preußische Herzogtum und sein Bruder ihn und vor allem seine Begleitung länger ertragen. Offenbar hatte es wahrlich Vorteile, mit der temperamentvollen Grafschaft zu reisen. ------------------------------------------------ „Auf was hast du bitte gewartet…“, fauchte ihn Gilbert wie erwartet an, als sie flotten Schrittes hinunter in Richtung Hof waren. „… auf eine schriftliche Einladung etwa?“ „Ich hätte gedacht, das großartige Preußen würde doch mit einer Frau fertig.“, erwiderte Roderich kühl, auch wenn er sich selber eingestehen musste, dass er sich persönlich aufs Prächtigste amüsierte. Er hatte sein Vergnügen daran, das sonst so von sich eingenommene Herzogtum unter Stress zu versetzen. „Das ist kein Weib, Roddy… sondern…“ „Ich wiederhole mich nur ungern, Gilbert, aber hüte deine Zunge.“, unterbrach ihn der Österreicher spitz. „Außerdem übertreibst du wiedermal maßlos.“ Den fassungslosen Blick seines preußischen Pendants überging Roderich geflissentlich. Sie waren nicht einmal bis zur Hoftür angelangt, da hörten sie schon die lautstarken Streitereien. „Treib es nicht zu weit, Weib. Du vergisst offenbar, auf wessen Land du dich befindest.“ „Ach ja, und du, mein Lieber, vergisst offenbar, mit wem du es zu tun hast!“ „Noch ein Wort, Tirol, und ich hole meine Peitsche.“ „Wunderbar, dann kann ich dir wenigstens beibringen, wie man damit korrekt umgeht!“ Gilbert verlangsamte seinen Schritt und drehte sich mit offener verzweifelter Miene zu dem österreichischen Erzherzogtum um. Dieser jedoch zuckte nur unschuldig mit den Schultern. „Ich glaube, ich habe vergessen zu erwähnen, dass Agnes seit unserem Aufbruch von Innsbruck nicht gerade die beste Laune hat.“ Roderich wusste nur zu gut, wie gerne ihn nun der Preuße am liebsten erschlagen wollte. „Also würde ich dir und deinem Bruder raten, die Verhandlungen mit mir nicht allzu sehr aufzuschieben, denn ich fürchte, die eintönige Flachheit des hiesigen Landes schlägt ihr ein wenig aufs Gemüt.“ Der Klang eines dumpfen Schlages und das wüste Gefluche eines Brandenburgers ließ Roderich darauf schließen, dass auch Agnes nun ihre Argumente für einen kurzen Aufenthalt hier zu Sprache gebracht hatte. Betagelesen von KahoriFutunaka Kapitel 11: Wette ----------------- Wette: Leicht verwundert lugte Hannes zu Hagen, während dieser mit einem selten blöden Grinsen selig ins Nichts starrte. Doch als dem Brandenburger bewusst wurde, dass das Rascheln der Unterlage seines Nachbarn ausblieb, schaute er aufgeschreckt in seinen Gedanken zum Hessen. "Ist was?" Der erwartete harsche Ton blieb aus und nun wurde Hagen sich des Blickes, welcher an seiner Wange klebte, bewusst. "Ach, das...", nuschelte er schließlich amüsiert, während er mit den Fingerkuppen über die gerötete Wange strich. "Gilbert, Matthias und ich haben wiedermal gewettet." Leicht ungläubig hob Hannes eine Augenbraue, doch er musste seine Zweifel nicht offenlegen, da sprach Brandenburg einfach weiter. "Gut, ich gebe zu, dass wir nicht mehr ganz nüchtern waren, aber wenigstens kann ich jetzt im nüchternen Zustand behaupten, ich habe es durchgezogen." "Was durchgezogen?", hakte der Ältere nach, beschlich ihn jedoch eigentlich das Gefühl, er wollte es einfach nicht wissen. "Mhm, die anderen zwei haben dem Dritten immer ein Mädchen ausgesucht, wo sie behaupteten, er würde sich nicht trauen, die zu küssen." Beinahe stolz grinste ihn Hagen weiterhin dämlich an. "Und weiter?" "Mhm, Matt und Gil waren gnädig und haben nur gesagt, ich würde mich nicht trauen, Agnes zu küssen." Fassungslos blickte ihn Hannes an, was der Brandenburger belustigt zur Kenntnis nahm. "Glotz nicht so, es war ja nur ein oberflächiger Kuss, außerdem glaube ich sogar, dass er ihr nicht einmal so unrecht war." "Aber geschmiert hat sie dir trotzdem eine.", schlussfolgerte Hannes dann, als er abermals den roten Abdruck auf der Backe seines Tischnachbarn besah. "Irgendwo hat man ja doch seine Prinzipien und verglichen mit ihren Kopfnüssen war es beinahe eine Streicheleinheit." Während sein östlicher Kollege weiterhin so vergnüglich vor sich hin grinste, ging eine der Flügeltüren zum Konferenzzimmer auf und Gilbert rauschte mit einer höchst entnervten Miene in den Raum. Ohne seine übliche hämische Laune setzte er sich auf seinen üblichen Platz neben Schwaben und Franken. Der giftige Blickaustausch mit August jedoch entging dem Hessen nicht, wie auch die Verbände, welche unter der Kleidung hervorlugten und die Kratzer im Gesicht nicht zu übersehen waren. Verwundert stupste Hannes Brandenburg an. "Und was ist deinem Bruder passiert?" Der leicht ramponierte Zustand seines Anverwandten schien Hagen jedoch in keinster Weise zu beunruhigen. "Ach, der...", flüsterte er dann dem Älteren zu. "Matt und ich haben einfach nur gegen ihn gewettet, dass er sich niemals trauen würde, Salvatria die Lippen aufzudrücken." "Salzburg ist aber niemand, der jemand deswegen verprügeln würde." Das Grinsen auf dem bleichen Gesicht wurde breiter. "Die Salzprinzessin vielleicht nicht, aber August dagegen schon. Du weißt ja..." Unbewusst nickte Hannes. Auch ihm war der neuste Klatsch zu Ohren gekommen. Doch die roten feinen Linien passten für den Hessen nicht ins Bild einer einfachen Prügelei. "Aber Sachsen kratzt nicht, wenn er sich prügelt." "Das stimmt, aber er war ja auch der Zweite, der Gil zu fassen bekam." Unbekümmert zuckte Hagen mit den Schultern. "Rupert war halt schneller gewesen." Wieder nickte Hannes, während er nochmals die eben bekommen Informationen im Geiste durchging. Hagen hatte Agnes geküsst und war geohrfeigt worden. Gilbert hatte die Kühnheit besessen, der Repräsentantin von Salzburg zu nahe zu treten und hatte gleich darauf die Konsequenzen zu spüren bekommen. "Was ist mit Dänemark?" Die roten Augen blitzten amüsiert auf. "Nun, der hat Schleswig versucht zu verführen und verkriecht sich eben vor dem Zorn ihres Bruders." Kapitel 12: Bündel ------------------ 854 - Köln Misstrauisch sah Severin erneut das lebhafte Bündel vor sich an. Das Balg, welches lieblos in mehrere Lagen grobe Leinen gewickelt worden war, quietschte ihn mit solch einer guten Laune an, dass der Kölner bezweifelte, dass der Junge sich seiner alles anderen als heiteren Situation bewusst war. „Und was soll ich damit?“, fragte er dann leicht verwirrt den Boten, der das Kind wie ein unliebsames Paket vor ihm abgestellt hatte. „Was weiß ich denn…“, brummte der Mann, sichtlich wenig davon angetan, länger als nötig hier zu verweilen. „Euer Exzellenz, der Erzbischof von Köln, Hilduin, meinte, ich solle euch dieses Kind überbringen. Ihr wüsstet schon etwas damit anzufangen.“ Wieder sah Severin zweifelnd zum Grund ihrer Unterhaltung, welcher trotz seines Daumens im Mund ihn selig anlächelte, oder wenigstens die Mundwinkel nach oben zog. Auf jeden Fall sah es gut genährt aus. Die pausbäckigen Wangen waren rosig und wiesen leichte Lachfalten auf. Die dunkelbraunen Augen sahen vertrauensvoll zu ihm auf und erinnerten ihn an den treuherzigen Blick des alten Köters in der Küche des Erzbischofspalastes. Doch was sich in dieser Erscheinung mit fast allem biss, war die wirre Lockenmähne, die durch die rote Farbe wie ein Heiligenschein aus Feuer das kleine Köpfchen umrahmte. „Kann ich jetzt gehen?“ Ungeduldig trat der Übermittler des Kindes von einem Fuß auf den anderen. Doch Severin bedachte noch den Säugling mit einem langen Blick, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Mann widmete. Sein Herr hatte wahrlich Humor, wenn er ihm, selber noch ein Kind, die volle Verantwortung für einen jüngeren Zögling übertrug. Doch irgendetwas sagte ihm, dass diese halbe Portion kein sterbliches Kind war. „Woher habt Ihr dieses Kind?“, fragte er dann, als ihm ein Verdacht kam. „Wir haben es unter größten Schwierigkeiten aus Bremen hergebracht. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, welcher Wirbel um dieses Balg gemacht wird.“ Die dunklen Augen Severins weiteten sich, als er verstand, was es mit diesem Kind auf sich hatte. Bremen, natürlich… wie hatte ihm das entfallen können? Der Konflikt und sein Bauchgefühl hätten ihn von Anfang an zum richtigen Schluss führen müssen. Wortlos bückte sich Severin und nahm das Kleinkind in seine Arme. Es stellte sich als schwerer heraus, als es den Anschein auf den jungen Kölner gemacht hatte. Aufmerksam blickte ihn der Kleine an, und Erwartung legte sich auf die kindlichen Züge. „Du kannst gehen und hol dir deinen Lohn beim Schatzmeister ab.“, meinte Köln dann so bestimmt, wie es ein Junge im Alter von einem Jahrzehnt sein kann. Der Mann nickte und ging. Eine Weile lang betrachtete das junge kölnische Erzbistum den Knaben in seinen Armen. „Gaga.“, brabbelte es ausgelassen und grapschte übermütig nach den langen schwarzen Haaren. „Soso… du bist also das Doppelbistum Bremen-Hamburg.“ Nachdenklich ließ Severin den Blick über den Kreuzgang schweifen, wo ihn der Bote zum Überbringen des Kleinen abgefangen hatte. „Dann brauchst du wie jeder andere Repräsentant einen Namen.“ Der Kleine patschte unbeholfen in seine Hände und schmiegte sich müde an die knöcherne Brust des Erzbistums. Kurze Zeit später war es eingeschlafen und sabberte versonnen in die dunkle Kutte des Kölners. Der Kleine schien ein seliges Vertrauen zu haben und selbst im Schlaf erschien ihm das Kerlchen so unschuldig wie manche Abbildung des Jesuskindes. Unschuldig… Nein, in diesem Konflikt um die Wahrung der eigenen Macht war nichts unschuldig und doch…. Auch wenn dieses Balg in Zukunft der Repräsentant des Erzbistums Bremen war, so trug er keine Schuld an dem Streit, der wegen ihm entbrannt war. „Innozenz.“, flüsterte Severin seinem neuen Schützling ins Ohr und begab sich auf die Suche nach einer Person, die ihm helfen konnte, mit dieser neuen Herausforderung klar zu werden. Kapitel 13: Wimpern ------------------- Wimpern Frustriert betrachtete Sofia den Blumenkranz in ihren Händen und schielte ein wenig neidisch zu ihrer jüngsten Tante hinüber. Mit geübten Fingern flocht Adelheid ihren Kranz zu einem ebenmäßigen Kreis zusammen und sah lachend zu ihr auf. „Schau nicht so grantig, Sofia.“, kommentierte sie mit leichter Koketterie, welche sie nur an den Tag legte, wenn sie mit ihr zusammen alleine war, die Miene ihrer „Nichte“. Doch der wohlgemeinte Unterton brachte keine Aufhellung im jungen Gesicht des Mädchens und mit nicht gerade besserer Laune legte sie ihre Kette aus Gänseblümchen, welche streng genommen eigentlich ein Kranz sein sollte, zur Seite. Nicht nur ihr mangelndes Geschick, die zarten Blumen in einen halbwegs korrekten Kranz einzuflechten, frustrierte sie, nein, auch die Tatsache, dass sie ihren Sommer hier verbrachte, anstatt in Wien oder wenigstens in Bad Ischl, wo der Kaiser die heißeren Monate verbachte, trübte ihre Laune seit Tagen beträchtlich. Nicht, dass sie etwas gegen Vorarlberg hätte, schließlich war Adelheid, mit ihren Ländereien auch ein Teil von ihr, aber verdrängt zu sein vom Puls der Geschehnisse, nagte mehr an ihr, als sie zugeben wollte. Jetzt, wo sie doch auch körperlich älter wurde, verwehrte man ihr noch immer die Möglichkeit, endlich in das Spiel, welches ihre Mitnationen nun seit Jahrhunderten spielten, einzusteigen. Oder wenigstens bessere Einblicke zu bekommen. Es war einfach nicht gerecht, dass man sie hier am westlichen Rande ihres Reiches festhielt, während ihr Vater und ihre Mutter sich in Wien oder beziehungsweise in Bad Ischl um die wesentlichen Dinge kümmerten. Sie konnte sich nun lebhaft vorstellen, wie der junge Kronprinz sich fühlen musste, ständig von seinem Vater politisch gesehen an der kurzen Leine gehalten. Leicht wütend über ihre eigene Situation und spürend, wie Sehnsüchte nach Wien, Bad Ischl oder einfach nur nach Rudolph in ihr aufstiegen, merkte sie zu spät, wie ihr ein Blumenkranz auf den braunen Haarschopf gelegt wurde. Die leicht rostroten Augen ihrer Gastgeberin glitzerten verschwörerisch und gutgelaunt auf. „So, jetzt hast du selbst mit deinem Schlechtwettergesicht etwas Fröhliches.“ Die Stimme klang vergnügt und gutgelaunt ließ sich Vorarlberg in das grüne Meer der verschiedenen Wiesengräser zurücksinken. Sofia betrachtete lange die ausgestreckte Gestalt neben ihr. Adelheid sah, verglichen zu den anderen Nationen, ungewöhnlich jung aus. Das rotblonde, lange Haar verteilte sich wie ein schimmernder Heiligenschein um den Kopf der Nation und blitzte richtig schön im Glanz der Sonne. Die weichen Züge machten einen entspannten Eindruck und auch die Haltung verriet eine selbstsichere Ruhe, die Sofia von ihrer Tante nicht gewohnt war. Meistens übersah man Adelheid, machte sie sonst doch eher den Eindruck eines kleinen Mauerblümchens oder sie ging im Schatten ihrer Schwester Agnes unter. Doch hier, wo sie nur unter sich waren, blühte Adelheid wie eine der zahlriechen Almblumen um sie herum auf. Am Anfang hatte die junge Frau auch versucht, sich Sofia gegenüber wie eine Tante zu verhalten, doch je körperlich älter die junge Monarchie wurde, umso mehr wurde sie eine Freundin, wenn sie auch ein wenig älter war. „Sofia…“ Aufgeschreckt aus ihren Gedanken sah das Mädchen zu Adelheid, welche sich wieder aufgerichtet hatte und mit einem Finger auf ihre Wange deutete. „Du hast da eine Wimper.“ Behutsam beugte sich die Ältere vor und tupfte vorsichtig die bereits angezeigte Stelle in Sofias Gesicht ab. Mit einem Lächeln hielt Adelheid das kurze Haar auf ihrer Fingerkuppe hoch. Leicht verwirrt, was sie nun mit dieser machen sollte, suchte Sofia den Blick ihrer Tante. „Na, jetzt musst du dir etwas wünschen und sie dann wegpusten…“ Wortlos runzelte das junge Mädchen die Stirn und fragte sich, was das für ein Brauch sein sollte, doch sie wollte der anderen den Gefallen machen. Sie überlegte, was sie sich nun wünschen sollte. Vielleicht das nette rote Kleid, welches sie letztens in Bregenz gesehen hatte. Oder etwas weniger Profanes? Wie zum Beispiel, dass ihre Eltern sie auch endlich mit in ihre politischen Pläne einbanden? Schließlich ging es um ihr Land und ihr Schicksal. Doch dann stieg in ihrem Geist das Bild des Kronprinzen auf und sie wünschte sich, er könnte sie vielleicht diesen Sommer hier besuchen kommen. Seine Gesellschaft fehlte ihr, zudem sie ihn auch in Wien immer seltener zu Gesicht bekam. Ja, das war für den Augenblick, wenn die Luft sich des Wimpernhaares bemächtigen würde, ein guter Gedanke. Sie prustete und schneller als sie sehen konnte, war die Wimper vom Winde verweht. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sich Adelheid wieder zurück. „Du darfst mir aber nicht verraten, was du dir gewünscht hast, sonst ist die Chance dass es in Erfüllung geht, sehr gering.“ Plötzlich erklang ein leises Lachen und der Blick der rostroten Augen verlor sich in der Landschaft vor ihnen. Sofia legte leicht den Kopf schief, eine Angewohnheit, die sie nach der Meinung von Katharina, der Ältesten ihrer Tanten, nur von ihrem Vater geerbt haben konnte. „Das Wünschen mit der Wimper hat mir Agnes beigebracht. Manchmal, wenn ich eben keine Wimper von mir hatte, rupfte sie sich im Geheimen selber eine aus, um mir dann zu sagen, ich hätte wieder eine verloren und könnte mir nun etwas wünschen. Ich mochte dieses Spiel sehr.“ „Und sind dann Wünsche in Erfüllung gegangen?“ Ohne sie anzusehen, richtete sich Adelheid ein wenig auf und ließ ihren Blick zum Bodensee schweifen, der majestätisch unten am Fuße des Berges vor ihnen lag. „Manche ja, manche nein. Je nachdem, ob ich fest genug daran geglaubt habe oder nicht.“ Etwas Nachdenkliches, ja beinahe Sehnsuchtsvolles spiegelte sich in den Augen der Vorarlbergerin. „Und dein letzter Wunsch?“ „Ob ich fest genug daran geglaubt habe, wird sich erst in der Zukunft weisen.“ Den Blick zu der schweizerischen Grenze hinter dem sichtbaren Teil des Sees entging Sofia nicht und wieder wurde ihr bewusst, dass sie vieles über ihre Angehörigen durch ihr junges Alter nicht kannte. Kapitel 14: Jüngstes Kind von Österreich ---------------------------------------- Neusiedlersee - in den 1960ern Nachdenklich ließ Franziska den Blick über die nebelverhangene Landschaft schweifen. Die Luft war feucht und unangenehm kühl. Der November lag förmlich in der Luft und das Mädchen meinte sogar, ihn schmecken zu können. Das klapprige Fahrrad, welches sie von Ivan geschenkt bekommen hatte, so als könne er dadurch ihr Misstrauen ihm gegenüber nehmen, lag - eingebettet von hohen, grünen Stängeln - neben ihr. Leise und beinahe beruhigend ließ der Neusiedlersee das Wasser in Form von kleinen Wellen vor ihre Füße plätschern. Alle diese Eindrücke machten auf sie den Eindruck, als wäre sie Teil einer längst stillgelegten Welt. Sie war schon damals nicht mit dem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen, wie ihre viel ältere Schwester Salzburg und sie hatte auch kaum etwas eingebracht, auf dem man vernünftig etwas hätte errichten können, wie ihre andere ältere Schwester Steiermark. Alles, was sie hatte, waren flache Felder, ein paar grüne Hügel und der Neusiedlersee. Doch nun, wo sie an der Grenze der westlichen Welt lag, war sie vollends vergessen worden. Sie war schon einmal vergessen worden, kurz bevor der schreckliche Krieg ausgebrochen war. Kaum auf der Welt und schon wurde einem der Name gestrichen. Ein unangenehmer Schauer glitt ihren Rücken entlang, als sie an diese Zeit dachte. Doch nun war sie da und sie hatte nicht vor, noch einmal beinahe im Staub unterzugehen. Sie wollte leben und nicht im Vergessenen dahinvegetieren. Sie war doch noch so jung und hatte doch schon über ein halbes Menschenleben hinter sich. Kokett spielte der Wind mit dem tauverhangenen Netz ihrer Spinne, das verloren und verlassen zischen zwei Schilfrohren gespannt worden war. Langsam stand sie auf schüttelte die Kälte aus ihren Knochen. Mühsam versuchte die Morgensonne, sich einen Weg durch den nebelverschleierten Himmel zu bahnen. Sie stellte das Fahrrad wieder auf und blickte ein letztes Mal Richtung Süden, wo unsichtbar eine Grenze verlief, die den kompletten Globus in zwei politische Lager aufteilte. Eine Grenze, die sie an den Abgrund des politischen und wirtschaftlichen Vergessens drängte. Zögerlich strich einer der korngelben Strahlen über ihr schmutzblondes Haar und wärmte ihre durch die Kälte rot gewordenen Backen. „An Kraft und Treue allen gleich, du jüngstes Kind von Österreich“ Bitter dachte sie an diesen Satz ihrer eignen Hymne. Das jüngste Kind zu sein war eine undankbare Bürde, das hatte sie schon früh festgestellt und während Franziska das Fahrrad durch die Ufervegetation zog, meinte sie, die Nixen des Neuseiderlsees klagen zu hören. Kapitel 15: Ebenbürtige Rivalen ------------------------------- Unsicher schlich Rupert noch einmal um den gemütlichen Sessel herum. Auch wenn der hagere Zweibeiner sein Gesicht nicht gehoben hatte, so war sich der große Kater durchaus bewusst, dass die dunklen Augen ihn seit geraumer Zeit beobachteten, anstatt sich der Lektüre zu widmen. Rupert setzte sich nach dem Beenden der Runde majestätisch vor den Stuhl und bedachte den darin Sitzenden mit einem abfälligen Blick, der mit der gleichen Arroganz erwidert wurde. Es schien so, als würden sie beide es nicht schaffen, den jeweils anderen einzuschätzen. So starrten sie sich eine ganze weitere Weile an, während der Mann begann, ohne den Blickkontakt abzubrechen, seinen kurzen Ziegenbart nachdenklich zu zwirbeln. Plötzlich ging die Türe quietschend auf und beide, Tier wie Mensch, schreckten auf. Sanft und mit Anmut betrat Salvatria den Raum. Augenblicklich schmiegte sich Rupert an die Beine seiner Besitzerin und warf dabei dem Schwarzhaarigen einen überheblichen Blick zu. Dann schnurrte er noch einmal lautstark, bevor er ohne Hast aus dem Zimmer stolzierte. Die Salzburgerin schüttelte erstmals den Kopf über das Verhalten ihres haarigen Begleiters, bevor sie sich dem Repräsentant Kölns zuwandte. „Wir haben dich schon überall gesucht. Bonifatius möchte endlich mit der Konferenz beginnen.“ Die dunklen, kühlen Augen suchten ohne Scheu ihren Blick und wie immer tat sich Salzburg schwer, aus ihnen zu lesen. „Dein Kater mag mich nicht.“ In der Stimme schwang ein kaltes Desinteresse mit, so als würde er eine Tatsache in den Raum stellen und nicht mehr. Salvatria lachte leise aus. „Er mag keinen Mann, der meine Nähe sucht.“, erwiderte sie dann kokett. „Außerdem erkennt er sich zu Teilen in dir wieder. Das beunruhigt ihn.“ „Ich suche deine Nähe nicht.“ Nun war der Tonfall schneidend geworden, doch das freudlose Lächeln war auf den Lippen der Salzburgerin nicht verschwunden. „So hat mich also letzte Nacht ein Inkubus besucht.“ Hochmütig warf sie sich mit einer Kopfbewegung das braune Haar hinter die Schulter, doch in ihren Augen blitze es gefährlich. „Frevle nicht mit Worten, Schwester, und bedecke gefälligst keusch dein Haupt.“ Mit einer abwehrenden Handbewegung erhob sich Severin aus dem Sessel und legte den alten Folianten auf einem kleinen Tisch daneben ab. Doch als er an Salzburg vorbei gehen wollte, stellte sich diese ihm in den Weg. „Sag mir nicht, was ich zu tun habe, Köln. Glaub nicht, du wärst was Besseres, weil Rupert für einmal einem Mann etwas wie Respekt erweist. Diese Gnade hängt von ganz mir ab.“ Den Zorn, welcher ihm aus den violetten Augen entgegen schlug, nahm er mit verschlossener Miene zur Kenntnis. Drohend hob die Salzburgerin die Hand. „Und wenn du wieder bei mir auftauchst, weil die Lebenslust dich beinahe umbringt, so setzte diese Gunst nicht durch unbedachte Worte aufs Spiel.“ „Wenn Ihr meint, Fräulein Hall.“ Weder in Mimik noch in Gestik ließ er sich in die Gedanken schauen und mit diesen Worten ging er an ihr vorbei. Kaum waren seine Schritte im Gang verhallt, verkrampfte die Salzburgerin die Hände schmerzhaft zu Fäusten. Warum, fragte sie sich, ließ sie sich immer wieder von seiner unnahbaren Art kränken und verletzen? Kapitel 16: Aussreißerin ------------------------ April 1938 – Albarn (Friedhof der Namenlosen) „Franziska!“ Verzweifelt versuchte Roderich, etwas durch den strömenden Regen zu erkennen. Doch sein Ruf blieb unbeantwortet. Aus weiter Ferne konnte er seine Schwestern hören, wie diese nach dem Ausreißer riefen. Das Mädchen konnte auf ihren kleinen Beinchen nicht weit gekommen sein, sie war doch körperlich nicht älter als fünf Jahre. Abermals ließ er seinen Blick über die Straße wandern, während der Wind ihm ungnädig den Regenmantel aufbauschte. Er wollte sich eben umdrehen, da wurde er sich des offenen Friedhoftors bewusst. Verwundert runzelte er die Stirn. Nicht dass er sich fürchtete, dafür schlug sein Herz zu sehr nach dem Wiener Rhythmus, aber wenn er bedachte, welchen Friedhof er vor sich hatte, glitt ihm ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Dennoch betrat er kurze Zeit später die geweihte Erde und ließ den Schein seiner Taschenlampe über die Gräber gleiten. Oftmals waren es schmucklose Kreuze, welche wie vergessen in der Erde steckten. Ebenso vergessen wie die Toten, auf deren Gräber sie standen. Abermals musste Roderich schlucken. Dieser Friedhof unterschied sich wie kein anderer von den anderen Totenstätten seiner Stadt, denn hier ruhten die Gebeine der Namenlosen. Menschen, die der Donaufürst für sich beansprucht und dabei ihre Namen, ihre Identität und ihre Geschichte mit in die Dunkelheit das Vergessens gerissen hatte. Das hier war die letzte Station der Wasserleichen, die von der Donau an Land gespült worden waren. Der Friedhof der Namenlosen… Der Sturm, welcher die Nacht durchpeitschte, verlieh der ganzen Kulisse eine zusätzliche gruslige Note und verhinderte jeglichem Grablicht, selbst bei kleinster Flamme zu leuchten. „Franziska!“ Der Wind tobte um ihn herum und erschwerte ihm zu lauschen, doch da trug er ihm ebenfalls leises Schluchzen an sein Ohr. Hektisch drehte Roderich den Kopf, um sich nach dem verdächtigen Geräusch zu orientieren, da erblickte er bei einem der knorrigen Bäume zwischen den Gräbern eine Gestalt. Mit wenigen Schritten hechtete er zu ihr und erkannte sein ehemaliges jüngstes Bundesland. Was noch vor ein paar Monaten ein fröhliches Energiebündel gewesen war, kauerte nun als Häufchen Elend vor seinen Füßen. Besorgt kniete sich Roderich runter und versuchte die kuzen Ärmchen des Mädchens vom Gesicht wegzuziehen. „Franziska, Mädchen, was machst du nur hier? Warum bist du weggelaufen?“ Jeglicher Zorn über ihr Verschwinden war in dem Moment verraucht, als er in die vor Kummer aufgequollenen, grünen Augen blickte. Das ganze Kind war vom Scheitel bis zur Zehe völlig durchnässt. „Warum?“, fragte es bibbernd, wobei Roderich nicht sagen konnte, ob vor Kälte oder Kummer. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Sanft, um dem kleinen Geschöpf Sicherheit zu geben, fuhr er mit einer Hand durch das nasse, schmutzblonde Haar. „Psst, alles wird gut, meine Kleine.“ „Aber… aber sie haben mich gestrichen. Sie haben meinen Namen genommen.“, heulte Franziska plötzlich gegen den Sturm auf, um dann augenblicklich wieder in sich zusammen zu fallen. Besorgt und gleichzeitig ebenso unangenehm berührt schob Roderich seine Arme unter das Kind, um es aufzuheben. Ihre Worte hatten ihn an seine Situation erinnert und verängstigt fragte er sich, wann er wohl eine solche Krise durchleben würde. Die Ostmark beeilte sich, den Ort zu verlassen, unterstrich er auf unheimlichste Weise die Situation, in der sie sich beide befanden, wenn es auch für das ehemalige Burgenland bei weitem tragischer war. Friedhof der Namenlosen. Ja, Franziska war namenlos geworden und stand mit ihren jungen Jahren vor dem Nichts. Franziska hatte indes ihr kleines Köpfchen in seinen Mantel vergraben. „Bin ich eine Lüge, weil man mich nicht mehr will? Bin ich das Kind einer Lüge?“ Ohne auf diese Worte einzugehen, da sie einen schmerzvollen Bezug zu ihrer gemeinsamen Vergangenheit aufwies, versuchte Roderich, so schnell wie möglich zu seinen Schwestern zu gelangen, um dem Unwetter zu entkommen, die Ausreißerin fest in seinen Armen haltend. Kapitel 17: Ende und Neubeginn ------------------------------ Noriea->Norikum ----------------------------- Ende und Neubeginn - Ende des römischen Reiches - Cranuntum (Einst eine wichtige Stadt der römischen Provinz Norikum, seltsamer Weise seit dem Fall des römischen Reiches verlassen und nie mehr aufgebaut worden) Leichtfüßig schlich Noriea durch die verlassenen Gassen. Was einst vor Leben pulsiert hatte, war nun in Totenstarre verfallen und in Grau gehüllt schien es, als würde sie aus den vergessenen Ruinen der Gebäuden vorwurfsvolle Klagen wahrnehmen. Klagen, die an ihr und Ihresgleichen gerichtet waren. Es war ihr Ende… das wusste sie und gleichzeitig empfand sie seltsamerweise keinen Schmerz über ihren Untergang. Sie blieb stehen und kniete sich mit verwelkter Anmut hin. Ein junges Pflänzchen hatte sich vor ihr mit größter Anstrengung zwischen den Pflastersteinen aus dem Boden gebohrt und wäre beinahe von ihr zertreten worden. Zärtlich fuhr sie mit ihren Fingerspitzen die Oberfläche der grünen Blätter nach, wodurch das kleine Pflänzchen hin und her wiegte. Ein Lächeln formte sich auf ihre aufgesprungenen Lippen. Ihre Ära war zu einem Ende gekommen, dass konnte sie schwer leugnen und doch in diesem letzten verzweifelten Aufbäumen der alten Zeit, reifte nun ein neuer Abschnitt der Geschichte heran. Sie stand wieder auf und blickte sich mit siecherem Blick um. Es stimmte, sie konnte ihren Nachfolgern nur Ruinen und Schutt als Erbe hinterlassen, aber wenn sie jetzt ging, so ließ sie zwei junge Pflanzen hinter sich zurück, die mit den nächsten Jahrhunderten ihrerseits Wurzel schlagen werden. Kapitel 18: Flieg kleiner roter Adler - I - Die Findung ------------------------------------------------------- 1864 – In der Nähe von Bozen Müde suchte Agnes ihre Kammer auf. Der Tag war ihr mehr an die Substanz gegangen als sie es wahr haben wollte. Unter dem Schein einer Kerze zog sie ihr Dirndel aus, legte es säuberlich auf den Stuhl und schlupfte in ihr Nachthemd. Mit geschickten Fingern rollte sie ihre beiden dicken Zöpfe zu Schnecken auf und steckte sie sich am Kopf fest. Gedanklich machte sie sich eine Randnotiz, dass sie morgen unbedingt die Haare neu flechten musste, während sie die Ereignisse des Tages und besonders die Nachrichten aus den südlichen Teilen ihres Landes in Revue durchging. Es begann im Süden zu gären, das war ihr wohl bewusst und ärgerlich fragte sie sich, wie lange Roderich schweigen würde, bis er sie wegen Versäumnis, ihn genauestens über die Lage am Laufen zu halten, auf seine spezielle Art rügen wurde. Dabei hasste sie es, wenn er ihr mit spitzfindigen Worten und ohne das Kind beim Namen zu nennen ein schlechtes Gewissen einredete. Doch noch beherrschte eine angenehme Stille das Haus und abermals war Tirol froh, im Gegensatz zu anderen Repräsentanten einen doch recht kleinen Haushalt zu führen. Sie bevorzugte seit geraumer Zeit lieber dieses beschauliche Haus, eingebettet in der näheren Umgebung von Bozen, auch wenn sie die Sehnsucht nach Innsbruck öfters überfiel. Vielleicht sollte sie sich die nächsten Tage frei nehmen und nach Kärnten fahren. Es würde ihr sicher gut tun, einfach ein wenig bei Katharina Entspannung zu suchen. Sich mit ihr auszutauschen, oder besser gesagt ihren ganzen Frust von der Seele zu reden, während die Kärntnerin ihr schweigend einfach nur lauschte und - wenn es ein guter Tag war - ihr dabei die Haare kämmen würde, so wie in alten Zeiten. Manchmal ertappte Agnes sich selber dabei, wie sehr der Wunsch, diese alten Zeiten, als sie noch ein eigenständiges Land war und selber Herrin über ihre Gebiete, ohne dass ein Wasserkopf aus Wien oder sonst jemand vorstand, ihr Denken einnahm. Doch vor allem sehnte sie sich in diesen schwachen Momenten die Leidenschaft zurück, die Katharina und sie zu dieser Zeit geteilt hatten. Sicher, sie hatte sich auch später noch oft verliebt und geliebt, aber die erste Liebe blieb noch immer etwas Besonderes. Noch einmal reckte sich die Schwarzhaarige in alle Richtungen und nahm das Knacken ihrer Gelenke spürbar wahr. Sie blies die kleine Flamme aus und kroch flott unter die dicken Bettdecken. Selig, endlich zum angenehmen Teil des Abends zu kommen, um sich mit einer ordentlichen Portion Schlaf gegen den nächsten Tag mit seinen Tücken zu wappnen, wollte sie sich endlich ausstrecken, bis sie zu dem süßen Moment kam, wo sie der Schlaf übermannen würde, da stieß sie mit ihren kalten Füßen gegen etwas Warmes. Etwas, auch wenn sie noch nicht genau wusste, was es war, das nicht da sein sollte. Erstmals blieb sie wie erstarrt sitzen und wagte es nicht, sich zu rühren. Doch dann tastete sie abermals mit ihrem Fuß das Etwas ab. Es war eindeutig warm und zog sich nun offenbar leicht zurück. Es fühlte sich an wie Haut oder besser gesagt wie ein Bein… Augenblicklich war jegliche Müdigkeit aus ihren Gliedern gefahren und mit einer unguten Vorahnung, um was es sich handeln konnte, drehte sie sich zu der Kerze um, welche in ihrer Halterung am Nachtkasten stand. Geschwind zog sie aus der oberen Schublade eine kleine Packung Streichhölzer hervor und wenige Augenblicke später züngelte fröhlich eine neue Flamme am Ende der Kerze. Noch einmal atmete sie tief durch, bevor sie dann die Decke anhob. Scharf zog sie die Luft ein, als sie den kleinen zusammengerollten Jungen erblickte, der sie nun mit verschlafenen, goldenen Äugelein gegen den hellen Schein anblinzelte. Kapitel 19: Flieg kleiner roter Adler - II - Ein Name ----------------------------------------------------- Ein Name 1864 - Bozen „Noch einmal: Ich weiß wahrlich nicht, warum Agnes mich unbedingt jetzt nach Bozen zitiert.“ Genervt blickte Roderich weiterhin starr nach draußen, wo die Landschaft in unheimlicher Geschwindigkeit an ihnen vorbeizog, während Salvatria hörbar die Lippen schürzte und kaum den Anschein machte, das Thema fallen lassen zu wollen. Rupert lag zusammengerollt auf ihrem Schoß und schnurrte unablässig vor sich hin. „Das ist mir schon klar. Es verwundert mich dennoch ein wenig, auch wenn ein Telegramm mit ‚Schwing gefälligst deinen Arsch nach Bozen. Es ist dringend! Und tust du dies nicht, komme ich persönlich vorbei.‘ eindeutig ihre Handschrift trägt. Aber warum muss ich dich dann unbedingt zu dieser Furie begleiten?“ Forsch suchten die violetten Augen die ihres Bruders, aber dieser sah weiterhin stur aus dem Fenster. Nach einer Weile kam er zum Schluss, dass er die Salzburgerin nicht weiterhin ignorieren konnte, zudem der Kater aufgehört hatte selig am Schoß seiner Herrin zu verbleiben, sondern sich nun reckte, um Roderich ebenfalls einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. „Weil du ihre Nachbarin bist….“, antwortete er dann schlussendlich lasch und hoffte, damit endlich seine Ruhe zu bekommen. Dass seine Hoffnung enttäuscht wurde, sah er ab dem Augenblick, wo er aus den Augenwinkeln mitbekam, wie Salvatria erbost die Backen aufblies. Doch bevor sie dazu kam, irgendeine Antwort zu fauchen, fuhr der Zug mit den typischen quietschenden Bremsgeräuschen in den Bahnhof von Bozen ein. „Wir sollten aussteigen.“ Mit größerer Hast als nötig griff Roderich nach ihren beiden Koffern, während Salvatria mit Rupert im Arm aufstand und vor ihm raus auf den Gang schritt. ---------------- „Roderich… Salva… Yuhu!“ Übermütig winkte Adelheid über die Köpfe der Menge hinweg, auch wenn sie mit ihren rotblonden Haaren gut aus dieser herausstach. Mit wenig Mühe erreichten Roderich und Salvatria endlich die junge Frau, welche sie mit leicht rötlichen Wangen begrüßte. Erst dann wurde beiden die Anwesenheit der zwei anderen Personen bewusst, welche nur wenig weiter hinter der Vorarlbergerin standen. Agnes suchte unverzüglich den Blickkontakt zu Roderich und dem österreichischen Erzherzogtum wurde wiedermal bewusst, welch temperamentvolles Gemüt hinter den rostroten Augen lag. „Grüß Gott, Agnes.“, begann Roderich, doch runzelte solgleich die Stirn als er den kleinen Jungen sah, welcher scheu an der Hand der Tirolerin hing. Es war ein Knabe von vielleicht mal 4 Menschenjahren und verlegen drückte er sich stärker an den schwarzen Rock, wobei er mit seiner freien Hand ein wenig der roten Schürze vor sich zog, als könnte er sich dahinter verstecken. Er war in die typische Landeskleidung Tirols gesteckt worden, auch wenn Roderich eindeutig sehen konnte, dass die Kleidung nicht für ihn gemacht worden war. Dafür war sie ihm ein wenig zu groß. Das schwarze Wuschelhaar umrahmte leicht ungekämmt das kleine Köpfchen, welches schon in diesem jungen körperlichen Alter viel von einem rundlichen Kindergesicht verloren hatte. Dabei kringelte sich eine Strähne deutlich von den anderen ab und Roderich war sich sicher, dass er jemanden kannte, welcher ebenfalls eine solche Ringellocke besaß. Dabei kam er einfach nicht drauf, wer es war. Wenn man von der Locke absieht, so ähnelte er Agnes schon sehr stark, kam es Roderich plötzlich in den Sinn, als sein Blick zu den goldenen Augen glitt, die vielleicht wenig farblich mit denen der Tirolerin gemeint hatten, aber von der Form her und vom trotzigen Ausdruck, der in ihnen lag, deutlich auf eine Verwandtschaft hinwiesen. Vor dem geistigen Auge sah er wieder Bilder der Zeit, wo Theodor einen wahren Wildfang in sein Heim gebracht hatte, den zu zähmen er bis zuletzt nicht fähig gewesen war. Agnes war auch einst höchst dürr von Gestalt gewesen, mit dünnen Armen und ebenso dünnen Beinen. „Agnes…?“ Doch bevor er seine Verwunderung äußern konnte, wurde ihm höchst unhöflich von der Grafschaft das Wort abgeschnitten. „Nicht hier, und ja, das ist der Grund, warum ich dich hab herkommen lassen. Aber was anderes, Richi, was macht die hier?“ Unverhohlen nickte sie zu Salvatria, welche ihren herausfordernden Blick blasiert konterte. „Bitte, Agnes…“, versuchte Adelheid zu intervenieren, doch Roderich schritt unverzüglich ein, einen deftigen Familienstreit witternd. „Sie ist meine Begleitung, Fräulein Hütt, und darf ich dich erinnern, dass sie wie Adelheid und du Teil der Familie ist! Ich erwarte nicht, dass ihr jetzt die dicksten Freundinnen werdet, aber reißt euch wenigstens in der Öffentlichkeit soweit zusammen.“ Er konnte deutlich sehen, wie eisern Agnes die Zähne zusammen biss, während der kleine Junge, offenbar von jedem vergessen, sich immer mehr hinter der hochgewachsenen Gestalt der Tirolerin versteckte. Misstrauisch beäugte er jeden einzelnen von ihnen, bis ihn dann Agnes nach vorne zerrte und noch einmal einen letzten Blick Roderich zuwarf. „Wie gesagt, nicht hier… Gehen wir zu mir nach Hause.“ ------------------------------------------------------- „Du meinst, dieses Kind ist einer der Unsrigen?“ Roderich warf einen zweifelnden Blick in Richtung des Jungen, welcher am Boden mit Adelheid spielte. Er wusste nicht woher, aber offenbar hatte Agnes in den letzten Tagen ein paar Holzspielsachen zusammengeklaubt, welche nun der Junge mit sichtbarem Stolz abwechselnd der Vorarlbergerin und der Salzburgerin präsentierte. Mit Adelheid schien er schon vertraut zu sein, aber die Vorsicht Salvatria gegenüber legte sich erst allmählich gelegt, nachdem diese sich zu ihnen auf die hölzernen Dielen gesetzt hatte und mit einem zauberhaften Lächeln mit dem Jungen zu spielen begann. Von Rupert jedoch hatte sich der Bub wohlweislich fern gehalten, und auch der Kater zeigte wenig Interesse, mit ihm Bekanntschaft zu schließen. „Ich meine nicht nur, Richi. Ich habe es mir von den Saligen bestätigen lassen. Glaubst du etwa, ich war die letzten Tage untätig?“ Roderich runzelte die Stirn und wog die nächsten Worte genau ab. „Und was haben dir die wilden Frauen gesagt?“, fragte er dann zögerlich, achtend, jeglichen Zweifel in seiner Stimme auszublenden. Agnes reagierte selbst in solch modernen Zeiten höchst empfindlich, was die Angehörigen eines Volkes anging, welches eigentlich nur noch in Märchen und Sagen seinen Platz hatte. „Sie meinten, ich solle auf ihn Acht geben und ihn soweit auf seine Rolle vorbereiten.“ Entnervt drehte Agnes den Krug in ihren Händen hin und her, warf dabei regelmäßig einen Blick Richtung Kind, bevor sie sich wieder Roderich zuwandte. „Sie haben mir weder gesagt, was oder wen er repräsentiert, nur dass er eindeutig unser Gemeinschaft angehören soll. Blöde Weiber.“ Trotz der Überforderung gegenüber der Situation musste der Österreicher lächeln. Es geschah nicht oft, dass Agnes sich abfällig über die alten Vertreter äußerte. Doch so unerwartet das Lächeln gekommen war, so schnell verging ihm die Laune, als er sich bewusst wurde, was die Anwesenheit dieses Knaben bedeuten konnte. Repräsentanten tauchten nicht einfach so auf und ihr Erscheinen konnte Freude, wie auch Leid zugleich sein. Freude, wenn ein neues Land es geschafft hatte, sich zu behaupten. Leid für denjenigen, von dem es sich abspaltete und Trauer, wenn sein Wachsen das Ende eines anderen bedeutete. Mit Schaudern dachte Roderich an die Frau, welche er über Jahrzehnte Mutter genannt hatte. Norikum war nach einem Überfall der Bayern auf Katharinas slawisches Fürstentum verschwunden und hatte ihren Platz, den sie selbst nach dem Fall des römischen Imperiums, unter welchem sie Jahrhunderte lang Dienst getan hatte, innerhalb ihrer Gesellschaft gehabt hatte, ihm und seinen Schwestern überlassen. Scheu und sich versichernd, dass Agnes es nicht mitbekam, ließ er seinen Blick über die hagere Gestalt der Tirolerin schweifen. Erleichtert, keine äußerlichen Anzeichen für Schwäche an ihr ausfindig machen zu können, lehnte er sich zurück gegen die Holzlehne des Stuhles und nahm einen Schluck Bier. Agnes sah nicht wirklich aus als würde sie sich anderes fühlen als sonst. Wie kam er nur auf die Idee, Agnes wäre in Gefahr, von einem anderen verdrängt zu werden? Erstens hatte die Frau mehr Haare an den Zähnen als so mancher Mann auf der Brust und zweitens konnte er sich nicht vorstellen, dass die Zeiten so umbruchsreich waren, als dass sie Platz machen müsste. Dennoch, die Anwesenheit dieses Jungen hatte einen bitteren Beigeschmack. Plötzlich prustete Roderich, als ihm ein Geistesblitz kam, und erstickte dabei beinahe an seinem Bier. „Triento…“ Agnes, welche bis dahin dem Spiel des Kleinen zugesehen hatte, drehte sich ruckartig um und sah ihn verwirrt an. „Wie bitte?“ „Na, vielleicht ist er Triento… du weißt doch, das ehemalige Gebiet des Fürstbistums Trient.“ Nun sahen auch die drei anderen Anwesenden zu ihm, wenn auch der Junge der einzige war, welcher sich von diesem Ausbruch an Erkenntnis unbeeindruckt zeigte, und sich nach kurzer Zeit wieder dem Spiel mit seinem Kreisel zuwandte. Rupert schien von der Verwirrtheit, welche sich in den Gesichtern der anderen wiederspiegelte, ebenfalls unberührt zu bleiben und lag weiterhin auf dem alten Kachelofen, um zu dösen. „Richi, glaubst du wirklich, das Weltgeschehen macht sich nach mehr als einem halben Jahrhundert die Mühe, mir noch auf die Schnelle einen Vertreter zu schicken, nachdem ich seit Napoleon dieses Flecken mein Eigen nennen darf? Ich meine, ich stehe diesem Land seit dem zwölften Jahrhundert vor. Glaubst du nicht, dass es ein wenig spät sei für so etwas?“ Unwirsch wedelte die Hausherrin in Richtung des Knaben, welcher sich weiterhin mit seinem Kreisel beschäftigte, als ginge in das nichts an. „Nun ja, aber vielleicht…“, versuchte sich nun Salvatria ins Gespräch einzuschalten, doch Roderich schnitt ihr bestimmt das Wort ab, ahnend, worauf sie hinaus wollte und dieses Thema war wahrlich das letzte, was er nun ansprechen wollte. „Welche Sprachen spricht das Kind?“ Dem Ausdruck auf dem schmalen Gesicht der Tirolerin konnte Roderich entnehmen, dass auch Agnes auf eine ähnliche Vermutung gekommen war. „Keine Ahnung, er hat bis daher nie die Pappen aufgemacht.“ Eine seltsame Stille legte sich über dem Raum, nur unterbrochen von dem Klackern des Kreisels, wenn er aufhörte sich zu drehen und am Boden aufkam. Adelheid war die Erste, welche sich von ihrer Starre löste. „Repräsentant oder nicht, das Kind braucht auf jeden Fall einen Namen.“ Salvatria nickte und Roderich sah zu Agnes, welche die Stirn in Falten legte. Kurze Zeit später wurde sie sich der erhöhten Aufmerksamkeit auf ihrer Person bewusst. „Was ist denn?“, fauchte sie in das Zimmer, wobei selbst der namenlose Bub kurz sein Köpfchen hob. „Na, dir wurde die Verantwortung für ihn übertragen, also musst du ihm auch einen Namen geben…“ „Und warum nicht unser Wasserkopf, Salzprinzessin?“ Roderich überging wie immer galant die Beleidigung, welche ihm die tirolerische Grafschaft an den Kopf warf, und griff behutsam nach ihrer Hand. „Agnes bitte, mach es nicht schwerer als es ist. Du wirst dich in Zukunft um den Kleinen kümmern, schließlich…“ „Ich bin nicht seine Mutter.“, zischte sie ihm gefährlich zu, während sie ihm unwirsch die Hand aus seinen Fingern zog. „Damit das klar ist, wenn überhaupt bin ich für diese kleine Wanze die große Schwester.“ „So wie bei mir.“, intervenierte nun Adelheid und zog den kleinen Jungen zu sich, der sich bereitwillig gegen sie schmiegte und für kurze Zeit die goldenen Äugelein schloss. Mit einem theatralischen Seufzen erhob sich Tirol und ging auf Adelheid zu, welche nun den Knaben hin und her wiegte. Salvatria erhob sich und setzte sich neben Roderich an den Tisch. „Gut, ihr wollt also unbedingt, dass ich diesem Würmchen einen Namen gebe?“ Agnes stemmte die Hände in die knöchernen Hüften und betrachtete lange den Übeltäter ihres Zusammentreffens, der nun seine Augen wieder geöffnet hatte, um ohne Scheu den Blick der Tirolerin zu suchen. „Wetten, sie nennt ihn Andreas?“, flüsterte Salvatria ihrem Bruder ins Ohr. „Dann nenne ich dich nach zwei Männern meiner langen Geschichte.“ Roderich spürte, wie die Salzburgerin neben ihm feixte. „Andreas Meinhard Hütt.“ „Madre?“, gluckste nun der frisch benannte Hütt-Sprössling und hob seine kurzen Ärmchen nach der Älteren. „Nein, das ist nicht deine Mama, kleiner Andi. Sondern deine große Schwester.“, flüsterte ihm Adelheid zu, während Agnes erst nach langem Zögern sich hinabbeugte und sie alle, wofür Roderich ihr dankbar war, vor einer weiteren Szene verschonte. Dabei war ihr vom Gesicht her nur zu gut abzulesen, wie wenig sie von seiner ersten Äußerung hielt. Zudem seine ersten Worte Italienisch waren und auch dem Österreicher ein ungutes Gefühl in der Magengegend hinterließen. „Genau, deine ältere Schwester Agnes.“, nuschelte Agnes in Gedanken versunken. „Bist du sicher, dass du den Kleinen Andreas nennen willst?“, warf Salvatria ein und zuckte anschließend unter dem scharfen Blick der Tirolerin nicht zusammen, als sich diese mit dem Kind auf dem Arm zu ihr wandte. „Ich mein ja nur, erinnere dich doch, was mit dem letzten Andreas passierte…“ „Salvatria! Wühle nicht im Schlamm der Geschichte herum.“, ermahnte sie nun auch Roderich, der sich des Konfliktpotenzials um das Thema ‚Hofer‘ nur zu gut bewusst war. Schließlich hatte er an dessen Werdegang und vor allem auch Sturz einiges an Verantwortung zu tragen. Doch wider Erwarten blieb Anges gelassen und schenkte ihrer persönlichen Hassschwester nur einen kühlen Blick, ohne auf das Gesagte näher einzugehen. „Glaub mir, ich kenne auch die Schatten dieses armen Tors und sehe auch hinter den Helden, aber hier geht es mir nicht darum, dass sich der Kleine ihn als Vorbild nimmt.“ Mit einem Lächeln, welches nur dem Knaben galt, kniff sie dem kleinen Andreas Meinhard in die Wange. „Wenn er wirklich mit mir was zu tun hat, wird er seinen Weg auch ohne ein verklärtes Vorbild bestreiten. Und komm gar nicht auf die Idee, ihn wegen seines zweiten Namens mit nach Salzburg zu nehmen, du altes Salzfass.“ Ihre Miene verhärtete sich, während Roderich Salvatria einen warnenden Blick zuwarf, um dem in der Luft liegenden Streit noch ein wenig Einhalt gebieten zu können. Abermals ließ Agnes ihren Blick über jeden von ihnen schweifen, bevor sie ihre Gedanken zu Ende darlegte. „Es geht mir nicht um den Träger des Namens, sondern um die Symbolkraft, die dieser Name in sich birgt.“ Ihre Stimme klang gefestigt und konnte dennoch Roderich nicht hinweg täuschen, dass Agnes sich nicht so selbstsicher fühlte, wie sie es vorgab. Kapitel 20: Flieg kleiner roter Adler - III - Gewitter ------------------------------------------------------ Gewitter Vorsichtig schlüpfte Andreas durch die halbverschlossene Tür. Die Gardinen waren nicht vor den Fenstern zugezogen worden und ein hell leuchtender Blitz jagte über den Nachhimmel, während der Sturm derart heulte, dass die Fenster in ihren Rahmen klapperten. Doch trotz des unheimlichen Tobens draußen, welches das an sich sonst stille Nachtleben im Haus auf bedenkliche Weise beeinflusste und den Jungen aus seinem Bettchen getrieben hatte, schien der Drache vor ihm in keinster Weise davon Notiz zu nehmen. Zögerlich beobachtete der kleine Schwarzschopf die langsamen Atembewegungen des Schemens vor ihm. Sollte er es wirklich riskieren und sie wecken? Was wenn ihn dann der Zorn für die Unverfrorenheit traf, dass er sie aus ihrem Schlaf gerissen hatte? Mit tapsigen Schritten näherte er sich dem Wesen, welches ihm noch mehr Respekt einflößte als das Unwetter im Dunkel der Nacht. Der Drache grunzte und durch einen Blitz konnte Andreas sehen, wie er sich umgedreht hatte. Instinktiv blieb er stehen und hielt angespannt den Atem an. Eine Weile vernahm er nur das Prasseln des Regens auf den Glasscheiben und das Heulen des Windes, doch als ein weiterer Blitz das Zimmer für wenige Sekunden erhellte, bemerkte er mit Schrecken, wie ihn die dunklen, roten Augen erfasst hatten und ihn musterten. Beinahe hätte sich der Knabe seinem Instinkt hingegeben, einfach umzudrehen und wegzurennen, jetzt, wo der Drache erwacht war, aber irgendetwas hielt ihn hier. Der Drache hob leicht den Kopf, bedachte ihn abermals kritisch, bis er dann mit einem Brummen zur Seite rutschte. Als der Junge immer noch keine Anstalten machte, auch nur einen Schritt in die gewünschte Richtung zu gehen, wandte sich der Blick des Drachen abermals zum Kleinen. „Jetzt komm schon. Ich müsste ein vollkommener Depp sein, um nicht zu erkennen, warum du hergekommen bist.“ Ein Blitz erfüllte noch einmal das Zimmer und das Grollen folgte nicht viel später, doch in dieser kurzen Zeit hatte Andreas die letzten Meter überbrückt und schlüpfte mit einem scheuen Blick unter die Decke, welche Agnes ihm hochhielt. Das liebevolle Lächeln entging dem Jungen und Agnes war dies nur mehr als recht. Kapitel 21: Flieg kleiner, roter Adler - IV - Eine neue Bekanntschaft --------------------------------------------------------------------- Eine neue Bekanntschaft „Und wie geht es dir mit Andreas?“, fragte Elisabeth höflich, während sie mit dem silbernen Löffel in der Porzellantasse rührte. Es war ein angenehm warmer Mainachmittag, insbesondere dann, wenn man in diesem herrlichen Garten vor einer alten Villa im Raum Innsbruck saß, mit Ausblick auf die Berge. „Er gedeiht prächtig.“, war die knappe Antwort der Gastgeberin, welche in ihrem Sonntagsdinderl vor ihnen saß und sie mit einem vorsichtigen Blick bedachte. „Du solltest langsam dennoch daran arbeiten, den Knaben auf das höfische Leben vorzubereiten. Spätestens in einem Jahr würde ich ihn gerne in Wien sehen.“ Die Direktheit in der Stimme des Österreichers räumten jegliche Zweifel hinweg, dass er keinen Widerspruch dulden würde, doch ebenso war klar, dass Agnes für solche Signale unempfindlich war. „Du hast mir gar nichts zu befehlen, Wasserkopf.“ Klirrend stellte sie das zarte Porzellan ab und musterte herausfordernd den anderen. „Du hast ihn mir einst anvertraut, also misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Außerdem, was soll mein Bub in Wien?“ „Weil du ihn hier großwerden lässt wie einen Bauernbengel…“ Schnell intervenierte Elisabeth, die schon sah, wie sich die Fronten verhärteten. „Weil wir gedacht hätten, Sofia hätte so einen Spielgefährten. Sie sind doch noch beide im gleichen körperlichen Alter und noch so unerfahren.“ Die Haltung der Tirolerin hatte sich durch ihre Worte entspannt, aber der Zorn funkelte weiterhin aus den roten Augen. „Mhm… das wäre eine Idee, es gibt nicht mehr viele junge Vertreter in unseren Zeiten und vor allem in unseren Breitengraden.“ Sie beugte sich vor. „Aber nun zu dir, Richi… ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist… ICH BIN EIN BAUERNLAND!“ Nachdem sie ihm die letzten Worte unmittelbar zugebrüllt hatte, ließ sie sich wieder zurück in den Gartenstuhl sinken. „Und er ist es auch, also sehe ich nicht ein, warum ich ihn wie eine Hofschranze erziehen sollte.“ „Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe, aber selbst du hast einst eine höfische Ausbildung genossen, Agnes. Auch wenn es leider allzu oft nicht den Anschein hat.“ Roderich stellte die Teetasse auf dem Tischchen ab und richtete sich die Brille, wie immer, wenn er seinen Missmut ausdrücken wollte. „Ermögliche ihm einfach die ordentliche Bildung eines Edelmannes. Mehr verlange ich nicht von dir. Ach übrigens, wo sind die Kinder?“ Elisabeth stellte ebenfalls die Tasse ab und strich behutsam über den Unterarm ihres Mannes. „Wir haben beide zusammen spielen geschickt, damit sie sich näher kennen lernen können. Hast du das etwa vergessen?“ „Ohne Aufsicht?“ Roderich hob erstaunt eine Braue, doch er bekam kaum Zeit, seine Zweifel dem Gegenüber auszudrücken, da schaltete sich Agnes wieder ein. „Hast du denn Angst, ein Lindwurm würde vorbei kommen und sie fressen, Richi? Es sind Kinder, verdammt noch mal, denen muss man die Möglichkeit geben, sich auszutollen und herum zu laufen.“ Das Erzherzogtum wollte eben Einwände erheben, da hörten sie, wie sich jemand mit weinerlicher Stimme näherte. Augenblicklich sprang Roderich auf, als er sah, wie seine Tochter mit verquollenen Augen auf sie zu gerannt kam, während hinter ihr Andreas mit betretenem Gesicht und flotten Schritten folgte. Mit einem Jammern warf sich das Mädchen Roderich in die Arme, während auch Elisabeth aufgestanden war. Agnes indes blieb sitzen und bedachte ihren Schützling mit einem forschen Blick. Andreas wand sich unwohl unter ihrem Blick, starrte starr auf den Boden und hielt die Hände hinter dem Rücken. „Was ist geschehen?“, fragte Roderich völlig verwundert und begutachtete sein Mädchen. Das einst blütenweise Kleid war nun stellenweise von schlammiger Farbe und zusätzlich auch noch nass. Die lockere Frisur der braunen Haare war völlig durcheinander, doch bis auf ein paar Schürfungen fehlte dem Kind nichts. „Der da… wollte unbedingt… am Fluss spielen.“ Unter zwei Schniefern zeigte Sofia auf den Jungen, der dem Blick der älteren Nationen immer noch auswich, als würde sein Blick stattdessen am Boden kleben. „Man kann mit ihr nirgendswohin zum Spielen…“, murmelte Andreas in seinen nicht vorhandenen Bart. „Zur Sache, Bub!“, fauchte ihn Roderich ungehalten an. „Ich habe gedacht, ich könnte ihr den Bach zeigen, nachdem sie nicht auf die Wiese zu den Kühen wollte und auch nicht zu den Schweindeln…“ Der Junge stockte und mehrere schwarze Haarsträhnen fielen ihm ins schmale Gesicht. „Und…“ Nun war es Agnes gewesen, welche das Wort ergriffen hatte, während sie sich würdevoll in ihrem Stuhl aufrichtete und den Kleinen mit einem strengen Blick bedachte. Eine kurze Pause trat ein, unterbrochen nur von dem immer leiser werdenden Schluchzen der jungen Monarchie. „Nun ja, es gibt an einer Stelle einen umgefallenen Baum. Ich bin schon tausendmal drüber gerannt und es ist nichts passiert, ich schwöre es bei der Mutter Gottes….“ „Komm zur Sache, Andi…“, schärfte ihm Agnes von ihrem Platz aus ein, mit einem Tonfall, der weitere Sprechpausen nicht in Betracht zog. „Ich wollte… da nicht drüber… aber er wollte… es unbedingt…“, nuschelte Sofia in den Mantel ihres Vaters, während ihre Tränen immer mehr versiegten. „Nun ja, beim Rübergehen hat sie sich vor einer Kröte erschreckt, ist dann ausgerutscht und in den Bach gefallen…“, beendete der Junge vorsichtig die Schilderung. Roderich wollte schon daraufhin zu einer Standpauke ansetzen, die sowohl an ihn, wie auch an Agnes gehen sollte, doch ein Seufzen hinter seinem Rücken ließ ihn kurz innehalten. Agnes war aufgestanden, um die Gartengarnitur herum gegangen und stellte sich nun zwischen Roderich und Andreas. Eine Weile betrachten sie alle nur stumm, bis sie dem Jungen eine Kopfnuss verpasste. „Man behandelt Maderln mit Respekt und respektiert ihre Wünsche, Bur!“, schärfte sie ihm dabei ein und drehte sich dann zu Roderich, während der Junge mit gequältem Gesicht sich den Kopf rieb. „Und du solltest mir vielleicht mal Sofia für einen Sommer überlassen, bevor du sie völlig wie eine Prinzessin verziehst.“ Kapitel 22: Schifahren ---------------------- „Ohne mich, Agnes…“ „Jetzt sei keine Memme und steh deinen Mann.“ Misstrauisch beäugte Hagen das Gefälle, welches vom anderen Berg nicht so steil ausgesehen hatte, doch nun wo er oben angelangt war, schien die Sache ganz anderes zu sein. Nicht das der Brandenburger ein Feigling war. Bei weitem nicht, aber das hier fiel eindeutig in die Kategorie sinnloser Wagemut mit Endergebnis ein paar gebrochenen Knochen. Also etwas für Knalltüten wie sein Bruder aber nicht ihn. „Vergiss es, ich fahre die andere Piste runter.“ Bevor die Tirolerin auch nur etwas erwidern konnte, hatte Hagen sich ungeschickt auf seinen Schien umgedreht und fuhr gemächlich die leichtere Piste auf der Bergrückseite runter. Roderich erreichte kurze Zeit drauf Agnes, die fassungslos ihrem Gast aus Ostdeutschland hinterher sah. Elegant und mit ein wenig Schneegewehe hielt er an ihrer Seite. „Hast ihn nicht dazu überreden können, mit dir den Abhang zu fahren?“, fragte er und Agnes detektierte sofort den Spott dahinter. „Memme.“, fauchte Tirol und griff ungehalten nach den Stöcken. „Wollen wir?“ Roderich richtete sich nochmals seine Handschuhe. „Hast du nicht mal gesagt du würdest dich nur in einen Mann verlieben der auch gut im Schifahren ist?“ Agnes überging diese Aussage fast doch dann rastete diese in ihrem Kopf ein. „Ich bin in diesen Schwigel ned verknallt, Wasserkopf!“ Kapitel 23: Der Schlag ---------------------- 1888 – Wien „… ich mein, er wird immer seine Huren haben…“ „Ich hasse dich!“ Ein Klatschen erfüllte den Raum und die Wange, welche mit der filigranen Hand in Berührung gekommen war, begann zu brennen. Doch trotz des Schmerzes, welcher sich nun rasend schnell über die gereizte Haut ausbreitete, war das höhnische Grinsen keinen Millimeter gewichen. Ebenso wie der Spott immer noch in den goldenen Augen gefährlich glitzerte. Sofia hingegen traten schon die ersten Tränen in die Augenwinkel. Für einen Augenblick hielt sie die Hand, mit der sie die Ohrfeige ausgeteilt hatte, hoch und neben den Schmerz in ihrem Gesicht mischte sich eine weitere Emotion, Verwunderung. Verwunderung, dass ihr in einem solch unbedachten Moment die Hand entglitten war. „Wofür hasst du mich, liebste Cousine?“ Die Stimme klang süßlich, so als müsste er ein Kleinkind was fragen. Dennoch konnte die Monarchie den lauernden Unterton nicht ausblenden. „Dafür, dass ich die Wahrheit sage?“ Andreas musterte sie spöttisch, wobei er die dünnen Arme vor der Brust kreuzte. Sofia ließ die Hand sinken und ballte wütend die Fäuste. „Du hast kein Recht, so über den Kronprinz zu urteilen.“, zischte sie in einem scharfen Tonfall. Sie wollte instinktiv den jungen Mann noch warnend vor die schmale Brust tippen, doch erinnerte sich im letzten Augenblick an den Anstand, welcher ihr diese Geste verbot. „Und vergiss nicht, dass du hier von deinem künftigen Kaiser redest!“ Das Grinsen auf dem hageren Gesicht verschwand nur merklich, bekam jedoch immer fratzenhaftere Züge. Nur für einen kurzen Moment dachte Andreas über die Worte, welche ihm auf der Zunge lagen, nach, doch als ihm wieder in den Sinn kam, weshalb sie sich eben stritten, verließen sie ihn, ohne dass er sich dagegen wehrte. „Glaubst du wirklich, dass dieser Trauerkopf so lange noch am Leben bleibt, bis unsere allerliebste Majestät in der Kapuzinergruft einzieht? Weißt du nicht, wie verführerisch der Lauf einer Waffe für solch ein Gemüt ist?“ Für ein, zwei Sekunden herrschte schreckerstarrte Stille, in welcher sich die braunen Augen von Sofia ungläubig weiteten. In diesem kurzen Moment bereute der junge Tiroler die ausgesprochenen Worte, doch ebenso schnell siegte seine Sturheit über sein Gewissen. Der Schlag, den er eigentlich von oben erwartete, war dann die zweite Reaktion, die nun folgte. Ein gut platzierter Fußtritt gegen sein rechtes Schienbein ließ ihn genau für die wenigen Augenblicke die Deckung verlieren, in der er den Faustschlag, der nun auf sein Gesicht zielte, abblocken hätte können. Sein Kopf flog kurz zur Seite, während ein höllischer Schmerz ihm den Nasenrücken hinauf schoss. Er verlor das Gleichgewicht und fand sich nur wenig später auf dem Teppich des Salons wieder. Reflexartig hob Andreas mit krampfhaft zugekniffenen Augen die Hand zu seiner schmerzenden Nase. Gebrochen schien sie nicht zu sein, aber die Schmerzen waren die Hölle. Als er wieder aufschaute, schreckte er kurz innerlich zusammen. Die Aura, welche nun von Sofia ausging, erinnerte ihn an die Stimmung, welche einst Ungarn ausgestrahlt hatte, als sie letztens mit Böhmen aneinander geraten war. Es war einer dieser Ereignisse gewesen, wo Andreas klar geworden war, warum man einst die Magyaren gefürchtet hatte. „Ich hasse dich wirklich. Du bist so hinterhältig, so….“ Andreas sollte nie erfahren, was er noch alles war, denn bevor Sofia auch nur den Satz mit zornerstickter Stimme beendete, drehte sie sich mit Tränen auf den Wangen um und rauschte unter unterdrückten Schluchzen aus dem Salon. Die Türe fiel unter lautem Scheppern ins Schloss, bevor eine sterile Stille Besitz von dem Raum nahm. Einige Augenblicke lang starrte Andreas auf die goldenen Verzierungen der weißgestrichenen Türe, bevor er sich dann mit leisem Seufzer auf den Teppich zurückfallen ließ und dabei die Gliedmaßen ausstreckte. Die kokette Locke aus schwarzem Haar fiel ihm ins Gesicht und mit einem Prusten verwies er sie auf ihren Platz. Seine Nase pochte immer noch schmerzvoll, doch seine Gedanken lenkten ihn auf wunderbare Weise ab, auch wenn sie ebenso wenig erfreulich waren wie der Kummer, den er seiner Cousine bereitet hatte. Die Hilflosigkeit in den braunen Augen, kurz bevor sie sich von ihm abgewandt hatte, war nicht mehr aus seinem Gedächtnis wegzuwischen. Dabei wollte er sie nicht in diese emotionale Enge treiben, wollte ebenso wenig, dass die Traurigkeit sich in ihren Augen spiegelte und doch konnte er es nicht unterlassen zu sticheln, kaum bekam er ihre Bewunderung für den Kronprinzen mit. Wobei er selbst eingestehen musste, dass er heute wohl zu weit gegangen war. Er schnaubte leise aus und seine Stimmung kippte bedrohlich. Jeder klar denkende Mensch musste doch einsehen, dass dieser gebrochene Mann nie in der Lage sein würde, dieses Reich zu leiten. Dafür hatten sie ihn einfach schon zu früh zerstört. Dennoch, Sofia würde zu ihm halten, egal was kommen möge und eben diese Erkenntnis bereite Andreas ein Stechen in der Brust. War es das, was man Eifersucht nennen konnte? Bevor er sich weiter mit diesem Gedanken auseinander setzen konnte, wandte er sich doch lieber zu den Eindrücken, die ihm sein Zinken regelrecht zubrüllte. Vorsichtig rieb er sich über den Nasenrücken und wunderte sich immer noch, wie es dazu kam, dass sie nicht gebrochen war. Eines musste der Tiroler Sofia zugute halten: Schläge austeilen konnte sie. Kapitel 24: Frustkompensierung ------------------------------ Florenz - 1888 Vorsichtig zog Giovanni die Fingerkuppen über die knöchernen Schulter des Jungen. Andreas lag ausgestreckt quer über das große Bett und stierte stur auf den teppichbedeckten Boden, als hätte er im Muster des kostbaren Stoffes was entdeckt, das seine Aufmerksamkeit mit absoluter Gewissheit von seinem Liebhaber wegzog, während sich sein Atmen langsam beruhigte. Ein leichter Schweißfilm überzog den hageren Körper, der nur von einer dünnen Decke bedeckt war. Es war den Italiener bis heute noch nicht nachvollziehen geworden, dass der Junge jedes Mal, wenn ihr Treiben ein Ende fand sich bedecken musste, auch wenn Giovanni selber öfters betont hatte, er könnte ruhig auch nachher nackt neben ihm liegen. Er selber bedeckte ja schließlich auch nicht hektisch seine Blöße, kaum begann der Nebel aus seinem Verstand zu entschwinden. Außerdem war es nicht so, dass ihm der Körper des Jungen nicht gefiel, selbst wenn er sich eingestehen musste, dass dieser nicht unbedingt seinen exquisiten Geschmack traf. Mit einem selbstgefälligen Blick ließ Giovanni seine dunklen Augen über die dünnen Beine hin zum schmalen Becken, über die ebenso schmalen Schultern bis zum schwarzen Wuschelschopf schweifen, wobei er nur dessen Rückseite sehen konnte. Die körperliche Ähnlichkeit zur Vertreterin Agnes konnte nicht verleugnet werden, war auch dieses Miststück von eher hagerer, wenn nicht drahtiger Gestalt. Mit einem Seufzen ließ er vom Jungen ab und richtete seinen Körper wieder auf. Der Florentiner konnte nicht sagen, wie lange sie dieses Spielchen trieben. Kennen gelernt hatte er den Jungen, dessen körperliches Aussehen zwischen sechzehn und siebzehn Jahren geschätzt werden konnte, vor einigen Wintern bei einem der mehrmals im Jahr stattfindenden politischen Treffen, wobei diesmal Venedig die Gastgeberin gewesen war. Viele der Ihrigen hatten die Einladung angenommen und waren auch dann wirklich erschienen, doch das politische Klima, welches eben Europa vergiftete, hatte auch dieses Treffen in eine Nervenprobe verwandelt. Das Besondere jedoch an dieser Angelegenheit war gewesen, dass unter ihnen auch Verkörperungen anwesend gewesen waren, welche noch nicht lange ihre Rolle ausübten und sich in ihrer Gesellschaft bewegt hatten. Neben dem jungen Kaiserreich Deutschland und der reizenden Vertreterin der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war auch die Verkörperung Triento erschienen, was bei vielen Teilnehmern Erstaunen ausgelöst hatte. Österreich und noch viel mehr die Repräsentantin von Tirol hatten mit Argwohn darauf geachtet, den Knaben nie in die Nähe der Konferenzen auf italienischem Boden zu lassen. Verständlich, wenn man die politische Situation im Süden dieses Alpenlandes bedachte und die Konflikte zwischen den dort ansässigen Volksgruppen. Dennoch fand Florenz, dass es als Zeichen gedeutet werden konnte, dass ausgerechnet in diesen Zeiten, wo das Königtum Italien gefestigt wurde und sich aus seiner Sicht glänzend entwickelte, nun für dieses Stück Land ein eigener Vertreter erschienen war, welcher genau zwischen diesen Parteien stand. Zudem wenn zusätzlich der Junge durch sein Alter so leicht formbar war, selbst wenn er schon zu dieser Zeit seinen Dickschädel deutlich unter Beweis stellte. Doch trotz aller Schwierigkeiten hatte Giovanni es irgendwie geschafft, unbemerkt von Österreich und Tirol mit dem jungen Hütt Kontakt aufzunehmen. Von diesem einen Treffen weg hatte sich dann daraus ein Arrangement entwickelt, das selbst er als alter Intrigenmeister nicht vorhergesehen hatte. Auf Giovannis markantem Gesicht bereite sich ein Lächeln aus. Was als Versuch gestartet war, den Jungen für die Sache Italiens zu gewinnen, hatte mit einer Affäre geendet, dessen größter Reiz wohl in der Unerfahrenheit des Knaben lag. Das Fürstentum hatte einst beinahe vergessen, wie aufregend doch diese Schwelle in einem Leben war und welche Unruhe einem die Entdeckung des sexuellen Verlangens einbringen konnte. Diese Unsicherheit, gekuppelt mit Neugier und vor allem dem reizvollen Geschmack, mit seinen Taten im Geheimen Verbote zu übertreten, hatte ihm den Jungen in die Arme getrieben. Dabei war auch die ältere Nation bei den Versuchen, diskret um die Gunst des jungen Tiroler zu werben, aufgeblüht. Es hatte ihm wieder einen Nervenkitzel verschafft, den zu erlangen er nicht mehr geglaubt hatte. Wie gut konnte er sich an die Verwirrtheit im hageren Gesicht erinnern, als der Knabe sich das erste Mal ihres Treibens bewusst geworden war und den Unglauben in den goldenen Augen, als dieser dabei die Weitreiche seiner Taten zum ersten Mal klar erfasste. Dabei hatte es Andreas nicht nur getroffen, dass er unbedingt mit einem derjenige paktierte, welche durch ihre Taten politisch dem Reich geschadet hatten, dem der kleine rote Adler unterstand, auch die Tatsache, dass er mit einem Mann geschlafen hatte, schien dem Jungen anfangs schwer auf der Seele zu lasten. Doch das war nur eine Nebenerscheinung der Zeit. Dennoch, diese anfänglichen Schwierigkeiten hatten zu keinem Abbruch ihrer verzwickten Beziehung geführt. Zwar war sich der Italiener mehr als bewusst, dass diese Verbindung keinesfalls auf Liebe basierte, doch dieser Tatsache zum Trotz war der junge Hütt regelmäßig bei ihm aufgetaucht, stellte eine der netten Abwechslungen dar, welchen Giovanni frönte. Es war auch wohl besser, dass niemand ahnte, was genau sie beide verband. Dabei stellte die Motivation des jungen Hütt, warum er regemäßig vor seiner Schwelle stand, selbst für Giovanni, welcher durch seine Jahrhunderte lange Erfahrung eine ausgezeichnete Menschenkenntnis erlangt hatte, lange ein durchschaubares Rätsel dar und die Wahrheit wäre für sentimentalere Geister bitter gewesen. Unter einem Seufzen strich sich der Ältere durch das blonde, kurze Haar und fuhr sich mit feuchten Fingern über den leichten dunklen Bartwuchs seiner Wangenknochen, bevor er mit Eleganz seine Beine über die Bettkante schwang. Ohne einen weiteren Blick auf seinen Bettgefährten stand er auf und ging zu dem kleinen Tisch, auf dem eine Karaffe Wein stand, wie auch ein paar filigrane Meisterwerke der Glaskunst. Er schenkte sich ein Glas ein und drehte sich um. Unerwarteter Weise hatte der Junge in der Zwischenzeit leicht den Oberkörper aufgerichtet, wobei er sich auf die Unterarme stützte, und verfolgte mit angespanntem Gesichtsausdruck die Bewegungen der älteren Nation. Wortlos bot ihm Giovanni mit einer Geste das Glas an, doch der Junge schüttelte den Kopf. Der Italiener zuckte mit den Schultern und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt, der nicht in der Nähe des Objektes seiner Begierde lag. „Du solltest dann langsam verschwinden.“ Giovanni war selbst erstaunt, wie schroff sich seine Worte anhörten. Als würde er damit was abfertigen, was schon zu lange von ihm hätte abgeschlossen gehört. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Andreas den Kopf leicht schief legte und dabei die widerspenstige Locke aus dem Gesicht prustete, die ihm wie immer vor die Augen fiel. „Du wirfst mich raus?“ Ein wenig fester als beabsichtigt stellte der Hausherr sein Glas auf dem Tischchen ab. „Ich möchte keine Probleme haben, wenn Agnes deine Abwesenheit in Bozen bemerkt.“ Mit einer lässigen Geste winkte der Junge ab. „Sorg dich nicht darum, sie ist selber in Bregenz bei Adelheid. Außerdem glaub ich kaum, dass mein Brief, dass ich aus Wien aufgebrochen bin, bei ihr schon eingetroffen ist.“ „Dennoch solltest du jetzt aufbrechen.“, setzte Giovanni unbeirrt nach und beobachte, wie Widerwille hinter den goldenen Augen sich zusammenbraute, doch er ließ es erst gar nicht zum Ausbruch kommen. Mit einer schnellen Handbewegung griff Florenz nach seinem Morgenmantel und schlüpfte elegant hinein. Während er den Gürtel zuband, warf er einen letzten warnenden Blick in Richtung seines Gastes. „Ich werde mich jetzt zurückziehen und für dich eine Kutsche Richtung Bahnhof anfordern. Wenn ich zurück bin, möchte ich, dass du schon gegangen bist. Und Andreas….“ Für einen kurzen Moment hielt er inne und dachte noch einmal nach, ob er es wirklich aussprechen sollte. „Ich möchte dich nicht jedes Mal wiedersehen, wenn du wieder mal mit der kleinen Sofia aneinander geraten bist. So schön die Zeit und der Sex mit dir ist, ich will nicht weiter dein Ventil sein, wenn du den Frust über eure verzwickte Beziehung irgendwie kompensieren musst!“ Kapitel 25: ------------ Zwanzig Worte, mit denen alles begann „Mein Name ist Sofia. Erfreut“ „An…Andi“ „Wie bitte? Du hast genuschelt.“ „Ich sagte mein Name ist Andreas Hütt, taubes Huhn!“ Neunzehn Worte, ohne die es nie so weit gekommen wäre „Andreas, wir sollen dem Unterricht folgen.“ „Stellst du dir nicht auch öfter vor, einfach das Fenster aufzumachen und abzuhauen?“ Achtzehn Worte, bei denen die Galaxis selbst in völliger Stille verharrte „Einen schönen Abend, liebster Cousin.“ „Ähh… ähh... Deine Abendgarderobe steht dir wirklich ausgezeichnet.“ „Andreas, wirst du eben rot?“ Siebzehn Worte, die meinen Glauben erschütterten „Nun ja, man munkelt über Sofia und den Kronprinz…“ *Klirr* „Verdammt, Andreas! Was ist dir diesmal runtergeflogen?“ Sechzehn Worte, die die Bürde auf deinen Schultern erleichterten „Falschlächeln macht müde.“ „Andreas?“ „Schau einmal grimmig drein, vielleicht siehst du dann nicht so müde aus.“ Fünfzehn Worte, bei denen sich mein Herz vor Furcht zusammenkrampfte „Andreas, der… der Kronprinz ist tot.“ „Scheiße! Wie geht es Sofia und wo ist sie?“ Vierzehn Worte, die nicht reparieren konnten, was bereits zerstört war „Tut mir leid das mit Rudolf, Sofia.“ „Passt schon…“ „Nein, tut es nicht!“ Dreizehn Worte, die mein Herz schneller schlagen ließen „Danke Andreas, dass du für mich hier warst. Du bist ein wahrer Freund.“ Zwölf Worte, durch die sich Dunkelheit über mich senkte „Der Krieg wird doch nicht kommen, oder?“ „…“ „Andreas, bitte antworte doch.“ Elf Worte, die mich bedauern ließen, was ich nie hätte haben können „Andreas, meine Hände sind wieder warm. Du kannst sie loslassen. Danke“ Zehn Worte, die ich nicht mehr hören kann „Glaubst du, der Kronprinz wird heute Abend auch kommen, Andreas?“ Neun Worte, die mich durch die Stille der Nacht begleiten „Vielen Dank, dass du mich heim begleitet hast, Andreas.“ Acht Worte, die mir meine Aufgabe in dieser Welt klar machten „Du bist Triento, Andreas, also benimm dich!“ Sieben Worte, die eine neue Hoffnung in mir weckten „Eigentlich bist du ganz nett, Andreas.“ Sechs Worte, auf die ich mich nie freute, sie zu hören „Rudolf schaut wieder mal gut aus.“ Fünf Worte, die unser Schicksal besiegelten „Nun ist der Krieg vorbei.“ Vier Worte, nach denen nichts mehr war wie vorher „Sofia, verdammt! Du zerbrichst!“ Drei Worte, die meine Seele in blutige Fetzen rissen „Ab nach Italien!“ Zwei Worte, die mich mit Sehnsucht erfüllten „Warte, Andreas!“ Das eine Wort, das stets der Leitstern meiner Reise war „Pferdestall“ Betagelesen von KahoriFutunaka Kapitel 26: Abreibung --------------------- Verdutzt und wütend starrte Gilbert dem zornig davonstampfendem Tirol hinterher. Fassungslos rieb er sich mit einer Hand den schmerzenden Kiefer, gegen den vor wenigen Augenblicken die geballte Faust der reizbaren Grafschaft gekracht war, während ihm Roderich mit wenig Mitleid wieder auf die Beine half. „Kann dieses Weib einen nicht vorwarnen, bevor sie einem in die Fresse haut?!“, schnauzte der Preuße den Österreicher an, der mit blasierter Miene seinen Unmut ertrug. „Gilbert, deine Wortwahl ist wiedermal berauschend und sie hat dich gewarnt, drohte Agnes dir doch mit einer Abreibung, wenn du sie nochmal damit aufziehst, in deinen Bruder verliebt zu sein.“ Hosted by Animexx e.V. 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