Daylight against twilight von Cassia-Clark ================================================================================ Kapitel 4: Snow White --------------------- IV. Snow white When I was a little child My mother tells me fairytales From a princess in a tower From Snow White and the gnomes And when the storm rages at our windows I felt safe and sound Cherry sah aus dem Küchenfenster. Die Sonne ging gerade unter, das rötliche Licht tauchte alles in ein sanftes Strahlen. Selbst die so kühl wirkenden Fliesen im Raum wirkten wie feinster Marmor. Sie beugte sich ein wenig vor und stütze ihre Hände auf dem Fensterbrett ab, um nach draußen blicken zu können. Unter ihr befand sich die Hauptstraße, doch durch die dicken Fensterscheiben drang kein Geräusch, nur ein leises Rauschen wie Meereswellen. Sah man jedoch etwas höher, konnte man in der Ferne die Umrisse von Tokios Metropole erkennen. In dem Abendlicht schimmerte der Himmel von all den Stadtlichtern. Das Mädchen beobachtete stumm, wie die Sonne langsam hinter dem Horizont versank. In Gedanken war sie noch bei dem Gespräch vor vier Tagen. Die Sondereinheit hatte darauf bestanden, dass man von Cherrys Mutter erzählte, was sie dann auch schließlich getan hatte. Jedoch nur äußerst widerstrebend. Es war allgemeine Verblüffung aufgetaucht, dann hatten die Fragen begonnen. Cherry hatte sich bemüht, alle ausführlich zu beantworten, aber bei einigen hatte sie nur ratlos mit den Schultern zucken können. L hatte dann übernommen, aber bei manchen der Fragen hatte er nur Theorien aufstellen können. Den Ermittlern schien dies aber genügt zu haben. Erst vor einigen Stunden waren sie dann gegangen. Cherry hatte beobachtete, wie sie respektvoll von Ryuzaki Abschied genommen hatten, was sie sehr erstaunt hatte. Sie waren erfahrene Polizisten, die meisten von ihnen sogar weitaus älter als der Detektiv selbst. Und trotzdem sahen sie ihn als ebenbürtig an, vermutlich sogar als Chef des Falls. Aber statt sich aufzuspielen, blieb er still und distanziert. Cherry fuhr mit dem Zeigefinger sachte über das kühle Glas. Ryuzaki war ein seltsamer Mann. Sie kannte Menschen, die den Kontakt zu anderen Menschen scheuten und sich davor fürchteten, in die Gesellschaft mit einzubinden. Das Mädchen selbst hatte die Einsamkeit immer vorgezogen, denn sie mochte es nicht, von plappernden und naiven Leuten umgeben zu sein. Aber Ryuzaki schien diese Gründe nicht zu teilen. Bei ihm schien es um etwas gänzlich Anderes zu handeln. Sie hatte bemerkt, dass er keinem einzigen Ermittler zu nahe gekommen war, weder im geistigen, noch im körperlichen Sinne. Statt sich einander die Hand zur Begrüßung zureichen, wie es üblich war, hatte er sich knapp vorgestellt. Auch beim Abschied hatte er diese Geste nicht angenommen. Zudem hatte er sorgsam darauf geachtete, stets einen gewissen Abstand zu den Ermittlern zu halten. Auch zu ihr, Cherry selbst. Als er ihr das Bild von Naomi auf seinem Laptop gezeigt hatte, hatte er sie nie berührt, sondern immer einen Meter körperlichen Abstand zwischen ihnen eingehalten. Eine Art Grenze. Doch nur er hatte diese Grenze im Blick, denn sie war keine sichtbare. Stattdessen hielt er sie mit seiner Distanziertheit aufrecht. Cherry wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Es verwunderte sie, doch sie würde ihn nicht darauf ansprechen. Es würde nur wieder zu einer Diskussion führen, die er sowieso gewinnen würde. Er hatte einfach die besseren Argumente, so schwer es dem Mädchen auch fiel, diese Tatsache zu zugeben. Also würde sie so tun, als wäre sein Verhalten vollkommen alltäglich. In den vergangenen Tagen hatte sie versucht, ihn etwas besser kennenzulernen, war jedoch gescheitert. Er blieb für sich, nur Watari ließ er an sich heran. Cherry hingegen hielt er auf Abstand, als fürchtete er sich regelrecht davor, was passieren würde, wenn er sie zu nahe an sich heran ließ. Nur ab und an, wenn er sich wegen des Falls an sie wandte, sprachen sie miteinander. Ryuzaki schlief nicht, noch ging er jemals hinaus. Vor zwei Tagen hatten sie das Hotel gewechselt, doch selbst da hatte er sich nur ins wartende Auto gesetzt, das Watari vorgefahren hatte. Sonderlich viel Gepäck hatten die beiden ebenfalls nicht; nur drei Koffer und eben Cherrys Sachen, die sich jedoch ebenfalls nur als spärlich bezeichnen lassen konnten. Das neue Hotel war ebenso exklusiv wie das Vorherige, aber diesmal mit zwei Schlafzimmern. Eines hätte zwar völlig ausgereicht, da der Detektiv ja sowieso nicht schlief, aber Watari hatte darauf bestanden. Cherry war es gleichgültig. Sie hatte das Gespräch mit ihrem Manager immer wieder aufgeschoben. Zwar hätte sie ihn schon längst informieren sollen, aber irgendwie hatte sie nie wirklich die Kraft dazu aufbringen können. Sie war müde und kraftlos. Statt an den Gesprächen der Ermittler und Ryuzaki teilzunehmen, saß sie nur tonlos in einer Ecke und sah zum Fenster hinaus. Manchmal hörte sie über ihr Handy Musik, aber mehr tat sie nicht. Ryuzaki versuchte nicht, mit ihr zu reden. Watari hingegen tat sein Bestes, um mit Cherry in Kontakt zu treten. Sie ließ es zu, wenn auch oftmals widerwillig und oft brach sie das Gespräch nach ein paar Minuten wieder ab. Dann ging sie in ihr Zimmer, legte sich auf das Bett und starrte stundenlang die Decke an, bis es dunkel wurde. Ihr Schlaf war unruhig. Ja, Cherry trauerte weiter um ihre Mutter. Sie wusste, dass es nichts brachte, aber dass war ihr egal. Denn sie fand keinen Draht zu Ryuzaki, obwohl sie gerne einen gefunden hätte. In all den Tagen hatte sie darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gelangt, dass sie einander ähnlicher waren, als sie es zu Anfang vermutet hatte. Vielleicht hätte es ihren Schmerz gelindert, mit jemanden darüber zu reden, aber der Einzige, der ihr hätte zuhören können, schottet sich ab. Also hatte Cherry es letztendlich aufgegeben. Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab und ging wieder hinüber zur Herdplatte. Dort kochte leise ihre Suppe vor sich hin. Etwas Besseres hatte sie in den Schränken nicht gefunden – nun ja, abgesehen von all den verschiedenen Süßigkeiten, die in den Schränken, im Kühlschrank und sogar im Tiefkühler auf den Verzehr warteten. Cherry fragte sich, ob Ryuzaki überhaupt in der Lage, solche immensen Vorräte allein zu vertilgen. Vermutlich bekam er Magenkrämpfe, gefolgt von Übelkeit und Erbrechen. „Mir soll`s egal sein“, murmelte sie, während sie in der Suppe rührte. Die wollte einfach nicht heiß werden; sie war immer noch lauwarm, wie Cherry mit einem eingetauchten Finger feststellen musste. Fluchend leckte sie diesen ab. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss Cherry?“ Unbemerkt von Cherry hatte sich Watari in die Küche begeben. Sie stieß einen kleinen Kiekser aus. Aber schnell hatte sie sich wieder gefangen. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu ihm um. „Nein, vielen Dank. Ich habe nur gerade mit mir selbst geredet.“ „Selbstgespräche zeugen von hartnäckigen Gedanken“, Watari erwiderte ihr Lächeln, wodurch sich einige Fältchen rund um seinen Mund zeigten. Cherry wurde den Gedanken nicht los, dass er womöglich der Einzige war, dem sie hier bedingungslos vertrauen konnte. Wieder seufzte sie. Die Suppe blubberte leise. „Vermutlich zeigt es eher, dass ich langsam verrückt werde. Was auch kein Wunder ist, gebe ich zu. Vermutlich halten es selbst die Gedanken nicht mehr in meinem Kopf aus.“ Endlich stieg aus dem Topf Dampf. Cherry tauchte wieder den Finger hinein. Etwas wärmer. Das musste reichen, beschloss sie, und suchte nach einer Schüssel. Sie fand sie schließlich in einem der oberen Hängeschränke. Vorsichtig goss sie die Suppe hinein, füllte dann Wasser in den leeren Topf und stellte diesen wieder auf den Herd. Watari beobachtete sie. Er sprach erst wieder, als sie nach einem Löffel suchte. „Er ist eigentlich ein sehr netter junger Mann, wissen Sie? Nur hat er leider Probleme mit Nähe. Geistiger und körperlicher.“ Erstaunt drehte die Blondine sich zu ihm um. Den Löffel in der Hand, blickte sie ihn an. Sie suchte nach den richtigen Worten, einer klugen Erwiderung, aber alles, was ihr einfiel, war:„Sie meinen Ryuzaki?“ Watari nickte, während er zu ihr trat und ihr vorsichtig die heiße Schüssel abnahm. Verwirrt ließ Cherry es geschehen. „Er hat sich geschworen, sich durch nichts von seiner Arbeit ablenken zulassen. Nicht von anderen Menschen, von Umwelteinflüssen oder eben von Gefühlen jeglicher Art. Er akzeptiert nur mich. Es ist ein großes Wunder, dass er Sie hier duldet, und auch die Ermittler. Das hat er noch nie getan.“ „Also... hat er nichts gegen mich persönlich?“ Die Frage klang kindisch, aber Watari beantwortete sie ernst. „Nein, es hat absolut nichts mit Ihnen zu tun. Er verhält sich bei allen Menschen so.“ „Bei Ihnen nicht“, rutschte es Cherry raus. Verlegen senkte sie den Blick, als der alte Mann sie ansah. Er schmunzelte. „Nun“, Watari stellte die Schüssel auf der Theke ab und rückte einen Stuhl zurecht, „ich bin nun schon seit einigen Jahren an der Seite von Ryuzaki. Um genau zu sein, von Anfang an. Diese Vertrauen hat viel Zeit und Geduld benötigt, um heranzureifen. Ryuzaki misstraut den Menschen. Vielleicht wird er es immer tun.“ Er blickte Cherry an und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Wenn Sie dieselbe Geduld aufbringen, wird er mit der Zeit auch Ihnen vertrauen können. Nur geben Sie ihm genügend Zeit. Glauben Sie mir, Miss Cherry: Was Sie als Arroganz und Direktheit abtun, ist in Wirklichkeit nur seine Art, sich vor Schmerzen zu schützen. Diese Hülle wird er ablegen, wenn er merkt, dass Sie ihm nichts Böses wollen.“ Damit wandte er sich ab, um die Küche zu verlassen. Doch Cherrys Worte ließen ihn innehalten. „Watari... Sein wahres Ich... wie ist es?“ Watari lächelte liebevoll, doch da er mit dem Rücken zu dem Mädchen stand, konnte dieses es nicht sehen. „Es ist einzigartig, Miss. Tief in Ryuzaki steckt ein Mensch, dessen Herz bereits viel Grausamkeit und Brutalität miterleben musste und dadurch gelitten hat. Aber dennoch hat es nichts von dem Tag verloren, als ich ihm zum ersten Mal begegnete. Sie werden es nicht bereuen, Miss Cherry. Niemals.“ Cherry grübelte immer noch über Wataris Worte, als sie ein paar Stunden später das Wohnzimmer betrat. Die Suppe hatte, zu ihrem Erstaunen, sogar recht gut geschmeckt. Dennoch hatte sie das Essen nicht wirklich genießen können. Die Worte spukten immer noch in ihrem Kopf herum und ließen sich nicht vertreiben. Sie waren sehr hartnäckig. Obwohl Cherry sich nicht eingestehen wollte, dass sie auch nicht wirklich versucht hatte, sie zu vergessen. Im Wohnzimmer brannte die kleine Tischlampe. Ansonsten kam das einzige weitere Licht vom Laptop, der auf Ryuzakis Schoß ruhte. Die Vorhänge hatte er vor die Fenster gezogenen. Die Dunkelheit im Zimmer war endgültig, aber nicht unangenehm; man konnte noch die Umrisse der Möbel erkennen. Ryuzaki jedenfalls störte sich nicht an der vollkommen Dunkelheit. Als Cherry den Raum betrat, starrte er hochkonzentriert auf den Bildschirm, während er an seinem Daumennagel knabberte. Eine seiner unzähligen Macken, die das Mädchen auf eine imaginäre Liste in ihrem Kopf setzte. Er hob nicht den Kopf, doch Cherry wusste auch so, dass er ihre Anwesenheit bereits bemerkt hatte. Stumm setzte sie sich in den Sessel ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und blickte ihn an. Erst jetzt hatte sie die Möglichkeit, ihn gründlich und vor allem unbemerkt zu mustern. Seine Haut war weiß wie Schnee, was Cherry an das deutsche Märchen Schneewittchen denken ließ, mit seinen schwarzen Haaren. Das ließ sie leicht lächeln. „Warum lächelst du?“ Seine Stimme klang ganz normal. Obwohl Cherry hätte schwören können, dass ein Hauch von Neugier darin lag. Es war das erste Mal seit vier Tagen, dass er wieder das Wort an sie richtete. Cherry freute sich darüber. Sie ließ sich einen Augenblick lang Zeit für die Antwort. „Ich habe gerade gedacht, dass du mich an ein bekanntes deutsches Märchen erinnerst, dass mir meine Mutter früher immer vorgelesen hat.“ „Früher?“ „Als ich noch kleiner war.“ Ihm schien diese Antwort nicht zu genügen, als holte sie noch etwas weiter aus. „Ich war etwa fünf oder sechs, als ich mir jeden Abend ein Buch aussuchte. Meine Mutter musste damals noch nicht so viel arbeiten, so dass sie noch Zeit dafür fand, jeden Abend nach Hause zu kommen. Dann hat sie mich immer ins Bett gebracht und mir etwas vorgelesen.“ Jetzt sah er sie an. Sie merkte, dass ihre Geschichte ihn interessierte, obwohl sie sich fragte, warum. Bisher hatte sie nicht den Eindruck gehabt, dass ihn solche Kindheitsgeschichten wirklich interessierten. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, in Gedanken Wataris Worte wiederholend, und traute sich zu fragen: „Kennst du so etwas nicht?“ Beinah erwartete Cherry, dass der junge Detektiv jetzt sofort wieder dichtmachte. Doch zu ihrem Erstaunen schüttelte er bloß zögerlich mit dem Kopf. Aber dann wechselte er abrupt das Thema. „Was sagst du zu dem Gespräch von heute Mittag?“ „Du meinst das Verschwinden von Naomi?“ Ryuzaki nickte. „Nun, ich bin weiterhin der Meinung, dass das kein Zufall sein kann. Ein paar Tage vorher wird ihr Verlobter von KIRA ermordet, mitsamt allen weiteren Agenten, und dann Naomi. Sie hat etwas herausgefunden, etwas, was in Verbindung zu KIRA steht.“ Unter Ryuzakis wachsamem Blick fühlte sich das Mädchen leicht unwohl. Etwas nervös rutschte sie auf dem Polster herum, bis er ihr eine Antwort gab. „Ich bin derselben Meinung.“ Als Cherry ihn ansah, mit gerunzelter Stirn, klappte er den Laptop zu. „Ich habe vor, mir morgen die Kameras der Agenten anzusehen. Vielleicht finden wir dort etwas, was uns einen Hinweis darauf gibt, warum Naomi und Raye sterben mussten.“ Cherry versuchte, seinen Worten zu folgen, was gar nicht so leicht war. Aber als sie es dann endlich geschafft hatte, war sie zugleich verblüfft und verwundert. „Stopp“, sie hob die Hände, wie, um ihn von weiteren Worten abzuhalten. „Was meinst du mit wir? Du bist ein reiner Einzelkämpfer, Ryuzaki. Zudem hast du in den vergangen Tagen kein einziges Mal mit mir geredet, du bist mir regelrecht aus dem Weg gegangen. Warum also plötzlich diese Meinungsänderung?“ Ryuzaki blickte sie an. Seine großen Augen fixierten sie, wie eine Schlange das Kaninchen. Und ebenso wie das Säugetier war es dem Mädchen unmöglich, diesem Blick in irgendeiner Art zu entrinnen. Als er ihr antwortete, war Cherry noch verblüffter. „Ich habe beschlossen, dass du durchaus in der Lage bist, rational zu denken. Zwar besitzt du ein recht aufbrausendes Temperament, doch ebenso eine gute Schlussfolgerung, die meiner zwar nicht ebenbürtig, aber durchaus erstaunlich ist. Es wäre dumm von uns, sie aufgrund von verschiedenen Charakteren nicht zu nutzen.“ „Also willst du damit sagen, dass wir im Team arbeiten sollen?“ „Du willst KIRA fangen, nicht wahr?“ Diese Frage ließ das Mädchen ein wenig aus dem Konzept schlittern. Doch sie fing sich schnell wieder. „Ja.“ „Das ist auch mein Ziel. Und deshalb können wir auch gemeinsam versuchen, KIRA das Handwerk zu legen. So gesehen - ja, damit will ich ausdrücken, dass wir im Team agieren sollten. Sofern du das willst.“ Cherry musste nicht lange überlegen; eifrig nickte sie. Dann erschien ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen. „Also heißt das, du vertraust mir?“ Ryuzaki antwortete ihr nicht. Stattdessen klappte er wieder den Laptop auf und hämmerte wie ein Wilder in die Tasten. Er ignorierte ihre Anwesenheit völlig. Wieder einmal. Cherry schluckte. Ein harter Kloß steckte in ihrem Hals und in ihren Augen brannte die Erniedrigung, ihm diese Frage gestellt zu haben. Natürlich war abzusehen gewesen, dass er ihr weiterhin nicht traute. Nur nütze es dann nichts, dass sie zusammen arbeiten sollten. Denn wenn er ihr nicht vertraute, würde es nicht funktionieren. Nur warum tat es so weh, dieses Wissen zu kennen? „Warum weinst du?“, Ryuzakis Stimme riss sie brutal aus ihrem Selbstmitleid. „Ich weine-“, mit den Fingern strich sie über ihre Wange. Tatsächlich spürte sie etwas Nasses auf ihren Wangen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie angefangen hatte, zu weinen. „Weil du mich verletzt hast.“ Der junge Mann legte den Kopf schräg. „Inwiefern?“ „Indem du mir immer noch nicht traust. Weißt du, es gibt Menschen, denen tut so etwas weh, Ryuzaki.“ Cherry wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie überlegte schon, wie sie unauffällig den Raum verlassen konnte, da hielt sie inne. Denn Ryuzaki tat etwas, womit sie niemals gerechnet hatte. Er klappte den Bildschirm zu, sah sie ernst an und sagte leise: „Ich wollte dich nicht verletzen.“ Cherry hob ruckartig den Kopf, weil sie glaubte, sich verhört zu haben. Aber Ryuzakis ernster Gesichtsausdruck ließ sie nicht zweifeln. Er hatte sich, indirekt natürlich, bei ihr entschuldigt. Und es schien ihm tatsächlich Leid zu tun. Das Mädchen war erstaunt, aber positiv. Statt ihn also zu beschimpfen, zwang sie ein Lächeln auf ihr Gesicht. Es gelang. „Nein, schon in Ordnung. Ich vergesse immer, dass du kaum Erfahrung mit den Menschen hast. Außerdem kann ich verstehen, dass du mir nicht traust. Ich meine, wir kennen uns gerade einmal vier Tage! In vier Tagen kann sich kein Vertrauen aufbauen. Und da wir nun ja zusammenarbeiten, haben wir massenweise Zeit.“ Sie lächelte ihm zu. Und für einen Augenblick, nur ein ganz kurzer Moment, glaubte sie, ein Lächeln auf seinen weichen Zügen zu entdeckten. Doch als sie genauer hinsah, war es bereits verschwunden. Vermutlich hatte sie es sich eingebildet. Bevor sie in ein weiteres Fettnäpfchen treten konnte, wechselte die Blondine das Thema. „Sag mal, woher wusstest du überhaupt, dass ich Sängerin bin?“ Ryuzaki begann erneut, an seinem Daumennagel zu kauen. „Ich habe im Internet recherchiert. Da stand eine ganze Menge über dich. Ist Cherry tatsächlich nicht dein richtiger Name?“ Cherry schüttelte den Kopf. „Richtig. Ich möchte mein Privatleben aus der Presse heraushalten, auch meinen Freunden und meiner Familie zuliebe. Es reicht, dass schon um mich ein solches Theater gemacht wird. Wenn sie meinen richtigen Namen kennen würden, wäre ich nirgendwo mehr allein. Und ich brauche meine Einsamkeit, um in Ruhe Kraft tanken zu können.“ Ryuzaki nickte nachdenklich. Dann legte er seine Hände auf die Knie. Er schien etwas zu überlegen. Normalerweise würde Cherry ihn nicht stören, aber nun war sie neugierig. „Worüber denkst du nach?“ „Darüber, ob ich dich um etwas bitten kann.“ Ihr Herz tat einen kleinen Hüpfer. Cherry würgte es schnell wieder ab, bevor man ihr ihre Freude anmerken konnte. Sie wollte sich vor Ryuzaki nicht erneut die Blöße geben. Darum nickte sie bloß, denn ihrer Stimme traute sie momentan nicht. „Würde es dir etwas ausmachen, mir die Geschichte von diese Märchen zu erzählen?“ „Du meinst Schneewittchen?“ Ryuzaki nickte leicht. „Ich kenne es nicht.“ Cherry lachte. „Und alles, was du nicht kennst, willst du kennen. Verstehe. Aber klar, ich erzähle es dir.“ Und das tat sie auch. Sie erzählte ihm das Märchen von der wunderschönen Prinzessin Schneewittchen, deren Haut weiß wie Schnee, ihre Lippen rot wie Blut und ihre Haare schwarz wie Ebenholz waren. Sie erzählte von der bösen Stiefmutter und ihrem Zauberspiegel, und davon, wie der gütige Jäger Schneewittchens Leben verschonte und stattdessen das Herz eines Rehs zu der Königin brachte. Cherry erzählte mit leiser Stimme von den sieben Zwergen, bei denen das schöne Mädchen Zuflucht fand, und von den gemeinen Tricks der eifersüchtigen Königin, die Schneewittchen wegen ihrer Schönheit töten wollte. Aber es gelang ihr nicht, da Schneewittchen von dem tugendhaften Ritter gerettet wurde. Und sie beendete die Geschichte damit, wie der Prinz Schneewittchen heiratete und sie ein Leben lang glücklich und zufrieden zusammen lebten. Während der ganzen Zeit beobachtete sie Ryuzaki, der ihrer Erzählung mit großen Augen und sichtlichem Interesse folgte. Sie musste immer wieder lächeln, weil sie dieses Gesicht kannte. Es erinnerte sie an sich selbst, damals, als sie diese Geschichte ebenfalls zum ersten Mal gehört hatte. Genauso hatte sie damals ihre Mutter angesehen. Und als sie die Geschichte beendet hatte, stellte Ryuzaki genau dieselbe Frage, die auch sie damals ihrer Mutter gestellt hatte. „Und sie leben immer noch glücklich und zufrieden, bis das der Tod sie scheidet?“ Und mit genau derselben sanften Stimme wie ihre Mutter sagte Cherry: „Ja, denn wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Ryuzaki lauschte der leisen Stimme des Mädchens. Bereits nach den ersten paar Sätzen hatte er das Tippen auf der Tastatur aufgegeben, denn die Geschichte war so wunderschön und beruhigend, dass er ihr einfach nur zuhören wollte. Fasziniert lauschte er Cherrys Ausführungen, wie der Jäger Schneewittchen schließlich laufen ließ und knabberte vor lauter Aufregung an seinem Daumennagel, als die böse Königin zum letzten Schlag ausholte. Und er seufzte erleichtert auf, als der Prinz sie rettete und heiratete. Als er irgendwann zu Cherry hinübersah, bemerkte er, dass sie eingeschlafen war. Vollkommen ruhig schlief sie, zu einer Kugel zusammengerollt, in dem Sessel. Die Füße hinken über der Lehne, doch ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ryuzaki betrachtete sie eine Weile. Dann stand er auf, holte eine der Wolldecken aus dem Schlafzimmer hinüber und deckte das Mädchen damit sorgfältig zu. Erst dann setzte er sich wieder in den Sessel. Doch statt seine Arbeit wieder aufzunehmen, beobachtete er Cherry beim Schlafen. Bis er darüber irgendwann selbst einschlief. Once upon a time When I was a little child My mother tells me fairytales From a princess in a tower From Snow White and the gnomes And when the storm rages at our windows I felt safe and sound I was ten years old The other children hurt me Because I believe in fairytales and stories But I didn’t gave it away In my dreams I’m the princess And I safe the world It’s Storytime I am the voice of never, never land The innocence of dreams from every man I am the empty grave of Peter Pan I make the story that you read real “Once upon a time…” I was sixteen years old They told me that nothing ever will change Only fairytales end well No happy-end for me No dreams, no words But the tough hope Now I’m twenty years old All these years I’ve forget the tales But there was this apple Red and innocent And then I still remember I want to be a fairytale It’s Storytime I am the voice of never, never land The innocence of dreams from every man I am the empty grave of Peter Pan I make the story that you read real “Once upon a time…” I am the voice of never, never land The innocence of dreams from every man Searching heaven nor hell It’s Storytime I am the voice of never, never land The innocence of dreams from every man I am the empty grave of Peter Pan I make the story that you read real “Once upon a time…” Hosted by Animexx e.V. 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