Blutgift von MariLuna ================================================================================ Kapitel 2: ----------- 2. Kapitel Der Geruch nach Spiegeleiern mit Speck durchzieht die gesamte untere Etage des alten Gemäuers, aber als Bruce Wayne die Küche betritt, steht nichts auf der Anrichte, und auch die Pfannen sind alle leer. Benutzt, aber leer. Wo ist mein Frühstück? Wo ist Alfred? Mürrisch geht der Millionär zur Cappuccino Maschine und macht sich eine Tasse seines üblichen sieben-Uhr-morgens-Muntermachers. Er ist ein Morgenmuffel, immer schon gewesen, und sein Leben als Batman hat die Sache nur noch verschlimmert. Auch, wenn er letzte Nacht gar nicht in Cape und Maske geschlüpft ist, sondern einen schönen Abend - und eine noch viel schönere Nacht - mit der bezaubernden Vicky Vale verbracht hat. Normalerweise fühlt er sich nach so etwas frischer und ausgeruhter als sonst - also eher die Light-Version eines Morgenmuffels - aber diesmal ... nun, um ehrlich zu sein, war das die unbefriedigendste Nacht seit langem. Klar, der Sex war nett und erfüllte alle seine Ansprüche, aber irgend etwas fehlte. Er hat einfach zu viel Stress und kann sich daher nicht richtig fallenlassen. Aber er will nicht aufgeben. Schon morgen Abend trifft er sich erneut mit Vicky und diesmal wird es besser, bestimmt. „Guten Morgen, Sir.” Gutgelaunt betritt Alfred die Küche. Bruce murmelt abwesend einen Gruß zurück und starrt dabei irritiert auf das Tablett in Alfreds Händen, auf dem sich ein Pappteller mit einem trockenen, unangerührten Sandwich befindet. Bruce' detektivischer Spürsinn verrät ihm, dass sein Butler dieses Sandwich gerade von irgend woher (zurück?) geholt hat. „Wo kommst du her, Alfred?" Und wo, zum Teufel, sind meine Spiegeleier hin? „In der Bathöhle natürlich, Sir", erwidert Alfred seelenruhig, während er Pappteller und altes Sandwich in den Müllschlucker wirft und das Tablett mit einem feuchten Lappen abwischt. „Ich habe unserem Gast etwas zu essen gebracht. Auch, wenn ich befürchte, dass er es genauso wenig anrühren wird wie die letzte Mahlzeit. Er schläft immer noch." „Gast?" wiederholt Bruce und blinzelt verwirrt. „Welchen Gast?" „Natürlich den Joker, Sir." Schockiert starrt der junge Millionär ihn an. „Was?" bringt er schließlich ungläubig hervor. Alfred mustert ihn mit hochgezogener linker Augenbraue und wendet sich dann dem Herd zu. „Spiegeleier mit Speck wie immer, Master Bruce?" Bruce holt einmal tief Luft. „Der Joker ... ist unten in der Bathöhle?" Alfred nickt schweigend. „Und er . . . ist immer noch in seiner Zelle?" Er macht einen so schuldbewussten und verstörten Eindruck, dass Alfred ein Schmunzeln unterdrücken muss. Aber so leicht will er den jungen Mann nicht davonkommen lassen. „Selbstverständlich", erklärt er daher mit einem betont vorwurfsvollen Unterton. „Als ich um Mitternacht noch einmal nach unten ging und meine Brille gesucht habe, fand ich seine Zelle offen und ihn selbst schlafend auf dem Fußboden. Natürlich habe ich die Tür sofort verschlossen. Wir wollen ja nicht, dass der Joker frei herumläuft, oder?" „Nein", stimmt ihm Bruce gehorsam zu. Sekundenlang steht er einfach nur da und starrt abwesend in die Luft, dann, mit einem Ruck, kehrt das Leben in ihn zurück. Er wirbelt auf dem Absatz herum und rennt aus der Küche. Alfred seufzt einmal schwer, betrachtet etwas wehmütig die gerade in die Pfanne geschlagenen Eier, schaltet dann aber den Herd aus und folgt ihm. Er kennt das Temperament seines Arbeitgebers, und daher gilt seine Sorge nicht dem jungen Millionär, sondern dem Joker. *** Als Bruce in die Zelle stürmt, interessiert es ihn nicht im Geringsten, ob der Joker noch schläft oder sonstwie beschäftigt sein könnte und noch viel weniger, ob und wie sehr er diesen erschrecken könnte. Alles, was für den Millionär zählt, ist diese heiße Wut, die in seiner Brust wühlt und ein Ventil sucht. Eben noch tief und fest schlafend, irgendwo verloren in der Dunkelheit eines Traumes, fühlt sich der Joker plötzlich am Kragen gepackt und hochgezerrt. Sein Körper reagiert sofort, schüttet Adrenalin aus und versetzt ihn in große Alarmbereitschaft, aber die Wirkung ist nur temporär, reicht gerade mal, um ihn aufzuwecken. Irgend etwas stimmt nicht mit ihm, normalerweise hätte sich sein Fluchtinstinkt aktiviert und er wäre schon dreißig Meter weit gelaufen, bis sich sein Verstand eingeschaltet hätte. Aber diesmal reicht seine Energie gerade mal, um wach zu werden. Und er benötigt noch wesentlich länger, um in den farbigen Flecken in seinem Sichtfeld ein Gesicht zu erkennen. Der dazugehörige Name will ihm schon mal gar nicht einfallen. Doch er erkennt die Stimme sofort, auch wenn die ersten Worte nur gedämpft bei ihm ankommen. Das mühsame, heftige Klopfen seines eigenen Herzen dröhnt dafür allzu sehr in seinen Ohren und übertönt alles. „Warum?" schreit Bruce Wayne alias Batman ihn an. „Warum bist du immer noch hier? Warum bist du nicht abgehauen? Habe ich dir ganz umsonst die Tür aufgelassen? Idiot! Jetzt bleibt mir nichts anderes mehr übrig, jetzt muss ich dich nach Arkham bringen!" Doch der Joker blinzelt ihn nur aus leeren Augen an. Dann jedoch, nach ungefähr einem Herzschlag, kommt endlich wieder Leben in diese Augen. Doch es ist nicht die Reaktion, auf die Bruce gehofft hat. Da ist kein Ärger, kein Protest, kein ... Verstehen. Irritiert lockert er seinen Griff und beobachtet, wie sich sein Gefangener langsam in eine kniende Position aufrappelt, um sich dann mit dem verständnislosen Blick eines Mannes umzusehen, der an einem Ort eingeschlafen und an einem völlig anderen wieder aufgewacht ist. Nachdenklich runzelt Bruce die Stirn. Er weiß, dass das Heilmittel zu einem Gedächtnisverlust geführt hat - keines der Opfer kann sich daran erinnern, gebissen und danach ein Vampir gewesen zu sein. Ob das hier vielleicht ein weiteres Symptom ist? Er nimmt sich vor, zu überprüfen, ob in den letzten Stunden die schon bekannten Patienten mit Amnesie in den Gothamer Krankenhäusern erneut vorstellig wurden. Nicht, dass das Mittel das Gedächtnis permanent in Mitleidenschaft gezogen hat. Seine Wut verraucht unter diesem neuen Aspekt beinahe sofort. Der Joker inzwischen hat den vollbeladenen Teller entdeckt, den Alfred vor wenigen Minuten zwischen den Gitterstäben hindurchgeschoben hat und stürzt sich darauf wie ein halbverhungertes Tier. Beim Anblick, wie er mit seinen schmutzverkrusteten Fingern die glibberigen Spiegeleier in sich hineinschaufelt, verzieht Bruce angewidert das Gesicht. Es erinnert ihn unwillkürlich an diese Szene in der Blutbank, wo der Joker wie ein Tier mit der Zunge das Blut vom Fußboden aufgeleckt hatte. Jetzt benutzt er zwar wenigstens seine Finger, aber es ist dennoch unappetitlich. Und er riecht ziemlich streng. Nach getrocknetem Blut, kaltem Schweiß und nassem Hund. Bruce rümpft die Nase und verlässt die Zelle ohne ein weiteres Wort. Diesmal geht er jedoch sicher, dass er die Tür mehrfach verschließt. Zu seiner großen Überraschung wartet zehn Meter weiter, am Lift, Alfred auf ihn. Innerlich zögert Bruce, unangenehm berührt - hat Alfred ihn etwa beobachtet? - nach außen hin lässt er sich jedoch nichts anmerken, geht ruhigen, gemessenen Schrittes weiter auf ihn zu. Der ältere Mann, der ihn nach dem Tod seiner Eltern wie einen eigenen Sohn großgezogen hat - obwohl er damals nicht viel älter war als Bruce jetzt - sieht ihm schweigend entgegen und wie so oft ist seiner Miene nicht anzusehen, was er gerade denkt. Nur für einen winzigkleinen Moment, als sein Blick kurz hinüber zu dem Joker hinter ihm huscht, da flackert so etwas wie Besorgnis über sein Gesicht. Bruce hätte fast geschmunzelt. Der gute Alfred. Immer macht er sich Sorgen um ihn, selbst wenn die Gefahr so eindeutig hinter Gittern sitzt wie jetzt. Keiner von ihnen sagt ein Wort, während sie zusammen hinauf ins Mansion fahren. Erst als sie wieder in der Eingangshalle stehen, bricht Alfred das Schweigen. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Date mit Miss Vale nicht so verlief, wie Sie es sich vorgestellt haben?” „Natürlich", knurrt Bruce abwehrend zurück. „Wir hatten eine sehr schöne Nacht zusammen." „Aber…?"  insistiert Alfred. Bruce wirft ihm einen giftigen Blick zu. „Nichts aber, Alfred. Meine Güte, wieso bist du so penetrant? Seit wann mischst du dich in mein Liebesleben ein?" „Nun", kommt die gelassene Antwort, „normalerweise sind Sie nach einem gelungenen Rendezvous auch nicht gereizt wie ein Bär, den man in seinem Winterschlaf gestört hat. Da liegt die Vermutung nahe, dass etwas nicht nach Ihren Wünschen gelaufen ist." „Wie sollte ich nicht gereizt sein, wenn du einfach hinunter zum Joker gehst? Du weißt, er ist gefährlich." „Master Bruce ...", fragt Alfred ihn streng, „wer hat bei Ihnen, als Sie ein kleiner Junge waren, das Interesse für asiatische Kampfkünste geweckt? Wen haben Sie damals gefragt, ob er Ihnen Judogriffe beibringen könne?" „Dich", gibt Bruce widerstrebend zu. „Aber..." „Der Joker ist nicht nur Ihr Problem", unterbricht Alfred ihn in einem Tonfall, den Bruce schon seit langem nicht mehr von ihm zu hören bekommen hat. So hatte er das letzte Mal zu ihm gesprochen, als Bruce als Jugendlicher über die Stränge geschlagen und während einer Party das halbe Mansion verwüstet hatte. Mit diesem Tonfall und Blick hatte Alfred ihn damals gezwungen, den Dreck eigenhändig zu beseitigen und Bruce Achtung vor dem Berufsstand der Reinigungskräfte beigebracht. „Er ist ein Mensch und hat Rechte. Und solange er sich auf Ihrem Grund und Boden aufhält, ist es meine Pflicht, genauso für sein leibliches Wohl zu sorgen wie für Ihres. Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen, erst recht, wenn die Gefahr hinter Gittern sitzt." Er hält kurz inne und mustert Bruce durchdringend. „Ich war es nicht, der die Zellentür aufgelassen hat, Bruce." Bruce schluckt einmal betreten. „Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe..." gibt er kleinlaut zu. Alfred starrt ihn schweigend an, dann scheint er irgend etwas zu sehen, denn seine Miene wird weich und um seine Mundwinkel zuckt ein kleines Lächeln, als er näher tritt und Bruce eine Hand auf den Arm legt. Es ist eine tröstende und verständnisvolle Geste zugleich. „Die letzten Tage haben Ihnen viel abverlangt. Gönnen Sie sich und Batman eine Pause. Nur - um des Jokers Willen - entscheiden sie sich, ob Sie ihn als Gast oder Gefangenen behandeln wollen, ob Sie ihm ein Zimmer mit Bett zugestehen wollen oder ob er weiter in der Zelle bleiben soll. Wenn Sie sich für letzteres entscheiden, bedenken Sie bitte, dass diese Zellen keine hygienischen Einrichtungen haben und ihn einer von uns dann mehrmals täglich ins Bad geleiten muss. Eine Dusche braucht er jetzt schon. Mit Verlaub, er stinkt, als hätte man ihn gerade aus dem Gotham River gefischt." „Du hast die dritte Möglichkeit vergessen", murmelt Bruce, der über Alfreds Sinn fürs Praktische wie immer etwas lächeln muss. „Ich könnte ihn auch zurück nach Arkham bringen." Ernst drückt Alfred seinen Arm und sieht ihm dabei gerade in die Augen, und Bruce hat den Eindruck, als würde er sich heimlich über ihn amüsieren. „Nein, Master Bruce, diese Option steht erst einmal nicht zur Debatte." Er denkt kurz nach und überlegt sich seine nächsten Worte ganz genau. Bruce' innere Zerrissenheit ist für ihn nur allzu offensichtlich - auch wenn der Millionär selbst sich dessen nicht bewusst zu sein scheint. Es geht hier nicht nur um eine angeblich versehentlich offengelassene Zellentür oder um die schlecht unterdrückte Trauer um den Joker, die Bruce noch vor ein paar Tagen zu dieser wilden Entschlossenheit antrieb, Gotham mehr als sonst zu beschützen oder um eine unbefriedigende Liebesnacht ... all das sind nur Symptome für ein wesentlich tiefer liegendes Problem.  Alfred hat eine gewisse Ahnung, worum es dabei geht, aber er weiß, wie fatal es wäre, dies seinem Arbeitgeber direkt auf den Kopf zu zusagen. Er würde es abstreiten, verleugnen und sich selbst damit nur noch länger quälen, und das ist das letzte, was Alfred will. Besser, er zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. „Der Joker hatte die Gelegenheit zur Flucht. Bevor wir nicht herausgefunden haben, wieso er sie nicht genutzt hat, sollten wir ihn hierbehalten. Vielleicht plant er etwas. Vielleicht ist er genauso erschöpft wie Sie. Fakt ist: aus Arkham würde er nur sofort wieder ausbrechen, hier ist Gotham erst einmal vor ihm sicher." Bruce überlegt kurz. Alfreds Argumente klingen einleuchtend. Diese untypische Passivität des Jokers ist wirklich beunruhigend. „Behandeln wir ihn erst einmal als Gefangenen, Alfred. Mal sehen, wie gesprächig ihn das macht." „Einverstanden, Sir." Alfred wendet sich wieder zum Lift um, hält vor der Tür allerdings noch einmal inne. „Dann werde ich unseren Freund jetzt mal zu einer Dusche überreden." „Das übernehme ich", erklärt Bruce beinahe sofort. Da Alfred ihm den Rücken zuwendet, entgeht ihm dessen Grinsen. *** In seiner Zelle leckt sich Joker noch einmal über die Lippen, bevor er sich seine Hände an seinem schmutzigen Mantel abwischt und sich dann in eine Ecke zurückzieht. Unterwegs rafft er noch die Decke zusammen, die bisher völlig unbeachtet herumlag und wickelt sich darin ein. Für einen Moment war der Hunger vorherrschend, aber jetzt, wo dieser gestillt ist, kehrt die Müdigkeit zurück. Es ist nicht so, dass Joker den Millionär nicht verstanden hätte. Er hielt es nur nicht für nötig, ihm darauf zu antworten. Reden ist anstrengend, wenn es nur in einer Diskussion enden kann, in der man unterliegt, weil einem das Denken schwer fällt. Er ist müde. Alles, was er will, ist schlafen. Es ist, als wolle sein Körper jetzt all die schlaflosen Nächte der letzten Jahre nachholen - und davon gibt es mehr als genug. Diese Rastlosigkeit, unter der er seit seiner Mutation leidet, ist einer solch tiefgreifenden Erschöpfung gewichen, dass es ihm schon egal ist, ob und wo er eingesperrt ist. Arkham? Bathöhle? Ph. Egal. Hauptsache, man lässt ihn in Ruhe. Er würde darüber lachen, aber selbst dazu fehlt ihm die nötige Kraft. In seinem Inneren tobt ein Krieg, von dem er nichts weiß. Er spürt nur die Auswirkungen. Er weiß nicht, dass die Mutationen, die sein Körper vor ein paar Jahren durchgemacht hat, nur der Anfang waren. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)