L2 von Kathey (Messed up kid that I was...) ================================================================================ Kapitel 7: Seven ---------------- "And it's hard to dance with a devil on your back So shake him off" - Florence and the Machine, Shake it out Sie schwiegen fast die gesamte Heimfahrt über. Wahrscheinlich wäre Kaidan am Ende wieder eingeschlafen, wenn ihn die Erinnerung an den letzten, sehr unangenehmen Traum nicht noch wach gehalten hätte. Nein, schlafen war im Moment wirklich keine besonders gute Idee. Also starrte er schweigend aus dem Fenster, hörte abwesend dem Radio zu, das abwechselnd Nachrichten und dann wieder sehr fragwürdige Musik ausstrahlte. Es dauerte etwas mehr als anderthalb Stunden, ehe sie daheim angekommen waren. Kaidan betrachtete das Haus seiner Eltern schon fast ungläubig, widerstand aber dem Drang, sich zu kneifen. Nein, er war hier, er war wirklich wieder zurück. Sein Vater legte ihm eine Hand auf den Rücken und schob ihn schon beinahe vor sich her, als Kaidan erst einmal keine wirklichen Anstalten machte, sich auf den Weg zur Haustür zu machen. Es war ja nicht so, dass er nicht gerne wollte, aber bei der Vorstellung, dass seine Mutter ihn gleich so sehen würde, zog sich irgendwas in seiner Brust zusammen. Sicher, er hatte seinen Vater gebeten, ihr alles beizubringen und das hatte er hoffentlich so schonend wie möglich getan, aber dennoch waren davon erzählt zu bekommen und es dann zu sehen zwei verschiedene Dinge. Aber es nützte nichts, ehe sich Kaidan versah, standen sie an der Haustür, die sein Vater ohne zu zögern aufschloss und sie beide hinein gingen. Er hielt den Kopf gesenkt, als er die Stimme seiner Mutter aus dem angrenzenden Zimmer vernahm, die sie aufgeregt fragte, ob sie denn alle beide wieder daheim waren. "Ja, sind wir", antwortete Kaidans Vater, während er seine Schuhe auszog. Sein Sohn tat es ihm gleich. Und vor allem tat er es sehr, sehr langsam, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, als seine Turnschuhe ordentlich hinzustellen, während die Schritte hinter ihm lauter wurden. Aber irgendwann konnte er nur noch auf die Schuhe starren, und es nützte doch ohnehin nichts mehr, sich weiterhin zu verstecken, wozu denn auch? Seine Wunden würden immerhin nicht innerhalb von ein paar Minuten verheilen, nur, weil er es sich gerade wünschte. Langsam wandte er sich um, blickte zu seiner Mutter, die wie immer ein Taschentuch in der Hand hatte und es nervös knetete, während sie ihn ansah. Sie sagte nichts, sie musterte ihn einfach nur, "Hey, Mom", meinte er nur leise, während er sie besorgt musterte. Er hatte sie lange nicht gesehen, aber... seit wann war sie so dünn? Seit wann hatte sie solche dunklen Augenringe hinter den Brillengläsern? Seit wann wirkte sie so zerbrechlich? Wahrscheinlich war es seine Schuld, wie so vieles in der letzten Zeit seine Schuld gewesen war. Er sah doch, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte, wahrscheinlich mehr, als gut für sie gewesen war. "Bin wieder da." Sie antwortete ihm auch nicht, sondern blickte ihn einfach nur stillschweigend an. Und obwohl er sehen konnte, wie sie tapfer versuchte, die Tränen zurück zu kämpfen, doch Erfolg hatte sie damit keinen, sie stiegen ihr immer wieder in die Augen, während sie auf ihn zu kam. Mit einem erstickten Schluchzen legte sie die Arme um ihn, drückte ihn gerade so fest an sich, dass sie ihm nicht weh tat, aber ihn auch wirklich, wirklich fest im Arm halten konnte, fast, als hätte sie Angst, dass er sich in Luft auflösen würde, wenn sie ihn wieder losließ. Vorsichtig legte Kaidan die Arme um sie, strich ihr beruhigend mit der Hand über den Rücken, als ob sie diejenige wäre, die jetzt den meisten Trost brauchte. Wahrscheinlich war sie das auch, denn er spürte nur allzu genau, wie sie zitterte. Kaidans Augen brannten, als er ihr ein paar beruhigende Worte zuflüsterte. Sie solle sich keine Sorgen machen, es ginge ihm gut. All das versuchte er ihr leise zu versichern, ob es denn nun stimmte oder nicht. Während er sie leise und zittrig durchatmen hörte, löste sie sich ein Stück weit von ihm und nahm sein Gesicht mehr als sanft in beide Hände, um ihn zu betrachten - sofern das durch den Tränenschleier überhaupt möglich war. "Oh, Kaidan..." Sie fuhr ihm über die Haut, gerade, dass ihn ihre Fingerspitzen überhaupt berührten. Und immer und immer wieder versuchte sie, ein leises Schluchzen zu unterdrücken, während sie ihn so vorsichtig betastete und über die kleinen Schnitte und blauen Flecken fuhr. "Ist nicht so schlimm, wie es aussieht", versuchte er es bei ihr noch einmal. Bei seinem Vater mochte diese Ausrede nicht funktioniert haben, aber vielleicht beruhigte sie seine Mutter ein klein wenig. Aber im Moment hörte sie einfach nicht auf zu weinen, egal, was er sagte. Und dieser Anblick zerriss ihn innerlich. "Komm, lass den Jungen erst einmal nach Hause kommen." Vorsichtig trat sein Vater zwischen die beiden und führte seine Mutter sanft an der Schulter von Kaidan fort. Er nickte seinem Sohn noch über die Schulter zu, ehe er seine Frau in Richtung der Couch im Wohnzimmer führte und sich vor sie kniete, scheinbar, um sie noch ein wenig auf sie einzureden und ihre Tränen zu trocknen. Kaidan hingegen schulterte seine Tasche und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Irgendwie sollte es sich doch gut anfühlen, nach Hause zu kommen, oder etwa nicht? Für ihn fühlte es sich im Moment einfach nur leer an. Als wäre er nicht ganz nach Hause zurückgekehrt, sondern als ob ein Teil von ihm noch immer auf der Gagarin Station in den Weiten des Weltraumes war. Es fühlte sich noch immer so unwirklich an, wieder hier zu sein. Seufzend ließ er seine Tasche mitten im Raum fallen, wo sie mit einem dumpfen Laut auf den Boden traf, während er selbst zum Bett hinüber schlurfte. Er wollte sich nur einen kleinen Moment ausruhen, alles andere konnte er sich noch später machen, er wollte nur eine kleine Weile die Augen schließen und einfach an nichts denken müssen. Nicht, dass er glaubte, dass das sonderlich gut funktionieren würde, aber einen Versuch war es doch allemal wert. Nur wurde aus dem Augenblick eine ziemlich lange Zeit. Als er die Augen wieder öffnete, lag sein Zimmer schon im Halbdunkel, er musste wohl gute zwei oder drei Stunden geschlafen haben. Seufzend setzte er sich auf und fuhr sich müde über das Gesicht - so gut es eben ging, ohne vor Schmerz zusammenzuzucken. Hatte er eigentlich geträumt? An ein paar undeutliche Bilder konnte er sich noch erinnern, aber die waren alle nicht wirklich nennenswert gewesen. Zumindest war es nicht dasselbe gewesen wie noch im Raumschiff auf dem Weg zurück zur Erde. Aber sonderlich gut schien er auch nicht gewesen zu sein, er schälte sich erst einmal aus seinem verschwitzten Kapuzenpulli, mit dem er vorhin eingeschlafen war. Er streckte sich kurz, ehe er aufstand und nach unten trottete. Trotz allem hatte sich sein Magen nämlich mit einem lauten Grummeln gemeldet und er wollte ihn nicht wirklich länger auf sein Essen warten lassen - zumal er nicht einmal mehr wusste, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte, vor allem etwas, das er nicht hatte selbst kochen müssen. Im Wohnzimmer brannte noch immer Licht. Nun, allzu spät war es immerhin noch nicht, wahrscheinlich gegen Acht Uhr abends. Hoffentlich war niemand böse, dass er das Abendessen verpasst hatte. Aber dank der kurzen Ruhepause fühlte er sich um Längen besser, wahrscheinlich hatte er genau das gebraucht. Auf Zehenspitzen tapste er in Richtung der Küche, allerdings war das vollkommen unnötig gewesen, da sich seine Mutter ohnehin dort befand und ihn entdeckte. "Hast du Hunger?", fragte sie sofort, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Kaidan vergrub die Hände in den Hosentaschen und nickte schwach, obwohl seine Mutter die Antwort nicht einmal abgewartet hatte, sondern gleich aufgesprungen war, um nach einem Teller zu fischen, den sie mit Essen aus dem Topf voll lud, der noch immer auf der Herdplatte stand. Himmel, wo sollte er denn das alles hin essen? "Ich wollte dich vorhin nicht wecken", erklärte ihm seine Mutter lächelnd, während der Deckel zurück auf den Topf wanderte und sie ihm den Teller reichte. Kein Steak, aber immerhin der beste Eintopf, den man in ganz Vancouver finden würde. "Du hast so ruhig geschlafen, da habe ich das Essen einfach aufgehoben und..." Sie zuckte etwas hilflos die Schultern, während Kaidan seinen Teller auf dem Tisch abstellte, ehe er sich wieder seiner Mutter zuwandte. "Tut mir leid, ich wollte das Essen nicht verpassen", meinte er entschuldigend. Wenn sie sich schon die Mühe machte zu kochen, dann wollte und sollte er auch wach sein, um es so frisch wie möglich zu essen. "Du hättest mich ruhig wecken können." "Nein... nein, du hast genug durchgemacht." Da war wieder das Händeringen, dieser unstete Blick, diese bebende Unterlippe. "Ich meine, sicher weiß ich das natürlich nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ich meine, ich sehe es ja sogar und... mein Gott." "Mom..." Kaidan war bei ihr, als sie wieder zu weinen begann und nahm sie fest in die Arme. Hätte er ihr vielleicht von Anfang an die Wahrheit sagen sollen? Vielleicht ja, vielleicht wäre dann alles viel leichter für sie gewesen. Aber nun spielte das keine Rolle mehr. Es war vorbei und er war wieder hier, das war doch sicher alles, was zählte, oder etwa nicht? "Ich werde dir und Dad bald alles erzählen, okay?" Denn da kam er wohl nicht drum herum. Und Ausflüchte waren keine Option mehr. Nicht noch mal. Seine Mutter strich ihm durchs Haar, ehe sie anmerkte, dass das Essen gleich kalt sein würde. Kaidans Lachen, das auf diese Aussage hin folgte, war das ehrlichste seit gefühlten Wochen. Er schlief schlecht in der ersten Nacht. Verdammt schlecht sogar. Die Albträume waren wiedergekommen und mehr als einmal wachte er schweißgebadet auf, nachdem er in seinen unheilvollen Träumen erneut Vyrnnus und Rahna und Robert begegnet war. Wieder auf erschreckende Art und Weise. Er wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, was in seinem Traum passiert war, er wollte einfach nur in Ruhe wieder einschlafen können. Am besten, ohne dann überhaupt noch irgendetwas zu träumen. Beim dritten Aufwachen registrierte er den schwachen Lichtstreif, der wohl durch die geöffnete Tür in sein Zimmer und an seine Wand fiel. Er kam wohl aus dem Flur. Waren seine Eltern noch immer wach? Dabei war es doch schon recht spät, oder er glaubte zumindest, dass dem so sein musste. Er wollte gerade seinen Wecker zu Rate ziehen, als sie Tür mit einem leisen Knarren etwas weiter geöffnet wurde und das leise Geräusch von nackten Füßen auf dem Boden erklang. Und die Schritte waren eindeutig zu leicht, als dass sie von einem Mann kommen konnten. Einen Moment lange überlegte er, die Augen offen zu lassen und seine Mutter zu fragen, ob alles in Ordnung war, aber er überlegte es sich anders und schloss stattdessen die Augen. Wahrscheinlich würde sie sich noch mehr Sorgen machen, wenn er mitten in der Nacht wach im Bett lag - und das musste wirklich nicht sein. Gut, dass er ohnehin mit dem Gesicht zur Wand lag, so war es einfacher, den friedlich schlafenden Sohn zu mimen. Er hörte ein befreit wirkendes Aufatmen, als sie neben seinem Bett stand. War es die Erleichterung, dass er wieder hier daheim war? Bei seiner Familie? Konnte gut möglich sein. Kaum einen Moment später spürte er, wie sie ihm leicht über das Haar strich und ihm einen Kuss auf die Schläfe hauchte. Irgendwann hatte ihm sein Vater einmal gesagt, dass sie das bereits getan hatte, als er noch ein Baby gewesen war - und einige Dinge änderten sich wohl wirklich niemals. Und zumindest schlief er von da an den Rest der Nacht recht gut durch. Die nächsten Wochen und Monate brauchte er, um wenigstens wieder etwas auf die Beine zu kommen. Physisch wie psychisch. Zwar war er nicht begeistert davon, dass ihn seine Eltern immer und immer wieder zu Ärzten bringen wollten, aber zumindest seine Fäden musste er überprüfen lassen, wenn er nicht mit einem Spalt in der Lippe herumlaufen wollte. Und zumindest verheilten sie mittlerweile recht gut, einige der blauen Flecken waren schon fast vollkommen verschwunden, und viele der nicht so tiefen Schnitte waren schon zu blasseren Narben geworden. Ganz verschwinden würden einige wohl nie, besonders die ganz große quer über der Lippe nicht, aber damit konnte er leben. Zumindest würde es ihn daran erinnern, was dort auf Jump Zero passiert war, und auch daran, dass er nicht zulassen wollte, dass das jemals wieder geschah. Die Allianz hatte den ehemaligen Mitgliedern des BAaT-Programms psychologische Hilfe versprochen, mit Ärzten und Professoren und Psychiatern, die genau wussten, welche Knöpfe sie drücken und welche Worte sie sagen mussten, um die jungen Biotiker zu beruhigen und wieder gesellschaftsfähig zu machen. Kaidan hatte diese Hilfe nicht in Anspruch genommen, zumal er keinerlei Interesse daran hatte, wieder wie eine Laborratte zu enden. Seine Mutter hatte es nicht wirklich gutheißen können, aber dieses eine Mal hatte er sich nicht wirklich reinreden lassen. Im Moment wollte er der Allianz und allen, die dazu gehörten, so fern wie möglich bleiben. Seine Probleme konnte er auch alleine aufarbeiten. Wahrscheinlich musste er das sogar. Einige Tage nach seiner Heimkehr hatte er seinen Eltern alles gestanden, was sich auf der Gagarin Station wirklich abgespielt hatte. Begonnen bei der nicht vorhandenen Versorgung über die unmenschlichen Ausbildungsmethoden bis hin zu den Verlusten, die sie hatten erleiden müssen. Er hatte nicht geglaubt, dass es so schwer werden würde, alles zu erzählen, was er früher verschwiegen hatte, aber er gab sich Mühe, sich nicht allzu oft zu unterbrechen. Was schwierig gewesen war, besonders dann, wenn die Sprache auf Robert kam. Oder Rahna. Oder irgendein schlimmes Erlebnis generell. Scheinbar hatte er dann zumindest für einen Moment die Eigenarten seiner Mutter übernommen und nervös die Hände gerungen, bis sie Kaidans Hand kurz gedrückt hatte, während er nach den passenden Worten gesucht hatte. Mehr als einmal waren ihr dabei die Tränen in die Augen gestiegen, während sein Vater fast die gesamte Zeit über schweigend zugehört hatte, die Arme vor der Brust verschränkt und mit mehr als dunklem Ausdruck auf dem Gesicht. Nur einmal war er aufgestanden, und durch den Raum gelaufen. Das war, als Kaidan begonnen hatte, von Vyrnnus zu erzählen - beziehungsweise von dem, was der Turianer ihm angetan hatte. Jedes einzelne Detail hatte er nicht erwähnen müssen, und das hatte er auch nicht vorgehabt, denn das, was dort passiert war, konnte man nur noch allzu gut in seinem Gesicht ablesen. Und er hatte nicht mehr zu tun brauchen, als das Messer überhaupt zu erwähnen, damit seine Mutter halb in Tränen ausgebrochen war und sein Vater mit einem leisen Fluch auf den Lippen die Stirn gerunzelt hatte, ehe er wie ein Tiger im Käfig im Raum auf und ab gelaufen war. Am schwierigsten war es aber gewesen, von seinem eigenen Angriff auf seinen Ausbilder zu berichten. Wahrscheinlich, weil er einfach schlicht und ergreifend Angst gehabt hatte, dass seine Eltern wie Rahna und all die anderen hätten reagieren können. Er hatte doch nur nicht gewollt, dass auch sie ihn fürchteten... Am Ende des Teils über Vyrnnus' Taten hatten seine Hände gezittert. Und nicht nur die, wenn er sich denn recht erinnerte, selbst seine Zähne hatten geklappert, und fast war es ihm so erschienen, als hätte sich eine eiskalte Hand um sein Herz gelegt gehabt, die bereit gewesen war, jeden Moment zuzudrücken, während er zuerst nur Schweigen von seinen Eltern vernommen hatte. Aber genau das war nicht geschehen. Sein Vater hatte sich lediglich wieder hingesetzt, seine Mutter hatte sich das Gesicht abgeputzt und beide hatten ihn angesehen, wie bei einer stummen Aufforderung, dass er zu Ende erzählen sollte. Also hatte er genau das getan. Er hatte einfach weiter erzählt, vom Krankenhausaufenthalt gesprochen, davon, wie die anderen ihn von da ab gemieden hatten. Von Rahna hatte er nicht mehr sonderlich viel erzählt, wahrscheinlich war seinen Eltern aber schon bewusst gewesen, dass sie auch zu denjenigen welchen gehört haben musste, die ihn von da ab gemieden hatten. Und dann war er am Ende gewesen. Am Ende seines Berichts und seiner Kräfte. Er war sich müde über die brennenden Augen gefahren, und seine Mutter hatte ihn lediglich in den Arm genommen, seinen Kopf an ihre Schulter gedrückt und ihn festgehalten. Und das hatte sie eine ganze Weile lang getan, bis er sich mit einem schwachen Lächeln von ihr gelöst hatte, während sie ihm die Tränen von den Wangen gestrichen hatte. Keiner von ihnen hatte noch ein Wort über all das verloren. Und das war Kaidan mehr als genug gewesen, denn so hatte er trotz allem gewusst, dass sie ihn nicht hassten, ihn nicht fürchteten. Und bevor er in sein Zimmer gegangen war, hatte sein Vater einen Arm um seine Schulter gelegt und ihn kurz an sich gedrückt. "Ich bin stolz auf dich." Kaidan hatte ihn nur mit großen Augen ansehen können, aber dann hatte er nur schwach genickt. Glücklich genickt. Denn diese fünf Worte seines Vaters hatten ihm in diesem Moment wirklich die Welt bedeutet. Es war nicht gerade einfach, wieder in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Zumindest nicht für ihn. Die nächsten anderthalb und zwei Jahre verbrachte er damit, irgendeinen Sinn in seinem Leben zu finden. Was alles andere als einfach war und mit einigen Nervenzusammenbrüchen und Migräneanfällen endete, wenn er wieder einmal am Ende seiner Kräfte angelangt war. Doch aufgeben wollte er auch nicht. Es musste etwas geben, das er tun konnte, zumal er nicht viele Ansprüche hatte. Aber eine normale Arbeit? Als Koch? Mechaniker? Anwalt? Polizist? Kaidan glaubte nicht, dass er für etwas derartig Normales gemacht war. Nicht, weil er sich einbildete, etwas Besonderes zu sein - denn das hatte er noch nie -, aber er hatte gemerkt, dass das alles nichts für ihn war. Eine ganze Zeit lang hatte er einfach nur daheim gesessen und nichts getan, weil er nicht wusste, was er überhaupt tun konnte, ob er wirklich etwas tun konnte. Es musste doch auch als Biotiker möglich sein, ein ganz einfaches, normales Leben zu führen, aber das war nicht, was er wirklich wollte. Vielleicht hatte er in der Zeit auf Jump Zero zu viel gesehen und zu viel erlebt, als dass es ihm noch möglich war, etwas derartig Normales zu tun. In den Nachrichten hatte er von Biotikern mit L2-Implantaten gehört, die sich an der Allianz und Conatix für all das rächen wollten, was ihnen passiert war. Von dem Einsatz der fehlerhaften Implantate bis hin zu den schieren Folterungen auf Jump Zero. Es war der Brief, den er irgendwann bekam, der die Wende brachte. Er hatte keine Ahnung, wo er auf einmal hergekommen war, die wenigsten Leute verschickten noch Briefe, wo fast jeder ein Terminal daheim hatte - und die meisten Menschen sogar einen Chip für das Universalgerät in ihrem Arm implantiert hatten, das wie ein eigener, kleiner, holografischer Computer funktionierte. Aber er war direkt an ihn adressiert. Kaum jemand kannte seine Adresse und er war wirklich mehr als verwirrt, vor allem aufgrund des fehlenden Absenders. Stirnrunzelnd öffnete er den Brief und blickte auf eine überaus krakelige Schrift. Als hätte der Verfasser des Briefes gerade das erste Mal per Hand geschrieben. Hallo Kaidan (das d war sogar falsch herum geschrieben), Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr an mich. Aber ich mich an dich und an die anderen von der Station. Es tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich konnte nicht eher. Ich hoff, dieser Brief erreicht dich irgendwie von hier aus. Hab gehört, dass die Station jetzt zu ist. Nicht schade drum. Sie war sowieso nur wegen euch erträglich. Ich hoffe, es geht dir gut. Offiziell ist nichts, hab aber einiges gehört. Tut mir leid, falls du wirklich da drin gesteckt hast. Du bist sicher nicht Schuld an irgendwas. Glaub ich jedenfalls überhaupt nicht. Das wollte ich dir nur gesagt haben. Mir geht es so weit ganz gut. Wenn es so weitergeht, kann ich bald wieder nach Hause. Dank eurer Hilfe hab ich es so weit geschafft, denke ich. Darum wollte ich mich bedanken. Ihr wart alle echt tolle Freunde für mich. Ihr alle. Und was immer ihr in Zukunft tun wollt, tut es einfach. Wenn das jemand schaffen kann, dann ihr. Ich werd wieder zurück zu Mom und Dad und auf der Farm helfen. Sehr bald. Und vielleicht sehen wir uns dann irgendwann wieder. Das würde mich freuen. Gib nur nicht auf, ja? Mit den besten Grüßen aus dem Serenade-Hospital, Robert :-) Kaidan starrte auf den Brief in seiner Hand. Von Robert. Er hatte oft an den anderen Biotiker gedacht, aber er wusste nie, was mit ihm geschehen war und die Informationen, die er gebraucht hätte, hätte er niemals von jemandem bekommen. Aber Robert hatte es geschafft! Er war am Leben und kam langsam wieder auf die Beine. Und er hatte etwas vor. Er wollte wieder nach Hause zu seinen Eltern. Und er wollte die anderen wieder sehen, auch, wenn die Chancen darauf mehr als gering waren. Kaidan schluckte einmal schwer. Er hatte einen Plan, eine Perspektive. Und er würde weiter lernen und versuchen, sich zu erholen, damit sein Vorhaben bald Wirklichkeit werden würde. Jump Zero hatte ihn nicht zerstört, im Gegenteil! Es hatte ihm Mut gemacht, mehr Mut, als er jemals zuvor gehabt hatte. Und Kaidan? Er verbrachte seine Zeit damit, darüber zu sinnieren, was er nicht tun konnte oder wollte... anstatt einfach etwas zu tun. Wie Robert es ihm vorgeschlagen hatte. Eigentlich war es ihm doch klar gewesen, oder? Er wollte seine Kräfte nicht mehr benutzen, aber vielleicht musste er das gar nicht, um helfen zu können. Er hatte immer helfen wollen, er hatte immer etwas tun wollen. Vielleicht war er ein Biotiker, aber er war auch ein Mensch, einer, der gerne helfen würde, seinesgleichen in den Weiten des Universums zu vertreten. Und vielleicht konnte er das tun, genau das. Es würde vielleicht nicht einfach werden, aber er hatte nicht nur seine Biotik, durch sie er sich auszeichnen konnte, er konnte so viel mehr, vielleicht konnte er von wirklichem Nutzen sein. Für die Erde, für die Galaxie und für andere Menschen und Außerirdische. Mittlerweile glaubte er nicht mehr, dass er seine Zukunft hier auf Erde verbringen wollte oder sollte. Ja, er sollte einfach auf Robert hören und das tun, was er tun wollte. Und jetzt, dank dieses kleinen Briefes mit der schiefen Handschrift und dem umgedrehten D und den vielen Rechtschreibfehlern, der dennoch so voller Zuversicht war, da wusste er, dass er sich nicht mehr länger wie ein Schluck Wasser in der Südkurve hängen lassen wollte. Er hatte Kump Zero überlebt, es ging ihm gut und er war jung genug, dass er wahrscheinlich noch alles erreichen konnte, was er auch immer wollte. An diesem Abend trat er zu seinen Eltern, die Schultern etwas gestraffter als sonst und blickte sie ernst an. Jump Zero war eine Sache gewesen, die nicht seine Entscheidung gewesen war, aber das jetzt... "Ich gehe zurück zur Allianz." Dieses Mal allerdings zu seinen Konditionen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)