L2 von Kathey (Messed up kid that I was...) ================================================================================ Kapitel 6: Six -------------- "Tell them I was happy And my heart is broken All my scars are open Tell them what I hoped would be Impossible" - Arthur James, Impossible Das Raumschiff lag am nächsten Morgen bereits in dem kleinen Raumhafen vor Anker, als sie nach draußen gingen, als wartete es nur darauf, sie von Jump Zero fortzubringen. Nun, die meisten von ihnen begrüßten diesen Umstand, eigentlich schien ihn jeder einzelne Mensch hier zu begrüßen - abgesehen von den Leuten von Conatix und der Allianz, die sich wohl bald für all die Fehler und Verstöße und Unfälle würden rechtfertigen müssen. Falls denn die gesamte Sache nicht einfach im Sande verlief und niemals jemand mehr darüber sprechen würde. Denn wahrscheinlich würden genau dafür die Entschädigungen gezahlt werden, und genau deswegen würden die Leute von Conatix auch mit den Eltern und anderen Familienangehörigen sprechen wollen. Viele wollten sicher nicht einmal etwas von alledem hören, einige wollten wahrscheinlich nicht einmal ihre ach so gefährlichen Kinder zurück, und wieder andere... nun, wieder andere wollten einfach nur genau das. Sie wollten ihre Kleinen wieder bei sich und somit in Sicherheit wissen und nicht am anderen Ende der Galaxie. Die ersten Biotiker machten sich schon auf den Weg ins Schiff, sie konnten es kaum erwarten, von diesem unglückseligen Ort fortgebracht zu werden. Es herrschte überall Gedränge, von überall drangen Gesprächsfetzen bis zu ihm vor. Gespräche und Lachen und freudige Stimmen im Allgemeinen. Kaidan hielt sich ein wenig abseits von den anderen - und wahrscheinlich hielten sich auch alle anderen abseits von ihm. Schweigend saß er im Schatten eines großen Pfeilers und starrte zu Boden. Wozu auch den Blick heben? Als ob es etwas Interessantes zu sehen gäbe. Sein blauer Kapuzenpullover war mittlerweile viel zu weit für ihn geworden, die Zeit hier musste ihm mehr zugesetzt haben als gedacht, der Stoff schlackerte nur so um ihn herum, aber im Moment könnte ihn nichts weniger interessieren als die Tatsache, dass seine Kleidung eben nicht mehr direkt auf der Haut anlag. Immerhin war er ohnehin insgesamt kein sonderlich schöner Anblick und das wusste er. Und auch alle anderen machten keinen Hehl daraus, ihm zu zeigen, dass sie seine Nähe nicht wirklich schätzten, was für ihn ein wirklich, wirklich bedrückendes Gefühl war. Es war nur ein Nachmittag gewesen, den er wieder da gewesen war, aber die Abneigung die ihm entgegen geschlagen war, und die Angst, die sie kaum hatten verstecken können, hatten ihm heftige Magenkrämpfe und Kopfschmerzen beschert. Er wusste zwar, warum sie Abstand zu ihm hielten, aber allein die Tatsache, dass er sich unter Außenseitern wie ein Außenseiter fühlte, dass sie ihn mieden wie irgendeinen Schwerverbrecher, der in ihrer Mitte lediglich akzeptiert wurde, allein das machte ihn wirklich fertig. Eine ganze Zeit lang hatte er hier trotz allem das Gefühl gehabt, dass er dazu gehören würde, dass sie Biotiker unter sich Freunde waren, ein Team, dass sie einfach füreinander da waren und zusammenbleiben würde, ganz egal, was auch immer kommen würde. Aber dem war nicht so, und dem würde auch nie wieder so sein. Zuerst war es nur Rahna gewesen, die ihn weggeschickt hatte, aber auch der Rest der Station schien ihn zu meiden, und nicht nur einmal waren Gespräche unterbrochen worden. Kaidan hatte seither mit niemandem außer David gesprochen und auch, wenn es tröstend war, dass der andere Biotiker am liebsten alle anderen 'idiotischen Arschgeigen' einmal quer durch den Raum geschleudert hätte, so war es dennoch ein wirklich beklemmendes Gefühl zu wissen, dass David der einzige Mensch in dieser Einrichtung war, der wirklich noch zu ihm stand. Bei allen anderen... Nun, so froh sie waren, dass sie wieder nach Hause konnten, es war unverkennbar, was ihre Blicke ihm sagen sollten. Und jeder neue traf einmal mehr tief ins Herz. Idiot. Freak. Mörder. Wahrscheinlich war er für viele von ihnen einfach gemeingefährlich. Vyrnnus war wahrscheinlich nicht einmal halb so schlimm gewesen wie er, immerhin hatte er selbst nie jemanden umgebracht. Gebrochene Knochen waren eine Sache, aber ein zertrümmerter Kiefer und ein gebrochenes Genick eine gänzlich andere. Und dass es genau so gekommen war, war wohl wirklich Kaidans Schuld gewesen... Und nun konnte er sich nur noch wie der König der Freaks fühlen. Und ungekrönter und ziemlich verhasster König, den die Leute nur fürchteten und auf keinen Fall verehrten. Das war ein wirklich, wirklich beschissener Umstand und ein Ruf, den er niemals hatte innehaben wollen. "Bereit für den Aufbruch?" Kaidan blickte müde auf. David hatte seine Tasche bereits geschultert, und auch seine Jeans und sein rotkariertes Hemd waren in all der Zeit hier ein wenig zu groß für ihn geworden. Aber zumindest hatte er das Lächeln nicht verlernt, auch, wenn er jetzt allein nach Hause zurückkehren musste. Kaidan hatte erst später erfahren, dass David keine Familie mehr hatte, zu der er zurückkehren konnte. Augenscheinlich hatten er und Jimmy nie eine gehabt, sie waren in irgendeiner Einrichtung der Allianz aufgewachsen und dann nach Jump Zero gebracht worden. Wohin er nun gehen wollte, wusste er selbst noch nicht genau. Aber er hatte selbst gesagt, dass er das herausfinden würde und wenn er dort bei diesem wohin angekommen war, dann würde er Kaidan Bescheid geben. "Denke schon", antwortete Kaidan schließlich leise und ließ sich von David auf die Beine ziehen. Einen Moment lang atmete er zischend aus, ehe er wieder fest auf den eigenen Füßen stand. Sein Körper spielte zwar noch nicht wirklich mit, aber es würde sicher irgendwann wieder besser werden mit ihm, wenn erst wieder jeder Knochen ordentlich an Ort und Stelle eingerastet war. "Und was soll der Unsinn mit der Kapuze, Mann?" Seufzend zog ihm David die Kapuze vom Kopf und schüttelte missbilligend den Kopf. Kaidan war zwar nicht wirklich froh darüber, immerhin hatte er sie ja nicht umsonst so tief ins Gesicht gezogen, damit nicht jeder gleich sah, wie unschön er im Moment aussah. Aber verstecken hatte wohl wirklich keinen Sinn. Als würde nicht ohnehin jeder die gesamte Geschichte schon in der ein oder anderen Form kennen... "Nichts weiter", antwortete er nur ausweichend. "Will ich auch meinen, du siehst aus wie ein Schwerverbrecher damit." David schien erst etwas zu spät zu realisieren, was genau er da gerade gesagt hatte und stammelte etwas vor sich hin, das mit viel gutem Willen eine Entschuldigung hätte sein können. Vielleicht war es aber auch einfach nur unartikuliertes Gemurmel gewesen. Allerdings verstummte das rasch, als er sich umsah und mit einem genervten Seufzen wieder nach vorne blickte. Dieses Mal verstand Kaidan sogar, was er sagte. "Ah, Zickenalarm..." Zwar hätte es Kaidan nicht so beschrieben, aber er wusste auch, wer da hinter ihnen war, ohne, dass er sich umwenden musste. Und er hatte auch nicht vor, sich wieder umzuwenden, denn nichts hier war es wert, dass man auch nur einen Blick zurück warf. Überhaupt nichts von alledem. "Erklär mir noch mal, warum du es in Ordnung findest, dass sie dich wie den letzten Dreck behandelt!" "David..." "Nein, ich will es wissen!" "Würdest du gerne bei jemandem sein, der dich mit einem Schlag für den Rest deines Lebens zum Krüppel machen könnte? Würdest du das?" "Kaidan, das war eine einmalige Sache! Du hast dich nur gewehrt, nichts weiter!" "Ja, es war wirklich eine einmalige Sache." "Was willst du machen? Dich im Wald verschanzen und den Rest deines Lebens als Einsiedler verbringen? Niemals wieder jemanden an dich heran lassen? Aus Angst, dass du dieser Person weh tun könntest?" "Vielleicht ist das die beste Möglichkeit." "...Weißt du, ich hoffe wirklich, dass da irgendwann irgendjemand kommt und dir das Abstand halten allein mit seiner Anwesenheit schon unmöglich macht, dass du gar nicht mehr anders können wirst, als dein Einsiedlertum aufzugeben." "Du bist wirklich zu freundlich zu mir." "Ich wünsch' dir echt nur alles Beste, du Trottel." "..." "..." "Hey, David... Danke." "Wenn du mich jetzt dafür umarmen willst, dann sind wir geschiedene Leute." Die Rückreise zur Erde verlief wirklich ziemlich ereignislos. Die meiste Zeit über konnte man nicht viel mehr tun, als sich mit jemandem zu unterhalten oder auf irgendeinen im Schiff befindlichen Punkt zu starren und zu hoffen, dass die Lichtgeschwindigkeit sie auch wirklich so schnell von A nach B brachte, wie es immer behauptet wurde. Kaidan saß die gesamte Zeit über neben David. Sie redeteten nicht allzu viel, spielten lediglich ein paar Runden Blackjack, da man für so ziemlich jedes andere Spiel mehr Mitspieler gebraucht hätte und diese sich in mehr als angemessener Entfernung von ihnen fernhielten, aßen und tranken ein wenig ("Ich füttere dich nicht, Kanada!") und waren ansonsten still. Die Gespräche der anderen versuchte Kaidan auszublenden, so gut es ging. Der Lärm im Schiff bereitete ihm zwar wieder Kopfschmerzen, aber das war ihm relativ egal, so lange er nicht Bestandteil dieser Gespräche war - denn das war er in den letzten Tagen wohl mehr als einmal gewesen. Nur einmal hatte er sich dabei erwischt, wie er sich nach Rahna umgesehen hatte. Dass sie auf diesem Flug mit dabei war, wusste er ja, aber eigentlich hatte er vorgehabt, keinen einzigen Blick mehr zurück zu werfen. Wozu auch? Es gab einige Dinge, die unweigerlich vorbei waren. Ob man das nun wollte oder nicht. Zwar hätte er sich gewünscht, dass es anders gewesen wäre, aber was nicht möglich war, das war eben einfach nicht möglich. David war gerade in seinem Sitz eingeschlafen. Keine Ahnung, wie spät es gerade nach der intergalaktischen Zeitangabe sein musste, aber eigentlich kümmerte es ihn auch nicht wirklich. Wenn er schlafen würde, würde die Zeit sicher um einiges schneller vergehen. Es war zwar nicht gerade einfach, eine bequeme Pose zu finden, in der ihm nicht irgendein Knochen oder generell einfach irgendeine Verletzung schmerzte, aber irgendwann war er zumindest so weit, dass er es sich irgendwie gemütlich gemacht hatte und die Augen schließen konnte. Normalerweise sollte Schlaf etwas Erholsames sein. Aber in Kaidans Fall waren die Dinge schon etwas länger nicht mehr sonderlich normal gewesen. Er hätte sich nicht darüber wundern dürfen, dass er ein paar mehr als krude Dinge träumte, das war schon gestern der Fall gewesen, aber dieser Traum heute... der war noch etwas sonderbarer als der letzte es gewesen war. Verstörender sogar. Er war wieder im Klassenzimmer auf Jump Zero. Zumindest sah es im ersten Moment so aus, doch irgendwie war der Raum verzerrt, und Dinge schwebten überall durch den Raum. Gewichte, Bücher, Menschen. Kaidan sah sich irgendwo weiter vorn im Raum stehen, unfähig, sich irgendwie zu bewegen oder etwas für oder gegen all die schwebenden Sachen zu tun. Weiter hinten im Raum entdeckte er einige seiner Klassenkameraden. Die Gesichter der meisten waren undeutlich und verzerrt wie der Raum an sich, aber einige konnte er erkennen, selbst, wenn sie mit dem Rücken zu ihm saßen. Robert war dort. Und Rahna. Wie durch eine widerspenstige Masse bewegte sich Kaidan langsam auf die beiden zu. Robert erreichte er zuerst, der Junge saß scheinbar schluchzend auf seinem Platz, den Blick von Kaidan abgewandt. Tröstend legte er ihm die Hand auf die Schulter - und prallte zurück, als sich Robert zu ihm wandte. Blut lief ihm aus Mund und Nase, während er Kaidan aus den grünen Augen heraus anblickte. Und sich sein Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse verzog. 'Danke, dass du mich im Stich gelassen hast.' Diese Worte schienen Kaidan das Herz aus der Brust zu reißen. Er versuchte, Robert zu erklären, dass er das niemals gewollt hatte, dass er ihm hatte helfen wollen, dass er es versucht hatte. Aber kein Wort verließ seine Kehle, als hätte man ihm zuvor die Stimmbänder heraus gerissen. Blut begann aus Roberts Augen zu laufen und Kaidan machte einen erschrockenen Schritt zurück, prallte gegen den nächsten Tisch und als er das nächste Mal auf den Platz sah, auf dem der andere Biotiker bis eben gesessen hatte, war er leer. Ein paar Mal öffnete und schloss er die Augen, schüttelte den Kopf, aber Robert blieb verschwunden. Mit zittrigen Beinen ging Kaidan weiter, die Blicke der geisterhaften Biotiker um ihn herum schienen ihm zu folgen und ihn für das zu verurteilen, was er getan hatte - oder eben nicht getan hatte. Er kämpfte sich bis zu Rahna vor, die vorne am Lehrerpult stand. Ihre schmalen Schultern bebten, während sie ihren scheinbar gebrochenen Arm mit der anderen Hand hielt und einen Moment lang war sich Kaidan nicht sicher, ob er wirklich dorthin gehen sollte, ob er wirklich sehen wollte, was dort auf ihn warten würde. Wenn es wie bei Robert war, dann wollte er es vermutlich gar nicht sehen. Aber sie dort einfach stehen lassen, das konnte er auch nicht. Und es war nicht so, wie es bei Robert gewesen war - es war viel schlimmer. Noch ehe er sie erreicht hatte, wandte sich die Türkin zu ihm um, den Kopf gesenkt und die Haare hingen ihr ins Gesicht, so dass er nicht wirklich etwas erkennen konnte. Aber als sie den Kopf schließlich hob, da wäre er am liebsten umgedreht und einfach nur gerannt. Ihr Gesicht war voller Blut, der Mund war eine einzige lange Linie, der an beiden Seiten mit einem scharfen Messer weiter aufgeschnitten worden war. Die Schnitte reichten zu beiden Seiten fast bis zu den Wangenknochen hinauf, und wenn sie den Mund öffnete, entblößte er fast all ihre Zähne. Diverse Schnitte verliefen über der Stirn, und insgesamt sah sie... furchtbar aus. Einfach nur furchtbar. Wann hatte ihr Vyrnnus das angetan? War er nicht eingeschritten? Warum nicht, er hätte niemals zugelassen, dass ihr etwas geschah! Rahnas gesunde Hand hob sich und deutete auf Kaidan. Nicht genau auf ihn, aber auf etwas in seiner Hand. Er senkte den Blick und starrte ungläubig auf das Messer, das er fest umschlossen hielt. Nein... Nein, das konnte nicht sein. Es war dasselbe Messer, das Vyrnnus benutzt hatte, um ihn zu verletzen. Und es war verschmiert mit Blut. Sofort riss er den Blick davon los, er musste Rahna erklären, dass er das nicht gewesen war, dass er so etwas niemals gekonnt hätte! Aber sie war fort. Stattdessen stand der Turianer hinter dem Lehrerpult, der Kopf hing schlaff und in einem eigentlich unmöglichen Winkel zur Seite herunter, und der Kiefer, der eigentlich hätte gebrochen sein müssen, hatte sich zu so etwas wie einem Grinsen verzogen. 'Sehr gut, Alenko', sagte Vyrnnus und der Stolz, der in seiner Stimme mitklang, hätte echter kaum klingen können. Und das war genau das, was Kaidan so unglaublich erschreckte. 'Genau das, was ich ihnen beibringen wollte. Sehr gut gemacht. Jetzt ist Ihre Ausbildung abgeschlossen.' Das Messer fiel aus Kaidans Hand. Nein. Nein! Das alles war nicht wahr, das durfte nicht wahr sein! Er hatte das hier alles niemals gewollt, nie! Er wollte nur weg von hier, nur weg und nach Hause und - "Kaidan! Kaidan, scheiße noch eins!" Er versuchte, die Hand wegzuschlagen, die ihn durchschüttelte. "Wach auf, Mann! Alles gut, mach die Augen auf!" Widerwillig öffnete Kaidan die Augen. Sicher würde David auch entstellt sein, wenn er ihn ansah, er würde verletzt sein, wahrscheinlich hatte er selbst ihm die Augen herausgeschnitten und das hatte er nie gewollt! Doch als er David ansah, konnte er keine Spuren von Verletzungen entdecken. Ächzend atmete Kaidan aus, sein Kopf pochte, als hätte er einen harten Schlag abbekommen und einen Moment lang wurde ihm schwarz vor Augen, ehe er sich wieder einigermaßen fing. Fast schon instinktiv fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und erschrak, als er das Blut sah. Wäre David nicht da gewesen, hätte er wahrscheinlich vor Panik laut aufgeschrien, aber der andere Biotiker versicherte ihm, dass er lediglich Nasenbluten hatte. Nichts weiter. "Hey, wow, ganz ruhig..." David hielt ihn noch immer an der Schulter fest und betrachtete ihn mit mehr als schierer Besorgnis. "Alles klar?" "Ja", presste Kaidan hervor. Eigentlich war gar nichts klar, aber es war wenigstens nur ein Traum gewesen. Ein scheiß beschissener Traum. Nicht mehr und nicht weniger. "Geht schon." Erst jetzt fiel ihm auf, wie ruhig es im Schiff war, sämtliche Gespräche schienen unterbrochen worden zu sein. Kaidan wollte gar nicht erst aufblicken, es war ihm ohnehin klar, dass ihn alle anstarren mussten. "Wie laut hab' ich geschrien?" "...laut", antwortete David ehrlich, ehe er den Kopf hob und die Menge überblickte. Fast alle Insassen des Raumschiffs blickten wohl zu ihnen, einige sicher verängstigt, andere vielleicht kopfschüttelnd. Kaidan konnte es nicht sehen. "Habt ihr jetzt nicht genug geglotzt? Kümmert euch doch mal um euren eigenen Scheiß!" Er setzte sich mit einem genervten Seufzen, als sich die anderen wieder ihrem Kram zu wandten. Und die Gespräche wieder aufgenommen wurden. "Du bist einfach noch ein wenig durch den Wind... Das wird schon wieder. Und hey, wir sind bald wieder auf der Erde!" David versuchte, so zuversichtlich wie irgend möglich zu klingen, aber im Moment wollte Kaidan einfach nur weg sein. Durch die viel gepriesene Luftschleuse aus dem Schiff irgendwo ins All geschleudert werden. Ja, das wäre jetzt wirklich schön... "Wie hältst du es nur bei mir aus?", fragte Kaidan irgendwann in die Stille zwischen ihnen hinein, das Gesicht in den Händen versteckt und mit noch immer zittrigen Beinen. Er hatte schon öfter Albträume gehabt, aber das hier... das war noch eine Ecke härter für ihn gewesen. Und viel, viel verstörender als vieles, was er zuvor erlebt hatte. "Hm, lass mal überlegen..." David rieb sich nachdenklich über das Kinn, ehe er lächelnd zu Kaidan sah, der sich langsam wieder ein wenig aufrappelte. "Vielleicht, weil du einfach ein ziemlich guter Kerl bist? Der einen ganzen Haufen Scheiße mitmachen musste. Und der trotzdem noch immer ein guter Kerl geblieben ist. Mit etwas weniger Gewicht vielleicht." Kaidan blickte mit einem schwachen Nicken zur Seite. Nun, das war vielleicht wirklich so, aber dennoch konnte er nicht glauben, dass David als Einziger von allen hinter ihm stand. Nicht, dass er nicht unglaublich dankbar dafür wäre! Aber es verwunderte ihn doch ein wenig, das er trotz allem bei ihm geblieben war. "Und so lange muss ich dich nicht mehr ertragen, da schaffe ich die letzten Minuten auch noch!" "Fast hätte ich deine Worte rührend gefunden..." Jetzt entkam sogar Kaidan ein schwaches Lächeln, warum konnte dieser Kerl denn auch nie wenigstens für einen Moment ernst bleiben? "Hier, lass uns noch eine Runde Karten spielen, dann schläfst du wenigstens nicht ein und ich muss nicht wieder Leute anschreien." David mischte den Stapel Karten und teilte aus. "Obwohl... so schlimm war das gar nicht." Es war später Nachmittag, als sie im Raumhafen von Vancouver anlegten. Die ersten von ihnen konnten es kaum erwarten, aus dem Schiff heraus zu kommen und sich auf den Weg zu ihren Eltern oder den Shuttles zurück in ihre Heimat zu machen. Kaidan und David warteten eine Weile, ehe sie ihre Taschen schulterten und sich auf den Weg nach draußen machten. Sie mussten eine Weile laufen, ehe sie das Hauptquartier der Allianz erreicht hatten und es gemächlich durchschritten. Überall herrschte reges Treiben, Allianzsoldaten halfen bei der Orientierung, während ein jeder nach seinem Weg suchte und hoffte, Familienangehörige oder den Weg nach Hause zu finden. "Wartet dein Vater draußen auf dich?" David schob sich durch die Masse an Leuten und sah sich um. Da er noch kein richtiges Ziel hatte, würde er später wohl einen der von der Allianz zur Seite nehmen und ihn fragen, ob er für den Moment noch einmal in die Einrichtung zurückkehren konnte, aus der Jimmy und er damals gekommen waren. Aber vorher wollte er Kaidan noch loswerden, wie er selbst so freundlich gesagt hatte. "Das hat er gesagt, ja." Kaidan hoffte, dass das Gedränge draußen nicht mehr so stark sein würde, er wollte einfach nur noch nach Hause und sich ausruhen. Sie drängten sich durch die Glastüren nach draußen, und erst da bekamen sie wirklich wieder Platz zum Atmen. Und irgendwie fühlte er sich jetzt besser, wo er die anderen weit weg wusste, er merkte fast schon, wie sich seine Schultern etwas lockerten. "Halt einfach nach einem blauen Skycar Ausschau." David scherzte, dass die Auswahl dann ja mehr als eingeschränkt war, aber schließlich machte er sich dennoch auf den Weg, um Kaidans Vater zu suchen. Lange dauerte die Suche nach ihm nicht wirklich, sie entdeckten ihn nach einem Moment bereits etwas abseits der anderen Wagen. Und bisher hatte er nicht einmal daran gedacht, wie schwer es sein würde, nicht einfach auf ihn zu zu rennen und ihn zu umarmen. Wenigstens ein wenig Haltung wollte er noch bewahren. "Ist er das? Sieht jedenfalls fast so aus wie du." David hob wie Kaidan die Hand zum Gruß und Kaidans Vater löste sich von seinem Wagen und kam auf die beiden Jungen zu. "Ja", brachte der Biotiker gepresst hervor. Die eben noch so lockeren Schultern strafften sich etwas, hoffentlich machte er keinen allzu jämmerlichen Eindruck. Aber wahrscheinlich würde ihn sein Vater so oder so durchschauen und wissen, dass er sich gerade wirklich, wirklich elend fühlte. Und das, obwohl er sich gerade nichts Schöneres hätte vorstellen können, als endlich wieder nach Hause zu kommen. "Hey, Kaidan." Er spürte die Hand seines Vaters auf seiner Schulter, als er zu den beiden getreten war, und er sah auch mehr als genau, wie seine Augen Kaidans mitgenommenes Gesicht abtasteten, während er selbst nur ein leises "Hey" zur Begrüßung hervorbringen konnte. Die Brauen seines Vaters zogen sich ein wenig zusammen, aber dennoch schwieg er für den Moment, ehe er sich David zu wandte. "Und du bist sicher David?" Der andere Biotiker ergriff die ausgestreckte Hand und nickte. "Ja, Sir. Der bin ich!" "Freut mich, dich kennen zu lernen." Sein Vater blieb die gesamte Zeit über neben ihm stehen, die Hand immer noch auf dessen Schulter, während er ein paar Worte mit David austauschte. Kaidan hörte ehrlich gesagt im Moment weniger zu, jetzt, wo all die Anspannung der gesamten Zeit auf Jump Zero von ihm abgefallen war, da wollte er einfach nur nach Hause, um sich in sein Bett zu legen und am besten eine gesamte Woche durchzuschlafen - oder zumindest einmal durchgängig für gute acht Stunden ohne irgendwelche Albträume. "...hat viel von dir erzählt..." "...bin ja fast geschmeichelt..." Kaidan versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung der beiden zu lenken, auch, wenn es ihm im Moment schwer fiel. Nicht nur, weil er erschöpft war und sein Körper mit einem Mal um Ruhe bettelte, sondern auch, weil er sich gleich von David würde verabschieden müssen. Etwas, das ihm schon immer schwer gefallen war, denn Abschiede waren einfach nicht sein Metier. "Machen wir uns auf den Heimweg?" Sein Vater drückte kurz seine Schulter und ließ Kaidan dann los, der einen Schritt auf David zu machte, um sich zu verabschieden. Irgendwie. "Ich find' Abschiede ja eigentlich immer echt peinlich", meinte David für seine Verhältnisse ziemlich leise und rieb sich den Nacken. Wenn er einmal nicht fluchte oder schrie, dann musste er schon wirklich, wirklich verlegen sein. Aber Kaidan verstand ihn schon, immerhin war es ja nicht so, als würde es ihm leicht fallen. "Pass auf dich auf, ja?", meinte er deswegen nur und überging damit Davids spöttische Anfangsrede. "Und falls was sein sollte - nun, du weißt ja, wo ich lebe." "Kanada ist aber auch echt ein Dorf", lachte der rothaarige Biotiker und schlug Kaidan freundschaftlich auf die Schulter. "Ich werd' dich dann schon finden, mach dir da mal keine Sorgen! Also sparen wir uns doch diese lächerliche Verabschiedung, wir sehen uns ohnehin bald wieder! Und Mr. Alenko, Sir?" Er sah zu Kaidans Vater, der mit verschränkten Armen ein paar Schritte von den beiden entfernt stand und sie betrachtete. Er nickte nur zum Zeichen, dass er David gehört hatte. "Sie haben einen wirklich großartigen Sohn!" Kaidan blinzelte David an, der seine Hand ergriff und bei ihm einschlug, ehe er ein paar Schritte zurück trat und so tat, als würde er ernsthaft salutieren wollen. "Wir sehen uns, Kanada!" Verlegen blickte ihm der Biotiker nach, als sich David auf den Weg zurück ins das Hauptquartier der Allianz machte, zumindest so lange, bis er einen Arm spürte, der sich um seine Schulter legte. "Als ob ich das nicht wüsste." Kaidan fühlte regelrecht, wie rot seine Ohren wurden, als er die Worte seines Vaters hörte. Konnten sie nicht beide aufhören so zu tun, als wäre er irgendetwas Besonderes? Denn er fühlte sich wirklich nicht so. Und dennoch erfüllte es ihn mit ziemlichem Stolz, so etwas von seinem Vater zu hören. "Ab nach Hause, Kleiner. Immerhin weiß ich ja, was dort auf dich wartet." Sie wandten sich ab und gingen langsam zurück zum Skycar, das sie hoffentlich schnell und sicher nach Hause bringen würde. "Ein gutes Steak?", fragte Kaidan schließlich hoffnungsvoll und spürte, wie ihm sein Vater mit einem kaum hörbaren Lachen durch die Haare fuhr. "Nun, ich sprach eigentlich von deiner Mutter, aber vielleicht kriegen wir für dich auch noch ein Steak..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)