Die Sonnenblume, die keine war von Sternenschwester (OS - AmiRus) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Irgendwann Anfang 17 Jahrhundert - irgendwo in Russland Ivan schritt in aller Ruhe die Schneise zwischen seinen geliebten Sonnenblumen entlang. Sicher, streng genommen sollte er die kleine, blonde Wanze von England suchen, aber in Wahrheit hatte er sich freiwillig gemeldet, um außerhalb nach dem amerikanischen Bengel zu suchen, damit er endlich seine Ruhe hatte. Abermals musste er innerlich über Englands sinnlose Entscheidung, das kleine Amerika zu ihm mitzunehmen, einfach nur den Kopf schütteln. Die Nation war noch zu sehr das Kind, welches es körperlich darstellte, als dass es bei einem solchen Zusammentreffen etwas zu suchen hätte. Doch Arthur hatte es sich nicht nehmen lassen, diesen Wirbelwind in sein Haus zu schleppen. Einerseits um seine Ansprüche auf diese halbe Portion zu bekräftigen und anderseits um Francis gehörig zu provozieren. Der erste Punkt war eine Farce, das war jeder der hier anwesenden Nationen klar gewesen. Der zweite Punkt hatte sich jedoch als wirksam herausgestellt. Francis verhielt sich selbst in der Anwesenheit des Kleinen immer gereizter. Ivan war ihm mehr als dankbar, dass er wenigstens das angebliche Pendant zu dem amerikanischen Knirps in Frankreich gelassen hatte. Es war nicht so, dass er Kinder nicht mochte, aber die meisten Kinder mochten ihn nicht oder hatten Angst vor ihm, wie der kleine Raivis. Einen Grund dafür konnte er sich nicht erklären. Versonnen blieb er stehen und beugte sich zu einer seiner zahlreichen Sonnenblumen. Er liebte diese Blumen, auch wenn viele, so wie jetzt, noch nicht ihre volle Höhe erreicht hatten. Sie erwärmten ihm das Herz, wie kaum ein anderes Geschöpf auf dieser Welt, von seinen Schwestern Mal abgesehen. Das intensive Gelb, unterstrichen von einem satten Braun, ließen ihn die vergangenen und vor allem die kommenden Winter vergessen. Wenigstens so lange, bis die stolzen Blumen welk vor ihm danieder lagen und ihn daran erinnerten, dass bald einer seiner stärksten, doch auch schlimmsten Verbündeten in sein Land Einzug hielt. Vielleicht war dies ein weiter Grund, warum er diese überdimensionalen Blumenköpfe so liebte. Solange sie in voller Blüte standen, war der General weit, weit weg. Zärtlich wie zu einer Geliebten, streckte Ivan die Finger aus und strich vorsichtig über die gelben Scheinblätter. Er hatte einiges an Zauber einsetzten müssen, damit diese exotischen Pflanzen auch in seinem Land blühten. Denn diese Pflanzen stammten vom gleichen Kontinent wie dieser Tunichtgut, der England vor ein paar Stunden entwischt war, wo sie jedoch ein weit angenehmeres Klima gewöhnt waren. Ivan seufzte innerlich kurz auf und hoffte nur, dass Arthur mit Hilfe der anderen nicht dabei war, sein Haus umzukrempeln. Er sollte seine gegenwärtige Rolle endlich ernst nehmen und zusehen, dass sich das Balg nicht irgendwo auf seinen weitläufigen Ländereien verirrt hatte. Auch wenn er sich weniger Sorgen machen musste, das der kleine Alfred so schnell verhungerte oder verdurstete, aber eine traumatisierte Nation in Kinderformat war das letzte was er brauchte. Er wollte sich wieder dem Weg zu wenden, da erblickte er einen hellen Fleck innerhalb seiner geliebten Pflanzen, der eindeutig nicht ins Bild passen wollte. Vorsichtig, immer darauf achtend keine seiner kostbaren Blumen allzu sehr zu kicken, bahnte er sich einen Pfad durch das sonnengelbe Meer. Der Fleck bewegte sich und durch das gemächliche hin und her wippen der großen Blumenköpfe konnte Ivan ausmachen, dass, was auch immer es war, einen Bogen um ihn schlich. Es rannte nicht weg oder versuchte sonst den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Fast erschien es dem Hünen, als würde es sich erst ein Bild von ihm machen, bevor es sich überlegte, ob es näher kommen sollte oder nicht. So blieb er stehen, gespannt die Bewegungen und das Rascheln verfolgend. Dann hörte das Rascheln für eine Zeit lang auf. Der Wind strich sanft durch das Feld und immer mehr gelbe Köpfe begannen, im Takt einer verborgenen Musik zu wippen. Dann sah Ivan es oder besser gesagt ihn. Er musste mehrmals blinzeln, um sich erst wirklich bewusst zu werden, dass er sich nicht irrte. Nur wenig Meter von ihm entfernt stand Alfred in diesem schlichten weißen Kleidchen, inmitten der hochgewachsenen grünen Stängel seiner geliebten Sonnenblumen. Die kleinen Kinderhändchen fest an seine Brust gepresst, so, als würde er versuchen, so gut es ging dem durch das Feld gehenden Wind, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, starrte ihn der Wicht herausfordernd an. Ivan stutzte. Bisher hatte er sich mit dem englischen Anhängsel nicht viel beschäftigt. Nur kurz hatte er einen Blick drauf geworfen, als Arthur den Kleinen kurz stolz in die Höhe gehoben hatte, wie einen Welpen, von dem man sich viel verspricht. Die blauen Augen hatten zu dem Zeitpunkt erstaunt in die versammelte Runde geblickt, während sich kleine Falten auf der ebenso kleinen Stirn gebildet hatten, so als hätte das junge Amerika versucht, sich alles mit einem Blick zu merken. Doch nun fand er kein überfordertes Erstaunen in den großen Kinderaugen sondern den kindlichen Ernst, welcher der Welt beweisen sollte, dass man sich nicht vor ihr fürchtet. Unbewusst ging Ivan in die Knie um auf gleicher Augenhöhe wie Alfred zu sein. Mit festen Kinderschritten nährte sich ihm das kleine Amerika Stück für Stück, wobei dem Erwachsenen keine einzige Regung andeutete, dass der Knirps Angst oder Misstrauen verspürte. Alfred machte sogar einen recht selbstbewussten Eindruck auf ihn. Kaum war der Blondschopf beim ihm angekommen, baute sich dieser mit seiner lächerlichen Größe auf und stemmte die Händchen in die schmalen Hüften. Der Wind fegte in regelmäßigen Abständen durch das Feld und bauschte das weiße Kleidchen um die kurzen Kinderbeine auf. Ivan konnte nicht anders und lächelte freundlich, oder hoffte zumindest, dass es das Balg als freundlich aufnahm. „Wer bist du?“, fragte es dann, wobei es verboten niedlich den kleinen Blondkopf zu Seite legte. Der Russe konnte nicht anders als seine große Hand zu erheben und liebevoll durch die blonden Strähnen zu fahren. Der Knirps ließ diese Geste zu, reckte sich sogar ein wenig nach oben, als der andere mit seinen Fingern bis zu seinem Nacken gekommen war und sanft die bloße Haut zu kraulen begann. „Ich bin ein Freund.“, raunte er dem Kind zu, welches die blauen Augen halb geschlossen hatte und sich den Streicheleinheiten hingab. Doch nach einiger Zeit hörte er auf und richtete sich wieder zur vollen Größe auf. Alfred warf ihn erst einen ungnädigen Blick zu, lächelte aber dann breit. „Wie heißt du denn?“ Ivan streckte sich ein wenig und ließ seine Gelenke knacken. „Ivan. Aber nun komm, Arthur und die anderen machen sich Sorgen um dich.“ Erst warf ihm das kleine Amerika einen skeptischen Blick zu und kreuzte schmollend die zarten Ärmchen vor der Brust. „Und wenn schon! Iggy war gemein zu mir als ich nicht zu Onkel Francis auf den Schoß klettern durfte. Dabei ist Onkel Francis der Beste. Er ist immer lieb zu mir, während Iggy dann immer nur schimpft." Ivan musste über den bestimmenden Ton schmunzeln, wie auch über den Spitznamen, den diese halbe Portion seinen Mentor gab. Er verstand zum einen die Begeisterung von England über diesen Knirps, wollte aber um nichts in der Welt mit dessen Erziehung belangt sein. „Dennoch bin ich mir sicher, dass Iggy ganz traurig ist, dass du nicht bei ihm bist.“, versuchte er es dann nochmal auf pädagogische Weise. Die Augen des Kindes weiteten sich betroffen. „Echt jetzt?“ Mit einem sanften Lächeln nickte Ivan und streckte die Hand aus. Augenblicklich ergriff die kleinere Hand, seine viel größere und er wunderte sich noch über den Druck, den der kleine Blondschopf ausübte. Wiederstandlos ließ sich das Kind aus seinen Sonnenblumenfeldern herausführen. Als sie wieder den Weg betraten, zupfte Alfred an Ivans Arm. „Onkel Ivan?“ „Mhm…“ „Weißte du, wenn ich groß bin, möchte ich einmal eine Sonnenblume werden.“ Der Russe konnte sich ein Auflachen über den ernsten Ton in der kindlichen Stimme nicht verkneifen, doch als er zum Kleinen runterschaute, musste er feststellen, dass sich ebenso ein gewisser Ernst in dem runden Gesicht widerspiegelte. „Eine Sonnenblume, kleines Amerika?“ „Ja eine Sonnenblume! Denn die sind so groß und so fröhlich. Sie bringen einen so schnell zum Lachen und schauen selbst großen Menschen ins Gesicht.“ Ein warmes Schmunzeln schlich sich auf Ivans Lippen und er schaute rüber zu seinen Blumen. Für eine selige Weile stand er mit dem Kind an der Hand einfach nur da und genoss den Anblick seines gelben Meeres, während ihnen beiden der Wind durch die blonden Haare wehte. „Onkel Ivan? Glaubst du ich werde eine große Sonnenblume?“ „Du kleiner Alfred wirst sogar die größte von allen sein…“ -------------------------------------------------------- Irgendwann nach 1991 Ivan musste schmunzeln, während er sich bewusst wurde, dass seine Augen sich seit einer guten Ewigkeit keine Zeile weiterbewegt hatten. Dafür hatte er an Sonnenblumen denken müssen und einen gewissen Blondschopf, der nun vollständig ausgewachsen halb auf seiner Brust lag und ihn wie einen riesigen Teddy gegen sich drückte. Es war für ihn noch immer ein seltsames Gefühl, dass das Kind von einst nun sein Geliebter war. Ein leises Lachen durchfuhr ihn, wenn er an die Ironie des Schicksals dachte, dass er vor nicht allzu langer Zeit mit der ehemaligen Kolonie England die ganze Welt in zwei Teile gerissen hatte und nun so friedlich neben ihm lag. Dabei mochte er diese Momente, in denen der Blonde nichts weiter tat als, unschuldig mit ihm zu kuscheln und sich auch nicht darüber aufregte, dass er in diesem stillen Beisammensein auch hin und wieder ein Buch las. Solange er sich dabei nicht allzu sehr rührte, war Alfred vollauf zufrieden bei ihm, oder besser gesagt auf ihm zu dösen. Doch über das stille Lachen seitens des Russen richtete er weniger gnädiger. „Was ist denn, Bolschewik?“, grummelte er ungehalten, als sein lebendes Kissen gewagt hatte, ihn durch diese sanften, ruckartigen Bewegungen aus dem Dämmerschlaf zu reißen, in den er in der letzten Stunde allmählich geglitten war. „Nur die Erinnerung an eine kleine Sonnenblume, die eigentlich keine war.“, antwortete er liebevoll mit rauer Stimme, während er zärtlich mit den Fingern durch das blonde Haar glitt, bevor er Alfred, welcher rote Wangen bekommen hatte, einen Kuss auf die Stirn drückte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)