Film Noir von MadameFleurie (Don't fear the reaper... (Bakura x Ryou)) ================================================================================ Kapitel 5: Der Pass ------------------- „...and I miss home, and I miss the closets, the windows, the hallways And when we are gone, who will keep up the garden?  Like a mother calling her boy, I am, I am so unsafe (…) I remember. You were covered in powdered sugar from the donuts you were eating I've always loved watching you smile Do you remember the mornings when we woke up early to ride bicycles to on the board walk or the night before my first homecoming when you taught me how to dance? Yes I remember. I hope she appreciated all my hard work I wish I had a different story to tell I seem I have drifted fairly far away from what you taught me  You were always the (indecipherable) I'll admit there hasn't been much to smile about since, since you left I didn't leave, I fought for five years to stay at your side What do you remember about that night?“ (Pianos Become The Teeth - Houses We Die In) Er hatte kaum geschlafen. Nachdem Bakura ihn gestern eingeschlossen hatte, war Ryou ruhelos umhergewandert, hatte jeden Fleck des Zimmers inspiziert. Er hatte einsehen müssen, dass es aus diesem Raum keinen Ausweg gab. Nicht nur die Möbel waren im Boden verankert, auch die Fenster hatte man abgeschlossen und den Hebel entfernt. Ryou hatte in die Schränke geschaut und den kleinen Fernseher bemerkt, welcher auf dem ansonsten leeren Schreibtisch stand. Es war ein altes, mehrfach geflicktes und mit Klebeband zusammengehaltenes Gerät, das seine besten Tage lange hinter sich gelassen hatte. Immerhin funktionierte es. Durch eine dem Bett gegenüberliegende Tür erreichte man ein winziges Badezimmer. Es war modrig und feucht, in den Fugen sammelte sich der Schimmel. Die Belüftung selbst funktionierte nicht, und die einzige Lichtquelle war eine nackte Glühbirne, die an einem Kabel einsam von der Decke baumelte. Zu seiner Überraschung fand Ryou jedoch ein paar Handtücher, die man ihm bereit gelegt hatte. Letztlich jedoch musste er feststellen, dass es aus diesem Zimmer keinen Ausweg gab. Nicht nur die Möbel waren im Boden verankert, auch die Fenster hatte man abgeschlossen und den Hebel entfernt. Später war er, vollkommen erschöpft und zerschlagen, auf dem Bett zusammengesunken, ohne die Ruhe zu finden, nach der sein Körper bereits seit Stunden dürstete. Getrieben von dem harschen Klang seiner heiser flüsternden Gedanken, als auch dem lauten Ticken der analogen Wanduhr, war er immer wieder aufgestanden und umhergeschlichen. Nach Abschnitten augenscheinlicher Gefasstheit fand er sich an Fenster oder Tür, verzweifelt am Griff rüttelnd, der nicht nachgeben, gegen die Scheibe hämmernd, die nicht bersten wollte. Nachdem er mehrmals auf diese Art die Fassung verloren hatte, hatte er sich, tränenlos, doch schluchzend, auf dem Bett zusammengesunken und war am frühen Morgen eingedöst. Dabei lag er halb auf der Matratze, halb auf dem Boden, angekleidet und ohne den Schutz einer Decke. ~*~ Es war nach vier am Nachmittag. Um elf hatte ihn das Ticken der Uhr aus dem leichten Dämmerschlaf gerissen, in den er nach einem zähem Kampf gefallen war. Er hatte geduscht, die Zähne geputzt, und verharrte seither auf dem Bett, die Fernbedienung des Fernsehers fest umklammert, unschlüssig, was er mit sich anfangen sollte. Seine Augen starrten müde auf die Mattscheibe. Da war nichts als Leere in seiner Brust, hervorgerufen durch Angst und Gewalt der vergangenen Nächte. Still schob er sich eine der weißen Strähnen hinter das Ohr. Dann warf er einen Blick auf die nackten Unterarme, betrachtete die roten Striemen und verkrusteten Kratzer, die sich grell in seine bleiche Haut gefressen hatten.  Seit er sich gewaschen hatte, brannten sie nur umso mehr. In seinen Gedanken tobte ein wahrer Sturm. Bald würde es dunkel werden, noch hatte niemand nach ihm gesehen. Vielleicht hatten sie ihre Meinung geändert. Möglicherweise erschien es ihnen nun doch sicherer, sich seiner zu entledigen. Sie würden ihn hier verhungern lassen, und seine Leiche beseitigen. Das war ihre Rache für sein Verhalten. Er hasste sich für diesen Fehler, den er unwissentlich begangen hatte. Hätte er nur kehrt gemacht, und den Park nicht betreten. Zitternd griff Ryou an seinen Hals, an dem nach wie vor die blauroten Würgemale schimmerten, und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Der bloße Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu und verscheuchte jedes Gefühl aus seinen Fingern. Da war sie wieder, die Angst, die seinen Körper und sein Denken seit Tagen zu dominieren schien. Er musste stark sein. Verlor er jetzt die Fassung, verlor er den Verstand. Schwer atmend umklammerte er die Fernbedienung, und schaltete, viel zu schnell, durch das staatliche Fernsehprogramm. Sternchen tanzten vor seinen Augen. Seine Lungen fühlten sich leer an und brannten als müsste er jeden Moment ersticken. Er saß auf dem Bett, und drückte auf der Fernbedienung herum, bis das Gefühl letztlich in seine Finger zurückkehrte. Die Angst ließ nach, und zog sich in sein Herz zurück, wo sie sich, dumpf und kaum zu spüren, vor einigen Tagen eingenistet hatte, willens, ihn nie wieder zu verlassen. Sie war ihm ein ungebetener, doch treuer Gefährte geworden. Plötzlich ertönte das Klicken eines Schlüssels im Schloss. Ryou erstarrte, augenblicklich hellwach. Die Fernbedienung glitt ihm aus der Hand und knallte wenige Sekunden später scheppernd zu Boden. Mit aufgerissenen Augen, stocksteif, flach atmend und mit pochendem Herzen, hatte Ryou den Blick auf die Zimmertür gerichtet. Diese wurde, nachdem das Geräusch des Schlüssels verklungen war, aufgeschoben, und Bakura betrat den Raum. Seine Kleidung ähnelte der des Vortages, ein hochgeklappter Mantelkragen als auch ein breiter, lilafarbener Schal verhüllten sein Gesicht bis zur Nasenspitze. Hände, von Lederhandschuhen umgeben, hielten eine kleine Plastiktüte, die das Logo einer großen Supermarktkette trug. Sofort schoss Ryou Adrenalin in die Venen, und sein Puls beschleunigte sich. Er atmete auf, wischte die Hände, feucht vor Nervosität, an den Oberschenkeln ab und schenkte Bakura ein flüchtiges, verlegenes Lächeln. Ryou freute sich fast, ihn zu sehen. Sie hatten ihn weder vergessen, noch wollten sie ihn töten. Bakura zog, kaum, dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, den Schal herab, und entblößte ein angespanntes, ernstes Gesicht. Er machte einen abgekämpften und müden Eindruck, und war blasser als am Tag zuvor. Zarte Schatten lagen unter seinen Augen. Ohne etwas zu sagen, hing er die Jacke an einen aus der Wand ragenden Nagel, und drückte er Ryou die weiße Plastiktüte in die Hand. Anschließend setzte er sich breitbeinig auf den einzigen Stuhl im Raum. Dabei seufzte er leise, wie jemand, der seit Stunden auf den Beinen war. Ryou musterte den Neuankömmling kurz, bevor er einen Blick in die Tüte warf und ein dünnes, erfreutes Lächeln auf seinen Lippen erschien. Er griff hinein und zog eine Dose mit grünem Tee, als auch eine Lunchbox aus Kunststoff hervor, auf deren Deckel Wegwerfstäbchen aus Holz befestigt waren. Es handelte sich um Reis, gebratenen Lachs und mehrere, unterschiedlich zubereitete Gemüsebeilagen. Schweigend riss Ryou den Deckel herunter, öffnete die Getränkedose und begann, überrascht von der zuvor unbemerkten Heftigkeit seines Hungers, zu essen. Wenig später bemerkte er etwas aus den Augenwinkeln, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Bakura starrte ihn regelrecht an, die dunklen, braunen Augen stets auf ihn geheftet. Aufmerksam, beinahe begierig verfolgten sie jede von Ryous Bewegungen. Unangenehm berührt ließ Ryou den Blick sinken, schob sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund, und versuchte angestrengt, sich auf den Geschmack seines Essens zu konzentrieren. Dabei ignorierte er die brennende Wärme, die sich langsam auf seinen Wangen ausbreitete.  Er hasste es, beim Essen beobachtet zu werden. Erst, als er die Schachtel vollständig geleert, und die Reste mit Tee heruntergespült hatte, wagte er es, Bakuras Blick zu erwidern. Dieser saß vornübergebeugt, die Unterarme auf den Knien abgestützt. Sein Haar, das sich farblich kaum vom hellen Ton des Hemdes abhob, fiel ihm über die Schultern ins Gesicht. So verblieben sie schweigend. Bakuras offensive und rüde Art, das stille Selbstbewusstsein, das kaum gespielt sein konnte, machten Ryou nervös. Was brauchte es, um einen Menschen derart zu formen? „Wieso…“ Ryou räusperte sich, als er feststellte, wie heiser seine Stimme durch den langen Nichtgebrauch klang. Stumm nahm er einen Schluck Tee. „Wieso bist du erst so spät gekommen?“, fragte er mit kaum verborgenem Misstrauen, doch nicht ganz ohne Schüchternheit. Als er geendet hatte, rutschte er auf dem Bett zurück, bis sein Rücken gegen die Wand stieß, und ließ den Blick eingeschnappt sinken. „Ich dachte schon, ihr lasst mich hier oben verrotten.“ „Es gab viel zu tun.“ Bakura musterte ihn aufmerksam. Auf Ryous Anschuldigung ging er nicht ein.  „Wir arbeiten die ganze Nacht. Vor Mittag ist hier niemand auf den Beinen. Bist du fertig?“ Überrascht hob Ryou den Kopf. „Fertig?“ Auf Bakuras Lippen erschein müdes Schmunzeln. „Wir haben noch etwas zu erledigen. Heute Abend dann fängst du hier an.“ In Ryous Brust zog sich alles zusammen. Ihm graute vor dem, was auf ihn zukommen mochte. Alles, was er hier bis jetzt gesehen hatte, die Menschen die hier arbeiteten, der Ort und der Zustand seiner… ‚Kollegen‘, all das war ihm zuwider. Kaum auszumalen, was aus ihm werden würde, wenn er hier arbeitete. Sein Herzschlag beschleunigte sich, seine Atemzüge wurden tiefer. Zaghaft hob er den Kopf an und musterte Bakura aus großen, braunen Augen. Dieser konnte sich, nachdem er Ryous schreckensstarren Blick bemerkt hatte, ein Lachen nicht verkneifen. „Ich weiß nicht, was daran so lustig sein soll“, zischte Ryou getroffen und seufzte angespannt. Bakura verstummte, nach wie vor ein Schmunzeln auf den Lippen, welches langsam verblasste Dann stand er, ohne weiter auf Ryous Beschwerde einzugehen, auf, nahm den Mantel von der Wand und zog ihn an. „Komm jetzt“, knurrte er, und jede Freude in seiner Stimme war augenblicklich verschwunden. ~*~ „Dieser Mann gestern.“ Ryous Stimme zitterte. Er hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt, und sprang fröstelnd von einem Fuß auf den anderen. Vor seinen Lippen bildeten sich trübe, weiße Wölkchen, die sich Sekunden später wieder aufgelöst hatten. „Wer war das?“ Sie waren zu dem Ort zurückgefahren, in dem Ryou sein bisheriges Leben verbracht hatte. Ein winziges, japanisches Einfamilienhaus, dass sich schmucklos in die dicht bebaute Häuserreihe fügte. Türen und Fenster waren verschlossen, und in der Einfahrt lag eine dicke Schicht unberührten Schnees. Nachdem sie das Gebäude einen Moment betrachtet hatten, waren sie schließlich ausgestiegen. „Sein Name ist Malik.“ Bakura nickte ihm ungeduldig zu, die Tür endlich aufzuschließen. Die Temperatur war während der vergangenen Nacht noch weiter gesunken und lag nun weit unter null Grad Celsius. Jeder Atemzug brannte in Nase und Lungen. Bakura hielt sich zurück. Er würde nichts berühren, nicht einmal die Tür öffnen. Selbst mit Lederhandschuhen war ihm das Risiko, Spuren zu hinterlassen, zu groß. Ryou bückte sich stillschweigend, und tastete mit den nackten Fingern im Schnee umher, bis er letztlich fand, wonach er suchte. Anschließend schob er den Schnee mit den Füßen zur Seite, bis eine dunkelrote, bestickte Fußmatte zum Vorschein kam. Diese hob er an, und entblößte einen kleinen, silbernen Schlüssel, der die vergangenen Jahre dort ungenutzt gelegen hatte. Ryou fischte ihn vom Boden und schloss auf. „Tu, was er dir sagt, und alles ist gut. Leg dich nicht mit ihm an. Ist in der Regel das Letzte, was Leute machen, wenn sie bei uns arbeiten.“ Ryou runzelte die Stirn und wandte sich zu dem Anderen um. „Wieso?“, murmelte er irritiert. „Was passiert dann mit ihnen?“ Stumm musterte Bakura Ryous Gesicht. Er sagte nichts, verzog keine Miene. Offensichtlich konnte er nicht fassen, dass Ryou dies soeben gesagt hatte. Zaghaft, beinahe fassungslos, schüttelte er den Kopf, überwältigt von so viel Naivität. Dann ging er wortlos an Ryou vorbei und betrat den Flur. Sichtlich verwirrt blickte Ryou ihm einige Sekunden lang hinterher, dann seufzte er leise und folgte ihm in das Innere des Gebäudes. Dort angekommen, ließ er den Blick langsam durch den dunklen Flur wandern. Allmählich fragte Ryou sich, ob in der vergangenen Nacht wohl irgendetwas besonderes geschehen war; Bakura wirkte seit der Autofahrt auf eine subtile Artso ruhig und gefasst, dass Ryou beinahe vergaß, dass er dessen Geisel war. Langsam schlenderte er durch den schmalen, holzverkleideten Flur in das weitläufige Wohnzimmer des leerstehenden Hauses. Seine Straßenschuhe hatte er, im Gegensatz zu Bakura, am Eingang abgelegt und gegen ein altes Paar Hausschuhe eingetauscht. Das hier war immer noch sein Zuhause, irgendwie. Bereits jetzt schien es ihm, als lägen Jahre zwischen damals und heute. Als er noch hier gewohnt hatte, war ihm dieser eigene Geruch, den Häuser mit der Zeit annahmen, nicht aufgefallen. Nun, da er zum ersten Mal einige Tage lang fort gewesen war, bemerkte er auf einmal den zarten Duft von Lavendel und Flieder, der überall in der Luft zu hängen schien. Es war der Geruch, der seiner Mutter stets angehaftet hatte, nur wesentlich schwächer. Ein dünnes, kaum merkliches Lächeln erschien auf Ryous Lippen und verschwand innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder. Wie merkwürdig. Es fühlte sich fast an, als sei sie immer noch hier. Gedankenverloren ließ Ryou die Fingerspitzen über die kalten, hölzernen Möbel gleiten und seufzte. Wie ihm dieser Ort fehlen würde, und mit ihm all die Menschen und Erinnerungen, die mit ihm verknüpft waren. Er versuchte den Kloß in seinem Hals zu ignorieren, und warf Bakura einen traurigen Blick zu. „Meine Tasche liegt oben“, flüsterte er mit erstickter Stimme, und ging, ohne auf den Anderen zu warten, die Treppe hinauf in den ersten Stock. Bakura folgte ihm schweigend, die Hände tief in den grauen Manteltaschen verborgen. Er hatte alles genau so vorgefunden, wie er es vor zwei Tagen zurückgelassen hatte. Ryou kniete vor dem großen, aus dunklem Holz gefertigten Kleiderschrank, und stopfte wahllos Kleidungsstücke in eine alte Sporttasche aus dunkelblauem Segeltuchstoff. Danach ging er ins Badezimmer, packte die nötigsten Utensilien zusammen, und legte sie dazu. Den verbliebenen Platz füllte er mit Zeitschriften und Büchern, die er, ohne auf den Titel zu schauen, aus dem Regal gezogen hatte. Für einen Moment kam ihm der Gedanke, was sein Vater wohl denken mochte, wenn er zurückkehrte, und feststellen musste, dass Ryou fehlte. Behutsam zog Ryou die Reißverschlüsse zu und richtete sich auf. Bakura, der die vergangenen Minuten wortlos durch das Zimmer geschlendert war, verharrte in seiner Bewegung und blickte auf. Er hatte hier und dort etwas näher betrachtet, Dinge berührt, umhergeschoben oder in ihnen herumgeblättert. In der Hand hielt er eines von jenen Büchern, die Ryou auf dem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Es handelte sich um einen Auffrischungskurs für Kanji. „Was sind das für Bücher?“, fragte Bakura nach einigen Sekunden erwartungsvoller Stille und deutete auf den Schreibtisch. Ryou runzelte die Stirn und blickte Bakura für einige Sekunden schweigend an. Warum interessierte ihn das? „Das ist für die Aufnahmeprüfungen der Universitäten“, antwortete er schließlich. Bakura nickte schwach, sagte einige Zeit lang nichts, dann blickte er auf und legte das Buch zurück dorthin, wo es die letzten Tage gelegen hatte. „Ich wollte Grundschullehrer werden.“ Ryou machte ein paar Schritte durch den Raum und blickte sich flüchtig um, weniger, um sich zu vergewissern, ob er alles hatte. Er konnte Bakura nicht in die Augen sehen. „Der Zug ist wohl abgefahren.“ Ein gequältes Lächeln erschien in Ryous Gesicht, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und sich abwandte. Dabei rutschten ihm  Haarsträhnen ins Gesicht und verbargen seine Augen hinter einem weißen Schleier. Ryou verstand nicht, was diese Fragerei zu bedeuten hatte.  Er hob den Kopf und sah Bakura unverwandt an. Dieser wirkte abwesend, als beneide er Ryou um all die Möglichkeiten, die ihm bis vor wenigen Tagen offen gestanden hatten. Vielleicht realisierte er, worum er Ryou gebracht hatte. Schließlich verzog Bakura die Lippen zu einem dünnen Strich, und löste den Blick von dem vollgestellten Schreibtisch. „Ich brauche noch deinen Reisepass, Impfpass und die Geburtsurkunde.“ Irritiert ließ Ryou die Arme sinken, neigte den Kopf ein wenig und sah den Anderen fragend an.  „Warum…“, begann er, und deutete verwirrt auf die Treppe, die man von seinem Zimmer aus sehen konnte. „Sie sind unten in der Küche.“ „Hol’ sie. Und nimm die Tasche mit.“ Unsicher stand Ryou in dem großen, bogenförmigen Durchbruch, der den Eingang zur Küche markierte. Ihm war schlecht. Jede Farbe war aus den sonst rosigen Wangen gewichen. Der blutverschmierte Jackenärmel hing immer noch aus dem vollgestopften Mülleimer, kalt und leblos, selbst wie eine Leiche. Ryou, dessen Nerven aufs äußerste gespannt waren, schien es, als grinste es ihn höhnisch an. Hinter ihm stand, mit verschränkten Armen, Bakura und wartete. Er wirkte ungeduldig. Seit Minuten standen sie hier, und aus einem für ihn nicht ersichtlichen Grund rührte sich der Junge nicht von der Stelle. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr und seufzte genervt. Es war bereits kurz vor sieben. „Worauf wartest du?“, fragte er plötzlich und klang verärgert. Unversehens aus den Gedanken gerissen, blickte Ryou auf. Kaum wahrnehmbare Angst stand in seinen Augen. Mit den Fingern seiner linken Hand hielt er sich krampfhaft am Türrahmen fest. Es brauchte nur einen Schritt in diese Küche, und er würde sich übergeben. Da war Ryou sich sicher. „Es ist nichts“, flüsterte er atemlos, und wich einige Zentimeter zurück, bis er gegen Bakuras Oberkörper stieß. „Dann mach jetzt.“ Ungeduldig wandte Bakura sich von Ryou ab und lehnte sich mit der Schulter gegen die weiß verputzte Wand. Sodann griff er in seine Tasche, holte ein Feuerzeug hervor und zündete sich eine Zigarette an. Augenblicklich verengten sich Ryous Augen. „Das hier ist ein Nichtraucherhaushalt“, murmelte er genervt, mehr aus einer Gewohnheit heraus, und begann zu husten, als Bakura ihm als Antwort den Rauch ins Gesicht blies. „Lass das mal meine Sorge sein.“ Anschließend nickte er mit dem Kopf in Richtung Küche. Die wachen, kalten Augen ruhten weiterhin auf Ryou, dem in diesem Moment kalter Schweiß auf die Stirn trat. Ihm behagte es nicht, diesem Kleidungsstück näher zu kommen als zwingend notwendig. Allein bei dem Gedanken daran fühlte er den Schmutz und die Scham, die er, so oft er es auch versuchte, nie vollständig abwaschen konnte.  Ryou schloss die Augen und atmete tief ein. Die rechte Hand legte er auf seinen rumorenden Bauch. „Na los“, knurrte es hinter ihm. Bakura klang zunehmend gereizt. Auf einmal spürte Ryou eine Hand auf seiner Schulter, und ehe er sich versah, drückte man ihn gegen seinen Willen über die Türschwelle hinaus in die Küche. Schwankend kam er zum Stehen, und warf einen unsicheren Blick hinüber zu dem Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken weiße Zigarettenasche auf den dunklen Parkettboden rieseln ließ. Bakura lehnte nach wie vor an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, während sich der beißende Zigarettenqualm mit dem zarten Duft von Flieder und Lavendel vermischte. Zögerlich setzte Ryou einen Fuß vor den anderen. Sein Herz schlug schneller, und in seinem Magen breitete sich ein unangenehmes, treibendes Kribbeln aus. Langsam schob er sich am Mülleimer vorbei, und ließ ihn dabei für keine Sekunde aus den Augen. Als er den Kühlschrank erreicht hatte, öffnete er zaghaft eine der Schubladen des benachbarten Küchenschränkchens. Hektisch schob er seine Hand hinein, tastete  suchend umher, und hielt nach wenigen Augenblicken die Unterlagen in der Hand. Vorsichtig schob er die Schublade zu und ging, beherrscht langsam und stocksteif, seinen Reisepass fest umklammernd, zu Bakura zurück. Dort angekommen, atmete er erleichtert auf und ließ den Kopf sinken, so, dass ihm weiße Strähnen ins Gesicht rutschten. Aus den Augenwinkeln registrierte er eine blasse, geöffnete Hand, die fordernd ausgestreckt vor seinem Gesicht erschien. Irritiert blickte Ryou auf. „Gib mir die Papiere“, forderte Bakura, der die Zigarette, die zwischen seinen Fingern abbrannte, in einer kleinen Metallbox ausdrückte, die er zuvor aus seiner Manteltasche gezogen hatte. Ryou spürte, wie sich seine Finger fester um das weiche Plastik schlossen. „Wofür braucht ihr die?“ Seine Stimme war nicht ohne Misstrauen. Die Papiere unnachgiebig gegen die Brust drückend, wich er einen Schritt von Bakura zurück und biss sich nervös auf die Unterlippe. Er ahnte bereits, was der Grund für Bakuras Verhalten. Bakura löste sich von der Wand, das Gesicht todernst, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Schließlich erschien ein kaltes Grinsen auf seinen Lippen. „Um sicherzustellen, dass du morgen nicht gleich zur Polizei rennst und alles auffliegen lässt“, murmelte er, und machte einen Schritt auf ihn zu. Ryou keuchte auf und wich ein Stück zurück. Er verstand. Also doch. „Ihr nehmt mir meine Identität?“, wisperte er atemlos und starrte Bakura aus weit aufgerissenen, erschrockenen Augen an. Dieser nickte, und das Grinsen verblasste. „Zwing mich nicht dazu, sie mir holen zu müssen“, flüsterte er voll Bitterkeit. Dabei ließ er den Blick für einen Moment sinken, als erinnerte ihn diese Szene an etwas, dass ihm vor langer Zeit einmal widerfahren war. Nach wenigen Sekunden atmete er durch und straffte seine Haltung. Er hob den Kopf und taxierte Ryou aus unnachgiebigen, entschlossenen Augen. Unsicher ließ Ryou den Blick zwischen Bakuras Hand und dessen Gesicht hin und her wandern, dann, allmählich, streckte er den Arm aus und ließ die Unterlagen in die Handflächen seines Entführers gleiten. Kaum, dass dieser sie in den Händen hielt, zog er sie an sich und packte sie schweigend in seine Manteltasche. „Du brauchst diese Dinge jetzt nicht mehr“, murmelte er mit einer gewissen Schwere in der Stimme und trat näher, bis sie einander gegenüber standen. Nachdenklich sah er auf den Jüngeren herab, musterte ihn, bis Ryou den Kopf hob und seinen Blick erwiderte. Augenblicklich wandte er sich ab und vergrub die Hände so tief wie möglich in den Manteltaschen. „Hol’ deine Sachen“, knurrte er. Wir gehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)