Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 35: Szenen einer Ehe ---------------------------- Lenja wies ihren Bruder an, seine Kleidung noch einmal zu Recht zu rücken bevor sie die Tür öffnete. Ein sichtlich erschöpfter und dennoch glücklicher Dwalin stand vor ihr. „Und ich hatte schon gedacht, es käme niemand mehr. Wo hast du eigentlich Balin gelassen?“, sprach die Zwergin und versuchte ihren anderen Onkel ausfindig zu machen. „Er kommt nach. Ich sollte schon einmal vorgehen. Er hatte irgendetwas Spannendes auf dem Markt hier bei euch gesehen. Egal. Er wird wohl bald hier sein. Wo ist denn der glückliche Bräutigam?“, fragte ihr Onkel als er die Wohnstube betrat. Die Frau wies nur in Áris Richtung: „Bis jetzt hat er das Atmen nicht vergessen und ist mir auch noch nicht in Ohnmacht vor Aufregung gefallen. Ich glaube, Mjöll würde mich einen Kopf kürzer machen, wenn ich ihren Áriputzi auch nur einen kurzen Moment aus den Augen lasse. Man könnte sich ja fragen, wer hier eigentlich wen ehelicht.“ Dwalins Lachen dröhnte im Raum: „Komm her du Herzensbrecher! Schmeißen wir deine Schwester aus dem Haus damit wir ungestört noch einmal deine Freiheit genießen und uns an den Geschichten deines Onkels mit den unzüchtigen Weibern erfreuen können.“ „Da gehe ich freiwillig, Dwalin. Deine Weibergeschichten will ich mir dann doch nicht anhören. Ich gehe zu Mjöll und gucke wieweit die Vorbereitungen dort sind. Falls ihr mich sucht, wisst ihr ja nun wo ihr mich findet“, sprach die Frau und schloss fluchtartig die Tür hinter sich als Dwalin bereits von der Zungenfertigkeit einer Schankmaid zu schwärmen begann. Zu Mjöll hatte es Lenja nicht weit. Sie musste nur einmal die schmale Gasse durchqueren und fand die nervöse Braut bereits umringt von zwei anderen Zwerginnen. Ihre noch sehr jungen Nichten hatten es sich zur Aufgabe gemacht aus dem Nervenbündel eine Schönheit zu machen, die es weit und breit noch nie gegeben hatte. Als sie die kurzhaarige Frau bemerkte, schickte sie die beiden anderen hinaus. Lenja trat hinter ihre zukünftige Schwägerin und legte mit letzten gezielten Handgriffen ihr ein Kollier um. Das satte Blau der vielen Steine passte zu den Augen der jungen Frau. Mjöll war eine Pracht. Nicht nur an diesem besonderen Tag strahlte sie mit einer Schönheit. Auch sonst war sie eine Augenweide. Sie war kleiner als Lenja, hatte lange lockige blonde Haare, die sie immer kunstvoll drapierte. Ihre Augen waren so blau, wie das Meer. Ihre Lippen waren voll und sie besaß einen Körper, der wohl einigen Herren den Schlaf rauben konnte. Gemäß dem zwergischen Schönheitsideal war sie eher stämmig, mit einem breiten gebärfreudigen Becken und einer prallen Oberweite. Aber sie war trotz ihrer Rundungen nicht unansehnlich. Wohl proportioniert, hieß es schon bald aus Áris Mund. Er liebte Mjöll abgöttisch. Vielleicht war es ihre ähnliche Herkunft, das ähnliche Schicksal, dass die beiden Zwerge verband. Auch die Zwergin hatte ohne Mutter aufwachsen müssen. Sie war zwar nicht wie Láfa im Kindbett gestorben. Dennoch fehlte ihr eine weibliche Bezugsperson schon bald in der Pubertät. Da ihr Vater sich allein um das jüngste seiner Kinder kümmerte und als Handwerker oft genug dazu veranlasst war den Ort für einige Aufträge auch verlassen zu müssen, ließ er Mjöll bald in Lenjas Obhut. Und still und leise entwickelte sich zwischen der blonden Schönheit und dem dunkelhaarigen Ári ein zartes Band der Liebe. Ihren Segen hatten die beiden Liebenden ohne zu zögern erhalten. Sie gönnte ihnen das junge Glück. Sie konnte sehen, dass die beiden sich gut taten und dass ihr Bruder seine Auserwählte über alles liebte. Liebe wie sie sein sollte. Auch wenn sie es nicht vermeiden konnte, dass ihr in der ein oder anderen Minute der Schwäche nicht auch der Gedanke kam, warum sie dieses dauerhafte Glück niemals erfahren hatte, gönnte Lenja den beiden alles. Sie war nicht eifersüchtig oder neidisch auf deren Freude und Zuversicht. Nein, das konnte man wirklich nicht sagen. Doch ein anderes Gefühl nahm ohne ihr Zutun unweigerlich zu. Und das hieß Wut. Wut gepaart mit Verzweiflung. Sie hätte nicht gewusst, wie sie Thorin gegenüber getreten wäre, wenn er sie gesucht, gefunden und um Verzeihung gebeten hätte. Sie war sich bis zum heutigen Tag nicht sicher, ob sie ihm verziehen hätte. Ob sie einen Neuanfang im Exil mit ihm gewagt hätte. Doch diese Fragen konnten sich nicht beantworten lassen, da er nicht zu ihr gekommen war. Über 100 Jahre waren ins Land gezogen ohne eine Nachricht. „So, das war der letzte Handgriff, Mjöll. Nun müssen wir nur noch deinen Bräutigam unfallfrei nach draußen bugsieren und eurem Versprechen steht nichts mehr im Weg“, bemerkte Lenja mit einem Lächeln als sich die Braut zufrieden im Spiegel betrachtete. „Danke. Danke, dass du das für mich gemacht hast“, sagte Mjöll. Die Größere von beiden war etwas überrascht: „Das ist doch ganz normal. Schließlich gehörst du ab heute auch offiziell zur Familie.“ „Nein, das meine ich nicht, unterbrach sie die andere, ich meine das Kleid. Das Kleid, was du heute trägst. Ich habe dich noch nie in einem Kleid gesehen. Ich fühle mich geehrt, dass du mir die Freude machst und vor meiner buckligen Verwandtschaft die brave Zwergin mimst. Es muss dir schwer fallen nach all den Jahren...“ Lenja schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie hatte recht. Eigentlich wollte sie nie wieder ein Kleid tragen. Sie wollte nicht als Frau wahrgenommen werden. Doch nach all den vielen Jahrzehnten war dies heute das erste Mal. Sie wollte ihrer Schwägerin eine Freude bereiten. Auch wenn sie sich dafür selbst ein wenig verriet, waren es nur wenige Stunden, die sie in ihrem grünen Kleid ausharren musste. Was waren Stunden schon im Vergleich zu Streit und Häme auf der Hochzeit ihres Bruders und seiner zukünftigen Frau? Es war wirklich ein kleines Geschenk, was sie Mjöll machte indem sie trotz der kurzen Haare eine halbwegs normale Zwergin für den heutigen Tag spielen wollte. „Ist schon gut“, bemerkte Lenja trocken. Sie zupfte ihrer Schwägerin in spe noch schnell eine lose Strähne aus dem hübschen Gesicht bevor sie mit ihr zusammen den Weg zur großen Eiche im Ort einschlug. Die Sonne schien. Kein Wölkchen zu viel verdeckte den blauen Himmel. Es war wirklich ein wunderbarer Tag. Das schönste Wetter um eine Hochzeit abzuhalten. Schon von Weitem konnten die beiden Frauen ein freudiges Stimmengewirr wahrnehmen. Mjöll drückte vor Aufregung Lenjas Hand ein wenig fester. Die Zwerginnen lachten sich an. Wie musste es erst Ári gehen, wenn bereits seine ansonsten fest entschlossene Braut mit flatternden Nerven zu tun hatte? Hoffentlich hatten Dwalins Geschichten ein wenig für Ablenkung gesorgt. Dass Ári schon seit Tagen vor Aufregung kaum ein Auge zu tat, war seiner Schwester nicht entgangen. In raschen Schritten kamen die Frauen näher. Mjölls große Verwandtschaft schien bereits vollzählig zu sein. Bei ihrer eigenen Familie konnte man die Mitglieder leider mit einer Hand abzählen. Es blieben neben ihr, Lenja selbst, nur Dwalin und Balin. Ihr Großvater Fundin hatte sein Leben bereits auf dem Schlachtfeld bei der Schlacht von Azanulbizar ausgehaucht. So war die ohnehin bereits kleine Familie noch weiter geschrumpft. Umso näher sie kamen, umso klarer konnten sie die Gäste erkennen. Mjölls Vater unterhielt sich mit seiner Schwester. Ihre Nichten schäkerten mit jungen Zwergen aus dem Ort. Stúfur rückte mit seinem Bruder noch ein paar Holzbänke an ihren richtigen Platz. Und Ári stand neben Dwalin, währenddessen sich Balin mit einem dunkelhaarigen Zwerg zu unterhalten schien. Nein! Bei Aule! Das konnte doch nicht wahr sein! Lenja blieb wie angewurzelt stehen. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, wäre sie wahrscheinlich auf die Idee gekommen, dass sie einen ganz schlechten Traum hatte. Mjöll war nun auch stehengeblieben und folgte verwirrt den Blick der anderen Frau. Sie schien den Grund für Lenjas Aussetzer gefunden zu haben. „Ist er das? Der Dunkle da neben eurem Onkel Balin?“, fragte sie vorsichtig. Die Andere nickte wie in Trance. „Was will er hier? Hat Ári ihn eingeladen?“, forschte sie weiter. „Wenn ich das wüsste“, nuschelte Lenja. Sie hatte das Gefühl, jemand würde ihr einen ganz üblen Streich spielen. Verdammt noch mal! Was wollte er hier? Was sollte das werden? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Ári ihn hinter ihrem Rücken zu seiner eigenen Hochzeit eingeladen hatte. Warum auch? Er wusste, dass er seiner Schwester damit keinen Gefallen machen und die Stimmung auf der Feier erheblich gefährden würde. „Lenja, wir müssen weiter. Wenn wir noch länger hier stehenbleiben, dann hat er seinen Triumph. Lass uns weitergehen. Meinst du, du hast dich soweit unter Kontrolle, dass du weiter kannst?“ „Wahrscheinlich. Ich versuche, euch beiden die Hochzeit nicht zu ruinieren. Doch ich kann für nichts garantieren, Mjöll.“ Sie waren kaum mehr als zehn Meter von den anderen entfernt. Ihre Augen hatten Lenja keinen Streich gespielt. Er war wirklich da. Als Áris Blick ihren eigenen traf, konnte sie ebenfalls eine Fassungslosigkeit in ihm erkennen. Nein, er hatte ihn nicht eingeladen. Sie hatte da aber bereits einen Verdacht, wer ihm von dem Fest berichtet hatte. Doch musste diese Klärung noch ein wenig auf sich warten lassen. Mjölls Hand umschloss Áris als beide unter die Eiche traten und den gemeinsamen Schwur für ewige Liebe und Treue sprachen. Lenja hatte sich demonstrativ zu Mjölls Vater gestellt. Kein einziger Blick sollte ihren Onkeln und deren besondere Überraschung gelten. Sie wollte sich diesen schönen Moment in ihres Bruders Leben nicht von den drei Hornochsen kaputt machen lassen. Leider war dieser Schwur viel schneller wieder vorbei als es der Zwergin lieb war. Sie gratulierte den beiden Verheirateten mit dem stolzen Brautvater als erstes. Und schon begann die Musik zu spielen. Essen wurde aufgetischt. Es sollte an diesem Tag der Freude niemanden an etwas fehlen. Lenja hatte lange dafür gespart. Zusammen mit den Ersparnissen des Brautvaters konnten sie sich dieses rauschende Fest nun auch endlich leisten. Als alle Gäste einer Beschäftigung nachgingen, sah Lenja den Moment gekommen. Sie ging auf die Dreiergruppe zu und mit einem „Mitkommen, aber sofort!“ folgte auch der Richtige hinter den mächtigen Baum. Ohne Vorwarnung drehte sie sich zu ihm um: „Was bei Mahal willst du verdammt nochmal hier!?“ „Ich freue mich auch dich zu sehen, Lenja. Wie ich sehe, bist du immer noch so impulsiv, wie einst. Die Zeit hat dich nicht verändert.“ „Dich schon! Du bist ziemlich grau geworden! Aber hörst du mir nicht zu? Ich habe dich etwas gefragt! Antworte gefälligst!“ „Deinem Bruder zu seinem Glück gratulieren?“ „Das hast du ja eben getan. Dann kannst du auch wieder gehen. Den Weg in die Ered Luin kennst du ja. Auf nimmer wiedersehen!“ „Lenja, pass auf, wie du mit mir sprichst!“ „Wie ich mit dir spreche? Wer lässt sich denn über hundert Jahre nicht bei mir blicken? Wer hat mich auf das Übelste beschimpft? Wer ist überhaupt auf die kranke Idee gekommen, dass ich mich von diesem Schwein auch noch anfassen lasse? Wer? Wer? Wer, wenn nicht du? Und jetzt kommst du hierher als ob nie etwas geschehen war und willst einfach so mir nichts dir nichts meinem Bruder zur Hochzeit gratulieren? Erzähl das, wem du willst! Nur verschwinde dahin, wo du hergekommen bist!“ Sie bebte vor Wut. Wut, die sie all die Jahre unterdrücken musste. Die sie mit sich allein ausmachen musste. Und nun stand der Grund ihres Schmerzes vor ihr und tat so als ob nie etwas vorgefallen war. „Meinst du wirklich, ich bin hierhergekommen, um mir dein Gejammer anzuhören? Ich habe einen anderen Grund! Wenn ich darauf aus gewesen wäre, dann hätte ich dich schon eher aufgesucht“, zischte der Zwerg und sein kalter Blick traf die Frau. „Gejammer? Du hast dich keinen Deut geändert! Du bist immer noch dieses Monster aus jener Nacht! Kein Deut besser als dein eigener Erzeuger, der dich belogen hat und dir nach deinem eigenen Kind auch noch dein Weib genommen hat! Ich hoffe, er ist wenigstens an seinem Wahnsinn elendig verreckt, wenn ich dem glauben kann, was ich von Balin und Dwalin gehört habe!“, sie wandte sich um zum Gehen. Er hielt sie fest und drückte sie gegen die Eiche. Sein stechender Blick traf sie als sich eine gierige Hand unter ihren Rock schob. „Ist es das, was du willst? Soll ich dir ein zweites Kind machen, damit du den ersten Schmerz vergisst? Glaubst du, du kannst mich mit dem weibischen Geschwätz klein bekommen? Du jammerst mir die Ohren voll! Du gibst mir die Schuld? Hast du dich auch nur einmal gefragt, wie ich mich gefühlt habe? Wie leer ich war als ich erfahren habe, was du mir angetan hast? Nein, das hast du nicht!“ „Lass mich los, du Idiot!“ Sein Griff lockerte sich, doch seine Augen blickte sie ohne jede Emotion an. „Idiot, nennst du mich? Für diese Worte müsste ich dir eigentlich die Zunge herausschneiden! So spricht niemand mit seinem König! Selbst in Ungnade gefallene Mätressen nicht.“ Und so traf Thorin Lenjas rechte Hand. Sie konnte nicht anders als ihn dafür zu ohrfeigen. Erstaunt über ihre Reaktion blickte er sie an. Eiseskälte herrschte zwischen ihnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)