Assuls Versprechen von ReiRei-chan ================================================================================ Kapitel 1: Assuls Versprechen ----------------------------- Der strömende Regen hielt bereits seit drei Tagen an. Unerlässlich prasselte diese Naturgewalt auf die Erde nieder, durchtränkte sie, spülte sie fort und mit ihr das gesammelte Blut tausender im Krieg gefallener Männer, Soldaten, Krieger, Ritter, Söldner. Sie alle waren gleich. Im Leben wie auch im Tod. Nichts unterschied sie voneinander als die Farben der Banner, die sie trugen, oder die Wappen, die auf ihren Rüstungen und Brustharnischen prangten. Sie alle hatten erlernt ein Schwert zu führen, eine Lanze zu schleudern oder mit einem Beil einen Gegner das Fürchten zu lehren. Sie alle hatten in diesem Krieg gekämpft, waren für ihre unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Überzeugungen gestorben. Oft waren es nicht ihre eigenen Überzeugungen gewesen. Vielmehr die einer Nation, eines Landes, das sie groß und stark gemacht hatte. Sie fühlten sich dem verpflichtet. Auch die Söldner hatten Position bezogen in einem Krieg, der niemanden unversehrt ließ und der das Schicksal der gesamten bekannten Welt entscheiden konnte. Menschen hatten Seite an Seite mit Göttern und Göttinnen gekämpft. Es war nicht ihr Kampf, es war kein Krieg der Menschen, wie es so viele Kriege zuvor gewesen waren. Doch die Opfer waren menschlich. Blut floss ebenso wie Schweiß und Tränen und um jeden Verlorenen weinten Frauen, Kinder, Eltern, Brüder und Schwestern. Niemand wurde geschont und niemand konnte sich den Wirren dieses Strudels entziehen. Und all die Tränen der Frauen und Männer, Kinder und Alten hatten schließlich diese dunklen Wolken hervorgebracht, die nun anstelle der Menschen ihre ewigen Tränen vergossen. Das zumindest glaubte Assul. Er spürte, dass es wahr sein musste, denn er selbst fühlte keine Tränen in sich aufsteigen, obwohl er wusste, dass sie kommen mussten bei dem Anblick, der sich ihm in diesem Moment bot. Mit schier ausdrucksloser Ruhe starrte er auf den leblosen Körper zu seinen Füßen und die schwarzen Haare, die so anders als seine eigenen, weißen, waren, erinnerten ihn an eine ähnlich Szene vor scheinbar unendlich vielen weit zurückliegenden Jahren. Assul sah den bleichen Körper seiner Mutter vor sich, wie sie aufgebahrt auf ihrem Totenbett lag. Eine einzelne Blume, für die Assul sein Leben riskiert hatte, ruhte in ihren gefalteten Händen und nach einem alten Brauch des Nordens hatte Assul ihre Augen mit einem von ihr selbstgestickten Tuch verbunden. Die Nordländer schlossen ihren Toten nicht die Augen, sondern verbanden sie mit einem Stoff, der bestickt war mit allerlei Symbolen, die dem Verstorbenen zu Lebzeiten etwas bedeutet haben mochten. Denn sie glaubten, dass der Tod lediglich ein Übergang in ein unendliches Leben in Freiheit und Glückseligkeit war. Dort angekommen, geleitet von den Göttern des Nordens, würde man den Toten die Augenbinde abnehmen und sie würden ihr neues, unsterbliches Leben vor sich ausgebreitet sehen. Das Tuch würde ihre Verbindung zu ihrem einstigen Leben sein. Wenn es gut und reich bestickt war, so konnten die Toten durch die eingewebten Gefühle als Geister zurückkehren und den Lebenden beistehen. Es war kein endgültiges Ende. Daran glaubte auch Assul. Deswegen fürchtete er den Tod nicht. Der Glaube an diese Vorstellung machte ihn stark und gefasst auf das Ende, dass für ihn lediglich ein neuer Anfang sein würde. Doch er wusste, dass die Menschen im Süden eine andere Vorstellung vom Tod hatten, ihn fürchteten und ihn zu umgehen versuchten. Für diese Leute gab es kaum etwas Schrecklicheres. Langsam ging Assul in die Knie, rammte sein breites Schwert aus schwarzem Obsidian in die feuchte Erde. Dreckiges Wasser spritze auf, benetzte sein unnatürlich weißes Haar. Leblose, kalte Augen starrten stumm zu ihm hinauf und Assul verlor sich für einen Moment in den Erinnerungen an das Lebendige in ihnen. An den Schalk, der immerzu aus ihnen gesprochen hatte. Leise flüsterte er den Namen des Gefallenen, legte die Hand auf die des Toten und betrachtete die unzähligen Wunden, die den schmalen, doch kräftigen Körper zierten. Sein rechter Fuß war von einer Lanze durchbohrt worden, die Brust war durchlöchert von unzähligen Pfeilen, deren Schäfte teilweise abgebrochen waren. Die Spitzen steckten allerdings ausnahmslos noch alle im Körper. An der linken Hand fehlten ihm drei Finger. Es war seine Schwerthand gewesen, denn auch darin war er ungewöhnlich gewesen wie Assul wusste. Als der Nordländer ihm zum ersten Mal begegnete, war er betrunken und in eine Kneipenschlägerei verwickelt, die er auch in seinem stark betrunkenen Zustand gewann. Trotz seiner schmalen Statur und der eher geringen Körpergröße war er doch ein Mann von außergewöhnlicher Kraft und einem beinahe unbändigen Temperament gewesen. Nichts erfreute sein Herz mehr als ein Kampf, das Gefühl des kalten Metalls in seiner Hand und dem Rausch, der immer einer Sache auf Leben und Tod beiwohnt. Denn für nichts Geringeres ließ er sich überreden. Immer musste einer sein Leben verlieren, sonst war es keine Herausforderung. Er war stur gewesen, jähzornig, launisch und arrogant. Er schickte seine Feinde mit einem höhnischen Lachen in die nächste Welt und scherte sich nicht um den Blutweg den er hinterließ. Assul hatte ihn dafür verabscheut und auch deswegen nie eine Herausforderung ausgeschlagen, immer in der Hoffnung dem eines Tages ein Ende bereiten zu können. Doch nun war es alles ganz anders gekommen und er bereute seine Gefühle von damals, ebenso wie er sich dafür schämte, nicht sein Versprechen gehalten zu haben. Assul griff in das dunkle Haar hinein, zog das rote Stirnband daraus hervor, das schwer und blutgetränkt in seinen Händen lag. Träge flatterte es in dem aufkommenden Sturm. Er betrachtete es lange und wusste, dass ihm eine ähnliche Bedeutung beiwohnte wie seinen bestickten Augenbinden für die Toten. „Bar’hon“, sprach er den Namen des Anderen zum ersten Mal aus. „Ich konnte mein erstes Versprechen an dich nicht halten, verzeih mir. Ich gebe dir dafür ein anderes. Was du begonnen hast, soll nicht unvollendet bleiben. Die Verlorenen sind nicht Vergessen solange noch ein letzter Atemzug in meinem Körper wohnt. Sobald dieser Krieg zu Ende geht, werde ich mich auf die Suche nach deiner Familie machen. Ich werde sie finden. In dieser Welt oder der nächsten. Und sollten sie in der nächsten sein, dann werde ich ihr dort begegnen. Du wirst sicher auf mich warten. Wir tragen es aus. Das verspreche ich dir.“ Mit diesen letzten Worten riss Assul das rote Stirnband entzwei, verband mit dem einen Teil die Augen des Toten und wickelte den anderen Teil um seine Faust, die er seinem Freund entgegenstreckte. Bar’hon sollte kommen und ihn heimsuchen, wenn er in seinem Entschluss wanken sollte. Dieses Band würde ihm den Weg weisen. Er konnte ihn damit nicht verfehlen und Assul würde sich so immer an sein Versprechen erinnern und an die Leben, die daran hingen. Nur ein einziges Mal hatte Bar’hon sein wahres Wesen gezeigt. Nur ein einziges Mal hatte er zugelassen, dass jemand hinter seine Mauer aus Hohn und Spott blickte, die die blinde Verzweiflung verbarg, der der Söldner sonst anheimgefallen wäre. Immer auf der Suche nach seiner Familie, hatte Bar’hon, die Königreiche durchstreift und dabei jeden getötet, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Nun sollte er seine Suche nie vollenden können. Mit einem letzten Blick auf den Toten erhob sich Assul aus der schlammigen Erde, ergriff sein Schwert und mit dem Aufleuchten des ersten Blitzes, wandte er sich von dem Gefallenen ab, stieg über unzählige Leichen von Männern, Soldaten, Kriegern, Rittern und Söldnern, die alle den gleichen schmutzigen Tod gestorben waren. Sie allen waren gleich und Assul hoffte, dass sich ihr Glaube bewahrheiten möge und sie in eine bessere Welt einkehren würden als die, die sie verlassen hatten. Und noch während er die Anhöhe erklomm, hinter der sich das Lager befand in dem er Quartier bezogen hatte, rann ihm eine einzelne Träne über die Wange. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)