Selfishness von Caity ================================================================================ Kapitel 7: Wahrheiten --------------------- Leicht zitternd legte ich das Handy auf die Ablage vor mir. Die SMS, die ich zuvor gelesen hatte, brachte leider Gottes nichts. Ich würde den heutigen Tag sicher nicht überstehen. Ich atmete ein paar Mal tief durch. "Viel Glück, du schaffst das schon. Versuch nicht all zu aufgeregt zu sein. Sei einfach du selbst. Per" Seufzend zog ich den Schlüssel aus dem Auto, schnappte mir mein Handy wieder und verstaute beides in meiner Hosentasche, nachdem ich ausgestiegen war. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich noch ungefähr fünf Minuten hatte. Ich war mir sicher, dass er schon jetzt am Treffpunkt war. Doch ich sah keinen Grund darin, ebenfalls vorzeitig dort aufzutauchen. Ich genoss die letzten paar Momente, in denen ich ungeachtet an ihn denken konnte, ohne zu wissen, dass er die Wahrheit wusste. Ich brauchte von meinem Auto aus vielleicht knapp eine Minute zum Treffpunkt, den wir zuvor per Mail abgemacht hatten. Deshalb ging ich auch erst los, als die letzte Minute kurz vor der vollen Stunde angebrochen war. Ich fühlte mich komisch. Die Leute um mich herum nahm ich überhaupt nicht wahr. Es war, als würde ich den Weg zu meinem Begräbnis einschlagen. Übertrieb ich? Oder konnte man es mir nicht übel nehmen, dass ich so aufgeregt und ängstlich zugleich war? Von weitem sah ich ihn auf einer der Treppen sitzen. Den Blick hatte er auf das Wasser gerichtet. Ein tolles Bild gab er da ab. Ich hätte ihn ewig so beobachten können, doch ich zwang mich dazu, weiter zu gehen und ihn zu begrüßen, als wäre alles wie immer. „Hey Piotr!" Er drehte sich zu mir um und stand auf, er lächelte. „Hey Clemens", begrüßte er mich und wir schlugen kurz ein. Er fragte mich wie die Fahrt hierher war und ich meinte nur sie sei ganz angenehm gewesen. Es war wenig Verkehr auf der Autobahn gewesen. „Bist du schon lange hier?", erkundigte ich mich und deutete auf die Terrasse an der Alster auf der wir standen. Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht ein, zwei Minuten." „Na dann." Wir gingen los, einfach so drauf los. Ich hatte zwar gesagt, dass ich mir gerne Hamburg mal wieder ansehen wollte, doch ich hatte jetzt nicht vor Kilometer zu laufen. Wir unterhielten uns über den neuesten Klatsch und Tratsch, während wir an der Alster entlang gingen und das angenehme Wetter genossen. Nach einer Weile fragte Piotr ob wir einen Kaffee trinken gehen wollten und ich stimmte zu. Wir suchten uns das nächstbeste Café und ließen uns dann an einem Tisch nieder. Eine Angestellte nahm unsere Bestellung auf und verschwand dann sofort wieder. Da das Café nicht all zu voll war, kamen unsere Getränk auch bald an. Ich beobachtete Piotr wie er an seiner Tasse nippte, das heiße Getränke dann wieder abstellte. „Nächsten Monat ist ja schon wieder Nationalmannschaft, oder?“, bemerkte ich zwischendurch und mein Gegenüber nickte. „Ja, in den Niederlanden. Wird bestimmt interessant." "Wenn ich mich nicht irre ist das letzte Freundschaftsspiel gegen die auch schon wieder einige Jahre her, oder?" „Ja so einige glaub' ich auch", gab der Kleinere mir da Recht und meinte dann, dass wir uns sicher wieder auf einen zweikampfstarken Gegner gefasst machen sollten. Ich war mir nicht sicher, ob Jogi Löw mich mitnehmen würde, doch ich spielte momentan eigentlich recht ansehnlich und beim letzten Spiel war ich auch dabei gewesen, wieso also nicht auch nächstes Mal? Ich hoffte es jedenfalls. So konnte ich wieder ungeachtet ein paar Tage mit Piotr verbringen. Aber um nicht wieder abzulenken: Da war immer noch etwas zu erledigen. Ich überlegte mir schon mal einen Ort, an dem ich blitzschnell verschwinden konnte, ohne dass er mir folgen konnte. Am besten direkt in der Menschenmenge. „Hast du Lust gleich noch in die Europa-Passage zu gehen? Wollte noch nach einer neuen Hose Ausschau halten, mir ist letztens eine kaputt gegangen." Ich blickte ihn lieb an, sodass er gar nicht ablehnen konnte. Was natürlich eh nicht zu ihm gepasst hätte. „Sicher. Können wir machen." Uns so war es beschlossene Sache. Der Moment rückte immer näher und somit wurde auch ich immer nervöser. Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen, redete ich mir ein und war so langsam von meiner Aufgeregtheit genervt. Ging das überhaupt? Anscheinend ja schon. Wir saßen noch gute zehn Minuten in dem gemütlichen Café mit der harmonischen Musik im Hintergrund und beschlossen dann, loszugehen. Wir gingen wieder eine Weile, bis die Einkaufspassage in Sicht kam und wir eintraten . ,_.,'*~*',._, "Also ich kann mich irgendwie nicht entscheiden." Unentschlossen hielt ich zwei Hosen in der Hand, die ich beide schon anprobiert hatte. Die eine war eine normale, baue Jeans, die andere war eine dunkelblaue Stoffhose. Beide gefielen mir, beide saßen recht gut und angenehm. "Ach weißt du...", fing Piotr neben mir an und beugte sich etwas zu mir. "Ich glaube die Jeans sieht ganz hübsch aus." Ich schluckte schwer, nickte dann. "So im allgemeinen, oder meinst du an mir?" Ich guckte ihn nicht an, starrte auf das Stück Stoff in meinen Händen. "Beides denke ich", lachte er etwas und zuckte dann aber mit den Schultern. "Aber ist deine Entscheidung." "Weist du...", fing ich an und senkte meine Stimme. "...deine Meinung ist mir schon wichtig..." "Clemens?", hörte ich ihn nächst fragen und blickte auf, sah in sein Gesicht. "Ist alles okay?" Er runzelte die Stirn und ich biss mir auf die Lippe. Dann nickte ich, schüttelte dann aber sofort den Kopf. Jetzt oder nie. "Ist es nicht. Ich bin eigentlich nicht hier um eine Hose zu kaufen." Ich ließ die Arme sinken, die Hosen waren jetzt Nebensache. Ich wusste, dass uns keiner zuhören würde. Es waren keine anderen Kunden in der Nähe und ich sprach leise genug, so konnte keiner lauschen. Verwirrt schaute Piotr mich an. „Weißt du, da gibt es etwas, was ich dir schon lange sagen wollte.“ Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde, die richtigen Worte zu finden. Doch ich konnte nicht mehr zurück, und einen Rückzieher zu machen, dafür war es zu spät. „Du wirst mich wahrscheinlich für komplett bescheuert halten, aber ich quäle mich schon etwas länger damit herum und ich dachte es wäre angebracht dir die Wahrheit zu sagen.“ Ich ließ ihn nicht mal zu Wort kommen. Fragend und verwirrt hatte er leicht die Lippen geöffnet, wollte etwas sagen, mich jedoch auch nicht unterbrechen. Bei dem Anblick musste ich lächeln und kam mir gleichzeitig furchtbar elend vor. „Ich bin schwul und...“ Ich schluckte. „... ich habe mich in dich verliebt.“ Für ein paar kurze Sekunden hatte ich die Augen zusammengekniffen, öffnete sie dann jedoch wieder und blickte Piotr an. Seine braunen Augen starrten mich an, ich konnte nicht definieren, was sie ausdrückten. Überraschtheit? Oder doch Ekel? Sag doch was, irgendwas, flehte ich innerlich und kaute unruhig auf meiner Unterlippe herum. Dann endlich gab Piotr etwas von sich. “Das... Also... Tut mir Leid, das muss ich erstmal verdauen...“ Er drehte sich um, ging ein paar Schritte. Ich hielt die Luft an, war nicht fähig mich zu bewegen. Ich fühlte mich eingeengt. Und ausgepowert. Als hätte ich gerade einen 100-Meter-Sprint zurückgelegt. Mein Blick wanderte unsicher von Piotrs Rücken zu den Hosen in meiner Hand, dann wieder zurück zu dem kleinen Mittelfeldspieler. Ich schloss meine Augen und als ich sie wieder geöffnet hatte, Piotr sich nicht wieder zu mir gedreht hatte, war mir eines klar: Er brauchte Zeit, ich brauchte Zeit. Ohne es wirklich zu realisieren, hatte ich die Hosen auf den Ständer neben mir gelegt und hatte auf dem Absatz kehrt gemacht. War einfach losgegangen. Raus aus dem Laden. Weg von Piotr, weg von diesem dunkelhaarigen Typen, der mich um den Verstand brachte und mir das Leben schwer macht, ohne es wirklich zu bemerken. Mitten in der Einkaufsstraße blieb ich nach einer Weile stehen. Vor mir erstreckte sich ein Adidas-Store, doch ich war nun wirklich nicht in der Stimmung shoppen zu gehen. Gerade überlegte ich, wie ich zurück zu meinem Auto kam – ich war zuvor einfach drauf los gegangen – da vibrierte es in meiner Hosentasche und ich griff schnell nach meinem Handy. Der Name Piotrs blinkte mir entgegen und ich seufzte. Im Nachhinein hätte ich vielleicht doch annehmen sollen, doch ich hatte in dem Moment einfach nicht den Mumm dafür. Ich wollte einfach nicht wissen, was er von dem ganzen hielt – noch nicht. Er könnte mir so vieles an den Kopf werfen. Was der ganze Scheiß sollte, ob ich ihn verarschen würde, oder wer weiß was. Kopfschütteln wollte ich gerade mein Handy wieder zurück stecken, da kam mir eine Idee und ich suchte eine bestimmte Nummer im Telefonbuch, drückte dann auf den Hörer zum anrufen. "Bitte sag mir, dass du gerade nichts zu tun hast", sagte ich hoffnungsvoll, nachdem sich die Person in der Leitung gemeldet hatte. "Äh...", kam es nur zurück und ich versuchte nebenbei den Weg zurück zu meinem Auto zu finden. All zu schwer konnte das ja nicht sein. "... oh, Clemens?" "Ja, genau der. Also? Wie lautet die Antwort?" "Nun, ich bin gerade auf dem Weg nach Hause. Aber etwas vor habe ich eigentlich nicht mehr. Wieso denn?", fragte mich die helle Frauenstimme und ich atmete erleichtert aus. Einerseits wegen ihrer Antwort, andererseits weil ich bemerkte, dass ich auf dem richtigen Weg war. "Super. Hast du Lust was zu unternehmen? Bin gerade in Hamburg und habe nichts zu tun." Sie schwieg einen Moment und ich überlegte, ob es zu aufdringlich klang. Ich kannte Sarah nun wirklich noch nicht lange und auch nicht gut, und jetzt tat ich so, als wären wir die besten Freunde. "Naja... Hört sich ja verlockend an, das Problem ist, dass ich zu Hause bleiben muss, das ich auf unseren Hund aufpassen muss...", erklärte sie mir ruhig und ich biss mir auf die Lippe. "Wäre wohl zu viel verlangt, dass ich dein Haus mal besichtigen dürfte, oder?" Okay, das war eindeutig zu aufdringlich, doch in diesem Moment war mir alles egal. Ich wollte einfach nur abgelenkt werden und da war dies einfach die beste Möglichkeit. "Hm, nein, eigentlich nicht. Wenn du das wirklich möchtest. Ich wohne jedoch nicht sehr besonders, also gibt's da nichts zu besichtigen." Überwältigt von ihrer offenen Art stammelte ich ein "egal" und ließ mir dann ihre Adresse geben. Dann legten wir kurze Zeit später auch schon auf und ich erreichte mein Fahrzeug, welches ich auch sogleich aufschloss und drinnen Platz nahm. Leute gab es... Sarah war wirklich eine interessante Person. Dass sie so einfach ja gesagt hatte, wunderte mich doch etwas. Aber vielleicht war sie auch ein guter Menschenkenner und wusste, dass ich nichts böses wollte. Ich fuhr auf die Hauptstraße und ließ mein Navigationsgerät die Route zu der angegebenen Straße suchen. Es war ein ganzes Stück zu ihr nach Hause, doch ich hatte alle Zeit der Welt. Nun ja, ich hatte den ganzen Tag Zeit, sagen wir es mal so. Während ich so vor mich hin fuhr, überlegte ich, was ich zu Sarah sagen könnte. Eine Entschuldigung wäre wohl angebracht, da ich sie ja wirklich überrumpelt hatte. Mein Blick fiel auf einen Laden ein paar Meter vor mir auf der rechten Straßenseite. In der letzten Sekunde wechselte ich die Fahrbahn, erntete ein genervtes Hupen, und parkte Sekunden später am Straßenrand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)