Selfishness von Caity ================================================================================ Kapitel 3: Entspannung ---------------------- Frische Luft kam mir entgegen, als ich nach draußen trat. Ich hatte mich zuvor von Per und den anderen verabschiedet - war gekonnt den Nachfragen auf den Verbleib in Hamburg ausgewichen. Mein großer Freund hatte mich noch beiseite genommen und mir Mut zugeredet. "Sei einfach du selbst", hatte er gesagt und mich angelächelt. "So kann er dir nicht widerstehen." Ich hatte gelacht. Ich sah ihn schon von weitem bei seinem Auto stehen und beschleunigte meine Schritte. Er lud gerade seine Tasche in den Gepäckraum und sah mich nicht kommen. Ich schlich mich heran, stellt mich direkt hinter ihn und als er sich gerade umdrehen wollte, flüsterte ich ihm ein "Bin da" ins Ohr. Erschrocken fuhr er zusammen und sah mich mit großen Augen an. "Clemens!", sagte er laut und ich zuckte grinsend mit den Schultern. Piotr schüttelte den Kopf und begab sich zur Fahrerseite, stieg ein. Ich schmiss meine Sporttasche neben seine, schloss die Kofferraumtür und gesellte mich zu ihm auf den Beifahrersitz. "Und wie geht es dir so?", fragte ich Piotr während er sich durch den sich langsam lichtenden Verkehr vor der Arena zwängte und ich an seinem Radio rumtüftelte. Ich suchte nach einem 'neutralen' Radiosender, einem, der nicht ständig über das Spiel berichtete und dies aus Hamburger Sicht. "Kann nicht klagen", meinte er und warf mir flüchtig einen Blick von der Seite her zu. Es war normal bei uns, dass wir uns nach einem Spiel nicht über dieses unterhielten. Wir waren beide der Meinung, dass man, unabhängig wie das Spiel ausgegangen war, darüber noch genug zu hören bekam. Demnach brauchten wir uns da nicht auch noch drüber zu unterhalten. "Und wie steht's mit dir?", fragte er und ich konnte nicht anders, als mit der vollen Wahrheit heraus zu rücken. "Perfekt!" Piotr sah mich skeptisch an - zum Glück hielten wir gerade an einer roten Ampel, sonst hätte er noch einen Unfall gebaut. Wahrscheinlich dachte er an das Spiel und konnte nicht so recht glauben, dass es einem danach perfekt ging. "Wie kommt's?", kam es nächst und er wendete sich wieder der Straße zu. Er bog an der Kreuzung rechts ab und fuhr auf dem direktesten Weg zu sich nach Hause. "Ach...", fing ich an, überlegte schnell, was ich sagen sollte. 'Weil ich bei dir sein kann' hörte sich wie aus einem kitschigen Liebesfilm an, selbst wenn ich es nur als Scherz sagen würde. Und da dies eher der Wahrheit entsprach und ich ihn nicht damit überfallen wollte, lies ich es bei einer kleinen Notlüge. "Ich werd' wahrscheinlich Onkel. Meine Schwester..." Ich zuckte mit den Schultern. "Das ist doch schön", freute er sich für mich und ich nickte. Dann verfielen wir für geringe Zeit in Schweigen. Ich erwischte mich immer wieder, wie ich ihm verstohlenen Blicke zuwarf. Na hoffentlich tat er es nicht auch. Wie lange war es her, dass wir uns ein paar Tage länger gesehen hatten? Das letzte Nationalmannschaftsspiel war schon eine Weile her und danach war eigentlich nichts mehr gewesen. Nun gut, nichts mehr im Sinne von Treffen. Piotr und ich hatten zu meiner großen Freude noch Kontakt, den wir übers Internet und sogar übers Telefon hegten und pflegten. Ich erkundigte mich, wie sein Familienbesuch war - von dem er mir erst letztens erzählt hatte - und er berichtete eifrig davon, da bogen wir auch schon in seine Straße ein. Er parkte das Auto und wir stiegen gemeinsam aus. Ich öffnete wieder den Kofferraum und er schloss das Auto ab - Teamarbeit könnte man fast meinen. Ich griff nach meiner und nach seiner Tasche, stellte eine ab, schloss den Kofferraum und ergriff sie wieder. Er wollte mir seine blaue Adidas-Tasche abnehmen, doch ich war schneller und zog sie weg. Dann drehte ich mich um und verschwand Richtung Haustür. "Ey", gab er von sich. "Du bist doch kein Bediensteter. Du bist ein Gast!" "Du musst doch aufschließen", rechtfertigte ich mich und er zog eine Schnute, die mir sogleich einen angenehm süßen Stich versetzte. "Als wenn ich meine Tasche nicht tragen und dabei aufschließen könnte", schmollte er und ich konnte nicht anders als ihm seine Tasche wiederzugeben, aus Angst, ich könnte schwach werden, würde er weiterhin so gucken. Ein siegreiches Funkeln trat in seine Augen und er hatte schon längs die Tür geöffnet, was ich jedoch erst bemerkte, als er sie mir - um mich zu ärgern - vor der Nase zumachen wollte. Ich hielt schnell meinen Fuß zwischen Tür und Rahmen und er ließ mich eintreten. Drinnen angekommen ließ ich mich auf dem Boden nieder und tüftelte an meinen Schuhen herum, um sie dann ausziehen und wegstellen zu können. Die Jacke hing ich an der Garderobe auf und ging dann weiter in die Wohnung hinein. Es war alles, wie ich es in Erinnerung hatte. Der selbe Duft, der mir Piotrs Gesicht vor Augen zauberte, sobald ich diese geschlossen hatte. Die selbe Atmosphäre, wenn ich in seiner Nähe war. Hier könnte ich mich immer aufhalten. "Möchtest du etwas trinken?", nahm ich Piotr Stimme aus der Küche wahr und betrat eben diese. "Ja gerne", antwortete ich nur und ließ mich dann lässig auf einem Küchenstuhl fallen. Piotr hatte derweilen schon zwei Gläser aus dem Schrank gefischt und sie vor sich auf die Theke gestellt. "Wasser? Saft?..." "Wasser, bitte." Aus dem Kühlschrank holte er eine Flasche Mineralwasser und goss uns beiden etwas ein. Dann händigte er mir ein Glas aus und setzte sich ebenfalls. Ich nippte an dem Glas, hatte nicht wirklich Durst, nahm aber immer aus Gewohnheit an. Piotr hingegen genehmigte sich ein paar kräftige Schlucke. "Und schon 'ne Idee was wir heute Abend machen?" Ich blickte ihn an, hatte erwartet, dass er danach fragen würde. Trotzdem gab ich ein ahnungsloses "Hm" von mir. Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab und ich tat es ihm gleich. Er zog ein Bein an, stellte seinen Fuß auf die Kante des Stuhls. Sein Kinn lehnte er gegen sein Knie und schaute mich aus seinen braunen, freundlichen Augen her an. "Also wir können das Übliche machen. Fernsehen oder DVD gucken. Wir könnten natürlich auch weg gehen...", fing er an und ich schüttelte den Kopf. "Nach Weggehen ist mir nicht so. Will lieber etwas entspannen", gestand ich und fuhr mir kurz durchs Haar. Er lächelte zustimmend. "Ich ehrlich gesagt auch." "Dann können wir noch entscheiden, ob wir uns einen Film reinziehen oder etwas im Fernsehen suchen." "Oder aber wir spielen etwas an der Konsole", fügte er hinzu und ich hob fragend meine Augenbrauen. "Du hast 'ne Spielkonsole?" Er nickte grinsend. "Hab ich mir erst neulich zugelegt. Da ja komischerweise jeder aus der Natio eine hat, musste ich mal mit dem Trend gehen." "Ach, dann hast du sicher auch FIFA oder Pro Soccer, oder?" "Wenn du dem Klischee nachgehen willst, dass Fußballer nur Fußball an der Konsole spielen, dann ja", lachte er und verpasste mir eine leichte Gänsehaut damit. Sein Lachen war so hell und ehrlich. Eins der Dinge, die ich so an ihm mochte. "Na dann lass mal sehen, was du sonst noch so hast", mit den Worten stand ich auf, schnappte mir mein Glas Wasser und verschwand Richtung Wohnzimmer. Ich hörte wie Piotr mir folgte. Er hatte doch tatsächlich neben den genannten Fußball-Spielen auch noch eine Menge anderer Spiele. Dabei war er immer derjenige gewesen, der sich davor gesträubt hat mit Bastian und Lukas - von denen man wusste, dass sie verrückt danach waren - zu spielen und auch so oft davor geflüchtet ist. Jetzt hielt ich in der einen Hand ein Autorennen-Spiel und in der anderen eines über Wrestling. Wahrscheinlich war er der heimliche Zocker und wollte es uns anderen nur nicht verraten. "Hm. Ich bin für einen Wrestling-Kampf", hörte ich ihn sagen und legte daraufhin die CD in das vorgesehene Fach ein. Piotr drückte mir einen Kontroller in die Hand und so setzten wir uns nebeneinander auf die Couch vor den großen Flachbildschirm. "Uff", staunte ich nicht schlecht, als Piotr mich schon zum dritten Mal hintereinander fertig gemacht hatte. "Du spielst das bestimmt den ganzen langen Tag, oder?" "Nein", meinte er grinsend. "Ich hab nur irgendwie den Dreh raus." Ich kniff die Augen etwas zusammen und versuchte mich zu konzentrieren. Meine Figur im Spiel begann von neuem, sich auf Piotrs Figur zu stürzen und sie zu attackieren. So ging das eine Weile, bis auch ich endlich mal einen Sieg errungen hatte. Triumphierend hob ich die Faust in die Höhe. Sah, wie mein Gegenspieler den Kopf schüttelte. "Okay, noch eins und dann was anderes, okay?", fragte er mich und drückte ein paar Mal in die Tasten, hatte so eine neue Runde gestartet. Wild auf den Kontroller klickend warf ich Piotrs Figur zu Boden. Ich ließ meine auf ihn drauf springen und ihn dabei den Ellenbogen in die Magengegend rammen. "Sieht ganz schön schwul aus, oder?" Verwirrt blickte ich zur Seite. Piotr hingegen starrte auf die Mattscheibe. "Was?", fragte ich nach und sah dann aber selbst, was er meinte: Meine Figur hockte zwischen den Beinen seiner und drückte ihn somit zu Boden. Wenn man sich vorstellte, dass die beiden nicht gerade am Kämpfen waren, konnte man diese Pose schon falsch verstehen. "Naja... wie die da hocken", bestätigte Piotr mir noch mal und aus den Augenwinkeln sah ich, wie er das Gesicht verzog. Was war daran denn schlimm? Gerade wollte ich ihm sagen, dass es wohl normal war, dass Wrestler so viel Körperkontakt hatten, da kam er mir zuvor mit dem Reden. "Ich kann so was nicht ab. Selbst wenn das nur so aussieht." Ich stockte. Was genau meinte er jetzt? "Was meinst du?" "Also dieser schwule Touch. Oder Schwule insgesamt. Ich kann die nicht ab." Würde ich nicht schon auf dem Boden hocken, wären mir wohl die Beine weggeknickt. Verwirrt, getroffen und nach Courage ringend blickte ich ihn an. Er war immer noch damit beschäftigt, mit meiner Figur zu kämpfen. Und erst als er "Gewonnen" murmelte, ließ er den Kontroller sinken und warf mir einen Blick zu. Während er fragend die Augenbrauen gen Himmel streckte, versuchte ich verzweifelt diesen Satz aus dem Kopf zu bekommen. "Ich kann die nicht ab." Schwule. Er kann Schwule nicht ab. "Autorennen?", fragte er und zeigte flüchtig mit dem Daumen zur Konsole. "Äh-... ja", sagte ich und merkte, wie meine Stimme zitterte. Na hoffentlich hatte er es nicht auch gemerkt. Aber dem war nicht so, denn er wechselte die CD und machte so weiter wie bisher. Ich hingegen fühlte mich mit einem Mal total fehl am Platz. Ich hatte den Drang, einfach aufzustehen und abzuhauen. Doch das konnte ich nicht machen. Das würde mir einige Erklärungen einbringen. Deshalb versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, immer seine Aussage im Hinterkopf. "Ich kann die nicht ab." Gut zu wissen. (Flashback) Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie ich ihm das erste Mal begegnet bin, geschweige denn, wann es war. Höchstwahrscheinlich auf dem Rasen bei irgendeinem Bremen-gegen-Hamburg-Spiel. Er war mir nicht wirklich aufgefallen. Benahm sich wie jeder andere Spieler, rückte nicht mit irgendwelchen Schlagzeilen in den Vordergrund. Aber woran ich mich noch sehr gut erinnern konnte war, wie ich es geschafft hatte, eine Vorliebe für den kleinen Mittelfeldspieler zu entwickeln. Es war so plötzlich passiert, dass ich im Nachhinein schon daran gezweifelt hatte, ob ich wirklich so für ihn empfand. Es war während eines Spiels mit der Nationalmannschaft gewesen - wann sonst auch? Wir hatten gerade ein paar freie Minuten auf dem Hotel, bevor es zur Teambesprechung gehen sollte. Ich könnte fast sagen es sei ein Unfall gewesen, dass ich auf ihn aufmerksam geworden bin, denn ich ging gerade durch den Flur, in dem sich unsere Zimmer befanden, und las dabei in einem Buch. Ich hatte nicht damit gerechnet jemanden anzutreffen, deshalb achtete ich nicht darauf, wo ich ging. Als mich jedoch ein plötzliches »Aua!« das Buch vom Gesicht wegnehmen ließ, blieb ich verwundert stehen. Vor mir war niemand, woher kam dann der Ausruf? Ich blickte nach unten und sah, wie jemand gerade vom Boden aufstand und sich über die Wade strich. Dabei hatte er mir den Rücken zugedreht und ich brauchte einige wenige Sekunden, um zu realisieren, dass es Piotr war. »Äh...«, brachte ich nur heraus und er drehte sich zu mir. »Was hast du da auf'm Boden gesucht?«, fragte ich nächst und er blickte kurzzeitig zu Boden und dann wieder in mein Gesicht. Während ich auf eine Antwort wartete, musterte ich ihn unauffällig und mir fiel zum ersten Mal auf, wie zierlich sein Gesicht wirkte, doch gleichzeitig blühte es nur so vor Persönlichkeit. Und auch sein Blick, der so suchend und trotzdem sicher umher glitt, ließ mich stutzen. Er hatte gesagt, er hätte seinen Ring fallen gelassen und ihn eben aufgehoben. Und dass ich ihn auf seine Wade getreten sei. Er hatte gefragt, wieso ich beim Gehen nicht schaue, wohin ich laufe. »Hab gelesen«, hatte ich gemeint und ihm mein Buch vor die Nase gehalten. Ich hatte mich natürlich entschuldigt. Und irgendwie waren wir dann in ein Gespräch geraten. Worüber konnte ich nicht mehr sagen, ich wusste nur, dass ich den Blick nicht von seinen Augen wenden konnte. Als er mir dann auch noch sein Lachen gezeigt hatte, war es wohl um mich geschehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)