Von Pausen und Proberaumgesprächen von abgemeldet (OS-Sammlung) ================================================================================ Von Dächern und Unterhosen -------------------------- | von dächern und unterhosen | »Vielleicht trägt er das Ding auch, weil Rukis Füße so stinken.« »Oder weil du tierischen Mundgeruch hast.« »Aber Uruhas neues Parfüm könnte auch der Grund sein.« »Er trägt das Teil aber schon seit Jahren.« »Stimmt.« Grinsend beobachtete Aoi, wie Reitas Augenbrauen sich mit jedem Satz immer weiter zusammenzogen. Es war gerade Pause, Kai und er saßen auf dem Boden vor dem kleinen Tisch, auf welchen mehrere Hefter lagen, in denen der Leader herumblätterte. Für Aois Geschmack führten sie beide gerade ein spannendes Gespräch über furchtbar wichtige Dinge – das Nasenband –, der Drummer hingegen versuchte einen Zettel zu finden, auf dem irgendwelche wichtigen Termine standen, wie er vorhin erzählt hatte. Aber bei Kais Gedächtnis konnte das sowieso noch eine Weile dauern. Reita saß entspannt auf dem Sofa gegenüber und hatte die Augen geschlossen. Theoretisch hätte man annehmen können, dass er schlief, wäre da nicht die Sache mit den Augenbrauen gewesen, ein deutliches Indiz dafür, dass er lauschte. Ein Grund mehr, noch einen draufzusetzen: »Es könnte natürlich auch an ihm selbst liegen, bestimmt duscht er nur an Weihnachten.« »Dann ist es ja bald wieder so weit«, murmelte Kai abwesend und wühlte einen Zettel hervor, den er aufmerksam las. Oder es zumindest versuchte. »Also trägt er das Nasenband, um seinen eigenen Körpergeruch nicht riechen zu müssen.« »Vielleicht trage ich es auch, um Idioten wie dich nicht sehen zu müssen«, brummte der Bassist und zog sich das Band demonstrativ nach oben über die Augen. »Kai, er will uns nicht mehr sehen.« Keine Antwort. Aoi löste den Blick von Reitas Augenbrauen, die schon fast eine durchgehende, gezackt-wütende Linie bildeten, und schaute zu Kai, der den soeben gefundenen Zettel wieder weglegte und weitersuchte, ihn nicht mal beachtete. Und so was nannte sich ›kreative Pause‹! Einer pennte auf dem Sofa, zwei waren im Gebäude unterwegs und holten Kaffee und der vierte suchte nach … ach, das war unwichtig, er fand es sowieso nicht. Und er durfte sich hier selbst unterhalten! Da mussten wohl härtere Geschütze aufgefahren werden, um nicht an Langeweile sterben zu müssen. »Komm schon, Kai, spielen wir das Entscheide-dich-Spiel!« »Hm.« Geräuschvolles Blättern. »Okay, ich fange dann mal an. Also, würdest du lieber Ruki die Zehennägel abkauen oder Reitas Unterhose anziehen, wenn er sie kurz vorm Duschen ablegt?« »Hm.« »Na?« »Hm.« »Was meinst du, dreht er sie nach dem Duschen auf links und trägt sie noch ein Jahr?« »Hm.« »Halt die Klappe, Aoi«, kam es von gegenüber. »Nach einem Jahr in Gebrauch hat sie bestimmt schon die Form von Reitas flachem Hintern angenommen«, kicherte der Schwarzhaarige und wich dem fliegenden Kissen aus, das ihn aus Richtung des Sofas angriff. »Hm.« »Mensch, Kai!«, begann er und verschränkte die Arme. »Gib es doch auf, es fällt dir doch sowieso erst wieder am Ende der Probe ein, wo der blöde Zettel ist.« Angesprochener sah ihn verwirrt an. »Welcher Zettel?« »Den, den du suchst vielleicht?« »Oh.« Nun ja. Es sei dem Herrn Leader vergeben, schließlich war ja allgemein bekannt, dass dessen Hippocampus nicht immer korrekt arbeitete. Schon erstaunlich, dass dieses Erinnerungszentrum im Gehirn aussah wie ein Seepferdchen – genau genommen waren es ja sogar zwei –, aber er wich ja völlig vom Thema ab. Ob Kais Problem sich nun auf das Langzeit- oder Kurzzeitgedächtnis bezog, wusste niemand, nicht mal er selbst, vermutlich hatte er es vergessen oder es waren einfach beide. Also standen seine Hoffnungen auch gut, dass Kai vergessen haben könnte, dass dieser nicht zum Plaudern aufgelegt war, wie er am Anfang der Pause noch erklärt hatte. Na dann, auf zu Runde zwei! Oder drei? Egal. »Sag mal, Kai, was ist eigentlich das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst?«, fragte er neugierig und betrachtete fasziniert diese steile Falte, die sich gerade auf der Stirn des Leaders bildete. »Dass du wieder deine tratschsüchtigen Minuten hast, und das ausgerechnet in unserer einzigen Pause, die ich mehr oder weniger allein mit dir verbringen muss.« Verdattert sah Aoi ihn an. So einen langen Satz hätte er gar nicht erwartet. Aber irgendwie gefiel ihm die Antwort nicht. »Hm, und das Allerschlimmste?« Die Falte war inzwischen so ausgeprägt, dass er einen Schatten darunter erkennen konnte. »Aoi«, sagte Kai bemüht ruhig und sah ihn an. »Hm?« »Ich arbeite.« »Aber wir haben doch Pause.« Der Brünette seufzte einmal laut und wandte sich wieder zu seinem Hefter-Haufen. Aoi warf einen Blick auf die Uhr. Nur noch fünf Minuten, dann war die Pause um und sie machten weiter. Versuchte er halt, so lange still zu sein, so wie Kai es wollte. Dann würde er ihm eben nicht sagen, dass der gesuchte Zettel direkt neben ihnen lag. Der Schwarzhaarige lehnte sich zurück, bis sein Rücken den Holzboden berührte, verschränkte die Arme unter dem Kopf. Nichts gegen Pausen, aber die waren immer so unglaublich langweilig. Entweder schliefen alle oder verschwanden einfach. Bis vor ein paar Tagen war er immer statt Ruki mit Uruha Kaffee holen gegangen, aber er durfte nicht mehr mit. Er redete zu viel. Uruha hatte ja bekanntlich seine eigene, langsame Dimension, das ging ihm alles zu schnell, wenn Aoi ihm etwas erzählen wollte. Der andere Gitarrist erschreckte sich ja sogar, wenn sie nach einer halben Stunde im Schleichtempo endlich unten angekommen waren und plötzlich vor dem Kaffeeautomaten standen. Zu dem Zeitpunkt war er gedanklich meistens noch an dem Punkt, an welchem Kai ihm aufgetragen hatte, endlich seine Gitarre anzuschließen und nicht mehr regungslos in der Tür zu stehen. Aber genau wegen dieser Eigenschaft war Uruha der perfekte Gesprächspartner, da hatte man wenigstens mal genug Zeit, alles loszuwerden, was einem so auf der Seele lag, ohne dass man unterbrochen wurde. Auch wenn der Andere nur die Hälfte mitbekam. Na gut, vielleicht war Reita doch der bessere Zuhörer, der hörte ihm wirklich immer bis zum Ende zu und gab dann sogar eine – wenn auch schlecht gelaunte – Antwort zurück. Er war halt ein Brummbär. »Sag nicht, der Zettel lag die ganze Zeit hier«, stöhnte Kai auf einmal. Da hatte wohl jemand einen Blick neben sich geworfen. Aoi grinste. »Dann sag ich es nicht.« »Okay, du Nervensäge, dann unterhalte ich mich eben mit dir, bis die anderen wieder hier sind.« Das klang zwar weder motiviert noch freundlich, mehr resigniert, aber Aoi wusste, dass der Leader das gar nicht so meinte. Dafür sprach auch das Lächeln, das er sah, als er sich wieder aufsetzte und Kai anschaute. »Was ist denn jetzt das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst?«, fragte er noch einmal. Das Lächeln wurde wärmer. »Dass du irgendwann mal auf uns hörst und nichts mehr sagst.« »Kai! Sag das nicht!«, warf Reita vom Sofa aus ein. »Er wird nie wieder aufhören, zu reden!« »Na und?« Der Blonde ließ stöhnend seinen Kopf auf die Lehne hinter sich fallen und gab damit den Startschuss. »Kai, du bist wirklich viel netter als der da. Vielleicht ziehe ich doch lieber zu dir.« »Mach das. Dann können wir den ganzen Tag über Reita herziehen.« »Und du kannst auch kochen. Noch ein Pluspunkt.« »Ganz genau.« »Und du verteilst deine dreckige Wäsche nicht in der ganzen Wohnung. Du glaubst ja nicht, wo ich letztens eine Unterhose gefunden habe!« »Wo denn?« »Im Wäschekorb!« »Nein?!« »Doch! Er hat ihn endlich gefunden! Wahrscheinlich ist es die vom letzten Weihnachten.« »Mann, ist ja gut! Ja, ich mag es, Aoi zuzuhören, es gibt doch nichts Schöneres, als dass er uns die Ohren wegblubbert!«, knurrte es genervt vom Sofa. Kai und Aoi grinsten sich an. Es gab doch nichts Besseres, als den Blonden auf die Palme zu treiben. Er kräuselte dann immer so komisch die Nase, und da er das Nasenband auf den Augen hatte, konnte man es sehr gut sehen. Aber noch hatte der Schwarzhaarige sein Ziel nicht erreicht. »Kai, weißt du, was ich mir schlimm vorstelle?« »Was denn?« »Reita im Rüschenkleidchen.« Sie lachten grunzend los und schlugen sich vergnügt auf die Schenkel. Bis der Leader wieder ernst wurde. »Das habe ich aber schon mal gesehen.« Aoi sah ihn perplex an. »Was?« »Ja, das war vor einigen Jahren. Er hatte irgendwas mit Miyavi gewettet und verloren, und der Wetteinsatz war dann halt, dass Reita sich ein kurzes Rüschenkleid anziehen musste.« »Echt?« »Ja, aber das war noch nicht alles. Er musste sich damit auf das Dach von der Company stellen, an den Rand Richtung Innenhof, wo die Manager immer rauchen, und dann ›Gimme gimme gimme a man after midnight‹ singen.« Jetzt gab es kein Halten mehr. Aoi kugelte lachend über den Boden. »Haha! Warum … Warum war ich da nicht dabei? Haaahaha!« »Du warst mit Uruha bei einem Interview«, erklärte Kai grinsend. Tödliche Blicken schossen auf sie nieder. »Das war überhaupt nicht komisch!« »Doch! Oh, ich wäre so gerne dabei gewesen!« Aoi atmete tief durch und wischte sich die Lachtränen weg. »Gibt es davon Fotos?« »Nein!« »Aber ein Video!« Reitas Augen schienen Kai erstechen zu wollen. »Das habe ich, also wird niemand es je zu Gesicht bekommen!« »Du hast es aufgehoben? Hat es dir etwa doch gefallen?«, fragte Aoi grinsend. Reita wollte gerade zu einer gepfefferten Antwort ansetzen, als die Tür aufging und die beiden anderen wieder reinkamen und erkalteten Kaffee verteilten. »Aoi, nächstes Mal gehst du wieder mit Uruha, der ist viel zu langsam!«, beschwerte sich Ruki und starrte missmutig auf seinen Becher. Kai klatschte in die Hände. »So, da die Pause bereits um zehn Minuten überzogen ist und der Kaffee sowieso kalt, schlage ich vor, wir machen dann weiter.« Er stand auf und ging hinüber in den anderen Raum, in welchem ihre Instrumente standen. Auch Ruki und Uruha folgten, der Kleine mit mürrischen Gesichtsausdruck und Uruha verwirrt, dass sie gar keine Pause gehabt hatten. »Du legst es wirklich drauf an, oder?«, raunte plötzlich eine strenge Stimme in Aois Ohr. Der Schwarzhaarige grinste und drehte sich zu Reita, der direkt hinter ihm hockte. »Ich muss dir wohl etwas deutlicher beibringen, dass du nicht so über mich reden solltest.« Aoi nickte. Ziel erreicht. Der Andere strich ihm sanft eine übriggebliebene Lachträne von der Wange, küsste ihn und biss hart in seine Lippe. »Wie sollst du mir antworten?« Aoi schlug die Augen nieder. »Ja, Herr.« »Brav.« Reita nickte zufrieden. »Dann komm, bevor die anderen noch misstrauisch werden.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)