Nichts in der Welt von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 1: Nichts in der Welt ----------------------------- Nichts In Der Welt Erschöpft von meinem langen Arbeitstag ließ ich mich unter meiner Dusche von kaltem Wasser berieseln. Früher hatte es mir immer geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen, doch seit etwa eineinhalb Jahren war es damit vorbei. Ein kleiner Satz hatte mein Leben von der einen auf die andere Sekunde völlig durcheinander gebracht. Ich stellte das Wasser aus, trocknete mich ab und warf mich in bequeme Freizeitkleidung. Ich schaute in den Spiegel und fuhr über meine Wangen und mein Kinn. Es kratzte nur ein wenig und eine Rasur schien mir zu diesem Zeitpunkt überflüssig. Halbherzig übte ich ein paar Grimassen ein – am ersten Geburtstag meiner Tochter wollte ich nicht der einzige Trauerkloß in der Runde sein –, doch letztendlich blieb nicht mehr als ein trauriges Lächeln auf meinen Lippen zurück. Ich wandte mich von dem kläglichen Anblick meines Spiegelbildes ab, griff nach meinem Schlüsselbund und dem unordentlich eingepackten Geschenk – obwohl das Einpacken fast eine Stunde gedauert hatte, sah es einfach dilettantisch aus – und machte mich auf den Weg. --- Wie jeden Tag freute ich mich sehr darauf, meine Kleine zu sehen, beeilte mich aber nicht, die vierhundert Meter zu der Wohnung, in der sie und ihre Mutter lebten, zu überwinden. Zu sehr schwirrten mir immer noch die Worte im Kopf herum, die Temari damals zu mir gesagt hatte. Natürlich war es eine tolle Geste von ihr gewesen, trotz unserer Trennung hierher zu ziehen, damit ich mich um meine Tochter kümmern konnte, doch ihren Fehltritt machte es nicht unvergessen. Sogar im Gegenteil. Jedes Mal, wenn ich sie anschaute, baute sich vor meinen Augen das damalige Szenario wieder auf. Eine Weile lang bildete ich mir zwar ein, dass ich darüber hinwegkommen würde, aber inzwischen wusste ich, dass ich mir damit nur etwas vormachte. Egal, was sie tat, ich konnte ihr einfach nicht verzeihen. Immer mehr wünschte ich mir, sie wäre nicht so verdammt ehrlich gewesen und hätte es mir gebeichtet, denn so hätten wir heute eine intakte Familie sein können. Auch wenn diese mehr oder minder auf einer Lüge aufgebaut wäre – so ziemlich alles war mir lieber als die jetzige Situation. Ich kam an Yamanakas Blumenladen vorbei und spielte mit dem Gedanken, einen kleinen Blumenstrauß zu kaufen. Nur kurz, dann schmeckte ich beim Anblick der orangefarbenen Gerbera, die nach wie vor Temaris Lieblingsblumen waren, einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Wenn ich mit so etwas ankam, machte ich ihr nur falsche Hoffnungen und das wollte ich auf keinen Fall. Ich fluchte innerlich, dass man die Zeit nicht zurückdrehen und alles ungeschehen machen konnte, oder dass ich wenigstens etwas gelassener mit der Lage umgehen und Temari, die sich außer der einen Sache nie etwas geleistet hatte, – vielleicht nicht heute und nicht morgen, aber irgendwann – vergeben konnte, doch es war aussichtslos. Denn auch wenn ich sie noch immer liebte, mein Vertrauen in sie war verschwunden. Ich ging weiter und verspürte plötzlich eine unglaubliche Leere in mir. Obwohl Temari häufig betont hatte, dass ich nichts falsch gemacht hatte und ich wusste, dass sie Recht hatte, stellte ich mir diese Frage immer wieder. Nur der kleinste Fehler meinerseits hätte mir zumindest eine Erklärung gegeben, warum sie auf diesen Kerl hereingefallen war, doch es gab ihn einfach nicht. Rasch vertrieb ich den Gedanken und dachte an mein Töchterchen. Ihre Mutter hatte vielleicht Mist gebaut, doch das minderte meine Gefühle für die Kleine nicht im Geringsten. Es half tatsächlich eine ganze Menge, wenn man sich das vor Augen hielt. Anders hätte ich der Situation wohl auf Dauer auch nicht standgehalten. Ich erinnerte mich an ihre Geburt vor einem Jahr zurück. Sakura hatte mir am frühen Abend Bescheid gesagt, dass Temari seit ein paar Stunden mit Wehen im Krankenhaus lag. Obwohl damals noch nicht klar war, ob sie überhaupt mein Kind bekam, stand ich ihr die ganze Zeit im Kreißsaal bei und wich ihr nicht eine Sekunde von der Seite. Ich hatte zwar meine Bedenken, doch ich fühlte mich ihr und vor allem dem Baby verpflichtet, denn im Grunde wusste ich, dass es kaum eine Rolle spielte, ob es meine Gene in sich trug. Ich hatte seine Mutter trotz allem die letzten sechs Monate der Schwangerschaft begleitet und das anfangs kleine Würmchen, das später so eifrig Tritte austeilte, rasch in mein Herz geschlossen. Die letzten Zweifel, dass ich nicht der Vater sein könnte, verflogen gegen halb drei in der Nacht, als die Kleine das Licht der Welt erblickte. Zwar kam sie nicht unbedingt nach mir – von der Haarfarbe abgesehen –, aber ich hatte Babyfotos meiner Mutter gesehen und das kleine Mädchen ähnelte ihr sehr. In den folgenden Wochen und Monaten kristallisierte sich das immer mehr heraus und ich beschloss, auf einen Test zu verzichten, der die Vaterschaft klärte. Es war einfach unsinnig zu glauben, dass sie nicht mein Kind war. Davon einmal abgesehen hatte der Zeitpunkt von Temaris One-Night-Stand ohnehin nie richtig gepasst, aber dass meine Tochter zumindest optisch Yoshino in Miniaturformat war, beruhigte mich mehr oder minder ganz. Ob sie sich charakterlich wie meine Mutter entwickelte, war zwar noch nicht abzusehen, eine gruselige Vorstellung war es aber allemal. Ich grinste. Falls es tatsächlich so kam, nahm ich das gerne in Kauf, schließlich gab diese Tatsache auch der kleinsten Sorge den Rest. Falls in dem Punkt überhaupt noch mal eine aufkeimte. Ich verspürte ein seltenes Hochgefühl und die letzten Meter flogen nur so an mir vorbei. Ich betätigte die Türklingel und betrachtete die beiden Namen, die daran angebracht waren. Temaris Nachname stand an erster Stelle, meiner an der Zweiten. Sie hatte unserem Kind damals meinen gegeben, mit der Begründung, dass ihr eigener ohnehin doof klang und sie ihn der Kleinen einfach nicht antun wollte. Anfangs fragte ich mich, ob das stimmte oder ob sie damit nur versuchen wollte, mich an sie zu binden, aber letztendlich war es nicht wichtig genug, um mir lange darüber den Kopf zu zerbrechen. Kankurou öffnete mir die Tür – er war für den ersten Geburtstag seiner Nichte extra angereist – und begrüßte mich mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Ich tat es ihm nach, um mir nichts anmerken zu lassen, und betrat die Wohnung. Es bereitete mir immer noch ein wenig Unbehagen, dass Temari ihre Brüder nie eingeweiht hatte und beide bis heute glaubten, wir wären nach wie vor zusammen. Da ich an meinem Leben hing, ließ ich sie in dem Glauben und machte eine gute Miene zu diesem Spiel. Die Aufklärung in dem Punkt sollte sie mal schön selbst übernehmen – ich war ihren Verwandten keinerlei Rechenschaft schuldig. Meine Kleine saß im Wohnzimmer auf dem Fußboden und schob begeistert ihr Lieblingsspielzeug, eine Holzlok, hin und her. Ich setzte mich zu ihr, drückte ihr einen Kuss auf und beobachtete sie beim Spielen. Irgendwie faszinierte es mich, dass sie bei der anstrengenden Mutter so ein pflegeleichtes Kind geworden war, das nur selten weinte und sich stundenlang selbst beschäftigen konnte. Vielleicht die einzige Eigenschaft, die sie von mir geerbt hatte, das hieß, wenn so was denn vererbbar war. Temari pendelte unterdessen zwischen der Küche und dem Wohnzimmer hin und her und deckte den Tisch für den Besuch, der in einer guten halben Stunde auf der Matte stand, um den Anlass zu feiern. Neben Ino, Chouji und Sakura hatte sich auch meine Mutter angemeldet, worauf ich mich schon besonders freute. Zugegeben, seit ich ausgezogen war, ließ ich mich wirklich nicht mehr oft bei ihr blicken, aber dass sie mir nach über einem Jahr immer noch Moralpredigten hielt, fand ich arg übertrieben. Trotzdem ließ ich es still über mich ergehen, denn ich konnte auch verstehen, dass es nicht leicht war, sein einziges Kind ziehen zu lassen. Ich fragte Temari, ob ich ihr helfen konnte, doch sie winkte mit einem Lächeln ab. Auf meinen Armen bildete sich eine leichte Gänsehaut. Ihr sanftes Lächeln machte mir nur allzu deutlich bewusst, warum ich mich einst in sie verliebt hatte. Zum ersten Mal seit langem sah ich sie wieder an, ohne diesen bitteren Nachgeschmack zu verspüren. Ein schönes Gefühl, auch wenn ich nicht wusste, ob es richtig oder falsch war. Ich betrachtete sie weiter unauffällig und noch andere, fast schon vergessene Eindrücke kamen mir. Mit den gut zehn Kilo mehr, die sie nach der Schwangerschaft nicht mehr losgeworden war, sah sie einfach großartig aus und das hübsche Sommerkleid, das sie trug, betonte dies an den richtigen Stellen. Ich schalt mich für diesen Gedanken und versuchte mich davon abzulenken. Das Lachen meiner Tochter schaffte es auf Anhieb. --- Der Nachmittag und frühe Abend verging sehr schnell und von dem Trubel und vielen Geschenke auspacken war die Kleine müde und quengelig geworden. So brachte ich sie gegen halb acht ins Bett und Temari verabschiedete mit ihrem Bruder, der sich in der nächsten Pension ein Zimmer gemietet hatte, den letzten Gast. Ich zog die Spieluhr auf, die am oberen Rand des Kinderbettes hing, warf noch einen Blick zurück auf meine Tochter, die schon vor sich hindöste, und löschte das Licht. Leise schloss ich die Tür hinter mir. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und betrachtete die Geschenke, die die anderen angeschleppt hatten. Skeptisch nahm ich ein pinkes Kleid mit Rüschen in die Hand. »Das Teil ist schrecklich, oder?!« Temari kam ins Wohnzimmer und zog eine Grimasse. »Dabei hab ich Sakura ausdrücklich gesagt, dass sie nichts in Rosa kaufen soll.« »Es ist ja auch pink, nicht rosa«, verbesserte ich sie, konnte mir ein Schmunzeln aber nicht verkneifen. »Egal, beide Farbtöne sind zum Wegrennen.« Sie sah sich kurz um und horchte in die Stille. »Schläft sie etwa schon?« »Eben war sie auf jeden Fall auf dem besten Weg dahin.« »Schön«, sagte sie und lächelte, »dann kann ich mir ja endlich mal den Film ansehen, den ich mir vor über zwei Wochen ausgeliehen habe.« Ich antwortete nicht. Ihr Lächeln hatte mich sprachlos gemacht. Nur ungern riss ich mich davon los, aber wenn ich sie noch weiter angestarrte, warf es nur unangenehme Fragen auf. »Ich hab übrigens vor, mit ihr in ein paar Monaten nach Suna zu reisen, damit Gaara sie mal sehen kann«, fuhr Temari fort, bevor peinliches Schweigen ausbrechen konnte. »Dann sag ich den beiden auch, wie es zwischen uns aussieht.« Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, schwieg ich abermals. »Ich weiß, ich könnte es Kankurou auch jetzt schon sagen, aber ich hab keine Lust, dass er dir ’ne Szene macht«, setzte sie nach. »Du weißt ja, wie er ist.« »Dass er mir ’ne Szene macht, ist aber nett ausgedrückt. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass er mich verprügelt?!« »Verprügeln ist nett ausgedrückt«, flachste sie, dann wurde ihr Ausdruck ernst. »Ihm wird es leider egal sein, dass ich die Böse in dieser Geschichte bin.« Ich schwankte zwischen den Möglichkeiten, sie aufzumuntern oder einfach die Klappe zu halten. Im Großen und Ganzen war ich ja der Leidtragende, warum sollte ich ihr dann gut zureden? »Du hast einen Fehler gemacht«, kam es automatisch aus meinem Mund. »Menschen machen nun mal von Zeit zu Zeit Fehler.« Und den, den sie gemacht hatte, verfluchte ich in besonderem Maße, doch ich hatte das Gefühl, dass ich ihn ihr schon viel zu lange übelnahm. Temari lächelte traurig. »Einen Fehler, den nichts in der Welt jemals wieder gutmachen kann.« Nur zu gerne hätte ich ihr widersprochen. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)