100 Sünden musst du begehen... von Anemia (...um in dieser Welt zu bestehen.) ================================================================================ Kapitel 1: Horrorshow --------------------- (Nachtblut - FF) War es wirklich der Angstschweiß, welcher über meinen Rücken rann und Gefühle in mir weckte, die denen eines panischen Tieres glichen? Meinen Magen wölbte ein dumpfes Empfinden aus, welches meine Speiseröhre hinaufkroch und schließlich seine ekelerregenden Finger um meinen wehrlosen Hals legte, um fest gegen meinen Kehlkopf zu drücken. Nicht mal die kalten, nassen und so hämisch auf mich niederfallenden Schneeflocken hielten mich davon ab, für eine endlose Weile in der nächtlichen Winterwelt zu verharren, nur mit Shirt und enger Röhrenjeans bekleidet. Mehr als eine Grippe hätte es nicht gegeben, und da die Tour ohnehin übermorgen vorbei sein würde, konnte ich mich ein paar Tage im Bett entspannen, was deutlich besser war, als mich ihm auszusetzen. Ihm, dem Vokalisten, der eindeutig zu tief ins Glas oder besser gesagt in die Flasche geguckt hatte, während wir für die Fans unser Bestes gaben, sie ohne Gnade zum Headbangen und Pogen zwangen und ihnen eine Hammershow boten. Auch ich hatte etwas Alkohol intus, wie so viele der Zuschauer und Bandmitglieder. Das war auch eigentlich kein Ding und gehörte meiner Meinung nach zu einer amtlichen Party mit ordentlicher, harter Musik, aber nie im Leben hätte ich gedacht, dass mir das heute Abend so eine Horrorshow bescheren würde. Ich sprach nicht etwa von unserem düsteren Auftreten oder den knüppelharten Texten, die wir den Fans tagtäglich um die Ohren hauten, denn diese waren im Gegensatz zu dem, was mir Askeroth kurz vor der Autogrammstunde mit seiner rauen Stimme mitten ins Gesicht sagte, Bestandteil eines lustigen Kinderliedes. Nie im Leben hätte ich vermutet, dass der kleine, harmlose Kniff in meine Hüfte und das fiese Grinsen dermaßen zweideutigen Wert besaßen. Mir blieb nur die Flucht, die vielleicht etwas überstürzt war, wenn ich es mir recht überlegte, denn ich versetzte gerade unsere Fans, aber ich spürte seit dem ersten Mal, als ich auf Askeroth traf, diese unbeugsame Dominanz, die seine ganze Person ausstrahlte, und ich fürchtete mich auf Deutsch gesagt etwas davor, ihm mitzuteilen, dass ich seine Anzüglichkeiten nicht gebrauchen konnte. Er war eindeutig der Stärkere von uns beiden und ein Widerwort meinerseits würde meinem Körper wahrscheinlich nicht bekommen. Nein, ich musste warten. Warten, hier draußen, in der Kälte, im Schnee. Bis ich der Eiskönigin ihr Eiskönig werden würde. Lieber würde ich sterben, als noch einmal dieses wilde Funkeln in seinem Blick schwelen sehen zu müssen; lieber hier draußen verrecken, als seine Hände bedächtig über meinen bloßen Rücken wandern zu spüren, während ich meine Klamotten wechselte. Und ich wollte nie wieder hören, dass ich wie ein schwarzer, sündiger Engel ausschaute, der sich endlich seinem Gebieter hingeben solle. Eisige Schauer ergossen sich bei dieser Erinnerung über meinem Rücken und langsam aber sicher nahm ich meine Füße nicht mehr wahr, die selbst meine fetten New-Rock-Boots nicht warmhalten konnten. Scheiße, ey. Ich brauchte eine Zigarette, vielleicht würde ich mich dann endlich nicht mehr wie eine Pussy aufführen und wieder klare Gedanken zu fassen vermögen. Doch diese Arschlöcher von Glimmstängeln kuschelten sich irgendwo im Warmen in ihrer Packung aneinander und lachten sich wahrscheinlich ins Fäustchen. Wütend auf mich, aber auch auf Askeroth und die ganze Welt, beschrieb ich mit der Stiefelspitze eine klare Linie in den Schnee, während mein Atem in grauen Kräuseln in die eisige Nachtluft aufstieg. ***** Verabscheuungswürdig, wie die kleinen, fiesen Flocken auf meinen Lippen und dem restlichen Gesicht landeten und dort vor sich hinschmolzen, da ich trotz der halben Ewigkeit, die ich bereits hier draußen zubrachte, noch nicht am Verwesen und somit leichenkalt war. Das änderte nichts daran, dass ich fürchterlich fror und ab und an doch damit liebäugelte, zurück in den warmen Club zu gehen, doch der Gedanke an Askeroths Hand machten diese Sehnsucht jäh zunichte. Nur leider hatte ich nicht mit den Bandmitgliedern gerechnet, die mich allmählich vermissen würden und sich bereits auf die Suche nach mir machten. Als ich ein paar Flocken von meinen Wimpern wegblinzelte, vernahm ich eine schwarze Gestalt, die gerade die Tür der Location hinter sich schloss und dann geradewegs auf mich zulief. Ich dummes Arschloch. Was würde ich ihm sagen, was ich hier draußen im Shirt machte? Auf meinen baldigen Tod warten? Wobei - der lauerte ja bekanntlich im Inneren des Clubs auf mich... Trotz alledem kam ich mir wie ein Vollidiot vor. Und vielleicht war ich auch genau dieser. Ich, ein erwachsener Mann im Alter von Mitte zwanzig, der sich fast wegen einem anderen Kerl in die Hosen machte, nur weil dieser im besoffenen Zustand etwas ans andere Ufer triftete. Genau das durfte ich Skoll nun beibringen, natürlich, ohne ihn zum schallenden Lachen zu bewegen. Oder wäre eine Lüge doch angebracht? Schließlich durfte ich den Bandfrieden nicht wegen einer solchen Lappalie gefährden, und Askeroth wäre sicher auch nicht erfreut gewesen, wenn ich Memme gleich zum Nächstbesten petzen rannte. Mama, der hat mich angegrabscht... "Was geht denn mit dir? Ist doch arschkalt, so..." "Mh." Fest presste ich die Lippen aufeinander und hoffte inständig, dass Skoll mich in Ruhe weiter erfrieren lassen würde. Was er natürlich nicht tat, auch wenn er nicht viel zu sagen wusste. "Die Fans haben nach dir gefragt." "Ich komm gleich." Der Düstermann zog sich seine Kapuze weiter ins Gesicht und starrte mich ausdruckslos an, so, wie er es immer zu tun pflegte. Sicher fror er bereits nach dieser kurzen Weile, aber mich beeindruckte das keineswegs. Stur starrte ich Löcher in die Luft und biss die Zähne fest aufeinander. "Komm jetzt mit. Außerdem hat Askeroth noch..." Alle Alarmglocken schrillten bei mir, als der Drummer diesen Namen erwähnte. Wahrscheinlich bestrafte ich ihn mit einem etwas zu wütenden Blick, denn Skoll riss augenblicklich die Augen auf und schüttelte den Kopf. "Woah, alles klar?" "Sorry, ich...ist wahrscheinlich die Kälte, die mich ganz kirre macht", lenkte ich schnell ein und bewegte mich nun doch an Skolls Seite in Richtung des Clubeinganges, auch wenn ich noch immer gegen ein starkes Unbehagen kämpfte. "Außerdem brauch ich dringend 'ne Kippe." Glücklicherweise war Skoll keiner, der aus irgendeiner Sache ein Riesending machte; er nahm viel mehr alles gelassen hin, hinterfragte wenig und verurteile nicht. Askeroth war da anders. Er sah einen immer so durchdringend an, wenn er merkte, dass etwas nicht stimmte und bohrte so lange nach, bis man endlich die verdammte Klappe aufmachte und wenigstens die halbe Wahrheit erzählte. Er wollte Unstimmigkeiten und Streitereien, die die Bandinterna betrafen, lieber gleich aus dem Weg räumen und nicht erst warten, bis alles eskalierte und jemand seinen Ausstieg verkündete. Außerdem war es wichtig für ihn, dass ihm stets das letzte Wort zuteil wurde; er war eben ein sehr dominanter Mann, und wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, musste man sich in Acht nehmen. Erschreckenderweise hätte ich mich im Hinblick auf diese Fakten als das genaue Gegenteil Askeroths bezeichnet. Vielleicht war es ja das... ***** Die teilweise fast schon niedliche Art speziell unserer jüngsten Fans, die das achtzehnte Lebensjahr mit Sicherheit noch nicht überschritten hatten, lenkte mich etwas ab und heiterte mich gleichzeitig auf. Freilich warf ich, wann immer ich es für nicht zu riskant hielt, Askeroth einen prüfenden Seitenblick zu, den er zum Glück nicht einmal erwiderte. Viel zu beschäftigt war er mit seinem manchmal doch recht übertrieben wirkenden Gepose an der Seite unserer Publikums, dennoch achtete ich darauf, nicht unbedingt neben ihn zu geraten. Leider wollte es der Zufall anders, und so musste ich mich in mein böses Schicksal fügen, indem ich mir Askeroths Hand um die Hüfte legen lassen ließ und er einmal mehr viel zu deutlich in meine Intimzone eindrang. Erneut schalteten alle meine Synapsen auf Alarm und somit auf Flucht, aber dieses Mal blieb ich an seiner Seite, konzentrierte mich einzig und allein auf den bösen Blick, den ich der Kamera schenken sollte, aber rechnete nicht mit meinem Mundwerk. Dieses öffnete sich ganz plötzlich nach Drücken des Auslösers und formte Worte, die ich am liebsten wieder zurückgenommen hätte. "Wir müssen was bequatschen, Askeroth. Lass uns an die Bar gehen." Der andere schaute mich nur so seltsam an, und ich war verwundert über mein eigenes Verhalten. Seit wann war es an mir, Probleme mit Worten aus der Welt zu schaffen? Das war Askeroths Rolle, für den Frieden in der nachtblutigen Welt zu sorgen, und in unserem ganz speziellen Fall konnte ich eh nicht viel ausrichten, außer, dass ich ihm an den Kopf warf, dass er sich besoffen wie eine verdammte Schwuchtel verhielt. Niemals. Wahrscheinlich war es scheiße, was ich begonnen hatte, und vielleicht wäre es mir nicht mehr so beschissen ergangen, wenn ich mich jetzt nicht als Askeroths Gegenüber auf den Barhocker sinken gelassen hätte. Wann immer sich unsere Blicke trafen, fluchte ich innerlich, aber ich musste nun durchziehen, was ich begonnen hatte. Also. Wir bestellten uns einen Wodka, was ich schnell bereute, denn dieser würde den Vokalisten nur noch betrunkener machen und damit schwuler. Hastig stürzte ich einen großen Schluck des Teufelszeugs meine Kehle hinunter, verzog ob der Bitterkeit des Schnapses mein Gesicht - und legte los, einfach so. "Schwul mich nie wieder an, kapiert?" Askeroths Blick wandelte sich von entspannt zu absolut fassungslos. Die weißen Kontaktlinsen schienen meinen gesamten Körper zu durchbohren und bereits langsam auszuweiden. Was hatte ich gesagt? Ich wusste doch, dass er es nicht gutheißen würde... Und wieso machte sich meine wahrscheinlich kleine, aber doch feine dominante Ader ausgerechnet jetzt in mir breit? Erst wollte ich reden, dann machte ich reinen Tisch, und wie ich das anstellte! Man hätte sagen können, ich verhielt mich gerade wie Askeroth. Das war sein Charakter, nur noch temperamentvoller und harscher, als ich es je können würde. Das war er. Er war in mir... "Sag das nochmal..." So plötzlich, wie Askeroths Wesen in meinem Hirn Einzug gehalten hatte, so schnell floh es auch wieder. Seine Stimme war es, die mich schlagartig aufweckte und zurück auf den Boden der Tatsachen holte. Angespannt nippte ich am Wodkaglas, versuchte mit dem Getränk, meinen panischen Herzschlag auf ein normales Level zu befördern, was mir allerdings nicht gelang, denn Askeroth erwartete noch immer eine Wiederholung meiner frechen Worte, und er hatte für gewöhnlich viel Zeit. Dieser erhabene Blick war es schließlich, der mich zum Reden bewegte. Wann war ich das letzte Mal so kleinlaut gewesen? "Ich will nicht, dass du mich so anfasst..." Schon längst konnte ich ihn nicht mehr ansehen, denn mittlerweile rechnete ich sogar mit dem Schlimmsten. Würde er mir für den Spruch einen in die Fresse hauen? Aber das würde den Bandfrieden gefährden, und das war das Letzte, was Askeroth erreichen wollte. Ich zitterte, aber bei Weitem nicht mehr wegen meiner dreißig Minuten im Schnee. "Das war aber nicht dein originaler Wortlaut. Was hast du vorhin gesagt?" Warum quälte er mich so? Gefiel ihm das? Ich rang nach Worten, wollte meinen Satz auf keinen Fall wiederholen, zumal Askeroth mir nicht erzählen konnte, dass er ihn nicht bereits beim ersten Mal verstanden hatte. Es war pure Absicht seinerseits. "Ich will, dass du die Finger von mir lässt!", formulierte ich also weniger drastisch, was mir allerdings nur ein mitleidiges Lächeln einbrachte. "Erst war es noch 'schwul mich nicht an', stimmts?", wollte Askeroth auf rhetorischer Basis von mir wissen, und als ich sacht nickte, da er natürlich recht besaß und mir eine Lüge nichts einbringen würde außer einer gebrochenen Nase, stahl sich seine Hand um meine Wange, spielte mit meinen halblangen, schwarzen Haaren. Er sollte doch genau damit aufhören! Ich wollte das nicht, es fühlte sich schrecklich an, so heftig, so erniedrigend, so kleinmachend. Wut und Angst prickelten in meinem Magen und duellierten darum, wer von ihnen die Oberhand über meinen Körper gewinnen würde. Doch keine von beiden machte das Rennen; Askeroth sorgte dafür, dass ich vollkommen willenlos blieb und mich nicht vom Fleck rührte. "Das hat nichts mit anschwulen zu tun, Greif", erklärte er mir mit verblüffenderweise sehr ruhigen, bedächtigen Stimme, die weit davon entfernt war, mich wegen meiner Worte anzubrüllen, noch setzte seine Hand, die nun um mein Kinn schlich und es umfasste, zu einem Schlag an. "Manchmal stelle ich mir vor, du wärst ein weibliches Wesen. Und dann kann ich einfach nicht anders...du schöner, sündiger Engel." Wann fielen endlich die Vorhänge und beendeten diese Horrorshow? Das Wort 'manchmal' suggerierte, dass heute nicht das erste und einzige Mal war, dass Askeroth derartige Fantasien hegte. Mit einem Mal kam ich mir ihm so ausgesetzt vor, so hilflos in seiner finsteren Gedankenwelt gefangen, die sicher nicht nur aus zarten Küssen und Streicheleinheiten aufgebaut war, sondern ein Himmelreich aus Erniedrigung, Beherrschung und der Lust am Schmerz besaß. "Aber ich bin kein weibliches Wesen!", versuchte ich mich aus diesen Abgründen zu befreien, die mich mehr und mehr zu verschlingen schienen, die quälende, warme Hand, die mein Kinn nach unten zog, so gut es ging ignorierend. "Ich bin ein Mann und stehe auf Frauen. Deswegen will ich das nicht..." "Sicher? Man sollte nicht über etwas urteilen, das man nicht kennt..." "Wie bitte?", kam es unbeabsichtigt über meine Lippen und ich glaubte, diesen Mann, der da vor mir saß und Dinge sagte, die ich niemals aus seinem Mund zu hören erwartete, nicht mehr richtig zu kennen. Natürlich, er war betrunken, er war sogar sehr betrunken, aber trotzdem... "Stimmst du mir nicht zu?" Mit kurzen Bewegungen schüttelte ich den Kopf, aber bereits Sekunden später wusste ich, dass ich ihm besser Recht gegeben hätte. Vor all den Leuten, die uns wunderbar beobachten konnten, ließ seine Hand von mir ab, um daraufhin zum Schlag auszuholen und wuchtig auf meiner Wange zu landen. Obwohl ich zutiefst erschrocken über diese Tat war, die ich eigentlich schon viel früher erwartet hatte, kreisten meine Gedanken um das Urteil der Leute, die die Szene beobachtet hatten. Zum Glück waren die meisten ähnlich betrunken wie wir, und so kümmerte sie es einen Dreck, ob mir Askeroth eine verpasste oder gar über den Tresen legte, um mir den Arsch zu versohlen. So weit ging er gottseidank nicht, aber die Ohrfeige genügte, damit ich mir schwor, ihm nie wieder zu vertrauen. Ich konnte kaum mehr dieses verabscheuungswürdige Funkeln in seinen Augen mit ansehen, das mir wahrscheinlich flüstern sollte, wer von uns beiden die Macht besaß. Mir wurde klar, dass man das ganze Leben nur in Dominanz und Unterwürfigkeit einteilte, dass alles darauf basierte und dass man, einmal in diese Schublade gesteckt, nicht mehr entkommen konnte. "Du bist doch schuld daran, dass ich solche Gedanken hege! Du verführst mich doch mit deiner Präsenz! Verdammter Inkubus*!" Das genügte. Ich verpisste mich schleunigst aus seinem Dunstkreis, rannte kopflos durch die Menschenmassen, bis ich schließlich gegen Tryms starke Brust knallte und mich aufgrund der Menge der Gefühle, die Askeroth in mir wachgerüttelt hatte, nicht mal dafür schämte. Für eine Millisekunde lang wünschte ich mir sogar, dass unser neuer Bassist mich in den Arm genommen hätte, aber das erschien mir zum Glück noch rechtzeitig um einiges zu absurd. Also standen wir uns einfach nur gegenüber; bestimmt sah man mir meine Verstörung an, denn Trym zog eine merkwürdige Schnute und nickte bedächtig mit dem Haupt. "Ich hab's gesehen", meinte er plötzlich wenig überrascht und zog mich erstmal an die Seite, aus dem Verkehr. "Wieso hat er dir eine geklatscht?" "Er ist betrunken", lautete meine Antwort, und es war auch die einzig korrekte, wie ich fand. Es gab keinen Grund, weswegen ich die Schelle verdient hatte; all die Anschuldigungen, ich sei ein Inkubus, ich hätte ihn mit meiner bloßen Anwesenheit verführt, trafen ins Leere. Natürlich ärgerte es mich, verursachte ein enges Gefühl in meiner Brust, aber morgen schon würde die Welt ganz anders aussehen. Dann würde mich Askeroth nicht mehr für einen Dämonen der sexuellen Perversion halten und nicht mehr diese Schiene fahren, von wegen, er wolle etwas von mir. Davon war ich zu diesem Zeitpunkt überzeugt, denn ich ahnte noch nicht, dass die Ohrfeige den Vorboten zu der einen, wirklichen Horrorshow darstellte. ***** Irgendjemand von den Idioten unterbreitete nach dem Verschwinden aller Fans den Vorschlag, doch noch einen kleinen Snack zu sich zu nehmen, in einer Gaststätte. Dass das Wort 'Gaststätte' in diesem Fall den Fresstempel Burger King beschreiben sollte, fand ich etwas unpassend, aber da ich selbst nach den Schrecken dieses Abends einen kleinen Hunger verspürte, gab ich meine Zusage bekannt. Aber nur unter einer Bedingung: Die Bandmitglieder mussten mir Askeroth vom Hals halten, der mir bereits jetzt nicht deutbare Blicke zuwarf, die wahrscheinlich jenseits von gut und böse angesiedelt waren. Seltsamerweise hatte mich sein Handeln nur kurzfristig ein wenig verstört, da ich es ohnehin kommen sah und man musste sich eingestehen, dass es zu ihm passte. Ich verspürte einfach nur den Wunsch, mich von ihm fernzuhalten; denn man konnte nie wissen, zu was er noch fähig war... Aber erstmal galt es durchzuatmen, denn ich durfte im Lokal einen Platz zwischen Skoll und Trym einnehmen, während Askeroth damit beauftragt wurde, die Bestellung für alle aufzunehmen und weiterzugeben, weil er 'unser Boss' war, wie Skoll mit dem Ansatz eines Lächeln in seinem sonst so grimmig dreinblickenden Gesicht verkündete. Natürlich gefiel Askeroth diese Bezeichnung; er badete regelrecht in dieser Dominanz, die ihm zugesprochen wurde, strich sich seine ellenlangen Haare aus dem Gesicht und notierte unsere vegetarischen Wünsche auf einem kleinen Zettel. Es behagte mir keineswegs, als die Reihe an mich kam und auf einen Schlag verlor ich jegliches Hungergefühl. Dieser imposante Mann hatte sich fast vor mir aufgebaut, musterte mich abwartend, aber da ich mit einem Mal keine Ahnung mehr hatte, was mir schmecken könnte, stellte er eine Frage, die eigentlich nur eine eindeutige Antwort meinerseits verdiente. "Vertraust du mir, Greif?" Ich wollte diesem Moment ein Ende setzen, schnell, schmerzlos, und alle Engel und Teufel, die einem Sünde und Unschuld ins Ohr hauchten, waren sich über meine Antwort einig. Geschworen hatte ich mir es, ihm nie wieder zu vertrauen, egal, um was es sich handelte. Doch mir war, als seien alle Augen der Welt auf mich gerichtet, mich verurteilend für das, was sich gerade in meinen Hirnwindungen zusammenbraute, mich richtend für meine schadhaften Gedanken, die nur zu meinem Nachteil wären. "Ja, Askeroth", hörte ich mich plötzlich sagen; gelenkt von irgendeiner Übermacht, die sich an meinen wahrscheinlich bereits so wehrlosen Körper drückte und mir als Erpressung den Hals umdrehte. Ich konnte nicht anders. Seine Aura war ein Willensbrecher. Und ich zerfloss langsam, ganz langsam, wie heißes Wachs in seinen Händen. "Gut, dann suche ich etwas für dich aus. Lass dich überraschen." Der Mann mit der dunklen Stimme machte sich danach samt stolzem Schritt auf den Weg zur Theke und ließ besonders mich verblüfft auf der roten Kunstledercouch zurück. Ich wunderte mich nicht mehr nur über mein eigenes Verhalten, über die immense Kraft, die meinem Unterbewusstsein zuteil war, sondern noch mehr über diese fast schon liebevolle Seite Askeroths. Wo war die böse, mächtige hin, die mir vorhin noch eine geklatscht hatte? Ich suchte sie sogar in den Gesichtern meiner Bandkollegen, aber diese unterhielten sich schon längst über den Verlauf der Tour, die Fans und das Cateringessen. Keine Spur von fragenden Blicken oder irritiert lächelnden Skolls und Tryms. Kam etwa nur mir der heutige Tag so seltsam vor, oder maßen sie dem, was zwischen Askeroth und mir vorgefallen war, einfach keine Wichtigkeit zu? Obwohl ich auf Letzteres tippte, so mischte sich doch etwas von dem Gefühl unter, ich sei durch den Stress und die Anstrengung der Woche nur überempfindlich geworden. Doch die Ohrfeige ... die war nicht von der Hand zu weisen. Sie war real, wie seine Worte. Die verurteilenden, beißenden ebenso wie die väterlich sanften. "Oh, das sieht aber gut aus!", entkam es mir etwas zu unkontrolliert, als mir ein Teller mit einem kleinen Schokoladenkuchen vor die Nase gestellt wurde, der mitsamt ein paar Erdbeeren in einem See aus weißer Schokolade badete. Ich versuchte, meine Beherrschung wiederzuerlangen, was mir ob der leckeren Süßspeise kaum gelingen wollte, denn wahrscheinlich verrieten mich meine glänzenden Augen, die Askeroth ein kleines, aber feines Lächeln abrangen. "Ein tolles Aphrodisiakum, Erdbeeren und Schokolade! Warum gibst du dem Jungen sowas?", stieß Trym lautstark aus, verstummte aber sofort, als er merkte, dass niemand über seinen Witz oder was immer der Grund für diese Feststellung sein sollte, lachen konnte. Mir blieb sogar der erste Bissen im Halse stecken und Skoll musste meinem Kreuz ein paar kräftige Schläge erteilen. Aphrodisiakum. So wie ich ihn einschätzte, wusste Askeroth ganz genau um die Wirkung spezieller Lebensmittel, denn er beschäftigte sich zeitweise sehr intensiv mit allem möglichen Hokuspokus. Ich konnte also davon ausgehen, dass er mir diese Leckereien aus purer Absicht heraus verabreichte; wahrscheinlich, weil er mich willig sehen wollte, bereit dazu, Dinge auszuprobieren, die ich im unberauschten Zustand niemals ausprobiert hätte. Andererseits ... ich war eine absolute Naschkatze, die zu einer Süßspeise niemals nein sagte. Natürlich wusste Askeroth das, denn er kannte mich. Vielleicht kannte er mich sogar besser als ich mich selbst. Wir redeten während des Essens nicht sonderlich viel, ließen das Aphrodisiakum-Thema alsbald unter den Tisch fallen und amüsierten uns sogar ganz amtlich. Ab und an schielte ich freilich noch nach Askeroth, beobachtete ihn argwöhnisch aus den Augenwinkeln, aber mittlerweile hatte sich meine Angst vor ihm gut verstecken können. Ich fand sogar, dass er schöne Haare besaß, doch das schob ich auf meine mich immer stärker quälende Müdigkeit. Ins warme Hotelbett wollte ich mich endlich kuscheln und den ganzen Tag außer dem leckeren Schokoladenkuchen vergessen. Morgen würden wir alle wieder einen klareren Kopf haben, ganz gewiss. ... manchmal ... ... manchmal stelle ich mir vor ... ... manchmal ... ... manchmal stelle ich mir vor, du wärst ein weibliches Wesen. Und dann kann ich nicht anders. ***** Ein sehr unruhiger, von wüsten Träumen durchzogener Schlaf suchte mich in der kommenden Nacht heim. Ich sah mich selbst, wie ich harsch an die vergitterte Rückseite des Hotelbettes gekettet wurde, wie ich mich panisch hin und herwendete und den großen, in schwarz gekleideten Mann, von dem diese Aktion ausging, anstarrte. Er schlich wie eine Raubkatze, die ihre Beute umkreiste, um das Bett herum, irgendetwas langes und dickes mit den Händen umklammernd und grinste dabei so überlegen, dass seine spitzen Zähne in der Dunkelheit der Nacht funkelten. Und diese Nacht schien unendlich zu währen. Nie mehr glaubte ich, das Tageslicht zu sehen, hatten sich die Vorhänge dieser Horrorshow doch endgültig geschlossen und verpflichteten mich als Marionette, die bei Weitem nicht mehr nur von Angst übermannt wurde, sondern auch von einem noch viel übermächtigeren Kribbeln in der Lendengegend. Das Aphrodisiakum hatte mich, sogar noch, als ich meine Augen öffnete und realisieren musste, dass das, was ich als Traum erachtete, pure Realität darstellte. Gefesselt fand ich mich in einem fremden Hotelzimmer wieder, dessen Wände weiß wie die Unschuld auf mich hinablächelten, hämisch, schadenfroh. Ich war allein, allein mit diesem leicht schmerzhaft ziehenden Gefühl an meinen Handgelenken, die das kühle Stahl nach jeder noch so kleinen Bewegung hart bestrafte. Allein gelassen hatte man mich mit diesem Kribbeln, welches längst in meine auf den Hüftknochen hängende Hose gekrochen war und mit seiner heißen, festen Hand ab meinem Gemächt zu spielen begann. Auch wenn ich es nicht wollte und schon gar nicht verstehen konnte, es dürstete mir nach Körperlichkeit, die ich mir selbst in dem Zustand nicht zu geben vermochte. Ich versuchte also, mich nicht zu bewegen, keinen Laut von mir zu geben, da ich nicht wusste, wo ich mich befand noch wer der Mann mit den schwarzen Lederklamotten war, der mir das hier angetan hatte. Doch diese Frage sollte sich schon kurze Zeit später beantworten, noch ehe ich mit den Geschehnissen dieser Nacht hadern konnte. Es war Askeroth, der plötzlich über die Schwelle schritt, den zufriedenen Blick auf meinem hilflosen Leib ruhen lassend. Er trug lediglich ein ganz dezentes Make Up, was ihn sehr attraktiv aussehen ließ und aus dem Dämonen einen normalen Menschen mit einer düsteren Aura machte. Nicht weniger gefährlich wirkte er, als er sich mir näherte, eine Hand hinter dem Rücken versteckend, während das Kribbeln der Nervosität immense Ausmaße annahm. Erregt presste ich meine Oberschenkel aneinander, hoffte, die Aufregung würde dadurch ein wenig kompensiert werden, aber das war nicht der Fall. Ich meinte, explodieren zu müssen, wenn er auch nur einen weiteren Schritt tat. "Schön, du bist wach", säuselte Askeroth, irgendwo zwischen diesem beißend-bedrohlichen und dem väterlich-sanften. "Wieso...bin ich hier?", wollte ich in Erfahrung bringen, realisierte, wie sehr meine Stimme bebte und der Dämon Lust sich an meinem Körper gelabt hatte. "Die anderen würden jetzt nur stören", erhielt ich meine Antwort und die Vermutung, was Askeroth mit mir vorhatte, verhärtete sich. Ich hätte niemals annehmen dürfen, dass es der Alkohol war, der ihm die Anziehung zu meinem Körper suggerierte, ich hätte niemals glauben sollen, dass die Ohrfeige, die er mir verpasst hatte, ein Produkt seiner Abscheu und Wut darstellte. Er hatte mir somit sein Begehren, seine Lust auf mich gezeigt. Und ich wollte nicht verstehen, wehrte mich dagegen; doch auch wenn ich noch immer skeptisch war, ob ich wahrhaftig mit einem Mann verkehren wollte, so fühlte ich, dass diese Schelle etwas in mir aufgeweckt hatte, was aber wahrscheinlich wieder einschlafen würde, wenn ich klar denken konnte. Möglich war mir Letzteres schon längst nicht mehr, erst recht nicht, als Askeroth mir das offenbahrte, was sich hinter seinem Rücken verbarg. Ein Plastikphallus, lang und in bedrohlichem Schwarz gehalten; wie genau er mir damit sein Vorhaben verriet. Mein Körper wurde immer nervöser. Heiß vermischten sich Gefühle der Lust mit dem brodelnden Strudel der Angst, es war ein einziger Kampf gegen mich selbst, gegen das, was sich in meinem Unterbewusstsein angestaut hatte und was nun endlich ausbrechen wollte. Ich erkannte, dass wir alle nur Opfer unserer Triebe und Gelüste waren, wir zu Tieren mutierten und es so leicht für manche Menschen war, mit deiner Libido zu spielen, ihr wahrhaftig den verdammten Kopf zu verdrehen. Ja, ich wollte das erfahren, was er für mich bereithielt. Weil er mich manipuliert hatte. "Willst du das?" Er konnte sich seine fadenscheinige Frage von mir aus sonstwohin stecken, denn ein Mann wie Askeroth nahm sich sowieso, was er wollte, egal, ob ich nun verneinen oder bejahen würde. Aber wahrscheinlich kannte er meine Antwort bereits, denn er machte den Eindruck, als las er in mir wie in einem offenen Buch; waren meine Blicke so glasig geworden, so vernebelt und von Lust verzehrt, dass sie mich verrieten? "Ja, ich will das." Seine linke Augenbraue zuckte. Dann plötzlich, ganz unerwartet, griff er an meine Gürtelschnalle, versuchte sie mit fahrigen Bewegungen zu öffnen und zog mir meine Hose samt der Boxershorts letztendlich barsch nach unten. Mit diesem letzten Kleidungsstück schwand auch der letzte klare Gedanke, den ich Augenblicke zuvor noch gehegt hatte; meine Lust hatte sich verhärtet und genoss die raue Handinnenfläche, die sich aufreizend an ihr auf und abbewegte. "Du hast gesagt, du vertraust mir, gestern Nacht", drang es wie durch einen Schleier an mein Ohr, und so wie ich die Lippen und Augen zusammenpresste, nickte ich sacht. "Du vertraust mir so sehr, dass ich dich gerecht bestrafen kann für deine unwiderstehliche Präsenz. Du Dämon. Ich werde dich penetrieren, ihn dir einjagen, bis du überkochst. Mehr will ich nicht. Ich will nur sehen, wie das annimmst, was du verdienst." Es schmerzte fast schon, so hart wie ich meine Zähne in das zarte Fleisch meiner Lippen drückte, aber es schmerzte nicht so sehr wie dieses Spiel des Teufels, des Wahnsinns; es war ein Akt der Unterwerfung und Dominanz. Und da ich seit gestern Nacht flüssiges Wachs in seinen Händen war, hatte Askeroth die Chance genutzt, um mich nach seinen Vorstellungen zu formen, so sehr, dass ich mich perfekt in die Rolle des Devoten zu fügen vermochte. War ich noch ich selbst? War ich seine Marionette? Egal. Die Erregung war der beste Exorzist. Sie genügte, um mir das letzte Bisschen Verstand auszutreiben und mich auf die Ebene eines Tieres hinabzubegeben. Schöner, sündiger Engel. Der Vorhang wird niemals fallen. Die Horrorshow hat dich zum Protagonisten erkoren, spiele deine Rolle an der Seite des Teufels. Spürst du, wie er in dir ist? ____________________ * Inkubus: http://www.geister-und-gespenster.de/spuk/krypto/Inkubus_Sukkubus.htm Kapitel 2: Zentralfriedhof -------------------------- (Freie Arbeit) "Oh mein Gott, hast du schon den neuen Orkus gesehen? Alter, den musst du dir kaufen, guck doch mal!" Mit diesen hysterischen Worten, die eines schönen Tages Mias großes Mundwerk verließen, begann eigentlich alles. Noch ehe ich ein Nein oder ein Ja erwidern konnte, landete besagte Gothic-Zeitschrift auf dem Tisch, direkt vor meiner Nase. Meine Augen wurden wahrscheinlich immer größer und größer ob des Bildes, welches meinen Blick anzog und gefangen hielt. Vier Männer und eine Frau, ausschauend wie die dämonischen Geschwister Cradle of Filths; Ausgeburten der Hölle, Kinder des Satans, was auch das umgedrehte Kreuz im Bandnamen suggerierte. "Sind die nicht geil?", schrie mir Mia vollkommen euphorietrunken ins Ohr. "Ich hab' ihr Lied gehört, Antik. Ich sag dir, du musst dir das reinziehen, das ist so die Härte!" Auch ich konnte nicht leugnen, dass ich ziemlich angetan von diesem Bild war, welches nur so nach Provokation und dem Bösen roch, was man als Teenager von fünfzehn Jahren natürlich gierig in sich aufsog, denn provozieren und böse sein, das war es doch, wofür man in dieser Zeit lebte. Ich zumindest blühte seit der Entdeckung dieser verruchten Band, die eine ganz besondere Aura umgab und ein merkwürdiges, dunkles Prickeln in mir hervorruf, förmlich auf. Stundenlang lauschte ich ihren Songs, von deren Lyrics ich zugegebenermaßen nicht sonderlich viel verstehen konnte, da der Sänger - Askeroth, ich wollte ihm meine tiefe Vergötterung bezeugen - eher fauchte, gröhlte und schrie als sang. Doch spielte das eine Rolle? Die Sätze, die ich verstand, gefielen mir, setzten sich mit doch den Ungerechtigkeiten dieser Welt auseinander, die auch ich empfand. Zum Beispiel fand ich es ungerecht, dass meine Eltern mir nicht erlaubten, einen schwarz gefärbten Sidecut zu tragen, nur weil sie fürchteten, die Nachbarn könnten sich über mich und somit über die ganze Familie echauffieren. Die Poster an meinen Wänden sowie die umgedrehten Kreuze auf meinen Shirts und die Pentagramme, die provokant von meinem Hals hinabbaumelten, tolerierten sie noch halbwegs, wenn ich sie wie versprochen gut versteckt unter meiner Jacke trug. Meine Jugendlichkeit aber hielt sich natürlich nicht an diese sie einengende Regel; Mit meiner Clique, die ebenfalls vom Nachtblut-Fieber befallen war, machten wir die Nächte häufig zum Tag und holten die verhassten Spießernachbarn mit gehörigem Krawall aus ihrem friedlichen Schlaf. Wir waren gefangen in dieser außergewöhnlichen Welt der Sünde. Der Genuss von Rotwein und das Schminken mit schwarzem Make Up fühlte sich so dermaßen richtig an, dass ich danach in lauter von Ekstase erfüllte Augenpaare blicken konnte, wann immer wir uns und unseren Lebensstil komplett auslebten. Wir knieten vor Askeroth nieder, verehrten ihn wie den Teufel; wir wollten alles tun, um ihm nah zu sein. Wir wollten ihm unsere Verehrung zeigen, wir wollten in seinem Sinne handeln. Wir wollten sündigen und der Kirche unsere Verachtung zeigen, bis es keinen Morgen mehr gab. Und wieder war es Mia, die den Stein ins Rollen brachte. "Ich liebe es so sehr, Satanist zu sein - und ich möchte all die Dinge tun, die Satanisten machen." Sie sagte dies mit einer Stimme, die vor Überwältigung zu beben schien, und die Blicke ihrer mit weißen Kontaktlinsen geschmückten Augen wanderten aufgeregt von Gesicht zu Gesicht. Ich erinnere mich noch detailliert daran, wie sie uns allen eine Dose mit Graffitisprühfarbe in die Hand drückte und wir zunächst nicht wussten, was wir damit anfangen sollten. Es war stockdunkle Nacht und obwohl die Straßenlaternen uns etwas Licht spendeten, so würde uns dieses schon bald verlassen. Denn an dem Ort, wohin uns Mia führte, schien niemals die Sonne, auch nicht bei Tag. Die Seelen der Toten erfuhren keine Erleuchtung und die Überreste deren Körper lagen halb verrottet unter der Erde des Zentralfriedhofs. "Lasst uns den Laden ein Bisschen aufmischen", schlug Mia an der großen Eisentür, die die Welt der Lebendigen von der der Gestorbenen trennte, begeistert vor. "Die scheiß Spießerkirche soll sehen, dass es auch Leute gibt, die sie verachten. Wir sind längst nicht alle Jesus' kleine, braven Schäfchen." So entschlossen wie unsere Freundin erklomm allerdings keiner von uns Jungs die dicke Steinmauer, denn trotzdem wir gern den Rebellen raushängen ließen, war uns bereits in unserem jugendlichen Alter bewusst, dass wir drauf und dran waren, eine Straftat zu begehen. Ich gebe zu, dass mir der Arsch verdammt nochmal auf Grundeis ging, so wie ich den ersten Fuß in das Gras auf der anderen Seite setzte. Nichts auf der ganzen Welt vermochte jetzt meinen Puls- und Herzschlag zu senken, aber so wie ich hinter den anderen her schlich, die sich der Anführerin ebenfalls nicht widersetzten, dachte ich an meine Lieblingsband. Ich fragte mich, wie viele Friedhöfe Askeroth wohl schon verwüstet hatte, wie viele Gräber von seinem Pentagramm gezeichnet wurden. Wenn ich diese Aktion durchzog, würde ich ihm ein Stück näher kommen, außerdem hatte Mia Recht; wir waren Satanisten, wir durften keine halben Sachen machen. Daran dachte ich ganz fest, während ich Grab um Grab mit dem unheiligen Zeichen versah. Mir war, als hätte ich den Schalter entdeckt, der das schlechte Gewissen einfach auslöschen konnte. Ich tat dies aus Liebe. Aus Verehrung. Und aus Gruppenzwang. Aber aus Unwissenheit...? Niemals. Es war nicht die Polizei, die mir wenige Minuten später auf dem Revier den Kopf wusch, es waren auch nicht meine Eltern, die mich mit dem ärgerlichsten Blick, den sie zu bieten hatten, abholten und ins Auto setzten. Selbst ihre scheltenden Worte vermochten mich nicht zu erreichen; zu diesem Zeitpunkt war ich noch fest davon überzeugt, das Richtige getan zu und in Askeroths Sinne gehandelt zu haben. Ich wusste, dass es im rechtlichen Sinne falsch war, aber für meine Person und vor allem für meinen Glauben hätte ich diese Sünde erneut begangen. Erst Monate später, als ich zum ersten Mal dem leibhaftigen Askeroth gegenüberstehen durfte und das Interesse in mir geweckt wurde, mir die Lyrics aller Songs aus dem Internet zu ziehen, überfiel mich ein mieses Gefühl tiefer Scham. So hieß es doch in ihrem Song 'Rache': "Ich wollt doch nur beweisen, dass ich mutig bin Dass ich Dinge, die ich angefangen, auch zu Ende bringe Alles Leben geht nun weiter, nur das Meine nicht Für die Lebenden sind die Toten unwichtig." Ich, der mich erheben wollte von der breiten Masse der Menschen, welche sich meines Erachtens nach blind in ihr eigenes Unglück stürzte, da sie der Kirche hinterherhechelte, war im Grunde einer von ihnen gewesen. Ich hatte die Ehre der Toten missachtet; mein Hass war mir wichtiger gewesen als jeglicher Respekt. Das, was ich getan hatte, war nicht im Sinne eines Satanisten, wie ich ebenfalls herausfand, als ich mich zum ersten Mal wirklich mit dem beschäftigte, was ich seit Monaten leben wollte. Wie dumm ich war, wie dumm wir alle waren. Würden wir nun als Strafe in den Himmel kommen, wenn wir einmal starben? Kapitel 3: Sonderbar -------------------- (Freie Arbeit) "Alter Falter, wie kann man sich so etwas Kitschiges und zugleich Pottenhässliches ins Fenster stellen?" Meine Empörung konnte man wahrscheinlich sehr leicht aus dem Klang der Worte heraushören und wenn ich Glück hatte, haute mich Jegor nicht für den Spott, der ebenfalls unverkennbar sein musste. Seinen zusammengekniffenen Augenbrauen nach zu urteilen konnte mir dies allerdings blühen, nur glaubte ich, dass auch ein Mann mit russischem Blut in den Adern keine Frauen schlug. "Das ist von meiner Großmutter", erklärte er mir ungewöhnlich ruhig, denn eigentlich kannte ich meinen Freund eher als einen temperamentvollen, leicht aufbrausenden jungen Mann, der eine Vorliebe für das Schimpfen und Fluchen hegte. Ich spürte, wie sich auf meinem Gesicht ganz automatisch ein Schmunzeln ausbreitete, während wir gemeinschaftlich die kunterbunte Parodie eines Kerzenständers betrachteten, und als ich aus den Augenwinkeln einen Blick auf Olli erhaschte, konnte ich feststellen, dass er ebenfalls leicht bis stark irritiert auf den Weihnachtsschmuck reagierte. "Was?", platzte es nun schon ungehaltener aus Jegor heraus, wahrscheinlich hatte er ebenfalls bemerkt, wie kariert sein bester Kumpel aus der Wäsche guckte. Trotzdem umfasste er den Ständer mit einer Hand und baute ihn mitten auf dem Fensterbrett auf, damit ihn auch ja die ganze Nachbarschaft bewundern konnte. "Dass du deiner Metalleidenschaft stets und ständig treu bist, das wissen wir ja, Rissi. Aber von dir hätte ich mir Zuspruch erwartet, Olli." Er strich sich seine langen Haare im Nacken glatt und biss sich abwartend auf die Unterlippe, so wie er sich dem anderen Langhaarigen zuwandte und ihn mit seinen dunklen Augen durchbohrte. "Insgeheim stehst du doch auf Russenzeugs, gibs zu." "Nee, zu kitschig", erwiderte Olli jedoch nur trocken, fast schon etwas gelangweilt und holte tief Luft. "Ey, guck mich an, ich seh kein bisschen kitschig aus." "Na, du..." Es machte sich einmal mehr deutlich bemerkbar, dass Olli der ruhige Pol unserer lustigen Runde war. Wenn er in unserem trauten Heim zu Besuch war, platzierte er sich mit einer Vorliebe auf dem Sofa und glotzte in die Flimmerkiste; kurz, er tat so, als wären wir gar nicht da. So einen ungeselligen Menschen gibt es selten. Aber wir hatten ihn trotzdem lieb, einfach, weil er unseren Musikgeschmack teilte und Jegor oft bei kleineren Macken mit seinem Auto half. Doch heute unterstützte er ausnahmsweise mich. "Klar, innerlich bist du voll die Kitschtante", widerlegte ich Ollis Ansatz und winkte ab. "Bei euch Russen ist aber so ein kleiner schwuler Touch normal, gell?" "Schwuler Touch, tze", machte Jegor nur und holte weitere Scheußlichkeiten aus dem Pappkarton. "Olli ist 'ne Schwuppe, das sieht man doch. Alle Dekoengel sehen aus wie er. Schon mal drauf geachtet?" Stimmt, lange, blonde Haare waren das Merkmal dieser heiligen Gestalten und das leicht androgyne Gesicht fügte sich nur zu gut in das bestehende Bild. Doch bevor ich mir Jegors Miniaturschwuppenengel näher betrachten konnte, machte ich mich aus dem Staub, denn mit jedem Dekoartikel mehr fürchtete ich um mein Augenlicht. Die Kerle sollten mal schön das Zimmer verunstalten, sich meinetwegen selbst zum Tannenbauem degradieren mit fett Lametta und Lichterkette. Das sparte Kosten und unterstützte die Abholzung der Wälder keineswegs. Ja, ich weiß, ich hatte äußerst sonderbare Fantasien, die oft schon an die Absurdität grenzten. Aber das Limit war noch nicht erreicht, wie ich an diesem Abend erfahren durfte. Es trug sich nämlich etwas zu, dass mich verstörte, ärgerte und zugleich meinen tiefsten mentalen G-Punkt höchstgradig stimulierte. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass meine Psyche eine dermaßen versaute Schlampe ist, heimtückisch noch dazu und absolut unmoralisch. Doch sie war es. Sie war es mit einer Leidenschaft, die ihresgleichen suchte und alle Vorlieben, die ich bis jetzt gehegt hatte, untergehen ließ. ***** Trotz der Minustemperaturen hatte ich mir auf dem Balkon eine Zigarette gegönnt, und als ich den Stummel in den Aschenbecher drückte musste ich mit einem Grinsen an das wahrscheinlich komplett zu einer Rummelbude umfunktionierten Wohnzimmer denken. Jegor war kreativ, wenn es darauf ankam und Olli stellte meist keinen starken Gegenpol dar, um die Interessen der anderen Seite - meine - zu vertreten. Man musste ihn nur lieb angucken, den zauberhaftesten Augenaufschlag an den Tag legen und etwas Süßholz raspeln; der Junge war absolut verführbar. Dennoch frage ich mich im Nachhinein, wie mein Freund es geschafft hatte, ihn zu dem zu bewegen, was mich beim Betreten der heimeligen Stube erwartete. Niemals sprühten Funken zwischen den beiden, nicht mal im betrunkenen Zustand schwulten sie sich voll und doch hatte sich in kürzester Zeit etwas vollkommen Unerwartetes ergeben. Olli saß nämlich komplett nackt, mit geschlossenen Augen und im Gegensatz dazu recht weit und sinnlich geöffneten Lippen auf Jegors Schoß und schien die rhythmischen Bewegungen, die er ausführte, sehr zu genießen. Jegor hingegen hatte sein Gesicht in der Halsbeuge seines eigentlich besten Freundes vergraben und ich konnte trotz der die Sicht blockierenden Sofalehne seine verkrampten Finger sehen, die vor Erregung rote Kratzer auf Ollis heller Haut hinterließen. Da stand ich nun. Ertappt hatte ich meinen Freund, erwischt beim Sex mit unserem gemeinsamen Kumpel und fühlte, wie sich die Worte in meinem Hals zu einem dicken Klumpen zusammenballten. Gelähmt schien mein ganzer Körper und die Hand, die auf der Türklinke lag, verlor ihren Halt durch den Schreck, der zu tief saß, um ihn noch spüren zu können. Details nahm ich längst keine mehr war, alles kreiste nur noch um die Tatsache, dass die beiden Typen es vor meinen Augen trieben; der Mann, mit dem ich seit einem Jahr intim war betrog mich von der übelsten Sorte. Von einer Sorte, die jede Frau in den Abgrund stürzen konnte. Ein Stöhnen. Keuchen. Fester pressten sich die beiden nackten Körper aneinander, so, als würden sie alles von diesem Moment so intensiv wie möglich in sich aufnehmen wollen. Die Geräusche der Lust drangen an mein Ohr, kitzelten mich ganz tief in meinem Inneren und als der erste Schreck abklang, wurde mir die Leidenschaft der beiden Männer bewusst. Sie schienen die Welt um sich herum vergessen zu haben, sie schienen es ignoriert zu haben, dass ich mich im Haus befand; sie lebten ihre vielleicht langgehegten Wünsche aus, die sie so gut vor sich wie auch vor mir verborgen hatten. Doch wieso? Wieso hatten sie es getan, wo es doch für alle Beteiligten eine wahre Offenbarung darstellte? Die Kerle trugen eine schwule Ader in sich, während ich mich fühlte, als wäre ich involviert in dieses unfassbare Geschehen, das sich mir bot. Bei jedem Laut, jeder einzelnen Berührung, die ich sah, prickelte es mehr zwischen meinen Beinen. All das, was die beiden fühlten, färbte auch auf mich ab. Jegliche Eifersucht trat in den Hintergrund. Ich spürte meinen Kitzler pulsieren, als ich Jegors Hand beobachtete, wie sie Ollis Schwanz umfasste und herzhaft pumpte. Man konnte ausmachen, wie sehr sie sich ihrem Höhepunkt näherten, und ich entschied, dass ich es nicht länger aushielt, ihnen zuzuschauen bei ihrem wahnsinnigen Spiel. Berühren musste ich mich, während mein Kopf den sich mir gezeigten Film erneut abspielte. Es war so sonderbar, aber der Orgasmus war der beste, den ich je durch Selbstbefriedigung erzielt hatte. Nachdenken wollte ich allerdings nicht näher über das Geschehene, denn es hatte längst mein mühsam aufgebautes Weltbild zerrüttet und jeglichen Horizont gesprengt. Natürlich sprach ich Olli und Jegor nicht auf die pikante Szene an. Viel mehr wartete ich im Stillen darauf, dass sie noch einmal schwach wurden und ich es bemerkte. Bis es so weit war, versüßte ich mir die Zeit mit Schwulenpornos und absurdem Kopfkino, was ich erst nach einiger Zeit wirklich akzeptieren konnte und wollte. Es war wirklich komisch. Und ich frage mich, ob es denn noch mehr Frauen gibt, die ähnlich schräg ticken wie ich. Kapitel 4: Mit dem Rücken zur Wand ---------------------------------- (Freie Arbeit) Ich bereute es, diese Ausbildung jemals begonnen zu haben. Es war nicht so, dass mir der Job eines Bürokaufmannes Höllenqualen aufgrund seiner Aufgaben bereitete, nein, im Gegenteil; die meiste Zeit über durfte ich meinen fetten Arsch auf einen ergonomisch geformten Drehstuhl pflanzen und musste von diesem bis zum Feierabend nicht mehr aufstehen. Stolz demonstrierte ich zudem meine Kenntnisse von Excel und Word, verblüffte das ein oder andere Mal sogar meinen Chef und wusste in diesen Augenblicken, dass ich keine bessere Arbeit hätte finden können. Zwar hätte ich mich niemals als Computergenie bezeichnet, aber ich war dennoch recht fit im Umgang mit Bürosoftware, zudem fanden schon meine Lehrer, dass ich mit einer sehr schnellen Auffassungsgabe gesegnet war. Trotzdem, es gab Zeiten, in denen ich die ganze Scheiße am liebsten hingeschmissen hätte. Diese lagen nicht in den frühen Morgenstunden, in denen ich mich aus dem Bett quälen musste mit der Gewissheit, gleich wieder an den Ort mit meinem Dienstcomputer zu gehen, nein, sie befanden sich in der Feierabendzeit und dem damit verbundenen Nachhauseweg. Die Firma hatte ihren Sitz drei Dörfer weiter und das bedeutete für mich, den öffentlichen Verkehr in Form der Regionalbahn zu nutzen. Ein Auto hätte ich mir beim besten Willen nicht leisten können, sodass ich die Möglichkeit gehabt hätte, zwar nicht todsicher, aber wenigstens allein nach Hause zu rollen und Alternativen zum Zug fanden sich keine, wenn ich denn nicht jeden Tag drei Stunden zu Fuß zurücklegen wollte. Und da ich als Sesselfurzer mehr und mehr meine Beinmuskulatur erschlaffen ließ, kam für mich nur eine sitzende Heimreise infrage. Musste ich eben mit all den paranoiden Gedanken fertigwerden, welche mich täglich überfielen und für die ich die Nachrichten zur Verantwortung zog. Die Horrorgeschichten von Schlägern und Vergewaltigern, die sie jeden Morgen für das adrenalingeile Volk bereithielten, verängstigten mich auf Deutsch gesagt, und wenn ich das Mum oder Dad erzählt hätte, die hätten mich nur ausgelacht. Ja, wahrscheinlich musste ich mich nicht vor Sexgangstern fürchten, war ich doch ein Kerl, wenn auch ein recht femininer samt schulterlangem, schwarzen Haar, das bei Menschen, die mit Androgynität unerfahren waren, schon für einige Verwirrungen gesorgt hatte. Aber was war mit diesen aggressiven Totschlägern, die erst dein Geld und wenn du nichts zu bieten hattest, dein Leben nahmen? Ich war schließlich eine komplett wehrlose, puddingbearmte Büropussy, die Karate und Kung Fu lediglich vom Namen her kannte und Krawallbrüder wahrscheinlich aufgrund meines Äußeren sogar anzog. Wirklich, es gab Abende, da machte ich mir fast in die Hosen, besonders an jenen, in denen das Abteil fast leer blieb und ich bei jeder Haltestelle fast einen Herzkasper bekam, der seinen Höhepunkt fand, wenn sich denn die Tür öffnete. So wie heute. Heute brachte mich meine Psyche an meine Schmerzgrenze. Und noch wusste ich nicht, dass dies einerseits begründet, einerseits für eine sehr ... positive Überraschung sorgte. Vielleicht, weil meine Geilheit doch größer als meine Angst war, schließlich spannte mich meine Arbeit komplett ein und ließ keine Zeit für ein Liebesleben. Sicher sah er das in meinen Augen. Jetzt, wo er sich auf den Sitz mir schräg gegenüber fallen ließ, die Beine weit gespreizt und zunächst konzentriert auf seinem Smartphone herumdrückte. Herzklopfen. Flauer Magen. Aus den Augenwinkeln musterte ich ihn, überlegte, ob so ein Schläger aussehen konnte und kam zu dem Entschluss, dass man es von den meisten straffälligen Menschen nie erwartet hätte, dass eben diese ein Verbrechen begangen hatten. Mein Gegenüber wirkte da schon etwas anders; kurzgeschorene Haare, fast Glatze samt weitem, schlichtem T-Shirt, welches er mit einer ebenso schlecht sitzenden Hose und rotweißen Turnschuhen kombiniert hatte. Typ Hip Hop. Angst. Klischeedenken. Selbst als er auf sein Telefon schaute und in rasendem Tempo seinen Daumen über das Display wandern ließ wirkte er nicht unbedingt wie der liebste Mensch der Welt; dieses seichte Lächeln, dass sich über sein Gesicht schlich ließ mich leicht zusammenzucken und den Schweiß in Strömen fließen, während ich hoffte, meine Gefühle würden von ihm unbemerkt bleiben. Am liebsten hätte ich das Abteil gewechselt, aber das hätte mich wahrscheinlich entlarvt. Noch zwei Stationen. Kalte, feuchte Hände. Unbehagen. Angespannt glitt seine linke Hand über seinen Oberschenkel, als er seine Textnachricht anscheinend versendet hatte. Wenn er gewusst hätte, dass ich ein Faible für Männerhände hatte und seine komplett meinem Typ entsprachen mit den leicht hervortretenden Adern und ihrer Kompaktheit. Ehrlich, der Kerl war nicht hässlich, wirkte aber dennoch abstoßend auf mich, vielleicht, weil ich alle möglichen Schlechtigkeiten mit dem Hopperklischee verband und all diese für die Wahrheit hielt, weil sie sich so oft bewiesen hatten. Ob mein Gegenüber mit den fast schon mädchenhaft langen Wimpern auch so einer war? Einer, der frauenverachtende Raptexte guthieß und jeden Satz mit einem 'Alder' begann und mit 'ey' oder 'yo' beendete? Mir war das nicht geheuer, egal, was für eine Stupsnase der Hopper in seinem schmal geschnittenen Gesicht trug, egal, dass er auf mich wirkte wie ein Neuntklässler, der sich im Alltag dem Rausch seiner Hormone hingab und nur Brüste im Kopf hatte. Ich witterte in jedem einen Feind, wenn ich Zug fuhr. Er blickte plötzlich auf. Schaute mich direkt an. Herzinfarkt. Spätestens jetzt begannen meine Gedanken zu rasen. Wie sollte ich mich verhalten? Bestimmt hing ich gerade in meinem Sitz wie ein verschrecktes Reh und offenbarte nur zu deutlich meine tiefsten Gefühle, die sich besser hinter einem gespielten Selbstbewusstsein versteckt hätten. Aber ich konnte mich kaum mehr bewegen, und wenn dann nur fahrig und zitternd, geschweige denn mein Verhalten manipulieren in diesem Zustand! Der Blick des Hoppers schwelte über mir wie die Klinge eines Messers und irgendwie ahnte ich bereits zu diesem Zeitpunkt, dass er mir die Kehle durchschneiden würde. Nicht mit seinem Blick, nein. Mit seinen Worten. Einer Frage, die mich komplett durcheinanderbrachte und lähmte. Vorgetragen mit einer Festigkeit, die mich nicht an der Ernsthaftigkeit des Fragestellers zweifeln ließen. Schauer liefen über meinen Rücken. Meine Hand verkrampfte sich schutzsuchend in dem grauen Polster meines Sitzes. "Ey...darf ich dich lecken?" Er war betrunken, schnellte es durch meinen Kopf. Niemand kam doch sonst auf die Idee, jemandem Fremdes so ein eindeutiges Angebot zu unterbreiten, und das auch noch in einem öffentlichen Verkehrsmittel! Ehrlich, ich rührte mich für einige Augenblicke überhaupt nicht mehr, weil ich es nicht konnte; wurde immer nervöser ob seiner Augen, die mich nicht unbeobachtet ließen, seiner ständig zuckenden Mundwinkeln, die womöglich aufgrund seiner eigenen Unsicherheit nicht zu einem Lächeln wachsen konnten. So ein Milchbubi, dem zwar eine leicht aggressive Ausstrahlung anhaftete, aber der wahrscheinlich nur eine große Fresse und nichts dahinter hatte, fürchtete sich wahrscheinlich selbst vor den Auswirkungen seiner frechen Frage, die keineswegs wie ein dummer Witz klang. Wer weiß, wie viel Mut er sich angetrunken hatte, um mich mit diesen Worten zu konfrontieren; wer weiß, wie viel Kraft es ihn im Alltag kostete, seine homosexuelle Ader zu verbergen. Doch über all diese Dinge konnte ich nicht allzu lange nachdenken, hatte ich doch genügend mit mir selbst zu tun. Hastig wägte ich alles ab, was ich nun tun konnte. Flüchten, Schaffner aufsuchen, Notbremse ziehen, auf der anderen Seite aber auch einfach sitzen bleiben, so tun, als verstände ich die deutsche Sprache nicht und vielleicht die paar Worte auf Polnisch murmeln, die ich irgendwann einmal aufgeschnappt hatte. Andererseits war da noch ein Aspekt, den es zu beachten galt und den ich am liebsten verbannt hätte, der allerdings immer mächtiger wurde, umso intensiver ich diese Frage in meinem Hirn widerhallen ließ. Der Junge hatte schöne Hände, ein hübsches Gesicht und bot es mir einer Nutte gleich an, seine Dienste zu überbringen, aus Notgeilheit heraus, aus einem versteckten Fetisch, wer wusste das schon. Wahrscheinlich hatte er es mir bereits beim Einsteigen an der Nasenspitze angesehen, dass ich ausgehungert war, Blowjobs liebte und außerdem ein Mittel gegen meine Anspannungen benötigte. Doch ich konnte doch nicht mit einem Fremden, ich meine ... wer weiß, was sein wirkliches Anliegen war, vielleicht versuchte er einfach nur, mich geschickt in eine Falle zu locken, der ich kaum zu widerstehen vermochte. Flüchtig ließ ich meinen Blick über den Jungen schweifen - seiner traf direkt auf meinen und ich meinte zu spüren, wie ernst ihm die Sache war. "Komm schon", forderte er mich eindringlich auf, seine Stimme klang männlich-rau, ich mochte sie ehrlich, konnte mir nur zu gut alle möglichen Worte vorstellen, die er mit ihr in mein Ohr raunte. "Ihr mögt das doch, mit der Zunge zum Orgasmus gebracht zu werden. Ich sehs dir an, dass du geil auf mich bist. Komm schon." Er musste krank sein, verrückt im Kopf! Theoretisch war das ein Fall für die Psychiatrie, aber hätte ich diese nun kontaktiert, ich hätte mich gleich selbst mit einweisen lassen können. Denn mittlerweile brachte der Nervenkitzel in mir sogar positive Gefühle mit sich, Gefühle der leichten Erregung und der Lust auf seinen frechen Mund, welchen ich ihm sowieso nur zu gern gestopft hätte, damit er ihn endlich hielt. "Komm, ich muss gleich raus", versuchte er es noch einmal, allerdings überhaupt nicht böse oder aggressiv, sondern viel mehr ruhig und gelassen, nur sein stechender Blick, der immer wieder über mich glitt, erzählte mir von einer unsäglichen Dringlichkeit. Natürlich, ich hätte mich nicht darauf einlassen dürfen, hatte ich doch noch immer ein kleines Angstgefühl in meiner Brust sitzen, aber wenn einen Mann die Gier überkam, war im Denkzentrum meist der Ofen aus. Schweigend erhob ich mich also, hoffend, der Junge würde das als Zeichen verstehen, mir zu folgen, was ihn zunächst etwas zu verwirren schien, letztendlich aber, als ich die Toilettentür öffnete, sah ich, wie er sich im wankenden Zug durch das Abteil schob, sich immer wieder an einem Sitz festkrallend. Fest biss ich mir auf die Lippen, als er schließlich hinter mir stand, vom Adrenalinkitzel erfüllt und wild entschlossen, jetzt keinen Rückzieher mehr zu machen. Wäre mir wahrscheinlich auch nicht mehr möglich gewesen, wo sich doch die Hand des Typen bestimmt auf meine Hüfte gelegt hatte und ich nur noch warme, dunkle, kribbelnde Lust verspürte. Selbst der Anblick des recht schäbigen Klos konnte nichts an meinen Empfindungen ändern; die Vorfreude auf seinen frechen Mund und den Anblick eines vor mir knienden Jungen war größer als alles andere. Viel selbstbewusster als noch Momente zuvor baute ich mich also an der Wand auf, schaute auffordernd zu dem anderen, der nun endlich sein Grinsen gefunden hatte und sich mir näherte. Es war irre, dass er sich nicht einmal zu schade war, sich auf den sicher sehr verkeimten Boden zu knien, aber wahrscheinlich war er so hackedicht, dass er einfach nur etwas lutschen musste, egal von wem und egal wo. Er sollte machen. Ich wartete. Wartete, bis er sich an meiner Hose zu schaffen machte samt eines Blickes, der wie der eines Kindes wirkte, welches einen großen Sack voll Süßigkeiten ausgrub. Nun sah man deutlich, wie jung das Bürschchen noch war und ich fürchtete nun doch, er würde es nicht bringen, weil er noch nie einen Schwanz im Mund hatte. In meinem vernebelten Hirn hatte dieses Argument gegen einen Blowjob von diesem Fremden natürlich keinen Platz gehabt und nun stand ich hier, mit dem Rücken zur Wand und hatte keine Fluchtmöglichkeit. Im Grunde aber wusste ich, dass ich bereits Genugtuung erzielt hätte, wenn ich eine gewisse Macht über den Kleinen verspürte, und dies war bereits jetzt der Fall. Manchmal sind die größten Schisshasen eben die Leute mit dem dunkelsten Gedankengut. Die androgynen Jungs mit den mädchenhaften Gesichtszügen und dem weichen Körperbau, der kaum etwas von ihrem eigentlichen Geschlecht verriet. Und wenn man betrunken war funktionierte die Geschlechtserkennung wohl noch um einiges schlechter. Die Panik, die in dem Blick des kleinen Hoppers stand, als er mich untenrum entblößt hatte, werde ich wahrscheinlich so schnell nicht mehr vergessen können. "Alter, du bist'n Typ?", schmetterte er mit einer sich fast überschlagenden Stimme, die nichts mehr von der rauen Männlichkeit übrig gelassen hatte und nun klang wie die eines pubertären Zöglings. "Du hast mich verarscht! Ich dacht, du bist ne Tussi!" "Was kann ich dafür, wenn du keine Augen im Kopf hast?", nölte ich ungehalten mit einer eindeutig maskulinen Stimme, die ich wohl hätte eher erklingen lassen sollen, damit auch Mister Leckmich wusste, dass er es mit einem Schwanz zu tun hatte. Noch immer kniend blickte der Kerl auf meine offene Hose, dann ein paar Stockwerke höher, schließlich wieder hinab und schüttelte keckernd den Kopf. "Echt, ohne Scheiß, du siehst aus wie ne Frau", stellte er dann ungläubig fest und guckte mich an wie bisschen bekloppt im Kopf. "Bist ne Schwuchtel, oder was?" "Als Schwuchtel bezeichne ich mich nicht", stellte ich die ganze Sache richtig, auch wenn es mir schwer fiel, ernst zu bleiben mit einem Schwanz, der sich an der mehr oder weniger frischen Luft befand. "Aber ich bin schwul. Hast du ein Problem damit?" Der Kleine lachte nur, johlte. "Nööö", machte er dann plötzlich freudig und ich zweifelte immer mehr an seinem Geisteszustand. "Bist ja sowas wie ne Shemale. Und Shemales sind irgendwie geil. So Tussis mit Schwänzen. Könntest echt in nem Porno mitmachen, siehst ganz schön scharf aus." Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch. Im Grunde liebte ich mein Geburtsgeschlecht und das letzte, was ich sein wollte, war eine Shemale, ehrlich gesagt behagten mir diese Wesen mit Brüsten und gleichzeitig einem Schwanz nicht wirklich, aber mein Gegenüber schien diese ziemlich erotisch zu finden, entweder, weil sein kleiner Schädel alles geil fand, was von Sex handelte oder auch, weil er doch eine gut behütete aber ebenso verborgene schwule Ader sein eigen nannte. Aber was kümmerte mich das alles jetzt noch? War ich eben für den Hopper eine Shemale, denn der ausbleibende Protest gegen diese auf mich nicht zutreffende Bezeichnung brachte mich schließlich doch noch an mein Ziel. Zugegeben, ich fürchtete um meinen Schwanz, den er ziemlich unbeholfen mit seinen Zähnen bearbeitete, verzog das Gesicht und knurrte sogar ein wenig, was der Kleine aber wahrscheinlich als Wonne meinerseits deutete. Wie unerfahren er war. Himmelherrgott. Auch ich hatte noch nicht viel mit fremden Schwänzen zu tun gehabt, aber wenigstens wusste ich, dass Zähne am besten Stück zu spüren äußerst schmerzhaft sein konnte. "Wenn du mich schon blasen willst, dann bitte nur Zunge und Lippen einsetzen", forderte ich nach einer Weile, denn das, was er hier vollführte, ging gar nicht. Süß zwar der in mein Gesicht gerichtete Hundeblick, aber sein Mund war wirklich ein fieses Stück Scheiße. "Du bist ganz schön geil, Kunde", murmelte er jedoch nur, ohne auf meine Anweisung einzugehen. "So Typen wie dich find ich ganz schön heiß." Ach, also doch ein Schwuler undercover, dachte ich es mir. "Dann gib dir Mühe", brummte ich. "Ich muss gleich aussteigen. Hast noch drei Minuten." Und da legte der Kleine endlich los. Zeitweise fürchtete ich, dass er das Atmen vergessen würde, so hastig wie er sich an meinem Schwanz verging und sein Deep-Throat-Versuch ging ebenfalls mächtig in die Hose und endete mit einem Würge- und schließlichem Kotzanfall des Hoppers. Direkt vor meinen Augen. "Bah!", machte ich, zog mir hastig meine Hose hoch und suchte das Weite, den Kleinen einfach auf der Toilette zurücklassend, der mir nach wenigen Schritten meiner Flucht bereits leid tat. Also machte ich kehrt, während die automatische Ansage verkündete, dass wir nun meinen Zielbahnhof erreichten, zerrte den Gernegroß aus seiner Kotze und schleifte ihn mehr als dass er selbstständig lief durch den Zug. Beim Ausstieg musste ich ihm ebenfalls helfen und als er dann wie ein Häufchen Elend, aber dreckig grinsend vor mir auf dem Bahnsteig stand, befahl ich ihm, irgendjemanden zu kontaktieren, der ihn abholen würde. Mir lag es nämlich fern, den Typen auch noch sicher nach Hause zu geleiten, schließlich musste ich morgen wieder früh raus und brauchte meinen Schlaf. Zum Glück folgte Klein Hopper nun brav, rief Mami an und erklärte ihr mit sich überschlagender Teenagerstimme, dass sie ihn doch bitte am Bahnsteig einsammeln sollte. Ich hingegen zog von dannen, wurde aber noch mit einem herzhaften und schon wieder sehr gesund klingenden 'Ey!' aufgehalten. "Gibst' mir deine Nummer?", piepste der Kleine, als ich ihm mit meiner erneuten Aufmerksamkeit besah, schwieg ein paar Momente lang, schüttelte dann allerdings meinen Kopf. "Nee, du", antwortete ich kühl. "Ich bin ein ganz schlechter Lehrer. Frag doch einen Kumpel, ob er mit dir übt." Ich ahnte, dass dem Hopper meine Worte nicht schmeckten, aber das war mir recht egal. Schließlich ging ich nun mit der Gewissheit nach Hause, dass sich nicht nur Todschläger am Abend in öffentlichen Verkehrsmitteln tummelten, sondern auch andere Verrückte und Perverse, vor denen man sich wohl besser in Acht nehmen sollte. Und ja, von diesem Tage an sah ich in jedem Hopper, dem ich begegnete, den kleinen, verkappten Homosexuellen, der Shemales benutzte, um seine schwulen Gelüste zu legitimieren. Schiss hatte ich zwar noch immer, aber im Grunde war das Leben leichter, wenn man es mit Humor sah. Und lustig war es im Nachhinein allemal, wie abgekackt mein Hopperfreund war, als er mir den ersten Blowjob seines jungen Lebens schenken wollte. Trotzdem sehr süß, der Kleine. Eigentlich doch schade, dass ich ihm meine Nummer nicht gegeben hatte. Na ja, noch war nicht aller Tage Abend und vielleicht traf man sich ja mal wieder im Zug zu einem kleinen Rendezvous? Dann würde ich ihn fragen, ob er auch brav seine Hausaufgaben gemacht und das Blasen geübt hatte. Falls ja - meine Nummer wartete darauf, ihren Besitzer zu wechseln ... Kapitel 5: Eheglück ------------------- (Freie Arbeit) "Lea!" Wahrscheinlich breitete sich wie immer dieses Honigkuchenpferdgrinsen auf meinem Gesicht aus, als das kleine, blonde Mädchen mit den blauen Kulleraugen auf mich zustürmte und mir letztendlich um den Hals fiel, was uns beide fast zu Boden riss. "Man, bist du übermütig!" Lea kicherte glücklich ganz nah an meinem Ohr, klammerte sich in meinen Kapuzenhoodie, der eigentlich neu war und keine solch grobe Behandlung erfahren sollte, aber ich ließ es einfach zu - weil Lea es war. Ich mochte Kinder eigentlich nicht besonders, nur durch ein berufsvorbereitendes Jahr für Loserkinder ohne Ausbildung war ich in diese Berufsbranche gerutscht und absolvierte gerade ein zweiwöchiges Praktikum. Und ich musste sagen, Kinder wie die kleine Lea versüßten mir die Arbeit ungemein. Sie war so anhänglich, so lieb und ich spürte ganz genau, wie sehr sie mich mochte, wie gern sie mit mir Ball im Garten spielte, sogar Arzt und Friseur ließ ich Lea werden, wobei ich stets den Patienten mimen sollte, der sich auch mal der Länge nach hinlegen musste. Etwas peinlich war es mir schon, wenn mich die Eltern beim Abholen ihrer Zöglinge in der Horizontalen sahen, allerdings wollte ich nicht wissen, zu welch verrückten Spielen sie sich selbst zu Hause hinreißen ließen. Zum Glück war aber Lea und auch noch einige andere Kinder eher künstlerisch interessiert und so malten sie viele bunte Bilder, auf denen man zwar oft nicht das Dargestellte identifizieren konnte, aber es galt immer, Freude zu heucheln, ganz besonders, wenn sie ein Geschenk an mich waren. Auch heute wollte Lea wieder malen und ich konnte sie auch nicht mit dem Argument davon abbringen, dass sie gleich abgeholt werden würde. Wild entschlossen steuerte sie auf den Schrank mit den Buntstiften und den Zeichenblättern zu, suchte alles zusammen, was ein kleiner Künstler benötigte und setzte sich dann an den Tisch. Ich staunte immer wieder, zu was ein Kind im Alter von drei oder vier Jahren bereits in der Lage war. "Du magst rot, nicht wahr?" Stumm, aber sehr wichtig nickte Lea mit dem Kopf, wobei ihr blonder Pferdeschwanz auf und ab wippte, den Blick nicht von ihrer entstehenden Zeichnung abwendend. Lea mochte eigentlich alles, was für Mädchen in dem Alter bestimmt war, seien es diese winzig kleinen Pferdchen mit Fellfarben in allen Farben des Regenbogens oder auch Prinzessinnen mit ihren pinkfarbenen Wallekleidern. Heute allerdings wirkte es nicht so, als würde sie Schneewittchen oder Rapunzel auf das Papier bringen wollen. Es erschienen zwar eindeutig drei Menschen, jedoch tauchte sie die Kleidung der beiden größeren in ein tiefes Schwarz, was mich nachdenklich die Stirn runzeln ließ. Kein Kind zeichnete mit dieser Farbe, einige der Jungs vielleicht, aber Lea verschmähte den schwarzen Buntstift doch sonst immer, was bewegte sie also heute dazu, die Figuren wie zwei Schornsteinfeger aussehen zu lassen? "Lea!" Das war die energische Stimme der Erzieherin und ich ahnte, dass Leas Eltern gekommen waren, um sie abzuholen. "Du kannst morgen noch weitermalen", tröstete ich die Kleine, die sich gar nicht mehr von ihrem Bild losreißen wollte, aber selbst meine Worte hielten sie nicht davon ab, noch die typische Sonne in der Ecke und ein paar blaue Wolken zu zeichnen. "Lea! Der Papa ist da!" Aber selbst das interessierte sie nicht im Geringsten. Wahrscheinlich besaß sie eine besondere Gabe, die sie dazu befähigte, die Ohren für die Außenwelt zu verschließen und ihre Konzentration ungestört auf ihre Lieblingstätigkeit zu richten. Hilfesuchend drehte ich mich nun nach der Erzieherin um, die mit ihrer Art viel besser die Kinder zu dem bewegen konnte, was ihren Wünschen entsprach. Als Zauberei empfand ich das, wenn Kinder plötzlich bei Frau Neumann hörten, obwohl ich bereits mit Konsequenzen gedroht hatte, die aber keines der kleinen Monster interessierten. Anstatt ich allerdings Frau Neumann erblickte, erschien ein komplett in schwarz gekleideter junger Mann auf der Bildfläche, zielgerichtet auf den Tisch, an dem Lea und ich saßen, zusteuernd und sich letztendlich neben die Kleine kniend. Mir blieb die Luft weg. Oh mein Gott. Zum Glück war er so mit dem Kind beschäftigt, dass er es wahrscheinlich nicht bemerkte, wie ich sein halblanges, schwarzes Haar begutachtete und das Profil seines jugendlichen Gesichtes. Dieser Moment erschütterte gewissermaßen mein Weltbild. So jemand hübsches hatte tatsächlich ein Kind, und ich fragte mich prompt, ob Lea denn ein Unfall war ...? Deswegen also die schwarzgekleideten Menschen, weil Leas Vater ein Emo war, und die Mutter schlug wahrscheinlich in dieselbe Kerbe. Irgendwie wurmte es mich zutiefst, dass so ein gutaussehender Typ in der Heterowelt beheimatet war, denn ich selbst hätte mich als schwul bezeichnet, obwohl es ab und an Mädchen gab, die selbst ich nicht von der Bettkante gestoßen hätte. Nun aber waren mir all die Weiber schnuppe, nun zählte nur noch dieser viel zu junge Vater, der es irgendwann geschafft hatte, Lea zum Gehen zu bewegen. Schnell schaute ich in eine andere Richtung als er mit dem Bild in der Hand aufstand. Es enttäuschte mich, dass er sich nicht von mir verabschiedete, sondern so tat, als wäre ich Luft; wahrscheinlich hatte er mich noch nicht einmal bemerkt. Dabei war ich doch auch nicht unbedingt eine übersehbare, graue Maus - das Problem war nur, dass der Kerl sich bestimmt überhaupt nicht für mich interessiert hatte, weil er Männer ohnehin nicht mit dem Arsch anguckte. So gern ich die kleine Lea mochte, so sehr wurmte es mich es dennoch, dass der Emo sich so zeitig festgelegt hatte. Ein Paar mit Kindern erschien mir stets so endgültig, so erwachsen und fern jeglicher Jugendlichkeit, aber trotzdem war ich gerade dabei, einen Plan zu entwickeln, wie ich erfahren konnte, ob denn der Typ wirklich so ein braver Familienmensch war, wie er vorgab. Zugegeben, die Idee war ziemlich bescheuert, aber ich hatte mal irgendwo gelesen, dass man jeden Mann zu homosexuellen Taten verführen konnte. Den Wahrheitsgehalt dessen galt es nun zu testen. Und Lea würde mir dabei behilflich sein. ***** "Wollen wir wieder malen, Lea?" Zu meinem Glück nickte sie eifrig, ehrlich gesagt hatte ich mit nichts anderen gerechnet. Das weiße Blatt Papier landete noch jungfräulich direkt vor mir und ich schob es Lea hin, der ich zugleich meinen Zeichenvorschlag unterbreitete. "Wollen wir ein Bild für deinen Papa malen?" Auch das schien sie zu begeistern, allerdings überlegte sie noch samt dem roten Stift in der Hand, was sie auf das Papa-Bild bringen sollte. "Wie wärs mit einem Herz? Kannst du schon ein Herz malen?" Und ob Lea das konnte! Natürlich, es sah noch etwas krakelig aus, aber doch sehr niedlich und in der Mitte hatte sie genügend Platz gelassen, damit ich selbst noch etwas hinzufügen konnte ... "Wie heißt denn dein Papa?", wollte ich von der Kleinen wissen, erntete allerdings zunächst nur ein verschämtes Kichern; Kindern war es immer etwas peinlich, die Namen ihrer Eltern zu sagen, ich selbst war da früher keine Ausnahme gewesen. "Leo", antwortete sie dann aber leise und ich guckte nun ziemlich dumm aus der Wäsche. Leo und Lea, das war ja mehr als nur ein niedlicher Zufall. Ehe Lea es sich versehen konnte, hatte ich mir einen x-beliebigen Buntstift geschnappt, das Blatt in meine Richtung gedreht und in dicken Druckbuchstaben 'Leo' mitten in das Herz geschrieben. Zugegeben, nun war es an mir, mich irgendwie für die absolute Kitschigkeit meines Gedankengutes zu schämen, schließlich war ich immer noch ein Typ und kein dreizehnjähriges Mädchen. Aber da ich mich stets hinter dem Deckmantel namens Lea verstecken konnte, der man derart zuckersüße Zeichnungen allemal zutraute, führte ich mein Vorhaben weiter, ließ das Bild von meiner kleinen Freundin noch etwas verschönern und ausschmücken, ehe ich mit einem leicht mulmigen Gefühl den Abschluss in Form meiner Telefonnummer und einem treuherzig formulieren "Rufst du mich an? David." auf die Rückseite setzte. Wenn dieser Leo wirklich so ein erwachsener Familienmensch war, wie ich glaubte, würden ihn die eindeutig von mir verfassten Zeilen lediglich amüsieren; generell stand die Chance eher schlecht, dass sein Herz schmolz aufgrund dieses jugendlichen Schmalzes. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und als Lea wie jeden Tag abgeholt wurde, natürlich wieder von ihrem Papa und dieser das Bild an sich nahm, sich sichtlich freuend über die niedliche Geste seiner Tochter, war sowieso keine Zeit mehr für einen Rückzieher. Er nahm das Bild mit nach Hause und wahrscheinlich würde er erst dort entdecken, was da auf der Rückseite stand. Bestimmt lachten er und seine Freundin sich scheckig über diesen liebestollen Teenager, für den sie mich hielten, aber wenigstens erfuhr ich dann nichts von ihrer Reaktion, schließlich musste ich mich nicht mit Leo abgeben und konnte ignorant in eine andere Richtung blicken, wenn er am nächsten Tag sein Kind abholte. Doch es kam freilich anders, als gedacht. Ich war längst zu Hause, saß vor meinem PC und chattete mit ein paar Kumpels über Facebook, als mich das Klingeln meines Handys aufschreckte. Unterdrückte Nummer; in so einem Fall ignorierte ich eigentlich stets den Anruf, aber da ich sofort ganz tief in mir drin an Leo denken musste, drückte ich mit Herzklopfen auf das grüne Hörersymbol, welches das Gespräch annahm. "Hallo?" "Ja, hier ist der Vater von Lea. Du warst dieser David, der mir seine Nummer hinten auf das Bild geschrieben hat?" Oh Gott, ich starb tausend Tode und wusste nicht, was ich antworten sollte, denn ich konnte keine Emotion aus der Stimme lesen, hatte keine Ahnung, ob die Frage böse gemeint war oder eher amüsiert. Dennoch musste ich zu meiner kitschigen Tat stehen, deswegen bestätigte ich das Ganze mit unsicherer Stimme. "Ich finds ja total niedlich, dass du mich gern kennenlernen willst", erklärte er mir nun und ich spürte einen schweren, harten Stein in meiner Magengegend, "aber ich habe eine Frau und ein Kind. Tut mir leid, ich...fühle mich auch nicht sonderlich zu Jungs hingezogen. Das wollte ich dir kleinem Spinner nur mal sagen. Ich hoffe, du bist nicht allzu traurig." "Nö, nö", erwiderte ich reflexartig, betont cool klingend, obwohl mein letzter Funken Hoffnung, der Leo ein bisschen Schwulheit zugestand gerade zerstört worden war und ich mich abgrundtief schämte für dieses verdammte Bild. "Ist schon okay." "Na gut. Dann Tschüss." Ich hatte gerade mal den Mund geöffnet, um ebenfalls einen Abschiedsgruß zu murmeln, da hörte ich bereits das Tuten, das mir signalisierte, dass der andere Gesprächsteilnehmer sich zurückgezogen hatte. Man. Ehrlich, ich hatte nicht viel erwartet, aber wieso musste der Kerl auch noch anrufen, um mich abzuservieren? Hätte er es nicht stillschweigend unter den Tisch fallen lassen können, ohne mich so zu demütigen? Ich hoffte, dass er Lea nie wieder abholte, denn ich wollte ihn nicht mehr sehen müssen. Am besten, ich nahm direkt eine neue Identität an, klebte mir einen künstlichen Bart unter die Nase und kaufte mir so eine komische, riesige Nerdbrille mit Fensterglas, die ich trug, bis ich mein Praktikum beendet hatte und sicher gehen konnte, Leo nie wieder unter die Augen treten zu müssen. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich es ziemlich bereut hätte, mich zu verkleiden oder dem anderen nicht mehr zu begegnen. Denn manchen Enttäuschungen wohnte einen süßen Beigeschmack inne, genau, wie manche Väter und Ehemänner doch nicht die braven Familienmenschen darstellten. ***** Heute hatte ich ausnahmsweise mal keine Probleme, Lea zum Gehen zu bewegen. Als Frau Neumann nach ihr rief, sprang sie wie ein quicklebendiger Gummiball von ihrem Stuhl, ließ mich einfach vor dem Memory sitzen, welches sie sowieso gewonnen hätte und stürmte durch das Gruppenzimmer geradewegs in den Flur. Da ich aber gelernt hatte, dass die Kinder vor dem Nachhause gehen immer ihre Spielsachen wegräumen sollten, erhob auch ich meinen Arsch von der Sitzgelegenheit und tappte durch den Raum, in der Hoffnung, Lea wäre noch nicht aus der Tür gegangen. Und tatsächlich, sie klammerte noch breit grinsend an der schwarzen, engen Hose ihres Papas, und als ich Letzteren bemerkte, wollte ich mein Vorhaben, Lea noch einmal zum Ordnung machen zurückzuholen, schnell verwerfen und mich anstelle verkrümeln. Da Leo und seine Begleitung in Form einer etwas reiferen Frau - vielleicht seiner Mutter - sich allerdings noch angeregt mit der Erzieherin unterhielten, beschloss ich, Lea noch einmal zu entführen, was aber leider Gottes nicht unbemerkt blieb. Ich hockte gerade zu den Füßen Leos, als dieser zu mir hinabschaute und sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht abzeichnete. "Hey." "Hi." So heiß wie mein Kopf wurde, so rot war ich wahrscheinlich auch angelaufen. Ungelenk erhob ich mich, schaffte es kaum, fest auf beiden Füßen zu stehen und machte mich nun erst noch richtig zum Trottel. Da Leo von mir Notiz genommen hatte und ich mich gerade so weltfremd benahm, lag es auch nicht fern, dass die Frau mich ebenfalls von oben bis unten betrachtete und sich schließlich dichter an Leo drängte, um ihm mit einem Seitenblick auf mich etwas zuzuflüstern, was aber laut genug war, damit ich es verstehen konnte. "Ist das der schnuckelige Praktikant, von dem du mir vorgeschwär-" "Mama! Psst!" "Komm, Lea, wir gehen noch aufräumen", wendete ich mich wieder dem Kind zu und führte es an der Hand zurück zum Gruppenzimmer, wo ich meinem breiten Grinsen endlich freien Lauf lassen konnte. Nun, wo ich wusste, dass er mich entgegen seiner Worte ganz niedlich fand, stand doch einem erneuten Anruf nichts im Wege, oder? Wenn Lea das Memory in die Kiste geräumt hatte, würde ich es auf jeden Fall wagen, ihren Vater nach seiner Nummer zu fragen. Und das ganz ohne ein albernes Bild mit Herzchen und Blümchen, denn Kitsch erschwert es natürlich noch, sich leichte homosexuelle Tendenzen einzugestehen. Leo sollte jedenfalls auch nicht glauben, dass ich eine verweichlichte Tunte war. Genauso wenig wie ich annehmen sollte, dass Kinder das Ende der Spaßgrenze darstellten. Mit so einem wie Leo konnte man sicher noch jede Menge schöner Dinge zu zweit erleben. Fragte sich nur, was seine Frau zu mir sagen würde. Aber das stand auf einem anderen Blatt Papier. Kapitel 6: Einer für alle! Alle für einen! ------------------------------------------ (Freie Arbeit) "Hast du den Kleinen dort gesehen? Wenn ich so was sehe, zuckt mir doch glatt der Schwanz..." Amüsiert über meine recht eindeutige Ansage breitete sich ein Grinsen auf Maxims bezaubernden Gesicht aus, was ihn noch koketter wirken ließ, während seine Finger ein paar seiner schwarzen Haarsträhnen zwirbelte. "Und wenn du damit nicht aufhörst, hab ich nachher einen Ständer auf der Bühne." Aber so, wie ich unseren Herrn Bassisten kannte, tangierte ihn mein im wahrsten Sinne des Wortes großes Problem allemal peripher, denn ich wusste genau, wie gern er mich aufreizte, und das am liebsten bis zur Klippe der Peinlichkeit. Und genau das war wahrscheinlich nicht gerade von Vorteil, wenn man als Rockmusiker die Bühnen der Clubs unsicher machte, denn selbst ich als ordinäres Schwein hatte keinen Bock, erregt vor einem Haufen schmachtender Weiber herumzuhüpfen und diese in dem Glauben zu lassen, sie wären der Grund für mein erhärtetes bestes Stück. Männliche Fans waren bei Gothic-Goodlookern wie uns eher rar gesäht, und so freute es mich selbstverständlich umso mehr, dass ich vorhin, als ich mitsamt den anderen Bandmitgliedern die Instrumente stimmte und alles an seinen Platz räumte, einen Vertreter des männlichen Geschlechtes entdeckte. Ganz allein, eventuell noch mit so einer Tussi in viel zu engem Korsett unterwegs, aber dafür trotz seines dramatischen Make Ups, das sein jugendliches Gesicht erst noch richtig aufhübschte sehr schüchtern wirkend und exakt in mein Beuteschema passend. Deswegen schaute ich noch jetzt geifernd zwischen dem Vorhang durch, der den Backstagebereich von der Bühne trennte und labte mich an dieser vampirischen Augenweide. "Der hat solch einen leckeren Körper...und ich glaube, er ist nicht sehr selbstbewusst, obwohl er 'ne hautenge Lederhose und ein am Rücken geschlitztes Top trägt." Nun mischte sich auch Roy in das Geschehen, denn sicher war auch ihm nicht verborgen geblieben, dass es hier anscheinend etwas zu sehen gab. "Oh, nicht so nahe, Püppi!", ranzte ich den Kerl an, da er nun ebenfalls einen Blick durch den Vorhang erhaschen wollte und dabei bei mir auf Kuschelkurs ging, samt Hände um die Hüften und Kinn auf der Schulter. "Sonst muss ich dich noch vor dem Gig flachlegen, und dann kannst du dich darauf verlassen, dass ich nicht zärtlich sein werde." "Wann bist du denn schon zärtlich, Ruzmir?", warf da der vierte im Bunde, Luciano, ein und grinste ebenso schäbig wie Maxim in die Weltgeschichte, als er sich nun auch noch an mich schmiegte. "So wie dein Name klingt, so bist du doch auch im Bett." Eigentlich hätte ich ihm nun einen tiefen Blick in seine schönen Augen geschenkt, aber der Junge da draußen, der in der ersten Reihe auf uns wartete, mit gezückter Digitalkamera und einem Gesicht, als hätten es Engel geschnitzt, war im Moment viel interessanter als meine Bandkollegen, die ich jeden Tag haben konnte. "Was meint ihr, soll ich ihn dann ansprechen? Oder werde ich ihn damit verschrecken? Bestimmt ist es noch total unerfahren, das Bürschchen." "Sprich ihn an", raunte Roy gefällig, welcher nun begann, seine Zunge mit meinem Ohr spielen zu lassen. "Mach ihn uns klar." Da die anderen nicht protestierten, beschloss ich, auf den Gitarristen zu hören und den kleinen, harmlosen Fan heute Nacht zu einem wilden Groupie mutieren zu lassen, den wir ein paar netten Spielen aussetzen würden. Und das nicht nur im musikalischen Sinne, sondern auch im sexuellen. Als Band würden wir ihn rocken, es ihm besorgen; erst gab es Porno für die Ohren und die Augen als Anreiz und als Lustmacher auf mehr, und später läge er dann in unserer Mitte und würde sich kaum mehr retten können, wenn vier Zungen gleichzeitig über seinen Körper leckten. So sah das perfekte Zusammenspiel einer Band aus, fand ich. Und der geile Haufen hinter mir bekam sicher auch schon sabbernde Schwänze. "Los, Jungs, raus mit euch!", riss uns die Stimme unseres Managers aus den anregenden Fantasien und ich hatte ziemliche Mühe, nun in den professionellen Modus umzuschalten. Aber es musste sein. Der Typ da vorn sollte Appetit kriegen... ***** Dies war eines der Konzerte, das ich wahrscheinlich nie mehr aus meinen Erinnerungen verbannen konnte. Noch jetzt rann der Schweiß über meine Stirn, versaute mir meine sorgsam gestylte Frisur, und dafür waren nur diese vier Typen verantwortlich, die mich dermaßen ins Schwitzen gebracht hatten, dass ich nun unbedingt einen Drink brauchte, bevor ich mit Milla die Heimreise antrat. Dieser schien der Gig ebenfalls sehr gefallen zu haben, so sehr wie sie der Band zugejubelt hatte, sie kannte sogar alle Songs in- und auswendig, obwohl sie doch sonst immer so eifersüchtig reagierte, wenn ich ihr von Maxim vorschwärmte und Bilder von ihm als Desktophintergrund verwendete. Sie wusste längst, dass ich dem männlichen Geschlecht nicht abgeneigt war, hatte damit auch keine sonderlichen Probleme, jedoch wenn es dann konkret wurde, dann war es ihr noch immer egal, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen anschmachtete. Aber von Musikern durfte man doch träumen, oder? Die waren ohnehin für niemanden erreichbar, und genau das machte den Reiz der Sache aus. Vier heiße Gothictypen, Bestand meiner feuchten Träume des Nachts, die sicher nie real werden würden. Mit den Gedanken noch immer an die Show, in der auch ein ordentlich schwuler Touch in Form von Küssen unter den Bandmitgliedern und diversen Fummeleien nicht fehlen durfte, was mir das Blut nicht nur zu Kopf steigen ließ, ließ ich mich auf einen der Clubsessel nieder, in einer Hand meinen Pina Colada. Milla hatte sich auf das stille Örtchen verpisst und ich guckte deswegen stumm dem regen Treiben in der Halle zu. Seufzend, und immer wieder mit einem Lächeln im Gesicht bei dem Gedanken an den wirklich schönen Abend. Doch dieses wurde mir sehr schnell ausgetrieben. "Hi." Zunächst realisierte ich gar nicht, dass man mich gerade ansprach, ignorierte die Stimme, die viel zu laut in mein Ohr schrie, geflissentlich, denn ich kannte solche Spinner bereits zur Genüge, die nur nach Aufmerksamkeit heischten und mich danach gnadenlos verhöhnten. "Ey, Hübscher..." Nun wurde mir doch mulmig in der Magengegend, schließlich hasste ich es, auf diese Art und Weise angeredet zu werden, dennoch siegte jetzt meine Neugierde über die seichte Wut in meiner Magengegend und ich drehte meinen Kopf zur Seite. Um direkt in Ruzmirs funkelnde Augen zu starren. Beinahe hätte mich diese Begebenheit vom Sessel gefegt, samt dem Pina Colada, der sich großzügig auf meiner Hose verteilt hätte. Das konnte doch nicht sein, was machte die Band hier, denn hinter Ruzmir erkannte ich schließlich auch Maxim, Roy und Luciano und das verursachte einen endgültigen Herzkasper in meinem kleinen Fanherz. Wieso guckten die mich alle an, hatten Musiker denn nicht immer viel zu tun, und wenn es darum ging, das Feierabendbier zu trinken oder in einem Club abzufeiern? Wieso gaben sie da draußen den Fans keine Autogramme, sondern bauten sich neben mir auf, als wäre ich der einzige Gast der Veranstaltung gewesen? Bestimmt glotzte ich wie ein Auto, denn Ruzmir begann plötzlich ganz breit zu grinsen und ich zweifelte gerade ernsthaft daran, ob Maxim denn immer noch mein absoluter Favorit war. Ohne Mist, die sahen alle vier so gut aus, noch besser, als dort oben auf der Bühne, wo sie unantastbar wirkten; ich konnte mich kaum mehr retten! Nun verstand ich sogar, dass kleine Mädchen vor Erregung kreischten, wenn man sie solchen hochattraktiven Männern aussetzte. "Kommst du mit, noch bisschen Party machen?" "Was?" "Du hast schon richtig verstanden", mischte sich nun Luciano ein, der sich irgendwann hinter meinen Sessel gestellt hatte und mir unangenehme Gefühle bescherte, weil ich ihn momentan nicht sehen und somit nicht überwachen konnte, was er da mit meiner Frisur machte. "Wir laden dich ein." Wenn der Typ noch einmal durch meine Haare streichelte, drehte ich hier durch und schrie nach Milla, weil das einfach zu viel für mein dünnes Nervenkostüm darstellte! Während ich mich fragte, ob Luciano denn wahrhaftig, hier und jetzt, mit mir flirtete, zog ihn Ruzmir an seine Seite und ich bekam mit, wie er kurz den Kopf des Drummers an den langen Haaren nach hinten zog. "Luci-Boy, überfordere ihn nicht!" Und an mich gewandt: "Wie heißt du überhaupt?" "Raffael", sagte ich verwundert, begriff schließlich noch immer nicht, wie alle vier solch ein reges Interesse an mir haben konnten. Vielleicht träumte ich auch, ich träume ja oft von den Jungs, aber irgendwie hörte sich Ruzmirs Stimme gerade so verdammt echt an. "Also, kommst du jetzt mit?" "Ich würde ja, aber meine Freundin ist..." Verschwörerisch funkelten sich die Jungs an und ich begriff nun gar nichts mehr. "Schreib ihr doch ne SMS. Sag ihr, dass du gerade zum VIP auserkoren wurdest", schlug Maxim vor, welcher nun ebenfalls zu mir vorgedrungen war und sich über die Lehne hinweg noch weiter zu mir herunterbeugte als Luciano zuvor. "Es wird dir auf jeden Fall gefallen." Oh ja, daran bestand kein Zweifel. So von Traummännern belagert zu werden sagte mir ungemein zu, aber ich konnte doch Milla nicht einfach stehenlassen; die wäre stocksauer! "Komm schon, Süßer. Du riechst so gut. Mhhh..." "Maxim!" Und mit einem Ruck wurde der Kerl von mir weggezogen, zum Glück noch rechtzeitig, ehe ich sterben konnte aufgrund des irren Kribbelns in meinem Körper, das mich an meine Grenzen brachte. Ich musste einfach mitgehen, denn ich hatte es noch nie in meinem ganzen Leben mit solchen heißen Typen zu tun, die auch noch eindeutig an mir interessiert waren und das so explizit demonstrierten! Unglaublich! Noch im Gehen tippte ich eine Nachricht an Milla ein, sie sollte sich doch bitte ein Hotelzimmer nehmen, ich bin von der Band entführt worden und es würde wahrscheinlich eine lange Nacht mit viel Alkohol werden. Und mittlerweile erwog ich sogar etwas mehr als nur ein nettes Gespräch mit den vier Jungs, meine Freundin erschien mir gar für ein paar Stunden als sehr, sehr weit weg. Nur leider hätte ich mich nie im Leben zwischen ihnen entscheiden können. Sie waren alle so verdammt sexy, und ich konnte höchstens einen haben, so glaubte ich noch zu diesem Zeitpunkt. ***** "Und, wie lange hörst du schon unsere Musik?" Ehrlich gesagt konnte ich mich daran nicht wirklich erinnern, jedenfalls nicht in einem Zustand, in dem mein Hirn einer Matschbirne glich und ich Hormone am laufenden Band produzierte. Die düstere Atmosphäre des Clubs trug auch nicht gerade zu mentalen Höchstleistungen bei, war es hier doch schummrig und duster und zudem saßen wir zu fünft auf einem meiner Meinung nach viel zu kleinen Ledersofa, ich selbstverständlich als spezieller Gast in der Mitte samt abfüllenden Getränken. "Ich kenn euch schon seit eurem Debut vor vier Jahren", antwortete ich schließlich und erntete keine merkliche Reaktion, nur einen abwartenden Blick aus Ruzmirs Richtung, dessen Knie das meine stets und ständig berührte und mich total nervös machte. "Gibs zu, zuerst hat dich unser Bild überzeugt, und dann erst unsere Musik." "Mh, na ja..." Natürlich stimmte es, dass ich die Musik der Band ein bisschen mit den Augen hörte, die Jungs waren eben etwas für alle Sinne. Aber das gab ich nicht gerne zu, da es ein schlechtes Licht auf mich werfen würde. Mir genügte es schon, dass sie sich selbständig eine ihnen als richtig erscheinende Antwort in meine Worte interpretierten, und noch mehr genügte mir die Hand, die sich zu meiner Linken geradewegs zwischen meine Beine bahnte. Oh, Roy... Oh, Milla! Das durfte doch gar nicht... Scheiße, ich pulsierte richtig da unten, hatte so eine Lust auf diese knackigen Typen, dass ich meine Beine sogar weiter für den anderen öffnete, um endlich dort angefasst zu werden, wo es jeder Mann am meisten genoss. Und ich bekam was ich wollte, ohne dass Roy vom Bandleader Ruzmir wie erwartet zur Ordnung gerufen wurde. Dieser hatte nämlich ganz andere Dinge im Sinn. "Ist Roy dein Favorit?", raunte er grinsend, während ich ihn mit geöffneten Lippen anstarrte und dann den Kopf schüttelte. "Eigentlich Maxim", gestand ich schließlich, was ein Raunen in der Runde auslöste und den Genannten sich sichtlich freuen ließ, so wie er strahlte. "Maxim ist ja auch rattenscharf", riss nun wieder Ruzmir das Wort an sich, wandte sich dem anderen zu und nachdem sie sich für ein paar Momente tief in die Augen gesehen hatten, während ich keine Ahnung hatte, was nun passierte, fingen die beiden heftig an zu knutschen und sogar zu fummeln! Erst jetzt raste es mir durch den Kopf, dass all die kleinen Schwulitäten auf der Bühne keine Show sein konnten, sondern pure Realität, denn man sah bereits an Roy sowie den anderen, wie sehr die Kerle auf Männer - sowohl auf mich als auch auf sich gegenseitig - abfuhren. Ehrlich, ich konnte meinen Augen kaum noch trauen, glotzte wie ein Auto und verspürte einmal mehr, wie meine Gesichtshaut sprichwörtlich entflammte. "Zwar ist Maxim eine perverse, notgeile Schwuchtel, aber da nehmen wir uns schließlich alle nicht viel", bestätigte nun auch Ruzmir, der von seinen Spielereien mit dem Bassisten abgelassen hatte und sich nun wieder voll und ganz auf mich konzentrierte, wie seine aufmerksamen Blicke in meine Richtung verrieten. "Und? Willst du noch mehr sehen oder willst du selbst mal?" Mir blieb beinahe die Luft zum Atmen weg, nicht nur, weil der Sänger eine dermaßen direkte Art besaß, sondern besonders auch aufgrund des immer anhänglicher werdenden Roy, welcher sich an mich kuschelte, als wären wir ein verliebtes Ehepaar. Was Luciano da hinten machte, wollte ich besser gar nicht wissen, den Lauten der Schmusekatze nach zu urteilen. Aber dennoch, die Überforderung blieb bestehen. Natürlich, die vier Typen hatten es mühelos geschafft, meine Lust zu entfachen, denn sie umwarben mich wie einen König, einen Heiligen und das, obwohl sie Musiker waren und jeden Kerl der Welt hätten abschleppen können. Doch ganz weit hinten tauchten die Gedanken an Millas Reaktion auf, die sie zeigen würde, wenn ihr beichtete, mich zu einem Groupiedasein hinreißen gelassen zu haben und ehrlich gesagt wollte ich meine Liebe nicht verlieren. Denn diese wog viel tiefer als das Verlangen nach diesen versauten Schönlingen, die es augenscheinlich nur zu gern untereinander trieben, wie der Kuss zwischen Ruzmir und Maxim verriet. "Also, hast du dich entschieden?" Der Erstere schien bemerkt zu haben, dass ich tief in meiner Gedankenwelt versunken war und holte mich mit seiner rauen Stimme zurück in das Diesseits. Mit großen Augen starrte ich in die Runde, vom engelsgleichen Maxim über den maskulinen Ruzmir bis hin zu den bereits ganz mit sich beschäftigten Luciano und Roy wandernd, weshalb mir erneut die Schamesröte in die Wangen stach und ich nur noch davon überzeugt war, dass das alles absolut verrückt war! Wahrscheinlich träumte ich das wirklich nur und irgendwann klingelte der Wecker, um mich aus diesem Hirngespinst zu befreien. "Sorry, aber ich glaube, bei der Auswahl kann ich mich wirklich nicht für einen entschließen", verkündete ich letztlich und hoffte sogar kurzzeitig auf eine Entlassung durch die Band, aber da hatte ich mich gehörig geschnitten. Ein erneutes, verräterisches Zucken fuhr durch meine Lenden, als mir Ruzmir etwas eröffnete, was er mit einem süffisanten Gesichtsausdruck begleitete. "Ach, Hübscher, du musst dich doch gar nicht für einen von uns entscheiden. Wer sagt denn so was? Du bekommst uns natürlich komplett, eine Band spielt schließlich immer zusammen und ein Quartett wäre ja wohl auch nicht vollzählig ohne die dritte oder vierte Karte, oder?" Verblüfft hörte ich ihm zu, mich nun vollkommen auf den Mars gebeamt fühlend, aber die Perversität nahm einfach kein Ende. "Heute Nacht gibts keine drei Engel für Charlie, sondern vier Schwänze für Raffi. Das ist doch das, was du willst, nicht wahr?" Du liebe Güte. Das war mehr, als ich mir jemals in meinem Leben erträumt hatte! Freilich, ich dachte manchmal im sexuellen Sinne an Maxim, erfreute mich an dem heißen Fanservice, den ich mir via Youtube fast täglich reinzog, aber diese vier Kerle, die ich seit Jahren absolut toll fand auch noch ins Bett zu bekommen, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Allen Anscheins aber hatten die Jungs beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen, wobei ich ihnen folgte und mich irgendwann in einem gemütlichen Hotelzimmer wiederfand, wo ich prompt angewiesen wurde, mich auf das Bett zu legen. Nun wuchs auch die Panik in mir, hatte ich doch weder Erfahrung mit Männern noch mit so vielen Sexualpartnern auf einmal! Maxim aber kam wie eine Katze zu mir geschlichen, legte sich fast auf mich und schmunzelte mich an, nachdem ich meine Befürchtungen laut kundgetan hatte. "Keine Angst, du sollst heute Nacht nur genießen. Wir werden dir alles besorgen, was du möchtest." Die anderen nickten nur und begannen, sich zu entkleiden, ehe sie mir halfen, meine Klamotten loszuwerden. Es war unwirklich. Unwirklich schön, unwirklich erregend. Vier heiße Jungs, die mich an so ziemlich jeder Stelle meines Körpers ableckten, mir hin und wieder eine 'bandinterne' Show in Form von Zungenküssen oder anderen Zärtlichkeiten boten und mich damit vollkommen in den Wahnsinn trieben. Überall spürte ich sie, wusste gar nicht mehr, auf welches Gefühl an welchem Ort ich mich konzentrieren sollte, fielen die Typen doch wie hungrige Raubkatzen über mich her und ließen mir keine Verschnaufpause, die ich ohnehin nicht benötigte. Schon gar nicht, als ich zwei Zungen an meinem Schwanz spürte und mich prompt zum ersten Mal in dieser Nacht ergoss, einen Orgasmus vor diesen vier gierigen Augenpaaren bekam und trotzdem noch nach mehr dürstete. Und selbstverständlich sollte ich mehr bekommen. Auf der Matratze kniend war es letztendlich meinem Favoriten Maxim zuteil geworden, mir den ersten Analsex meines Lebens zu bescheren, während die drei anderen mich und gleichzeitig sich selbst bearbeiteten, bis sie alle nacheinander ihrem Höhepunkt erlagen und ich das arme Zimmermädchen nicht unbedingt beneidete. Aber was scherte mich das noch? Jedes noch so kleine Detail dieser ganz besonderen Nacht hatte sich wahrscheinlich in mein Hirn gebrannt, und ich konnte ehrlich von mir behaupten, mich nach dieser Wahnsinnsnummer wie ein komplett neuer Mensch zu fühlen. Nichts würde mehr wie zuvor sein, denn ein spezielles Band hatte sich um mich und die Jungs geschlungen, das sich vielleicht lockern würde, wenn die Distanz namens Alltag mich wieder einholte, aber sich umso fester bei einem erneuten Gig verknoten konnte. Bei unserer Verabschiedung erfuhr ich sogar, dass anscheinend niemand so genau wusste, was sich wirklich hinter den Kulissen dieser einmaligen Band abspielte und ich deswegen angehalten wurde, meine Klappe zu halten und unbedingt über die Ereignisse Stillschweigen zu bewahren. Vielleicht wegen des Images und um die weiblichen Fans nicht zu verschrecken. Milla hätte es sicher nicht sonderlich gemocht, wenn die gewusst hätte, wie die Kerle abseits der großen Bühne tickten; und natürlich hätte sie sie komplett verflucht, ja vielleicht sogar ihren Tourbus angezündet, wüsste sie, dass in dieser Nacht der Musketierspruch gegolten hatte: Einer für alle! Alle für einen! Kapitel 7: Prüfung ------------------ Im Grunde begann alles mit diesem Mädchen. Jedoch würde ich nicht so weit gehen und sagen, dass sie die Begebenheit zu verantworten hat. Nein, Schuld trage ganz allein ich. Ich und dieser im Nachhinein betrachtet furchtbar große Anflug von Idiotie. Wirklich, es geschah mir ganz recht, dass sich die Sache so entwickelt hatte. Dummheit muss einfach ausgenutzt werden. Auch wenn ich damals zunächst ganz und gar nicht begeistert reagierte. Aber der Reihe nach...     Sie war die Schwester eines Typen, der erst vor kurzem auf unsere Schule gewechselt war. Man teilte ihn meiner Klasse zu und nur deswegen entstand ein engerer Kontakt zwischen uns. Er war ganz in Ordnung, bewies sich als wahre Sportskanone und es dauerte nicht lange, bis wir erkannten, dass er als Torwart für unsere Schulmannschaft taugte. Groß war er, drahtig und mit seinen aschblonden Haaren fiel er nicht sonderlich auf zwischen all den anderen Schülern. Als meine Kumpels und ich jedoch eines Tages zu seinem sechzehnten Geburtstag eingeladen wurden und ich dort auf besagte Schwester stieß, musste ich feststellen, dass sie das genaue Gegenteil von ihm war. Nie im Leben wäre man darauf gekommen, dass die beiden ein Geschwisterpaar bildeten. Er mit seinen durchtrainierten Bauchmuskeln und dem gebräunten Teint, sie mit nachtschwarzen, langen Haaren und Kleidung in eben der Farbe. Sie wollte allem Anschein nach nicht unbedingt an der Feier teilnehmen, verschwand schon bald wieder hoch in ihr Zimmer, aus dem man laute, für mich lediglich als konfus zu beschreibende Musik protestartig erschallen hörte. "Sie hasst Mainstream", erklärte ihr Bruder, man hörte heraus, dass er ihren Geschmack belächelte. Und auch meine Kumpels betitelten sie noch eine ganze Weile als Gothicbraut und Gruftieviech, bevor sie aus ihren Köpfen verschwunden zu sein schien. Nur ich musste den ganzen Abend an sie denken, an den kurzen Augenblick, in dem ich ihr direkt ins Gesicht geschaut hatte. Sie war so blass, ihre Haut wirkte wie die Porzellanelefanten, die meine Mutter sich ins Regal stellte. Durch diese Alabasterfarbe war der Gegensatz zu ihrer schwarzen Schminke noch deutlicher hervorgetreten. Gepaart mit dem ernsten, fast schon etwas arroganten Blick wirkte sie beinahe wie ein Wesen von einem anderen Stern. Unnahbar und unerreichbar. Besonders für so einen Normalo wie ich es war.   Der Abend war längst Geschichte, aber sie war es für mich noch lange nicht. Selbst Tage später versuchte ich noch ihre zarten Gesichtszüge aus dem Gedächtnis heraus zu rekonstruieren, und es ärgerte mich, dass es mir immer schlechter gelang. Aber ich konnte die Erinnerung an sie nicht festhalten. Sie verschwamm immer weiter vor meinem geistigen Auge, aber irgendwann befand ich es für das Beste. Warum sollte man etwas behalten, was man eh nicht haben konnte? Bei dieser Entscheidung blieb es. Bis ich auf eine Gruppe Schwarzgekleideter traf und ich einen Entschluss fällte. Ich erkannte, dass nicht nur die Schwester meines neuen Kumpels diese mystische, erhabene Schönheit innehatte, sondern auch die restlichen Szeneangehörigen. Man konnte sie mit nichts vergleichen, sie wirkten so anders, so majestätisch auf eine gewisse Art und Weise, die ich mir selbst nicht erklären konnte. Vielleicht lag es an der Farbe Schwarz, die sie ganz und gar umhüllte; vielleicht auch an ihrer Aura, die eine merkwürdige Ruhe ausstrahlte. Wenn sie zudem noch lange Mäntel oder andere weite Gewänder trugen, dann beeindruckten sie mich geradezu mit ihrer unirdischen Eleganz. Aber auch die weniger eleganten Szenegänger, die keine Spitzenkleidung mit verspielten Details trugen, wussten mich in ihren Bann zu ziehen; besonders die beiden Mädchen vielen mir ins Auge, welche knappe Lackröcke trugen und diese mit ebensolchen knappen Tops kombinierten. Ja, man konnte sagen, dass ich das nicht mehr nur als ästhetisch betrachtete, sondern auch als sehr attraktiv, wenn nicht gar als erotisch. Mir kam es so vor, als würden einige Gothics absichtlich damit provozieren oder sich einfach nicht davor scheuen, nackte Haut zu zeigen. Doch was auch immer es war, was sie zu diesem Kleidungsstil inspiriert hatte - ich empfand es keineswegs als billig. Ich stand darauf, ich stand sogar sehr darauf. So sehr, dass ich ein Teil der Szene werden wollte. Und wenn ich ehrlich war, dann ging es mir eigentlich nur um die Frauen, die ich allen Anscheins nach nur mit dem passenden Styling erobern konnte.   So dauerte es gar nicht lange, bis ich mich ein wenig im Internet umgesehen hatte und Besitzer einer eigenen schwarzen Garderobe wurde. Natürlich trug ich nicht so dick auf wie mancher schwarze Prinz, der mir an jenem Tag begegnet war, aber schwere Stiefel von einer Marke namens New Rock sowie ein schwarzes, knallenges Top, welches ich mit einer coolen Lederjacke mit Nieten kombinierte, durften nicht fehlen. Meinen Freunden und meiner Familie erzählte ich nichts von diesen Kleidungsstücken. Ich trug sie nicht in ihrer Gegenwart, aus Angst, dafür Hohn und Lacher zu ernten. Ich wusste schließlich, wie meine Kumpels das Gothicmädchen verspottet hatten. Das musste ich mir nicht geben, beschloss ich. Deshalb warf ich mich lediglich an den Wochenenden in Schale, wenn ich beschloss auszugehen.   Es war ein Samstag, als ich mich zum ersten Mal in einen der beiden schwarzen Clubs der Stadt wagte. Nox Interna leuchtete über dem kleinen Bunker, den ich ansteuerte. Man sah ihm bereits von außen an, dass sich hier kein normales Publikum einfand, um die Nacht zum Tag zu machen. Und das durch und durch düstere Bild setzte sich in seinem Inneren selbstverständlich fort. Nicht nur durch dessen Ausstattung und Dekoration, sondern auch durch die harten Beats, die aus den Boxen drangen und für mich wie eine Art Techno klangen. Doch in Wirklichkeit konnte ich sie mit nichts zuvor Gehörtem vergleichen. Das hier war anders, ganz anders. Genau wie die wunderschön gekleideten und gestylten Gestalten, die sich an mir vorbeischoben.   Selbstverständlich konnte ich meine Nervosität nicht verleugnen, die das ganze Umfeld, dieses Neue, Unbekannte, in mir auslöste. Selbst als ich an der Bar saß und mir einen Drink bestellte, an den ich mich heute nicht mehr erinnern kann, verschwand dieses Prickeln in meiner Magengegend keineswegs. Im Gegenteil - es verstärkte sich sogar. Es war ohnehin schon unangenehm, wenn man ohne Begleitung in einen Club ging und um einen herum nur unbekannte Gesichter auftauchten. Wenn die unbekannten Gesichter zudem weißes Make Up und schwarzen Lippenstift trugen, dann kannte die Aufregung keine Grenzen mehr. Kaum konnte ich mich an den schönen Mädchen sattsehen, die sich lasziv und anmutig zu den technoesken Klängen im Laserlicht wogen. So viele nackte Beine, so viele knappe Tops, die oftmals kaum das Nötigste verdeckten. Aber besonders liebte ich ihre langen, schwarzen Haare.   Eine ganz bestimmte Person hatte nun meine Aufmerksamkeit erregt. Ich konnte sie lediglich von hinten bewundern, sie und ihre Haare, die ihr fast bis zu dem in einer engen Lackhose steckenden Po reichten. Sie war noch nicht einmal sonderlich freizügig gekleidet, und dennoch gefiel mir, was ich sah. So lange, bis sie sich umdrehte und ich ganz eindeutig in das Gesicht eines jungen Mannes blickte. Erschrocken wandte ich mich ab, schämte mich für meine Verwechslung, andererseits konnte man mir nichts zum Vorwurf machen, schließlich war der Kerl so feminin wie einige der hübschen Mädchen und hatte kräftiges, schwarzes Augenmakeup aufgetragen. Gemeinsam mit den leuchtend türkisfarbenen Kontaktlinsen eine durchaus reizvolle Mischung. Auf einmal kam ich mir vor wie ein unscheinbares Mauerblümchen. Nur hätte ich es mir nie im Leben gewagt, Mamas Schminkzeug anzurühren.   Ich hatte gehofft, dass dem Typen mein Blick entgangen war, aber dem war selbstverständlich nicht so. Kurz bevor ich weggesehen hatte, schien es sogar beinahe so, als entstehe der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. Und dann hatte er sich in Bewegung gesetzt. Steuerte direkt auf mich zu. Dass ich mich umgedreht hatte, half mir überhaupt nichts. Der Typ stand im nächsten Augenblick neben mir. Begleitet von einem ganzen Gefolge weiterer männlicher Schwarzträger, die mich angrinsten wie ein Rudel hungriger Wölfe. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor.   "Hey", grüßte mich der Typ mit den arschlangen Haaren knapp. Er schrie fast, da die Musik beinahe schon ohrenbetäubend durch meine Gehörgänge donnerte. Sein Lächeln verschwand nicht mal für eine Millisekunde. "Hey", erwiderte ich so gelassen wie möglich, saugte an meinem Strohhalm, kam mir aber unheimlich beobachtet vor, auch dann noch, als ich meinen Blick abwendete. Das Wolfsrudel ließ sich durch meine Reserviertheit nicht abschütteln. Einer der Jungs nahm sogar auf dem Barhocker neben mir Platz und stützte sich lässig auf dem Tresen ab, während er mich mit einem schiefen Lächeln von oben bis unten musterte. "Ach, ein neues Fledermäuschen", meinte er schließlich mehr zu seinem Gefolge als zu mir, und dennoch ruhten seine Blicke weiterhin auf mir. Wenn man schon einmal erlebt hat, wie einen ein Mann mit weißen Kontaktlinsen unablässig anstarrt, dann weiß man in etwa, wie ich mich in diesem Moment fühlte.   "Du bist erst ganz neu in der Szene, stimmts?", wollte bald schon ein weiterer wissen und musterte mich ebenso neugierig von unten herauf wie der Typ mit den Kontaktlinsen. Mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken. "Woher wisst ihr das?", hakte ich interessiert nach, denn es verwunderte mich, dass sie mich gleich entlarvt hatten. Woran erkannte man, wie lange man sich bereits in der Szene befand? Ich war schließlich vorschriftsmäßig angezogen, vielleicht lag es aber an meinen Haaren und der fehlenden Schminke. Obwohl...der da hinten trug noch wesentlich simplere Kleidung als ich und von Make Up war ebenfalls keine Spur.   "Wir haben dich noch nie hier gesehen", erhielt ich die einleuchtende Erklärung seitens des Langhaarigen. "Eigentlich kennt in diesem Club nämlich jeder jeden, wenn auch nur vom Sehen. Wie heißt du eigentlich?" "Dim", erwiderte ich. "Kurz für Dimitri." Ein Grinsen huschte über die Gesichter der Jungs. Sie tauschten vielsagende Blicke und murmelten etwas, das ich als 'Das wird Luc gefallen' identifizierte. Vielleicht hatte ich mich aber auch geirrt, denn diese Worte ergaben für mich keinen Sinn. Ich kannte weder einen Luc noch irgendjemanden, dem es gefiel, dass ich Dimitri hieß und aus russischem Hause stammte.   "Du willst also dazugehören." Das war der Typ mit den weißen Kontaktlinsen, der mich wieder aufmerksam musterte. "Wozu?" "Na, zu der Szene", klärte er mich lässig auf, spielte dabei mit der Zunge an seinem rechten Lippenpiercing. "Na ja...", gab ich unbeholfen von mir, woraufhin sich ein paar der Gesichter wieder zu einer grinsenden Fratze verzogen und mich noch weiter verunsicherten. "Ich würde schon gerne, ja..." "Du magst das, mh?", hakte mein Gegenüber nach. "Unsere Musik, unsere Ansichten, die Art, wie wir uns kleiden..." "Ja..." Ich log. Hoffte, dass sie es mir nicht anmerkten. Ich schämte mich für meine eigentlichen Beweggründe, mich in die Szene zu schmuggeln. Sie waren oberflächlich und im Grunde einfach lachhaft. Hätte ich es ihnen gesagt, sie hätten mich mit ziemlicher Sicherheit für einen schwanzgesteuerten Macho gehalten. Deswegen ließ ich sie in dem Glauben, ich möge das Gesamtpaket. Dass mir aber genau das zum Verhängnis werden sollte, das ahnte ich noch nicht. Stutzig wurde ich trotzdem schon bei der nächsten Behauptung, die der Langhaarige in den Raum stellte.   "Das reicht aber nicht, und das weißt du, oder?" Vier Augenpaare ruhten lauernd auf mir, was mich noch zusätzlich verwirrte. "Wieso?", wollte ich wissen, runzelte die Stirn. Ja, was wollten sie denn noch? Was gehörte noch zu einem wahren Szenegänger? Sie ließen es mich selbstverständlich wissen. Wenn auch nur teilweise. "Einer, der zu uns gehören möchte, muss erst die Prüfung erfolgreich absolviert haben", redete der Kerl neben mir ungerührt weiter, so, als ließe er sich gerade über den Wetterbericht aus. "Was für eine Prüfung? Gothics haben doch nichts mit Satanismus zu tun...", warf ich ein, wobei der letzte Satz meine Unsicherheit verriet, denn er klang eher wie eine Frage. Mit meinem Unwissen würde ich mich in Teufels Küche bringen, fürchtete ich. Und genau so sollte es werden. "In der Tat, wir haben nichts mit irgendwelchen satanischen Sekten zu tun", nickte mir der Kontaktlinsentyp zu, linste aber dann auf den Langhaarigen. "Auch wenn Sil ziemlich mit den satanischen Geboten sympathisiert..." Der Angesprochene lachte kurz. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich die Truppe mir gar nicht namentlich vorgestellt hatte. Doch schon im nächsten Augenblick war diese Belanglosigkeit vergessen.   "Aber wie dem auch sei", meinte mein Nebenmann und schaute mir mit gesenktem Kopf direkt in die Augen, woraufhin ich schnell die Blickrichtung wechselte. "Du musst erst die Prüfung bestehen, um als vollwertiger Goth anerkannt zu werden." "Was für eine Prüfung?", wiederholte ich meine Frage von vorhin noch einmal. "Nun..." Der Kerl tat sehr geheimnisvoll. Immer wieder ließ ein mir ziemlich hämisch vorkommendes Lächeln seine schwarzen Lippen zucken. "Du willst wirklich dazugehören?", fragte er erneut, ich nickte, war mir ganz sicher, auch ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Wahrscheinlich war meine Neugierde auf diese geheimnisvolle Prüfung aber auch der Auslöser für meinen festen Entschluss. "Gut, Dim", fuhr der andere fort. "Um die Prüfung zu absolvieren, finde dich bitte morgen um Mitternacht in der Steingasse 3 ein. Klingle bei Raphael Reiter. Dreimal. Dort erfährst du alles Weitere."   Und dann ließen sie mich sitzen. Verschwanden einfach in dem lila Nebel, der die Tanzfläche ganz und gar einhüllte. Sie ließen mich sitzen. Mit all den Fragen in meinem Kopf. Und mit der Anweisung, morgen einem komplett Fremden einen Besuch abzustatten. Mitten in der Nacht. Mich überkam ein mulmiges Gefühl. Ich spielte mit dem Gedanken, einfach nicht zu erscheinen und dann eben nur ein kleiner Wannabe zu bleiben. Andererseits klang die ganze Sache ziemlich verlockend, und um bei einer schwarzen Schönheit zu landen musste man mit Sicherheit ein richtiger Goth sein. Und um ein richtiger Goth zu werden musste ich die Prüfung absolvieren. Da führte kein Weg dran vorbei.   *****   Die Kirchturmuhr läutete unüberhörbar die mitternächtliche Stunde ein. Es war kühl geworden, fast schon zu kühl für eine Augustnacht, vielleicht fror ich aber nur aufgrund meiner ins Unermessliche steigenden Nervosität. Hier stand ich nun, vor der Tür, die in den Flur dieses Mehrfamilienhauses führte und wartete. Dreimal hatte ich geklingelt. Dabei hatte ich einen leicht feuchten Fleck auf dem Plastik hinterlassen. Meine Finger fühlten sich steif an, eisig und von innen heraus erfroren. Insgeheim hatte ich mir die Hoffnung bewahrt, dass das Wolfsrudel mir nur einen Streich spielen wollte und dass es in Wirklichkeit überhaupt keinen Raphael Reiter gab, der in der Steingasse 3 ansässig war. Bis zum Schluss hatte ich gehofft, wieder mit leichtem Herzen kehrt machen zu können, ohne die Prüfung absolvieren zu müssen. Doch mit dem Erblicken des mir genannten Namens wog der harte Stein in meinem Magen noch um einiges schwerer. Natürlich, ich hätte noch in diesem Augenblick den Schwanz einziehen und mich vom Acker machen können, aber ich tat es nicht. Ich presste den Klingelknopf. Dreimal. Und dann wartete ich. Hoffend, niemand würde mir antworten. Doch das Schicksal wollte es anders.   "Ja?" Eine fast schon harsch klingende Männerstimme, verzerrt durch die Sprechanlage, ließ mich reflexartig zusammenzucken. Ein weiterer kalter Schauer rann über meinen Rücken, der mich am ordentlichen Sprechen hinderte. Was sollte ich eigentlich sagen? Ich hatte mir darüber im Voraus keine Gedanken gemacht, war so überzeugt davon gewesen, dass dieses Treffen niemals zustande kommen würde. "Ähm, ich...hier ist Dim", stellte ich mich unbeholfen vor, schimpfte mich dabei einen Idioten. "Also...der, der die Prüfung hier-" Ehe ich ausgeredet hatte ertönte bereits der Summer, der das Türschloss löste. Ohne zu zögern drückte ich mich gegen das schwere Holz und trat in den Flur hinein.   Ich musste hoch in den dritten Stock laufen, bis ich Licht aus einer geöffneten Wohnungstür dringen sah. Noch einmal wog ich innerhalb einer Millisekunde ab, ob ich weitergehen oder doch lieber umdrehen sollte, aber letztlich schritt ich tatsächlich auf die geöffnete Tür zu. Gerade setzte ich einen Fuß auf die schwarze Fußmatte, die mit einem Pentagramm versehen war, als ein Mann im Türrahmen erschien. Er schien nichts von meiner Aufregung zu bemerken oder er ignorierte sie beflissentlich, jedenfalls war er die Ruhe selbst, was ich an seiner lässigen Haltung abzulesen meinte. Er lehnte sich absolut entspannt gegen das Holz und trug dabei nicht mehr als eine ziemlich bauschige Jogginghose, die selbstverständlich ebenfalls die Farbe Schwarz aufwies. "Hi." Mein Blick rannte von seiner Begrüßung angestachelt an seinem Körper empor. Ich nahm seinen recht bleichen Oberkörper war, der von einigen Tätowierungen geziert wurde. Als ich scheu in sein Gesicht schaute, schluckte ich. Und gleichzeitig wurde mir auf eine ganz merkwürdige Weise heiß. Nie im Leben hätte ich diese so harsch klingende Stimme so fein geschnittenen Zügen zugeordnet, die ebenso feminin wie die des langhaarigen Typen aus dem Club wirkten, aber dennoch einen gewissen Touch Männlichkeit ausstrahlten. Im Zusammenspiel mit den in einem im Vergleich zu anderen Szenevertretern dezent geschminkten Augen und dreifach gepiercten Lippen ergab das einen Anblick, dem man sich nicht so leicht entziehen konnte und der mich für unendlich lange Sekunden sprachlos machte. Mein Glotzen endete erst, als der andere mich hineinbat. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen folgte ich ihm, noch immer wortlos. Wir durchquerten den Flur, und aus dem Wohnzimmer, in welches er mich führte, strömte mir ein schwerer, erdiger Geruch entgegen, der auf meiner Nasenschleimhaut brannte. Als ich direkt neben dem Kerl zum Stehen kam, bemerkte ich, dass der Duft nicht nur von der Wohnung ausging. Seiner bloßen Haut haftete dieses Erdige ebenfalls an. Obwohl ich es als seltsam und leicht unangenehm erachtete, so passte der Geruch doch perfekt zu dem hochgewachsenen, überaus schlanken Mann. Erhaben, edel und auch leicht animalisch...   Meine Augen tasteten die Umgebung ab. Ließen meine Blicke eine Weile an der schwarzen Anbauwand hängen, erfassten interessante Details wie die zahlreichen Leuchter, die die Form von Drachen aufwiesen sowie die sehr realistischen Nachbildungen von menschlichen Totenschädeln. Eine makabre Dekoration. Doch das, was mich am meisten irritierte und gleichzeitig beeindruckte war der imposante Sessel an der Stirnseite des Raumes, welcher wie der Thron eines Königs geformt war. Wahrscheinlich starrte ich ihn etwas zu lange an, denn die Stimme des anderen riss mich beinahe schon unsanft aus meinen Gedanken. "Guck dir ruhig alles genau an", meinte er jedoch gelassen, schob die Hände in die großen Taschen seiner Hose und machte ein paar ziellose Schritte im Raum. "So wirst du dich auch einrichten müssen, wenn du ein wahrer Goth sein willst." "Die...die sind aber nicht echt...oder?", fragte ich prompt und deutete mit dem Kinn in Richtung der Totenschädel. Anstatt einer eindeutigen Antwort erhielt ich allerdings nur ein Zähnefletschen von dem anderen. Ich schwitzte und fror zugleich ob dieses Anblicks. Und es wurde nicht besser, als der Mann sich die langen Haare mit einer lasziven Geste nach hinten strich. "Doch, doch", sagte er schließlich ohne mit der Wimper zu zucken. "Die gehören denen, die die Prüfung nicht bestanden haben." Wenn ich es noch nicht längst vorher getan hätte, spätestens jetzt wünschte ich mir, zu Hause in meinem warmen, weichen Bett zu liegen und mich nicht auf diesen riesengroßen Bockmist eingelassen zu haben. Doch es war zu spät. Ich befand mich offenbar in der Wohnung eines Irren und musste um mein Leben fürchten. Sicher war mein Gesichtsausdruck ziemlich panisch geworden, denn der andere stellte sich plötzlich direkt vor mich, hob mein Kinn an und streichelte mir im nächsten Zug sacht mit dem Daumen über die Wange. "Shh, Süßer, ich weiß, dass du jetzt Angst hast", säuselte er fast schon liebevoll und unterstrich dies mit einem sanften Lächeln. "Aber das musst du nicht. Du bist ganz bestimmt ein ganz hervorragender Prüfling, wenn ich mir deine Lippen so anschaue..." Er schaute mir direkt in die Augen. "Was sagtest du, wie heißt du?" "Dim...also eigentlich Dimitri", äußerte ich atemlos, woraufhin der andere zugleich wieder zufrieden schmunzelte und meinen Namen langsam und genüsslich wiederholte. "Dim...schöner Name. Ty russkiy, da?" "D-da", nickte ich überrascht. Der Mann ließ ein gefälliges Brummen verlauten. Dann entließ er mit einem Ruck mein Kinn wieder in die Freiheit. "Nenn mich Luc", schlug er nun vor, nachdem er mir den Rücken zugewandt hatte und wieder im Zimmer auf und ablief. "Aber...wieso steht dann Raphael an der Klingel?", wollte ich wissen, woraufhin jedoch ein Glucksen durch den Körper des anderen fuhr. Seine Augen funkelten, als er mir wieder seine halbnackte Vorderseite präsentierte. "Von wirklichem Interesse sollte eher der Nachname sein", erwiderte er ruhig. "Willst du nicht lieber wissen, wieso da unten Reiter steht? Alles hat seinen Sinn...und nicht alle Namen sind nur Schall und Rauch..." Obwohl eine deutliche Suggestion in diesen Worten mitschwang, wagte ich es mir nicht, die angedeutete Frage zu stellen. Mein nicht immer sehr feiner Sinn für Zweideutigkeiten flüsterte mir zwar gerade etwas ziemlich Dreckiges, das ich mit Reiter verband, allerdings wollte ich mich nicht mitten in die Nesseln setzen. Zumal hatte ich den Eindruck gewonnen, dass mit diesem Luc etwas faul war. Schließlich hatte er mich vorhin Süßer genannt und ich erinnerte mich nun an die Anspielung der vier Männer im Club, die ebenfalls von Luc gehandelt hatte. Wenn ich nun ganz scharf nachdachte, so scharf, wie es mit einem nervösen Magen eben möglich war, dann schlich sich ein mich ziemlich beunruhigender Gedanke in meine Hirnwindungen. Und dass ich mich tatsächlich auf der richtigen Fährte befand bekam ich nun unmissverständlich auf das Butterbrot geschmiert.   "Du willst es also nicht wissen", mutmaßte dieser Luc und drehte weiterhin seine Runden. Das Grinsen war noch immer präsent und in Verbindung mit seinen rastlosen Schritten wirkte er auf mich wie ein Aasgeier, der seine Beute umkreiste. "Nun gut, du wirst es ohnehin herausfinden." Ich wollte nichts lieber als das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Dieses Spiel erschien mir mit allem anderen aber nicht mit zahmen Regeln ausgestattet zu sein. Und obwohl der Typ eine absolute Augenweide darstellte, selbst für einen heterosexuellen Kerl wie mich, so sehr verschreckte mich seine ganze bedrohlich-geheimnisvolle Art. Und gleichzeitig zog sie mich völlig in ihren Bann. Ich war noch immer das hypnotisierte Kaninchen, welches einem Unbekannten willenlos in dessen Wohnung gefolgt war. Und trotzdem begehrte ein Funken meines Verstandes auf.   "Was...was ist das nun eigentlich für eine Prüfung?", hörte ich mich mit unsicherer Stimme sagen, woraufhin mich die Blicke des anderen einmal mehr trafen. "Was...muss ich tun?" "Du willst es wirklich erfahren", meinte Luc mehr zu sich selbst und schüttelte sein Haupt, sodass ihm ein paar seiner langen Haarsträhnen ins Gesicht fielen, die er sich aber mit einer nach wie vor galanten Geste nach hinten strich. Alles in allem wirkte es so, als würde er noch darüber nachdenken, ob er mich tatsächlich in diese geheimnisvolle Prüfung einweihen oder mich nicht doch lieber nach Hause schicken sollte. Da ich aber den immer stärker werdenden Wunsch verspürte, endlich ein richtiger Goth zu werden, nickte ich mit Nachdruck und ließ ein knappes, aber festes 'Ja' verlauten. Dies schien in letztendlich überzeugt zu haben. "Okay", sagte er, zog seine Kreise mittlerweile um den thronartigen Sessel, allerdings ohne mich für längere Zeit aus den Augen zu lassen. "Einen wahren Goth machen nicht die Kleidung, die Musikvorlieben und die innere Einstellung aus. Aber das haben dir die anderen ja schon erklärt." Er fuhr spielerisch mit den Fingerspitzen über den roten Samt. "Ein wahrer Goth muss etwas weiter gehen. Er muss mein Sperma getrunken haben." Dieser Satz prasselte auf mich hernieder wie ein Hagelschauer. Ich rang um Fassung, spürte, wie meine Lippen versuchten, Worte zu formen, aber meiner Kehle entwich kein einziger Laut. Tausend Gedanken rasten durch meinen Kopf, doch kein einziger wusste sich zu manifestieren. Deshalb blieb ich an Ort und Stelle stehen, obwohl mindestens einer der Gedanken die Flucht beinhaltete.   "D-dein...dein..." Endlich bekam ich wieder einen Ton heraus. Wenn auch keinen sonderlich intelligenten. "Ja, mein Sperma", bestätigte mir der Kerl mit einer für mich unverständlichen Gelassenheit. Ich zumindest hätte in diesem Augenblick kollabieren können. "Du musst alles runterschlucken, Tropfen für Tropfen. Falls du es vorziehst, dass man dir ins Gesicht spritzt, dann werde ich dabei zuschauen, wie du meine kostbare Flüssigkeit mit dem Finger von deiner Haut wischst und sie dann ableckst." Er lachte ein wenig. "Aber keine Sorge, ich habe heute schon eine ganze Ananas gegessen, ich schmecke also zuckersüß..." "Aber...ich...ich bin nicht-" "Schwul?" Dabei ließ er sich auf den Thron sinken, wirkte aber überhaupt nicht wie ein erhabener König sondern eher wie ein Bauer mit seinen weit gespreizten Beinen und der schiefen Körperhaltung. Zugegeben, der Vergleich mit einem Bauern hinkte, dafür war Luc viel zu attraktiv. Aber ich konnte im Augenblick einfach keinen klaren Gedanken fassen. Ängstlich tasteten meine Blicke sich an diesem Typen auf und ab, bis sie an seinen gefletschten Zähnen hängenblieben. Böse. Doch dabei so verrucht, dass es in meinen Lenden voll angstvoller Erregung zu zittern begann.   "Muss ich denn...schwul sein, um ein...richtiger Goth zu sein? Sind alle Gothics schwul?" Luc lehnte sich zurück, rieb sich über das fein geschnittene Kinn, so, als denke er nach. "Na, nicht unbedingt schwul", wiegelte er ab. "Aber bi, bi sind wir alle. Und die, die genau wie du ziemlich erschrocken waren, als ich ihnen die Prüfung erklärte aber über ihren Schatten sprangen, weil sie nichts lieber wollten als zu der Szene zu gehören, beschrieben nachher das unstillbare Verlangen nach Männern. Nach Schwänzen. Davon, von einem Raubtier wie mir gefickt zu werden. Weißt du, man kann nie ahnen, was sich das Unterbewusstsein wünscht, wenn man das Bewusstsein nie auf die richtige Fährte geführt hat. Und deshalb vermute ich, dass auch du keine Ausnahme sein wirst. Der Mensch ist dazu bestimmt, ein bisexuelles Leben zu führen. Es fließt in seinen Adern..." Das Pochen meiner Lenden zog sich tiefer. Als ich spürte, wie sich Blut in mein Glied pumpte, kam auch noch ein erneuter Schweißausbruch hinzu. Ich wollte das alles nicht fühlen, aber es riss mich mit. Seine Worte, seine Optik, ja sogar seine Stimme und sein erdiger Duft. Ganz kurz nur schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich all die Männer verstehen konnte, die er bi gemacht hatte. Doch noch wollte ich mich nicht geschlagen geben. Noch hoffte ich, dass meine Gelüste nicht als strahlender Sieger im Kampf gegen meinen Verstand aus der Sache hervorgehen würden.   "Warum aber ausgerechnet dein Sperma?", hakte ich ungläubig nach. "Weil ich der Obergoth bin", entgegnete Luc ungerührt. "Der King, wenn du es so willst. Noch was?" Als ich den Kopf schüttelte, bahnte sich seine Hand den Weg zum Saum seiner Jogginghose. Mit bis zum Hals klopfendem Herzen beobachtete ich, wie seine Finger unter den Stoff glitten und schließlich mit seinem fest umklammerten Glied wieder zum Vorschein kamen. Ich hatte in der Tat schon einige männliche Geschlechtsteile gesehen, sei es unter der Dusche nach dem Sport oder nach dem Schwimmen, aber dieses Teil, welches sich mir hier so unverblümt präsentierte, konnte mit nichts zuvor Gesehenem verglichen werden. Vollkommen hart schien es beinahe bis zu Lucs Bauchnabel hinaufzureichen und als die Finger seines Besitzers aufreizend die Vorhaut nach unten schoben, fiel mein Blick auf eine dicke Eichel, die bereits feucht zu glänzen schien. "Appetit, Süßer?", raunte Luc in seiner lasziven Art und Weise, die ihm so unheimlich gut stand. "Du kannst noch 'Nein' sagen, dann blasen wir das Ganze ab...im unperversen Sinne, versteht sich. Dann wirst du aber auch nie ein wahrer Goth sein, sondern immer nur ein Normalo in Verkleidung bleiben, den nie jemand ernst nehmen wird. Ich verspreche sogar, dass ich dir nicht dein hübsches Köpfchen abhacken werde. Die Entscheidung liegt ganz bei dir..."   Ich weiß selbst nicht, was mich dazu bewog, einen Schritt auf den mich erwartenden Luc zuzumachen. Ein Schritt wäre ja noch gegangen, aber es blieb nicht bei diesem. Ich lief fast schon ein wenig zu entschlossen auf den anderen zu und realisierte, wie ich im Reflex vor ihm auf die Knie ging. Vor dem König. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so unterwürfig gefühlt und noch nie im meinem Leben raste dieses eigentlich erniedrigende Gefühl mit solch einem pulsierenden Verlangen durch meine Glieder. Zwar glaubte ich in diesem Augenblick noch, mich nie dazu durchringen zu können, meine Lippen über das zuckende Genital des anderen zu stülpen, und dennoch erwischte ich mich schon im nächsten Moment dabei, wie ich genau das tat. Lucs Atem zitterte in seiner Kehle, als ich seine Eichel in meinen Mund schob. Die ganze Sache war mir nach wie vor mehr als unheimlich, aber gleichzeitig überschritt ich gerade eine Grenze, die mein Verstand in meinem Leben gesetzt hatte und genau das war es, was mich dazu verleitete, meine Zunge über die sensible Haut gleiten zu lassen und von dem männlichen Geschmack dieses wahnsinnigen Typen zu kosten. Gerade als ich mich aber ein wenig an diese für mich so bizarre Situation gewöhnt zu haben schien, wurde ich bei den Haaren gepackt und hinaufgezogen. "Und?", wollte Luc mit belegter Stimme wissen. "Wie ist es, den Schwanz von Lucifer höchstpersönlich zu lutschen?" Ich wusste, dass er mir eine Frage gestellt hatte, aber ich versäumte es, darauf zu antworten. In meinem Kopf regierte eine weiche Masse aus Lust, Erniedrigung und dem Wissen, dass ich gerade dem Wahnsinn unterlegen war. Lucifer. Hatten sie nicht gesagt, dass die Gothicszene nichts mit irgendwelchen satanischen Sekten gemein hatte?   Das, was ich hier tat, tat ich aus dem Gefühl heraus. Was mir gefiel, das gefiel sicher auch ihm, dachte ich und saugte den großen, dicken Schwanz immer tiefer und fester in meine Mundhöhle, bis feuchte Tropfen auf meine Zunge perlten und ich für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete, Luc pisst mir in den Mund. Ich traute ihm bis ganz zum Schluss nicht, wusste nicht, zu was dieser Mann fähig war, der meine Naivität für seine Befriedigung benutzte. Doch ich war tief in mir sehr dankbar dafür, dass er mir irgendwann harsch seinen Schwanz entriss und mir eine beachtliche Ladung mitten ins Gesicht schleuderte. Wahrscheinlich wäre ich erstickt, hätte er es darauf angelegt, dass ich schlucke. So musste ich nur die Augen fest zusammenkneifen, wobei sich meine Lippen von selbst öffneten und ich bald schon ein wenig von seiner Soße auf meiner Zunge wahrnehmen konnte. Warm und leicht süßlich erschien mir die klebrige Flüssigkeit und ich fühlte mich gleichzeitig schrecklich und bis aufs Höchste erregt, als ich mir vorstellte, wie ich mit all dem weißen Zeug im Gesicht wohl ausschaute.   "Gut, Jungchen", meinte der andere, nachdem der ganze Spuk vorbei war und tätschelte mir dabei die noch immer bespritzte Wange, als wäre ich ein kleiner Schoßhund. "Das war nicht übel für einen, der nicht schwul ist. Aber dumm fickt ja bekanntlich gut." Er grinste sein schiefes Grinsen und ich schaute ihn verdattert ins Gesicht aufgrund des letzten Satzes, mit dem ich absolut nicht gerechnet hatte. Sicherlich verriet mein Blick die Fragen, die mir durch den Kopf schossen. Dumm? Ich? "Na ja, dumm ist vielleicht nicht das richtige Wort", berichtete Luc sich und strich mir die Haare nach hinten, aber aus dieser Geste sprach der blanke Hohn und ließ jeglichen Anflug von Zärtlichkeit vermissen. "Du bist einfach ein kleines Naivchen, das noch nicht viel weiß vom dem, was in der Welt so vor sich geht. Süßer, du solltest nicht jedem Menschen blind vertrauen, der dir über den Weg läuft. Die meisten wollen dich nur verarschen." Noch immer starrte ich auf ein und dieselbe Weise hoch zu dem schwarzen Prinzen auf dem Thron, der nun tatsächlich etwas von einem dominanten Herrscher hatte. Ich verstand nicht...kapierte nicht, was er mit seinen Worten meinte... "Falls du es noch immer nicht begriffen hast, was ich anhand deines Blickes beinahe glaube: Es gibt keine Prüfung, und es hat nie eine gegeben. Ein wahrer Goth muss auch nicht mein Sperma trinken. Sag bitte nicht, dass du das Märchen wahrhaftig ernstgenommen hast."   Doch genau das hatte ich getan. Ich hatte ihm und dem Wolfsrudel jedes einzige Wort geglaubt. Man wird sich nun vorstellen können, wie sehr ich mich schäme für meine schreckliche Dummheit. Ich schwor mir, ab nun jedes Vorgehen auf der Welt aufs Gründlichste zu hinterfragen und immer misstrauisch zu bleiben. Auch gegenüber unmenschlich schönen Wesen, wie sie der Gothicszene angehören. Noch einmal wollte ich nicht in Teufels Küche kommen und mich belügen lassen, ohne dass ich es bemerkte. Alles, was sie mir erzählt hatten, war ein albernes Hirngespinst. Die Gothicszene glaubte nicht zwangsweise an Satan. Und Lucs Sperma erhob mich nicht zu einem wahren Goth. Und dennoch gab es eine Sache, die ich in jener Nacht vernommen hatte und deren Wahrheitsgehalt nicht zu leugnen war.   "Weißt du, man kann nie ahnen, was sich das Unterbewusstsein wünscht, wenn man das Bewusstsein nie auf die richtige Fährte geführt hat. Und deshalb vermute ich, dass auch du keine Ausnahme sein wirst. Der Mensch ist dazu bestimmt, ein bisexuelles Leben zu führen. Es fließt in seinen Adern..."   Um sich selbst kennenzulernen sollte man viel mehr riskieren. Man sollte sich so manchen absurd erscheinenden Prüfungen stellen und keine Angst gegenüber dem Überschreiten selbst gesteckter Grenzen empfinden.   Und so kam es, dass meine Sehnsucht nach diesem Mann, der mich erniedrigt und zugleich emporgehoben hatte unstillbar wurde. Noch heute stehe ich jeden Samstag Punkt Mitternacht auf der Schwelle zur Steingasse 3 und läute dreimal bei Raphael Reiter. Und wieso er Reiter heißt, das weiß ich inzwischen auch. Kapitel 8: Originalteile ------------------------ Mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Schicksal manchmal ungewöhnliche Wege findet, um Wartenden die Zeit zu vertreiben. Wahrscheinlich war ich kein Einzelfall und nicht der Erste, dem der vermeintlich pure Zufall etwas mitzuteilen versuchte. Doch im Grunde denke ich noch heute über jenen Tag nach, der fast schon mysteriös anmutete. Frage mich, warum er sich ausgerechnet neben mich setzte und genau während meiner Zeit des Wartens diesen Anruf bekam. Das konnte fast schon kein Zufall mehr sein. Nein, es war das Schicksal mit seinen unlauteren Mittel, um ahnungslose Personen in eine Falle zu locken. In eine Falle, in die sie sich nur zu gerne selbstständig begaben, weil das Käsestückchen so verlockend ausschaute. Und wenn sie dann erst einmal eingeklemmt zwischen den Drähten zappelten und realisierten, dass es genau das war, was ihnen gefiel, dann schnippte das Schicksal hämisch mit den Fingern. Aber für mich war es keine Person, die über alles schaltete und waltete. Ich glaubte nicht an Gott und deswegen war da auch niemand, der überlegen auf mich zappelndes Ding in der Falle herabschaute und wissend die Arme vor der Brust verschränkte. Jedenfalls niemand, der auf den Namen Schicksal hörte.     Die Geschichte nahm an einem vollkommen normalen Tag ihren Anfang. Ein freier Tag, dem ich ganz meiner Freundin verschrieben hatte, weil wir in letzter Zeit ziemlich wenig Gelegenheit gefunden hatten, gemeinsam etwas zu unternehmen. Heute sollten all diese Dinge nachgeholt werden. Und mein Plan war konkret, beinhaltete viele Überraschungen für meine Liebste. Dass aber auch ich auf meine Kosten kommen sollte, davon ahnte ich noch nichts. Unser Weg führte uns in die Ladenpassagen in der Stadtmitte, wo wir uns zuerst ein kleines Eis als Einstimmung sowie zur Stärkung genehmigten, um mit voller Kraft den einzigen Szeneladen der Stadt anzusteuern. Ich wusste, dass Emily ihn liebte, sich stundenlang darin aufhalten konnte und ganz entzückt war von all den verspielten sowie etwas gruseligen Accessoires. Egal ob Ketten, Ohrringe oder Armbänder - sie verliebte sich so schnell in den hübschen Schmuck, und um ehrlich zu sein stand ich ihr in nichts nach. Nur bestand mein Problem eher darin, dass ich bei jedem Besuch schöne, neue Oberteile und Hosen entdeckte, die sich prompt einer Anprobe unterziehen mussten, und nicht selten ging ich mit leerem Geldbeutel, aber umso volleren Einkaufstaschen nach Hause. In diesen Momenten konnte ich von Glück reden, dass ich vor ein paar Monaten die Ausbildung zum Grafikdesigner beginnen durfte und somit ein kleines Einkommen vorzuweisen hatte. Ohne Job hätte ich mir diesen Luxus, der für mich beinahe schon ein Grundbedürfnis darstellte, nie leisten können. Und Emily erging es nicht anders. Leider gehörten zu ihrem Job als Krankenschwester regelmäßige Spät- und Nachtschichten, sodass unsere Beziehung sich häufig auf das Wochenende beschränkte. Aber dafür intensivierte sie sich auch. Gemeinsame Zeit kosteten wir richtig aus, und wenn wir nicht gerade einkaufen gingen, dann schliefen wir miteinander. Unsere Liebe war jung und unverbraucht und so viele Spielarten noch unerforscht und doch so interessant. Besonders einer Sache wollten wir uns in Zukunft vermehrt widmen. Aber das gestaltete sich mit wenig Ahnung und der fehlenden Ausrüstung ziemlich schwierig.   Irgendwann forderte unser Shoppingmarathon seinen Tribut in Form des berühmten Rufes der Natur. Natürlich war Emily diejenige mit der schwachen Blase und steuerte mit Ausfallschritt das Toilettenzentrum an, während ich Mühe hatte, ihr mit den vollen Beuteln in den Händen zu folgen. Als ich den Gang nach hinten lief, war sie bereits außer Sichtweite, was mich allerdings nicht weiter störte, denn ich wollte meinen armen, schmerzenden Füßen, die wie üblich in schweren Stiefeln steckten, ohnehin eine kleine Verschnaufpause gönnen. Deshalb nahm ich auf der Couch neben den Eingängen Platz und stellte seufzend aufgrund der Entlastung aber dennoch zufrieden meine Beutel zwischen meinen Beinen ab. Ja, und dann wartete ich. Schaute den vorbeieilenden Leuten zu, fing einzelne, zusammenhanglose Gesprächsfetzen auf und bewertete gedanklich das Styling einer Frau mittleren Alters, die sich aber selbst für höchstens zwanzig hielt. Ich schmunzelte, als ich darüber nachdachte, dass sie alle ihren natürlichen Bedürfnissen nachzugehen hatten, egal wie aufgedonnert das ein oder andere Fräulein wirkte. Aber so ist das eben. Der Mensch bleibt immer Mensch, er verändert nur seine optische Erscheinung. Selbst ein vielfach gepiercter Typ wie ich mit langen Haaren, schwarzen Klamotten und dicker Schminke ist unter seinen Klamotten einfach nur nackt. Und bei dem Typen, der sich nun förmlich neben mich warf und zu keinem Zeitpunkt den Blick von seinem Smartphone nahm, verhielt es sich nicht anders. Nein, die Beschreibung war nicht korrekt. Sie war viel zu banal und austauschbar, um meinen neugewonnenen Sitznachbar vorzustellen. Denn der Kerl, der da nichts anderes tat als sich in den wahrscheinlich sehr spannenden Internetwelten seines Telefons zu verlieren, war keiner der ganz gewöhnlichen Sorte. Obwohl ich es zu vermeiden versuchte, musste ich zu ihm rüber schauen, immer wieder, versuchte dies jedoch so unauffällig wie möglich zu bewerkstelligen, aber das war gar nicht nötig, bemerkte er mich ja doch nicht, wie ich meinte. Mit gespreizten Beinen hockte er auf der Bank, drängte mich damit beinahe ganz an den Rand, denn ich übertrieb keineswegs, wenn ich sagte, dass er riesig war. Riesig und sehr muskulös, und ich musste bei seinem Anblick an einen Wikinger denken, nur dass dieser Wikinger hier schwarze, lange Haare trug und keine roten. Auch von einem wüsten, ungepflegten Bart war nicht die Spur, lediglich ein schwarzer, dickerer Streifen teilte sein Kinn in der Mitte, wie ich erkennen konnte, als er sich die nach vorn gefallenen Haare mit einer seiner großen Pranken nach hinten schob. Dabei fielen mir die massiven Lederarmbänder auf und die mich schon ein wenig irritierenden schwarz lackierten Fingernägel. Da er aber auch ein schwarzes, nicht zu knapp bemessenes Augenmakeup trug, ergab das Ganze doch ein recht homogenes Bild. Denn es wirkte an ihm keineswegs so feminin wie zum Beispiel an mir, war ich doch eher zierlich und von kleinerer Statur sowie von Haus aus mit weichen Gesichtszügen und vollen Lippen ausgestattet. Man konnte tatsächlich sagen, dass ich mein Gegenteil getroffen hatte. Ich, mich eher zu den Gothics zählend, saß stumm glotzend neben einem Kerl, der sicher dem vornehmlich norwegischem Schwarzmetall frönte. So unterschiedlich wie wir in meinem Augen waren, so viel hatten wir auch gemeinsam, was ich bald schon herausfinden sollte.   Hastig lenkte ich meine Blicke an die weiße Wand mir gegenüber, als kruder, aus den Lautsprechern des Handys ziemlich verwaschen klingender Metal ertönte und der Kerl sich das Gerät prompt an das Ohr legte. Nun, im Grunde zählte ich mich nicht zu den Menschen, die Gespräche absichtlich belauschten, um somit ihre unendliche Neugierde zu stillen. Lieber hörte ich absichtlich weg, weil ich ohnehin wusste, wie wenig man mit den meisten Informationen anfangen konnte, da sie nichts Halbes und nichts Ganzes ergaben. Telefongespräche empfand ich deshalb meist eher lästig, weil man immer nur eine Seite hören konnte und sich dann stets den Kopf über die Reaktion der anderen zerbrach. Okay, ja, vielleicht lauschte ich doch ganz gern mal, wenn sich Fremde unterhielten, und deswegen tat ich es auch dieses Mal. Und wahrscheinlich war dies das einzige Telefongespräch, welches auf mein brennendes Interesse stieß. Die Stimme des Typen klang wie erwartet dunkel und rau, und manchmal nuschelte er auch ein wenig, sodass einzelne Wortfetzen nicht den Weg in meinen Gehörgang fanden. Aber das, was ich mitbekam, genügte mir, um mich ganz hibbelig werden zu lassen. "Also...zweiundvierzig Zentimeter Halsumfang, ja? Okay...ja, ja, natürlich, alles echtes Leder, butterweich zu tragen...ja...mit O-Ring vorne..." Man musste kein großes Kombinationsgenie sein, um herauszubekommen, dass es sich bei dieser Beschreibung um ein Halsband handelte. Und der O-Ring suggerierte mir zudem, dass hier von keinem gewöhnlichen Halsband die Rede war. Natürlich, mittlerweile trugen verschiedene Anhänger der schwarzen Szene Fetischschmuck, weil sie ihn als attraktiv erachteten, aber so wie es klang, schien der Wikinger-Typ selbst Halsbänder anzufertigen und welcher normale Schwarzträger ließ sich aus Schönheitsgründen ein an ihn angepasstes Modell auf den Leib schneidern? So was war stets mit einer Menge Kosten verbunden, konnte ich mir vorstellen. Und wer diese Kosten nicht scheute, dem musste es tatsächlich ernst sein. So ernst wie Emily und mir.   Der Typ kritzelte die Informationen, die ihm sein Gesprächspartner übermittelte, für mich vollkommen unleserlich auf den kleinen Zettel, der auf seinem imposanten Knie ruhte, bedankte sich dann sehr herzlich für den Auftrag und nahm das Handy vom Ohr. Das war meine Chance. So lange schon hatten meine Freundin und ich nach richtiger SM-Ausrüstung Ausschau gehalten, aber nie das Passende gefunden. Es sollte etwas Besonderes sein, etwas, das nicht jeder sein Eigen nennen konnte und das zudem bequem zu tragen war. Zugegebenermaßen waren das hohe Ansprüche, die wir an eine Sache stellten, die wir noch nicht einmal konkret ausprobiert hatten. Aber wenn, dann sollte eben alles stimmen. Von dem Schmuck über die Spielzeuge bis hin zu exquisiten Möbelstücken. Wir wollten keine Abstriche machen. Und es sah nun fast so aus, als würde das auch nicht nötig sein.   Ich hätte lügen müssen, hätte ich gemeint, ich sei nicht nervös gewesen, als ich den Mund aufmachte. Es lag mir nicht sonderlich, wildfremde Menschen anzusprechen und schon gar keine, die man aufgrund ihrer Statur lieber zum Freund als zum Feind hatte. Vielleicht wagte ich es letzten Endes aber, weil der Kerl im Grunde einer 'von uns' war. Und wir waren bekanntlich ein sehr friedliches Volk.   "Sorry, dass ich das eben mitgehört habe, aber...du fertigst SM-Halsbänder an?" Meine Stimme zitterte leicht und ich schimpfte mich selbst einen Idioten für diesen bescheuerten Einstiegssatz. Aber er genügte immerhin, um mir alle weiteren Türen zu öffnen. Der riesige Kerl drehte gelassen den Kopf in meine Richtung und besah mich mit einem eindringlichen Blick aus seinen grauen, tiefschwarz umrandeten Augen. Nicht gerade zuträglich für meinen ohnehin schon beschleunigten Herzschlag. Ich spürte, wie sich meine Ohren aufheizten. Doch als sich ein mir ziemlich freundlich vorkommendes Lächeln aus seinem Gesicht ausbreitete, entspannte ich mich wieder ein wenig. Und als er schließlich ganz ruhig mit mir zu reden begann, ahnte ich, dass ich es hier tatsächlich mit keinem bulligen Totschläger zu tun hatte, sondern mit einem ganz netten Mann.   "Na ja, so in etwa", erklärte er mir nun ebenso freundlich, wie sein Lächeln mir versprochen hatten. "Mein Kumpel ist der Handwerklichere von uns, der baut die Dinger zusammen, und ich vertreib sie dann in meinem Laden. Leather Strip. Kennst du?" Prompt schüttelte ich mein Haupt, von diesem Namen hatte ich lediglich im Bereich der Musik schon einmal etwas gehört. "Komm doch einfach mal vorbei, scheinst dich ja für Fetischzeugs zu interessieren", fuhr er fort und ich meinte, ein Blitzen in seinen Augen gesehen zu haben, gepaart mit einem erneuten Lächeln, das mich von der Seite streifte. Vielleicht bildete ich mir das aber nur ein. "Wir stellen übrigens nicht nur maßgeschneiderte Dinge her, ich hab auch ne kleine Auswahl im Laden. Halsbänder, Harnische...eben so Zeugs, du weißt schon. Da kannst du dich mal umschauen." Absolut begeistert speicherte ich mir die Anschrift des Ladens in mein Handy ein und ließ mir in dem Zug gleich noch die Nummer des Typen geben, damit ich ihn bei Fragen stets erreichen konnte. Ganz euphorisch war ich mit einem mal geworden und freute mich schon tierisch auf Emilys Reaktion, wenn sie erfuhr, dass ich an den Mann geraten war, der uns ein paar nette Spielzeuge verticken konnte. Aber das Flirren in meiner Magengegend rührte nicht nur davon. Etwas anderes war die Ursache dessen, etwas, das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht benennen konnte oder besser gesagt wollte. Weston oder kurz Wes, wie sich der Mann mir vorgestellt hatte, strahlte irgendetwas aus, das mich ganz und gar nicht kalt ließ. Er interessierte mich, ich erwischte mich ständig dabei, wie ich meine Blicke über ihn wandern ließ, wie meine Augen die kleinsten, aber für mich interessantesten Details regelrecht einsogen. Sei es die winzige Narbe auf seinem rechten Daumen gewesen oder einfach die Art und Weise, wie er die Zunge gegen die Innenseite seiner Wange stieß, was eine kleine Beule zur Folge hatte. Ja, ganz besonders das schoss mir ein weiches Gefühl mitten zwischen die Beine. Das verbunden mit seinem so kraftvoll und mächtig wirkenden Körper und der herben Farbe seiner Stimme. Und als es durch einen Zufall dazu kam, dass ich ein Stück näher an ihn gerückt war und ich den Duft seines Aftershaves wahrnehmen konnte, der sich frisch und gleichzeitig in so einem männlichen Ton in meiner Nase festsetzte, fiel ich bereits gedanklich vor ihm auf die Knie und sehnte mich nach etwas, das ich gar nicht näher beziffern wollte. Deswegen begrüßte ich es, als Emily ihren Toilettengang endlich beendet hatte und auch Wes von einer im Gegensatz zu ihm sehr unscheinbaren Frau abgeholt wurde, die mir bei seiner Ankunft überhaupt nicht aufgefallen war. Wir verabschiedeten uns und verblieben mit der Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen. Und dieses sollte bald stattfinden, denn Emily war von meinem Kontakt ebenso angetan wie ich. Dass sich in mir noch ganz andere Gefühle manifestiert hatten, verschwieg ich ihr selbstverständlich, schließlich maß ich ihnen selbst keine Bedeutung zu. An den kommenden Tagen hatte ich Wes tatsächlich fast vergessen. Erst als Emily am nächsten Wochenende vorschlug, ihm einen kleinen Besuch abzustatten, tauchten die Eindrücke wieder auf und in meinem Magen braute sich ein schweres Sommergewitter zusammen, das von einem hämischen Sonnenschein begleitet wurde. Wenn das mal keinen Regenbogen ergab. Dabei wusste ich schon seit ziemlich langer Zeit, dass ich manchmal ein wenig zu weit ans andere Ufer hinausschwamm. Emily hingegen ahnte nichts. Und ich verkniff es mir. So lange, bis ich es mir nicht mehr verkneifen konnte, weil es längst mein Unterbewusstsein besetzt hatte.   Wes' Laden beeindruckte nicht nur Emily, die bekanntlich Accessoires über alles liebte, sondern auch mich in einem nicht zu geringen Maße. Sogar so sehr, dass ich Wes selbst beinahe nicht mehr wahrnahm. Eine durch und durch rote Tapete sorgte im gesamten Geschäft für eine entsprechende Stimmung, die zwischen heißer Leidenschaft und dunkler Sünde pendelte. Die Lederriemen, die rechts von mir angebracht waren sowie die vielen dicken und dünnen Halsbänder in der Vitrine links unterstrichen diese Atmosphäre noch zusätzlich. Ich musste zugeben, dass mir Leder noch nie dermaßen sexy vorgekommen war. Na ja, vielleicht bis auf die Lederhose an Wes' Beinen letztens...   "Angel, komm mal, ist das nicht wunderschön?" Emilys aufgebrachte Stimme durchschnitt meine wandernden Gedanken und einmal aufgewacht aus diesen bösen Träumen stellte ich mich hinter sie und betrachtete nun über ihre Schulter hinweg die wirklich sehr beeindruckend wirkenden Halsbänder. In Gothicgeschäften fand man selbstverständlich ähnliche vor, nur waren diese oftmals mit Nieten besetzt und bei Weitem nicht so schlicht wie diese hier gestaltet. Wieder einmal musste ich feststellen, dass weniger oft mehr war, denn diese aus nichts weiter als aus purem Leder, einem kleinen Metallsteg an der Front für den Ring und einem Verschluss gefertigten Prachtstücke wussten mir weitaus mehr zu gefallen als jeglicher herkömmliche Gothicschmuck.   "Ich glaube, das da würde dir gut stehen und ich denke mal, es würde dir sogar passen", meinte Emily nach einer Weile des Betrachtens und deutete mit dem Finger auf das ebenfalls für mich allerschönste Stück, welches erhaben zwischen den anderen in der Mitte thronte. Wes, ganz der empathische Verkäufer, der seinen Kunden jeden Wunsch von den Augen ablas, reichte es uns ungefragt und ich war derjenige, der es schließlich bewundernd in den Händen hielt. Denn ich war derjenige, der es tragen sollte. Ganz behutsam öffnete ich seine Schnalle und legte es mir um den Hals, aber selbstständig schließen konnte ich es nicht. Und auch dieses Mal war Wes gleich wieder zur Stelle. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Emily sich bei den Lederarmbändern umschaute und sich für diese plötzlich mehr zu interessieren schien als für mich.   "Warte, ich helf dir", bot mir der große Mann an und noch ehe ich es mir versah hatte er sich hinter mich geschoben und nestelte an dem hartnäckigen Verschluss herum. Dass seine Fingerspitzen dabei meinen Nacken bei Weitem nicht nur einmal berührten, wirkte sich nicht gerade vorteilhaft auf meine Hormone aus. Und dass Wes zu guter Letzt auch noch meine Haarpracht packte, um sie zurück auf meinen Rücken zu legen, gefiel mir beinahe schon etwas zu gut. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben betete ich zu Gott, er möge mir doch bitte keine roten Wangen und einen glasigen Blick bescheren, denn nach vollbrachtem Werk stellte sich Wes wieder vor mich und begutachtete mich aus kritischen Augen von oben bis unten. Als ich bemerkte, dass er etwas sagen wollte, rief ich schnell nach Emily, die sich sofort in Bewegung setzte und mich mit einem Funkeln im Blick musterte. Der Kauf war demzufolge auch ohne Worte längst beschlossene Sache. Aber etwas fehlte uns trotzdem noch: Eine Kette mit Karabinerhaken, die man an dem Ring befestigen konnte. Auch das hatte Wes zu bieten und knipste sie mir schließlich unter Emilys beinahe schon erregten Blicken selbstständig an. Aber um ehrlich zu sein fand ich nun nicht nur in dem ihren so etwas wie einen schwarzen Hunger. Auch Wes' Augen wiesen diesen Hauch gieriger Dunkelheit auf, als ich es einmal wagte und zu ihm aufschaute, und was das mit mir machte, das brauche ich wahrscheinlich nicht mehr näher zu beschreiben.   Wir waren ab diesem Tage stolze Besitzer eines ersten SM-Spielzeuges, der Weg war also für mehr geebnet. Dass ich bereits ein Auge auf die Harnische geworfen hatte, war Emily bewusst. Doch dieses Mal sollte es ein ganz besonderes Stück sein, ein Originalteil, etwas, das in dieser Form noch niemand hatte und was sich perfekt an meinen Körper anzuschmiegen wusste. Kein einziger Riemen sollte während des Liebesspiels auf meiner schweißbenetzten Haut reiben und keine Schnalle in mein Fleisch schneiden. Ich empfand zwar mehr und mehr Lust am Schmerz, aber dieser sollte doch eher vom Partner wissentlich ausgelöst werden als durch den schlechten Sitz zu straffer Riemen. Genau das war es, was ich Wes am Telefon erzählte, als ich unseren Harnisch in Auftrag gab. Es war nicht zu überhören, wie er gerade bei letzteren Worten vor sich hin schmunzelte und ich hatte das Gefühl, dass er nur zu gut wusste, was ich damit meinte. Als habe er selbst Erfahrung mit derartigen Dingen. Mit Halsbändern, Lederharnischen und allem, was sonst noch dazugehörte. Dieser Gedanke war es schließlich auch, der mir des Nachts diese gewissen Träume bescherte. Beinahe täglich wachte ich auf, während sich die Welt vor dem Fenster noch in tiefen Schlummer wog, schwitzend, aufs höchste erregt und noch immer gefangen von diesen intensiven Bildern, die man kaum von der Realität zu unterscheiden wusste. Sie alle zeigten diesen Mann, dessen Züge ich nur verschwommen wahrgenommen hatte, dafür waren seine Berührungen umso deutlicher gewesen und hatten sich tief in mein Fleisch geschnitten, tiefer als es jeder schlecht sitzende Harnisch zu tun vermocht hätte. Obwohl ich das Gesicht des Mannes nicht erkannt hatte, so wusste ich doch nur zu genau, um wen es sich da gehandelt hatte. Wer der Kerl war, der mich Nacht für Nacht um den Verstand brachte, mich harsch auf sein Bett stieß und sich wie ein Tier an mir verging, während ich im Lustrausch an meiner Kette zog. Ich wusste, dass ich mich schon bald nicht mehr gegen mein heimliches Verlangen wehren konnte, und dass wir den Harnisch bei ihm in Auftrag gegeben hatten, machte es unmöglich, ihm einfach aus dem Weg zu gehen. Und außerdem war das das Letzte, was ich wollte. Erst Recht, nachdem ich eines Tages das Internet nach Wissenswertem zum Thema SM durchforstet hatte und dabei eine äußerst interessante Sache in Erfahrung brachte. Ständig war hierbei die Rede vom Meister, der seinem Sklaven eigenhändig das Halsband umlegte; es schien fast so, als wäre dies eine ungeschrieben Regel in diesen Kreisen. Und ich dachte mit pochendem Herzen an jenen Tag zurück, an dem ich mein Halsband bekam. Nicht Emily hatte es mir umgelegt. Sondern Wes. De Facto gehörte ich nun ihm. Und wenn ich mich so an meine Träume besann, dann wusste ich, dass es stimmte. Aber ob auch er sich darüber im Klaren war? Ich wollte es in Erfahrung bringen, unbedingt. Und die Gelegenheit sollte sich mir bieten.   Es waren erst ein paar Tage ins Land gezogen, bis Wes mich mit einem Anruf darüber in Kenntnis setzte, dass der Harnisch im Laden auf seinen Besitzer wartete. Ich versprach, noch an diesem Nachmittag vorbeizukommen, schließlich hatte ich frei und da Emily im Krankenhaus war, lungerte ich ohnehin nur gelangweilt zu Hause herum.   Bei meiner Ankunft erschien es mir beinahe so, als hätte Wes bereits auf mich gewartet. Vielleicht war die familiäre Stimmung auch nur dem wirklich sehr kleinen Kundenkreis in die Schuhe zu schieben, aber ich bildete mir eben ein, dass er sich schon ziemlich auf mich freute. Schließlich gab er mir bei der Begrüßung sogar die Hand und lächelte mich an wie einen alten Freund, obwohl wir uns kaum kannten. Das alles begleitete wieder dieses Dunkle in seinen Augen, und spätestens dann rasten wieder diverse Sequenzen aus meinen Träumen durch meine Gedanken. Besonders prägnante Szenen, die mir noch während meiner anschließenden Onanie mitten in der Nacht einen heftigen Orgasmus beschert hatten. Große, starke Männerhände, die mein bestes Stück packten und es sich ohne Umschweife tief in die Mundhöhle schoben. Ein noch größerer Schwanz, der gegen meinen eigenen rieb. Ein verschwommenes Gesicht, welches zwischen meinen Beinen verschwand und eine Zunge, die mich mit ihren unermüdlichen, rhythmischen Bewegungen beinahe in den Wahnsinn trieb. Nun spürte ich den Schleier förmlich, der meine Augen benetzte und es war mir leicht unangenehm, kam ich mir mit diesem Verräterischem Ausdruck im Gesicht doch ziemlich nackt vor. Wes aber schien es nicht zu kümmern, er präsentierte mir kurze Zeit später meinen Harnisch und für einen Moment waren alle feuchten Träume vergessen, denn ich war viel zu eingenommen von diesem wundervollen Anblick, der sich mir bot.   Fast schon ehrfürchtig befühlten meine Fingerspitzen das glatte Leder, während meine Augen die Details erkundeten; den Ring in der Mitte, der sich an der Front sowie auf dem Rücken befand. Die Gurte, die sich über meine Schultern schlingen sollten, und ganz besonders jene, die sich ihren Weg zwischen meinen Beinen hindurchbahnen, aber natürlich meinen Schritt freilegen würden. "Willst du ihn gleich anprobieren?", wollte Wes von mir wissen, seine Stimme war warm und schwer, es war die aus meinen Träumen, die sich oft zu einem Knurren geformt hatte und meinen Namen so wunderbar zu intonieren wusste, dass es für mich beinahe schon wie ein süßes Musikstück klang. Ich nickte, und daraufhin übergab Wes mit achtsam den schweren Harnisch, mit dem ich mich nun in die Umkleidekabine zurückzog.   Zunächst versuchte ich, ihn über meine Klamotten zu ziehen, aber das gelang mir nicht, da jene ständig Falten zogen und ich es erst gar nicht schaffte, ihn über meine Hose zu zerren, fürchtete ich doch, ihn gleich kaputtzumachen. Leder war zwar bekanntlich ein ziemlich robustes Material, aber man konnte nie wissen. Zudem besaß dieses Teil in meinen Augen größeren Wert als jedes Gold der Welt. Es war mein Schatz, den ich immer gut behüten wollte. Schließlich gab ich mir einen Ruck und begann mich auszuziehen. Es war nicht so, dass ich es verabscheute, mich selbst nackt zu wissen, viel mehr war es die Tatsache, dass ich mich bisher nie weiter als bis auf die Unterhose in einem Geschäft ausgekleidet hatte, die mich etwas verunsicherte. Trotzdem ich solche expliziten sexuellen Wünsche hegte, blieb ich der schüchterne Junge mit den vielen Piercings im Gesicht und den schwarzen Klamotten, der gegenüber Fremden nur schwer den Mund aufbekam. Aber das war bei Weitem noch nicht alles, was mir während meiner kompletten Blöße ein nervöses Bauchkribbeln bescherte. Die Gewissheit, dass Wes irgendwo da draußen stand, lediglich durch den roten Vorhang von mir getrennt, wog im Moment schwerer als alles andere. Prompt schoss wieder das gnadenlose Gefühl der Erregung in meinen Körper und präsentierte sich mir offensichtlich in Form meines schon bald komplett aufgerichteten Gliedes. So schnell wie möglich versuchte ich mir den Harnisch überzuziehen, aber als ich ihn auf dem Leib hatte, bemerkte ich, dass die Schnallen an manchen Stellen nicht eng genug eingestellt waren und es mir so unmöglich machten einzuschätzen, ob das Teil passte oder nicht. Ein paar Mal versuchte ich verzweifelt an der Schnalle auf meinem Rücken herumzupfriemeln, aber ich konnte sie wenn überhaupt nur mit meinen Fingerspitzen erreichen. Scheiße. Wäre ich nur mit Emily hergekommen. Ich fluchte mehr oder weniger leise vor mich hin, presste aber dann schnell die Lippen aufeinander, schließlich wollte ich mich nicht bemerkbar machen. Dass ich aber genau das getan hatte, zeigte sich, als ich ein Schemen vor dem roten Vorhang bemerkte, das immer größer zu werden schien. Schließlich konnte ich Wes beinahe atmen hören. Zwischen uns lag vielleicht noch ein halber Meter, lediglich unterbrochen durch das dünne Stückchen Stoff. Und ich war nackt. So nackt und nun so hochgradig erregt, dass meine Hände sogar leicht zu zittern begannen.   "Alles klar?", hörte ich Wes' Stimme von draußen fragen. "Ähm...ähm..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Aber mein Unterbewusstsein entschied einmal mehr für mich. Denn ihm war klar, dass ich längst ein Sklave war. Ein Sklave meiner eigenen zerrenden Lust.   "Das Ding ist zu weit...also...man müsste es enger stellen, aber...ich komm da nicht ran", stammelte ich und versuchte noch ein letztes Mal voller Verzweiflung die Schnalle zu erreichen, aber vergebens. Man kannte Wes ja. Er las seinen Kunden jeden Wunsch von den Augen oder manchmal auch von den Lippen ab. Deswegen verstand er auch, dass ich seine Hilfe wünschte. Es kam mir allerdings ziemlich zögerlich vor, wie er den Vorhang leicht zurückschob und sich zunächst ohne einen Blick auf mich zu werfen in das Innere der Kabine schob, zu mir. Anschließend sorgte er wieder dafür, dass der Vorhang geschlossen wurde und erst dann konnte er sich nicht mehr davon abhalten, mich mit hastigen Blicken von oben bis unten zu mustern. Dieses Mal waren es eindeutig seine Augen, die die Eindrücke förmlich einsogen, so viel wie möglich gleichzeitig zu erfassen suchten. Und ich konnte nicht mehr tun, als einfach nur dazustehen und zu versuchen, mich diesem Reißen, Pochen und Zerren in meinem Körper nicht vollkommen hinzugeben. Er sah mich, er sah mich nackt, er sah mich nackt und erregt. Und seine Augen, seine sonst so hellen Augen, sie waren schwärzer als die Nacht, als meine Blicke die ihren einfingen.   "Könntest du...", setzte ich mit bebender Stimme an und deutete unmissverständlich auf meinen Rücken, um der Situation zu entkommen, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte. "Na klar", brummte Wes, im Gegensatz zu mir die Ruhe selbst und ich wog die Möglichkeit ab, dass die Schwärze in seinen Augen vielleicht gar nicht von seiner Hingerissenheit über meinen nackten Körper rührte, sondern ein Relikt von etwas anderem war, aber nicht von Erregung. Schließlich bestand noch immer die Möglichkeit, dass er sich sexuell nicht zu Männern hingezogen fühlte. Im Grunde wusste ich nämlich nichts über ihn, reinweg nichts; alles, was ich meinte zu wissen waren reine Vermutungen gewesen, nichts weiter. Und es wäre gut gewesen. Es hätte alles entschärft. Womöglich sogar die bösen Dämonen getötet, die mich des Nachts und mittlerweile auch tagsüber heimsuchten. Aber das Schicksal wollte es anders.   Geschickt zurrte Wes an meinem Gurt herum, wesentlich bestimmter als ich es vorhin noch zu tun gewagt hatte. Letztlich passte das Teil wie angegossen und ich warf meinem eigenen Spiegelbild beeindruckte Blicke zu. Wahrscheinlich wirkte es ganz so, als hätte ich wegen meiner selbst eine Erektion herausgebildet, aber dem war nicht so. Bei Weitem nicht. Ich fand mich attraktiv, selbstverständlich, aber meine Lust, die galt im Moment nur ihm allein. Dem Mann, der noch immer hinter mir stand und weder etwas sagte noch sich aus der Kabine zurückzog, sondern einfach nur schaute. Auf mich. Auf mein Spiegelbild. In dessen Augen. Auf dessen Penis.   "Wundervoll...", raunte ich, da mir nichts besseres einfiel. "Es ist perfekt..." "Ja", kam es nicht weniger angetan von Wes, was mir erneute Krämpfe zwischen meinen Beinen bescherte. Just in diesem Augenblick fiel mir die Sache mit dem Halsband ein, von der ich im Internet gelesen hatte. Die Sache, auf die ich ihn ja noch dezent ansprechen wollte. War das der richtige Zeitpunkt? "Wusstest du eigentlich, dass derjenige, der einem Devoten das Halsband umlegt, sein Master ist?", formten meine Lippen die Worte und auch dieses Mal nickte Wes wieder auf seine fast schon weise und beharrlich anmutende Art. "Ja, das wusste ich", bestätigte er mir nun auch noch mündlich. "Du hast es mir umgelegt, also...also...", presste ich mit letzter Kraft aus meinen Lungen, brach dann aber ab, als ich Wes' warme, raue Hände auf meinen bloßen Hüften spüren konnte sowie die Hitze seines Körpers. "Also bin ich dein Herr", ergänzte er letztlich nahe meinem Ohr, ganz nahe, es war fast nur noch ein stimmloses Hauchen. "Im Grunde gehörst du nun ganz mir...und weißt du auch, was die Farbe Schwarz zu bedeuten hat?" Ich schüttelte leicht den Kopf, was ihm zu einem hörbaren Lächeln animierte. "Schwarz bedeutet, dass du von Fremden angesehen, aber nicht berührt werden darfst..." Sein Griff wurde schlagartig fester. Fordernder. Sein Körper presste sich gegen mich. Meine kleine Welt stand Kopf. Ich stöhnte beinahe auf, winselnd und nach mehr geifernd, aber ich hielt meine Klappe, atmete lediglich heftiger. Sog seinen Duft ein. Ich war Wachs in seinen Händen. Denken konnte ich schon längst nicht mehr, schon gar nicht an Emily. In diesem Universum gab es nur noch Wes, mich und unsere Lust aufeinander. Zu keiner Sekunde zweifelte ich mehr daran, dass er mich auch wollte. Er ließ es mich unmissverständlich wissen.   "Aber...du hast ja deine kleine, süße Freundin, und ich will euch wirklich nicht auseinanderbringen", meinte Wes kurze Zeit später und distanzierte sich nicht nur stimmlich, sondern auch körperlich von mir, was mich beinahe schon mit Verzweiflung und Empörung reagieren ließ. Er sollte mich anfassen, er sollte mich küssen, mich beißen, mich nehmen, meinen Körper regelrecht ausbeuten, alles war mir recht, nur wollte ich ihn spüren können. Ich machte meinen Mund auf, um etwas zu sagen, aber ich wusste ohnehin nicht was, und Wes war außerdem schneller als ich. "Es tut mir leid, ich konnte einfach nicht anders. Du hast mir so gut gefallen, Angel...aber, aber...sag mir wenigstens, ob du auf Männer stehst." "Ich...bin bi", erwiderte ich atemlos und mit einem Mal wuchs eine Entschlossenheit in mir, der ich Ausdruck verleihen musste. "Und ich will, dass du es mir machst...ich bin heiß auf dich...nur auf dich..." Oh ja, und wie ich das war. Ich spürte den Schweiß förmlich auf meinem Rücken kochen und hatte keine Ahnung, wie lange ich dieses Spiel noch aushalten würde.   "Angel..." Er presste mir seine Lippen auf den Hals, so hungrig, ließ begehrlich seine Zunge über meine Haut gleiten. Ich hörte meinen Atem in meiner Kehle zittern, wähnte ich mich doch endlich am Ziel meiner Reise; er hätte alles mit mir machen dürfen, ich war vollkommen gelähmt vor Lust, vor Verlangen. Krämpfe waberten in meinen Lenden, die zu einem fast nicht auszuhaltenden, aber doch so süßen Schmerz anschwollen, als Wes seine Hände zwischen meine Beine schob und mich grob, aber dennoch einfühlsam zu massieren begann. Mein Körper reagierte darauf, indem ich den Kopf in den Nacken warf, welcher dabei auf Wes' breiter Schulter zum Liegen kam, mit geöffneten Lippen, aus denen aber noch kein Stöhnen drang, sondern nur unser Speichel, als Wes mich hart küsste. Mit nichts auf der Welt ließ sich dieser Kuss vergleichen, innig, köstlich und mit so einer Leidenschaft versehen, die meinen willenlosen Leib unter heißen Schauern beben ließ, während meine Zunge sich gegen die von Wes schmiegte und ich dabei den Mann schmecken konnte, den ich so heiß begehrte, seit dem ersten Tag unseren Zusammentreffens. "Am liebsten würde ich dich zu meinem Lustknaben erziehen", eröffnete mir Wes atemlos zwischen zwei Küssen. "Wenn es das ist, was du auch möchtest." Das war es. Natürlich war es das. "Mh...möchtest du einen kleinen Vorgeschmack darauf haben, was dich erwartet, wenn du dich in meine Hände gibst?" Musste ich darauf wirklich noch antworten? Im Grunde genügte ihm schon mein zittriges Keuchen, es war für ihn der Befehl, sich auf die Knie zu begeben und dies wiederum bedeutete mir, mich herumzudrehen und abzuwarten, was nun kommen mochte. Seine starken Pranken schlugen sich in mein Sitzfleisch und zogen mich näher zu ihm heran, so nahe, dass er mühelos meinen Schwanz packen und sich dessen Spitze auf die herausgestreckte Zunge legen konnte, wobei er mir unablässig in die Augen schaute. Sein feuchter Muskel flatterte gegen meine Eichel und die dabei aufkommenden Schlabbergeräusche begannen mich unablässig in den Abgrund zu zerren. Als er mich schließlich mit langen, festen Zügen lutschte, wurden die Bilder hinter meinen verschleierten Augen zunehmendes unklarer. Ich spürte nur noch, wie wir irgendwann einen Rhythmus fanden, den er mir mit seinen um meinen Schwanz dumpf klingenden Atemzügen vorgab und dem meine Hüften wie im Rausch folgten. Schließlich hielt ich es nicht länger aus und gab mich den angestauten Gefühlen hin, versuchte Wes dabei zuzuschauen, wie er meinen Orgasmus gekonnt mit dem Mund abfing und lediglich ein paar weiße Tropfen von seinen Lippen und meinem Schaft perlten. Vor seinen Augen zu kommen war so geil, ich würde sogar sagen, es war das Geilste, was mir je passiert war. Wir hatten die Welt um uns herum vergessen, längst befanden wir uns nicht mehr im Laden, sondern nur noch unter unserer kleinen, engen Glocke aus Lust. Umso heftiger brach deshalb die Realität über uns hinein. Das helle Klingeln verriet Kundschaft. Gerade hatte sich Wes sein Shirt über den Kopf ziehen wollen, dem anschließend auch noch der Rest seiner Kleidung folgen sollte, denn bisher war nur ich auf meine Kosten gekommen. Mitten in der Bewegung hielt er inne und warf mir einen beinahe verzweifelten Blick zu. "Wir holen das nach", versicherte er mir allerdings mit einem Funkeln in den Augen und ausgestrecktem Zeigefinger, dann verschwand er aus der Kabine und während ich mich anzog, verblasste der ganze Zauber nach und nach. Für heute. Morgen schon würden wir unser Spiel an genau derselben Stelle fortsetzen, an der wir heute aufhören mussten. Denn ich brannte darauf, mich zu Wes' Lustknaben erziehen zu lassen. Mich in seine Hände zu begeben. Mich von ihm nach Lust und Laune formen zu lassen. Verwöhnungen zu empfangen, aber auch selbst großzügig zu verwöhnen. Denn ein verzogener Lustknabe ist ein zickiger, unwilliger und undankbarer Lustknabe, so Wes' Worte. Und er hat Recht.   Und dann ist da ja noch Emily. Emily, die ich liebe. Was sie wohl dazu sagen wird, wenn ich ihr die Sache mit Wes Beichte?   Was meinst du? Wie wird sich mein Schicksal entscheiden? Kapitel 9: Brief ---------------- Hey Pekka,   wie soll ich eigentlich beginnen? Aber was frage ich das dich. Ich bin schließlich derjenige, der nach ewigem Zögern zu Stift und Papier gegriffen hat, um dir etwas mitzuteilen. Etwas, das ein Ventil sucht. Das ich herauslassen muss. Weil es stets und ständig durch meine Gedanken spukt.   Es fällt mir schwer, das hier zu schreiben...in Worte zu fassen...denn eigentlich gibt es keine geeigneten Worte hierfür. Würde ich nun das Wort 'Liebe' verwenden, es würde alles ins Banale ziehen, denn Liebe ist es nicht, was ich für dich empfinde. Liebe lag bereits in jedermanns Mund, verließ schon tausend Zungen; Liebe hat mit den Jahren immer mehr an Wert verloren. Tausendmal gehört, tausendmal ausgesprochen. Nicht vergleichbar mit dem, was du für mich bist.     Noch immer erschienen mir diese ganzen Begebenheiten so unwirklich. Dabei hatte ich seit Stunden, Tagen und Wochen fast rund um die Uhr Gelegenheit gehabt, in dieses Gesicht zu blicken, mich an seine Augen, seine noch immer so makellosen Züge zu gewöhnen. Doch es gelang mir einfach nicht, mich an ihm sattzusehen. Er kam mir wie ein Wunder vor, ein Kunstwerk, etwas, das so schön und mir vor gar nicht allzu langer Zeit noch so fern war.   Genau deswegen bewunderte ich ihn auch an diesem Abend mit einer schieren Fassungslosigkeit, die immer wieder mit einem tiefen, warmen Gefühl verschwamm, welches die Menschen wohl Liebe nennen würden. Über all die Jahre hatte sich dieses Empfinden in meiner Brust gehalten, war zwischendurch kurzzeitig verblasst, aber als ich mich meinem Ziel immer näher wähnte, breitete es sich erneut mit einer Intensität in meinem Körper aus, die mich ganz an den Anfang katapultierte, hin zu dem dumpfen Flirren im Bauch, als ich zum ersten Mal sein Foto in einer Zeitschrift erblickte. Das hatte mir bewiesen, dass man sich in manche Menschen auch mehrmals verlieben konnte. Und dass die Seele nie vergaß, wie es sich damals angefühlt hatte. Selbst mit Mitte zwanzig kannst du noch das Kribbeln und den süßen Krampf spüren, der zuletzt mit sechzehn dein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte. Wenn es noch in dir schwelte, dann brauchte es nur eine Gelegenheit, um wieder zu erwachen. Und manchmal stieg es gar mit einer weitaus größeren Intensität aus der Asche.   "Ey, Pirat, willst du ne Kippe?" Er schmunzelte, wann immer ich ihn so nannte. Und dann musste auch ich schmunzeln. Er konnte auf eine Art und Weise lächeln, die einen immer mitzureißen wusste, egal, ob du nach einem erfolgreichen Gig am liebsten todmüde ins Bett gefallen wärst oder der Kater aufgrund eines feuchtfröhlichen Vorabends noch schwer in deinen Knochen wog. Wenn Pekka lachte, dann war die Welt in Ordnung. Obwohl sie für mich gleichzeitig aus den Fugen geriet.   Natürlich wollte Pekka eine Kippe. Bereitwillig reichte ich sie ihm, und dabei verbreiterte sich sein Schmunzeln noch. Dass meine Ohren zu glühen begannen und wahrscheinlich zusätzlich rot anliefen, wusste glücklicherweise mein Kopftuch zu verdecken. Denn nicht nur Pekka war ein Pirat. Auch ich war einer. Im Grunde hätten wir als Zwillinge durchgehen können mit unseren langen, schwarzen Haaren und dem ähnlichen Klamottenstil, den ich damals während der Blütezeit meiner Gefühle angenommen hatte. Ich wollte ganz einfach ein wenig Pekka bei mir haben, ein bisschen wie er sein, weil ich mich dann attraktiv fühlte. Schließlich war der Gitarrist der Inbegriff von Schönheit in meinen Augen. Und er war es bis heute. Dass ich mich der Gothicszene zuwandte, brachte noch einen weiteren Stein ins Rollen. Ich lernte Leute kennen, die die Magie der Dunkelheit ebenfalls zu faszinieren wusste und entdeckte dadurch meine Liebe zum Kreieren eigener Musik. Bald schon fand ich heraus, dass ich mich mit ein wenig Übung zu einem begnadeten Schlagzeuger mausern könnte; der Rhythmus schien mir im Blut zu liegen und es kam mir zugute, dass ich regelmäßig das Fitnessstudio aufsuchte, um dort meine Oberarmmuskulatur zu trainieren.   Mit ein paar anderen Jungs gründete ich schließlich eine eigene Band. Es war nicht immer so lustig, wie es sich vielleicht anhörte, denn es gehörte viel Selbstdisziplin und harte Arbeit zu dieser Sache, die zunächst als Hobby begann, aber schon bald in etwas Ernsthafterem ausartete. Aus den Coversongs wurden schon bald eigene Lieder, die wir in Gemeinschaftsarbeit schrieben, und ich ließ bei Weitem nicht nur einmal meine Gefühle für Pekka in die Lyrics einfließen. Natürlich wusste niemand, wer der Protagonist aus meinen Liebesliedern war, selbst dessen Geschlecht hatte ich aller Welt verschwiegen. In späteren Interviews stellte ich zur Genüge klar, dass ich nur an Frauen interessiert sei, um mir Hasstiraden oder merkwürdige Fragen zu ersparen. Denn irgendwann waren wir nicht mehr die kleine Garagenband, als die wir begonnen hatten. Wir hatten einen solch starken Willen an den Tag gelegt, dass wir einen Plattenvertrag erhielten. Eine große Ehre, gab es gerade in Finnland unzählige gute Rockbands, die jedoch für immer unentdeckt blieben. Wir sahen es als Tribut für unsere gute Arbeit an, freuten uns darauf, nun sogar ein wenig Geld verdienen zu können und bald schon unsere erste eigene Platte im gut sortierten Musikfachhandel entdecken zu können. Nur ich besaß zusätzlich einen weiteren Anreiz, in Zukunft noch härter und ausdauernder zu arbeiten. Denn ich wusste, wenn wir uns erst einmal einen Namen erspielt hatten, dann würde auch Pekkas Band irgendwann auf uns aufmerksam werden. Ich wähnte mich ihm bereits ganz nah, spielte mein Schlagzeug immer leidenschaftlicher und verfasste Songtexte, die so manchem Mädchen die Tränen in die Augen trieben, denn sie alle glaubten, ich hätte sie nur für sie geschrieben. Doch der, dem sie tatsächlich galten, ahnte sicher nicht das Geringste.       Vielleicht wirst du nun grinsen und den Kopf schütteln, während du das liest, denn selbst mir kommt es ziemlich pathetisch vor. Und eigentlich bin ich auch nicht der Typ, der derartige Briefe verfasst. Aber ich muss eine Ausnahme machen. Denn dieses namenlose Empfinden zerdrückt mir mittlerweile das Herz. Und umso länger ich es unausgesprochen in meiner Seele aufbewahre, desto schmerzhafter erscheint mir das bloße Denken an dich. An deine Augen. Ja, ich bin ganz ehrlich: Ich finde sie wunderschön. Kalt wie das Blau eines finnischen Sees sind sie. Und doch strahlen sie eine gewisse Wärme aus, etwas, das eine kleine Flamme in mir zum Erbeben bringt. Sie faszinieren mich, machen mich glücklich und traurig zugleich.   Oh ja, ich rutsche schon wieder in kitschige Gefilde ab. Es tut mir leid. Aber bitte zerreiße den Brief nicht gleich. Früher oder später wirst du es ohnehin tun, aber gib mir doch eine kleine Chance, ja? Ich verlange nicht einmal eine Antwort auf diese Zeilen eines kleinen Fanboys, der sich wie tausend andere in einen Musiker verguckt hat. Deine freie Zeit ist sicher begrenzt und wahrscheinlich würdest du als heterosexueller Mann auch schlichtweg nicht wissen, was du erwidern solltest. Das ist in Ordnung. Und ich mache mir keine Hoffnungen, habe ich nie getan. Du wirst für mich immer unerreichbar bleiben, und ich kann damit leben. Ehrlich. Besser gesagt, ich muss es.     Mir erschien jener Tag wie von einer höheren Macht auserkoren. Jener Tag, an dem wir mitgeteilt bekamen, dass wir bei der nächsten Tour von Pekkas Band als Vorgruppe fungieren sollten. Es riss mir förmlich den Boden unter den Füßen weg und in diesem Moment war alles wieder da. Alles, was mich damals so verrückt gemacht hatte. Die schwitzigen Hände, wann immer ich ihn vor mir auf der Bühne stehen sah, das grelle Licht der Scheinwerfer im Nacken, die ihm eine Aura verliehen wie die eines Gottes. Die weichen Knie, der donnernde Herzschlag. Ja sogar die sündigen Jungenfantasien, über die wohl so mancher den Kopf geschüttelt hätte. Ich hatte das Träumen fast aufgegeben, weil ich glaubte, es hätte keinen Sinn mehr, aber die Hoffnung, Pekka irgendwann gegenüberzustehen und ihm zu sagen, was ich für ihn empfand, war nie gestorben. Denn der Platz in meinem Herzen gehörte immer nur ihm. Auch wenn er sich zeitweise zu verkriechen wusste.   Wir beide erkannten schon bald, dass zwischen uns eine gewisse Chemie herrschte. Vielleicht mochte er gerade meine anfangs sehr schüchterne Art, für die ich mich hingegen verfluchte, aber es war mir nicht möglich, meine Nervosität abzustellen. Ich fürchtete, dass er mich für einen kompletten Vollidioten halten würde, dessen IQ niedriger war als die Zahl der Jahre, die ich bereits auf dem Planeten Erde verweilte. Schließlich laberte ich nur Scheiße, wenn wir nach den Gigs einen trinken gingen, und das auch noch mit einer Stimme, die nur zu gut zu einem Wahnsinnigen gepasst hätte. Zudem glaubte ich, nein, ich war mir ganz sicher, dass Pekka und sowohl auch die anderen von meinen Gefühlen Notiz genommen hatten. Doch niemand sprach mich darauf an. Vielleicht weil sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten oder weil sie mich nicht bloßstellen wollten. Denn nichts erschien mir klarer als die Heterosexualität Pekkas, welcher selbst mit dreißig Jahren noch hin und wieder Groupies beherbergte und am nächsten Tag mit wilden Geschichten prahlte. Dann wurde ich immer ganz still und ballte die Hände zu Fäusten. Verkrampfte mich komplett. Wollte am liebsten meine Ohren verschließen. Aber das funktionierte leider nicht. Ich musste der Wahrheit ins Gesicht sehen: So nah wie ich Pekka gekommen war, so weit entfernt war er doch. Sogar noch ferner als in der Zeit meiner bloßen Träume. Denn in diesen war Pekka genauso, wie ich ihn mir wünschte. Ich hatte mich schlichtweg in eine Vorstellung verliebt, nicht in einen Menschen. Ich hatte Dinge auf ihn projiziert, Eigenschaften, Verhaltensweisen, die der wahre Pekka überhaupt nicht sein eigen nannte. Und trotzdem wusste auch der richtige Pekka mein Herz zu erobern. Auch wenn er ganz anders war, was die Folge hatte, dass sich meine Gefühle gewandelt hatten. Sie galten einem Menschen und keiner Fantasie, keinem Hirngespinst mehr. Und das machte alles noch komplizierter. Aber auch intensiver.     Ich erwischte mich bei Weitem nicht nur einmal dabei, wie ich ihn an diesem Abend anschaute. Eigentlich wanderten meine Blicke ständig über seinen für mich so perfekten Körper und von dort empor zu seinem Gesicht, der Zigarette, die er sich zwischen die Lippen schob und deren Rauch er genüsslich inhalierte. Ab und an konnte ich leider nicht schnell genug ausweichen und so passierte es, dass er meinen Blick einfing und sogar für einen kurzen Augenblick festhielt, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Gleichzeitig rollte eine Woge warmen Schauers über meinen Rücken und ich schwor mir, von jetzt an vorsichtiger zu sein. Aber man sollte nicht annehmen, dass mir das gelang. Das Abbild von seinem Gesicht projizierte sich zwar jedes Mal für ein paar Sekunden auf meine Netzhaut und gab mir so die Chance, mich länger an seiner Schönheit zu weiden, aber ich vergaß schon bald die Details; der Schatten, der über seine Wangen fuhr, wenn er nachdenklich mit dem Kiefer mahlte oder die Bewegungen seiner Lippen, die fast nie in Ruhelosigkeit verharren konnten. Und wenn wieder ein Schwall Rauch aus seinem Mund trat, dann schaute ich unter Garantie schon längst wieder zu ihm hinüber und das Spiel begann von neuem.   "Für einen Kranken qualmst du heute aber ganz schön viel", warf ich irgendwann ein, um von der unsäglichen Stille abzulenken und sowohl etwas Normalität einkehren zu lassen. Die Spannung in der Luft zerdrückte mich fast. Aber vielleicht konnte dies nur ich spüren, weil sie von meinem Inneren ausging. "Meiner Sucht ist es scheißegal, ob ich krank bin oder nicht", erwiderte Pekka cool und stützte sich mit den Ellbogen auf der Matratze ab, wobei er seinen Blick in Richtung des Fenster richtete, obwohl sich da draußen alles längst in tiefe Dunkelheit gehüllt hatte. Doch mir kam das natürlich gelegen, ermöglichte es mir ein paar heimliche Blicke, die er nicht gleich wieder mit seinen kalten Eisaugen erwiderte. Ich fuhr über seinen Körper, verweilte an der bloße Brust, die unter der Lederweste hervorschaute und all meine Gedanken zu verwaschenen Nichtigkeiten verkommen ließ. Und da waren sie wieder, die sündigen Jungenfantasien. Doch ich durfte mich ihnen nicht jetzt hingeben. Nicht jetzt und nicht hier. Wir waren allein, und es würde auffallen, wenn mein Leib auf ihn reagierte. Aber ich hatte längst gelernt, mich zu beherrschen. Seit Wochen achtete ich auf kaum etwas mit solch einer Gewissenhaftigkeit wie auf meinen eigenen Körper. Ich durfte mich einfach nicht gehen lassen. Mein Geheimnis sollte sicher in meiner Brust aufbewahrt bleiben. Und doch schwirrte eine einzige Frage durch meinen Kopf, die alles verraten würde, würde ich es wagen und sie aussprechen. Ich spürte längst, dass heute der Tag gekommen war, um behutsam darauf einzugehen. Keiner würde einen dummen Spruch reißen, denn die anderen Typen machten die Kneipen unsicher, während ich mit dem sich nicht so gut fühlenden Pekka im Hotel geblieben war.   Ich konnte es nicht vergessen. Nicht für einen Moment, wenn er wieder an seiner Zigarette zog und die Asche am Ende verheißungsvoll aufglühte. Wie oft ich mir damals diese Bilder erdacht hatte, in allen Varianten vorgestellt; für mich war ein rauchender Pekka stets der Inbegriff von Laszivität, Erotik und Verführung. In meinen heißen Träumen zogen wir abwechselnd an ein und derselben Zigarette, während wir miteinander schliefen. Es entwickelte sich zu einem Spiel, gar einem Fetisch und auch an anderen rauchenden Männern fand ich mehr und mehr Gefallen. Aber keiner vermochte die Lippen so zu spitzen wie mein großes Idol. Keiner rauchte mit solch einer Hingabe, einer verruchten Lässigkeit und einem Schuss Schmutzigkeit wie Pekka. Wie gut er es noch immer beherrschte zeigte sich mir in diesem Augenblick. Pornografie. Und genau aus demselben Grund formulierte ich eine ganz besondere Bitte in meinem Brief an ihn. In dem Brief, auf den er mir natürlich nie geantwortet hatte.       Solltest du tatsächlich bis an diese Stelle gelesen haben, dann lass mich doch bitte einen kleinen Wunsch äußern. Etwas, das mir die ganze Welt bedeuten würde, solltest du ihn mir erfüllen. Wie du sicher schon bemerkt hast befindet sich in dem Umschlag eine Zigarette. Sie ist von einer guten, deutschen Marke, schmeckt mir jedenfalls sehr gut und ich wünsche mir von dir, dass du sie zur Hälfte rauchst und sie mir dann wieder zurückschickst. Ja, ich bin so ein komischer Freak, lach mich ruhig aus. Aber vielleicht tust du mir ja trotzdem den Gefallen. Einfach, weil es einen deiner treuen Fans unglaublich glücklich machen würde.   Ich denke an dich. Dein Max     Weggeworfen hatte er ihn, mit Sicherheit schon nach dem Überfliegen der ersten paar Zeilen. Oder gar nicht erst bekommen, weil seine Bandkollegen sich darüber hergemacht hatten, voller Spott, voller Hohn. Sie waren nette Jungs, natürlich, aber sie rissen des Öfteren Witze über Homosexualität, die ich ihnen allerdings nie übel nahm. Wenn man einen Menschen wirklich schätzte, dann verzieh man ihm vieles. So ziemlich alles sogar. Aber es erleichterte mich freilich, dass sich Pekka niemals an diesen Späßchen beteiligte. Er war kein Kindskopf, manchmal vielleicht gar etwas humorlos und in sich gekehrt, aber ich wusste mich mit all seinen Eigenschaften zu arrangieren. Ich lag ihm zu Füßen. Und ich fragte mich, ob er es sah, wenn er mir in die Augen schaute oder ob er einfach nur durch mich hindurchblickte, als wäre ich gar nicht anwesend. Aber noch mehr interessierte mich eine ganz andere Sache. Ich musste meine Seele endlich davon befreien, das wusste ich. Nie hätte ich es mir verziehen, wenn ich die Zeit hätte verstreichen lassen, ohne ihn auf diese Sache anzusprechen.   "Weißt du was?" Ich begann ganz zaghaft. Wartete mit donnerndem Herzen darauf, dass er seinen Kopf in meine Richtung drehte. Als sich unsere Blicke trafen, spürte ich bereits, wie sich alles um mich herum drehte. Wie sich meine Halsschlagader zusammenzuziehen schien. Ich wollte umkehren, aber ich war bereits einen Schritt zu weit gegangen. Es gab kein Zurück mehr. Aber es gab ein Leben nach dem Tod. "Ich bin ja schon ewig Fan von euch...", redete ich weiter, während ich mir vor Nervosität den ganzen Nacken zerkratzte und nachdenklich an die Decke schaute. "Ich glaub, seit ich fünfzehn war oder so..." Meine Stimme schlug wieder einen Salto. Wie ein Teenager im Stimmbruch. Es war beschämend. Aber auch dieser Moment würde vorbeigehen. Dass um Pekkas Mund nicht der Hauch eines Lächelns zog, erleichterte mir die Sache etwas. Aber ich fürchtete, dass ganz großer Unsinn aus meinem Mund purzeln könnte. Denn zum Nachdenken war ich längst nicht mehr fähig.   "So lange schon?", hakte Pekka schließlich nach. Seine Brauen zogen sich erstaunt in die Höhe, was seine Augen kugelrund wirken ließ. Es schien ihn tatsächlich zu interessieren. "Ja", gab ich zu, spürte, wie ich automatisch zu grinsen begann. "Ich hab dir sogar mal einen Brief geschrieben...schon ewig her...erinnerst du dich noch daran?" Endgültig war ich über meinen Schatten gesprungen. Ich hatte mich all diese Worte tatsächlich sagen gehört, es waren also keine stumme Gedanken wie so oft. In Schweiß gebadet rutschte ich auf dem Stuhl hin und her und hätte am liebsten die Augen zugekniffen, wie ein Kind, das hoffte, dass die Sternschnuppe seinen Wunsch in Erfüllung gehen ließ. Aber ich war kein Kind mehr. Und es gab auch keine Sternschnuppe. Nur noch Hoffnung.   "Einen Brief? Oh Gott..." Er schnaubte, rieb sich überlegend das Kinn. Ich hingegen hatte mich dazu entschieden, wenn ich schon nicht meine Augen zusammenkneifen durfte, das wenigstens meinen Lippen zu erlauben. So viele Sachen rasten gleichzeitig durch meine Hirnwindungen. Sollte ich ihm auf die Sprünge helfen? Oder doch auf halbem Wege noch den Schwanz einziehen? Denn er schien den Brief als unwichtig erachtet zu haben, wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Verbannt aus seinen Gedanken, vielleicht schon nach ein paar Sekunden. Erloschen mit dem nächsten Fanbrief, den er aus dem Umschlag zog. Herz gebrochen. Ja, es war wirklich leicht zu vergessen, dass sich hinter anonymen Textzeilen immer ein Mensch mit Gefühlen verbarg. Ich verstand das. Und trotzdem tat es mir damals unheimlich weh. Das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann, ist ihn mit Ignoranz zu besehen.   "Ja, ähm...der Brief mit der Zigarette...ich hatte mir eine halb gerauchte Zigarette von dir gewünscht...aber du hast mir nie geantwortet..." Ich lachte, obwohl mir nicht zum Lachen zumute war. Ich hätte alles lieber tun wollen als Lachen. All die Gefühle kamen wieder hoch, stauten sich in Form eines Kloßes in meiner Kehle an und schmerzten bei jedem Schlucken. "Zigarette...Zigarette...keine Ahnung, sorry", erwiderte Pekka schließlich nach einer Weile, schüttelte erst fast schon etwas mitleidig den Kopf, zog im nächsten Moment aber schon wieder ungerührt an seiner Zigarette. Kühl und unnahbar. Er hatte es verdrängt. Er wusste es noch. Aber er wollte nichts von meinen Gefühlen wissen. So erschien es mir. Aber wenn man fühlte, dann verwandelte man sich ganz plötzlich in einen Meister der Interpretation von Körpersprache und Stimmklang. Dann kam einem plötzlich alles wesentlich vor, jeder einzelne Wimpernschlag.   Es vergingen endlose Sekunden, in denen ich auf meinem Stuhl ausharrte, stumm, wie ein Hund, den man geschlagen hatte. Ich schämte mich, dass ich ihn darauf angesprochen hatte. Meine Gefühle erschienen mir mit einem Mal wie die unwichtigste Sache auf der ganzen Welt. Wertlos. Übertrieben. Albern. Und vielleicht waren sie es auch. Aber das in den Augen eines anderen lesen zu können tat einfach weh. Und wenn das dazu auch noch die Augen des Menschen waren, den man beinahe vergötterte aufgrund dem, was er war, dann verwandelte sich dieses Tiefe, Wahnsinnige und oft auch Schöne in etwas Schwarzes, Dunkles, Hässliches. Dann fühlte man sich ganz plötzlich wie ein gefangenes Tier. Und hasste. Hasste sich selbst. Nicht den anderen. Nur sich selbst. Denn darin lag der Ursprung für all den Scheiß.   "Du wolltest ne Zigarette von mir?" Pekka schien die Sache kurios zu finden. Ja, objektiv betrachtet war sie es sicher auch. Wenn an ihr aber Herzblut klebte, dann wirkte sie schnell tödlich. Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Es galt, mein Empfinden hinter einer Fassade aus Coolness zu verstecken, wie immer. Es erforderte meine ganze Kraft, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Ein offensichtlich leidendes Tier wurde erschossen. So lief der Hase nun mal. "Mh...komisch, oder?" Fassade. Lass sie niemals bröckeln. Wenn sie einstürzt, bist du tot.   Pekka streckte plötzlich seinen Arm in meine Richtung aus. Zwischen seinem beringten Zeige- und Mittelfinger qualmte ein halber Zigarettenstummel vor sich hin. "Hier", murmelte er beiläufig. "Kannst den haben. Die Post ging halt ziemlich lange." Zunächst konnte ich es noch gar nicht fassen. Ich erhob mich, machte so viele Schritte wie nötig auf ihn zu und beäugte die Zigarette in seiner Hand. Dann wurde mir eines klar. Das hier war ein Spiel. Ein wertloses Spiel. Ein Spiel, dessen Regeln er nicht begriffen hatte. Dennoch griff ich nach der mittlerweile erloschenen Hälfte des Glimmstängels und nahm sie an mich. Eigentlich war mein Kindertraum in diesem Moment wahrgeworden. Aber es fühlte sich nicht so an. Es fühlte sich nach nichts an. Als wäre alles in mir längst gestorben. Deswegen tat es nicht einmal mehr weh. Aber es machte wütend.   "Du hast es nicht verstanden, oder?" Er schaute mich an. Überraschung schwelte in seinem Blick. Überraschung über die Bestimmtheit in meiner Stimme. Wahrscheinlich hatte er mich noch nie so reden hören, denn ich war stets die Beherrschung selbst gewesen. Alles lebte hinter dieser Fassade. Und davor war alles tot. "Was verstanden?" Dreist. Ich warf den Stummel entschieden auf den Boden. Presste meinen Fuß darauf. Trat so lange darauf ein, bis nur mehr ein braunes Häufchen Tabak auf dem Parkett von der ehemaligen Zigarette zeugte. Wenn er die eine Geste nicht verstand, dann würde er diese auch nicht begreifen. Dieses metaphorische Zertrampeln meiner Gefühle.   "Ich habe mir die halb gerauchte Zigarette von dir gewünscht, weil ich das als eingefangenen Kuss erachtet hätte. Ich war verliebt in dich, Pekka. Ich habe dir das in dem Brief gebeichtet. Wenn du ihn gelesen hättest, dann wüsstest du es. Aber du hast ihn weggeworfen, wie die tausend anderen. Du hast die Herzen deiner Fans entsorgt, einfach so. Ich habe dich so geliebt, ich bin fast wahnsinnig geworden. Und dich kümmert es einen Dreck." Das Wort, das bereits in jedermanns Mund gelegen und schon tausend Zungen verlassen hatte, kroch plötzlich meine eigene Kehle hinauf und drängte ins Freie. Ich entließ es. Denn es war Vergangenheit. Die Illusion, die ich geliebt hatte, gab es nicht mehr. Sie war gestorben mit dem ersten Wort, das wir gewechselt hatten. Sie hatte einer anderen Liebe Platz gemacht. Der Liebe gegenüber einem Menschen. Der Liebe gegenüber einem, der es nicht verdiente.   Ich schwitzte. Aber längst nicht mehr vor Scham. Blanke Wut loderte in meinem Innersten. Wut, die mir so beengend und befreiend gleichzeitig erschien. Alles floss aus mir heraus, alle Gefühle, alles Angestaute. Und in diesem Moment starb auch der kleine Funken Hoffnung, der in der Asche gelodert hatte. Es würde niemals so sein, wie ich es mir erträumt hatte. Nicht mal im Ansatz. Ich war kein Kind mehr. Es gab keine Sternschnuppe. Und hier war auch keine Hoffnung mehr.   "Max..." In Unbeweglichkeit eingefroren stand ich da, beobachtete Pekka, wie er sich langsam erhob und auf mich zukam. Mit jedem Schritt, den er sich mir näherte, glomm mehr Wut in mir auf, bis ich tatsächlich überlegte, ihm eine zu klatschen, aber ich war schon pathetisch genug, das würde ich mir sparen. Nur hoffte ich, er würde nun nicht zu einem hintergrundlosen 'Es tut mir leid' ansetzen, denn er würde es nicht ernst meinen, es wäre eine bloße Floskel, aus reiner Höflichkeit geboren. Doch das Leben erwies sich einmal mehr als unberechenbar. Ich fand mich schon im nächsten Augenblick stocksteif in Pekkas Armen wieder, die Nase an seine Schulter gedrückt und seine Hände auf meinem Rücken ruhen spürend. Und ich ließ es einfach geschehen, krallte mich erneut an einer Illusion fest. Verfluchte mich dafür, aber ich war in dem Moment blind für alle Schlechtigkeiten dieser Welt.   "Ich hab dich nicht gekannt...du warst einer unter vielen...aber jetzt...jetzt kenne ich dich...und du bist kein Fan mehr für mich. Du bist...du bist..." Er drückte mich ein Stück weit weg von sich, und ich schaute ihm ganz verdattert in die Augen, meinte so etwas wie ein Funkeln erkennen zu können. Eine sich aufbäumende Welle in dem kalten See, die sich wie ein dunkler Schatten über dem Blau ausbreitete. Ich wollte mich dieser Faszination nicht länger hingeben, aber ich tat es. Ich war wieder ganz das gefangene Tier. Bemerkte nicht einmal gleich, wie er seine Hand auf meine Wange legte und mit dem Daumen über meine Haut fuhr. "Du brauchst keinen Zigarettenkuss mehr", hauchte er mir gegen meine Lippen, nach denen er mit seinen schnappte, ganz kurz nur. "Du kannst einen richtigen Kuss bekommen. Oder tausend. Oder eine ganze Nacht voll Küsse. Ich bin verliebt in dich, seit du zum ersten Mal vor mir standst." Er spielte sanft mit einer meiner langen Strähnen, die mir über die Schulter fiel. Lächelnd. Wärme. "Du warst so schüchtern, das fand ich unheimlich putzig..." "E-ernsthaft?", hakte ich ungläubig nach und dieses Mal war ich derjenige, der die Augenbrauen in die Höhe zog. "Oder sagst du das nur, damit ich nicht mehr sauer bin?" "Hmhm." Es sollte ein Nein sein. Und das genügte mir. Ich wollte ihm verzeihen. Denn das war es, was liebende Herzen so gut konnten. Nur Worte formulieren, das fiel ihnen schwer. Deswegen verloren wir uns nun lieber in einem tiefen Kuss, der aussagekräftiger war als irgendwelche banalen Worte. Denn keines hätte auch nur annähernd das beschrieben, was ich in diesem Moment empfand.   Ich war angekommen. Ich war kein Kind mehr, aber es gab Hoffnung, die einen so starken Willen in einem aufkeimen lassen konnte, dass daraus kleine Sternschnuppen wurden, die einem jeden Wunsch in Erfüllung gehen ließen. Egal, wie weit entfernt er einem schien. Kapitel 10: Aug' um Aug', Zahn um Zahn -------------------------------------- Aug' um Aug', Zahn um Zahn     „… so sollst du geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme. Und Rache für Rache.“     Erinnerst du dich an den Tag, an dem ich dafür sorgte, dass du für immer mein sein wirst? Erinnerst du dich an diese laue Aprilnacht, in der nur die rosa Blüten der Kirschbäume dabei zuschauten, wie ich dich auf ewig an mich band? Ich weiß, dass du dich erinnerst, brachte dieser Tag doch ebensolch ein hohes Schicksal für dich mit sich wie für mich. Du weißt, dass die Zeit, in der die Kirschbäume blühen, als die Zeit der Veränderungen betrachtet wird, die Zeit des Neuanfanges. Dieses Symbol hätte nicht treffender für mich sein können, wie ich feststellte, als ich dich erblickte.   Wie ein Engel standst du vor mir, deine langen, blonden Haare wogten sich im Wind, und du wurdest von tausend herabfallenden Kirschblüten umweht, während du mir einen Blick aus deinen Augen schenktest und prompt eine ehrfürchtige Verbeugung andeutetest, die mir galt. Ich erwiderte diese erst nach einigen verstrichenen Augenblicken, denn unsere Begegnung war für mich etwas ganz Besonderes. Du sorgtest mit deiner Ausstrahlung dafür, dass ich mich in meiner eigenen Welt verfing, in einer Welt, in der es jeden Tag Kirschblüten regnete und in der jeder Tag einen Neuanfang darstellte. Einen Neuanfang unserer Liebe, die somit niemals altern konnte. Unsterblich wie ein Vampir sollte sie in meiner Brust hausen, und ich wusste, dass das tief empfundene Prickeln meinerseits niemals erlöschen würde. Du warst nicht wie die anderen vor dir, du warst der einzige Mann, in den ich mich auf den ersten Blick verliebte. Ich kann nicht sagen, was es war, das mich zu dir hinzog. Vielleicht nur meine Sehnsucht nach so etwas Großem, Erfüllendem wie einer neuen Leidenschaft. Vielleicht aber auch deine in meinen verliebten Augen nahezu göttliche Erscheinung. Denn für solche Männer wie dich gibt es keine Worte. Du lächeltest, und da wusste ich, dass du für immer mein sein würdest. Für all deine Widerworte war ich taub geworden. Deine Schönheit hatte meine Ohren verschlossen, meine Sinne vernebelt. Es gab nur noch dich und die Blüten in deinen Haaren. Was du wolltest, zählte nicht. Und es zählt bis heute nicht. Ich habe das Richtige getan. Mein hungriges Herz ist nicht gewillt, enttäuscht zu werden. Es bekommt immer das, nach dem es dürstet. Und so würde es auch dich bekommen. Egal um welchen Preis.   Früher wurde die Liebe unter Männern als die reinste Liebe überhaupt betrachtet. Keine pechschwarze Sünde hätte an deinen Händen geklebt, wenn du mit mir gekommen wärst, kein Schuldgefühl deine Seele beschlichen. Ich hätte dafür gesorgt, dass du der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt geworden wärst. Alles hätte ich dir gegeben, mein schöner Prinz. Und ich gab dir auch alles. Doch der glücklichste Mensch auf Erden bist du nicht geworden. Ich wusste, dass du es bereuen würdest, wenn du mich ziehen ließest. Allerdings ertrug ich den Gedanken einfach nicht, dass dein liebliches Lächeln auf ewig ersterben würde. Du solltest für immer lächeln können. Doch nicht für irgendwelche Frauen, die deiner nicht würdig waren. Sie alle würden dich nach dieser einen Nacht verschmähen, in der es nur uns gab. Uns und ein Messer, das dir ein ewiges Lächeln schenken sollte. Diese Nacht war die einzige, in der du mich so intensiv spüren konntest, wie ich es am liebsten in jeder einzelnen gehabt hätte. Du weißt, dass Liebe und Hass oftmals sehr nah beieinander liegen. Nein, ich würde nicht so weit gehen und behaupten, dass ich dich gehasst habe für deine nicht erwiderten Gefühle. Ich war enttäuscht, und ich liebte einfach zu sehr. Wahrscheinlich ist die Liebe schlimmer als der Hass, wenn sie einen dazu anstiftet, jemanden mit Gewalt an sich zu binden. Aber ich stellte mir die Frage nach Recht und Unrecht niemals, verdrängte sie und glaubte an mein reines Herz, das einfach übergeborsten war vor Liebe und Eifersucht. Denn wenn ich dich nicht haben konnte, dann sollte dich niemand haben. Und ich wusste, dass mir mein Werk gelungen war. Mein Stempel klebt auf deinen Lippen, und auch, wenn ich dich nie wieder gesehen hätte, so wäre meine Hoffnung niemals gestorben, dass du irgendwann zu mir zurückgekehrt wärst. Dass du erkannt hättest, dass du mein bist, egal, wie sehr du dich dagegen sträubst. Denn das Schicksal, mein Schatz, es ist dazu prädestiniert, das zusammenzufügen, was zusammengehört.     Diese Nacht ist eine der ungemütlicheren, der kühleren, denn der Herbst zieht ins Land und lässt die Farben der Welt ersterben. Die Kirschbäume blühen schon lange nicht mehr, und an ihrer Stelle hat sich ein dichter Nebelschleier über die Stadt gelegt, der kaum durchdringbar scheint. Ich bin noch immer allein. Ich warte noch immer auf dich. Genau wie du mir gehörst, gehöre ich dir, bin nicht mehr in der Lage, die Liebe eines anderen Menschen zu empfangen. In jeder einzelnen Sekunde zehrst du von mir, raubst mir meine Kräfte und meinen Schlaf, sorgst dafür, dass ich keine Ruhe mehr finde und ziellos durch die Gegend irre, wie der Geist eines Verdammten. Ich kann die Kälte an meinen Wangen spüren, sie auf meinen rissigen Lippen schmecken. Wahrscheinlich wird Frost kommen. Doch was kümmert mich das. Innerlich bin ich ohnehin längst erfroren. Worte können nämlich kälter sein als jede Jahreszeit. Worte können Herzen zum Gefrieren bringen, und ich hoffe, du weißt nun, wie es sich anfühlt, mit einem erstarrten Herz weiterzuleben. Ich fühle nichts mehr, auf der anderen Seite überrollen mich die Emotionen. Ein halbes Jahr ist vergangen, seitdem ich dir dein ewiges Lächeln schenkte, und ich habe es zu keiner Sekunde bereut. Du musst lernen, dass du deinem Schicksal nicht entkommen kannst, Ryoji. Du musst die Augen öffnen und ihm ins Gesicht sehen. Das Schicksal trägt mein Antlitz. Erscheint es dir, während du schläfst? Wirst du unruhig, wenn ich deine Gedanken heimsuche? Ich wüsste so gern, was du empfindest. Doch durch diesen dichten Nebel kann ich nichts sehen. Deine Schönheit verblasst immer mehr, von Tag zu Tag, denn das fotografische Gedächtnis ist längst nicht so endlos wie die Liebe, die ich in meine Herzen trage. Ich werde dich niemals vergessen, doch irgendwann wird nur noch das Gefühl zurückbleiben. Ein unbegründetes Gefühl, denn Gefühle sind etwas, das man sich nicht einfach aus dem Kopf schlagen kann. Man kann Ohren und Augen verschließen und wird sie dennoch sehen. Du wirst niemals im dichten Nebel untergehen, mein Schatz.   Ich fühle mich blind vor Liebe, so meiner Sinne entraubt, dass ich das Schemen, welches mir entgegenkommt, gar nicht sofort bemerke, geschweige denn erkenne. Im ersten Moment glaube ich, mit einem Schatten zu kollidieren, doch Schatten bieten keinen Widerstand. Und es ist auch nicht möglich, dass sich weißlicher Raureif auf seinen Haaren bildet, der mich an Puderzucker erinnert. Die Nacht mag Dunkel sein, doch es gibt immer ein Licht von irgendwoher, das einem eine klare Sicht ermöglicht. Zumindest für mich. Der Schatten hingegen, der sein Gesicht zusätzlich mit einer Maske verdeckt, scheint blinder zu sein als ich. Denn in seinen mir so bekannt vorkommenden Augen zeichnet sich kein noch so geringer Funken von Erkennen ab. Vielleicht liegt das aber daran, dass auch ich nur ein Schatten bin, mit meiner schweren Kapuze auf dem Haupt und der durch und durch schwarzen Kleidung, unter der sich jeder verstecken könnte.   Wir stehen uns lange gegenüber, ohne uns zu erkennen. Wir beide, beraubt unseres Augenlichtes. Ich rechne damit, dass die Gestalt mich passiert, einfach ohne ein Wort vorübergeht. Doch das geschieht nicht. Ich meine, einen Blick in die Augen des Fremden erhaschen zu können, doch das kann auch Einbildung sein. Solch matte Augen kann es nämlich nicht geben. Augen, die eine große, innere Zerstörung preisgeben. Dass mein Gegenüber den Blick senkt, als es bemerkt, dass ich zu viel von ihm entblöße, scheint dennoch verdächtig. Es hat etwas zu verbergen. Seine Gefühle kann es leicht hinter einer Maske verstecken. Im Gegensatz zu seiner Schönheit. Der warme Funken, der seit Monaten unauslöschlich in meiner Brust schwelt, scheint gewachsen zu sein. Er zehrt von irgendetwas, nährt sich von der hinreißenden Anmut dieses Knaben, dessen im Dämmerlicht grau wirkendes Haar im Wind weht. Es ist wie Seide, wie reine Seide, und ich erinnere mich an die Nacht mit Ryoji, in der ich meine Hand in dieser Seide vergraben habe, in einer harschen, unkontrollierbaren Erregung. All seine Schreie waren Musik in meinen Ohren; seine liebliche Stimme dringend aus seiner Engelskehle hat nur mir gegolten. Ich war es, der ihm solch starke Gefühle entlockt hatte. Niemals sollte er das vergessen. Und das wird er auch nicht. Weil ich dafür gesorgt habe.   Die Spannung zwischen mir und dem Fremden wird immer greifbarer. Es ist nicht so, dass ich Angst empfinde, wie könnte ich auch, wenn ich stets das Messer mit mir herumtrage, das als Medium zwischen mir und meinem Schatz fungiert hat, in dieser wunderschönen Aprilnacht, der Nacht unserer Vereinigung? Sogar sein Blut klebt noch daran, mein einziges, physisches Andenken an ihn. Doch ich würde nicht davor zurückschrecken, es mit dem Blut eines anderen zu vermischen. Auch dann nicht, wenn mein Herz regelrecht aufschreit vor Liebe in diesem Augenblick. Ich würde nicht davor zurückschrecken, dass zu töten, was ich liebe. Denn Gefühle sterben nicht einfach, im Gegensatz zu Menschen. Gefühle werden nicht vergessen. Und nur Gefühle samt Gewissheit sind etwas wert. Das Gefühl, zu lieben, und die Gewissheit, wiedergeliebt zu werden. Und jemand, der tot ist, kann einen nicht enttäuschen.   Vorsichtshalber schiebe ich die Hand in meine Jackentasche, dorthin, wo das Messer ruht. Als mir so plötzlich und unerwartet der Blick meines Gegenübers ins Auge springt, umfasse ich den Griff noch etwas fester. Ich kenne diese Augen, und ich kenne auch diese Stimme, habe ich doch beide in jener Nacht in aller Ausgiebigkeit kennen lernen dürfen. "Bin ich schön?", will er von mir wissen. Er klingt so unschuldig, fast ängstlich, und ich vermute, dass er mich noch immer nicht erkannt habe. Dieses Naivchen. Hat er mich denn nicht eindringlich in unserer gemeinsamen Nacht kennen lernen dürfen? Wo war er mit seinen Gedanken gewesen, wenn nicht bei mir? Etwa bei den Frauen, die ihn stets umschwärmt haben? Langsam fahre ich mit dem Daumen die Klinge meines Messers nach. Ganz langsam und bedrohlich. "Ja", antworte ich ihm, denn es ist meine ehrliche Meinung. Ryoji ist schön. Er ist der schönste Mann auf der ganzen Welt. Doch er scheint sich mit diesem schlichten Wort nicht zufrieden zu geben. Er hebt die Hand, beginnt, an seiner Maske zu nesteln, bis sie schließlich locker um seinen Hals baumelt und ihrer ursprünglichen Aufgabe, seinen Mund zu verdecken, nicht mehr nachkommt. "Jetzt auch noch?" Ich fühle nichts, als ich sein Gesicht betrachte. Im Schutze der Nacht sind es nur zwei lange, bis zu den Ohren führende Striche bestehend aus getrocknetem Blut, die von seinen Mundwinkeln ausgehen. Und doch sieht es aus, als würde er lächeln. Nur für mich lächeln. Mein Ryoji. Aber seine Schönheit ist nur mir vorbehalten. Für alle anderen versteckt sie sich unter der aufgeschlitzten, provisorisch genähten Haut dieses jungen Mannes. Denn kaum einer ist bereit, eine sterbliche Hülle zu durchdringen und unter sie zu sehen.   "Du bist wunderschön. Ryoji..." Er zuckt sichtlich zusammen. Dieser dumme Junge. Was hat ihm nur sein Augenlicht geraubt, dass er mich nicht erkannt hat? "D-du...?" Er ist wie ein verängstigtes Reh. Meine Hand zieht sich von dem Griff des Messers zurück. Ich verspüre nicht das Bedürfnis, ihm noch einmal weh zu tun. Anstelle möchte ich am liebsten all seine Wunden heilen, mit meinen Küssen bedecken. Doch ich kann ihn noch nicht einmal berühren. Denn auf einmal ist er es, der ein Messer in der Hand hält. Das Licht des Mondes reflektiert sich in seiner Klinge, die er direkt vor meinem Gesicht emporhält. Aber nach wie vor empfinde ich keinerlei Angst. Tief in meinem Inneren weiß ich nämlich längst, dass mir mein Leben egal geworden ist. An dem Tag, an dem die Kirschbäume blühten, hat er es längst zerstört, mein Schatz mit dem Messer, das sich meiner Kehle nähert und sich kühl auf sie legt. Es ist ein fast befreiendes Gefühl. Ich habe mein Herz an ihn verloren, ich möchte am liebsten auch meinen Körper an ihn verlieren. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als den Tod durch seine Hand.   "Für mich wirst du immer schön bleiben." Ob ich doch so etwas wie Angst empfinde? Schließlich ist Angst nur ein Instinkt, und ein Körper möchte sich immer selbst schützen. Meine Stimme bebt leicht, so wie es Ryojis getan hat, in unserer Nacht, die ihn an mich gebunden hat. "Denn deine innere Schönheit strahlt so stark wie ein heller Stern." Ich schlucke, doch meine Kehle ist staubtrocken. Er ist mir so nahe, mein Ryoji. Nur wenige Zentimeter trennen uns. Sein Duft steigt mir in die Nase. Er ist alles, was ich will. Ich würde alles dafür geben, um ihm meine unsterbliche Liebe darzubringen. Er wirkt angespannt. Seine Hand zittert sogar, als er die Klinge langsam von meiner Kehle führt und sie meine Wange hinaufgleiten lässt. Erbarmungslos schneidet mir ihre Schärfe in mein Fleisch, doch jeder Schnitt ist eine Streicheleinheit, jeder Blutstropfen, der mich kitzelt, eine Freudenträne. Endlich hat er nur Augen für mich, mein Junge. Endlich möchte er mit mir körperlich werden. Ich will noch mehr. Möchte ihn intensiver spüren. Und ich soll das bekommen, nach dem ich mich sehne. So, wie ich immer alles bekomme, was ich begehre.   Ryojis Augen sind stark geweitet. Ich vermag seinen unteren Sanpaku deutlich zu sehen, das Weiß, das sich mit seiner Iris und seiner Pupille kontrastiert. Sein Atem geht so schnell in seiner Kehle, so leidenschaftlich schnell, dass ich nicht anders kann, als einmal noch meine Hand auf seine Wange zu legen und die Narbe mit dem Finger nachzufahren, die Narbe, auf die ich so stolz bin. "Schönheit ist nicht immer das, was die Allgemeinheit als attraktiv betrachtet", erkläre ich ihm in meiner Ergriffenheit, wende nicht einmal den Blick von meinem Jungen ab, auch wenn meine komplette Wange mittlerweile blutüberströmt sein muss, mir Tropfen für Tropfen unter meinen Schal perlt. "Schönheit ist das, was man mit den Augen nicht sieht. Schönheit ist individuell. Genau wie Liebe. Ich habe dich meine Liebe spüren lassen, doch hast du sie je sehen können? Außer in meinen Taten? Außer in meinen Augen?"   Es war meine volle Absicht, ihn zu provozieren. Denn ich hasse es, wenn man mich hinhält. Ich wollte, dass er endlich Taten sprechen lässt. Dass er mir endlich zeigt, dass er genauso leidenschaftlich liebt wie ich. Und er tut es. Es ist nur ein scharfer Schmerz, der mein Gesicht zerreißt und mich dem Tod sehr nahe bringt. Doch eben diesen schenkt er mir nicht. Als ich auf dem Boden liege, unfähig zu schreien, weiß ich, dass er etwas anderes getan hat. "Damit du niemals wieder jemanden deine Liebe zeigen kannst", höre ich seine Stimme über mir kreisen. "Und damit du dich nie wieder darum scherst, dass ein Spielzeug, dass du nicht haben kannst, nur noch in deinen Augen schön ist."     Ich weiß, dass er gegangen ist. Dass er mich zurückgelassen hat. Blind. Meine Liebe hat mir mein Augenlicht geraubt. Wahrscheinlich werden meine Erinnerungen an seine Schönheit irgendwann verschwinden. Aber niemals meine Gefühle. Die kann mir kein Messer auf der ganzen Welt herausschneiden.   Ryoji. Ich werde nie wieder eine andere Schönheit sehen können als die deine, die ich erst mit den Augen und dann mit dem Herzen wahrnahm. Ich werde für alle Schönheit blind sein, außer für deine.   Du hast mich an dich gebunden. Ich bin dein. Genauso, wie du mein bist. Auf ewig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)