Laterna Magica von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 4: Die Kunst des Tötens ------------------------------- For children and old people Dream and truth are one And who will protect Those who love? Atemlos. Ich glaube, dieses Wort beschreibt das Gefühl am besten. Wir alle starren darauf, gelähmt, unfähig uns zu bewegen, fassungslos über das, was Unsresgleichen hervorbringen kann. Ars magna lucis et umbrae. Und das soll Kunst sein? Der Flur ist blutverschmiert, vereinzelte Buchstaben, vielleicht Worte, vielleicht lautlose Schreie sind auf dem Boden verstreut, über ihnen tanzen die grausamen Bilder. Nachtmare, finstere Geister, die nachts auf unserer Brust sitzen und uns die Träume aussaugen. Ich weiß nicht, was die anderen darin sehen. Für sie ist es womöglich ein leerer Schrecken, eine Maske ohne Körper, eine Prophezeiung einer ungewissen Zukunft oder die Rache einer längst vergessenen Vergangenheit. Wie nah das doch der Wahrheit käme... Aber es ist noch viel mehr. Was mir wirklich Angst einflößt, mir den Atem raubt, ist die Botschaft, die sich dahinter versteckt. Eine spöttische, übermächtige Botschaft, die mir zeigt, dass es kein Entrinnen gibt. Ich kann nicht mehr weglaufen. Eher friert die Hölle zu. Dieses Sprichwort, das Jodie gerade in den Sinn kam, beschrieb nur zu gut, was der Killer aus dem FBI-Büro gemacht hatte. Keine Spur mehr vom hitzigen Treiben, der Aufregung, der knisternden Elektrizität. Alles war zu Eis erstarrt. Lediglich die Temperaturen waren gleich geblieben, doch trotz der brühenden Hitze, fröstelte sie plötzlich. Vor ihr wurden auf großen Leinwänden gerade die Bilder der neusten Opfer des Killers vorgeführt. Zwei neue Opfer. Zwei Menschen, die sterben mussten. Wie viele werden es noch sein? Ist es meine Schuld? Es war immer das gleiche Prinzip. Eine sauber geschlachtete Leiche, die regungslos und blutend auf dem Boden ihres trauten Heimes lag, davor in blutigen Lettern die grausige Signatur des Künstlers. Untermauert wurde das tragische Schauspiel durch den tonlosen Singsang der Laterna Magica, deren Bilder wie Geister über die Toten zu wachen schienen. „Beschäftigen wir uns doch mit den Motiven.“ Bitte nicht. „Bei den beiden ersten Opfern fand sich die gleiche Bilderfolge, ein Mädchen, das ein brennendes Haus verlässt. Womöglich könnte es sich hierbei um eine Botschaft an Salamander handeln, vielleicht weiß der Killer etwas über seine oder ihre Vergangenheit.“ „Sie glauben, es könnte das Ereignis sein, das Salamander zu einem Feuerteufel werden ließ?“, fragte Mel scharfsinnig. Black nickte nur. „Es wäre zumindest eine Möglichkeit, allerdings beschäftigen sich damit die Agenten, die ich mit diesem Fall betraut habe. Wir sollten unseren Fokus nur auf unseren kleinen Künstler legen. Warum könnte er Salamander kontaktieren wollen?“ „Vielleicht bewundert er ihn?“, meldete sich ein anderer Agent zu Wort. „Man kann ihn nicht direkt als Nachahmungstäter ansehen, weil er seinen Tatort vollkommen anders aufbaut – viel künstlerischer und inszenierter als Salamander, aber er könnte ihm mit den Bildern etwas sagen wollen.“ „Oder er droht ihm. Wenn er wirklich etwas aus seiner Vergangenheit zeigt, dann könnte das eine Herausforderung sein, eine Botschaft, die sagt „Ich weiß, wer du bist und ich kann mit dir spielen. Ich habe dich in der Hand.“ Jemandem wie Salamander, dem es vor allem darum geht, die Polizei herauszufordern und Schrecken zu verbreiten, dürfte das sicher nicht gefallen.“ Ich weiß, wer du bist… „Kein schlechter Einfall. Was lässt sich über die Technik sagen?“ „Es handelt sich um neue Apparate, die die alten Modelle imitieren. Ich vermute stark, er baut sie sich selbst, da es so etwas nicht mehr zu kaufen gibt. Er muss also technisch sehr versiert sein.“ Black wandte sich an den südländisch wirkenden Agenten, der neben ihm saß. „Überprüfen Sie bitte welche Materialen für die Apparate verwendet wurden und finden Sie heraus, wer in letzter Zeit die benötigten Bauteile vollständig und unter Umständen in größeren Mengen eingekauft hat.“ Der Mann nickte und verließ den Raum, während die Gutachterin fortfuhr. „Er benutzt gemalte Bilder – was auf ein künstlerisches Talent hindeuten könnte und somit auch dazu passt, dass er sich selbst als Künstler sieht – und macht sich bei seiner Projektion das phi-Phänomen zunutze. Das ist eine optische Täuschung, die uns bei vielen aufeinanderfolgenden Standbildern eine Bewegung sehen lässt. Zwei Phasenbilder werden hier wechselseitig mit Masken bedeckt und somit wird bei einer schnellen Folge die Illusion einer vollständigen Bewegung erzeugt.“ „Nun gut, wir wissen also, dass er sich sehr gut mit Technik auskennt und voraussichtlich in letzter Zeit viel Baumaterial eingekauft hat. Deshalb ist er ziemlich sicher auch handwerklich geschickt und künstlerisch begabt, die Art, wie er die Morde inszeniert, zeugt von einer gewissen Eitelkeit, sodass ich sehr stark dazu tendiere, zu glauben, dass er alles selbst macht.“ „Das glaube ich auch.“, bestätigte Mel, die sich bei den Konferenzen generell sehr hervortat. Normalerweise teilte Jodie ihren Ehrgeiz, aber momentan hatte sie das Gefühl, der Boden könnte jeden Augenblick unter ihren Füßen wegbrechen, sodass ihr nichts weiter zu tun blieb, als sich in die Tischplatte zu krallen und zu hoffen, dass das Schwindelgefühl jeden Augenblick nachlassen würde. „Ich denke, er hält sich selbst für eine Art Gott. Einen Künstler, der allen überlegen und in der Lage ist, die Wirklichkeit nach seinen Vorstellungen zu formen. Latein war früher auch eine elitäre Sprache, die dem gemeinen Volk nicht zugänglich war, sodass er sie vermutlich gewählt hat, um seine Erhabenheit noch einmal zu unterstreichen.“ Auch dieser Einwand wurde sofort in der Akte vermerkt, die sich langsam mit allerlei Theorien gefüllt hatte. Und doch war keine befriedigende Antwort dabei. Warum? „Was ist mit den letzten beiden Bildfolgen?“ „Sie sind beide ähnlich wie die erste. Die, die beim dritten Opfer gefunden wurde, zeigt ein brennendes Stück Holz, das zu Boden fällt und ein ganzes Haus in Flammen aufgehen lässt. Hier findet sich also wieder das Feuermotiv.“ „Was ist mit dem letzten Bild?“ „Das lässt uns glauben, dass der Täter eine Art Geschichte erzählen will, die Motive hängen zweifellos irgendwie zusammen. Die letzte Laterna Magica hat ein Mädchen mit ihrem Vater gezeigt…“ Jodies Augen weiteten sich. Anstatt zu verschwinden, schien das Gefühl sich nun in jedem ihrer Glieder auszubreiten und ihr die Sinne zu rauben. Schwarze Flocken schienen ihren Blick zu vernebeln und alle Stimmen klangen dumpf und fern, als würden sie durch einen Tunnel zu ihr sprechen. Als würde Asche auf mich regnen. Als würde sie mich einfach bedecken… …und langsam ersticken. „…am Ende gehen die beiden schließlich in Flammen auf.“ „Gut, das wäre es fürs Erste.“, seufzte Black mit einem Blick auf seine Uhr. „Machen wir mal eine halbe Stunde Pause und entspannen uns etwas, vielleicht können wir dann alle etwas klarer denken.“ Während sie den Raum verließ, warf Jodie noch einen letzten Blick auf den Projektor, der ähnlich wie die Laterna Magica es getan hatte, immer noch die Bilder an die Wand des Konferenzraumes projizierte. Sie wünschte, sie hätte es nicht getan. Am liebsten hätte sie geschrien, doch ihre Kehle war so rau und trocken, das sie fürchtete, sie würde zerbersten wie Glas, wenn sie auch nur einen einzigen Ton von sich gab. Vor ihr, in der Hand des kleinen Mädchens, des kleinen, blonden Mädchens, sah sie deutlich eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit. Orangensaft. Das Mädchen war sie. „Jodie? Alles in Ordnung?“ „Ja, mir geht es…“, doch noch bevor sie diesen Satz beenden konnte, wurde ihr schwarz vor Augen. Ich kann nicht mehr weglaufen. „Da bist du ja wieder.“ Er lächelte freundlich. „Ist es nicht ein bisschen seltsam, dass man jemanden, den man angefahren hat, ständig besucht?“ „Ich finde es selbstverständlich.“ Sie stellte einen frischen Blumenstrauß auf seinen Nachtisch und legte den alten, der ebenfalls von ihr stammte, vorsichtig in den Mülleimer. „Außerdem unterhalte ich mich gerne mit dir.“ Er setze sich ein wenig auf, was mittlerweile schon recht gut klappte. Der Großteil seiner Verletzungen war bereits verheilt. „Gute Nachrichten, sie werden mich bald entlassen.“ „Behauptest du das nur wieder oder stimmt das diesmal?“, sie kicherte. „Habe ich jemals gelogen?“ „Natürlich nicht.“ Sie zwinkerte amüsiert und öffnete das Fenster, um ein bisschen frische Luft hereinzulassen. Aber ich sage dir auch nicht die ganze Wahrheit. Wieso kam ihm auf einmal Jodie in den Sinn? Irgendwie versetze ihm der Gedanke an sie einen leichten Stich, als hätte er sie im Stich gelassen, dadurch, dass er nach Japan gegangen war. Und jetzt betrüge ich sie, dachte er mit einem Blick auf Akemi. Blödsinn. Ich bin geschäftlich hier und das weiß sie. Akemi hat mich angefahren und kümmert sich jetzt aus Pflichtbewusstsein um mich. Aber warum fühle ich mich dann so schuldig…? Hastig verdrängte er den Gedanken und wandte sich ab. „Was hältst du davon?“ „Was?“, erschrocken stellte er fest, dass er überhaupt nicht bemerkt hatte, dass Akemi etwas gesagt hatte. Viel zu sehr war er in seine Überlegungen vertieft gewesen. Sie lachte unsicher. „Ach, schon gut, es war ohnehin albern.“ „Sag’s mir trotzdem. Ich verspreche, ich lache auch nicht.“ „Das ist es nicht, ich…“ Er hob die Augenbrauen und sie errötete ein wenig. Gegen seinen Willen musste er zugeben, dass sie dabei richtig niedlich aussah. Allgemein hatte sie so etwas Kindliches an sich, etwas Unschuldiges, von dem er ungewollt fasziniert war. „Ich dachte, wenn du bald entlassen wirst, könnten wir ja vielleicht einen Kaffee zusammen trinken.“ Er lächelte. „Das ist eine fabelhafte Idee. Aber ich würde sagen, es ist nur fair, wenn du zahlst, sieh es als Schmerzensgeld an.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Okay!“ Warum fühle ich mich dann so schuldig? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)