30 Minuten von DanteMaxwell ================================================================================ Kapitel 1: 30 Minuten --------------------- Totes Laub wehte durch die leeren Straßen. Trotz all des Regens, welcher in den letzten Stunden gefallen war, starrte der Beton von Dreck. Die Menschen zog es in ihre warmen Wohnungen. Lichter wurden entzündet, Heizungen aufgedreht und mit aller Macht, und dem technischen Fortschritt, wurde der Natur getrotzt. Der sterbenden Natur. Totes Laub, kahle Äste, trister Regen, graue Wolkendecken. Zwischen all den Lichtern blieb ein Fenster dunkel. Die Scheiben waren von Eiskristallen durchädert, die Gardine zugezogen. Wie schwer es sich mit zitternden Fingern schrieb spürte der Mann seit einigen Minuten. Alles war so einfach gewesen – in seinem Kopf. Doch Phantasie war noch nie die Realität gewesen. Wie hatte er sich nur auf dieses Spiel einlassen können? Verrückt, unbedacht! Die Geldsumme hatte ihn geblendet. Dabei wusste man doch aus jedem Krimi, dass schwarz gekuttete Menschen, welche einem in dunklen Gassen auflauerten, stets nichts Gutes verhießen. Er blickte auf, genau auf die Mündung der Pistole. Sollten sie ihn doch erschießen, er würde so oder so sterben…gäbe es nicht diesen kleinen Funken Hoffnung. Der verschleierte Unbekannte, welcher die Waffe auf ihn gerichtet hielt, hatte ihm einen Deal vorgeschlagen. Sollte er es schaffen innerhalb einer halben Stunde eine Geschichte zu schreiben, welche den Lauf der Literatur ändern würde, so würde man ihm eine sechsstellige Geldsumme zahlen. Bei Versagen drohte der Tod. Was für eine stumpfsinnige Idee! Nur aus den Gedanken eines Tölpels hätte sie stammen können. Warum hatte er zugesagt? Wohl aus reiner Selbstüberschätzung. Er war schließlich nicht jedermann, sondern der führende Autor aller Bestsellerlisten. Seine Werke waren in viele Sprachen übersetzt wurden, niemand konnte ihm mehr das Wasser reichen. Er besaß jede nationale und internationale Auszeichnung die es zum Thema Literatur und Drehbuch gab. Er war eine Legende! Geld hatte er genug, doch statt glücklich damit zu werden war es sein Laster geworden. Er hatte nur noch im Wahn geschrieben, wobei mehr Alkohol geflossen war als jeder Arzt ihm geraten hätte. Dennoch liebten die Leute seine Worte, sogen alles in sich auf was aus seinen Gedanken direkt aufs Papier floss. Noch einmal blickte er verstohlen auf die Mündung vor seinem Gesicht. Wer war der Mann vor ihm? Ein fanatischer Fan? Er hätte lachen mögen. Seine Texte hatten die Welt der Literatur revolutioniert, warum sollte er nun innerhalb von 30 Minuten etwas verfassen, was sein eigenes Maß erneut umwerfen sollte. Seine Texte waren die Welt der Literatur! Er selbst hatte bestimmt was sich gut verkaufen ließ. Die Verlage hatten ihm zu Füßen gelegen. Seine Worte waren nicht nur Druckerschwärze, sondern fleischgewordene Macht. Ein Text, welcher die Literatur revolutionieren würde, müsste ein Text sein, der im Gegensatz zu all dem stand, was er bisher verfasst hatte. Der verschleierte Mann blickte ihn eindringlich an. Noch kein Wort stand auf dem weißen Blatt zwischen ihnen und die Zeit verrann, verrann langsam und schnell zugleich. „Ihre Bedingung ist unmöglich“, sagte er schließlich und zwang sich den verschleierten Mann anzulächeln. „Niemand kann in dreißig Minuten etwas umwerfen, was Jahrzehnte brauchte um errichtet zu werden.“ „Sie haben es schon einmal geschafft, zeigen Sie mir, dass Sie es wieder können“, flüsterte die dunkle Raucherstimme hinter dem Schleier. „Zeigen Sie uns was es bedeutet Macht auszuüben!“ Er spannte den Hahn des Revolvers. „Wenn Sie mich hier erschießen bringt Ihnen das auch nichts. Meine Werke verkaufen sich besser als alles andere. Niemand kann mir das Wasser reichen. Ich kann Ihnen Texte liefern, nach deren Genuss sie sich die Finger lecken werden. Lassen Sie mir Zeit.“ Der Verschleierte lachte. „Sie sind auf den Deal eingegangen. Wie Sie selber sagen sind Sie der erfolgreichste Schriftsteller der Welt, niemand kann Ihre Texte übertreffen. Sie sind das Monument der Literatur, Sie sind ein Gott. Ein Erschaffer, ein Zerstörer! Zeigen Sie mir, wie Sie diese Macht benutzen.“ Er deutete auf das leere Blatt vor sich. Stille trat ein. Draußen wehte Laub gegen die Fensterscheibe und verursachte ein kratzendes Geräusch. Er fing an zu denken. Was konnte er jetzt noch schreiben, in dieser kurzen Zeit? Ein Wort? Ein Satz? Bedeutsame Zitate, welche man noch nach Jahren auf Theaterbühnen zitieren würde? Sowas hatte er zu Hauf erschaffen. Dieser Fremde wollte etwas von ihm. Wollte, dass er alles dagewesene umwarf. Und plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Geistesblitz! Er war wirklich das Monument der Literatur, er war ungeschlagen. Keiner konnte ihm mehr das Wasser reichen, sogar er selbst konnte sich nicht mehr überragen. Die Literatur zu revolutionieren, das würde heißen, ihn abzuschaffen. Etwas Neuem eine Chance zu geben. Statt wie ein Riese alle anderen Schriftsteller niederzustampfen fußte die Hoffnung der Literatur auf diesen noch unvollkommenen Schultern. Er lachte heiser auf uns starrte den verschleierten Mann an. „Haben Sie es endlich begriffen?“, fragte dieser. Der Mann nickte. „Sie sind raffiniert.“ „Nicht so raffiniert wie Sie es waren.“ Der Verschleierte blickte auf seine Uhr. „Die Zeit ist um.“ Ein Schuss zerriss die leeren Straßen, schallte von den Wänden wieder und wurde vom Laub verschluckt und fortgewirbelt. Der Verschleierte blickte auf die Leiche vor sich. „Für Götter ist auf dieser Erde kein Platz. Macht ist ein gefährliches Spielzeug.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und löste sich in den Schatten des Raumes auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)