Von zeitreisenden Preußen, hitzköpfigen Herzögen und launischen Donaufürsten von Sternenschwester (PruAus) ================================================================================ Kapitel 1: Er ist es und er ist es nicht... ------------------------------------------- Irgendwo östlich von Wien – 12xx - früher Abend „Nun, noch ein paar letzte Worte? Spion!“ Gilbert musste die Tränen zurückhalten. Doch weniger aus Frucht oder Angst vor seinem bevorstehenden Schicksal. Er war schon so oft in seinem Leben gestorben, dass der Augenblick des Todes seinen Stachel für ihn verloren hatte. Außerdem wusste er, im Gegensatz zu vielen Menschen, was mit seiner Seele nach seinem Ableben geschehen wird. Doch die Weise wie dieser Bauer da, mit seiner Fackel vor seinem Gesicht wedelte, trieb ihm das Salzwasser in die Augen. „Jetzt hängt ihn endlich!“, grölte irgendeine Stimme in den hintersten Reihen des Lychnmobs. Gilbert legte sich keine letzten Worte zurecht. Vielmehr arbeitete sein Hirn verzweifelt daran, ihn aus dieser prekären Situation heraus zubekommen. Ja, er hatte schon öfter den Löffel abgegeben. Doch dann befand er sich meistens auf irgendeinem Schlachtfeld oder war wenigstens standesrechtlich erschossen worden. Aber noch nie in seiner aufregenden Karriere als Nation, war er gehängt worden. Was für eine unehrenhafte Weise von dieser Welt zu scheiden. Dass er zu dem nicht sicher war, ob er auch diesmal irgendwo in auf der Erde (mit beinah absoluter Wahrscheinlichkeit auf ehemaligem preußischem Territorium) wieder das Licht der Welt erblicken würde, stresste ihn noch zusätzlich. Unter normalen Umständen würde er irgendwo wieder auftauchen oder nach kurzer Zeit, wenn sein Körper nicht allzu sehr beschädigt worden war, wieder auferstehen. Ein wenig wie Lazarus. Schließlich war er ja kein normaler Mensch, sondern die Personifikation eines Landes. Somit galten für ihn ein wenig andere Regeln beim Tod. Zugegeben, er repräsentierte nicht mehr das alte Preußen sondern den Osten der Republik Deutschland, aber immerhin er war noch da. Doch das hier waren keine üblichen Zustände und hätte man ihn gestern gesagt, dass er sich am heutigen Tage hier wieder finden würde, dann hätte er diesen jemand ausgelacht. Das Lachen, wie auch das Grinsen waren ihm schon seit längerer Zeit vergangen. Er hätte niemals gedacht jemals wieder das Mittelalter erleben zu können und nun befand er sich auf einen Pferd mit einem Stick um den Hals, eine mordlüsternen Bauernmeute um ihn herum und wegen seinen unfreiwilligen Bad in der Donau waren seine Klamotten noch nass. Wie er es geschafft hatte, in diese Zeit zurück zu reisen wusste er selbst nicht. Auch konnte er nicht sagen, in welchem geschichtlichen Abschnitt genau er sich befand. Oder auch nicht, wo er sich befand, denn wie Wien sah dieses Kaff auch nicht wirklich aus. Alles, woran er sich noch erinnern konnte, war, dass er triefend nass von diesem Bauern und Fischern aus der Donau gefischt worden war und diese ihn nun wegen seiner Kleidung und seiner seltsamen Erscheinung als Spion aufknüpfen wollten. „Bereit deinem Schöpfer entgegen zu treten?“, fragte ihn der Bauer erneut. „Ach ja, bevor das Alles losgeht, noch eine Frage: Bist du ein Christ?“ Gilbert war schon drauf und dran unbeherrscht eine barsche und in seiner Situation recht undiplomatische Antwort zu erwidern, da durchbrach ein barscher Befehl das wilde Schnattern der Menge. „Haltet ein.“ Augenblicklich ward es vollkommen still und ein beklemmendes Schweigen trat ein. Vorsichtig löste der Albino den Blick vom rotwangigen Gesicht des Bauern und versuchte einen Blick hinter die Menge zu erhaschen, von wo die Stimme erklungen war. Dort hinten, ein wenig rechts von ihm und seinem hektischen Bauernmob näherte sich eine kleine Gruppe von Reitern. Noch konnte er durch das spärliche Licht, welches die Fackeln spendeten, nichts Genaueres erkennen, doch die Art, wie ehrfürchtig das gemeine Volk um ihn herum Platz machte, ließ ihn darauf tippen, dass es sich um höher gestellte Personen handeln musste. Das Pferd auf dem er saß wieherte erfreut über das Näherkommen von Artgenossen, wurde jedoch von dem Bauern mit den roten Wangen zurückgehalten, als es begann unruhig am Boden zu scharren. Der vorderste Reiter hob den Arm, als er die Menge erreichte, woraufhin ihm nur einer seiner vier Begleiter in die Schneise durch den Mob hindurch folgte. Gilbert hielt den Atem an, als er im spärlichen Fackelschein das Gesicht des erstens Reiters erkennen konnte. „Könnte ihr mir erklären, was ihr hier tut?“, fragte dieser den Bauern forsch, welcher noch immer seinen Ackergaul an den Zügeln hielt. In der Stimme lag ein eisiger Unterton. Sein Begleiter hielt sein Pferd hinter ihm an und begann die Meute Stück für Stück nachhinten zu treiben. Der angesprochene Bauer begann unruhig zu werden und vor Nervosität mit den Enden der Zügel zu spielen, wobei er den Blick starr nach unten richtete. „Nun Herr, wir haben einen Spion aus der Donau gefischt und wollten…“ Er scharrte voller Unbehagen mit den Fuß am Boden. „Die Justiz selbst in die Hand nehmen.“, beendete der Reiter mit einer gewissen Schärfe den Satz. „Und aus welchen Land kommt euer Spion?“ Es war keine Frage, die er da stellte, sondern einfach nur Spott. Der Bauer bleib ihm jedoch die Antwort schuldig, worauf der Reiter seinen Grauschimmel nebens Gilberts Pferd trieb und mit unbewegter Miene sein Schwert zog, welches bis dahin an seinem Sattel hing. Der Weißhaarige kniff, ohne es vorher unterdrücken zu können die Augen zusammen und erwartete mit Bangen die folgenden Momente bis er ein kurzes schneidendes Geräusch vernahm. Die Spannung an seinem Hals nahm ab und er spürte, wie ihn Erleichterung überkam. Doch diese verflog schnell, als er seine Augen wieder öffnete aufmachte und direkt in die violetten Seelenspiegel seines „Retters“ sah, welcher ihn mit ruhigem Blick von oben bis unten musterte. Gilbert musste schlucken. Er kannte dieses Gesicht nur zu gut. Zwar trug er keine Brille und sah deutlich jünger aus, aber er war es ohne Zweifel. „Seine Erscheinung ist wahrlich erstaunlich.“ Eine kühle Neugier war aus der Stimmlage heraus zu hören. "An eurer Stelle hätte ich diesen Fang wieder zurück ins Reich des Donaufürsten geschmissen." Der Reiter machte eine Geste Richtung seiner Begleiter. „Holt ihn mir von diesem Gaul runter und legt ihm Fesseln an. Wir nehmen ihm mit.“ Mit diesem Worten wendete er sein Pferd ab und ritt aus der Versammlung hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Gilbert indes merkte nicht mal, das einer der Berittenen von seinem Ross abgestiegen war und nun auf ihn zu ging, während seine Kollegen die Menge gemeinsam zurücktrieben. Er wehrte sich auch nicht, als ihm die Hände vor den Bauch zusammengeschnürt wurden und er beklagte sich auch nicht, als er hinter einen der Pferde hergeschliffen wurde. Alles was er tat, war überrascht, mit leicht offenem Mund, den Anführer der Reiter anzustarren. Nein, er hatte sich vorhin nicht geirrt. Er war es, darin bestanden keine Zweifel. Vor ihm saß Roderich hoch zu Ross und sprach ruhig und sparsam gestikulierend mit dem Mann, der ihn vorhin in die Menge begleitet hatte. Kapitel 2: Die Stimme eines Flusses ----------------------------------- Kapi 2: Ein paar Stunden zuvor- 1996- Wien in einer zwielichten Bar in der Nähe des Donaukanals Aus einer alten Stereoanlage dudelte leise „Nights in the withe Satin“, doch das bekam der Albino nur am Rande mit. „Noch ein Glas bitte.“ Gilbert wedelte mit seinem leeren Glas vor der Nase des Barmannes herum. Dieser warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Für die Menge an Alkohol, welche sein bleicher Gast konsumiert hatte, war der noch ziemlich gut beieinander. Er kannte Männer, die bei weitem stärker und breiter gebaut waren, als dieser Mann, welche aber bei der gleichen Anzahl an Gläsern von Wein und Bier schon längst lallend unter dem Tisch gelandet wären. Wortlos füllte er seinem Kunden nach und sah, wie so oft, wenn die Sperrstunde sich näherte auf die Uhr. Die Stube war zwar besser gefüllt als üblich, trotzdem freute er sich, wenn er in knapp einer Stunde die Türen zu dieser zwielichten Kaschemme schließen konnte. Er nahm sein Glas wieder auf, an welchem er geputzt hatte und wollte sich dieser Tätigkeit wieder völlig widmen, während der Albino schräg gegenüber von ihm, leise fluchend trübsinnig in die dunkelrote Flüssigkeit vor ihm starrte, als ein Neuankömmling leise die Treppe in die Bar hinunter schritt. Der Barmann stutzte. Der Mann, welcher nun den Raum betrat, war hochgewachsen und breitschultrig. Das wirre gräuliche Haar, welches sicher nur durch die schummrige Beleuchtung der Bar einen leichten Grünstich besaß, lugte unter einem breitkrempigen Hut hervor. Ein wilder Rauschebart, gleicher Farbe wie das Haar, verdeckte den Teil vom Gesicht, den die Krempe freiließ, wobei zwischen Hut und Bart, unheimlich dunkle Augen hervorstachen. Der schwere Mantel, welchen er trug, ließ ihn noch gewaltiger erscheinen als was ohnehin schon war. Wortlos setzte sich der Mann neben den Ostdeutschen, ohne vorhin den Mantel abzulegen. Mit einer ausladenden Bewegung nahm er den Hut ab und legte ihn, unter einem missfallenden Blick des Barmannes, neben sich auf den Tresen ab. Das wirre, graue Haar stand dem mysteriösen Besucher nun in allen Richtungen ab. Der Barmann schaute ihn auffordern an. Nach einer geschlagenen Ewigkeit, kurz bevor sich der Gastronomiebetreiber verärgert weg drehte, raunte der Mann: „Ein Glas eures besten Rotweins. Und wehe ihr gebt mir den billigen Fussel, welchen der arme Tropf neben mir säuft.“ Dem Mann hinter der Theke, lief es eiskalt den Rücken runter. Nicht nur, dass die Stimme tief und unheimlich klang, nein, er fühlte sich, ohne dass er Gründe nennen konnte, an die Tiefe und Kälte eines großen Flusses erinnert. Außerdem beunruhigte ihn der drohende Tonfall in der Aufforderung. Schnell, um rasch aus dem Dunstbereich des Mannes zu gelangen, griff er nach einer Flasche Wein, welche er nur zu besonderen Anlässen rausholte, entkorkte sie und goss dem unheimlichen Gast ein. Mit einem Grunzen nahm er es entgegen und winkte den verschreckten Mann, gegenüber von ihm, fort. Wieder senkte sich eine Stille über den Tresen und Gilbert bedauerte das plötzliche Verschwinden des Barmannes, da sein Glas wieder viel zu schnell leer geworden ist. Sein Nachbar hingegen genoss jeden Schluck, den er nahm. Lange tat dieser nichts anderes, als auf den Barhocker zu sitzen und sein Glas allmählich zu leeren. Doch dann, ohne wahre Vorwarnung, beugte er sich zu dem Albino herunter, als dieser erneut schwer aufgeseufzt hatte. „Was bringt einen so jungen Mann, wie sie, in eine solch düstere Stimmung.“ Gilbert lachte leise in seinem Inneren auf. Jung? Er? Wahrscheinlich war er gerade mit seinem Bruder in Österreich einmarschiert, als dieser seltsame Kauz neben ihm noch in die Windel gemacht hatte. Langsam schwenkte er den Rest seines Weines, am Boden seines Glases. Eigentlich hatte er keine Lust, die ganze Geschichte von neuem aufzurühren, wenn er sie sich eben mit viel Alkohol von der Seele gespült hatte. Aber aus irgendeinem Grund gab ihm der Koloss neben sich das Bedürfnis zu sprechen. „Finden sie es nicht ein wenig dreist, sich in die Angelegenheiten fremder Leute einzumischen?“ Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sein Nachbar amüsiert beide, dicke Augenbrauen hob. Ein wenig erinnerten ihn diese Augenbrauen an England, auch wenn diese viel buschiger waren und natürlich eine gräulichere Farbe besaßen, als die der britischen Personifikation. Zum Teufel, warum um alles in der Welt, dachte er an das britische Königreich? „Ah, ein Deutscher.“ Gilbert verdrehte genervt die Augen. Es war immer das Gleiche, wenn er in Wien war. Offenbar rochen die meisten hier, einen Deutschen einen Kilometer gegen den Wind. Das Bild eines ganz gewissen Österreicher tauchte vor seinem inneren Auge auf. Ach verdammt, da war er doch hier her gekommen, um die Erinnerungen an den hässlichen Streites, welcher nun einige Stunden zurücklag, weg zu saufen, da kam dieser Typ und machte seine ganzen Bemühungen zunichte. Doch bevor er eine unwirsche Antwort geben konnte, sprach sein Nachbar, mit seiner tiefen Stimme weiter. „Nun, es tut in den meisten Fällen der Seele besser, mit jemanden darüber zu reden anstatt den Frust und die Wut im Alkohol zu versenken.“ Verwundert drehte Gilbert nun völlig seinen Kopf zum Grauhaarigen. Dieser lächelte ihn an. Oder besser gesagt, der Ostdeutsche glaubte, dass ihn dieser Mann anlächelte, schließlich sah er dessen Mund nicht, welcher vom beeindruckenden Rauschabart verdeckt wurde. Doch dieser Blick, welcher ihm aus tiefen, schwarzen Augen zugeworfenen wurde, löste seine innere Anspannung und ohne zu wissen warum eigentlich, lag ihm ein passender Satz auf der Zunge. „Ich hatte nur einen ziemlich hässlichen Streit mit einem Bekannten.“ Das Glas klirrte leise, als Gilbert seines wieder absetzte. Sein Sitznachbar hob das eigene Glas an die Lippen und trank einen kleinen Schluck, bevor er daraufhin fragte: „Einem Verwandten?“ Gilbert lachte kurz freundlos auf. „Ja und Nein.“ Langsam legte er seinen Kopf auf seine Arme und starrte betrübt die kleine Lacke roter Flüssigkeit in seinem Glas. „Wahrscheinlich sitzt er wieder an seinem Klavier und spielt Chopin.“, flüsterte er spöttisch, mehr zu sich als zu seinem Nachbarn. „Ja, ja. Der liebe Roderich hatte schon immer Probleme ohne seine Musik, Herr über seine Gefühle zu werden.“ Mit einem Ruck saß Gilbert kerzengerade und glotze den Unbekannten mit offenem Mund an. „Ihr kennt ihn…“, stammelte er verwundert und begann nun mit neuem Interesse den Mann zu beachten Zwar war dessen Mund durch den Bart verdeckt aber aus der Art, wie sich die leichten Falten um seine Augen zusammen zogen, schloss Gilbert, dass der Mann schmunzelte. „Überrascht? Nun ich kenne ihn schon sehr lange. Früher haben wir uns sogar ziemlich oft getroffen.“ Versonnen wippte er das Weinglas zwischen seinen dicken Fingern. „Und ich habe ihn auch schon öfters spielen gehört. Ob nun am Klavier, an der Violine oder an einem anderen Instrument.“ Gilbert schloss den Mund und suchte nach einer passenden Erwiderung, doch sein Gesprächspartner ließ ihm dafür keine Zeit. „Ihr hätten ihn einst an der Fidel hören müssen.“ In den schwarzen Augen lag ein verklärter Blick, als würde sich ihr Besitzer an einen schönen Moment erinnern. „Er kann fiedeln, als hätte er einst dem Teufel seine Seele dafür gegeben. Schön und unheimlich zugleich.“ Gilbert versuchte sich Roderich mit einer Fiedel vorzustellen. Er kannte den Österreicher am Klavier, an der Orgel und so mach anderen Instrumenten, aber von einer altertümlichen Fidel war ihm nichts bekannt. Sein Gesprächspartner war indes in eine melancholische Stimmung verfallen. „Früher hat er, mir zu Ehren, oft vorgespielt. Besonders meine Töchtern hat sein Spiel schon immer betört.“ Gilbert stutzte. Wer war dieser Mann neben ihm, dass Roderich sich dazu herabließ, für ihn zu spielen. Roderich spielte selten etwas für jemand anderen als für sich selbst. Er wusste, dass es nur wenige Personen auf der Welt gab, für die der Musikfreak sich an eines seiner Instrumente setzte. Gilbert igelte sich derart in seine Gedanken ein, sodass er nicht bemerkte, wie sich eine gewaltige Pranke auf seine Schulter legte. Erst als er den sanften Druck wahrnahm, sah er zu dem Bartgesicht auf. „Wie wäre es, wenn wir uns ein wenig die Beine vertreten? An der frischen Luft über dem Donaukanal, spricht es sich besser.“ Gilbert nickte zögernd. War es das, was er wirklich wollte? Doch dann glitt er vom Barhocker. Als er seine Brieftasche zücken wollte, hob sein Begleiter beschwichtigen die Hände. „Ach, lassen Sie ihre Brieftasche wo sie ist! Ich kümmere mich um eure Zeche.“ ----------------------------------------------------------------------------- Gilbert schreckte hoch. Die noch immer nasse Kleidung klebte ihm äußerst unangenehm am Leib. Doch das erste was er aktiv wahrnahm, waren die Schmerzen um die Handgelenke, welche sich nun auch auf die Unter- und Oberarme ausbreiteten. Sie hatten eine Rast gemacht, damit einer von Roderichs Begleitern Pechfackeln entzünden konnte. Offenbar war er ein wenig eingenickt. Das Bartgesicht spukte ihn immer noch vorm inneren Auge herum, ohne dass er wusste, wer seine unheimliche Barbekanntschaft nun in Wirklichkeit war. Plötzlich bekam er einen Schüttelfrost. Seit die Sonne endgültig untergegangen war, fror er erbärmlich, woran der feuchte Stoff seiner Klamotten nicht unbeteiligt war. Nach der Farbe der Blätter zu urteilen, brach eben der Herbst über das Land herein. Er hörte das Knirschen des Laubes unter dem Schuhwerk, als sich ihm jemand näherte. Zögerlich sah er hoch. Vor ihm stand Roderich und sah ihn mit einer kühlen Aufmerksamkeit aus seinen violetten Augen heraus an. Kapitel 3: Erschlagen durch Vergessenes --------------------------------------- Kapi 3: Erschlagen durch Vergessenes… „Was?“ Wie er diesen Blick hasste. Diesen hochnäsigen Ausdruck in den Augen. Somit berührte es ihn nicht als Roderich missfallend eine Augenbraue hob. Gilbert grinste nur noch breiter. Dieser Roderich sah jünger aus als derjenige, mit welchem er noch vor einem halben Tag ziemlich aneinander geraten war, aber er verhielt sich ganz ähnlich wie das ältere Exemplar. Dabei ließ er mit offener Neugier einen kurzen Blick über die Erscheinung des Braunhaarigen schweifen. Körperlich musste der Österreicher vielleicht 15, maximal 17 Jahre alt sein. Er konnte es schwer einschätzen da sein ewiger Rivale, immer schon eher zu schmal gebaut war und ein junges Gesicht besessen hatte. Die schlackende gelbe Tunika machte es ihm auch nicht leichter. Auf dieser prangte ein blaues Wappen mit 5 goldenen Vögeln drauf. Gilberts graue Gehirnzellen begannen zu rotieren. Irgendwo hatte er dieses Wappen gesehen, sogar vor nicht allzu langer Zeit, irgendwo in Wien. Ach verdammt, er erinnerte sich einfach nicht dran. Unter dem Wappenrock lugte ein Stück eines Kettenhemdes hervor, wobei der Preuße, dank seines persönlichen Wissen, erkennen konnte, dass das gute Stück schon bei Weitem bessere Tage erlebt hatte oder die vergangenen Zeiten ziemlich turbulent gewesen waren. Langsam glitt der Blick der roten Augen die Arme entlang, hin zur oberen Körperpartie seines Gegenübers. Ohne seine Brille hatte das Gesicht etwas ungewohntes Weiches an sich. Außerdem glaubte der Albino einen leichten Schatten eines dunklen Flaumes, rund um den Mund auszumachen. Dann wanderte er weiter zu den violetten Augen des Jungen. Diese Augen hatten ihn schon immer fasziniert. Erstens weil diese Augenfarbe ebenso außergewöhnlich war, wie die seine, aber auch wegen ihrer Undurchschaubarkeit. Selbst wenn die Handlungen des Braunhaarigen für ihn so einfach zu deuten waren wie das Lesen in einem aufgeschlagenen Buch, so hatte er es nie geschafft zu erahnen, was genau hinter den violetten Seelenspiegel in Wahrheit vor sich ging. Doch diesem Ausdruck, welcher in den violetten Augen in diesem Moment vorherrschte, stand im krassen Gegensatz zudem jungenhafter Eindruck, welcher dieser Roderich auf ihn machte. „Mir gefällt euer Ton nicht, Fremder!“ Das letzte Wort spuckte Roderich ihm ins Gesicht, wobei er sich nicht Mal die Mühe machte, das Misstrauen in seiner Stimme zu kaschieren. Gilbert lag ein beleidigender Satz auf den Lippen, aber angesichts seiner derzeitigen Situation siegte sein gesunder Menschenverstand und er begnügte sich damit, sein österreichisches Pendant unverhohlen anzustarren. Nachdem das Blickduell von einem Fröstelanfall seitens Gilberts unterbrochen wurde, drehte sich Roderich zu seinen Begleitern um, welche abwartend, teils neugierig, teils argwöhnisch in ihrer Nähe standen. „Valentin, gib ihm deine alte Kleidung. So erfriert er uns noch.“ Der Angesprochene übergab die Zügel seines Pferdes einem anderen und ging auf sie zu. „Und? Wär doch gar nicht schade um ihn.“, knurrte er. „Wer weiß, wer das ist, Herr. Gerade in Zeiten wie diesen ist es mehr als ratsam misstrauisch zu sein.“ „Hab ich aber um deinen Rat gefragt?“, gab Roderich zischend zurück. Die Müdigkeit und eine gewisse Anspannung machten sich auf seine Züge breit. „Soweit ich mich erinnere: Nein. Und jetzt gib ihm die alten Fetzen.“ Valentin zuckte die Achseln und hob ein Leinenbündel aus den Satteltaschen seines Pferdes. Er ging auf den Preußen zu und schmiss ihm das Bündel lieblos vor die Füße. Gilbert rümpfte die Nase. Die Fetzen vor ihm stanken schon aus der kurzen Entfernung. Der Geruch erinnerte ihn an eine Zeit, in der Körperpflege nicht so ausgiebig betrieben wurde, wie in der Epoche, aus dem er gerade gekommen war und lange, wie auch anstrengende Reisen auf der Tagesordnung standen. Das war aber nur ein Aspekt aus dem mittelalterlichen Leben, welchen er nur zu gerne in die hintersten Winkel seines Oberstübchens verdrängt hatte. Er schluckte. Stimmt, daran hatte er noch gar nicht gedacht. Plötzlich fielen ihm all die Annehmlichkeiten ein, welche er in dieser Zeit missen würde. Die Wärme der Räume, frische Kleidung, welche nicht kratzte, neutral bis wohlduftende Mitmenschen, modere Sanitäranlagen… Er schluckte nochmals, die Aussicht, in dieser Zeit zu verweilen, schmeckte ihm immer weniger… Außerdem musste er sich ziemlich schnell wieder das frühe Mittelhochdeutsch angewöhnen, wenn er seinen „Rettern“ nicht noch mehr Grund zum Misstrauen geben wollte. Er dankte dem Himmel, das er, zu seinem Glücke, dieser frühen Form des Deutschen, durch seine Vergangenheit mächtig ist, auch wenn es ihm schmerzlich an Übung fehlte. „Nun, wird’s bald? Ich habe nicht die ganze Dämmerung lang Zeit, dir dabei zuzuschauen!“, riss ihn eine barsche Stimme aus den Gedanken. Gilbert hob den Kopf und sah zum Österreicher, welcher ungeduldig mit dem Fuß auf die Erde trommelte. Irgendwas war hier falsch, doch der Blick des Anderen legte die Vermutung nahe, dass ihm nicht die Zeit blieb, hinter den Fehler zu kommen. Mit steifen Gliedern erhob sich der Preuße und wollte sich eben hinter einen Baum verziehen um seine nasse und klammen Kleidung gegen die stinkenden Lumpen zu tauschen, da stellte Roderich sich ihm in den Weg. „Wohin des Weges?“, fragte dieser mit argwöhnischen Ton. „Zieh dich hier um!“ Mit einer lässigen Handbewegung wedelte er auf den Platz, wo Gilbert noch vor kurzen gesessen hatte. Von einem Moment auf den Anderen glitzerte es spöttisch in den violetten Augen. „Oder schämst du dich, wie eine Jungfer, dich nackt vor Männern auszuziehen?“, legte der Braunhaarige nach, wobei die Aussage von einem unverhohlenen Gelächter der anderen Männer begleitet wurde. Das Blut rauschte in den Wangen des Weißhaarigen, als er begann seinen Gürtel zu öffnen. Während Gilbert, mehr schlecht als recht, unter den arroganten Blicken der anwesenden Männer die Kleidung tauschte, schwor er sich, das, sollte er nicht in nächster Zeit einen Weg nach Hause finden, so würde er wenigstens dem Österreicher die Hölle hieß machen… ----------------------------------------------------------- Zu fortgeschrittener Abendstunde, hatten sie eine Burg erreicht, welche hoch über der Donau, auf einen felsigen Hügel in den dunklen Nachthimmel ragte. Gilbert hatte die ganze Zeit, nach seiner kleinen Umkleideaktion, hinter Valentin auf dessen Braunen gesessen, was diesem ebenso wenig behagte wie dem Albino. Valentin, so viel hatte Gilbert schon mitbekommen, stand Roderich nah. Zwar wies ihn der Braunhaarige ziemlich oft zu recht und das mit einem rauen Ton, welcher ihm aus dem Mund des Österreichers so fremd vorkam, aber im nächsten Moment schwatzten und lachten sie unbekümmert weiter. Dabei hatte das Bild beider etwas Lächerliches an sich, da der junge Mann körperlich der Personifizierung Österreichs eindeutig ein paar Jahre voraushatte. Valentin hatte zwar ausgiebig gemurrt, als Roderich ihm befahl, ihn auf seinem Pferd mitzunehmen, doch war er dem Befehl nachgekommen, wobei er die fehlende Sympathie gegenüber den Ostdeutschen, mehr als nötig zum Ausdruck gebracht hatte. Doch nun richtete Gilbert seine Gedanken wieder auf die Gegenwart. Während des steilen Aufstieg, bei welchem die Rösser sich mächtig nach vorne lehnten und guthörbar zu Schnaufen begonnen hatten, um sich und die Last auf ihren Rücken mit traumwandlerischer Sicherheit wohlbehalten nach oben zu bringen, durchfuhr dem Preußen ein unangenehmer Schauer wenn er daran dachte, was passieren konnte, wenn eines der Tiere jetzt durchging. Es war der Dunkelheit zu verdanken, dass ihm die Ahnung der Tiefe des Abgrundes neben ihm erspart blieb. Überhaupt fiel ihm erst jetzt auf, wie dunkel es um ihn herum war. Wieder machte er sich im Geiste eine Notiz bezüglich einer Tatsache, welche, welche er völlig verdrängt hatte. Die Dunkelheit, die, durch das Fehlen elektrischen Lichtes, die Nacht dominierte, machte ihn deutlich, wie sehr die Angst der Menschen vor ihr in den letzten hundert Jahren, vor der großen revolutionären Industrialisierung, berechtigt war. Zwar schien der Mond in seiner halben Form, doch sie ritten auf der dem Himmelskörper abgewandte Seite und mussten sich mit Fackeln notbedürftig ein wenig Licht spenden. Wiederum hatte der Preuße völlig vergessen, wie schön und herrlich der Nachthimmel war. Ausgeschmückt mit Sternen, welche in seiner Heimatzeit, (nannte er seine wahre Gegenwart einfach mal so)durch die Lichtverschmutzung gar nicht bis kaum mehr zu sehen waren. Mit offenem Mund bestaunte Gilbert die Sterne, alleine schon, um sich von der gähnenden Leere neben ihnen abzulenken. „Klappe zu! Sonst fliegt dir noch ein Stern ins Maul.“, feixte Valentin vor ihm. „Außerdem lehne dich nicht so nach hinten. Du behinderst Löffel damit.“ Löffel…? Gilbert drehte sich überrascht mit dem Kopf nach allen Seiten um. Valentin schien seine Verwunderung zu bemerken. „Na mein Pferd… Dummkopf!“, beantwortete er ein wenig barsch, die nicht gestellte Frage. Gilbert stutzte. „Du hast dein Pferd Löffel genannt?“, fragte er in einem ungläubigen Ton. „Wie unawesome ist denn das?“ Einen Moment später wollte er sich auf die Zunge beißen. -Denk an deine Ausdrucksweise, Gil! Rede Mittelhochdeutsch. Erinnere dich an damals, sprich mit ihnen so wie du früher gesprochen hast. Denke nach bevor du einen Quark von dir gibst, sonst finden sie dich noch suspekter als sie es jetzt schon tuen-, rügte er sich in Gedanken.- Am Ende kommen sie noch auf die Idee, mich doch die Klippen runter zu schmeißen.- „Ansome... was?“ In Valentins Tonfall schwang blankes Misstrauen. „Herr, seid ihr sicher dass wir nicht ein wenig Gepäck opfern sollten, um besser voranzukommen?“, brüllte er nach vorne. „Valentin, hör endlich auf mit deinem Geraunze! Das Blassgesicht beliebt schön dort, wo es sich befindet. Wenn er mir oben nicht ankommt, dann schwöre ich dir, dass du es sein wirst, welcher mir seine Überreste suchen gehen wird!“, hörte Gilbert, die Personifikation Österreich mit erhobener Stimme zurückbrüllen. Valentin verstummte, offenbar ein wenig gekränkt. Gilbert hingegen konnte sich ein meckerndes Auflachen nicht verkneifen. Er liebte es, wenn seine Nemesis die Nerven verlor. Wiederum fragte er sich, was wohl der Grund war, dass Roderich, eben dieser Roderich der ihm seit Jahrzehnten, nein Jahrhunderten Spinnenfeind war, so erpicht auf seine Anwesenheit war und sich sogar dazu herabließ, sich für ihn einzusetzen. An seinem unglaublichen Wesen konnte es nicht liegen, auch wenn er nicht ganz verstand warum nicht, denn das hatte ihm das ältere Exemplar, vor seinem Stolpern in eine andere Zeit, mehr als deutlich gemacht. Dennoch, warum schleifte ihn der Österreicher hier herum, wenn sie sich noch nicht mal kannten? Wäre er an der Stelle von diesem musikbesessenen Braunhaarigen gewesen, hätte er den Empfehlungen Valentins nur zu gerne Folge geleistet. Was also erhoffte sich Roderich nur von ihm? Nach einer Weile erreichten sie ein Tor, an dem ihnen schon Bewaffnete entgegen kamen und ein paar Sätze mit Roderich, welcher die Gruppe anführte, austauschten. Danach wurden sie ohne weitere Vorkommnisse durchgelassen, wobei Gilbert die neugierigen Blicke der Wachen auf sich zu spüren vermeinte. Nach dem Passieren eines weiteren Tores, ritten sie endlich auf den dunklen Hof der Burg, wobei ihnen ein dürrer und hagerer Mann entgegen kam. Was Gilbert unter dem Schein der Fackel, welche der Mann bei sich trug, sehen konnte war, dass dieser für dieses Zeitalter ein prächtiges Alter erreicht hatte und der Kleidung nach zu urteilen einem besseren Stand angehörte. Wieder wechselte Roderich ein paar Worte mit diesem, ohne das Gilbert irgendetwas davon mithören konnte. Was aber auch daran liegen konnte, dass eben in diesen Augenblick Alle von ihren Pferden abstiegen und Valentin den Ostdeutschen ziemlich unsanft nach unten beförderte. Beim Sturz, konnte Gilbert einen kurzen Schmerzenstöhner nicht unterbinden, worauf hin Valentin spöttisch und dreckig auflachte, was jedoch zu Folge hatte das Roderich und sein Gesprächspartner auf das Treiben aufmerksam wurden. Mit einem Satz zog Valentin Gilbert am Kragen hoch und kam dessen Gesicht mit seinem eigenen so nah, dass der Albino den schlechten Atem des jungen Mannes riechen konnte. „Wir sind da, Fremder. Ich hoffe dir…“ Doch weiter kam sein Peiniger nicht, denn die Finger einer Hand hatten sich schmerzhaft in dessen Arm gebohrt. Gilbert konnte in der Dunkelheit erkennen, wie Roderich Valentin aus seinen violetten Augen reizbar und wütend anblitzte. „Valentin…“, begann dieser gefährlich ruhig, während dieser versuchte einen leisen schmerzerfüllten Aufschrei zu unterdrücken, als der braunhaarige Österreicher seinen Griff verstärkte. „Wenn ich dich noch einmal ermahnen muss, kannst du gleich mit unserem „Gast“…“ Gilbert runzelte, als der den Ausdruck vernahm, welcher sich hinter dem Wort Gast versteckte. War er nicht eher ihr Gefangener als ein Gast? „… tauschen und die heutige Nacht im Keller bei Wasser und Brot verbringen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Valentin ließ den Preußen los, nickte, griff nach dem Zügel von Löffel und führte diesen zu einem der Gebäude. Sein „Opfer“ hingegen versuchte erst einmal zu verdauen, dass sein erklärter Feind, auch wenn dieser noch nichts über ihre Rivalität wusste, sich abermals für ihn eingesetzt hatte und sogar handgreiflich geworden war, um dazwischen zu gehen. Solch eine Situation war ihm zum ersten Mal in seinem Leben wiederfahren. „Was gibt es da zu glotzen? Habt ihr nicht eure Pferde zu versorgen?“, fuhr Österreich seine anderen bewaffneten Begleiter genervt an, welche sich unter dieser gereizten Stimmung schnell zu verdrücken versuchten. „Herr? Ist dieses Geschöpf, welches der Herr Valentin auf dem Pferde mit sich geführt hat, ein Fall für die Kirche? Soll ich die Brüder verständigen oder Vater Sebastian? “, versuchte der ältere Mann die Aufmerksamkeit des Braunhaarigen zurück zu erringen und schielte misstrauisch zu Gilbert, wobei er besonders und ohne Scham sein bleiches Angliz musterte. Gilbert seufzte, und erinnerte sich wieder auf das abergläubische Verhalten, welches er bei Leuten auslöste. Die Toleranz und die Akzeptanz, dass es sich bei seiner Haut-, Haar- und Augenfarbe um einen Pigmentierungsfehler handelte, waren bis in die moderne Neuzeit beinahe bei null. Auch das hatte er bis jetzt völlig ignoriert, da er damals, zu Zeiten des Deutschen Ordens, wenigstens durch die Autorität seines Ordensgewandes geschützt gewesen war. Doch nun unter lauter Unbekannten (außer einen, doch den zählte Gilbert in diesem Augenblick nicht mit), sah seine Lage ein wenig anders aus. „Nein, dieser Mann wird Gast bei uns sein. Richte ihm eine Kammer aus und überbringe ihm frische Kleidung.“ Eine gewisse Müdigkeit ließ sich in der Stimmlage des Österreichers erkennen. Es war ihn anzusehen, dass er so schnell wie möglich seinen Tag abschließen wollte. „Aber Herr,…“, versuchte es noch einmal der ältere Mann, wurde jedoch barsch und kalt von Österreich unterbrochen, wobei er einen Ton anlegte, welcher nicht einmal die leiseste Missachtung seiner Worte zuließ. „Ich möchte ihn morgen in der Frühe in meinem Arbeitszimmer sehen. Und stellt ein paar Wachen vor seinem Zimmer ab, um dessen „Erholung“ zu garantieren. Ich wünsche, dass ich morgen mit keinen unangenehmen Überraschungen konfrontiert bin. “ Der ältere Mann nickte nur, gab den Wachen einen Wink und Gilbert blieb nichts anderes übrig als ihm ins Innere der Burg zu folgen. ------------------------------------- Die Kammer, welche Gilbert zugeteilt worden war, war auf spärlichste möbliert. Ein Schemel, ein Bett mit einer Strohmatratze, und einer Decke. Doch was hatte er denn erwartet? Nach der Bauweise der Burg, so wie dem Wenigen, was er an Kleidung gesehen hatte, mit der sich eine Mode einordnen ließ, vermutete er, dass er irgendwo zwischen den 12. bis 14. Jahrhundert gelandet war. Dieser Verdacht bestätigte sich ihm, als er sich daran erinnerte, dass die Leute hier Mittelhochdeutsch sprachen, was unter Anderem hieß, dass sie noch nicht im Spätmittelalter angekommen, aber bereits aus dem Frühmittelalter heraus waren. Mit einem theatralischen Seufzer ließ er sich aufs Bett fallen und vergrub die Hände in seinen weißen Haaren. Man hatte ihn die Fesseln abgenommen, bevor die schwere Eichenholztür sich mit einem tiefen Knarzen hinter ihm geschlossen hatte. –Denk an früher Gil-, flehte er den Teil seines Gehirnes an, welcher für seine Erinnerungen zuständig war. –Versuch dich so gut wie möglich an all das zu erinnern, was dir hilft dich in dieser Zeit zurecht zu finden.- Seine Erinnerung an diese Epoche wurde erst dann glasklar und nachvollziehbar als der Deutsche Orden ihn gefunden hatte. Das war … verdammt noch mal, wann genau war das gewesen? Irgendwann in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts… Doch wie zum Geier sollte er dann wissen, was ihn Österreich zur gleichen Zeit so los war? Er stockte in Gedanken, warte halt… Österreich hatte schon das Aussehen eines Jugendlichen… na gut, das hieß noch lange nichts, aber selbst als Nation wuchs und wechselte man nicht so schnell die Altersstufen. Es brauchte meist ein paar hundert Jahre und eine politische bedeutsame Entwicklung, bis man als Land das Aussehen eines Erwachsenen annahm. Wenn also Roderich jetzt schon ein Halbstarker war, so musste er sich in einer Epoche bewegen, in welcher dieser besenfressende Pianofreak begann, ein klar definiertes Staatsgebiet zu werden. In seinem Hirn ratterte es, doch wieder einmal kam er, aufgrund mangelnder Geschichtskenntnisse, in seinen Gedanken einfach nicht weiter. Ach, es war zum Haare raufen… Um sich ein wenig abzulenken, zog er die stinkenden Sachen aus und begann sein Lager ein wenig gemütlicher herzurichten. Kritsch beäugte der Weißhaarige das Stroh. Nicht dass er sich, im Gegensatz zu einem gewissen Österreicher, manchmal wie die Prinzessin auf der Erbse aufführte, doch wenn er etwas nicht vergessen hatte, so waren es die Unbequemlichkeiten eines Strohlagers und seiner parasitischen Bewohner. Nochmals seufzte er. Er würde jetzt doch nicht vor einem harmlosen Strohlager schlappmachen, nachdem er heute offenbar durch die Zeit gereist war, seinen Rivalen, in jüngerer Fassung, getroffen hatte und daneben fast von einen Bauernmob aufgeknüpft worden wäre. Als er sich dann, nach ein wenig hin und her, in die Waagrechte begeben hatte, wobei er einmal aufgestanden war, da ihm das Stroh durch die groben Leinen, in den Rücken gestochen hatte, fand er wieder die nötige Ruhe um weiter nach zu denken. Das erste Mal, als er den Österreicher richtig wahrgenommen hatte, war auf einer Konferenz gewesen, welche vom Heilig-Römischen- Reich ausgerufen worden war. Aber da hatte der Braunhaarige wesentlich älter gewirkt. Nicht viel aber ein bisschen. So lag er weiter wach und zermaterte sein Hirn, ohne jedoch auf zufriedenstellende Antworten zu kommen. Wieder kamen ihm die heutigen Momente in Erinnerung, wo sich dieser Musikjunkie für ihn eingesetzt hatte. Es fühlte sich für ihn so falsch, so ungewohnt an, dass dieser mit seinem Wort für ihn einstand und dennoch war er dem Braunhaarigen auf eine ihm völlig unbekannte Weise dankbar. Er wusste nicht, wie er hier reingestolpert war, doch das Wissen, ein ihm bekanntes Gesicht nicht gegen ihn zu wissen, auf jeden Fall nicht offen gegen ihn, beruhigte ihn ungemein und gab ihm auch eine gewisse Selbstsicherheit. Eine Weile schloss er erfolgreich seine neue Umgebung aus und beschäftigte sich in Gedanken mit der verkorksten Beziehung, welche er mit seinem österreichischen Pendant führte. Als er so vor sich hin grübelte, fand er nach einiger Zeit dennoch den Weg in Morpheus Armen und döste mitten in seinen Gedankengängen weg. Doch der Schlaf, welcher Gilbert überkam, war unruhig und alles andere als tief. Ständig kam es ihm so vor, als krabbelten irgendwelche Viecher über seinen Körper. Der Geruch des Strohes stach ihm in die Nase. All die Fragen in seinem Kopf stahlen ihm die Ruhe, um angenehm tief zu schlummern und zusätzlich kam ihm sein Lager unnatürlich hart vor. Wie sehr hatte er die Unannehmlichkeiten der früheren Zeiten vergessen und sich an die Bequemlichkeit der Gegenwart gewöhnt. Ohne eine Antwort auf seine jetzige Lage zu finden, oder einen Hauch von Ahnung zu haben, wie er wieder in die Gegenwart zurückkam, überkam ihm ein rätselhafter Traum, welcher nur noch mehr Fragen aufwarf… Kapitel 4: Sprechende Fische und Zusammentreffen der Sagen ---------------------------------------------------------- Salute, als erstes will ich mich für die vielen Favo-Einträge danken. Echt super motivierend, wenn zwischen den einzelnen Kapis beobachten kann, wie es immer mehr werden. Großes Dankeschön. Nun denn, mehr habe ich dieses Mal nicht zu sagen, außer wie immer viel Spaß mit dem folgenden… Lg, Sternenschwester Kapi 4: Sprechende Fische und Zusammentreffen der Sagen Der Traum fing eigentlich ganz harmlos an. Er befand sich wieder auf der Feier, welche die Schwestern des Österreichers organisiert hatten, um das Jahrtausendjubiläum irgendeiner blöden Urkunde zu feiern. Ludwig hatte ihm damals, als sie die Einladung bekommen hatten, versucht zu erklären, dass es sich um das Jubiläum des ersten, bekannten Schriftstückes handelte, welches den ersten Namen Roderichs als Nation belegte. Dabei ging es in diesem Wisch doch nur darum, dass irgendein oberer, geistlicher Sesselhocker irgendwen ein Stück Land vermachte, oder war es umgekehrt gewesen? Nun ja, den Sinn der Sache hatte er nicht ganz verstanden, aber es schien diesem steifen Klavierfreak wichtig zu sein, außerdem ließ sich Gilbert, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ungerne eine Chance auf ein großes Zusammentreffen der verschiedenen Nationen entgehen. Beinahe fünfzig Jahre mit ein und denselben Leuten zu verbringen, wurde mit der Zeit, gesellschaftlich höchst langweilig. Außerdem konnte ihm so das Zusammensein mit der Wodkabirne in nächster Zeit erspart bleiben. Doch nun fand er sich wieder in diesem Moment, wo er an einem der Stehtische stand, wie bestellt aber nicht abgeholt und schwenkte beleidigt sein Sektglas. Bisher war die Feier ungewöhnlich gesittet abgelaufen, was aber vor allem an Kärnten, Salzburg und Ungarn lag, welche von Anfang an klar gestellt hatten, das sie gegen jegliche gewaltsame Ausschreitung seitens der, meistens männlichen Nationen waren. Vor allem Ungarn, hatte in allen Farben das Schicksal desjenigen beschrieben, welcher so wahnsinnig wäre, dem Namenstagskindes die Feier zu verderben. Ein Anliegen, welches sein kleinkarierter Bruder und Spaßbremsen, wie Vatikan, unterstützt hatten. Er ließ seinen Blick schweifen und fragte sich im Stillen, warum man sich während des Träumens oft bewusst war, dass man sich eben nicht in der Realität befand. Er fand beispielsweise nichts Aufregendes dabei, zuzusehen wie Mexiko ein Orchester aus Skeletten dirigierte. Wobei der Trompeter, mit seinem zerschlissenen Umhang und der Tatsache, dass man körperlich nichts weiteres sehen konnte als die skelettierten Hände, mehr nach einem klischeehaften Tod aussah. Gut von irgendwo musste die Aussage "Der Tod ist ein Wiener" ja kommen. Missmutig zupfte Gilbert seine Krawatte zu Recht. Trotz der gehobenen Atmosphäre, welche auch durch das ständige Fluchen seitens Süditaliens unbefleckt blieb, fühlte sich der Ostdeutsche in seiner Ehre gekränkt. Schon einer ganzen Weile beachtete ihn niemand. „Es kann beleidigend sein wenn man nicht beachtet wird, nicht wahr.“, tönte eine tiefe, melancholische Stimme neben ihm. „Wem sagen sie das…“, murmelte Preußen, bevor er sich seinen, ihm unbekannten, Gesprächspartner zuwandte und leicht aus der Fassung geriet. Gut, ein Orchester aus lebenden Skeletten war eines, vor allem wenn man die Anwesenheit Mexikos in Betracht zog, aber sich nun in nächster Nähe mit einem menschengroßen Fisch zu unterhalten, etwas anderes. Die trägen, gelben Glupschaugen sahen ihn melancholisch an. Der beschuppte Körper würde, wenn er nicht so gebeugt auf seinen beiden Hinterflossen stand, ohne Probleme so groß sein wie sein blonder Bruder. In der einen Brustflosse hielt die Kreatur ein halbvolles Sektglas. Gilbert musste sich beherrschen, um seine Fassung wieder zu erlangen. Die Mundwinkel des Fisches zogen sich noch etwas weiter herunter, als sie es schon taten. „Es ist immer wieder dasselbe. Wenn man hier jemanden anspricht, dann müssen die erst die Tatsache verdauen, das sie nun mit einem Fisch sprechen… Wie deprimierend…“, sprach das Tier weiter, mit einer Tonlage bei der man meinen könnte, er brächte sogar den Tod ins Grab. Gilbert legte sich, nachdem er sich soweit gefangen hatte, verlegend eine Hand hinter den Kopf. „Nun es ist für mich nichts Alltägliches mit einer Forelle…“ „Karpfen…“, korrigierte der andere, ohne auch nur erahnen zu lassen ob er sich beleidigt fühlte. „Oh Verzeihung… natürlich Herr… Karpfen.“ Das konnte nur ein Traum sein, denn er entschuldigte sich schon bei einem Fisch. Gut, zu gegeben, einen Fisch, welcher ein Maul hatte, mit dem er nur einen Haps machen müsste, um seinen Kopf mit einem Schlag zu verschlingen, aber er war immerhin Jahrhunderte lang das große Preußen gewesen. Plötzlich raste etwas an ihrem Tisch vorbei und hielt zentimetergenau vor dem österreichischen Namestagskind, welcher gerade ein, offenbar amüsantes, Gespräch mit einer der hässlichsten Kreaturen führte, welches Gilbert je gesehen hat. Das Vieh sah aus wie eine Kreuzung aus Hahn, Drache und Kröte. Außerdem trug es ein goldenes Krönchen auf dem abscheulichen Schädel. Auf die Fragen, warum Roderich noch nicht versteinert war oder der bestialische Gestank des Basilisken nicht in der Luft lag, würde der Ostdeutsche wohl nie eine Antwort erhalten. Auch nicht darauf, wer diese kleine, schrumpelige Frau war, welche, nun, nachdem sie rechtzeitig gebremst hatte, von ihrem Besen stieg. Dieses Großmütterchen, das für Baba Yaga Model hätte laufen können, begrüßte den Österreicher erfreut und drückte ihm einen saftigen Kuss auf die Wange. Gilbert runzelte die Stirn, gut er war sich eigentlich soweit im Klaren, dass es sich hier um einen Traum handelte. Sonst könnte er sich auch nicht erklären, warum sieben Zwerge um Salzburg herumscharwenzelten, aber dieses gebeugte Weiberlein war ihm auch schon in Fleisch und Blut begegnet. Sie war ihm schon damals in der Realität aufgefallen, da ihm keine Nation bekannt gewesen war, welche nicht ein altersloses Erscheinungsbild aufwies. Aber dieses Weib schien die neunzig schon weit überschritten zu haben. Außerdem machte sie mit ihrem Besen, welcher streng genommen ein knorriger Stab war, irgendwie den Eindruck einer klassischen Hexe aus den Grimmmärchen. Fehlte nur noch das Knusperhäuschen… Nur konnte sich Gilbert beim besten Willen nicht mehr erinnern, wann genau er diese alte Schachtel während der Feier gesehen hatte. „Ahh, Frau Kranawitha ist nun auch eingetroffen. Verspätet wie erwartet. “, meldete sich mit schwerer Stimme, Gilberts fischiger Tischnachbar zurück. „Das wird dem Fürsten nicht gefallen…“ „Dem Fürsten?“ Der Weißhaarige fühlte sich aus seinen Gedanken gerissen. „Äh, was für einem mickrigen Fürsten?“ Keine der Nationen hatte sich jemals innerhalb ihrer Gemeinschaft mit einem menschlichen Adelstitel geschmückt. Gut, dass er Roderich einen Schnöselaristokraten nannte war Triezerei, aber das Wort Aristokrat war kein Titel. Wieder glupschte ihn diese traurigen Riesenaugen an und irgendwie gab ihm der Fisch das Gefühl, dass dieser an seinem gesunden Verstand zweifeln würde. „Auch diese Aussage würde dem Fürsten nicht gefallen…“ Gilbert seufzte. Wenn er sich weiter diesen Ausbund an Depriemiertheit antuen wird, wurde der Gedanken sich unter eine Straßenbahn der Linie 71 zu legen, immer verlockender. Doch bevor er sich, der Etikette entsprechend, der Anwesenheit des Schuppentiers entledigen konnte, gesellte sich ein weiterer Gast zu ihren Tisch. Der alte Mann mit weißen Bart und Glatze, hatte für den Preußen ein nur allzu bekanntes Gesicht und innerlich musste dieser aufseufzen. Vom Regen in die Traufe… „Wenn ich mich zu ihnen gesellen dürfte?“, schnarrte der Neue, wobei der Karpfen abwinkte. „Es wird sowieso keinen Unterschied machen.“, seufzte dieser auf, während Gilbert versuchte sich darüber klar zu werden, warum nun ausgerechnet Dr. Freud seinen Traum aufsuchte. „Nun meinen Sie es wird keinen Unterschied machen, weil Sie mich ignorieren? Oder es wird keinen Unterschied an ihrer gelangweilten Situation machen? Oder es macht keinen Unterschied, da sie mir durch die Blume sagen wollten, dass sie meine Anwesenheit als störend empfinden, denn ich könnte Ihr gestörtes Sexualleben ergründen.“, hakte der alte Mann nach. „Weil bei einem Fisch, die Beziehung zu seinen Eltern einen so wichtigen Einfluss auf das spätere Sexualleben hat.“, mischte sich der Preuße sarkastisch ein und erhielt somit kurzweilig die Aufmerksamkeit des Psychiaters. „Sie haben recht, der Herr. Vielleicht haben Sie ja ihre Eltern nicht kennen lernen können, da Sie ihre diese davor gefressen haben.“, wandte sich Freud an dem tierischen Tischnachbarn. „Wir sind Karpfen, wir fressen unsere Eltern nicht!“, antworte der Fisch, mit monotoner Stimme. Das Gespräch wurde in dem Augenblick unterbrochen, in welchem das Geräusch berstenden Glases die Luft zerschnitt. Alle Köpfe, selbst der, anatomisch gesehen nicht ganz so bewegliche des Fisches, drehten sich Richtung der großen Fenster, welche eben alle durch den Druck von Wassermassen zersprungen waren. In kurzerster Zeit ergossen sich zig Liter kaltes Wasser in den Raum. Panik und Verwirrung breitete sich in der Festgesellschaft aus. „Endlich ist der Fürst angekommen.“, murmelte der Karpfen, bevor er mit einem Köpfer ins dunkelblaugrüne Wasser abtauchte, welches Gilbert innerhalb von Sekunden schon bis zur Hüfte reichte. Das letzte was er mitbekam, bevor das dunkle Nass ihn völlig umhüllte, war, wie auf einen mächtigen, überdimensionalen Krebs reitend ein Riese in den Raum gespült wurde. Das wirre Haar und der mächtige Rauschebart dieses Mannes besaßen einen leichten Grünstich, wie auch seine Haut. Irgendwoher kam Gilbert auch dieses Gesicht bekannt vor, doch es blieb ihm keine Zeit darüber nachzudenken, da dröhnte ein tiefes Gelächter durch den Raum und alles versank in Dunkelheit…. Er fühlte sich so schön schwerelos als würde er frei im Raum schwimmen. Dabei zog ein schlammiger Boden an ihn vorbei, hin und wieder begegnete er einem Fisch oder er sah eine Muscheln am Grund. Das Licht funkelte so geheimnisvoll, verzogen und verzerrt durchs Wasser. Warum brauchte er keine Luft zum Atmen? Er wusste es nicht. Warum spürte er zwar die nasse Kälte, aber es berührte ihn nicht? Er wusste es nicht. Interessierten ihn diese Fragen und deren Antworten? Nein, das wenigstens konnte er behaupteten zu wissen. Es war so schön erleichternd, sich von der Strömung mitreißen zu lassen und eine angenehme Leere in sich zu spüren. Er wollte nicht nachdenken, wollte nichts fühlen. Einfach nur eins werden mit dieser Leere, welche auf eine beruhigende Art die Last der Vergangenheit von ihm nahm. Plötzlich vernahmen seine Ohren, einen wunderschönen Gesang und rissen ihn aus seiner Lethargie. Die Stimmen, so lieblich und so herrlich als würden sie direkt aus dem Himmel stammen, berührten ihn tief in der Seele. Er riss die Augen auf und stemmte sich zum ersten Mal gegen den Sog, welcher ihn jedoch unbarmherzig weiter trieb. Wo waren diese engelsgleichen Geschöpfe, welche auf diese himmlische Art sangen? Jetzt wusste er wie sich die Mannschaft des Odysseus gefühlt haben musste, als sie die Stimmen der Sirenen vernommen haben. Nur war er fest überzeugt, dass die Besitzerinnen dieser Stimmen nicht so hinterhältig handeln könnten. „Das würden die griechischen Sirenen auch von sich behaupten.“, flüstere ihm eine kleine Stimme irgendwo in seinen betäubten Gedanken zu. Sie war schwach und wehrte sich tapfer in dem aussichtlosen Kampf, gegen die berauschende Wirkung, welche seine Seele als Geisel genommen hatte. Er wollte schon aktiv beginnen, gegen die Strömung zu Schwimmen, da riss ihn etwas von hinten am Kragen in die Höhe, Richtung Wasseroberfläche. Gilbert prustete und keuchte, als ihn der Zug an seinem Nacken, durch die Wasseroberfläche zog. Geschätzte hundert Liter Flusswasser würgte er hervor, als ihm bewusst wurde, dass er sich meterhoch in der Luft befand. Noch immer einen Speichelfaden am Kinn klebend schaute der Weißhaarige hoch. Er sah, wie eine gelbe Vogelkralle ihn am Kragen seines Anzuges gepackt hielt und mächtige schwarze Flügel über seinen Kopf schlugen. Doch die einzige Erkenntnis, welche Gilbert während seines Fluges erlangen konnte, war die Tatsache, dass sie offenbar über eine der weitläufigeren Donauauen flogen, welche im Westen von Wien lagen. Dann ließ ihn das verdammte Viech einfach los und er fiel. Erneut klatschte sein Körper auf die Wasseroberfläche, doch dieses Mal war Gilbert geistesgegenwärtig genug um ans Ufer zu schwimmen. Er starkste ans Ufer und schüttelte sich ungewollt wie ein Hund. Als er sich wieder aufrichtete und nach oben schaute, konnte er beobachten, wie eine deutliche Grenze die Dunkelheit der Nacht wie einen dicken Mantel mit sich über den Himmel zog. Sterne begannen schwach zu funkeln, um dann immer schneller an Helligkeit zu gewinnen und die Sonne wurde Stück für Stück vom Mond eingenommen. Eine kühle Brise umwehte ihn und bewog ihn dazu, das kalte Nass zu verlassen. Mit einem Schlag fiel ihm etwas auf und er schauderte. Während sich in den vergangenen Träumen nicht alles so echt angefühlt hatte, wie es in der Wirklichkeit hätte sein sollen, so belehrten ihn die neuen Eindrücke eines Besseren. Hier war jeder Sinneseindruck an seinem Platz. Die sanften Berührungen des Windes, das träge Rauschen des Flusses, das Schmatzen des Ufermorastes, wenn er mit seinen Lederschuhen eintrat, der milde Geruch nach einer Sommernacht, das unangenehme Gefühl nasser Kleider am Leib… alles fühlte sich so lebensecht an. Glühwürmchen umflogen seine triefenden Beine und er hörte in der Ferne eine Eule schreien. Der, nun fertige, Vollmond tauchte die Aulandschaft in sein weißes Licht und verlieh allem dem, den Eindruck direkt aus einem Gedicht der Romantik entsprungen zu sein. Plötzlich raschelte es hinter ihm und aufgeschreckt blickte der Weißhaarige starr in das dichte Buschwerk. Ein kleiner Junge taumelte hervor. Er trug eine blaue Tunika, wie es zu Zeiten der Römer üblich war. Der Verdacht über die zeitliche Einordnung erhärtete sich, als Gilbert die Ledersandalen sah, in welchen die kleinen Füße steckten. Das Knirpschen schien nicht älter als drei Jahre alt zu sein und kam dem Träumer trotzdem so bekannt vor. Diese braune Haarsträhne, welche so aberwitzig abstand, das Muttermal unter dem zierlichen Mund, die bleiche Haut, aber das konnte nicht sein… er war Roderich niemals in einem solchen Alter begegnet. Dennoch, als er in diese violetten Augen sah, waren die Zweifel aus dem Weg geräumt… Aber das hier war doch sein Traum, warum sollte er jetzt unbedingt von[,] der, ihm völlig unbekannten, Kindheit Roderichs träumen? Gut, auf der Feier war er persönlich gewesen, wenn sie auch nicht in diesem Ausmaß stattgefunden hatte und war er nicht erst heute in einen Fluss gefallen? Also alles Dinge, die erklärbar waren, im Hinblick auf seinen Erinnerungen. Gebannt glotze Gilbert den Jungen an, welcher sich hektisch nach allen Seiten umdrehte, als fürchte er jeden Moment würden Verfolger auftauchen. Vorsichtig ging er auf das Kind zu. Doch obwohl seine nassen Schuhe mit jedem Schritt einen Schmatzer machten, schien es das junge Abbild des Österreichers gar nicht zu bemerken. Also war es doch nur ein Traum, dachte der Preuße erleichtert für sich. Oder der Kleine kann mich aus anderen Gründen nicht sehen… Er blieb stehen und vermied es den Jungen zu berühren. Die großen, violetten Augen spähten aufmerksam noch mal die nähre Umgebung ab. Mit zögerlichen Schritten und immer noch regelmäßig einen Blick zurückwerfend, schlich er ans Ufer. Dann setzte er sich auf einen großen Uferfelsblock und ließ gespannt den Blick über die dunkle Wasserfläche gleiten. Gilbert gesellte sich zu ihm und wurde in seiner Annahme bestätigt, dass dieses Kind sich seiner Anwesenheit nicht bewusst war. Die kleinen, glühenden Käfer umflogen sie beide und hüllten sie ein mit ihrem lichteren Tanz. Dann, von einem Moment auf den anderen entspannte sich die Körperhaltung des Kleines, und er schloss seine Augen. Gilbert runzelte die Stirn. Bis hier her hatte der Junge einen Eindruck gemacht, wie ein scheues Tier jeder Zeit für eine Flucht bereit zu sein, doch nun schien er völlig in sich zu versinken… und zu summen. Angespannt versuchte der Weißhaarige in die Nacht zu lauschen. Erst hörte er nur die üblichen Geräusche einer lauen Sommernacht an einem großen Fluss… dann jedoch konnte auch er es hören. Er hatte diesen seelenberührenden Gesang schon einmal gehört, nur eine Traumsequenz zuvor. Doch kaum hatte er den Gesang akustisch erwischt, zerschnitt ein Ruf dieses zerbrechliche Band und eine weitere Person bahnte sich einen Weg durch das Gebüsch hinter ihnen. „Valerius!!!“ Gilbert, wie auch der Bub fuhren erschrocken herum. Gerade in diesem Moment konnten sie sehen wie sich das Unterholz teilte und ein junges Mädchen aus der kleinen Schneise trat. Braunes Haar, violette ernste Augen, diese kühle Haltung, welche so untypisch für ein Kind von sechs Jahren war… Diesmal hatte Gilbert keinen Hauch von Zweifel, bei der Frage, wen er nun gegenüber hatte. Katharina Karwank sah ihrem Bruder sehr ähnlich, wenn sie beide auch manches unterschied. „Valerius. Endlich habe ich dich gefunden.“ Preußen brauchte ein paar Momente bis er begriff, dass sie auf lateinisch redete, doch da hatte sie sich schon mit ihrer geringen Größe vor dem Jüngeren aufgebaut und war in voller Fahrt, diesem eine Standpauke zu halten. „Weißt du was für Sorgen wir uns gemacht haben. Mutter ist ganz krank vor Sorge. Wie oft müssen wir es dir noch sagen? Du sollst dich vom Limes fernhalten. Außerdem was wolltest du wieder am Fluss? Du weißt doch ganz genau, warum du nicht her gehen darfst wenn die Dunkelheit angebrochen ist.“ Der Kleine war von seinem Sitzplatz aufgestanden und sah verlegen auf seine Sandalen. „Ich wollte sie doch nur wieder hören.“ Durch die leichte Erhöhung des Felsen war der Größenunterschied zwischen den beiden Kindern aufgehoben. „Valerius!“ Das Mädchen legte ihre Hände auf die schmalen Schultern ihres Bruders und blickte ihn, für ihr Alter, mit zu ernsten Augen an. „Du weißt ganz genau, was mit denen passiert, welche ihnen nachgeben. Willst du etwa, dass dich Danuvius in sein Reich zerrt… Darunter in die kalte Tiefe?“ Der kleine Braunschopf schüttelte energisch den Kopf. Wieder runzelte Gilbert die Stirn. Warum nannte Katharina ihren Bruder Valerius? Gut das Lateingebrabbel, war noch irgendwie in Verbindung mit der römischen Kleidung der Kinder zu erklären. Aber der Name… und wer zum Teufel war Danuvius? Plötzlich packte ihn eine Hand an der Schulter und die Szene mit den Kindern verschwamm vor seinen Augen… ---------------------------------------- Kapitel 5: Kleisterbrei und Pferdegesicht ----------------------------------------- Kapi 5: Kleisterbrei und Pferdegesicht Leicht benommen schaute Gilbert in ein ihm bekanntes Gesicht, nur wusste er es in den ersten Augenblicken nicht wirklich einzuordnen. „Puh, eine Weile hab ich gedacht, dass du den Löffel abgegeben hättest, Rotauge.“ Auch die Stimme erkannte er, doch erst allmählich begannen sich die ersten Erinnerungsbruchstücke in seinem noch verschlafenen Gehirn zusammen zu fügen. „Herr Roderich hätt mich wahrscheinlich sonst die Klippe runter geworfen. Hoff für dich, dass er heute besser gelaunt ist als gestern. Und jetzt steh endlich auf!“ Wenig sanft packten ihn zwei Arme und der junge Mann an seinem Lager stellte ihn mehr recht als schlecht auf die Beine. Valentin, so hieß dieser Bengel. Gilbert stöhnte leicht auf und griff sich an den Kopf. Langsam kamen die Begebenheiten vom vorherigen Tag wieder in sein Gedächtnis. Er befand sich ja nicht mehr im Jahre 1996 in Wien, sondern irgendwo im Mittelalter, in irgendeiner verdammten Burg an einem breiten Fluss. Warte Mal, konnte es sein, dass der Fluss, aus dem er gefischt worden war die Donau war? Doch warum zum Teufel hatte er in der Donau, noch zu dem vollständig bekleidet ein Bad genommen? Der Traum mischte sich zusätzlich zu seinen Gedanken über den vergangenen Tag. Indes schmiss ihm Valentin ein Satz Kleidung ins Gesicht und riss ihn so aus seinen Gedanken. Leicht pikiert, über so wenig Achtung des anderen, besah sich die Gilbert die Sachen, um dann erleichtert, dass sich diese Gabe nicht als verstecktes Geschenk herausstellte, aufzustehen um sich anzuziehen. Es war eine schlichte Tunika, wobei die ockergelben Farben schon ausgewaschen erschienen. Dazu lagen ein Gürtel und eine einfache Lederhose bei. Die Lederschuhe hatte ihm Valentin, zu seiner größten Erleichterung, nicht ins Gesicht gepfeffert und standen vor seinem Bett bereit. Sein persönlicher Aufweckdienst bezog währenddessen Stellung vor der Türe und machte einen höchst ungeduldigen Eindruck auf ihn. „Jetzt mach schon, ich habe nicht den ganzen Morgen Zeit, mich mit dir zu befassen.“ „Ja, ja…“ Hastig zog Gilbert noch einmal am Gürtel an, um dann, ein wenig aus der Übung, die Schlaufe richtig durch den Ring zurückzuführen. Die Kleidung war ihm zwar ein wenig zu groß und schlabberte an seinem hageren Körper, zudem roch sie nur zu gut nach dem Vorbesitzer, aber sie war immerhin besser als die Lumpen, welche man ihm am Vorabend gegeben hatte. Zehn Minuten später befand sich das ehemalige Preußische Königreich in der Küche der Burg und stopfte sich voll, mit einem Frühstück, welches er schon seit Jahren nicht mehr vorgesetztbekommen hatte. Der Raum war entsprechend seiner Verwendung groß angelegt und im Gegensatz zu den anderen Räumlichkeiten, welche Gilbert bisher gesehen hatte, halbwegs hell. Knechte und Mägde huschten hin und her, immer den Blick des Kochs auf sich spürend, welcher bei ihren Eintreten noch einmal kurz mit Valentin gesprochen hatte. Einer der hier arbeiteten Knechte hatte ihm dann wortlos eine Schüssel mit irgendeinen Körnerbrei vor die Nase gestellt, wobei Gilbert nur allzu gut wahrgenommen hatte, wie der Blick des Jungen ein wenig unsicher über seine Gestalt gehuscht war. Dazu gab es zu größter Freude des Weißhaarigen einen Krug Bier und eine harte Brotkante. Während er durch den Hunger, welchen er nun lange genug verdrängt hatte, ganze Brocken vom Brot abriss, um sie sich schnell in den Rachen zu stopfen, begann er sich Valentin genauer anzusehen. Die Lichtverhältnisse waren, dank besserer Lichtquellen in dem großen Raum, um einiges besser als in seiner „Schlafkammer“ und er nahm sich auch die Zeit, welche er sich gestern einfach situationsbedingt hatte nehmen können. Soweit er es beurteilen konnte, stimmten seine Vermutungen, dass der junge Mann ihm gegenüber, um die zwanzig war. Der lange, schlaksige Körper unterstrich noch zusätzlich seine Hagerkeit. Er hatte halblanges, rotblondes Haar, welches sich an den Enden leicht kräuselte und der Zeit gemäß auf Gilbert einen fettigen Eindruck machte. Das Gesicht war ungewöhnlich schmal, wobei die Wangenknochen besonders hervorstachen. Ein richtiges Pferdegesicht halt. Außerdem schien der gute Kerl, einmal die Pocken gehabt zu haben, da ein paar hässliche Narben seine rechte Wange zierten. Valentin schien sich der Aufmerksamkeit, mit welcher ihn Gilbert bedachte nicht wirklich bewusst zu sein, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, einer schönen Küchenmagd, während ihres hektischen Treibens hinterher zu schauen. Ein wenig gesättigt von dem Brei und dem Brot, spülte Gilbert alles mit ein wenig Bier herunter, wobei er sich zusammenreißen musste, nicht allzu genau in seinem Krug zu schauen. Zudem glaubte er in der Lage zu sein, einschätzen zu können, dass jemand die gelbe Brühe mit Wasser gestreckt hatte. Dennoch hatte dieses mehr als ungewohnte Mahl wenigsten den Effekt, dass er sich schon wieder um einiges heimischer in dieser Zeit fühlte, als beim Betreten der Küche. Jeder Sinneseindruck, welchen er aufnahm, bekam durch seine Erinnerungen einen Platz und er spürte, wie in ihm eine Freude aufstieg, wie die eines Kindes, welches mit Wohlwollen erkannte, dass die von ihm gesetzten Puzzlesteine alle richtig lagen. Mit einem leisen Rülpser schob er die Schüssel von sich und erlangte so die ungeteilte Aufmerksamkeit des Rotschopfs wieder. „Also bei den Mengen, die du in dich reinstopfen kannst, musst du ein bodenloses Loch in deinem Leib haben. Sonst wärst du nicht eine solche Vogelscheuche.“ Gilbert lehnte sich leicht zurück, wobei das Völlegefühl einen Teil seiner Verunsicherung einfach verpuffen hat lassen. Ungeniert puhlte er eine Kornhülse aus einem Zahnspalt. „Besser eine Vogelscheuche als ein Pferdegesicht. Verständlich, dass euer Glück mit den Frauen nicht gerade sehr segensreich ist.“ Valentin ließ, erbost über diese Worte, den Krug auf den Tisch schlage, handelte sich aber mit dieser Geste sogleich einen strafenden Blick vom Herrn dieses Ortes ein, was Gilbert zum Grinsen brachte. „Nicht in meiner Küche, Herr Valentin.“, brüllte der stämmige Koch quer über den Raum und gab dem Knecht, welchen er noch Momente vorher aufs heftigste gerügt hatte, eine kurze Verschnaufpause. Gilbert konnte deutlich sehen, wie sich der Rothaarige zusammenriss. „Ihr müsst reden, kein anständiges Mädchen würde sich in die Nähe eures Lagers wagen, mit eurem teuflischen Antlitz.“ Touché, dachte Gilbert zu sich, fühlte sich aber nicht im Geringsten beleidigt. Sein Grinsen wurde breiter. „Nun, glaubt es mir, oder glaubt es mir nicht, aber für viele Frauen liegt eben hier der Anreiz.“ Auch ohne auf die Antwort des junges Mannes warten zu müssen, wusste Gilbert, dass er das letzte Wort für sich beanspruchen durfte. ------------ Valentin führte ihn Treppen und steinerne Gänge entlang, bis sie vor eine Tür hielten. Der junge Mann wollte schon die Hand heben zum Klopfen, da vernahmen sie beide eine weibliche Stimme. Augenblicklich verharrte der Rotschopf in der Geste und sah beinahe schuldbewusst zu Gilbert, doch dieser lauschte schon vom Moment an, in welchen er es endlich schaffte, sich auf die Konversation hinter der schweren Holztür einzustellen. „Meine Werteste, ich bin auf euer Geheiß gestern dort gewesen und habe den Mann gefunden. Ich habe nicht einmal eine Frage an ihn, bezüglich seiner Herkunft gestellt, so wie ihr es mir aufgetragen habt. So bitte ich euch nun um Aufklärung.“ „Ich habe dir schon nahegelegt, dass ich erst noch einige Dinge überprüfen muss, bis ich mir sicher bin.“ Die Frau klang zaghaft und nachdenklich, als sie die Worte aussprach. Selbst hinter der Tür konnte Gilbert ein genervtes Schnauben, seitens Roderichs vernehmen. „Meine Liebe, ihr verkennt die Lage. Ihr wart es, welche mich gestern in dieses Fischerkaff geschickt hat und Ihr wart es, welche mich gebeten hat, keine Frage bezüglich dieser Anordnung zu stellen und auch im Bezug auf diesen schrägen Vogel, welchen meine Fischer aus der Donau gezogen haben.“ Wieder entstand eine kurze Pause. „Eure Freundschaft ist mir lieb und Teuer, doch haben sich meine Probleme mit der Anwesenheit dieses… wie drücke ich es am geschicktesten aus… dieser Skurrilität, nur noch vermehrt. Eine Last, die ich bereit bin zu tragen, aber dann finde ich, steht es mir nur zu, endlich zu erfahren, was zum Henker hier gespielt wird.“ „Valerius, ich kenne deine Lage.“ Gilbert stutzte, als er den Namen vernahm und dachte wieder an den Traum zurück. Wenn er dort wirklich einen Abschnitt aus Roderichs Vergangenheit gesehen hatte, so war er sich sicher, dass dieser nun mindestens ein paar Jahrhunderte zurück lag. Doch wer zum Henker konnte Roderich in dieser Epoche noch mit diesem Namen ansprechen? Oder hatte sich der Braunhaarige einst im Mittelalter anders genannt? Hastig ging er in Gedanken jede weibliche Bekanntschaft des Österreichers durch, welche ihm bekannt war. Elisabeth und Böhmen schloss er von Anfang an aus. Katharina konnte ebenfalls nicht die Frau hinter dieser Türe sein. Erstens kannte er ihre Stimme und zweitens hatte Kärnten den Hang, meistens mit einer gelangweilt monotonen Stimme zu reden. Seit seiner ersten Begegnung mit ihr, hatte sie ihn mit ihrer distanzierten Art immer ein wenig an Norwegen erinnert und ihm oft genug Momente beschert, in welchen ihm die älteste der Schwestern der österreichischen Nationen, mit ihrer emotionslosen Art richtig Angst eingejagt hatte. Doch diese Stimme klang hell und derart wohlklingend, dass es dem Preußen ganz warm ums Herz wurde. Auf sonderbare Weise erinnerte sie ihn an ein rieselndes Bächlein, durchströmt von klarstem Wasser. Kurz und unmerklich schüttelte er den Kopf. Wie kitschig das klang und doch konnte er dieses harmonische Bild solange die Frau sprach, nicht aus seinen Gedanken verbannen. Bevor er seine Liste weiterabarbeiten konnte, sprach die Dame weiter und hinderte ihn so am Nachdenken. „Aber bitte übe dich noch ein wenig in Geduld und nimm dich bis zu meiner Rückkehr seiner an, mehr verlange ich nicht von dir… tue es um unser langer Freundschaft willen!“ Zwar hatte Gilbert überhaupt keinen Einblick, was sich hinter dieser Tür abspielte, aber er konnte selbst hinter dieser dicken Holztür die Anspannung spüren, welche im Begriff war sich aufzubauen. Doch dann erklang ein gut hörbarer Seufzer und der Weißhaarige konnte beinahe vor seinem geistigen Auge sehen, wie der dünne Leib seines einstigen Widersachers durch das Ausatmen kurz einfiel. „Ihr wisst wie sehr mir eure Gunst am Herzen liegt, meine Werteste. So bin ich auch gewillt, diesen Fremden weiterhin unter meinen persönlichen Schutz zu stellen, ohne nach seiner Rolle in Fortunas Plan zu fragen. Unter der Voraussetzung natürlich, das ihr mich, so bald wie es euch möglich ist, über die Wahrheit, welche hinter diesem Versteckspiel steckt, aufklärt.“ Gilbert konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, offenbar hatte Roderich schon zu diesen Zeiten das Buckeln beherrscht wie kein anderer. Wie einfach er doch zu handhaben war und er, das große Preußen, hatte sich Sorgen gemacht, dass dieser Roderich sich von dem ihm bekannten Exemplar unterschied. Wie lachhaft… „Ich danke dir aus vollsten Herzen und werde dir diesen Gefallen eines Tages zu gleichen Wert zurück erweisen.“ Die Dame klang ehrlich entzückt. „An eurem Wort habe ich nie gezweifelt, aber nun glaube ich, wäre es an der Zeit, dass ihr diesen Mann kennenlernt, welchen ihr mir unerwartet auf gebürgt habt. Valentin sollte jeder Zeit mit ihm hier sein, wenn der Bengel mir nicht mal wieder bummelt.“ In Roderichs Stimmlage konnte Gilbert deutlich einen leichten Hauch an Zynismus hören, welchen er meist nur allzu gerne im Laufe ihrer Jahrzehnte langer Rivalität herausgefordert hatte. Ein Sessel knarzte und wurde hörbar über den Steinboden geschoben. „Ich bin in Kenntnis, wie sehr du durch deine aktuelle politische Lage beschäftigst bist. Weshalb ich dir sehr verbunden bin, dass du trotz allem diese Verantwortung auf dich nimmst.“ Schritte näherten sich der Türe und hastig sprangen Valentin und Gilbert zurück, um sich schnell in der Rolle der gerade Ankommenden einzufinden. „Nur wäre es mir dann lieber gewesen, dieser Fremde hätte einen günstigeren Zeitpunkt gewählt, um sich aus der Donau fischen zu lassen. Im Moment habe ich schon genug Schwierigkeiten, den Schaden, welcher mir der Gescherte verursacht, in Grenzen zu halten.“ Ein helles, zauberhaftes Lachen erklang, an dem sich Gilbert ebenso wenig erfreuen konnte, wie an der sarkastischer Stimmung seines Lieblingsrivalen, da dieser im Begriff war, eben die Türe zu öffnen. Doch kaum hatte Roderich die Türe zu Gänze geöffnet, bedachte er als erstes Valentin mit einem strafenden Blick, wobei er Gilbert im ersten Moment völlig ignorierte. Unter normalen Umständen hätte sich Gilbert über so viel nicht Beachtung seiner Gestalt, beleidigt gefühlt, doch nun versuchte er einen Einblick ins Zimmer zu kriegen, um endlich zu erfahren, wer Roderichs geheimnisvoller Damenbesuch war. „Du hast doch nicht schon wieder Türklinken geputzt, Valentin?“ Die Stimme klang kühl und schneidend, während Gilbert aus den Augenwinkeln beobachten konnte, wie unbeteiligt sich der junge Ritter geben wollte, und dabei die Erscheinung eines Schuldigen noch mehr untermauerte. „Natürlich nicht, Herr.“ Das österreichische Herzogtum sah schlecht aus und erst jetzt wurde Gilbert bewusst, wie hager und ausgemergelt sein langzeitiger Rivale aussah. Unter den violetten Augen zeichneten sich deutlich Augenringe ab und dem einst so aufrechten Gang des Österreichers fehlte jegliche Spannung. Doch der Preuße kam nicht dazu, sich lange Gedanken über die schlechte körperliche Verfassung des anderen zu machen, da wurde er schon von Valentin halb in den Raum hinein geschubst, kaum war ihm das österreichische Herzogtum aus dem Weg getreten, um sie beide hereinzulassen. Als Gilbert kaum die paar Schritte ins Zimmer reingestolpert war und sich eben umdrehen wollte, um das Pockengesicht anzuschnauzen, über so wenig Achtung vor seiner Person, erblickte er sie. Diese Frau, welche er nun gegenüber stand, war eine der schönsten Zierden des sanften Geschlechtes die er jemals gesehen hatte. Er tat sich schwer das genaue Alter der Dame einzuschätzen, da sie in ihrer Schönheit alterlos wirkte und sich scheinbar, ähnlich wie bei ihnen, keinem Alter zu unterwerfen schien. Der Körper war derart zierlich und zart, dass der Ostdeutsche Ängste hatte, sollte er ihre filigranen Hände in die seinigen nehmen, er Gefahr laufen könnte, sie unter seine Finger zu zerbrechen. Selbst die dünnen Handgelenke wirkten auf ihn wie aus Glas und gaben der Erscheinung etwas sinnliches, wie auch durchaus begehrenswertes. Die Haut war makellos und hatte die vornehme Bleiche, welche über Jahrhunderten in Liebesliedern besungen worden ist. Die feinen Stoffe aus denen das Kleid einst genäht worden war, betonten anreizend die wohlgeformten Stellen des Körpers, und gaben ihr dennoch etwas Züchtiges und Keusches. Das lange, goldblonde Haar fiel offen ihren Rücken herab, wobei die leichten Locken dem schlanken Körper ein wenig an Kompaktheit gaben, ohne das Gesamtbild zu verunglimpfen. Eine edelgeschwungene Stupsnase gab dem, an sich schon sehr zarten, Gesicht eine kindliche Note, welche jedoch im krassen Gegenteil stand, mit dem, was Gilbert in den Augen des Fräuleins lesen konnte. Diese Augen waren das auffälligste an ihrer Erscheinung und das lag nicht nur an der tiefen, dunkelblauen Färbung der Iris. Es war vielmehr die Flut an Sinneseindrücken, welche ausgelöst wurde, als Gilbert sich im ersten Moment in dem unheimlichen blau verlor. Es kam ihm vor, als würde er in einen tiefes Gewässer schauen und dort die Geheimnisse erblicken, welche die Fluten verbargen, jedoch ohne paradoxer Weise sagen zu können, woraus diese Geheimnisse den nun bestanden. „Valentin, welch eine Freude, dich in all deiner Jugend zu sehen. Du bist ziemlich gewachsen, seit dem ich dich das letzte Mal gesehen habe. Da hast du dir aus deinem Knaben ja einen sehr stattlichen Mann gezogen, Valerius.“ Aus den Augenwinkeln konnte Gilbert sehen, wie der Angesprochene errötete und Roderich leicht spöttisch mit den Augen rollte über solch Verlegenheit. „Meine Dame haben mich ja auch schon seit meinen vierzehnten Winter nicht mehr gesehen.“ Der großgewachsenen Rotschopf verhielt sich mit einem Schlag wie ein verlorenes Kind. Ein kristallklares Lachen erfüllte den Raum und verunsicherte den jungen Mann noch mehr. „Wie die Zeit vergeht, ich hoffe du verzeihst unsere lästige Angewohnheit, die Zeit nicht wirklich wahrzunehmen, mein Lieber. Aber wenn man schon wie Valerius und ich einige Jahrhunderte hinter sich hat, ist man für solche Unterschiede nicht mehr wirklich empfänglich.“ Beinahe hätte Gilbert den Mund vor Erstaunen aufgeklappt und erst allmählich verdaute sein Gehirn die erst kürzlich eingetroffenen Informationen. Ihn traf die Erkenntnis, dass es sich offenbar bei der jungen Frau um eine Angehörige ihrer verschwiegenen Gemeinschaft von „Fastunsterblichen“ handelte, nicht so sehr wie die Feststellung, dass offenbar dieses Pferdegesicht über ihre wahre Natur in Kenntnis war. Er merkte kaum, wie Roderich leise etwas vor sich hin nuschelte und den Blick über die im Steinboden eingelassenen Dielenbretter schweifen ließ. „Valerius, dürfte ich dich bitten, mich unter vier Augen mit diesem Mann sprechen zu lassen.“ Das Fräulein neigte betörend den Kopf zu Seite, als sie sah wie wenig Roderich von dieser Idee hielt. Die ganze Situation hatte etwas Lachhaftes. Dieser Jüngling, gerade einmal dem Alter eines Pagen entwachsen, versuchte ernsthaft den Beschützer vor einem solch zauberhaften Wesen zu spielen? Gut, es war auch in einer kitschigen Weise richtig niedlich. „Ich bitte dich…“ „Meine Dame, ihr wisst dass es dem Anstand ge…“ Nur für einen kurzen Augenblick, verschwand das Lächeln aus dem jugendlichen Gesicht und ein scharfer Blick füllte die herrlich dunkelblauen Augen aus. Doch der Augenblick verflog, so schnell er gekommen war und das zierliche Lächeln gewann seinen Platz zurück. „Ich weiß, was die Etikette verlangt, aber eben du solltest wissen was ich bin und verstehen, dass um mich jede Sorge verschwendet wäre.“ Sie hatte diese Zurechtweisung mit ebenjener Sanftheit gesprochen, welche ihren vorigen Dialog durchdrungen hatte, doch es wurde sehr schnell klar, dass Roderich sehr wohl den Wink verstanden hatte. Augenblicklich neigte er ein wenig den Kopf nach unten und senkte den Blick als er ergeben antwortete. „Natürlich, verzeiht meine Aufdringlichkeit.“ Galant erwies der Junge die nötigen Höflichkeiten der Dame gegenüber, bevor er ein wenig grob nach dem Ärmel von Valentins Tunika schnappte, um ihn hinter sich her zu ziehen und den Raum, ohne Gilbert auch nur eines Blickes zu würdigen, hinaus ging. Kaum war die schwere Holztür hinter den Beiden zu geschlagen, konnten sie vernehmen, dass die Schritte sich entfernten, um dann in einiger Nähe aufzuhören. Offenbar hatte der Österreicher es sich doch in den Kopf gesetzt einige Meter weiter Stellung aufzuziehen. Kaum merklich konnten sie ein etwas erhitztes Gespräch zwischen den beiden mithören, welches aber zu größten Teil eindeutig auf Roderichs Konto ging und auch mehr wie eine Rüge strukturiert war, als ein gleichberechtigtes Gespräch. „Mhm, Valentin war für Valerius einfach der Richtige. Ich kann mich nicht erinnern, ob er jemals einen besseren Diener gehabt hat, der ihn so gut ergänzt.“ Die blonde Schönheit kicherte, wobei Gilbert ihr aus mangelnden Informationen nicht wirklich folgen konnte. Mit einer eleganten Drehung wandte sie sich nun ihm zu. „Nun zu euch, Herr…“ Augenblicklich erwachten in Gilbert die Lebensgeister und er schenkte seine volle Aufmerksamkeit der Dame neben ihm. „Gilbert, mein Fräulein. Verzeiht mir, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe.“ Die Angesprochene neigte erkennend den Kopf, und bedachte ihn mit einem forschenden Blick. Mit anmutigen Schritten besah sie ihn sich von allen Seiten, doch es lag keine Abscheu oder Sensationsgier in den dunkelblauen Augen, wie er es von anderen Menschen kannte, sondern reine Neugier. Der Preuße wusste das es unangebracht war, der Dame das Wort zu nehmen, aber er spürte in sich die Ungeduld aufsteigen, und bevor er sich wirklich besann was er von sich gab, schwebten die Frage im Raum. „Verzeiht, wenn ich so dreist nachfrage, mein Fräulein. Aber so erlaubt mir die Frage, was mach ich eigentlich hier?“ Kapitel 6: Vom Schleier und Springer ------------------------------------ Ein kurzer Augenblick der Stille folgte auf diese Frage, in welchem ihn das reizende Geschöpf bedauernd musterte. „Nun, Herr Gilbert, auf dies bin ich leider nicht in der Lage, Ihnen eine ehrliche Antwort zu geben. Es tut mir leid.“ Augenblicklich zog sich in Gilbert das Herz zusammen, als er den kummervollen Blick des Fräuleins bemerkte. Er wollte irgendetwas sagen, doch ihm fiel nichts Passendes ein und so zog er es vor, lieber zu schweigen. Doch die Stille dauerte nicht lange an. „Aber vielleicht könnt Ihr mir helfen, diese Frage zu beantworten, indem Ihr mir mal sagt, was denn passiert ist, bevor Ihr in die Donau gefallen seid?“ Gilbert runzelte bei dieser Frage die Stirn und versuchte jegliche Erinnerung zusammen zu kratzen. Er konnte sich noch an den Abend in der Spelunke erinnern und dass er mit diesem Mann diese verlassen hatte, aber danach… Verdammt noch mal, was war danach passiert? „Könnt Ihr Euch überhaupt noch daran erinnern, was passiert ist?“ Der sanfte Klang der Stimme riss Gilbert wieder aus der Grübelei, in die er sich gestürzt hatte. „Nun ja…“, begann er langsam sich seine Gedanken wieder her zu richten. „Könnten Sie mal sagen, in welchem Jahr wir uns befinden?“ Die blauen Augen musterten ihn aufmerksam, doch erst zögerlich folgte eine Gegenantwort. „Sie kommen nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft, nicht wahr?“ Auf seinen Blick hin fühlte sie sich offenbar verpflichtet, diese Feststellung weiter auszuführen. „Valerius hat mir einiges Eurer Kleidung und Eures Verhaltens, besser gesagt Eurer Aussprache geschildert.“ „Nun ja, ich vermute einmal, Sie wissen, was ich bin, nicht wahr?“, fragte er zögerlich. Erst sah sie ihn sehr interessiert an, dann brach sie in glockenhelles Gelächter aus. „Mein lieber Gilbert, es war mir von Anfang an klar, dass hinter Ihnen ein von Menschen erschaffendes Land steht.“ Aus Gründen, die er selbst nicht nennen konnte, fühlte er sich plötzlich wie ein ertapptes Schulkind, welches durch Unaufmerksamkeit eine leichte Frage falsch beantwortet hatte. Amüsiert über seine nun rötlicher gewordenen Ohren lächelte sie ihn an. „Ich weiß, dass viele der Eurigen nicht mehr den Blick haben, aber Meinesgleichen spürt dies sofort.“ Um seine unangenehme Verwunderung zu überspielen, wechselte sie das Thema, sodass er gar nicht dazu kam, zu fragen, was sie mit „Meinesgleichen“ gemeint hatte oder gar nach ihrer Identität zu fragen. Dabei fiel es ihm erst jetzt auf, diese Dame hatte zwar seinen Namen erfragt, aber er wusste noch immer nicht, wie sie hieß. Doch bevor er auch nur ein Wort aussprechen konnte, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Wenn ich fragen darf, welches Land repräsentiert Ihr?“ „Nun, aktuell stehe ich für den Osten von Deutschland, wobei ich betonen muss, dass die Grenzen aus meiner Zeit nicht mit denen übereinstimmen, die Ihr vom Heiligen Römischen Reich kennt.“ Aufmerksam nickte die Dame. „Ihr habt also eben einen Sprung hinter Euch?“ Wieder weiteten sich die roten Augen und verblüfft konnte Gilbert es nicht lassen, die Dame anzustarren, was sie mit einem sanften Lächeln quittierte. „Mein Lieber, ich habe mit Euresgleichen mehr zu tun als ihr denkt und gerade in solch unruhigen Zeiten bekommt man schnell mit, was ein Springer ist.“ Belustigt hielt sie sich die Faust vor den zierlichen Mund, um ihr leises und melodisches Lachen zu verbergen. „Ein Repräsentant, welcher gezwungen ist, sich neu zu orientieren. Nun, um aber zu eurer Frage zurückzukommen: Wir schrieben eben das Jahr 1244.“ Augenblicklich begann es in Gilberts Hirn zu rattern. 1244… Das hieß, er war zu dem Zeitpunkt nicht einmal Teil des Römisch-Deutschen Reiches und der deutsche Orden hatte vor ein bisschen mehr als 10 Jahren begonnen, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. „Gab es Sie zu dieser Zeit schon, Herr Gilbert?“ Erst allmählich wurde sich der Ostdeutsche der Frage bewusst, während seine Gedanken mit historischen Fakten und Daten herum jonglierten. „Äh… ja… Ich befinde mich eben unter der Herrschaft des Deutschen Ordens. Nur werdet Ihr mich kaum kennen. Da sich meine damaligen Länder von hier gesehen hoch im hoch im Norden befanden und zudem noch nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren.“ Das hübsche Gesicht hellte sich auf und erfreut klatschte die junge Frau in ihre zierlichen Hände. „Dann trifft sich dies ja gut. Denn in Wien ist einer der Hauptstützpunkte dieses Menschenordens, oder irre ich mich da?“ Gilbert musste kurz überlegen, aber dann nickte er. „Gut, das heißt, um Euch eine Identität für eine Weile zu verschaffen. Ihr könntet doch wieder die weißen Gewänder des Ordens anlegen. Es sollte Euch doch nicht schwer fallen, wieder zurück in die ehemalige Rolle zu finden, oder?“ Die Idee war einleuchtend und verärgert fragte sich Gilbert, warum er selber nicht darauf gekommen war. Schließlich hatte ihn der Orden, kaum war er als das, was er war, erkannt worden, nach seinen Regeln erzogen. Diese Zeit als geistliches Territorium hatte ihn sehr geprägt. Die Dame indes schien sich sehr über ihren Einfall zu freuen. „Gut, dann werde ich Valerius sagen, er soll Euch in nächster Zeit als Gesandter des Ordens in sein Gefolge aufnehmen. Es sollte für ihn kein Problem darstellen, Euch die passende Kleidung zu besorgen.“ Abermals nickte Gilbert und Erleichterung überkam ihn. Die ganze Situation begann den Umständen entsprechend erfreulicher zu werden als am Vortag. Da fiel ihm wieder eine Frage ein. „Verzeiht, meine Dame, aber dürfte ich fragen, weshalb Ihr Roderich Valerius nennt?“ Erstaunt hob sie wieder ihren hübschen Kopf und die blauen Augen sahen ihn forschend an. „Weil dies der Name ist, den er bekommen hatte, als man ihn fand. Offenbar war dies Euch nicht bekannt?“ Gilbert schüttelte unangenehm berührt den Kopf. Er konnte sich an kein Gespräch mit dem Vertreter der österreichischen Lande erinnern, das auch nur im Entferntesten privat gewesen war, in dem Roderich Details aus seiner Kindheit hätte preisgeben können. Wobei, wenn das ehemalige preußische Königreich genauer nachdachte, so hatten sie noch nie sonderlich viel über Privates gesprochen. Eine unangenehme Stille breitete sich im Raum aus und Gilbert wurde bewusst, wie wenig er eigentlich über sein österreichisches Pendant wusste. Dabei waren sie doch schon so lange Feinde. „Nun, um auf Eure Situation zurückzukommen.“ Die vorsichtig ausgesprochenen Worte rissen Gilbert wieder in die Gegenwart und ein wenig betölpelt blickte er zu seiner Gesprächspartnerin. „Habt Ihr noch Fragen oder Einwände zu diesen Vorkehrungen Eurer Person wegen?“ Mühsam versuchte Gilbert seine Gedanken wieder zu ordnen und sich auf den vorhergegangenen Teil des Gespräches zu konzentrieren. „Was ist mit den Männern, die mich gestern hergebracht haben? Werden die keine Fragen stellen?“ Mit einer eleganten Bewegung winkte die Dame ab. „Valentin ist der Einzige, der vom Schleier, welcher auf Euresgleichen liegt, nicht betroffen ist. Die meisten anderen, werden Euch schnell wieder vergessen, kaum werdet Ihr mit Valerius die Burg verlassen und kommende Bekanntschaften werden dank Eures Gewandes keine unnötigen Fragen stellen.“ Gilbert legte ungewollt den Kopf ein wenig schief. An die Auswirkung des Schleiers hatte er seit seiner unheilvollen Errettung aus dem Fluss nicht mehr gedacht. Seitdem sein Körper ausgewachsen war, vergaß er regelmäßig, dass dieser Selbstschutz immer noch auf ihm lag. Der Effekt des Schleiers war folgender: Wenn ein Normalsterblicher auf eine Personifizierung einer Nation traf, erkannte er sie zwar im ersten Augenblick meistens als das, was sie war, doch kaum war die entsprechende Nation nicht mehr in der näheren Umgebung, löschte der Schleier diese neugewonnene Erkenntnis und lieferte dem Verstand bei wiederholten Zusammentreffen sogar plausible Erklärungen, warum dieser junge Mann und diese junge Frau auch nach Jahrzehnten nicht alterten, oder wie es in seiner Kindheit war, warum ein kleiner Knirps von gerade mal einem Meter in einem Heer von Rittern in voller Montur einfach mit in die Schlacht ritt. Dieser Zauber oder was auch immer es war, war ein Schutz, selbst wenn nicht einmal die zaubernden Nationen erklären konnten, wie genau er funktionierte. Auf jeden Fall nahm er soweit Einfluss auf ihr Alltagleben, in dem sie aufgrund ihrer Unsterblichkeit auf eventuelle Probleme gestoßen wären. Seltsamerweise schienen die meisten Herrscher und ihr näherer Beraterstab teilweise von diesen Auswirkungen - solange sie ihr Amt ausübten - nicht betroffen zu sein und Gilbert wusste, dass es Menschen gab, die einfach immun dagegen waren. Doch diese hatten entweder meistens den Mund gehalten oder hatten im Laufe der Zeit einfach einen geistigen Knacks bekommen. Es war in vielen Punkten gefährlich, darauf zu beharren, jemanden zu kennen, der offenbar nicht alterte. Manche waren deswegen in der Vergangenheit auf dem Scheiterhaufen gelandet oder in moderneren Zeiten in geschlossenen Abteilungen verschwunden. „Mir war bis jetzt nicht bewusst gewesen, dass Roderich jemanden in seinem Gefolge hält, der den Blick besitzt.“ Wieder dieses verschmitzte Lächeln auf den Lippen der Schönheit und Gilbert fragte sich, ob die Dame sich nicht ein Spiel mit ihm leistete. „Der Blick, die Fähigkeit etwas als das zu erkennen, was es ist. Dem Schleier ein Schnippchen schlagen. Wie ich sehe, habt Ihr nicht alles darüber vergessen. Erlaubt es etwa Eure Epoche, so leichtfertig mit diesem Segen umzugehen?“ Die Worte waren melodisch ausgesprochen worden, doch die leichte Neckerei, welche darin lag, konnte die Tonlage nicht verstecken. Kokett senkte sie ein wenig ihren zierlichen Kopf, doch dann überkam ein Ausdruck von Ernst ihre feinen Züge. „Aber gut, genug gescherzt. In Eurem eigenen Interesse, Herr Gilbert, müsste ich Sie bitten, mir ungeachtet der Tatsache, dass uns beide offenbar mehrere Jahrhunderte trennen, alles zu erzählen, was Eurer Meinung nach wichtig ist, um zu verstehen, warum Ihr hier seid.“ Eine gefühlte Viertelstunde redete Gilbert von allem, was in der Nacht der Feier geschehen war, wobei er ab dem Augenblick begann, als er in die Bar gegangen war, um seine Frustration über den vorhergegangenen Streit mit Roderich im Alkohol zu ertränken. Doch den Konflikt mit der österreichischen Republik ließ er unerwähnt. Aufmerksam hörte ihm das Fräulein zu. Doch als er den Mann beschrieb, der sich dann zu ihm gesetzt hatte, entgleisten für einen kurzen Moment die schönen Gesichtszüge der Dame und Gilbert meinte, Grauen in den dunkelblauen Augen lesen zu können. Einen Wimpernschlag später war der Schrecken wie aus dem Gesicht geblasen und eine ernste Miene hatte ihren Platz eingenommen. Plötzlich wirkte das zarte Geschöpf nicht mehr zierlich und zerbrechlich, sondern auf vorsichtige Weise unantastbar und eine wilde Entschlossenheit spiegelte sich in ihren Augen wieder. „Meine Dame, habe ich etwas Falsches gesagt?“, murmelte Gilbert aufgeschreckt über eine plötzliche Wandlung in der Haltung und sah sie verwirrt an. „Nein, aber vielleicht den Ansatz zu des Rätsels Lösung. Bitte fahrt weiter fort.“ Unbehaglich über den kühlen Wechsel in der vorhin warmen Stimme nahm Gilbert den Faden wieder auf. Er fasste in kurzen Worten das Gespräch zusammen und ging auch auf seine Verwunderung ein, dass dieser Mann Roderich offenbar zu kennen schien, ohne dass er jedoch eine ihm bekannte Nation war. Dann stockte er und nachdenklich bildeten sich Falten auf seiner bleichen Stirn. Sie waren gemeinsam aus der Bar gegangen, und dann? Es schien, als würden einem Fernseher gleich seine Erinnerung von einem Störsignal betroffen sein. Er konnte sich an das mühsame Erklimmen der Stufen aus dem Keller erinnern, und auch an die kühle Luft, die ihn augenblicklich eingehüllt hatte, kaum hatten sie das Etablissement verlassen und befanden sich auf der Straße. Die grellen Lichter der verschiedenen Beleuchtungen, welche beim Einbruch der Nacht eingeschaltet werden, tanzten vor seinem inneren Auge und er hörte das amüsierte, tiefe Glucksen seiner neuen Bekanntschaft… Doch dann verschwamm alles und hüllte jeglichen Eindruck in tiefes Schwarz. „Eure Erinnerungen enden hier, oder irre ich mich, Herr Gilbert?“ Aus für ihn nicht ganz erfindlichen Gründen machte Gilbert die Kühle in den Worten leicht betreten. Der unnahbare Ausdruck ihres Gesichtes ließ keine Einblicke in die Gedankenwelt des blonden Fräuleins und Gilbert wurde sich abermals bewusst, dass er sich einer Fremden anvertraut hatte. Im Nachhinein konnte er selber nicht erklären, warum. Vielleicht lag es an der spürbaren Ausstrahlung der jungen Dame, die offenbar so wechselbar war wie ihr Gemüt. Vielleicht, weil er unbewusst die Hoffnung gehegt hatte, dass sie ihm seine Situation erklären konnte. Scheu glitt er mit seinen roten Augen über die Erscheinung des alterslosen Fräuleins. Sie erschien ihm so anders, gleichzeitig ebenso vertraut. „Ich fürchte, das ist alles, was ich Euch sagen kann.“ Er spürte die forsche Musterung der blauen Augen auf ihm und versuchte so unauffällig wie möglich, ihrem Blick auszuweichen. „Gut, dann belassen wir es soweit bei dem. Wie die Dinge offenbar liegen, muss ich augenblicklich mit Valerius reden. Ich fürchte, Herr Gilbert, Ihr habt uns mehr Ärger bereitet, als Ihr es Euch vorstellen könnt.“ Kapitel 7: Unruhige Kolosse und eine klärendes Gespräch bei Wein und Weib -------------------------------------------------------------------------- Unruhige Kolosse und ein klärendes Gespräch bei Wein und Weib Irgendwas lag in der Luft und dieses Irgendwas bedeutete Ärger. Großen Ärger. Agnes konnte es bis in die kleine Zehe spüren. Doch einstweilen verschwendete sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihr Gefühl in der kleinen Zehe, sondern versuchte viel eher verzweifelt auf ihren kurzen Beinchen mit den riesigen Schritten des Kolosses neben ihr mitzuhalten. „Verdammt noch mal, bleib stehen!“ Wagemutig, was bei genauerer Betrachtung eher als größenwahnsinnig verbucht werden konnte, sprang sie dem Riesen genau vor die Füße, worauf dieser augenblicklich stehen blieb, um nicht auf das dürre Mädchen zu steigen. Ärgerlich breitete Agnes die Arme auseinander als könnte sie ihn damit am Weitergehen hindern. „So…“, zischte sie gefährlich und legte den Kopf in den Nacken. Die Sonne, welche hinter dem Riesen schien, blendete sie und ließ sie immerzu blinzeln. „Jetzt erklär mir mal was hier bei allen Geistern los ist.“ Wütend stampfte sie mit ihrem Fuß auf und stemmte grimmig die Arme in die Hüften. Das Bild von ihnen beide hatte etwas Lächerliches. Auf der einen Seite das hagere Mädchen, welches mit ihrem dünnen Körper, der Knappenkleidung, die an ihren Leib schlotterte und dem Pagenschnitt, als Knabe ohne weiteres durchgehen konnte, auf der anderen Seite ein Koloss von einem Mann. Geschätzt erreichte er ohne Probleme die fünf Metermarke, wobei seine Größe durch seinen stämmigen Körperbau nur noch weiter betont wurde. Das wirre, schwarze Haupthaar bedecke wie ein dunkles Gestrüpp den breiten Kopf, während der dichte und drahtige Bart womöglich gut als Nestbaumaterial für Vögel gedient hätte. Seine ganze Erscheinung hatte was Wildes und Unberechenbares an sich. Nur die kleinen, pechschwarzen Äugelein, welche hinter dem dichten Haarwuchs hervorlugten, sprachen von einer gewissen, anders war es nicht auszudrücken, einer zärtlichen Schlichtheit Mit einem tiefen Grunzen ging der Riese auf die Knie und streckte die Hand aus. Ohne zu zögern griff Agnes nach den Fingern und kletterte geschickt von der Hand weg auf den beharrten Arm des Riesen. Der Koloss hob sie in Augenhöhe und betrachtete sie aufmerksam. „Nun?“, fragte das Mädchen scharf. „Wenn ich einst ausgewählt wurde, dieses Land mit seinen Bewohner zu repräsentieren, so muss ich doch wissen, was hier vor sich geht.“ Lachfalten bildeten sich um die Augen des Mannes und auch sein Brat oberhalb des großen Mundes erzitterte amüsiert. Agnes war sich nur zu gut der Furcht bewusst, die der Anblick der Riesen in Normalsterblichen auslöste, doch eben diese Momente bestätigten ihr, wie falsch dieses Volk eingeschätzt wurde. Die Riesen waren nicht grausam. Sicher sie waren nicht unbedingt völlig friedliebig und fügten den Menschen in ihren Gemütsausbrüchen große Schäden zu, aber das lag nun mal in ihrer Natur als Vertreter der Berge. Wenn ihr Zorn ein Dorf oder eine Alm traf, so nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Zufall. Riesen stellten sich selten die Frage, ob es die Menschen verdient hatten bestraft zu werden oder nicht. Sie kannten den Unterschied zwischen böse und gut nicht. Vielleicht ließ sie das willkürlich erscheinen, aber Agnes war eher überzeugt, dass durch diesen Wesenszug das Volk der Riesen unbestechlich war. Natürlich gab es Ausnahmen und mit Schaudern erinnerte sie sich an diese. Denn diese waren durch ihre verlorenen Naivität am gefährlichsten, denn sie wurden den Menschen immer ähnlicher. Ein erneutes Grunzen holte sie in die Gegenwart zurück und mit ernstem Gesicht lauschte sie der einfachen Sprache ihres riesenhaften Wegbegleiters. Je mehr sie erfuhr, auch wenn es nicht viel war, umso mehr zogen sich die dunklen Augenbrauen zusammen. Das alles klang nicht gut, auch wenn es außerhalb ihres Zuständigkeitgebietes lag und der verwendete Wortlaut des Kolosses mehr als einfach gehalten war. Als der Riese seine kurze Erklärung beendet hatte, konnte sie sich einen Blick Richtung Osten nicht verkneifen, auch wenn ihr Horizont nicht über den nächsten Berg kam. „Dann könnten interessante Zeiten auf uns zukommen.“, murmelte das Mädchen geistesabwesend, bevor sie sich aufrichtete, um elegant über den Arm auf die Schulter zu klettern und sich an der groben Kleidung, die den massigen Körper wie ein Sack umhüllte, festzuhalten. „Gut, dann gehen wir. Aber das nächste Mal, weiht mich gleich ein. Schließlich bin auch wenn ich nun etwas menschliches repräsentiere, ein Teil von der Gemeinschaft.“ Mit einem Klaps auf den Kopf setzte sich der Riese wieder in Bewegung. -------------------------------------- Gilbert spürte den erbosten Blick zwar auf sich ruhen, aber er versuchte so wenig wie möglich, dem Beachtung zu schenken. Doch dann schien Valentin der Kragen zu platzen. „Verdammt noch mal was ist denn nun los?“, fragte der junge Mann recht ungestüm und der Ostdeutsche bemerkte aus den Augenwinkeln wie der andere aufgebracht die Fäuste ballte. Sie standen nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit im zugigen, wie auch dunklen Gang, und Gilbert hatte schon öfters aus Reflex die Hand gehoben um die Zeit ablesen zu können, aber dann im gleichen Augenblick feststellen müssen, dass er ja keine Uhr mehr am Handgelenk trug. Hilflos zuckte er die Achseln, eine Geste, die seine Ratlosigkeit nur unterstreichen sollte, aber offenbar Valentin ebenso davon abhielt, ihn weiterhin mit seinem aggressiven Verhalten zu drangsalieren. Roderich war, kaum hatte die Dame den Kopf aus der Türe gestreckt, zu ihr geeilt und Gilbert hatte abermals das Gefühl bekommen, das Misstrauen, welches der schmale Bursche ausstrahlte, förmlich auf der Haut spüren zu können. Für einen kurzen Augenblick steckten beide die Köpfe zusammen, wobei das ehemalige Preußen, trotzt der Anstrengung die Ohren zu spitzen, kein Wort verstanden hatte. Es klang auch nicht wirklich Deutsch, was sie da sprachen. Dann gab ihm das Fräulein mit anmutigen Gesten zu verstehen, dass sie ihn nun aus ihrer Gesellschaft entließ und geleitete ihn noch mit einem aufmunternden Lächeln, welches jedoch nicht in den Augen zu finden war, aus dem Raum, während Roderich mit sorgenvoller Miene hineinhuschte. Seitdem befand sich abermals Gilbert in der Gesellschaft von Roderichs pferdegesichtigen Laufburschen, welchen es offenbar ziemlich in den Fingern juckte, den Inhalt des vergangenen Gespräches aus ihm rauszupressen und nach seiner Haltung ihm gegenüber, wenn es sein musste auf die weniger sanfte Art. Ungehalten stampfte der Rotschopf auf und warf der gegenüberliegenden Wand, einen düsteren Blick zu, als wäre sie der Grund des Übels. „Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass du uns nichts als Ärger bringst. Hätte dich doch nur der Donaufürst geholt.“ Gilbert lehnte sich gegen die Wand und betrachte zum zweiten Mal an diesem Tag aufmerksam den hochgewachsenen jungen Mann. Die Dame hatte ihm gesagt dass der Junge den Blick hatte, also die Dinge so zu sehen, wie sie waren. Dabei… Erstaunt hob er die Augenbrauen als ihm wieder einfiel, dass er noch immer nicht wusste, wer dieses Fräulein war, noch warum Roderich einen solch großen Respekt vor ihr hegte. „Sag Mal, Valentin…“ Aufgeschreckt suchten die wässrig blauen Augen die Seinigen und erstaunt, dass er sich so unverblümt an ihn richtete, legte der Junge aus Reflex den Kopf schief. „Wer ist denn diese Dame überhaupt?“ „Hat sie dir das nicht gesagt?“ Mit einem spöttischen Grinsen auf den schmalen Lippen, nahm Valentin eine selbstbewusstere Haltung an, als wäre er im Besitzt einer Information, die ihn über Gilbert stellte. Was zusätzlich durch die Arroganz in der Stimme unterstrichen wurde. „Dann bist du offenbar nicht wichtig genug es zu wissen.“ Trotz der offensichtlichen Provokation in den Worten, zwang sich Gilbert sich nicht von ihnen im Stolz verletzten zu lassen, um den Jungspunt mit Bewahrung eines kühlen Kopfes aus der Reserve zu locken zu können. „Ach, und du bist es? Dann habe ich die Angelegenheit für zu wichtig eingeschätzt und die Rolle des Fräuleins für höher eingestuft als sie in Wahrheit ist.“ Gelangweilt ließ Gilbert den Blick zu Seite schweifen, während er keck das eine Bein über das Standbein legte und die Arme über die Brust kreuzte. Augenblicklich reagierte Valentin auf den Reiz. „Wie kannst du behaupten, die Angelegenheit sei unwichtig, wenn selbst das Fräulein Vedunia…“ Es war amüsant, zuzusehen, wie dem jungen Mann mitten im Satz ein Licht aufgegangen war und er nun mit offenem Mund Gilbert anstarrte. Irgendwie fühlte sich Gilbert an den Karpfen aus seinem Traum erinnert, selbst wenn Valentin ein viel zu hageres Gesicht besaß, um auch nur ansatzweise mit dem klobigen Kopf des Fisches verglichen zu werden. Fräulein Vedunia… Gilbert meinte sogar seine grauen Zellen bei der Arbeit rattern zu hören, während der Name in Endlosschleife durch seine Gedanken spuckte. Der Name klang eindeutig nicht Deutsch, nicht einmal wenn er die frühen Formen der Sprache mit in seine Überlegungen einbezog und doch hatte allein der Klang des Namens etwas vertrautes, wenn auch nicht bekanntes. Dabei war er sich mehr als sicher den Namen noch nie in seiner langen Laufbahn als Vertreter gehört zu haben und sein Gedächtnis war mehr als gut. „Gut, dann weißt du jetzt den Namen.“ Es war Valentin anzusehen, wie schwer es ihm fiel kein beleidigtes Gesicht zu ziehen, wenn er sich jedoch den trotzigen Unterton nicht verkneifen konnte. „Aber wer oder was sie genau ist, werde ich dir trotzdem nicht sagen.“ Gilbert wollte eben zu einer Erwiderung ansetzen, dass er sich in dem Fall an Roderich wenden konnte, da ging die schwere Holztür ein paar Schritte neben ihnen auf und der Österreicher verließ mit sorgenvollem Blick den Raum, wo Gilbert einst die besagte Dame kennengelernt hatte. Augenblicklich war Valentin an seiner Seite, machte jedoch im selben Augenblick Platz, als das Fräulein mit aller Höflichkeit von Seiten der jungen österreichischen Nation in den Gang geleitet wurde. Auch Gilbert kam dem ungleichen Paar entgegen, doch blieb nach nicht einmal ein paar Schritten stehen, als er sah, dass die Herrschaften auf ihn zukamen. Die Haltung der einzigen Dame im Gang, hatte immer noch was würdevolles, beinahe sogar was etwas Unerreichbares und selbst Roderich schien sie, wenn man seine Körpersprache bedachte, als höherrangig zu erachten. Schnell hatte sie seinen Blick mit ihren tiefblauen Augen auf sich gelenkt und blieb, soweit es dem Anstand gebührte, punktgenau vor ihm stehen. Ohne Umschweife kam sie dann zu Sache. „Herr Gilbert, Valerius hat sich bereit erklärt euch für unbestimmte Zeit unter seinen Schutz zu stellen. Euch wird wie besprochen die Ordenstracht des Deutschen Ordens zu Verfügung gestellt und auch in ihrem Namen seid Ihr unterwegs. Hegt Ihr dagegen Einwände?“ Überrascht über diese Direktheit konnte Gilbert nichts weiter als nicken. Die nonverbale Antwort schien ihr zu genügen. Anschließend drehte sie sich zu den zwei jungen Männern um. „Valentin, ich setzte auch mein vollstes Vertrauen in dich, dass du Herrn Gilbert durch diese unruhigen Zeiten begleitest.“ Was von der Wortwahl her nach einer Bitte klang, konnte durch ihren verwendeten Tonfall als indirekter Befehl verstanden werden. Der junge Mann wandte verlegen den hochroten Kopf ab, starrte betreten auf die steinerne Wand neben ihm und nuschelte irgendetwas Unverständliches. Nun wandte sie sich Roderich zu, wobei ihre Gesichtszüge augenblicklich weicher wurden. „Ich danke dir, mein Freund, für deine Unterstützung und hoffe dass sich bald alles zu unserem Gunsten klären wird.“ Roderich nickte, wobei seine verschlossene Miene keine Spekulationen zuließ, was eigentlich hinter dem braunen Haarschopf vor sich ging. Vorsichtig hob er das fahle Gesicht und bedachte die Dame mit einem langen Blick. „Wissen es vielleicht schon die anderen?“ Ein sanftes Lächeln umspielte die schönen Züge der Dame. „Meinen Schwestern ist es aufgefallen und bezweifle kaum, dass es Erla entgangen ist. Sollte es nicht so sein, so wird ihn Blondi in nächster Zeit in Kenntnis setzen. Schließlich fließt in ihren Adern unser Blut und was die anderen betrifft….“ Für einen Augenblick schwieg das Fräulein, als müsste sie erst die richtigen Worte suchen. „Ich hoffe bloß, dass es das Machtgefüge nicht zu sehr erschüttert. Wir leben schon so in recht unruhigen Zeiten, aber sollte sich was ergeben, so werden wir dich natürlich kontaktieren.“ Abermals nickte Roderich, doch sein Blick verfinsterte sich, als hätte diese Erkenntnisse unangenehme Erinnerung geweckt. „Mhm.... ich hoffe eher dass diese Sache schnell geklärt wird, ich kann es mir einstweilen nicht leisten, zusätzlich noch Bemühungen aufzubringen, um erneut gegen die Alten aufzubegehren. Einmal war genug und Ihr selber wisst, wie ungern ich mich einst eigemischt habe. Zudem bin ich, wie schon erwähnt, mit den weltlichen Geschehnissen genügend ausgelastet, um mich um derartige Probleme zu kümmern.“ Für einen Augenblick schien es, als hätte Roderich nichts mehr zu sagen. Die Arme über die Brust gekreuzt, die Augen geschlossen, hatte er sich gegen die Wand gelehnt und schien im Moment gedanklich, wo ganz anderes zu sein. Die Schönheit trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich erinnere mich an dein einstiges Zögern, mein Freund, und dennoch kann ich dir nur abermals versichern dass es nötig gewesen war, so zu handeln.“ Roderich öffnete die Augen und blickte in die seines Gegenübers, wobei es schien, als hätte er Gilbert und Valentin völlig aus seiner Wahrnehmung gestrichen. „Und sollten wir abermals handeln müssen, so werden wir es auch tun. Denn vergiss eines niemals, mein junger Valerius, wir leben kein Fliegenleben wie die Menschen und können es uns nicht leisten abzuwarten. Darum kann ich dich nur noch einmal fragen, wirst du bereit sein uns mit allen dir zur Verfügung stehenden Mitteln helfen?“ Auch wenn eine gewisse weiche Note in ihrer Stimme lag, so wurde sich Gilbert , beim Beobachten dieser Szene nur allzu sehr bewusst, wie streng ihre Worte zu verstehen waren und zum ersten Mal, seitdem er in diese Zeit angekommen war, sah der Ostdeutsche wie Roderich scheu einen einem Blick auswich, wie auch eindeutig unwohl auf der Lippe zu kauen begann. Doch dann nuschelte er kaum vernehmbares „Ich bin natürlich bereit der Dame zu dienen“. „Gut, dann erwarte ich dich um die übliche Stunde am üblichen Orte. Gehab dich bis dahin wohl und gebe, so bitte ich dich, auf deinen Schutzbefohlen und natürlich auch auf dich acht.“ Sanft strich sie mit ihren filigraneren Fingerspitzen die blasse Wange ab, liebevoll wie eine Mutter einem Kind, welches sie zu beschwichtigen suchte. Anschließend erhaschte sie noch einmal seinen Blick, bevor sie sich dann vom Österreicher abwandte und den beiden anderen Männern im Raum zunickte. „Soll ich die Dame hinausgeleiten?“, versuchte Valentin galant die beklommene Situation zu retten. „Ich danke fürs Angebot, Valentin, aber ich finde meinen Weg selber und der kann und wird nicht der eurige sein. Was nun euch angeht, Herr Gilbert… so achtet auf euch und bereitetet bereitet während eures Aufenthalt, Valerius keine Schande. Haltet euch einfach nur bereit.“ Und mit diesen Worten ging sie und ließ den Ostdeutschen ebenso klug zurück, wie vor ihrem zusammentreffen. ------------------------------------------------------------- Es war laut und es ging lustig zu. So hatten sich sogar ein paar Musiker gefunden, alle samt ein paar junge Bauersburschen, die sich ein wenig was zur ihrem kargen Lohn dazuverdienen wollten, und mit ihrer Musik zur ausgelassenen Stimmung beitrugen. Er wollte sich auf jeden Fall nicht beklagen. Durch seine feine Kleidung wurde er als reicher Gutshofbesitzer behandelt und bisher waren seine weltlichen Gelüste aufs Beste gestillt worden. Das Essen war vorzüglich gewesen, wie auch die weibliche Bekanntschaft, welche er nun am Schoss schamlos näher besah. Wie gesagt die Stimmung war ausgelassen und nur noch wenig unterschied diesen Gasthof von einem Frauenhaus, wobei dessen Belegschaft hier schon längst eingetrudelt war. Die Dirnen würden heute gutes Geld machen, dafür brauchte man kein großer Menschenkenner zu sein. Er wollte sich eben den prallen Brüsten des Weibsbilds, welches in aufreizender Pose auf ihm saß, zuwenden und merkte erfreut wie diese begonnen hatte an seinem Gürtel zu nässeln, da setzte sich ohne höfliche Absprache ein Mann zu ihnen, der im ersten Augenblick, für seinen Geschmack einen eindeutig zu nüchternen Eindruck machte und nicht nur das, er stank nach Mensch, noch dazu nach Bauer. Die Gugel war tief ins Gesicht gezogen und auch die restliche Kleidung verdeckte nur allzu gut charakteristische Merkmale, dennoch wusste er genau, wer eben die Frechheit besessen hatte, sich einfach so zu ihm zu setzen. Wahrscheinlich hatte der Neuankömmling irgendeinem armen Bauern die Kleidung gestohlen, er selber machte sich nicht so viele Gedanken darüber, sondern war eher erstaunt, dass seine vagen Vermutungen bestätig worden waren. Sicher, er war nicht mehr der mächtige Mann von früher und unter gar keinen Umständen mit dem zu verglichen, was er noch in viel früheren Zeiten repräsentiert hat, aber sein gutes Gespür an der Ader der anderen Welt, hatte er trotz hoher Machteinbußen immer noch. Noch einmal ließ er seinen Blick über die Gestalt schweifen, fragte sich abermals wie tief er nur hat sinken können und gab der Frau, welche in ihrem Tun sich eindeutig von der neuen Tischbekanntschaft gestört fühlte einen Klapps auf den wohlgeformten Hintern. „Tut mir leid Schätzchen, aber ich fürchte unser Tun wird eben von sehr wichtigen Angelegenheiten gestört.“ Die Frau warf ihm einen ungnädigen Blick zu, der sich jedoch augenblicklich erhellte, als sie die zwei goldenen Münzen in seiner Hand aufblitzen sah. Mit einer egelganten Bewegung glitt sie an ihm runter, nahm würdevoll das Geld entgegen und warf ihm noch bei Abschied einen Blick zu, welcher ihm eindeutig signalisierte, dass sie ihm wohl auch später ihre Dienste anbieten würde. Erst als sie außer Hörweite war, wandte er sich wieder seinem ungewöhnlichen Besuch zu. Doch als er eben den Mund aufmachen wollte, kam ihm dieser zuvor. „Wir müssen reden…“ Wenig auf den scharfen Ton in der Stimme achtend, ließ er sich gegen das hölzerne Lehen zurücksinkend und grübelte, während er den anderen musterte, was dieser wohl für eine Motivation hatte, wieder in diese Zeit zurückzukehren. Die Kleidung war bei näherem Ansehen wirklich bäuerlich und wahrscheinlich lag der ehemalige Eigentümer am Grunde der Donau. Schade um die Seele, er hätte sie gerne gehabt, stand es ihm doch immer noch zu, die Seelen der Ertrunkenen in Krügen einzusperren, um die in seinem Schloss zu lagern. Nun ja, über vergossene Milch soll man bekanntlich nicht weinen. „Ich dachte schon dass so was kommt. Ich habe es bis ins Mark gespürt, dass jemand so wahnsinnig gewesen ist in den Fluss der Zeit ein Loch zu reisen.“ Er nahm noch einen tiefen Schluck Bier. „Aber ich hätte mit dir als Ergebnis nicht einmal in meinen kühnsten Träumen gerechnet.“ „Du kannst gar nicht träumen!“, konterte der Mann trocken mit seiner tiefen Stimme und ließ durch seine Haltung erahnen, wie wenig er angetan von der Situation war. „Sagt wer?“ „Ich und du musst zugegeben dass ich in einer guten Lage bin dieses einzuschätzen.“ Der Tonfall des Unbekannten war gereizter und er wusste nur zu gut, dass er bald daran war eine empfindliche Grenze zu überschreiten. Gut, genug um den heißen Brei herum geredet, entschied er in Gedanken und kam nun zur Frage, die ihm ab den Moment auf der Zunge brannte, als er sich bewusst geworden war, mit wem er es zu tun hatte. „Mhm… mag sein, aber das bringt mich zu Frage, was machst du hier? Ich mein, seinem eigenen Ich, aus ein paar Jahrhunderten später zu begegnen ist in der Tat nichts Alltägliches.“ Kapitel 8: Abendlicher Brei, unangenehme Erinnerungen und geschuppte Gefangenen ------------------------------------------------------------------------------- Abendlicher Brei, unangenehme Erinnerungen und geschuppte Gefangenen „Ihr könnt ruhig zugreifen oder fürchtet Ihr etwa, ich hätte es vergiftet.“ Ungehalten wies Roderich mit der Hand auf die Speisen, die zwischen ihm und Gilbert standen. Es war auch nicht so, dass Gilbert beim Anblick des Angebotenen nicht das Wasser im Munde zusammenfloss, sondern eher die Tatsache, dass er angestrengt über die damaligen Tischsitten grübelte, so dass er nicht zulangte. Irgendwas lief hier verkehrt und aus unerfindlichen Gründen, beschloss Gilbert sich zuerst der Lösung dieses Rätsel zu stellen, bevor er sich der Frage zuwandte, was zu dieser Zeit für gute Manieren gehalten wurde und was nicht. Das Problem war nur, dass er zu jener Zeit einst in den strengen Tagesablauf des Deutschen Ordens gebunden worden war, dessen Tischregeln sich in manchen Punkten von denen der Höfe unterschied. Dort hatte während den Malzeiten ein strenges Schweigegebot geherrscht und mehr als einmal hatte er für die Missachtung dieser Regel Prügel vom Ordensmeister erhalten. Schon als Kind war er jemand gewesen, der im Beisammensein mit anderen schlecht still halten konnte. Plötzlich fiel ihm auf, was ihn an der momentanen Konstellation störte. „Roderich, gestattet mir die Frage, aber warum essen wir hier nur zu zweit, anstatt…“ „Anstatt bei den anderen im Saal zu sitzen. Nun, ich war mir noch nicht sicher ob es ratsam wäre, verzeiht meine Ausdrucksweise, Euch schon jetzt auf die Gesellschaft da unten los zu lassen oder umgekehrt. Außerdem wollte ich Euch noch unter vier Augen sprechen.“ „Was ist mit Valentin?“ Es war nicht so, dass Gilbert diesen misstrauischen Kerl ins Herz geschlossen hatte, aber das letzte Mal, als er mit Roderich alleine in einem Raum gewesen war, hatten sie sich beide durch einen unbedachten Streit auf tiefste verletzt. In Gedanken schüttelte Gilbert den Kopf. Nein, er wollte einfach nicht an diese Szenerie erinnert werden. Vielleicht auch deswegen, da er wünschte die gefallenen Worte von einst für immer aus seinem Gedächtnis streichen zu können. Doch diese Zweisamkeit mit dem Österreicher erinnerte ihn aufs empfindlichste an diesen Zusammenstoß. „Weil ich einen Streit heute Abend vermeiden möchte und mir es nicht so scheint als wäret Ihr Valentin in den letzten Stunden sympathischer geworden.“ Das stimmte soweit, nachdem die Dame sie drei verlassen hatte, war Gilbert von Roderich zurück in den Raum geschickt worden, welchen man ihm als Zimmer zugeteilt hatte, wo er dann die nächsten Stunden damit zubrachte, seine Gedanken zu ordnen und über das vergangenen Gespräch zu grübeln. Sicher, er wusste nun welches Jahr man schrieb und dass offenbar ein paar Leute, einschließlich Roderich, gewisses Interesse daran hatten ihn im Unwissen zu halten. Aber bis auf ein paar Namen, die ihm absolut nichts sagten, der Gewissheit, dass er bald wieder in das längst abgelegte Gewand des Deutschen Ritterordens schlüpfen würde und die Tatsache, dass er eben so klug war wie davor, hatten seine Grübeleien zu keinem befriedigten Ergebnis geführt. Seine Stimmung hatte sich auch nicht wirklich gebessert, als Valentin ihn in seiner unfreiwilligen Einsamkeit störte und ihm eröffnete, dass Roderich angeordnet hatte, dass er ihn zum Abendessen in seinem privaten Zimmer erwartete. Auf den Weg zu den Räumen des Österreichers hatten sie es beide auch nicht unterlassen können, sich mit Sticheleien und groben Gesten das Leben sauer zu gestalten. Dennoch hätte Gilbert in nächsten Momenten lieber die Gesellschaft der Pockennarbe um sich gehabt, als sich nun mit dem unterkühlten Blicks Roderichs, den er offenbar schon in jungen Jahren beinahe makellos beherrschte, auseinander zu setzen. Die Tatsache alleine in der Anwesenheit seines zukünftigen Feindes gelassen zu werden, verschaffte ihm ein ungutes Gefühl in der Magengegend und ruinierte seinen Appetit. Indes wartete Roderich leicht ungeduldig, dass Gilbert ebenfalls den Löffel in den groben Brei tauchte, den ihnen ein Küchenjunge hier nach oben gebracht hatte. Nach einigem Zögern drängte sich auch Gilbert dazu endlich mit dem Essen zu beginnen. Der Brei schmeckte entgegen aller Erwartungen nach den Gewürzen, die Gilbert regelmäßig zwischen den gekleisterten Körnern fand, auch wenn das Geschmackserlebnis sich in Grenzen hielt. Aber immerhin war es geschmackvoller als das Essen, an das er sich erinnern konnte, als der geistliche Orden seine Lande fest im Griff hatten. In der ersten Zeit verlief das Essen schweigend, was auf der einen Seite Gilbert dazu verhalf, sich wieder die alten Tischsitten der Zeit in Erinnerung zu rufen und sich vor allem von den Medien verzerrten Bild der Essensgelage im Mittelalter zu trennen, aber auf der anderen Seite wirkte die ganze Szenerie auf den Ostdeutschen beklemmend. Es war wie das unangenehme Gefühl, wenn man in einem Gespräch festgefahren war und was zu einer peinlichen Stille führte. Zwar brannten Gilbert tausend Fragen auf der Zunge, aber er wusste einfach nicht wie er diese stellen konnte, ohne seine Lage zu verkomplizieren. Roderich hingegen schien ebenfalls seinen Gedanken nachzuhängen und lustlos in seinen Brei herum zu rühren, wobei er regelmäßig ein paar Bissen aus seinem Stück Brot riss. Die Kerzen im grobschlächtigen Ständer zwischen ihnen hüllten den Tisch in ihr warmes Licht und machten gleichzeitig Gilbert nur zu gut bewusst, dass die Dunkelheit sich früh in den Alltag einschlich und wie schnell gerade im zusehens kommenden Winter der Tag zu Ende ging. „Nun…“ Ungewöhnlich vorsichtig hob Gilbert den Kopf und blickte gleich daraufhin in die violetten Augen seines österreichischen Pendants. „Ihr kommt also wirklich aus der Zukunft?“ Ungläubigkeit spiegelte sich in dem jungen Gesicht wieder, und doch konnte Gilbert dahinter gleichzeitig eine gewisse Furcht dahinter erkennen. „Hat Euch die Dame von unserem Gespräch in Kenntnis gesetzt?“ Gilbert fühlte sich seltsam, dass als er sich so distanziert mit Roderich unterhielt. Sicher, sie hatten sich nicht immer mit Samthandschuhen angefasst und nicht all ihre Unterhaltungen waren ohne gröbere Zusammenstöße von statten gegangen, aber nun kam es ihm so vor, als würde er sich mit einem Fremden unterhalten und nicht mit jemanden, den er nun schon seit gut 300 Jahren kannte. Obwohl, wenn er über ihre jetzige Situation nachdachte, musste er eingestehen, dass er sich mit jemanden ihm unbekannten unterhielt. Schließlich kam es erst in dreihundert Jahren zu ihrem ersten richtigen Treffen. Bis dahin würden die deutschen Ordensmeister der Vergangenheit angehören und Roderich schon ein fixer Bestandteil des Habsburgerreiches sein, wenn nicht sogar der Führer der österreichischen Linie. Dabei… „Ja, sie hat mich soweit über ihre Lage aufgeklärt, wenn auch nur in groben Zügen.“ Gilbert nickte und spülte den Brei mit ein wenig Wein nach. Verglichen mit dem, was er aus der Gegenwart gewohnt war, schmeckte dieser gestreckt und enthielt bei weitem nicht den gleichen Alkoholanteil. Was aber vielleicht damit zusammen hing, dass Wein und Bier zu diesen Zeiten das Standartgetränk waren, wenn man keine Vergiftung vom brackigen Wasser riskieren wollte. „Ich hätte auch eine Frage an Euch, Roderich. Welches Geschlecht herrscht eben über Euch?“ Augenblicklich verschloss sich die Mine des Österreichers und Gilbert wurde das Gefühl nicht los, eben einen wunden Punkt getroffen zu haben. Er erinnerte sich an ein Saufgelage mit Antonio, wo dieser ihn über die Zeit an gejammert hatte, in der sich Roderich einst sehr gegen seine beiden Schützlinge Karl und Ferdinand, beides Habsburgersöhne, gesträubt hatte. Vielleicht hatte der Österreicher schon früher Probleme mit seinem Herrschergeschlecht gehabt. Selbst wenn ihm dieser Gedanke ungewöhnlich vorkam, schließlich hatte sich Roderich im Namen der Habsburger öfters gegen ihn gestellt. „Das noble Geschlecht der Popponen steht mir und meiner Schwester vor.“ Gilbert machte sich wenig Mühe das Erstaunen auf seinem Gesicht zu kaschieren. Die Popponen … ach verdammt! Diesen Namen hatte er doch schon irgendwo gehört, in Verbindung mit einem anderen Namen, Babenburcker oder so... Kurz bevor er diese unheilsverkündete Reise angetreten hatte. Vielleicht hatte sie sein Bruder irgendwann mal erwähnt oder er hatte den Namen irgendwo auf der Feier aufgeschnappt. Manchmal bekam er ernsthaft das Gefühl, er solle doch seiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit bei Gesprächen schenken. „Ihr wirkt erstaunt, Herr Gilbert.“ Roderich hatte kurz innegehalten und der Löffel schwebte, vollbeladen mit Brei, über dem halbvollen Teller. Das so gut bekannte, distanzierte Misstrauen blitze ihn an und ungewollt zog sich in Gilbert innerlich etwas schmerzhaft zusammen und er musste wieder grob die Gedanken an die letzte Begegnung mit Roderich in der Gegenwart aus seinem Verstand räumen, bevor ihn die Bilder des Geschehens überwältigen konnten. Warum nahm er sich gerade diesen Streit so zu Herzen? Sie hatten sich doch schon öfters böse Sachen an den Kopf geworfen. Also warum hatten ihn eben diese Worte so sehr getroffen? ... Weil sie ehrlich gemeint gewesen waren... Seine Aussagen wie auch die Roderichs und weil sie ihre Beziehung zu einander nur allzu unschön entblößt hatten. „Herr Gilbert?“ Aufgeschreckt aus seinen dunklen Gedanken, sah Gilbert wieder zu seinem Gastgeber, welcher noch immer den vollen Löffel in der Hand hielt und ihn aufmerksam musterte. Bitte sieh mich nicht mit dem Blick an, fehlte Gilbert leise zu sich, erlangte aber nur kurze Zeit später wieder die Kontrolle über seine Beherrschung wieder. „Verzeiht, ich war in Gedanken…“, nuschelte er dann entschuldigend, bevor er sich, um einen Vorwand zu haben den Gesprächsbeginn dem anderen zu überlassen, den Löffel Brei in den Mund stopfte. Roderich nickte, schien jedoch unbedingt eine Sache zur Sprache bringen zu wollen. „Natürlich… aber ich hätte da noch eine Frage an Sie, Herr Gilbert…“ Der Junge schien sich dabei nicht wohl zu fühlen und begann unwillkürlich ein wenig auf seinen Stuhl hin und her zu rutschen. In anderen Zeiten hätte Gilbert über ein solches Verhalten aufgrund Unbehagens seitens Roderichs geschmunzelt und es für seine Belustigung ausgenutzt, aber nun hütete er sich davor, sich darüber lustig zu machen. Schließlich schien der Jüngere Gilberts Antwort nicht mehr abzuwarten zu können. „Mir ist klar, dass wir uns offenbar jetzt nicht bekannt sind… aber ich schien Ihnen nicht unbekannt zu sein… so wollte ich...“ „Fragen, ob wir uns später mal begegnen?“, beendete Gilbert ungewollt den Satz und verhalf somit Roderich aus der Beklemmung. Seine Gedanken überschlugen sich, wie sollte er dieser Frage beikommen, ohne a) zu viel über die Zukunft des Österreichers preiszugeben und b)ihre verzwickte Beziehung zu einander nicht aufzudecken. Die Tatsache, dass sie später auf den politischen Parkett zu erbitterten Rivalen werden würden, könnte sich, nun wo die Meinung des Österreichers über ihn noch unbefleckt von Vorurteilen war, als problematisch erweisen. Für eine Weile drehte Gilbert unablässig die Worte im Kopf hin und her, bis er zu einem halbwegs befriedigenden Ausweg gefunden hatte. „Formulieren wir es mal so…“ Das ehemalige Preußen zeichnete mit seinem Löffel eine Schleife in der Luft. „Wirklich den anderen wahrnehmen werden wir erst in ein paar hundert Jahren.“ Ein ungewohntes Glitzern schlich sich in die violetten Augen und wenn es Gilbert nicht anders beschreiben vermochte, war es Hoffnung. Plötzlich wirkte das Gesicht nicht mehr ganz so blass und hohl, wenn auch ein wenig jünger. „Das heißt, es wird mich unter dieser Form in ein paar hundert Jahren noch geben?“ Autsch… Er hatte es doch geahnt, dass eine Antwort auf solche Fragen verzwickt und tückisch sein konnte. Nicht dass er viel auf den Schund von Filmen aus Amerika gab, aber selbst dort wurde bei Zeitreisen immer gewarnt nicht die Vergangenheit durch unüberlegte Aussagen zu verändern. Ein leichter Rotstich schlich sich auf die blassen Wangen des ehemaligen preußischen Fürstentums. Im Gegensatz zu diesem burgerfressenden Idioten hielt er nicht alles für möglich, was sich dessen hirnverbrannte Traumindustrie ausdachte. Doch nun steckte er in einer Zeitreise fest und alles was er als Anleitung verwenden konnte, waren die dämlichen Ratschläge aus zweitklassigen Filmen oder Serien, made in Amerika. Das nächste Mal sollte es bitte Alfred treffen oder besser noch Ivan oder am besten alle beide. Dann war er von zwei Störenfrieden befreit und müsste sich jetzt nicht mit dem ganzen herum ärgern. „Verzeiht. Ich hätte nicht fragen sollen. Fräulein Vedunia hat mir einst eingeschärft, ich sollte solche Fragen nach Euer Vergangenheit und meiner Zukunft vermeiden.“ Gilbert nickte kurz erneut und musterte den jungen Mann an diesem Tag zum ersten Mal genauer. Auf den ersten Blick war es wirklich Roderich, nur eben jünger als in seiner Zeit. Das Muttermal war an der richtigen Stelle und auch der typische violette Iriston hatte sich nicht im Geringsten geändert. Das braune Harr war ein wenig länger und es fehlte der saubere Schnitt, den der Schnösel als Erwachsener üblicherweise trug. Ebenso wie die eckige Brille, deren Fehlen das Gesicht noch zarter und jünger machte, als es war. „Wie stehen wir dann zueinander?“ Nach einiger Zeit schien dem Österreicher die unverhohlene Musterung unangenehm geworden zu sein oder er konnte diese Frage ebenfalls nicht für sich behalten. Gilbert musste unwillkürlich leicht grinsen. Offenbar konnte sich dieser junge Roderich nicht ganz so hinter seiner distanzierten Fassade verkrümeln, wie sein älteres Ich. Einerseits war das an sich recht niedlich, auch wenn er dies niemals zugegeben würde. Wie kam er bei seiner Großartigkeit dazu? Andererseits, ließ dies Roderich nicht so verstaubt wirken, wie der Roderich den er vor einem Tag in der Zukunft zurückgelassen hatte. „Ich dachte Ihr seid mit der Dame übereingekommen, so was nicht zu fragen.“ Nun war es an Roderich leicht rot auf den Wangen zu werden und erst jetzt wurde sich der Ostdeutsche der Bedeutung der Frage bewusst. Das Lächeln fror auf der Stelle ein. ~„Nein, Roddy, klären wir das hier ein für alle Malle. Was bin ich für dich oder was bin ich für dich gewesen?“~ Er sah ihn wieder vor seinem geistigen Auge und erinnerte sich im Wortlaut an jeden Satz der gefallen war. Wie der Österreicher, gekleidet in dem eleganten dunkeln Anzug, am Fenster in dem dunklen Raum stand, nur erhellt von dem spärlichen Laternenlicht der Straße, welches in den leeren Raum fiel. Wie er die Türe mit einem Krachen ins Schloss fallen hat lassen und sie beide somit von der ausgelassenen Stimmung des Festes ausschloss. Er spürte erneut den aufgeschreckten Blick des anderen auf sich ruhen. Erinnerte sich an den Zorn, mit welchem er den Österreicher zur Rede hatte stellen wollen und mit welcher Sturheit dieser sich dagegen gewehrt hatte. Die ganzen Bilder, vor denen er sich gewehrt hatte, strömten unbarmherzig durch seine Gedanken, so als wäre nun ein Damm gebrochen und sein Appetit, wie auch der letzte Funke guter Laune verschwand zusehends. Sie beide hatten an diesen Abend vieles ruiniert, wenn nicht sogar unwiderruflich zerstört. Roderich schien seine plötzliche aufkommende düstere Stimmung zu bemerken und sich augenblicklich zu beruhigen. Der Jugendliche, welcher für ein paar Momente hinter der Fassade des Österreichers hervorgekommen war, hatte wieder die distanzierte Maske aufgesetzt und war dahinter verschwunden. Doch Gilbert hing nun seinen düsteren Gedanken nach und leerte ohne ein weiteres Wort fallen zu lassen die Schüssel. Das restliche Abendessen verlief schweigend und Gilbert dachte mit Bitterkeit zu sich, dass seine ehemaligen Ordensmeister mit seinem Verhalten zufrieden gewesen wären. ------------------------------------------------------- Schweigend schritt sie immer weiter in die Tiefe, wo Stille und Dunkelheit Einzug gehalten hatten. Allein der Schein der Fackel war ihr ständiger Begleiter und warf obskure Schattenbilder an die steinernen Wände. Die Last in dem Beutel, welcher über einen Riemen auf ihrer Schulter ruhte, wog schwer und doch hatte sie es im Laufe der Jahre gelernt zu ignorieren. Es werde abermals zu wenig sein, das wusste sie nur zu gut, aber mehr konnte sie einfach nicht tragen und jemanden hier in dieses Höhlensystem zu schicken war unmöglich. Vielleicht in Zukunft, vorausgesetzt sie würde jemanden finden, dem sie ebenso vertrauen konnte, wie ihr Bruder sein Vertrauen in diesen Rotschopf setzte, aber bis dahin musste sie die Arbeit hier alleine übernehmen. Sie hatte das Ende der Treppe erreicht und verfolgte weiterhin ihren Weg durch das Geflecht aus unterirdischen Gängen und Höhlen. Diese Welt unter der Erde war bisher den Menschen mit all seinen Schönheiten und Schrecken verborgen geblieben und ihrer Meinung nach, war dies auch gut so. Als sie eine weitere Höhle betrat, fand sie sich endlich dem riesigen Portal gegenüber, zu welchem sie sich aufgemacht hatte. Das Holz war über die Jahre durch die hier herrschende Feuchtigkeit morsch geworden und überzogen von spröden Rissen, die auf den schlechten Zustand des Tores hinwiesen. Besorgt legte sie eine ihrer Hände auf das feuchte Holz und strich einmal die Maserung entlang, immer darauf bedacht sich keinen Schiefer einzuziehen. Ein tiefes Grollen hinter der Tür gab ihr Gewissheit, dass ihre Ankunft nicht unbemerkt geblieben war. Geschickt schlüpfte sie durch einen riesigen Spalt an der rechten Seite des Tores. Die Höhle in der sie sich nun befand, war noch größer als die letzte gewesen und das muntere Plätschern eines kleinen, unterirdischen Baches nur zu gut vernehmbar. Ein paar Kolonien leuchtender Pilze spendeten in der beinahe absoluten Dunkelheit gedämpftes Licht und ließen die gewaltigen Ausmaße dieser Grotte nur erahnen. Sie ging nicht viele Schritte nach innen, sondern blieb bei einem umgefallenen Schemel stehen, den sie nun aufstellte und auf den sie sich hinsetzte. In der Düsternis vor ihr rasselten schwere Ketten über den Boden und das Grollen wurde lauter. „Katharina…?“ Die Stimme hatte etwas Animalisches und rein gar nichts Menschliches. Plötzlich schabten die Ketten in größerer Geschwindigkeit über den steinernen Boden und eine krallenbewährte Tatze schlug ein paar Meter vor der jungen Frau tiefe Furchen ins Gestein, welche unbeeindruckt starr auf dem Schemel sitzen blieb. Die schwere Kette, die sich um die dicke Tatze schlang, war bis aufs Äußerste gespannt und ein boshaftes Lachen erklang aus der Düsternis. „Natürlich, wer sonst würde es sonst wagen mir einen Besuch abzustatten. Liebste Katharina…“ Der Hass in der tiefen Stimme war unüberhörbar und dennoch löste er keine Reaktion mehr bei der Braunhaarigen aus. Warum auch? Wäre sie an seiner Stelle gewesen, sie würde ihn als ihren Kerkermeister ebenso hassen. Wiederum verzog sie das Gesicht, als die Krallen ohrenbetäubend über den Felsen fuhren und ein langgezogenes Geräusch verursachten. Als die Kralle wieder aus dem Schein der Fackel verschwunden war, griff sie nach dem Beutel, welchen sie neben sich abgestellt hatte. Leuchtende, rote Augen, groß wie Servierteller, beobachten jeden ihrer Handgriffe und blitzten sie unheilverkündend an. Lieblos schmiss sie einen großen Brocken Fleisch in die Dunkelheit und mit einem Klatschen landete es in der gewünschten Richtung. „Wie großzügig von dir, liebste Katharina, du hast mir sogar was zu essen mitgebracht.“ „Friss und hör auf mit der Ironie.“, konterte sie emotionslos, während ein Schmatzen die Höhle erfüllte. „Aber, liebste Katharina, als würde ich es nicht ernst meinen… Schließlich ist deine Gesellschaft eine recht nette Abwechslung zu denen von Molchen und Krabbelgetier.“ Sie schwieg dazu und warf das nächste Stück Fleisch in die Dunkelheit. „Nanu… so schweigsam, liebste Katharina… gibt es den rein gar nichts was du mir zu erzählen hast…?“ Die Stimme klang belustigt, wie ebenso lauernd. „Nichts was dich zu interessieren hätte.“ Wieder erklang das amüsierte tiefe Lachen, spöttisch und gleichzeitig abfällig. „Als hätte ich es nicht längst mitbekommen.“ Für einen kurzen Augenblick zog Katharina die Augenbrauen zusammen, um dann wieder die emotionslose Maske aufzusetzen, die sie eigentlich immer trug. „Wovon redest du?“ „Aber kleine Katharina, du willst doch nicht andeuten, dass du von dem nichts wüsstest.“ Sie konnte sehen wie ihr Gesprächspartner im Zwielicht des Fackelscheines seinen riesigen Schädel auf seine Pranken polsterte und sie hämisch beobachtete. „Stimmt… du magst Noriea ziemlich ähnlich sein im Aussehen, aber ihr Blut fließt nur äußerst dünn durch deine Adern.“ „Ziehe Mutter in dem Ganzen nicht rein. Du Wurm!“ „Oh… wenn es um deine Familie geht, dann lässt du deine Fassade aber schnell fallen, liebste Katharina. Aber wird bitte nicht gleich beleidigend. Ich bin ja schließlich kein Erdwurm.“ Spöttisch blitzten die Fangzähne weiß und gefährlich im diffusen Schein der Fackel auf. „Und was Noriea angeht… nun ja, wer die Seinigen verlässt, um sich den Menschen anzuschließen… ach lassen wir die Vergangenheit lieber ruhen. Über Verschwundene soll man bekanntlich nicht lästern. Oder waren es die Toten?“ Er ließ den Satz in der Höhle stehen, wissend dass er mit den Worten bei ihr einen wunden Punkt traf. Die Gewissenbisse, vielleicht der Grund gewesen zu sein, warum Norikum sie und Roderich verlassen hatte, ließen diese offene Wunde in der Seele immer noch nicht heilen. Plötzlich erfüllte das Schleifgeräusch, der über den Boden gezogenen massigen Kettenglieder die Höhle. Schemenhaft konnte sie sehen wie er seinen gewaltigen Körper erhob und hörbar die verkümmerten Flügel spreizte. Sie konnte Gelenke knacken hören, bevor der massige, geschuppte Leib sich wieder zu Boden fallen ließ. „Aber gut sie war nicht die Einzige und wenn ich an den Sohn der Wölfin denke oder diesen blonden, langhaarigen Kerl…. Was mich aber eher wundert ist, wie viele Nachkommen von dieser Brut Schwammerln gleich aus den Boden geschossen sind. Nachkommen wie du… und die kleine Kröte von einem Bruder.“ Ein Schweigen bereitete sich zwischen ihnen aus, da sie sich weigerte dieses Gespräch ausufern zu lassen und er, weil er offenbar seinen eigenen Gedanken nachhing. Sie wollte sich eben erheben und ihm die letzten Stück Fleisch zu werfen, da schien er sich der Stille überdrüssig zu sein. „Ich hörte auch eure Familie hätte Zuwachs bekommen. Wie hieß noch das kleine blonde Mädchen, das dir überall gefolgt ist wie ein Hündchen…Haduwig… oder so? Und das andere Balg von Noriea … diesem kleinen Schützling der Untersberger Zwerge…“ „Meine Familie geht dich nichts an!“, zischte Katharina dann schlussendlich, als ihr das Gespräch zu viel wurde. „Möglich… ich würde trotzdem nur zu gerne wissen, wie sie wohl schmecken würden…“ Das leuchten der roten Augen verschwanden kurz, als das Ungeheuer für einen Moment die Lider schloss. „Aber ich gebe dir trotzdem den Rat in Zukunft ein wenig besser auf deinen kleinen Bruder aufzupassen. Mein Gefühl sagt mir, das Danuvius mit dem ganzen Aufruhr, der nun da draußen, unbemerkt von diesem dummen Menschenpack herrscht, zu tun hat und sollte es so sein, so sollte sich dein Bruder in Acht nehmen. Er hat sich einst mit dem Fürsten angelegt und der Gute verzeiht einem nicht so schnell.“ „Seit wann so zuvorkommend?“ Misstrauisch betrachtete Katharina den Schemen des Ungetüms. Die Augen öffneten sich halb. „Damit wir uns verstehen… Ich hasse dich aus vollsten Herzen und ich bin ebenso nachtragend, wie Danuvius, aber im Gegensatz zu ihm liege ich in Ketten und du weißt nicht was es für eine Qual sein kann, in dieser Dunkelheit, in die du mich hast sperren lassen, mein Leben dahin zu fristen, ohne dabei den Verstand zu verlieren. In diesem Punkt beneide ich die Menschen… Der Wahnsinn wäre als Flucht verlockend, wenn mir dieser Weg nur offen stünde. Wie gesagt Molche und Spinnentiere sind keine geeignete Gesellschaft, außerdem schmecken sie abscheulich. Und nun wirf endlich die letzten Stück Fleisch rüber…“ Wortlos kam sie dieser Bitte oder besser gesagt dem Befehl nach. „Mhm… wie immer zu wenig… aber gut wenigstens ein bisschen Genuss hier unten. Schließlich werde ich nicht verhungern können.“ Die Ironie triefte aus der Stimme und erneut erfüllte ein Schmatzen die Kaverne. Sie wollte sich eben umdrehen, da richtete er noch einmal das Wort an sie. „Du magst mich hier unten von der weltlichen Welt abschirmen können oder die weltliche Welt von mir, wie man es nimmt, aber die Geschehnisse der anderen Welt, die meine Welt ist, kannst du mir selbst hier untern nicht verwehren. Darum pass auf dich auf, kleines Katharinchen… ich habe Zeit und selbst die besten Ketten rosten eines Tages durch.“ Das junge Kärnten war sich des hämischen Grinsen bewusst, als sie sich von ihm abwandte und erneut durch dem Spalt nach draußen schlüpfte, um den Lindwurm wieder der Einsamkeit zu überlassen. Kapitel 9: Komplizierte Gespräche und Probleme mit nicht anwesenden Brüdern --------------------------------------------------------------------------- „Warum brechen wir jetzt schon wieder auf, Herr? Wir sind doch erst vor zwei Tagen angekommen.“ Valentin trieb ein wenig sein Pferd an, um auf gleicher Höhe zu sein, wie Roderich. „Weil ich großes Interesse daran habe, dass die Burgbesatzung sich nicht mehr an Herrn Gilbert erinnert und jetzt halt endlich die Goschen.“ Nach dem Gesichtsausdruck zu urteilen, fügte sich Valentin nur widerwillig dem Befehl und ließ sich bis zu Gilbert zurückfallen, der die ganze Szenerie mit Belustigung zur Kenntnis genommen hatte. Es amüsierte ihn immer wieder, wie der Junge ruppig von Roderich zurechtgestutzt wurde, wobei Valentin nicht einmal lange beleidigt war, sondern nach kürzester Zeit wieder das Maul offen hatte. Mit diesem Aspekt erinnerte er ihn ein wenig an sich selbst, wobei Gilbert sehr wohl gelernt hatte die Zeitpunkte zu erfassen, an denen Schweigen eine Tugend war. Es stellte sich nur immer wieder die Frage, ob er auch Muße hatte sich daran zu halten. Obwohl man deutlich spüren konnte, dass der Winter im Kommen war, zeichnete sich der Tag als recht angenehm warm und freundlich. Auch wenn Gilbert aus eigener Erfahrung sagen konnte, dass das Mittelalter seinen romantischen Klischeebilder einfach nicht gerecht werden konnte, so musste er sich dennoch eingestehen, dass der Ritt durch diesen Mischwald, welcher durch den Herbst sich in den warmen Braun-, Gelb-, Orange- und Rottönen präsentierte, etwas beschauliches hatte. Wäre da nicht die Gewissheit, dass ihm am Abend das Gesäß einfach nur höllisch schmerzen würde. Es war schon sehr lange her, dass er selbstständig auf dem Pferd gesessen hatte, aber der Muskelkater, welchen man bekam, wenn man das Reiten für eine Zeit unterließ, war nur zu gut in seinem Gedächtnis verankert. Dennoch genoss er es als freier Mann und nicht wie vor kurzem als Gefangener Roderich durch den Wald zu folgen, auch wenn er sich noch nicht sicher war, was er von der Situation, wie sie sich ihm jetzt repräsentierte, halten sollte. Gut, er hatte die versprochene Kleidung noch nicht gereicht bekommen, aber Roderich hatte ihm soweit sein Wort gegeben, dass an ihrem Zielort sich darum gekümmert würde. Wenigstens hatte sich der Österreicher darum bemüht ihm passendere Kleidung zu besorgen. Nun trug er anstatt der alten, ockerfarbenen Tunika, eine etwas besser passende in blau, welche sich durch den feineren Stoff auch nicht wie ein grober Erdäpfelsack auf der Haut anfühlte. Zudem schien dieses gute Stück auch keinen Vorbesitzer gehabt zu haben, dessen Duft an ihr anzuhaften schien. „Ist was?“, bemerkte er gut gelaunt als ihm bewusst wurde, dass Valentin, nun wo Roderich ihn wieder Mals in die Schranken verwiesen hatte, ihn mit unverhohlenem Blick musterte. Der junge Mann schnaubte und richtete wieder seinen Blick nach vorne. „Ich frage mich nur, welches arme Land dich als Repräsentanten hat.“ Der Tonfall in der Stimme klang abfällig und dennoch amüsierte dies Gilbert mehr, als dass sich sein Ego angegriffen fühlte. Seit ihrem ersten Treffen versuchte der Rotschopf ihn mit spitzen Bemerkungen, die sehr nahe der öffentlichen Beleidigungen lagen, ihn aus der Reserve zu locken und ärgerte sich dann, wenn der Deutsche es schaffte ihn verbal auszubooten. „Vielleicht ein Land, das eben dabei ist den Norden neu zu ordnen.“, zischte ihm dann Gilbert mit belustigter Stimme zu, wobei er aus den Augenwinkeln beobachten konnte, dass auch Roderich durch die Art, wie er leicht den Kopf nach hinten wandte, ihnen zuhörte. „Pff, bei deiner kränklichen Gestalt würde es mich wundern, wenn du bei Gott die Wahrheit sagst.“ „Ich wäre an deiner Stelle nicht so abfällig.“ Roderich hatte sein graues Pferd soweit gezügelt, dass er nun leicht schräg vor ihnen ritt, soweit es nun mal der recht schmale Pfad, auf dem sie unterwegs waren, zuließ. „Ich kann mich erinnern, dass István einst erwähnt hatte, dass sein König den Deutschen Orden angeheuert hatte sich um die Situation weit nördlich seines Königreiches zu kümmern.“ „István?“ Gilbert meinte, dass ihm der Name etwas sagte, aber konnte im Moment einfach keinen Bezug dazu aufbauen. „Der Vertreter von Ungarn, der müsst euch doch was sagen?“ Gilbert hätte sich die Hand gegen die Stirn klatschen können, tat es aber seinem Selbstbewusstsein zu liebe nicht. Natürlich, von daher kam ihm der Name so bekannt vor. Schließlich bewegte er sich eben in einer Epoche wo, Ungarn festüberzeugt gewesen war ein Junge zu sein und dadurch sich mit Sicherheit nicht Elisabeth genannt hatte. István, ungarisch für Stephan… Wie hatte ihm das entfallen können, zudem dieser Name eine Teilschuld trug, das er einst auf diese Geschlechtstäuschung reingefallen war. „Sicher, schließlich sind István und ich einander bekannt.“, beeilte Gilbert zu antworten, um nicht weiterhin als unwissender dazu stehen. „Ich lernte sie… äh ich meinte ihn kennen, nur kurz nachdem der deutsche Ritterorden mein Land, für welches ich stand, in Besitzt genommen hatte.“ Zwar war ihm noch rechtzeitig eingefallen, sich mitten im Satz zu korrigieren, aber er sah wie Roderich die Augenbrauen zusammen zog und unwillkürlich fragte der Ostdeutsche sich, ob dem Österreicher bekannt war, das Istvàn eigentlich ein Mädchen war und in ein paar Jahrhunderten, nachdem Sadiq ihr einmal den Kopf gewaschen hatte, auf den Namen Lisi hören würde. Ganz zu schweigen, dass sie für kurze Zeit seine Frau werden würde. Bei diesem Gedanken und auch an die Folgen auf ihre persönliche Beziehung zueinander zog sich sein Magen, ähnlich wie am gestrigen Abend, schmerzhaft zusammen. Doch Valentin riss ihn unbewusst im nächsten Augenblick wieder zurück in die Gegenwart. „Wie kannst du aber gleichzeitig hier und im Norden sein? Das grenzt an Hexerei.“ „Verdammt noch mal, Valentin, wann will das endlich in deine Rübe rein. Du weißt ganz genau, dass es hier… Personen gibt, die sehr wohl in der Lage sind zu solchen magischen Kunststücken. Außerdem, wie oft soll ich dir noch erklären, dieser Herr kommt hunderte Jahre später aus der Zukunft und somit ist es sehr wohl möglich, dass sich unter dieser Sonne zwei Gilberts, welche beide das gleiche repräsentieren, tummeln.“ Valentin wollte dem Gesichtsausdruck nach noch eine Frage einwerfen, doch da kam ihm Gilbert zuvor. „Verzeiht, aber ich fürchte, ich muss euch korrigieren, ich repräsentiere seit geraumer Zeit nicht mehr ganz das Territorium von einst.“ Erstaunt drehte sich Roderich um und betrachtete ihn mit einem musternden Blick, wobei Gilbert sehr wohl wusste, warum ihn der andere mit leichter Furcht in den Augen bedachte. Ein Sprung, wie Ihresgleichen die Neuorientation nannten, löste bei den Repräsentanten, die solches nicht vor sich hatten, Unbehagen aus. Waren doch Springer, wie Gilbert oder August, das personifizierte Sachsen, ein Beweis, wie unbeständig die Welt war und auch sie in ihrem gnadenlosen Handeln treffen konnte. Unsterblichkeit schützte vor vielem aber nicht vor dem Wandel der Welt. „Verzeiht mir ist entfallen, dass Ihr erst kürzlich einen Sprung hinter euch habt.“ Verlegen sah der junge Braunschopf zu Seite. „Was ist ein Sprung, Herr?“ Valentin machte einen eindeutigen verwirrten Eindruck. „Das kann ich dir ein anderes Mal erklären.“ „Ein Sprung hat jemand, der durch Veränderung des Machtgefüges oder im Bewusstsein der Menschen eine neue Stellung als Vertreter übernimmt. Vorausgesetzt seine Person ist soweit gefestigt genug.“ Der junge Mann blickte ihn doch auch nach seiner kurzem Erklärung an und auch Roderich schien über seine schnelle Antwort erstaunt zu sein. „Und was passiert, wenn er es nicht ist?“, fragte der einzige Sterbliche in ihrer Runde, wobei er einen beklemmenden Blick Richtung des körperlich Jüngsten unter ihnen warf. Gilbert seufzte kurz auf und ordnete sich die Wörter zu Recht, doch diesmal kam ihm Roderich mit einer Antwort zuvor. „Wenn der- oder diejenige es nicht schaffen, sich in ihrer neuen Rolle zu Recht zu finden oder es auch keine neue Aufgabe gibt durch die er sich identifizieren kann, verschwinden sie.“ Bitterkeit lag in der Stimme des Österreichers und schnell hatte er sein Gesicht wieder nach vorne gerichtet, wobei Gilbert für einen kurzen Augenblick das Gefühl bekomme hatte, etwas wie Trauer in den feinen Zügen auszumachen. Beklemmend fragte sich der Ostdeutsche, ob Roderich einst das Schicksal eines solchen Repräsentanten miterlebt hatte oder nicht. Er selber hatte einst das Verschwinden seiner beiden Vorgänger erlebt, aber die Erinnerung daran war schwammig und kaum greifbar für ihn. Was bei dem hochgewachsenen, blondhaarigen Kerl daran lag, dass sich dieser kaum um ihn gekümmert hatte und er kaum Chancen gehabt hatte eine gewisse emotionale Bindung zu ihm aufzubauen. Gilbert hatte bei ihm immer das Gefühl gehabt, als stehe sein pigmentloser Fluch, wenn er seine Krankheit so umschreiben konnte, wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen beiden und so im Rückblick konnte es Gilbert dem Mann schlecht verübeln, bedachte man, was es in den Augen der damaligen Völker bedeutete anders als die anderen auf die Welt zu kommen. An das Bild der Frau jedoch, die sich fast bis zum Eintreffen des Deutschen Ordens um ihn wie auch den baltischen Hampelmänner gekümmert hatte, konnte er sich recht gut erinnern, wenn er auch ihr Verschwinden aus seinem Gedächtnis verdrängt hatte. Während er so gedankenverloren in seinen Erinnerungen kramte und über die komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen Ihresgleichen sinnierte, kam ihm noch eine Möglichkeit in den Sinn, die der Österreicher nicht genannt hatte. „Oder sie verlieren das Gedächtnis, um ihnen den Sprung zu erleichtern. Das ist, oder besser gesagt das, wird auch noch passieren.“ Diesmal sah ihn Roderich mit großen Augen an, während Valentin es offenbar aufgegeben hatte dem Gespräch zu folgen. Zu spät wurde sich Gilbert bewusst, dass er auch ohne einen Namen zu nennen, eben auf das Schicksal eines Knaben angespielt hatte, welcher in diesen Tagen recht munter durch die deutschen Lande lief, immer beständig darauf bedacht den chaotischen Haufen seiner deutschen Mitnationen unter Kontrolle zu kriegen. Eine quasi unmöglich zu schaffende Aufgabe, an der Karl dann schlussendlich auch gescheitert war. Bitte, Gilbert, denke nach bevor du hier was von dir gibst, flehte er sich an und offenbar war er nicht der einzige mit diesen Gedanken. „Ihr solltet achten was Ihr sagt, Herr Gilbert.“ Roderich Stimme klang kühl und emotionslos. Er hatte sich wieder nach vorne gewendet und trieb sein Pferd wieder ein wenig an, sodass er erneut die führende Position einnahm. Gilbert nickte nur stumm, während Valentins Blick penetrant neugierig an ihm klebte. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen drei aus, in dem nur das regelmäßige Klackern der Hufe auf den laubbedeckten Waldboden zu vernehmen war. Wenig später kamen sie an eine Y-Kreuzung und Roderich zügelte nur für einen kurzen Augenblick sein Pferd, bevor er dann zielsicher sich für den linken Weg entschied. Aus den Augenwinkeln bemerkte Gilbert, wie Valentin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck die Augenbrauen hob. „Herr?“ Hastig trieb er sein breites Reitpferd auf die Höhe des Jungen, sodass Gilbert nichts anderes übrig blieb, als zu ihnen beiden aufzuschließen. „Herr, warum nehmen wir diesen Weg?“, versuchte Valentin erneut die Aufmerksamkeit seines Herren zu erlangen. „Der an der Donau ist doch viel kürzer.“ Roderich drehte den Kopf nur leicht und Gilbert wurde das Gefühl nicht los, dass er ihn dabei ihm Auge behielt. Doch dann ließ er sich zu einer Antwort herab. „Weil ich es vermeiden möchte allzu nah an gewisse Personen oder deren Einflussbereich zu kommen.“ Verärgert runzelte Gilbert die Stirn. Es war nur zu eindeutig, dass hier wieder mal mit Informationen gespart wurde und der Trost, dass auch Valentin ein fragendes Gesicht machte, war recht schwach. Gut, das Misstrauen unter diesen Umständen war soweit berechtigt, soweit stritt Gilbert die Sachlage nicht ab, aber das Wissen, dass sich dies auch in Zukunft nur geringfügig ändern würde, war nicht eben Balsam für seine Seele. Wieder schob er grob die Gedanken beiseite, die ihn die letzte Nacht sehr lange wach gehalten hatten und doch konnte er die Erinnerung nicht völlig abschütteln. Um sich abzulenken, versuchte er auf die gleiche Höhe wie Roderich zu kommen. „Roderich, ich hätte da eine Frage.“ Für einen kurzen Augenblick ließ sich Roderich sein Erstaunen anmerken, bevor er nach gewohnter Manier seine Gedanken hinter einer Maske verschloss. Ein kaum merkliches Nicken ließ Gilbert weitersprechen. „Die Dame Vedunia…“ Nur kurz schob das ehemalige preußische Königreich die Worte in seinen Kopf hin und her, bis er ganz seinem Naturell folgend die einfachste und naheliegenste Lösung nahm, wenn diese auch sehr direkt war. „Wer oder besser was ist sie?“ Mit wachsender Anspannung beobachtete Gilbert, wie Roderich die Stirn in Falten legte und aus den Augenwinkel konnte er sehen, dass Valentin eben den Mund aufmachte, um sich in das Gespräch einzumischen, jedoch von Roderich mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht wurde, bevor auch nur ein Wort seine Lippen verlassen konnte. „Nun…hat sie sich Euch nicht einst vorgestellt?“ Roderichs Stimme klang rau und leicht kratzig, so als wäre es ihm unangenehm darüber zu reden. Seine Verärgerung kaum verbergen könnend, auch wenn sein Unmut nicht seinem zukünftigen Rivalen galt, wandte sich Gilbert wieder der Straße zu. „Verzeiht, wenn ich sage, aber mir wurde seitdem ich in eure Zeit gekommen bin generell wenig erklärt.“ Er konnte von hinten Valentin was unverständliches Murmeln hören, aber zur Schonung seiner Nerven fokussierte er auf dieses Gebrabbel kaum seine Aufmerksamkeit, welche er einstweilen nur dem Österreicher schenkte. Dieser hingegen schien sich wegen einer Antwort zu winden, wenn auch ein leichter Rotstich sich auf den bleichen Wangen ausgebreitet hatte. „Nun…“ Roderich amtete noch einmal tief ein, schien dabei seine Gedanken zu ordnen und erlangte dieses reservierte Verhalten wieder, für das ihn Francis mehr als einmal, ebenso wie Gilbert selbst einen alten Besenschlucker genannt hatte. „Nun ich möchte mich für dieses Verhalten entschuldigen, aber ich fürchte ich kann Ihnen im Moment nicht alles sagen.“ Gilbert wollte eben was einwenden, eine kaum merkliche Handbewegung hielt ihn jedoch davon ab. „Lass mich weitersprechen, ich glaube ein paar Unklarheiten kann ich dennoch beheben.“ Wieder folgte eine kurze Pause und Gilbert wollte eben weiterbohren, doch da nahm Roderich wieder das Wort auf. „Nun das Fräulein Vedunia gehört, wenn man es so bezeichnen kann, auf jeden Fall fällt mir keine bessere Umschreibung ein, einem Volk an, welchem dem Unsrigen sehr ähnlich ist, wenn auch um einiges älter, wenn ich es einst richtig verstanden habe.“ Gilbert warf dem anderen einen verwirrten Blick zu und auch Valentin schien auf einmal für seine Gewohnheiten ungewöhnlich still. Im Schnelldurchgang fasste der Ostdeutsche schnell alle Informationen zusammen, die er bisher über dieses zarte Geschöpf erlangt hatte. Erstens sie war offenbar ebenso langlebig wie er und Roderich, schließlich schien sie den letzten seit seiner Kindheit zu kennen und diese ging erst jetzt allmählich zur neige, wenn er den Blick über den heranwachsenden Körper schweifen ließ. Zweitens war sie jemand dem Roderich Respekt, wenn nicht hohe Anerkennung entgegenbrachte. Drittens war da etwas, was er selber nicht genau benennen konnte, vertraut und unbekannt zugleich. So als hätte er was an ihr übersehen, weil es schon so offensichtlich war, dass man es mit Leichtigkeit überging. „Wie meint Ihr das? Ist sie etwa auch eine Vertreterin?“, fragte er zögerlich, wissend dass besonders die letzte Frage irgendwie ein wenig blöd klang. Er konnte auch keine Antwort oder Reaktion in den violetten Augen suchen, da Roderich starr seinen Blick auf die Straße hielt. Die kommende Antwort jedoch überraschte ihn. „Mhm… so könne man es auch bezeichnen. Seitdem ich mich erinnern kann, gibt es Wesen wie das Fräulein Vedunia in diesen Landen. Sie waren schon hier bevor die Menschen begannen hier das Land unter sich aufzuteilen und ähnlich wie wir, gebieten sie über gewisse Teile des Landes. Unter normalen Umständen jedoch halten sie sich von den Geschehnissen der weltlichen Welt fern, ebenso wie man gut beraten ist sich aus ihren Angelegenheiten raus zuhalten. Nur manchmal ist es nötig Bündnisse einzugehen oder man ist durch andere Umstände sehr an sie gebunden. Kennt ihr eine Agnes?“ Unwillkürlich verzog Gilbert das Gesicht zu einem verzerrten Lächeln. Ob er eine Agnes kannte? Natürlich kannte er diese tirolerische Furie. Nicht nur, dass sein brandenburgischer Bruder regelmäßig mit diesem temperamentvollen Biest aneinander stieß, diese dürre Hexe hatte auch ihn ein ums andere Mal fast verprügelt, dabei hatte er nie viel mit der Politik dieser kleinen alpenländischen Grafschaft zu tun gehabt. Das Bild der hageren Frau mit den langen schwarzen Haaren flog vor sein Inneres Auge und er fragte sich, wie alt wohl die Tirolerin in dieser Epoche wohl aussah? Schließlich meinte Roderich immer sie sei jünger als er. „Mhm mehr oder weniger…“ „Ich selber bin ihr bisher nur selten begegnet, sie nimmt noch nicht langem teil an den Konferenzen des Heiligen Römischen Reiches, aber steht schon jetzt unter ihren Nachbarn im Ruf mit Wesen verbündet zu sein, bei denen es nicht ratsam ist, sie gegen sich zu haben und ebenfalls zu diesem alten Volk gezählt werden.“ Eigentlich wollte Gilbert intuitiv erwidern, dass es schon soundso unratsam war sich persönlich mit Agnes anzulegen, aber da fiel ihm ein Punkt auf, der ihn erstaunte. Also war Agnes noch unabhängig und gehörte nicht zu Roderich. Das war neu für ihn. Schließlich zählte die Tirolerin, seitdem er sich erinnern konnte, zum Haushalt des Österreichers. Wobei… Wenn er so kurz drüber nachdachte, fiel ihm ein, dass Theodor an einem Abend, wo sie beide schon so sehr betrunken waren, dass sie friedlich nebeneinander koexistieren konnten, erwähnt hatte, dass Agnes, wie auch Salvatria und Roderich unter seinem Dach gelebt hatte. Wenn er so zurückdachte, war dies einer der wenigen Augenblicke gewesen, wo er sich mit dem Bayern in freundschaftlichen Banden verbunden gefühlt hatte. Dass sich dann der Brauschopf über das grobe Verhalten der tirolerischen Grafschaft und das eisige Missachten des österreichischen Erzherzogtum ihm gegenüber beim Preußen ausgeheult hatte und ihm noch mit lallender Stimme erklärt hatte, welche Probleme er mit den beiden hatte, war eine ganz andere Geschichte. Wie lange war dieser Abend schon her? Mindestens 200 Jahre und mehr… Vielleicht war es aber auch einfach während des Schlesienkrieges, so genau konnte er dieses Gespräch nicht mehr einordnen. Doch da kam ihm noch etwas in den Sinn, was Theodor an jenem Saufgelage von sich gegeben. Es war nur ein Wort gewesen, welches er mit dem Kontext in dem es gebettet gewesen war, er damals auf den hohen Alkoholpegel zurückgeführt hatte, doch nun wo Roderich darauf anspielte, ergab das Gebrabbel des verhassten Zwangsbruder aus dem Süden plötzlich mehr Sinn. „Meint Ihr Riesen?“ Roderich zügelte augenblicklich sein Pferd und starrte Gilbert misstrauisch an, welcher erst die Zügel nachgreifen musste, um stehen zu bleiben. „Ihr erstaunt mich, Herr Gilbert.“ Das wenige Vertrauen war nicht nur gut hörbar in der Stimme des Jüngeren, mit Schaudern wurde sich Gilbert des forschen Blickes Valentins bewusst, der Lunte gerochen hatte, doch nun doch vielleicht einen Konflikt mit ihm anzuzetteln. „Ich habe mich eben an ein Gespräch mit Theodor erinnert, welcher einst diese Riesen in Kontext mit Anges erwähnt hat.“ Hätte Gilbert gedacht mit dieser Aussage die Wellen zu glätten, war er erschrocken mit welcher Verachtung ihm Roderich entgegen sah. „Theodor also…“, begann er gefährlich und Valentin trabte unverzüglich an seine Seite, wobei er unverhohlen feindlich zu Gilbert blickte. „Nun ja Theodor ist doch eurer Bruder, oder?“, versuchte Gilbert die Situation zu entschärfen und fragte sich im gleichen Moment woher diese Feindseligkeit nur kam. Schließlich verstand sich Theodor mit Roderich beinahe besser, als mit jeder anderer Mitnation des Landes, welches nun in der Gegenwart Deutschland darstellte. Sie waren doch Brüder und auch wenn er aus verschiedenen Quellen wusste, dass es nicht immer rosig in dieser Brüderbeziehung stand, so gab es doch eindeutig andere Geschwister, die schlechter mit einander auskamen. Arthur und seine Sippschaft, um ein nur ein Beispiel zu nennen. „Das schon…“ Nur allmählich legte sich die Anspannung auf dem feinen Gesicht des Österreichers, wenn auch das Misstrauen wie eine trennende Wand zwischen ihnen bestehen blieb. Mit einem Ruck ließ er wieder seinen kleinen Grauen in ein gemütliches Schritttempo fallen, dem sich das Reitpferd von Gilbert augenblicklich anschloss, während Valentin mürrisch das Schlusslicht bildete. „Ich weiß nicht, wie es in euer Zeit ist und ich sollte es auch nicht wissen, aber hier ist mein Verhältnis zu meinem lieben Bruder…“ Die Betonung auf den dem letzten Wort war eisig und abermals fragte sich Gilbert, wie weit es bei Brüdern kommen konnte, dass der eine den anderen mied. Er hatte schließlich nie ein Problem mit Ludwig gehabt und soweit er wusste, dieser auch nicht ihm. „…ist ein wenig angespannt.“ Hinter sich hörte Gilbert Valentin schnauben, war aber sich auch so bewusst, dass Roderich bei der Aussage etwas untertrieb. Das unterkühlte Schweigen hing für einen guten Teil ihres folgenden Weges wie ein Damokles Schwert über ihnen und Gilbert traute sich nicht das Gespräch über die Dame wieder aufzunehmen, um nicht in weitere Fallen zu tappen, die er durch Unwissen und Überforderung aufgrund der Situation, erst dann erkannte, wenn er auf sie trat. Warum fiel es ihm, der ja die Zeit selber erlebt hatte so schwer sich hier zurecht zu finden? Er sprach das altertümliche Deutsch dieser Zeit, er kannte der Theorie nach noch die Gepflogenheiten der Zeit und auch wenn er in diesen Punkten mehr als eingerostet war, so wusste er noch sehr gut, wie man ritt oder ein Schwert schwang. Gut, er werde vielleicht eine Weile brauchen, um wieder so richtig in Schwung zu kommen, aber er war ja das starke Preußen und hatte einst unter dem Deutschen Ritterorden eine der besten kriegerischen Ausbildungen in Europa genossen. Doch warum, fragte sich Gilbert beklemmend, schaffte er es einfach nicht auch als Person Anschluss in die Zeit zu finden und warum trat er weiterhin von einem Fettnäpfchen ins nächste? Kapitel 10: Geschuppten und nicht geschuppten Scheusalen, Gespräche im Dunklen und alte Freunde ----------------------------------------------------------------------------------------------- Schmatzend grapschte er mit einem seiner hühnerartigen Beinen nach dem abgetrennten Schenkel der Leiche und pickte mit seinem scharfen Schnabel ein Loch in die faul werdende Haut. Unter Ziehen und Reißen rieß er an den hart gewordenen Muskeln ein Stück ab. Während er unter Gurgeln den nächsten Fleischpatzen hinunter würgte, ärgerte er sich nicht sorgfältiger mit den Leckerbissen umgegangen zu sein und alles was, ihm auf der Zunge zergangen war, gleich am ersten Abend vertilgt zu haben. Während er immer wieder Muskelfasern vom Knochen riss, begutachtete er das arme Geschöpf, welches er vor zwei Tagen in den dunklen Gassen Wiens gerissen hatte. Das Mädchen musste einst sehr schön gewesen sein, doch das Leben auf der Straße hatten seine Jugend rasend schnell verbraucht. Niemand würde es vermissen. Kinder wie sie hatten keine Eltern, keinen Vormund, keine Seele, die sich fragen würde, warum ihr Lachen, ihr Weinen verstummt war. Nicht mal ihre Freier würden sich fragen, wo sie hingekommen war. Er würde dies als trauriges Los bezeichnen, wenn er ein Mensch gewesen wäre, aber er war nun mal keines dieser bedauerlichen Geschöpfe. Als er jegliches Fleisch vom Knochen gelöst hatte, schmiss er das Gebein achtlos neben sich. Es schlitterte über den ewig feuchten Boden und klirrte geräuschvoll gegen den Fels. Doch das Echo, welches in der Dunkelheit von den Wänden prallte, verstummte nicht. Alarmiert und misstrauisch lauschte er angestrengt in die Finsternis, wobei sein beschuppter Schwanz unruhig über den kalten Stein glitt. Seine unheimlich roten Augen wandelten sich zu Schlitzen als ihm bewusst wurde, dass er Schritte hörte und Stimmen vernahm. Er hasste es, wenn sich Eindringlinge in sein dunkles Reich unter Wien verirrten. Wie gut war ihm der unangenehme Zwischenfall mit dem Müllergesellen vor ein zwei Jahrzehnten in Erinnerung geblieben. Damals hatte er seinen Tod gut vortäuschen können, doch er war empfindlich geworden, was Fremde in seinem Reich anging. Menschen machten nun mal nur Ärger. Genervt hievte er seinen massigen Körper hoch und bereitete sich vor seine ungebetenen Gäste gebührend zu empfangen. Die Leiche des Mädchens ließ er so liegen, wie er es einst her geschleift hatte. Sollten sie sie doch sehen, es würde das Letzte sein, was die Störenfriede erblicken würden. Ein Lichtschein tanzte an der glitschigen Tunnelwand entlang und auch das Kauderwelsch wurde immer verständlicher. Es waren zwei, davon war er inzwischen überzeugt und sie stritten nicht eben zimperlich miteinander. Doch was ihn eigentlich leicht verunsicherte war die Tatsache dass beide Stimmen ihm so bekannt vorkamen, obwohl sie sich durch kaum was unterschieden. Unbehaglich wandte er seinen hässlichen Leib hin und her, während der Schein immer intensiver wurde. Ein unguter Verdacht stieg in ihm auf. Er hatte es gespürt, freilich, aber er hatte gehofft nicht in diese Sache verwickelt zu werden. Zwei Männer kamen um die Ecke und das Platschen ihrer Stiefel hallte unheimlich von den Wänden der Höhle. Der Schein ihrer Laternen überzog seine ledrige Haut und mit übler Laune ließ er seinen dicken Schuppenschwanz, welcher das Licht mit seinen grünen Schuppen zurückwarf hörbar in der Luft peitschen. „Danuvius“, zischte er bedrohlich und wollte sich schon zu seiner vollen Größe aufbauen, da stockte er plötzlich als er in das zweite Gesicht der anderen Gestalt blickte. Die dicken Augenbrauenschwülste zogen sich zusammen und hinter seiner Stirn begann es zu rattern. „Wie ist das möglich…“, krächzte er dann schlussendlich mit seiner heiseren Stimme. „War nicht einer von euch genug für diese Welt?“ Letztere Frage triefte förmlich vor Spott, doch er erlaubte es sich nicht seine Vorsicht fallen zu lassen. Er konnte es sich nicht erlauben. Mit unverhohlener Neugier ließ er seinen Blick über die beiden streifen. Hochgewachsen, von breiter Gestalt und vor allem, nach seinen Geschmack unglaublich haarig auf Wangen und Kopf, glichen sie sich punktgenau, auch wenn es ihm vorkam, als mache der Zweite einen älteren Eindruck auf ihn. Das jüngere Exemplar wollte eben das Wort erheben, da drängte sich sein Begleiter grob vor und schob ihn hinter sich. „Ich weiß die Umstände sind eher ungewöhnlich, aber leichter zu erklären als es scheint.“ Wieder erhob er seinen Schwanz, doch nachdenklich hielt er inne. „Leichter zu erklären, als du denkst…“ Nochmals schweifte sein Blick zwischen den beiden Männern hin und her. „Man braucht euch nur anschauen und ein wenig Verstand haben, um zu verstehen was geschehen ist und ich habe es schon förmlich unter meinen Schuppen gespürt, dass was im Gange ist, aber ich hätte gehofft die Zeichen falsch zu deuten. Aber niemals habe ich dich für so dämlich gehalten diesen Irrsinn zu wagen. Durch die Zeit zu reisen, wie verzweifelt musst du gewesen sein?“ „Wie kannst du es wagen, du dreckiger Wurm, mir nicht den nötigen Respekt zu bringen. Hast du vergessen, wer ich bin!“ Der Jüngere war aufgefahren und bedrohte ihn mit einer erhobenen Faust, doch der andere lächelte ihn nur an. Es war ein Lächeln, welches auf dem vertrauten Gesicht völlig falsch erschien und Unruhe machte sich unter seinen dicken Schuppen breit. „Du hast dich nicht verändern, weder jetzt noch in hunderten Jahren, Basilisk.“ Unbehaglich drehte er seinen Hahnenkopf zur Seite, um den stechenden Blick der dunklen Augen zu entgehen, doch den folgenden Kommentar konnte er nicht unterdrücken. „Nun ich trage meine Krone noch, im Gegensatz zu dir.“ Das jüngere Abbild Danuvius hätte sich in eine Rage gesteigert, doch bevor dieser nach seiner beschuppten Kehle greifen konnte, wurde er von seinem Ebenbild rechtzeitig im Nacken gepackt. Eine starke Kopfnuss später, lag der Mann bewusstlos auf den Boden, während der Ältere sich die Hände an seiner Kleidung abwischte. Erstaunt bedachte er ihn interessiert. Nie in seinem Leben hätte er ein solches Handeln erwartet. Vielleicht war der Ältere doch nicht das, was er glaubte und er hatte sich alles falsch zusammen gereimt. „Mir ist nie aufgefallen zu was ich einst verkommen bin, seitdem man mir meiner Würde beraubt hat.“ Es war nur ein Flüstern gewesen, aber er vernahm durch seine geschärften Sinne jedes Wort klar und deutlich. Verwundert über diese ehrliche Einschätzung legte er seinen hässlichen Kopf zur Seite. „Ich werde dir nicht widersprechen, aber lass mich die folgende Anmerkung machen, du scheinst in der Zukunft dich sehr verändert zu haben.“ Das amüsierte Blitzen in den Augen, welches ihm nun galt, gefiel ihm noch weniger, als das unheimliche Lächeln. „Ich hatte ein paar Jahrhunderte, um mir über mich und mein Los Gedanken zu machen. Aber gut ich bin nicht zu dir gekommen, um über alte Zeiten zu plaudern. Ich hoffe, du hast heute Abend noch genügend Zeit…“ Langsam nickte der Basilisk von Wien und hörte für die nächste Zeit einfach nur zu, wobei ihm mit jedem gefallenen Wort immer mehr das Gefühl übermannte, dass sich durch den ausgesprochenen Größenwahn jede Schuppe seines Panzers sich einzeln aufstellte. Der Gang lag dunkel und leer vor ihm. Alleinig ein dumpfes Licht, welches durch die dünnen Schlitze der zugezogenen Vorhänge an den hohen Fenstern verhinderte, dass er sich in der völligen Finsternis bewegte. Gilbert rannte und wusste nicht mal genau wieso. Vielleicht weil man regelmäßig Handlungen in Träumen umsetzte, die man in dem kurzen Zeitraum, wo man aufwachte und sich noch an das Geträumte erinnern konnte, nicht rational erklären konnte. Doch wie schon im letzten Traum, wusste Gilbert sehr wohl, wo er sich befand. Die Gänge in denen er nun seit einer gefühlten Ewigkeit hetzte, hatten, wenn man von ihrer Endlosigkeit absah, erschreckende Ähnlichkeit mit der Villa im Wienerwald, wo der Österreicher vor mehr als 200 Jahren seinen Rückzugsort erbaut hatte. Die Form der Fenster, der weiche Bodenteppich, die dunklen Türen, die rechts und links neben ihm aufgereiht waren, alles kam ihm so bekannt vor. Dabei war er nur selten in Roderichs Refugium gelangt. Das lag zum einen daran, dass der Braunschopf höchst empfindlich auf unerwünschtes Eindringen in seine Oase der Ruhe reagierte und Gilbert wusste dass selbst seine Schwestern ihn dort nur sehr, sehr selten aufsuchten. Zum anderen war es ihrer verzwickten Beziehung zu verdanken, dass er bisher von diesem Haus, mitten im grünen Gürtel der Wien auf der Westseite umschloss, fern gehalten worden war. Endlich nahm der Gang ein Ende und Gilbert stand vor der beeindruckenden Treppe in die höheren Stockwerke. Er fragte sich schon seit längerer Zeit nicht mehr warum sich ebenfalls an der Decke und an den Wänden Türen und Treppen befanden. Er war in einem Traum, da war es normal, wenn die Dinge sich soweit verformten, dass man meinen könne, man sei in einem surrealen Gemälde. Nur eine kurze Zeit zögerte er, bevor er die Marmortreppe hinauf preschte. Oben angelangt orientierte er sich neu. Er konnte es weiterhin mit einem endlosen Gang versuchen oder er versuchte sich an einer der Türen auf den Wänden oder der Decke, vorausgesetzt dieser Traum hatte es irgendwie eingeplant, dass die Schwerkraft unter gewissen Umständen ausgesetzt wurde. Doch bevor er sich genauestens Gedanken machen konnte, wie er diese Tür über seinem Kopf erreichen konnte, hörte er aus dem Gang neben ihm ein Geräusch. Erschrocken wandte Gilbert den Kopf nach rechts und sah in der Ferne ein dumpfes Licht. Ohne dass er sich aktiv dafür entschied, übernahm sein Körper die Initiative und er hechtete auf den Schein zu. Die Dunkelheit verschluckte ihn immer mehr bis er kein weiteres Detail mehr wahrnehmen konnte als den Lichteinfall vor ihm. Persönlich und die Tatsache ein berechnend, dass er sich in einem Traum befand, hätte er erwartet, dass sich dieser helle Punkt vor ihm je mehr er sich näherte, sich immer mehr von ihm entfernte, aber diese Erwartung blieb aus. Mit jedem Schritt konnte er mehr erkennen. Der helle Lichtschein quoll regelrecht aus der Türe, in welchen eine breitschultrige Gestalt stand, während eine weitere Person, viel kleiner und schmaler gebaut als die andere, vor ihr verharrte. Er kam näher und bemerkte mit Staunen, dass es Roderich war, welcher vor einem Koloss von Mann verweilte. Zwar konnte der Preuße aufgrund der Dunkelheit kaum etwas vom Unbekannten erkennen, doch fiel ihm auf, dass dieser eine weitere Person auf dem Arm trug. Ein Kind oder eine sehr zierliche Frau, so ganz war dies nicht auszumachen. „Wir werden jetzt gehen, Valerius. Ich fürchte Blondi hat ein wenig zu viel vom Wein getrunken.“ Gilbert blieb stehen kaum war der Name Valerius gefallen und lauschte. Der fremde Mann besaß eine tiefe Stimme, nicht unangenehm, aber auf nicht näher erklärende Weise respekteinflößend. Das seltsamste für Gilbert aber war, dass er sicher war diese Stimme am Fest schon gehört zu haben. So wie ihm die ganze Situation schmerzlich bekannt vorkam. War er einst selbst nicht durch die Gänge der Villa gehechtet, weil der Hausherr, im Moment wo er mit ihm reden wollte, wie vom Erdboden verschluckt gewesen war? „Seit ihr noch länger in Wien?“ Der Unterton in der Stimme des Österreichers war warm und das darin enthaltene Interesse klang ehrlich. Eine Ehrlichkeit, die Gilbert sehr selten von Roderich zu hören bekam, vor allem wenn es ihn betraf. Die Abfolge der Wörter klangen dennoch so vertraut, als würde man ihm eine Aufnahme eines vergangenen Gespräches vorspielen, dessen Zeuge er einst geworden ist. „Ich glaube schon…“ Eine Sprechpause entstand, als müsste der Riese sich die Worte erst zu recht legen. „Valerius, da gäbe es noch etwas…“ Auch wenn er durch die Schatten, die auf dem Gesicht seiner Nemesis tanzten nichts genaues sah, so konnte sich Gilbert sehr wohl vorstellen, wie Roderich in diesem Augenblick die Augenbrauen hochzog, um den anderen mit einen forschenden Blick zu betrachten. Er kannte schließlich diesen Blick zu genüge. „Ich weiß nicht was dir Kranawitha gesagt hat oder ob sie es dir gesagt hat…“ Diesmal war es an Gilbert, nachdenklich die Stirn in Falten zu legen. Kranawitha… Dieser Name war doch schon einmal gefallen… nur wo? Roderich indes nahm wenig Rücksicht auf die Nachdenkzeit des Ostdeutschen. „Wenn es um Danuvius geht, so sei versichert, die alte Hexe hat mich gewarnt. Auch wenn ich mit Vedunia einer nicht einer Meinung bin, was ihren Vater betrifft, so sind wir beide uns sicher dass in nächster Zeit Gefahr von diesem alten Fischbart ausgeht.“ War Roderich Haltung davor noch herzlichst und freundschaftlich gewesen, so wurde sie nun distanziert und auch seien Stimme verriet, dass er nicht gewillt war das Thema weiter auszuführen. „Wie du meinst.“ Der Koloss seufzte resigniert und wandte sich zum Gehen. „Erla?“ Roderich war einen Schritt nach vorne getreten. Eine leichte Unsicherheit schwang im Ausruf mit. Der Fremde drehte sich noch einmal um und durch den nun günstigen Einfall des grellen Lichtes, erhaschte Gilbert einen Blick auf die Person, die der andere in den Armen hielt. Es handelte sich um ein Mädchen oder eine sehr zierliche Frau. Das lange, gelockte Haar glitt, wasserfallartig über die stämmigen Arme ihres Begleiters, während sie sich halb eingerollt an der breiten Brust anschmiegte. Auf den zerbrechlich wirkenden Gesicht war ein leichter Rotstich auszumachen und Gilbert wusste auf einmal, an wen ihn die Ausstrahlung der jungen Frau erinnerte, auch wenn er sich hundertprozentig sicher war, dass es nicht die Person war, an welche er nun dachte. Das Fräulein Vedunia, welches er vor ein paar Tagen kennengelernt hatte, war anders gewesen und doch hatte sie auf ihn den gleichen Eindruck hinterlassen. „Ja, Valerius?“ „Wenn er wirklich auf Rache sinnt, werdet Ihr mir beistehen?“ „Das alte Volk vergisst nie seine Schuld, kleiner Sohn der Noriea. Das solltest du eigentlich am besten wissen.“ „Das alte Volk vergisst auch nie seinen Zorn.“, erwiderte Roderich kurz angebunden. ~Das alte Volk vergisst auch nie seinen Zorn~ Hatte er nicht einst Roderich eben in diesem Moment gefunden, als eben dieser Satz gefallen war? Plötzlich schien ihm alles so klar und scharf umrissen. Doch bevor er noch auf diese Erkenntnisse reagieren konnte, spürte er, wie etwas ihn von hinten packte, um ihn rückwärts von dem Lichtschein und den Anwesenden weg zu zerren. Als wäre er an einem Gummizug befestigt, rauschte er zurück in die Dunkelheit aus welcher er gekommen war und sein Schrei verhallte in der Finsternis. Das Erste, was Gilbert spürte war ein kräftiger Tritt gegen sein Schienbein und mit schmerzverzogenem Gesicht fuhr er hoch, wobei kühle Morgenluft seinen nackten Oberkörper umhüllte. „Halt endlich die Goschen und hör zu zappeln, du dämlicher Hund!“, knurrte es neben ihn, wie im Wortlaut schon recht deutlich, sehr unfreundlich. Fluchend rieb sich Gilbert das Bein, bevor er einen tödlichen Blick zu Seite warf. Zwei dunkle Augen glitzerten ihm im Dämmerlicht entgegen, wenn auch der Schlaf sich bemerkbar hinter ihnen verbarg. „Wie soll man bei deinem Gehample bitte schlafen können?“ „Sag mal, piepst es bei dir?“, fauchte Gilbert zornig Valentin an, wobei er durch seine Wut die Tatsache, dass sie beide dasselbe Bett teilten außer Acht ließ. Der junge Ritter zog mit entnervtem Gesichtsausdruck die Decke ein wenig höher und drehte sich demonstrativ weg. Ein Gedankenblitz durchfuhr das ehemalige preußische Königreich. Bevor er ihn auch nur fertig zu Ende gedacht hatte, führte er ihn auch schon aus und schlug zu. Roderich beobachte gedankenverloren wie Grashalme mümmelnd sein kleiner Grauer auf der kleinen Koppel stand. In nicht weiter Entfernung grasten die anderen beiden Pferde friedlich vor sich hin. Auf den Balken der Umzäunung der Koppel hatte Roderich ein komplettes Ordensgewand der Ritter des Deutschen Ordens zum Trocknen aufgelegt. Er hatte es zuverlässig am Uferrand der Donau gefunden. Zwar hatte er sich den Umständen wegen einst vorgenommen den riskanten Weg zum Fluss nur in Begleitung zu wagen, aber nachdem er kurz vor Sonnenaufgang von einer ihm selten bekannten Unruhe erfasst worden war, die ihn nicht mehr für Morpheus Armen freigab, hatte er entgegen seiner Prinzipien und aus einer Laune heraus sein Pferd gezäumt, um an den Ufern der Donau zu reiten. Nach einem kurzen Ritt war er auch auf das gestoßen, was er mit seinen anderen Begleitern an dem Tag suchen wollte. Unter einer alten Linde und ein wenig fern ab von der Strömung, lag, beziehungsweise schwamm ein weißer Wappenrock, ein Kettenhemd, Lederzeug und was sonst zu der Ausrüstung des Ordens gehörte im seichten Wasser. Nachdem er misstrauisch die Gegend beobachtete, hatte er hastig die Sachen Stück für Stück aus dem Wasser gefischt, auf sein Pferd gepackt so gut es nun mal ging und war in flotterem Tempo wieder zurück zum Landgutes seines Gastgebers gehastet. Die Sonne war zu dem Zeitpunkt eben hinter den sanften Hügeln der Wachau aufgegangen, sodass Roderich die ersten warmen Strahlen dazu nutzte die nassen Sachen trocknen zu lassen. Während der Wind sanft den weißen Stoff des Wappenrockes schaukelte und durch die grünen Grashalme strich, wunderte sich Roderich über sich selber einen närrischen Impuls nachgegeben zu haben, im Wissen, dass es nach der aktuellen Sachlage mehr als gefährlich für ihn werden konnte. Doch er tat vieles in letzter Zeit, was er nicht ganz verstand. Seitdem sein Körper zu reifen begonnen hatte, stand seine sonst so geordnete Welt Kopf. Er verspürte Dränge und Gelüste, die ihm fremd und bedrohlich erschienen. Doch am schlimmsten waren die Träume und deren mögliche Ausgänge. Wie oft war nun schweißüberzogen erwacht und hatte feststellen müssen, dass er seine Lagerstädte mit einer seltsamen, weißen Flüssigkeit beschmutzt hatte. Mühsam drängte Roderich die Gedanken an diese grässliche, wie beängstigende Sache aus seinen Bewusstsein. Er hatte einstweilen andere Probleme, die akuter waren und weniger verwirrend. Noch einmal ging der Junge seine Situation durch und erarbeite alle Informationen die er bisher besaß. Doch egal wie sehr er es drehte und wendete, sein Verstand kam immer zum gleichen Schluss. Ein Ergebnis, welches dem jungen Österreicher regelrecht geistig den Boden unter den Füßen wegzog. Wie sehr hatte er die letzten Jahre sein Schicksal verflucht und versucht gegen es aufzubegehren. Doch sollten sich nun seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, so kam er sich überheblich vor, einst Linderung seiner Situation in seinen Gebeten eingebunden zu haben. Für einen kurzen Augenblick schloss Roderich die Augen und mahnte sich streng im gleichen Moment zur Wachsamkeit. Er konnte es sich nicht leisten nun seine Rückendeckung zu verlieren. Nicht, wenn er bald zwischen den Fronten von Mächten geraten werde, die zu beherrschen noch unmöglicher war, als sein Herzog. Sein Herzog… Wieder griff eine höchst unangenehme Leere auf seinen Magen über. Diesen hatte er in der Aufregung der letzten Tage zu oft verdrängt. Mit unheilvollen Ahnungen ließ Roderich seinen Blick Richtung Osten gleiten. „Alles wirkt so unnatürlich beschaulich, wenn man den politischen Wind der letzten Jahre bedenkt…“, schaltete sich eine tiefe Stimme neben dem jungen Österreicher ein und riss ihn so ungewollt aus seinen Gedanken. Verschreckt blickte er zur Seite, wobei er reflexartig seine Hand zum Kauf seines Schwertes führte. Doch als er in das rundliche Gesicht neben ihm blickte entspannte sich Roderich augenblicklich und ließ seinen Blick wieder zurück zu den Pferden gleiten. Er spürte, wie der Holzbalken auf den er sich lehnte, kaum merklich ein wenig absackte. Wie lange hatte er den Mann neben sich nicht mehr gesehen? Offenbar eine gute Weile, denn es schien Roderich als hätte er ein paar neue Falten in den Augenwinkeln entdeckt und das einst braune Haar war nicht nur lichter geworden, sondern hatte auch viel seiner einstigen Farbe eingebüßt. „Ihr seid sehr schreckhaft geworden, Herr Roderich, das muss ich Ihnen schon sagen.“ Ungehalten über die Bemerkung schürzte Roderich die Lippen und unterband sich auf diese einzugehen. Ein leises Lachen erklang neben ihm. „Es gibt Tage da bedauere ich es ernsthaft nicht mehr an Eurer Seite zu weilen. Aber wenn ich am Morgen aufwache, neben meiner Gattin und das Tagesgeschäft aufnehme, so bereue ich mein jetziges Leben, auch meiner Treue zu Euch zum Trotz, keinen einzigen Augenblick.“ Die Worte brachten den Jungen zu lächeln und nur zu gut konnte er sich das Lächeln des anderen vorstellen. Eine schon lang nicht mehr gefundene Wärme durchströmte ihn und blies die letzten Zweifel weg, welche ihn plagten seitdem er um Gastfreundschaft auf diesen Gut gebeten hatte, hinweg. „Ihr lächelt wieder, dann habe ich ja mein Ziel erreicht.“ Für eine Weile sprachen sie beide kein weiteres Wort, doch mit jedem verstrichenen Augenblick bekam Roderich immer mehr das Bedürfnis die Stille um sie herum zu brechen. „Es tut mir leid, dir in solch unruhigen Zeiten unnötige Sorgen aufzuhalsen, als es notwendig gewesen wäre, aber ich wusste hier niemanden mehr, dem ich mehr mein Vertrauen schenken konnte als dir.“ Aus den Augenwinkeln heraus konnte Roderich sehen wie der andere leicht die Augen zusammen kniff und die buschigen Augenbrauen zusammenzog. „Es stimmt, es hat mich schon gewundert, dass Ihr ausgerechnet jetzt an meiner Tür geklopft hast, Herr und…“ Etwas zog sich in Roderich erneut zusammen und bevor der ältere Mann seine Gedanken weiter aussprechen konnte, fiel er ihm ins Wort. „Meinrad, wenn ich einen anderen Ausweg gesehen hätte, wäre ich niemals so töricht gewesen so kurzfristig nach der Verschwörung bei dir anzuklopfen, aber…“ „… aber, habe ich Euch jemals meine Hilfe aufgrund widriger Umstände verwehrt, Herr?“ In der dunklen Stimmlage schwang ein belustigter Unterton mit, welcher in Roderichs Ohren unpassend erschien, doch hinter dem faltigen Gesicht wieder den jungen Ritter zum Vorschein brachte, welcher ihn Jahrzehnte zuvor auf Schritt und Tritt begleitet hatte. „Ich weiß, dass Ihr durch Euer langes Leben, welches Gott Euch schenkte, vieles nicht wahrnehmt Herr, wie wir normal Sterblichen, aber Ihr könnt doch nicht vergessen dass ich immer der erste war, welcher bereit war Euch bis zu meinen letzten Blutstropfen zu verteidigen.“ Eine kleine Sprechpause trat ein als würde Meinhard seine Worte abwägen. „Und sollte mir, verzeiht Herr, wenn ich es sage, dieser Gscherte, versuchen Scherein zu machen, weil Ihr mein Gast seid, dann ziehe ich dem Bastard persönlich die Löffeln lang.“ Ein lärmendes Glucksen schallte durch die feuchte Morgenluft, doch Roderich entging nicht die Angespanntheit seines ehemaligen Gefolgsmann. Eine kurze Weile der trauten Zweisamkeit folgte, so wie einst, als Meinrad jünger war und ihn anstatt Valentin begleitet hatte. Damals waren die Zeiten rosiger gewesen, die politische Lage nicht instabil und Leopold VI hatte einst noch unter ihnen geweilt. Wie kurz doch ein Menschenleben war. „Aber eine ehrliche Frage habe ich dennoch, Herr. Wer ist diese Kuriosität, welche mit Ihnen reist? Oder sollte ich fragen was?“ Die dunklen kleinen Äugelein huschten neugierig über Roderichs Gesicht und Roderich bekam wieder einmal das ungute Gefühl, dass ihn der Mann einfach nur zu gut kannte. „Ich würde es als mein zweites Problem bezeichnen, was aber sich weniger auf die Person bezieht, als den Umstand, welchem ich seine Anwesenheit verdanke. Aber ich würde dich bitten nicht auf mehr zu bestehen. Behandle ihn einfach wie ein Bruder aus den Orden der Deutschen Ritter.“ Aus den Augenwinkeln her konnte Roderich erkennen, dass sein Gastgeber ein wenig enttäuscht wirkte. Ein paar Vögel stiegen laut rufend aus dem Gedicht der Bäume auf. „Wir sollten wieder zurückgehen…“, murmelte Roderich, mehr zu sich als zu seinen ehemaligen Gefolgsmann, doch Meinhard nickte wortlos. Als sie sich wieder auf den Hof des Gutes befanden, vernahm das junge Herzogtum nicht erfreuliche Geräusche aus dem Inneren des Herrenhauses. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)