Von zeitreisenden Preußen, hitzköpfigen Herzögen und launischen Donaufürsten von Sternenschwester (PruAus) ================================================================================ Kapitel 10: Geschuppten und nicht geschuppten Scheusalen, Gespräche im Dunklen und alte Freunde ----------------------------------------------------------------------------------------------- Schmatzend grapschte er mit einem seiner hühnerartigen Beinen nach dem abgetrennten Schenkel der Leiche und pickte mit seinem scharfen Schnabel ein Loch in die faul werdende Haut. Unter Ziehen und Reißen rieß er an den hart gewordenen Muskeln ein Stück ab. Während er unter Gurgeln den nächsten Fleischpatzen hinunter würgte, ärgerte er sich nicht sorgfältiger mit den Leckerbissen umgegangen zu sein und alles was, ihm auf der Zunge zergangen war, gleich am ersten Abend vertilgt zu haben. Während er immer wieder Muskelfasern vom Knochen riss, begutachtete er das arme Geschöpf, welches er vor zwei Tagen in den dunklen Gassen Wiens gerissen hatte. Das Mädchen musste einst sehr schön gewesen sein, doch das Leben auf der Straße hatten seine Jugend rasend schnell verbraucht. Niemand würde es vermissen. Kinder wie sie hatten keine Eltern, keinen Vormund, keine Seele, die sich fragen würde, warum ihr Lachen, ihr Weinen verstummt war. Nicht mal ihre Freier würden sich fragen, wo sie hingekommen war. Er würde dies als trauriges Los bezeichnen, wenn er ein Mensch gewesen wäre, aber er war nun mal keines dieser bedauerlichen Geschöpfe. Als er jegliches Fleisch vom Knochen gelöst hatte, schmiss er das Gebein achtlos neben sich. Es schlitterte über den ewig feuchten Boden und klirrte geräuschvoll gegen den Fels. Doch das Echo, welches in der Dunkelheit von den Wänden prallte, verstummte nicht. Alarmiert und misstrauisch lauschte er angestrengt in die Finsternis, wobei sein beschuppter Schwanz unruhig über den kalten Stein glitt. Seine unheimlich roten Augen wandelten sich zu Schlitzen als ihm bewusst wurde, dass er Schritte hörte und Stimmen vernahm. Er hasste es, wenn sich Eindringlinge in sein dunkles Reich unter Wien verirrten. Wie gut war ihm der unangenehme Zwischenfall mit dem Müllergesellen vor ein zwei Jahrzehnten in Erinnerung geblieben. Damals hatte er seinen Tod gut vortäuschen können, doch er war empfindlich geworden, was Fremde in seinem Reich anging. Menschen machten nun mal nur Ärger. Genervt hievte er seinen massigen Körper hoch und bereitete sich vor seine ungebetenen Gäste gebührend zu empfangen. Die Leiche des Mädchens ließ er so liegen, wie er es einst her geschleift hatte. Sollten sie sie doch sehen, es würde das Letzte sein, was die Störenfriede erblicken würden. Ein Lichtschein tanzte an der glitschigen Tunnelwand entlang und auch das Kauderwelsch wurde immer verständlicher. Es waren zwei, davon war er inzwischen überzeugt und sie stritten nicht eben zimperlich miteinander. Doch was ihn eigentlich leicht verunsicherte war die Tatsache dass beide Stimmen ihm so bekannt vorkamen, obwohl sie sich durch kaum was unterschieden. Unbehaglich wandte er seinen hässlichen Leib hin und her, während der Schein immer intensiver wurde. Ein unguter Verdacht stieg in ihm auf. Er hatte es gespürt, freilich, aber er hatte gehofft nicht in diese Sache verwickelt zu werden. Zwei Männer kamen um die Ecke und das Platschen ihrer Stiefel hallte unheimlich von den Wänden der Höhle. Der Schein ihrer Laternen überzog seine ledrige Haut und mit übler Laune ließ er seinen dicken Schuppenschwanz, welcher das Licht mit seinen grünen Schuppen zurückwarf hörbar in der Luft peitschen. „Danuvius“, zischte er bedrohlich und wollte sich schon zu seiner vollen Größe aufbauen, da stockte er plötzlich als er in das zweite Gesicht der anderen Gestalt blickte. Die dicken Augenbrauenschwülste zogen sich zusammen und hinter seiner Stirn begann es zu rattern. „Wie ist das möglich…“, krächzte er dann schlussendlich mit seiner heiseren Stimme. „War nicht einer von euch genug für diese Welt?“ Letztere Frage triefte förmlich vor Spott, doch er erlaubte es sich nicht seine Vorsicht fallen zu lassen. Er konnte es sich nicht erlauben. Mit unverhohlener Neugier ließ er seinen Blick über die beiden streifen. Hochgewachsen, von breiter Gestalt und vor allem, nach seinen Geschmack unglaublich haarig auf Wangen und Kopf, glichen sie sich punktgenau, auch wenn es ihm vorkam, als mache der Zweite einen älteren Eindruck auf ihn. Das jüngere Exemplar wollte eben das Wort erheben, da drängte sich sein Begleiter grob vor und schob ihn hinter sich. „Ich weiß die Umstände sind eher ungewöhnlich, aber leichter zu erklären als es scheint.“ Wieder erhob er seinen Schwanz, doch nachdenklich hielt er inne. „Leichter zu erklären, als du denkst…“ Nochmals schweifte sein Blick zwischen den beiden Männern hin und her. „Man braucht euch nur anschauen und ein wenig Verstand haben, um zu verstehen was geschehen ist und ich habe es schon förmlich unter meinen Schuppen gespürt, dass was im Gange ist, aber ich hätte gehofft die Zeichen falsch zu deuten. Aber niemals habe ich dich für so dämlich gehalten diesen Irrsinn zu wagen. Durch die Zeit zu reisen, wie verzweifelt musst du gewesen sein?“ „Wie kannst du es wagen, du dreckiger Wurm, mir nicht den nötigen Respekt zu bringen. Hast du vergessen, wer ich bin!“ Der Jüngere war aufgefahren und bedrohte ihn mit einer erhobenen Faust, doch der andere lächelte ihn nur an. Es war ein Lächeln, welches auf dem vertrauten Gesicht völlig falsch erschien und Unruhe machte sich unter seinen dicken Schuppen breit. „Du hast dich nicht verändern, weder jetzt noch in hunderten Jahren, Basilisk.“ Unbehaglich drehte er seinen Hahnenkopf zur Seite, um den stechenden Blick der dunklen Augen zu entgehen, doch den folgenden Kommentar konnte er nicht unterdrücken. „Nun ich trage meine Krone noch, im Gegensatz zu dir.“ Das jüngere Abbild Danuvius hätte sich in eine Rage gesteigert, doch bevor dieser nach seiner beschuppten Kehle greifen konnte, wurde er von seinem Ebenbild rechtzeitig im Nacken gepackt. Eine starke Kopfnuss später, lag der Mann bewusstlos auf den Boden, während der Ältere sich die Hände an seiner Kleidung abwischte. Erstaunt bedachte er ihn interessiert. Nie in seinem Leben hätte er ein solches Handeln erwartet. Vielleicht war der Ältere doch nicht das, was er glaubte und er hatte sich alles falsch zusammen gereimt. „Mir ist nie aufgefallen zu was ich einst verkommen bin, seitdem man mir meiner Würde beraubt hat.“ Es war nur ein Flüstern gewesen, aber er vernahm durch seine geschärften Sinne jedes Wort klar und deutlich. Verwundert über diese ehrliche Einschätzung legte er seinen hässlichen Kopf zur Seite. „Ich werde dir nicht widersprechen, aber lass mich die folgende Anmerkung machen, du scheinst in der Zukunft dich sehr verändert zu haben.“ Das amüsierte Blitzen in den Augen, welches ihm nun galt, gefiel ihm noch weniger, als das unheimliche Lächeln. „Ich hatte ein paar Jahrhunderte, um mir über mich und mein Los Gedanken zu machen. Aber gut ich bin nicht zu dir gekommen, um über alte Zeiten zu plaudern. Ich hoffe, du hast heute Abend noch genügend Zeit…“ Langsam nickte der Basilisk von Wien und hörte für die nächste Zeit einfach nur zu, wobei ihm mit jedem gefallenen Wort immer mehr das Gefühl übermannte, dass sich durch den ausgesprochenen Größenwahn jede Schuppe seines Panzers sich einzeln aufstellte. Der Gang lag dunkel und leer vor ihm. Alleinig ein dumpfes Licht, welches durch die dünnen Schlitze der zugezogenen Vorhänge an den hohen Fenstern verhinderte, dass er sich in der völligen Finsternis bewegte. Gilbert rannte und wusste nicht mal genau wieso. Vielleicht weil man regelmäßig Handlungen in Träumen umsetzte, die man in dem kurzen Zeitraum, wo man aufwachte und sich noch an das Geträumte erinnern konnte, nicht rational erklären konnte. Doch wie schon im letzten Traum, wusste Gilbert sehr wohl, wo er sich befand. Die Gänge in denen er nun seit einer gefühlten Ewigkeit hetzte, hatten, wenn man von ihrer Endlosigkeit absah, erschreckende Ähnlichkeit mit der Villa im Wienerwald, wo der Österreicher vor mehr als 200 Jahren seinen Rückzugsort erbaut hatte. Die Form der Fenster, der weiche Bodenteppich, die dunklen Türen, die rechts und links neben ihm aufgereiht waren, alles kam ihm so bekannt vor. Dabei war er nur selten in Roderichs Refugium gelangt. Das lag zum einen daran, dass der Braunschopf höchst empfindlich auf unerwünschtes Eindringen in seine Oase der Ruhe reagierte und Gilbert wusste dass selbst seine Schwestern ihn dort nur sehr, sehr selten aufsuchten. Zum anderen war es ihrer verzwickten Beziehung zu verdanken, dass er bisher von diesem Haus, mitten im grünen Gürtel der Wien auf der Westseite umschloss, fern gehalten worden war. Endlich nahm der Gang ein Ende und Gilbert stand vor der beeindruckenden Treppe in die höheren Stockwerke. Er fragte sich schon seit längerer Zeit nicht mehr warum sich ebenfalls an der Decke und an den Wänden Türen und Treppen befanden. Er war in einem Traum, da war es normal, wenn die Dinge sich soweit verformten, dass man meinen könne, man sei in einem surrealen Gemälde. Nur eine kurze Zeit zögerte er, bevor er die Marmortreppe hinauf preschte. Oben angelangt orientierte er sich neu. Er konnte es weiterhin mit einem endlosen Gang versuchen oder er versuchte sich an einer der Türen auf den Wänden oder der Decke, vorausgesetzt dieser Traum hatte es irgendwie eingeplant, dass die Schwerkraft unter gewissen Umständen ausgesetzt wurde. Doch bevor er sich genauestens Gedanken machen konnte, wie er diese Tür über seinem Kopf erreichen konnte, hörte er aus dem Gang neben ihm ein Geräusch. Erschrocken wandte Gilbert den Kopf nach rechts und sah in der Ferne ein dumpfes Licht. Ohne dass er sich aktiv dafür entschied, übernahm sein Körper die Initiative und er hechtete auf den Schein zu. Die Dunkelheit verschluckte ihn immer mehr bis er kein weiteres Detail mehr wahrnehmen konnte als den Lichteinfall vor ihm. Persönlich und die Tatsache ein berechnend, dass er sich in einem Traum befand, hätte er erwartet, dass sich dieser helle Punkt vor ihm je mehr er sich näherte, sich immer mehr von ihm entfernte, aber diese Erwartung blieb aus. Mit jedem Schritt konnte er mehr erkennen. Der helle Lichtschein quoll regelrecht aus der Türe, in welchen eine breitschultrige Gestalt stand, während eine weitere Person, viel kleiner und schmaler gebaut als die andere, vor ihr verharrte. Er kam näher und bemerkte mit Staunen, dass es Roderich war, welcher vor einem Koloss von Mann verweilte. Zwar konnte der Preuße aufgrund der Dunkelheit kaum etwas vom Unbekannten erkennen, doch fiel ihm auf, dass dieser eine weitere Person auf dem Arm trug. Ein Kind oder eine sehr zierliche Frau, so ganz war dies nicht auszumachen. „Wir werden jetzt gehen, Valerius. Ich fürchte Blondi hat ein wenig zu viel vom Wein getrunken.“ Gilbert blieb stehen kaum war der Name Valerius gefallen und lauschte. Der fremde Mann besaß eine tiefe Stimme, nicht unangenehm, aber auf nicht näher erklärende Weise respekteinflößend. Das seltsamste für Gilbert aber war, dass er sicher war diese Stimme am Fest schon gehört zu haben. So wie ihm die ganze Situation schmerzlich bekannt vorkam. War er einst selbst nicht durch die Gänge der Villa gehechtet, weil der Hausherr, im Moment wo er mit ihm reden wollte, wie vom Erdboden verschluckt gewesen war? „Seit ihr noch länger in Wien?“ Der Unterton in der Stimme des Österreichers war warm und das darin enthaltene Interesse klang ehrlich. Eine Ehrlichkeit, die Gilbert sehr selten von Roderich zu hören bekam, vor allem wenn es ihn betraf. Die Abfolge der Wörter klangen dennoch so vertraut, als würde man ihm eine Aufnahme eines vergangenen Gespräches vorspielen, dessen Zeuge er einst geworden ist. „Ich glaube schon…“ Eine Sprechpause entstand, als müsste der Riese sich die Worte erst zu recht legen. „Valerius, da gäbe es noch etwas…“ Auch wenn er durch die Schatten, die auf dem Gesicht seiner Nemesis tanzten nichts genaues sah, so konnte sich Gilbert sehr wohl vorstellen, wie Roderich in diesem Augenblick die Augenbrauen hochzog, um den anderen mit einen forschenden Blick zu betrachten. Er kannte schließlich diesen Blick zu genüge. „Ich weiß nicht was dir Kranawitha gesagt hat oder ob sie es dir gesagt hat…“ Diesmal war es an Gilbert, nachdenklich die Stirn in Falten zu legen. Kranawitha… Dieser Name war doch schon einmal gefallen… nur wo? Roderich indes nahm wenig Rücksicht auf die Nachdenkzeit des Ostdeutschen. „Wenn es um Danuvius geht, so sei versichert, die alte Hexe hat mich gewarnt. Auch wenn ich mit Vedunia einer nicht einer Meinung bin, was ihren Vater betrifft, so sind wir beide uns sicher dass in nächster Zeit Gefahr von diesem alten Fischbart ausgeht.“ War Roderich Haltung davor noch herzlichst und freundschaftlich gewesen, so wurde sie nun distanziert und auch seien Stimme verriet, dass er nicht gewillt war das Thema weiter auszuführen. „Wie du meinst.“ Der Koloss seufzte resigniert und wandte sich zum Gehen. „Erla?“ Roderich war einen Schritt nach vorne getreten. Eine leichte Unsicherheit schwang im Ausruf mit. Der Fremde drehte sich noch einmal um und durch den nun günstigen Einfall des grellen Lichtes, erhaschte Gilbert einen Blick auf die Person, die der andere in den Armen hielt. Es handelte sich um ein Mädchen oder eine sehr zierliche Frau. Das lange, gelockte Haar glitt, wasserfallartig über die stämmigen Arme ihres Begleiters, während sie sich halb eingerollt an der breiten Brust anschmiegte. Auf den zerbrechlich wirkenden Gesicht war ein leichter Rotstich auszumachen und Gilbert wusste auf einmal, an wen ihn die Ausstrahlung der jungen Frau erinnerte, auch wenn er sich hundertprozentig sicher war, dass es nicht die Person war, an welche er nun dachte. Das Fräulein Vedunia, welches er vor ein paar Tagen kennengelernt hatte, war anders gewesen und doch hatte sie auf ihn den gleichen Eindruck hinterlassen. „Ja, Valerius?“ „Wenn er wirklich auf Rache sinnt, werdet Ihr mir beistehen?“ „Das alte Volk vergisst nie seine Schuld, kleiner Sohn der Noriea. Das solltest du eigentlich am besten wissen.“ „Das alte Volk vergisst auch nie seinen Zorn.“, erwiderte Roderich kurz angebunden. ~Das alte Volk vergisst auch nie seinen Zorn~ Hatte er nicht einst Roderich eben in diesem Moment gefunden, als eben dieser Satz gefallen war? Plötzlich schien ihm alles so klar und scharf umrissen. Doch bevor er noch auf diese Erkenntnisse reagieren konnte, spürte er, wie etwas ihn von hinten packte, um ihn rückwärts von dem Lichtschein und den Anwesenden weg zu zerren. Als wäre er an einem Gummizug befestigt, rauschte er zurück in die Dunkelheit aus welcher er gekommen war und sein Schrei verhallte in der Finsternis. Das Erste, was Gilbert spürte war ein kräftiger Tritt gegen sein Schienbein und mit schmerzverzogenem Gesicht fuhr er hoch, wobei kühle Morgenluft seinen nackten Oberkörper umhüllte. „Halt endlich die Goschen und hör zu zappeln, du dämlicher Hund!“, knurrte es neben ihn, wie im Wortlaut schon recht deutlich, sehr unfreundlich. Fluchend rieb sich Gilbert das Bein, bevor er einen tödlichen Blick zu Seite warf. Zwei dunkle Augen glitzerten ihm im Dämmerlicht entgegen, wenn auch der Schlaf sich bemerkbar hinter ihnen verbarg. „Wie soll man bei deinem Gehample bitte schlafen können?“ „Sag mal, piepst es bei dir?“, fauchte Gilbert zornig Valentin an, wobei er durch seine Wut die Tatsache, dass sie beide dasselbe Bett teilten außer Acht ließ. Der junge Ritter zog mit entnervtem Gesichtsausdruck die Decke ein wenig höher und drehte sich demonstrativ weg. Ein Gedankenblitz durchfuhr das ehemalige preußische Königreich. Bevor er ihn auch nur fertig zu Ende gedacht hatte, führte er ihn auch schon aus und schlug zu. Roderich beobachte gedankenverloren wie Grashalme mümmelnd sein kleiner Grauer auf der kleinen Koppel stand. In nicht weiter Entfernung grasten die anderen beiden Pferde friedlich vor sich hin. Auf den Balken der Umzäunung der Koppel hatte Roderich ein komplettes Ordensgewand der Ritter des Deutschen Ordens zum Trocknen aufgelegt. Er hatte es zuverlässig am Uferrand der Donau gefunden. Zwar hatte er sich den Umständen wegen einst vorgenommen den riskanten Weg zum Fluss nur in Begleitung zu wagen, aber nachdem er kurz vor Sonnenaufgang von einer ihm selten bekannten Unruhe erfasst worden war, die ihn nicht mehr für Morpheus Armen freigab, hatte er entgegen seiner Prinzipien und aus einer Laune heraus sein Pferd gezäumt, um an den Ufern der Donau zu reiten. Nach einem kurzen Ritt war er auch auf das gestoßen, was er mit seinen anderen Begleitern an dem Tag suchen wollte. Unter einer alten Linde und ein wenig fern ab von der Strömung, lag, beziehungsweise schwamm ein weißer Wappenrock, ein Kettenhemd, Lederzeug und was sonst zu der Ausrüstung des Ordens gehörte im seichten Wasser. Nachdem er misstrauisch die Gegend beobachtete, hatte er hastig die Sachen Stück für Stück aus dem Wasser gefischt, auf sein Pferd gepackt so gut es nun mal ging und war in flotterem Tempo wieder zurück zum Landgutes seines Gastgebers gehastet. Die Sonne war zu dem Zeitpunkt eben hinter den sanften Hügeln der Wachau aufgegangen, sodass Roderich die ersten warmen Strahlen dazu nutzte die nassen Sachen trocknen zu lassen. Während der Wind sanft den weißen Stoff des Wappenrockes schaukelte und durch die grünen Grashalme strich, wunderte sich Roderich über sich selber einen närrischen Impuls nachgegeben zu haben, im Wissen, dass es nach der aktuellen Sachlage mehr als gefährlich für ihn werden konnte. Doch er tat vieles in letzter Zeit, was er nicht ganz verstand. Seitdem sein Körper zu reifen begonnen hatte, stand seine sonst so geordnete Welt Kopf. Er verspürte Dränge und Gelüste, die ihm fremd und bedrohlich erschienen. Doch am schlimmsten waren die Träume und deren mögliche Ausgänge. Wie oft war nun schweißüberzogen erwacht und hatte feststellen müssen, dass er seine Lagerstädte mit einer seltsamen, weißen Flüssigkeit beschmutzt hatte. Mühsam drängte Roderich die Gedanken an diese grässliche, wie beängstigende Sache aus seinen Bewusstsein. Er hatte einstweilen andere Probleme, die akuter waren und weniger verwirrend. Noch einmal ging der Junge seine Situation durch und erarbeite alle Informationen die er bisher besaß. Doch egal wie sehr er es drehte und wendete, sein Verstand kam immer zum gleichen Schluss. Ein Ergebnis, welches dem jungen Österreicher regelrecht geistig den Boden unter den Füßen wegzog. Wie sehr hatte er die letzten Jahre sein Schicksal verflucht und versucht gegen es aufzubegehren. Doch sollten sich nun seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, so kam er sich überheblich vor, einst Linderung seiner Situation in seinen Gebeten eingebunden zu haben. Für einen kurzen Augenblick schloss Roderich die Augen und mahnte sich streng im gleichen Moment zur Wachsamkeit. Er konnte es sich nicht leisten nun seine Rückendeckung zu verlieren. Nicht, wenn er bald zwischen den Fronten von Mächten geraten werde, die zu beherrschen noch unmöglicher war, als sein Herzog. Sein Herzog… Wieder griff eine höchst unangenehme Leere auf seinen Magen über. Diesen hatte er in der Aufregung der letzten Tage zu oft verdrängt. Mit unheilvollen Ahnungen ließ Roderich seinen Blick Richtung Osten gleiten. „Alles wirkt so unnatürlich beschaulich, wenn man den politischen Wind der letzten Jahre bedenkt…“, schaltete sich eine tiefe Stimme neben dem jungen Österreicher ein und riss ihn so ungewollt aus seinen Gedanken. Verschreckt blickte er zur Seite, wobei er reflexartig seine Hand zum Kauf seines Schwertes führte. Doch als er in das rundliche Gesicht neben ihm blickte entspannte sich Roderich augenblicklich und ließ seinen Blick wieder zurück zu den Pferden gleiten. Er spürte, wie der Holzbalken auf den er sich lehnte, kaum merklich ein wenig absackte. Wie lange hatte er den Mann neben sich nicht mehr gesehen? Offenbar eine gute Weile, denn es schien Roderich als hätte er ein paar neue Falten in den Augenwinkeln entdeckt und das einst braune Haar war nicht nur lichter geworden, sondern hatte auch viel seiner einstigen Farbe eingebüßt. „Ihr seid sehr schreckhaft geworden, Herr Roderich, das muss ich Ihnen schon sagen.“ Ungehalten über die Bemerkung schürzte Roderich die Lippen und unterband sich auf diese einzugehen. Ein leises Lachen erklang neben ihm. „Es gibt Tage da bedauere ich es ernsthaft nicht mehr an Eurer Seite zu weilen. Aber wenn ich am Morgen aufwache, neben meiner Gattin und das Tagesgeschäft aufnehme, so bereue ich mein jetziges Leben, auch meiner Treue zu Euch zum Trotz, keinen einzigen Augenblick.“ Die Worte brachten den Jungen zu lächeln und nur zu gut konnte er sich das Lächeln des anderen vorstellen. Eine schon lang nicht mehr gefundene Wärme durchströmte ihn und blies die letzten Zweifel weg, welche ihn plagten seitdem er um Gastfreundschaft auf diesen Gut gebeten hatte, hinweg. „Ihr lächelt wieder, dann habe ich ja mein Ziel erreicht.“ Für eine Weile sprachen sie beide kein weiteres Wort, doch mit jedem verstrichenen Augenblick bekam Roderich immer mehr das Bedürfnis die Stille um sie herum zu brechen. „Es tut mir leid, dir in solch unruhigen Zeiten unnötige Sorgen aufzuhalsen, als es notwendig gewesen wäre, aber ich wusste hier niemanden mehr, dem ich mehr mein Vertrauen schenken konnte als dir.“ Aus den Augenwinkeln heraus konnte Roderich sehen wie der andere leicht die Augen zusammen kniff und die buschigen Augenbrauen zusammenzog. „Es stimmt, es hat mich schon gewundert, dass Ihr ausgerechnet jetzt an meiner Tür geklopft hast, Herr und…“ Etwas zog sich in Roderich erneut zusammen und bevor der ältere Mann seine Gedanken weiter aussprechen konnte, fiel er ihm ins Wort. „Meinrad, wenn ich einen anderen Ausweg gesehen hätte, wäre ich niemals so töricht gewesen so kurzfristig nach der Verschwörung bei dir anzuklopfen, aber…“ „… aber, habe ich Euch jemals meine Hilfe aufgrund widriger Umstände verwehrt, Herr?“ In der dunklen Stimmlage schwang ein belustigter Unterton mit, welcher in Roderichs Ohren unpassend erschien, doch hinter dem faltigen Gesicht wieder den jungen Ritter zum Vorschein brachte, welcher ihn Jahrzehnte zuvor auf Schritt und Tritt begleitet hatte. „Ich weiß, dass Ihr durch Euer langes Leben, welches Gott Euch schenkte, vieles nicht wahrnehmt Herr, wie wir normal Sterblichen, aber Ihr könnt doch nicht vergessen dass ich immer der erste war, welcher bereit war Euch bis zu meinen letzten Blutstropfen zu verteidigen.“ Eine kleine Sprechpause trat ein als würde Meinhard seine Worte abwägen. „Und sollte mir, verzeiht Herr, wenn ich es sage, dieser Gscherte, versuchen Scherein zu machen, weil Ihr mein Gast seid, dann ziehe ich dem Bastard persönlich die Löffeln lang.“ Ein lärmendes Glucksen schallte durch die feuchte Morgenluft, doch Roderich entging nicht die Angespanntheit seines ehemaligen Gefolgsmann. Eine kurze Weile der trauten Zweisamkeit folgte, so wie einst, als Meinrad jünger war und ihn anstatt Valentin begleitet hatte. Damals waren die Zeiten rosiger gewesen, die politische Lage nicht instabil und Leopold VI hatte einst noch unter ihnen geweilt. Wie kurz doch ein Menschenleben war. „Aber eine ehrliche Frage habe ich dennoch, Herr. Wer ist diese Kuriosität, welche mit Ihnen reist? Oder sollte ich fragen was?“ Die dunklen kleinen Äugelein huschten neugierig über Roderichs Gesicht und Roderich bekam wieder einmal das ungute Gefühl, dass ihn der Mann einfach nur zu gut kannte. „Ich würde es als mein zweites Problem bezeichnen, was aber sich weniger auf die Person bezieht, als den Umstand, welchem ich seine Anwesenheit verdanke. Aber ich würde dich bitten nicht auf mehr zu bestehen. Behandle ihn einfach wie ein Bruder aus den Orden der Deutschen Ritter.“ Aus den Augenwinkeln her konnte Roderich erkennen, dass sein Gastgeber ein wenig enttäuscht wirkte. Ein paar Vögel stiegen laut rufend aus dem Gedicht der Bäume auf. „Wir sollten wieder zurückgehen…“, murmelte Roderich, mehr zu sich als zu seinen ehemaligen Gefolgsmann, doch Meinhard nickte wortlos. Als sie sich wieder auf den Hof des Gutes befanden, vernahm das junge Herzogtum nicht erfreuliche Geräusche aus dem Inneren des Herrenhauses. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)