Digimon Battle Generation von Alaiya ([Digimon Tamers] Wenn Welten kollidieren) ================================================================================ Episode 39: Gebundene Hände --------------------------- Episode 39: Gebundene Hände Um die potentielle Gefahr von Übergriffen durch Digimon, die mit menschlichen Partnern assoziiert sind (sog. Tamer), zu verringern, ist es innerhalb der vereinigten Staaten von Amerika verpflichtend, dass Menschen, die mit einem Digimon assoziiert sind und sich im Besitzt eines D-Arc (auch: Digivice) befinden, bei den örtlichen Behörden registrieren und sich freiwillig einer Reihe psychischer und sozialer Eignungstests unterziehen.[...] – Begründung der Tamer-Regulierungsordnung von Januar 2009 Denrei merkte, wie Dracomon sich auf einmal anspannte und als er zu seinem Partner sah, hatte dieser die Augen zu Schlitzen verengt und auch Lopmon schien etwas zu sehen. Denrei folgte dem Blick der Digimon, konnte jedoch zuerst nichts sehen. „Was ist los?“, fragte Shuichon, gerade als Denrei erkannte, dass sich etwas am anderen Ende der Golden Gate Bridge bewegte. „What is that?“, fragte nun auch Alex und legte eine Hand gegen die Stirn um besser sehen zu können. Doch auch wenn Denrei soweit nur eine große rötliche Gestalt erkennen konnte, die zwischen den Spannungsseilen, die die Brücke hilten, hangelte, während in der Ferne ein Helikopter am Himmel erschienen war, so konnte er ahnen, dass es sich um ein Digimon handelte. Dies schien sich nun auch Shuichon zusammen zu reimen. „Ein Digimon?“ Denrei merkte, wie er unwillkürlich die Faust ballte, denn wenn er richtig lag, wurde das Digimon von dem Helikopter dort verfolgt. Er erinnerte sich an das Tylomon, das von Jenrya getötet worden war, weil es nicht in die Stadt durfte. So etwas wollte er nicht noch einmal mit ansehen. „Dracomon!“, rief er und löste sein Digivice vom Gürtel, doch Shuichon legte ihre Hand um die seine. „Ich habe eine bessere Idee“, meinte sie und zog ihr eigenes Digivice. „Card Slash – Chou Shinka Plug-In S!“ „Lopmon – Shinka! Wendimon!“ Während Wendimon auf einmal neben ihnen in die Höhe ragte und einige Aufmerksamkeit zwischen den Passanten auf sich zog, hob Shuichon eine weitere Karte. „Card Slash! White Wings!“ Die großen Flügel wuchsen auf Wendimons Rücken, ehe es mit einer seiner großen Klauen Denrei und Dracomon hochhob und mit der anderen Shuichon und Alex. „Und in wie weit ist das eine bessere Idee?“, rief Denrei zu Shuichon hinüber, als sich Wendimon mit einem mächtigen Sprung vom Boden abstieß, dann die Flügel ausbreitete und sich so in die Luft erhob. „Insoweit, dass Wendimon uns besser tragen kann, als es Coredramon könnte!“ Sie rasten über die Autos, die auf der Brücke unterwegs waren hinweg und kamen nun näher an die rote Gestalt heran, bei der es sich tatsächlich um ein Digimon zu handeln schien, dessen Gestalt sehr an einen Teufel, so wie Denrei ihn in Animedarstellungen kannte, erinnerte. Es hatte etwas von einem roten Mephistomon auf zwei Beinen, dachte er. Doch da war noch etwas, das Wendimon als erstes bemerkte: „Da ist ein Junge auf dem Rücken des Digimon!“ „There are police cars!“, rief Alex, die wahrscheinlich kein Wort, von dem was sie gesagt hatten, verstanden hatte. „What is happening?“, rief Denrei zu ihr hinüber. „Why would I know?“, erwiderte sie. „Maybe that kid has done something.“ Denrei sah hinunter, während das Digimon, das sein Digivice nun als Redmon identifizierte, auf den Drahseilen hinabschlitterte und zwischen zwei stehen gebliebenen Autos landete. Die Autos schienen allesamt zum Stehen zu kommen, während der Helikopter nun auf der Brücke war, und Redmon sah sich hektisch um. „More police!“, rief Alex, die sich leicht panisch an dem Finger Wendimons festhielt und zeigte auf das Ende der Brücke, von dem sie gekommen waren, wie Denrei nun tatsächlich blinkende Lichter sah und meinte Sirenen hören zu können. „Wendimon!“, wies Shuichon ihren Partner an, der sofort in den Sturzflug ging, um so neben Redmon herfliegen zu können. „You need to turn around!“, schrie Shuichon dem vielleicht dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungen zu, der auf der Schulter Redmons saß. Dieser schien so überrascht von dem Digimon zu sein, das auf einmal neben ihnen aufgetaucht war, dass er beinahe den Halt auf dem Rücken seines Digimon verlor und hinuntergerutscht wäre, hätte das Digimon nicht mit einer Pranke nach ihm gegriffen und dies verhindert. „There is police behind me!“, schrie er zurück. „They will kill Redmon!“ „There is police on the other side, too!“, erwiderte Shuichon. „Hey, kid!“, rief nun auch Alex, während Wendimon immer wieder mit den ungewohnten Flügeln schlagen musste, um seine Höhe zu halten. „Did you do anything wrong?“ Der Junge, dessen Gesichtsausdruck ohnehin schon panisch war, schien noch erschrockener. „No!“, rief er entschlossen. „Why?“ „Because the police is after you“, antwortete Alex. Für einen Moment zögerte der Junge – den Blick nun auf den Helikopter gerichtet, der das eine Ende der Brücke erreicht hatte. „Surrender the Digimon and you will not be harmed!“, erklang eine laute Stimme, wie durch einen Lautsprecher und Denrei schloss, dass diese vom Helikopter kommen musste. „No“, antwortete der Junge dann, so leise, dass sie ihn fast nicht hören konnten. „I am just… Not allowed to keep a Digimon.“ Shuichon sah zu Denrei und er erwiderte ihren Blick. Er wusste, dass sie dachte, was er dachte: Sie konnten nicht zulassen, dass dieses Digimon getötet wurde, nur weil der Junge aus irgendeinem Grund keinen Partner haben durfte. Doch auf der anderen Seite wussten sie nicht, ob es nicht vielleicht doch einen guten Grund dafür gab. Schließlich nickte Shuichon ihm zu, da sie offenbar eine Entscheidung getroffen hatte, und löste sich aus dem Griff Wendimons, um auf die Schultern Redmons hinüber zu springen, was den Jungen überraschte. Shuichon fischte eine weitere Karte aus dem Beutel an ihrem Gürtel. „Use this!“, rief sie. Der Junge sah sie vollkommen fassungslos an, so dass sie ihm die Karte in die Hand drücken musste. „Use it!“ Verständnislos sah der Junge auf die Karte. „You need to slash it with your Digivice!“, wies Shuichon ihn an. Noch immer sah der Junge überrascht und fassungslos aus, doch schließlich tat er mit zitternden Händen, wie ihm geheißen und zog die Karte durch Schlitz seines Digivices, woraufhin sich Datenpartikel an den Schultern seines Partners sammelten, ehe dieser zwei schwarze Lederflügel ausbreitete. „Now fly!“, rief Shuichon, viel mehr an den Partner gewandt, als an den Jungen und klammerte sich selbst am Nacken des Teufelsdigimon fest. Redmon stieß sich von der Brücke ab und breitete etwas unbeholfen die Flügel aus, um zu fliegen, während sich auch Wendimon mit einigen Flügelschlägen von der Brücke entfernte um etwas mehr Freiraum zu bekommen. „Where are we going?“, rief Alex ratlos zu Denrei hinüber, doch dieser hatte selbst nicht die geringste Ahnung und glaubte auch nicht, dass Shuichon einen Plan hatte. Da wandte sich Wendimon auf einmal um und sah zu dem Helikopter und erst nach einem Augenblick der Verwirrung konnte Denrei erkennen, dass etwas leuchtendes auf sie zuschoss. „Vorsicht!“, schrie er. Wendimon hatte jedoch schon verstanden und ließ sich Fallen, so dass die Rakete über es hinweg flog und auf die Wasseroberfläche schlug, wo sie explodierte. Alex schrie auf – ob aus reinem Schreck oder vor Angst konnte Denrei nicht sagen – während Wendimon nun die Flügel weiter spannte und sich noch schneller fortbewegte. „Vorsicht, Shuichon!“, rief Wendimon zu seiner Partnerin hinüber, während es nun dicht über dem Wasser flog. Weitere Raketen flogen durch die Luft – offenbar jede auf eins der Digimon gerichtet – und die Digimon mussten ihre Tempo beschleunigen, wenn sie ihnen entkommen wollten. „I cannot believe, they are shooting at us!“, rief Alex aus und ihre Stimme klang deutlich panisch. „We need to do something!“ „And what should we do?“, erwiderte Denrei, der eine Hand vor das Gesicht hielt, um seine Augen vor dem ihnen entgegenpeitschenden Wind zu schützen. „I don't know!“ Alex versuchte sich zu dem Helikopter umzudrehen, konnte ihn jedoch wie auch Denrei nicht sehen, da Wendimons Schultern den Blick versperrten. Erneut machte Wendimon einen Schlenker, um den Waffen auszuweichen. „Lass mich kämpfen, Denrei!“, knurrte Dracomon, nun mit zu Schlitzen verengten Pupillen. Doch Denrei wusste, dass dies keine Option war. Sobald sie Gegenwehr leisteten, würden sie den Polizisten oder wer sie auch immer Angriff, nur einen noch besseren Grund liefern, sie weiter anzugreifen und nachdem er gesehen hatte, dass diese offenbar Waffen hatten, die auch Digimon schaden konnten, wollte er Dracomons Leben nicht unnötig riskieren. Doch er ahnte auch, dass ihnen niemanden zuhören würde, sollten sie versuchen zu reden. „Denrei!“, hörte er Shuichon rufen. „Ich benutze eine Highspeed Karte!“ Er reckte einen Daumen nach oben, um zu gestikulieren, dass er verstanden hatte. „Hold on!“, rief er dann zu Alex hinüber, die ihn nur verwirrt ansah, während Shuichon es irgendwie schaffte, trotz der Geschwindigkeit in der sie ohnehin schon flogen, die Karte durch ihr Digivice zu ziehen und sie dann an den Jungen weiterzugeben. Im nächsten Moment musste Denrei die Augen schließen, da sie sich nun zu schnell bewegten. Er konnte spüren, dass sie an Höhe gewannen und meinte, dass das Rattern des Helikopters leiser wurde, wenngleich dies auch daran liegen konnte, dass der Wind zu laut in seinen Ohren rauschte. Auch hörte er Alex panisch kreischen und weitere Rufe, die – so dachte er – wahrscheinlich von Shuichon und dem Jungen kamen. Denrei hätte nicht sagen können, wie lange sie so flogen. Das einzige, was er wusste, war, dass sein Gesicht taub war, als er merkte, wie Wendimon langsamer wurde, und der feste Griff des Digimons Dracomon unangenehm gegen ihn drückte. Er blinzelte und stellte fest, dass sie offenbar ein ganzes Stück von der Stadt entfernt waren. Zumindest konnte er weit und breit keinen einzigen Wolkenkratzer erkennen oder auch nur ein normales Haus. Stattdessen waren sie von Bäumen umgeben, deren Laub Schatten auf sie warf und sie wahrscheinlich auch vor Blicken aus der Luft schützte. „Wo sind wir?“, fragte er an Shuichon gewandt, nachdem Wendimon ihn auf den Boden abgesetzt hatte. Stolpernd stand er auf, da seine Füße ihn nicht ganz tragen wollten, und ging zu ihr hinüber. „Ich habe absolut keine Ahnung“, erwiderte sie und grinste verlegen. „Da musst du Wendimon fragen.“ „Hier ist Wald“, erwiderte Wendimon und setzte sich auf den Boden. „Ich habe versucht, aus dem Sichtfeld des Helikopters zu kommen und bin dann hier gelandet.“ Es legte seinen monströsen Kopf auf die Seite. „That was totally crazy!“, hauchte Alex, die es bisher offenbar nicht gewagt hatte, sich wieder aufzurichten. „Who are you?!“, fragte nun der Junge, der sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte, während sich sein Partner, der nicht ganz so groß war, wie Wendimon, auf dem Boden niederließ. „We are japanese Tamers!“, antwortete Shuichon und machte das Peace-Zeichen. „Japense Tamers?“ Der Junge sah sie ratlos an. Jetzt erst konnte Denrei ihn genauer beobachten und bemerkte, dass seine Kleidung ziemlich mitgenommen wirkte, so als hätte er sie weit länger getragen, als es vernünftig war, und während sein weit über die Ohren reichendes Haar nicht dreckig wirkte, so war es auch weit davon entfernt, gepflegt zu sein. Eine Ahnung kam in ihm hoch, doch er war sich nicht sicher, wie er sie äußern sollte. „The really question should be: Who the fuck are you?“, grummelte Alex und sah zu dem Jungen. Der Junge sah sie nicht direkt an, sondern ließ sich stattdessen nun auch vom Rücken seines Digimon zu Boden gleiten. Shuichon sah zu Denrei, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Da begann der Junge zu seiner Überraschung zu sprechen. „My name is Nico“, sagte er leise. „Nico Tawney. And this is Redmon.“ „Thank you for helping us“, meinte das Digimon nun ebenfalls mit tiefer Stimme. „And why is the fucking police after you?“, fragte Alex, deren Laune sich deutlich verschlechtert hatte. Digimon und Junge tauschten Blicke, während Denrei und Shuichon dasselbe taten. Denrei hatte Mitleid mit dem Jungen und wäre gerne dazwischen gegangen, doch auf der anderen Seite hatte er das Gefühl, dass sie wirklich erfahren mussten, was es mit diesem Tamer auf sich hatte. Immerhin musste es einen Grund geben, warum er von der Polizei verfolgt worden war, oder? Selbst wenn es ein Grund war, den sie nur bedingt nachvollziehen konnten. Also sah er zu dem Jungen, der noch immer deutliche Züge eines Kindes hatte, während dieser sie weiterhin nicht ansah. „It's like I've said: I am not allowed to be a Tamer and they would take Cellomon… That is… Redmon from me, if they got me“, sagte er schließlich. „Maybe they would even kill him.“ „They sure tried to kill all of us!“, rief Alex aus und sprang auf die Beine, nur um gleich darauf in die Knie zu sinken, da sie offenbar feststellte, dass ihre Beine sie nicht tragen wollten. „I am very sorry“, erwiderte der Junge. Alex sah zu ihm hinüber und etwas in ihrer Miene wurde weicher. Derweil ging Denrei zu Shuichon hinüber. „Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragte er. Shuichon zuckte nur mit den Schultern. „Wir können ihn nicht einfach ausliefern, oder?“ Soweit stimmte Denrei ihr zu, doch aktuell fehlten ihm eindeutig Ideen, was sie tatsächlich machen konnten, um etwas an ihrer Situation zu ändern. Der Junge erinnerte ihn etwas an sich selbst, als er Dracomon bekommen hatte. Damals hatte er versucht in die digitale Welt zu fliehen, als er das Gefühl gehabt hatte, in der realen Welt nicht länger bleiben zu können. „Warum hast du mich nicht kämpfen lassen, Denrei?“, fragte Dracomon nun und zupfte mit seinen Klauen an Denreis Hose. „Weil wir nicht gegen die Polizei kämpfen können“, antwortete Shuichon für Denrei. „Wir würden Probleme bekommen. Große Probleme.“ „Aber sie haben uns angegriffen!“, protestierte das Drachendigimon verständnislos. „Ich weiß“, seufzte Shuichon, während Denrei zum Himmel sah. Er kannte sich nicht wirklich mit der Technologie des Militärs aus, doch etwas sagte ihm, dass es gut sein könnte, dass so ein Helikopter sie trotz des Sichtschutzes, den das Blätterdach bot, aufspüren könnte. „Ich fürchte, dass sie das noch einmal probieren könnten.“ Von all dem bekam Megumi nichts mit. Während Nico weiter im Norden gerade den Helikopter bemerkte und die Flucht ergriff, saß sie in Keiths Auto, nachdem sie ihn vor zehn Minuten angerufen hatte. Sie hatte nicht bei Shibumi auf ihn gewartet, sondern war lieber ein Stück gelaufen. Im Moment wusste sie nicht, was sie denken sollte. Noch immer konnte sie nicht sagen, was sie überhaupt erwartet hatte, doch irgendwie hatte sie damit gerechnet, dass sie durch Shibumi irgendwelche Antworten bekommen würde – und sei es nur, dass sie sich endlich ihrer eigenen Gefühle sicher sein konnte. Doch stattdessen hatte sie nur noch mehr Fragen als zuvor. Nicht nur, dass es sie an sich schon eher verwirrt hatte, Shibumi wiederzusehen, nachdem er im vergangenen Dezember einfach verschwunden war, seine Worte hatten nur noch mehr Fragen gebracht. Konnte das, was er sagte, wirklich sein? Konnte ihre Welt selbst nur eine Simulation sein? Die Wahrheit war, dass sie selbst darüber nachgedacht hatte, seit die beiden Welten kollidiert waren und man die digitale Welt am Himmel der realen sehen konnte. Auch jetzt wanderte ihr Blick zum mittlerweile blauen Himmel hinauf, vor dessen Blau man nun wieder die digitale Welt erkennen konnte. „Megumi“, riss Keiths Stimme sie aus ihren Gedanken. Verwirrt sah sie ihn an. Aus seinem Tonfall schloss sie, dass er sie nicht das erste Mal ansprach und offenbar vorher versucht hatte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Entschuldige“, stotterte sie auf Englisch. Er schüttelte den Kopf, während er wieder auf die Ampel, an der sie im Augenblick warteten, sah. „Kein Problem“, erwiderte er. „Dein Schweigen ist Antwort genug.“ „Antwort?“, wiederholte sie. „Was?“ „Was ich vorher sagte: Es gab nicht die Antworten, die du erwartet hattest, oder?“, meinte Keith. Die Ampel sprang auf Grün und sie fuhren weiter, während Megumi seufzte. „Ja und nein“, murmelte sie. „Es ist sehr… Mamoi… Wie sagt man? Verwirrend. Er wusste, was es mit diesen Wesen auf sich hat, aber einige Sachen… Sie… Du hast Shibumi früher kennen gelernt, oder? Er spricht in Rätseln.“ Dabei waren diese Worte nicht ganz wahr, denn sie hatte Shibumis Worte sehr wohl verstanden. Doch es fiel ihr schwer zu sagen, was Shibumi gesagt hatte. Dass alles nur eine Simulation war – eine Illusion. Was war sie dann? Nur ein Programmcode? Keith nickte, auch wenn er den Blick nicht von der Straße abwandte. „Ja. Er war seltsam.“ Er seufzte und rückte mit einer Hand die Sonnenbrille, die er nun zum Autofahren trug, zurecht. „Ich verstehe noch immer nicht, warum er sich ausgerechnet mit dir treffen wollte.“ „Ich auch nicht“, gab Megumi zu und log dabei nicht einmal. Denn auch wenn sie weiterhin für sich behielt, was an Weihnachten geschehen war, so hatte sie das Gefühl, das auch dies keine Antwort auf die Frage war. Immerhin war Shibumi weiterhin anders und hätte es nicht mehr Sinn gemacht, mit Janyuu zu reden. „Könntest du ihn überreden, sich mit meinem Vater oder Tao zu treffen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Er traut ihnen nicht, sagt er. Weil er… Weil er der Regierung nicht traut.“ „Nicht, dass ich das nicht verstehen kann“, seufzte Keith. Wieder kamen sie vor einer Ampel zum Stehen. „Sag, Megumi“, meinte er dann mit Blick auf einen der vielen Coffeeshops, von denen Megumi gefühlt an jeder Straßenecke mindestens einen sah, „willst du vielleicht mit mir einen Kaffee trinken?“ Megumi zögerte, denn auf der einen Seite hatte sie das Gefühl, dass sie mit Janyuu reden sollte, wollte dies auf der anderen Seite jedoch nicht unbedingt. „Wieso nicht?“, erwiderte sie schließlich. „Gut.“ Dann sprachen sie nicht mehr, während sie weiterfuhren, ehe sie schließlich auf einen Parkplatz kamen. Gerade als sie ausstiegen, fuhr ein Polizeiauto mit laufenden Sirenen an ihnen vorbei. Da San Fransisco eine Großstadt war und Megumi an das permanente Heulen von Sirenen aus irgendeiner Straße Tokyos gewöhnt war, dachte sie sich nichts dabei. „Komm“, meinte Keith. Sie nickte und folgte ihm, während er den Parkplatz verließ, als ein weiteres Polizeiauto an ihnen vorbeifuhr. „Ich frage mich, was da los ist…“, murmelte Keith und sah diesem Auto nun hinterher. Megumi schüttelte den Kopf. „Wer weiß“, erwiderte sie. Wieder wanderte ihr Blick zur digitalen Welt hoch über ihnen. „Keith“, platzte es dann auf einmal aus ihr heraus, „glaubst du, dass diese Welt real ist?“ Shuichon war froh, dass sie im Schatten der Bäume saßen, da die frühe Nachmittagshitze langsam kam. Wendimon und auch Redmon waren mittlerweile zu Lopmon und Cellomon zurückdigitiert, doch hatten sie es bisher nicht gewagt, das Dickicht des Waldes zu verlassen. Immer wieder tauschten sie und Denrei Blicke. Normal hätte sie ihn geärgert, dass er zu missmutig dreinblickte, doch ausnahmsweise musste sie zustimmen, dass sein Missmut seine Berechtigung hatte. Also schwieg sie. Alex sah ebenfalls nicht besonders begeistert drein und Shuichon konnte auch sie irgendwo verstehen – immerhin war es das erste Mal, dass sie in einen Kampf geraten war. „Ich habe Hunger“, jammerte Dracomon, das bäuchlings auf dem Waldboden lag. „Und ich muss zugeben, dass ich auch etwas zu essen vertragen könnte“, meinte Lopmon, das neben Shuichon gegen einen Baum gelehnt saß. „Can't you speak Englisch, please?“, grummelte Alex, die die Arme verschränkt hatte. „Well, they can not“, erwiderte Denrei und zeigte auf die Digimon. Shuichon sah zum Himmel. Zumindest war beinahe eine halbe Stunde vergangen, ohne dass sie gefunden worden waren – auch wenn sie zwei Mal einen Helikopter ganz in der Nähe gehört hatten. Vielleicht also hatten sie Glück. Doch dann blieb noch immer eine Frage. Sie sah zu dem Jungen, der neben seinem Partner saß und mit seltsam leeren Blick auf den Boden sah. „You have parents?“, fragte sie. „No“, erwiderte und zog seine Beine näher an sich heran. „Nico“, murmelte Cellomon und stupste ihn an. Er seufzte. „Well, yes… But I won't go back to them!“ „And why is that?“, fragte sie. „Because…“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Why would you care? You do not know me!“ Nun seufzte Shuichon und sah einmal mehr zu Denrei. Dieser Junge erinnerte sie sehr stark an ihn vor nur drei Jahren. Damals hatte er ihr beinahe genau dasselbe geantwortet, als sie versucht hatte ihm zu helfen. „Seriously?“, fragte nun Alex. „I mean, how old are you? Fourteen? Fifteen?“ Der Junge antwortete zuerst nicht, gab dann aber unter Alex' wütendem Blick nach. „Thirdteen“, murmelte er und wich dem Blick aus. „You should be at home with you parents!“, meinte Alex nun vehement und sprang auf. „No matter what happened! Or, at least, you should not roam around here alone!“ „I am not alone“, rief der Junge aus. „Cellomon is with me!“ „Yeah, and I am sure Cellomon can cook for you and cloth you and…“ Sie musterte die zerfransten Kleidungsstücke am dürren Leib des Jungen. „I don't think so.“ Der Junge zog nur einen Schmollmund und sah nun demonstrativ in eine andere Lichtung. „Well, maybe…“, begann sein Partner doch als sie das Rattern eines Helikopters hörten, verstummte es. Sie alle sahen zum Himmel, von dem sie nur kleine blaue Flecken durch das Blätterdach erkennen konnten, hinauf, beinahe darauf wartend, dass ein erneuter Angriff kam. Shuichon kam nicht drumherum an Jenrya zu denken. Er würde ausrasten, wenn er davon hörte, dass sie schon wieder in Schwierigkeiten gekommen war – und dann würde er Denrei die Schuld geben. Sie seufzte. „Moumantai“, murmelte Lopmon, das wahrscheinlich ihre Gedanken erraten hatte. Der Junge sah zu ihnen. „Mouman… What?“ „Mou-Man-Tai“, wiederholte Shuichon langsam für ihn. „Meaning: Don't worry.“ Er nickte. Wieder schwiegen sie, während sich das Rattern des Helikopters weiter entfernte. „Ob Dolphin helfen kann?“, fragte Denrei auf einmal. „Er arbeitet doch für die Regierung und vielleicht…“ Er sah zu Nico hinüber. „Na ja, vielleicht kann er ihm helfen.“ Auch Shuichon sah zu Nico. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.“ „Wir müssen irgendetwas machen“, murmelte Denrei. „Ja…“ Noch immer ruhte Shuichons Blick auf dem Jungen, der dies nun zu bemerken schien. Er sah sie an, sagte jedoch nichts. Sein Blick aber wurde misstrauisch. „Can I have your mobile?“, fragte Shuichon nun Alex. Diese sah sie verwirrt an und nahm ihr Handy heraus. „Why?“ „We should phone Dolphin“, antwortete Denrei. „He might help.“ Nico sah auf, das Gesicht wieder misstrauisch. „You cannot phone anybody!“ „Well, we need some help“, erwiderte Alex. „I certainly don't want to get shot!“ Widerspenstig starrte der Junge sie an. „Me neither. But even less, I want to have any stupid adult involved in this!“ „I guess we have different priorities“, meinte Alex und verschränkte nun die Arme. Shuichon beobachtete sie und seufzte. „Calm down.“ Sie sah auf das Mobiltelefon. „It looks like we do not… Eh… Verbindung…“ Sie brach ab, da weder Alex, noch der Junge ihr zuzuhören schienen. Hilfesuchend sah sie zu Denrei, der jedoch auch nur ratlos mit den Schultern zuckte. Als sie ihn weiterhin anstarrte, seufzte er. „Listen“, meinte er. „We can not… Just sit.“ „Well, I am comfortable with that. You can go, if you want to.“ Nico verschränkte die Arme, während Alex sich an den Kopf fasste. „What is your problem?“, fragte sie. „Do you really want to stay out here or get shot?“ Daraufhin zuckte der Junge nur mit den Schultern. „I don't care.“ „Calm down, please“, seufzte Shuichon. Sie wünschte sich, dass ihr Englisch besser wäre, doch durch die Sprachbarriere klang sie unsicherer, als sie eigentlich wollte. Noch immer überlegte sie, wie zur Hölle sie aus dieser Situation herauskommen sollten – denn leider fürchtete sie, dass der Helikopter, sollte er sie finden, ohne weitere Nachfragen auf sie schießen würde. Warum mussten diese Amerikanischen Behörden nur so gottverdamt schießwütig sein?! „Wenn nur einer von uns geht…“, begann Denrei langsam. „Vielleicht könnten wir so jemand anderen erreichen und…“ Wirklich überzeugt klang er nicht, doch Shuichon wusste zumindest seinen Vorschlag zu schätzen. „Vielleicht könnte einer von uns sie ablenken?“, murmelte sie, doch so ganz gefiel ihr die Idee nicht. Selbst wenn sie relativ sicher war, dass die Waffen ihnen, sobald sie mit den Digimon verschmolzen weniger anhaben konnten. Doch während sie nachdachten – und Dracomon noch immer bäuchlings im Morrast lag – stritten Alex und Nico weiter. „Why are you even so sure, that they will take your Digimon partner?“, fragte Alex nun weiter. „It is non of your god damn business!“ Mittlerweile bemühte sich Nico nicht mehr ihrem Blick auszuweichen, sondern sah sie herausfordernd an. „Well, it kinda became when we were shot at!“, wiederholte die junge Amerikanerin mit in die Seiten gestämmten Armen. „Nobody asked you to help me!“ Alex sah zu Denrei und Shuichon hinüber. „Well, I certainly wasn't asked!“ „That's your problem!“ „Nico!“, jammerte Cellomon immer wieder dazwischen. „You should not argue with her.“ Doch es wurde mittlerweile nicht mehr beachtet. „If you are not allowed to keep a Digimon, you must be some kind of sicko, eh?“, meinte Alex nun, noch immer wütend. „Shut up!“, schrie der Junge sie an, nun in einer gänzlich anderen Tonlage. „Stop it!“, riefen Denrei und Shuichon wie aus einem Mund dazwischen. „Nobody asked you, to help me!“, fauchte der Junge nun laut und mit zitternden Armen. Shuichon meinte Tränen in seinen Augen glitzern zu sehen, als er sich abwandte. „You know what? I don't care. I don't even know, why I stayed here. I am better of alone!“ Er lief los. „Come along, Cellomon!“ Und auch wenn der Dickicht sein Tempo etwas einschränkte, war er schnell aus ihrer Sichtweite verschwunden. Shuichon und Denrei sahen erneut einander an, dieses Mal noch ratloser als zuvor, doch es war Alex die loslief. „Hey, wait you idiot!“, rief sie. „Das ist der Helikopter…“, murmelte Lopmon und hob seine langen Ohren. Noch immer blickten Denrei und Shuichon einander an, beide kaum fähig zu verstehen, was gerade geschehen war. Dann, ohne ein Wort zu wechseln, liefen sie los und folgten den beiden. Doch Shuichon kam nicht drum herum ein unwohles Gefühl in der Magengegend zu verspüren. „Takato.“ Yamaki sah ihn an, als Takato zusammen mit Guilmon in die Hypnos-Zentrale kam. Er zögerte für einen Moment, dann: „Wo ist Akiyama?“ Takatos Gesicht war deutlich von Müdigkeit gezeichnet, dennoch sah er Yamaki mit einer bitteren Wut in den Augen an. „Ich weiß es nicht. Er ist gegangen, nachdem das Wesen besiegt war.“ „Du hättest es nicht so lange hinauszögern sollen“, meinte Yamaki nun streng und sah ihn an. „Du hättest dieses Wesen schneller besiegen sollen.“ „Aber Yamaki-san versteht nicht“, warf Guilmon ein und gestikulierte mit seinen Krallen. „Diese Wesen sind nicht böse, sie wollen nichts tun.“ „Es ist Ryous Schuld“, hauchte Takato bitter. „Würde er nicht gegen sie kämpfen, würde so etwas nicht passieren. Dann müssten wir überhaupt nicht kämpfen.“ Yamaki sah nun selbst etwas wütend oder viel eher irritiert zu dem jungen Mann hinüber. „Die Existenz dieser Wesen beeinflusst diese Welt. Wenn sie länger hier bleiben, würde diese Welt zerstört werden.“ „Dasselbe hast du auch einmal von den Digimon gedacht, oder?“, fragte Takato nun, wobei er vollkommen auf jedwede Respektform, mit der er normal Yamaki ansprach, verzichtete. „Und jetzt leben sie hier und es ist nicht passiert, oder? Es muss eine Möglichkeit geben, dass diese Wesen in unsere Welt leben können. Ich bin mir sicher!“ „Matsuda-kun“, begann Yamaki und Wut klang nun deutlich aus seiner Stimme. Dennoch zögerte er, als er sah, dass Takato die rote Karte in der Hand hielt. „Und das hier“, fuhr der Tamer fort, „dieser Code könnte auch beide Welten zerstören, oder? Hat es nicht damit angefangen?“ Auf diese Frage hin schwieg Yamaki und wich dem Blick Takatos aus. Er biss sich auf die Lippen, während er ihn ansah. „Es ist aktuell unsere einzige Waffe.“ Daraufhin steckte Takato die Karte ein und wandte sich ab. „Gehen wir nach Hause, Guilmon“, meinte er und ohne auf eine Antwort seines Partners zu warten oder sich förmlich zu verabschieden, ging er auf den Ausgang zu, so dass selbst Guilmon für einen Moment überrascht stehen blieb und zwischen Takato und Yamaki hin und her sah. „Aber“, begann es, rannte seinem Tamer dann aber doch hinterher. „Warte, Takato!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)